Beauty
Kurzbeschreibung
Was passiert, wenn Elphaba sich langweilt und über Galindas Zeitschriften stolpert?
GeschichteFreundschaft, Schmerz/Trost / P12 / Gen
Elphaba Thropp
Glinda/Galinda Upland of the Upper Uplands
08.07.2012
08.07.2012
1
2.316
08.07.2012
2.316
„Oh Miss Elphaba,“ said Galinda, „you terrible mean thing, you're pretty. […] There's some strange exotic quality of beauty about you. I never thought.“ - „[…] It's just surprise. 'Well, what do you know.' It's not beauty.“ [Wicked. The Life and Times of the Wicked Witch of the West (G. Maguire), S. 101 f.]
Beauty
Elphaba Thropp langweilte sich fast zu Tode. Es war kurz nach neun Uhr abends – zu früh, um ins Bett zu gehen, aber zu spät, um noch einmal die Bibliothek aufzusuchen. Die hatte seit einer guten Stunde zu.
Ein kurzer Blick zu ihrem Nachttisch bestätigte ihr, was sie schon vermutet hatte – die Bücher, die sie noch hier hatte, hatte sie alle schon mindestens zweimal gelesen und konnte vermutlich schon die Hälfte eines jeden auswendig vorsagen. Das war auch nicht hilfreich. Lautlos verfluchte sie ihre Zimmergenossin – erstens dafür, dass sie einen Bibliotheksbesuch früher am Tag unmöglich gemacht hatte mit dem Versuch, sie zum Shoppen zu überreden, und zweitens dafür, dass sie sie jetzt alleine gelassen hatte, um mit irgendwelchen dämlichen Freundinnen auszugehen. Dass es jetzt so langweilig war, war allein ihre Schuld.
Elphaba ließ ihren Blick durch den Raum schweifen, auf der Suche nach einer Beschäftigung. Fenster (voll mit Regentropfen), Stuhl daneben (von Galinda für das Blumenmeer ihrer Verehrer in Anspruch genommen), ihr Bett (grau und langweilig), ihr Nachttisch (nichts übermäßig interessantes zu sehen). Andere Zimmerhälfte. Kleiderschrank (mit Kleidung und Schuhen: 90 Prozent pink, 5 Prozent andere Farben, 5 Prozent schwarz, grau und dunkelblau), Galindas Bett (pink und schmerzhaft für die Augen), Regal (halb voll mit Büchern, halb voll mit Modezeitschriften). Nicht hilfreich. Elphaba ließ sich auf ihr Bett fallen und starrte an die Decke.
In dieser Position blieb sie für etwa zweieinhalb Minuten, bevor sie entnervt wieder aufsprang. Wenn sie ihre eigenen Bücher schon kannte … nun, dann musste eben Galindas Lesestoff als Beschäftigung herhalten. Als sie das erste Magazin in die Hand nahm, hielt sie es erst einmal weit von sich und starrte es an, als würde es sie jeden Moment in die Hand beißen. OzTouch. Sie schüttelte über sich selbst den Kopf und schlug die erste Seite auf. Sie musste wirklich sehr verzweifelt sein...
Zwei Stunden später hatte sie die Hälfte der Zeitschriften durchgelesen und konnte sich nicht dazu überwinden, auch nur eine einzige mehr in die Hand zu nehmen. Die Personen darin kannte sie alle nicht, oder bestenfalls aus Gesprächen zwischen Galinda und ihren Freundinnen, bei denen sie spätestens nach einer halben Minute die Ohren auf Durchzug stellte, um ihr Hirn nicht der vollständigen Verdummung preiszugeben. Und selbst, wenn sie wüsste, um wen es eigentlich ging, warum sollte sie sich für das Liebesleben und die kleinen Probleme irgendwelcher Prominenter interessieren? Das hatte keinen Einfluss auf ihr Leben, und wenn sie ehrlich war, war sie darüber auch ziemlich froh.
Sie starrte die letzte Zeitschrift, die sie gelesen hatte, an. Eigentlich sollte sie jetzt aufstehen, die Schundliteratur wieder an ihren alten Platz zurückstellen, und etwas vernünftiges machen, doch irgendetwas hielt sie zurück. Langsam schlug sie die Seiten wieder auf und blätterte ein bisschen herum, bis sie auf einer Seite mit Schminktipps angelangt war, die sie zuvor hastig überblättert hatte. Ihr Blick saugte sich an den Vorher-Nachher-Bildern fest, und sie legte nachdenklich den Kopf schief. Es war blödsinnig und vollkommen unrealistisch. Aber... niemand war da... warum nicht?
Bald darauf sah das Zimmer aus, als hätten ein Tornado und eine Bombe darum gewettet, wer von beiden mehr Unheil anrichten konnte. Galindas Kosmetikutensilien lagen überall verstreut, auf dem Boden, auf dem Bett, und nur zu einem geringen Teil vor dem Spiegel, der über ihrem Tisch hing. Als zusätzliche Dekoration waren überall die Klamotten der Blondine zu finden, weshalb Boden und alles andere inzwischen ziemlich gefährlich aussahen. Inmitten dieses Wahnsinns stand Elphaba Thropp und grinste ihr Spiegelbild schief an. Sie hatte etwas geschafft, wozu sie sich selbst nicht für fähig gehalten hatte: Sie hatte den Schlafsaal in ein absolutes Chaos verwandelt, und obendrein sah sie selbst noch grauenhafter aus als sonst. Sie hatte nicht gedacht, dass das möglich war, aber der Beweis war nicht zu widerlegen.
Elphaba gab sich keinen Illusionen hin; sie wusste, dass sie schrecklich aussah. Sie hatte ein Kleid ihrer Zimmergenossin angezogen (wehe, sie behauptete noch ein einziges Mal, rosa passe gut zu grün), das ihr erstens ein wenig zu weit und zweitens viel zu kurz war, ganz abgesehen davon, dass Rüschen sowieso nicht zu ihr passten. Ihre Nägel waren in einem der vielen Pinktöne, die sich unter Galindas Nagellack fanden, lackiert, aber entgegen ihrer ersten Einschätzung war es leider ein anderes Pink als das des Kleids, und zudem hatte sie aufgrund mangelnder Übung ihre Fingerspitzen gleich mit angepinselt. Ihr Gesicht sah aus, als hätte eine Zweijährige mit dem Schminkkasten ihrer Mutter experimentiert; die Farbexplosion zwischen ihrer Stirn und ihrem Kinn hätte eher zu einem Clown gepasst.
Nachdem sie es schließlich geschafft hatte, mit ihrem ungläubigen Gelächter aufzuhören, machte sich langsam der Gedanke breit, dass das ja auch alles wieder runter musste. Sie erinnerte sich nicht daran, irgendetwas dahingehendes in den Zeitschriften gefunden zu haben... Vielleicht hatte Galinda ja im Bad etwas mit einer eindeutigen und selbsterklärenden Aufschrift? Etwas wie Entfernen Sie den ganzen Mist aus Ihrem Gesicht, den Sie vorher draufgeschmiert haben in der Hoffnung, dadurch hübscher auszusehen? Mit einem letzten Blick in den Spiegel wandte sich Elphaba in Richtung der Badezimmertür, nur um im nächsten Moment mitten in der Bewegung zu gefrieren. Von draußen klang ein ihr wohlbekanntes, fröhliches Lachen herein, und sie hörte, wie der Zimmerschlüssel ins Schloss gesteckt und langsam umgedreht wurde.
_/\_ _/\_ _/\_
Galinda lachte und drückte Fiyero noch einem Kuss auf die Wange, wobei sie sich der neidischen Blicke von Pfannee und Shenshen durchaus bewusst war. „Warte noch einen Moment, FiFi, ich frage Elphie schnell, ob sie dir ihre Notizen ausleiht, die sind vollständiger als meine.“ Der Rest der kleinen Gruppe – Pfannee, Shenshen, Boq und Avaric – wollte auch noch kurz warten; Pfannee und Shenshen, weil sie hofften, vielleicht von Galindas Freund noch zu ihren Zimmern begleitet zu werden, Avaric, weil er hoffte, eines von den Mädchen zum Mitkommen überreden zu können, und Boq, weil er hoffte, doch noch ein wenig Aufmerksamkeit von Galinda zu erhaschen.
Die Blondine öffnete lächelnd die Tür und bereitete sich darauf vor, mit Elphaba ein bisschen über die Herausgabe ihrer Notizen zu verhandeln, doch sie brachte kein Wort über die Lippen. Der Anblick, der sich ihr bot, war an sich unglaublich komisch, doch Galinda war nicht nach Lachen zumute. Sie stand wie eingefroren da und blickte in Elphabas erstarrtes, panisches Gesicht. Erst nach einem Moment hörte sie das Getuschel hinter ihr, das immer lauter wurde und sich langsam in immer lauteres Gekicher verwandelte. Hastig wandte sie den Kopf. Fiyero wirkte zwischen Belustigung und Mitgefühl hin- und hergerissen, während Boq sich mit undefinierbarem Gesichtsausdruck auf die Lippe biss. Auf den Gesichtern von Pfannee, Shenshen und Avaric spiegelte sich blanker Hohn wider.
„Ich glaube, es ist besser, wenn ihr jetzt geht.“ In ihrer Hast stolperte sie über ihre Worte. Nervös sah sie sich um und sah gerade noch, wie etwas grünlich-pinkes im Badezimmer verschwand und die Tür zuschlug, was eine weitere Welle an Gelächter hervorrief. „Fiyero, ich geb dir die Notizen morgen, ja? Gute Nacht, alle zusammen!“ Mit diesen Worten scheuchte sie die ganze Gruppe von ihrer Tür weg, huschte ins Zimmer und knallte dem zurückgebliebenen Boq die Tür vor der Nase zu.
Langsam ging sie auf das Badezimmer zu, wobei sie das sie umgebende Durcheinander ignorierte. Es war keine große Überraschung, dass die Tür verschlossen war. Elphaba gab auf ihr Klopfen keine Antwort, und nach kurzem Zögern legte sie ihr Ohr an die Tür und lauschte. Kaum ein Laut drang durch das Holz, doch Galinda meinte, ein paar leise Geräusche hören zu können, ohne allerdings zu wissen, was sie damit anfangen sollte. Die naheliegendste Vermutung wäre, dass ihre Freundin weinte, doch sie war sich nicht sicher. Sie hatte Elphaba noch nie eine Träne vergießen sehen.
Kurz entschlossen klopfte sie noch einmal, diesmal heftiger. Keine Antwort.
„Elphie?“ Sie merkte, wie unsicher ihre Stimme klang, und räusperte sich, bevor sie weitersprach. „Elphie, bitte mach die Tür auf. Sie sind nicht mehr da, okay? Sie sind weg.“ Galinda war sich nicht sicher, ob ihre Freundin überhaupt reagiert hatte, doch sie sprach weiter. „Bitte mach auf. Ich werde nicht über dich lachen oder so. Und ich bin auch nicht sauer, falls du das befürchtest.“ Langsam wurde sie nervös. Was machte Elphaba da drin? „Elphie! Das waren Pfannee und Shenshen und Avaric, das sind Idioten, das weißt du doch! Lass sie denken, was sie wollen... Bitte! Komm raus!“
Keine Reaktion war bemerkbar. Galinda versuchte es anders. „Wenn du jetzt schmollen willst, schön! Aber mach es woanders, nicht im Bad. Ich muss da mal rein, weißt du. Elphaba!“ Einen Moment lang geschah immer noch nichts, dann hörte sie ein Geräusch, das ihr sagte, dass Elphaba wohl gerade vom Boden aufgestanden war. Im nächsten Moment ging die Tür auf und die Grüne versuchte, sich mit gesenktem Kopf an Galinda vorbeizuschieben, doch die hielt sie fest. Elphaba blieb stehen, den Blick weiterhin fest auf den Boden gerichtet. Ihr Atem ging zittrig und unregelmäßig, und Galinda biss sich auf die Lippe und strich ihrer Freundin leicht über den Rücken, doch Elphaba versteifte sich, und sie ließ die Hand wieder sinken.
„Oh, Elphie...“ Sie zog sie hinter sich her zu ihrem pink bezogenen Bett und drückte sie auf die Matratze. Dann hob sie mit dem Zeigefinger Elphabas Kinn an. Sie schluckte, als sie ihr ins Gesicht sah. Ihre Augen schwammen in Tränen, die sie offenbar nur mühsam zurückhielt, doch was Galinda mehr erschreckte, war die Verachtung, die ihre Züge zeigten. Verachtung, die gegen Elphaba selbst gerichtet war. Aus einem Impuls heraus warf Galinda die Arme um Elphaba, und nach ein paar Sekunden entspannte sich die Grüne ein wenig und wehrte sich nicht mehr gegen die Umarmung.
„Ich wollte – ich wollte doch bloß schön sein. Einmal im Leben nicht das hässliche grüne Mädchen sein, sondern jemand, der schön ist“, flüsterte Elphaba plötzlich mit erstickter Stimme. „So wie du.“ Galindas Herz zog sich in ihrer Brust zusammen, als sie den Schmerz in der Stimmer ihrer Freundin hörte, und sie drückte sie noch fester an sich. Sie sah die Modezeitschriften, die auf Elphabas Bett verstreut waren, und konnte sich denken, was passiert war. Bevor sie noch die richtigen Worte finden konnte, um zu antworten, spürte sie, wie die Schultern, die sie mit ihren Armen umschlungen hielt, zu zucken begannen. Ein unterdrücktes Schluchzen war zu hören, und im nächsten Moment ein leises, schmerzerfülltes Zischen, als die Tränen Elphabas Haut verbrannten. Galinda zog sich schnell ein Stück zurück und wischte der Grünen die Flüssigkeit von den Wangen, bevor sie ihre Daumen unter deren geschlossenen Augen legte, um zu verhindern, dass weitere Tränen herabtropften und ihr noch mehr wehtaten.
Eine Weile saßen sie so da, bis Elphabas Tränen versiegten und sie sich wieder unter Kontrolle hatte. Zögernd öffnete sie die Augen, doch sie brachte es nicht über sich, Galinda anzusehen. „Entschuldige“, murmelte sie und drehte den Kopf. Galinda nahm ihre Hand und hielt sie fest, als sie sie reflexartig zurückziehen wollte. „Nein“, sagte sie leise, „du musst dich nicht entschuldigen. Wofür auch? Wenn sich irgendjemand entschuldigen muss, dann bin ich das. Ich hab dir den ganzen Blödsinn in den Kopf gesetzt, aber ich habe Blödsinn geredet. Schönheit hat nichts damit zu tun, welche Klamotten man trägt oder wie man geschminkt ist. Es tut mir Leid, Elphie.“
Elphaba hob nun doch den Kopf und sah Galinda aus geröteten Augen erstaunt an. „Wofür entschuldigst du dich?“ Galinda schüttelte mit traurigem Lächeln den Kopf. „Es ist meine Schuld, dass du dachtest, du müsstest dich schminken und Kleider anziehen, die nicht zu dir passen, um schön zu sein. Bitte glaub mir, was ich dir jetzt sage, Elphaba: Du brauchst das alles gar nicht. Selbst wenn du das perfekt gemacht hättest und dein Lippenstift nicht eine halbe Etage zu tief wäre-“, Elphaba lächelte schräg, was Galinda sehr erleichterte, „-wäre es falsch. Verstehst du, Elphie, ich weiß, dass die meisten Leute das anders sehen, aber du bist schön. Du bist wunderschön und am schönsten bist du, wenn du dir keine Mühe dafür gibst. Wenn du einfach ganz natürlich bist-“
„Ich bin aber nicht natürlich.“ Mit einem Schlag waren alle Selbstzweifel wieder da, doch Galinda wollte es nicht zulassen. Heftig schüttelte sie den Kopf.
„Halt die Klappe, Elphie. Jetzt rede ich und du hörst gefälligst zu. Du bist grün. Na und? Ich bin weiß. Oder eher rosa.“ Sie kicherte und Elphaba hob eine Augenbraue. „Und Winkies sind braun und Quadlinger sind rot. Und Boq ist klein und Fiyero ist groß und meine Haare sind schulterlang und deine gehen bis über die Taille und wenn du nicht meine beste Freundin wärst, würde ich sie abschneiden, weil ich sie haben wollen würde. Elphie, du bist wunderschön, und wer das nicht sieht, ist einfach nur engstirnig.“ Einen Moment lang verstummte sie, als sie daran dachte, wie sie selbst zunächst auf Elphabas Haut reagiert hatte. Wie engstirnig sie selbst gewesen war. „Du brauchst nichts davon“, flüsterte sie schließlich. „Du kannst meine Sachen hernehmen, so oft du willst, und wenn du möchtest, helfe ich dir dabei, aber nicht, weil ich denke, dass du dadurch schöner wirst. Anders sein bedeutet nicht, hässlich zu sein. Klar?“
Für einen Moment schien Elphaba völlig geschockt und starrte Galinda mit leicht geöffneten Lippen an. „O-okay“, meinte sie dann unsicher. Galinda lächelte.
„Na bitte. Komm mit, jetzt machen wir dein Gesicht erstmal wieder grün. Wenn ich sage, rosa passt gut zu grün, meine ich nicht, dass du das Grün unter Rosa verstecken sollst.“ Sie grinste und zog Elphaba ins Bad, um ihr die Farbe aus dem Gesicht zu wischen. Elphaba spürte ihre kleine, helle Hand in ihrer und lächelte. Sie war anders. Aber es gab zumindest eine Person in Oz, die sie trotz allem für schön hielt.
ENDE
Beauty
Elphaba Thropp langweilte sich fast zu Tode. Es war kurz nach neun Uhr abends – zu früh, um ins Bett zu gehen, aber zu spät, um noch einmal die Bibliothek aufzusuchen. Die hatte seit einer guten Stunde zu.
Ein kurzer Blick zu ihrem Nachttisch bestätigte ihr, was sie schon vermutet hatte – die Bücher, die sie noch hier hatte, hatte sie alle schon mindestens zweimal gelesen und konnte vermutlich schon die Hälfte eines jeden auswendig vorsagen. Das war auch nicht hilfreich. Lautlos verfluchte sie ihre Zimmergenossin – erstens dafür, dass sie einen Bibliotheksbesuch früher am Tag unmöglich gemacht hatte mit dem Versuch, sie zum Shoppen zu überreden, und zweitens dafür, dass sie sie jetzt alleine gelassen hatte, um mit irgendwelchen dämlichen Freundinnen auszugehen. Dass es jetzt so langweilig war, war allein ihre Schuld.
Elphaba ließ ihren Blick durch den Raum schweifen, auf der Suche nach einer Beschäftigung. Fenster (voll mit Regentropfen), Stuhl daneben (von Galinda für das Blumenmeer ihrer Verehrer in Anspruch genommen), ihr Bett (grau und langweilig), ihr Nachttisch (nichts übermäßig interessantes zu sehen). Andere Zimmerhälfte. Kleiderschrank (mit Kleidung und Schuhen: 90 Prozent pink, 5 Prozent andere Farben, 5 Prozent schwarz, grau und dunkelblau), Galindas Bett (pink und schmerzhaft für die Augen), Regal (halb voll mit Büchern, halb voll mit Modezeitschriften). Nicht hilfreich. Elphaba ließ sich auf ihr Bett fallen und starrte an die Decke.
In dieser Position blieb sie für etwa zweieinhalb Minuten, bevor sie entnervt wieder aufsprang. Wenn sie ihre eigenen Bücher schon kannte … nun, dann musste eben Galindas Lesestoff als Beschäftigung herhalten. Als sie das erste Magazin in die Hand nahm, hielt sie es erst einmal weit von sich und starrte es an, als würde es sie jeden Moment in die Hand beißen. OzTouch. Sie schüttelte über sich selbst den Kopf und schlug die erste Seite auf. Sie musste wirklich sehr verzweifelt sein...
Zwei Stunden später hatte sie die Hälfte der Zeitschriften durchgelesen und konnte sich nicht dazu überwinden, auch nur eine einzige mehr in die Hand zu nehmen. Die Personen darin kannte sie alle nicht, oder bestenfalls aus Gesprächen zwischen Galinda und ihren Freundinnen, bei denen sie spätestens nach einer halben Minute die Ohren auf Durchzug stellte, um ihr Hirn nicht der vollständigen Verdummung preiszugeben. Und selbst, wenn sie wüsste, um wen es eigentlich ging, warum sollte sie sich für das Liebesleben und die kleinen Probleme irgendwelcher Prominenter interessieren? Das hatte keinen Einfluss auf ihr Leben, und wenn sie ehrlich war, war sie darüber auch ziemlich froh.
Sie starrte die letzte Zeitschrift, die sie gelesen hatte, an. Eigentlich sollte sie jetzt aufstehen, die Schundliteratur wieder an ihren alten Platz zurückstellen, und etwas vernünftiges machen, doch irgendetwas hielt sie zurück. Langsam schlug sie die Seiten wieder auf und blätterte ein bisschen herum, bis sie auf einer Seite mit Schminktipps angelangt war, die sie zuvor hastig überblättert hatte. Ihr Blick saugte sich an den Vorher-Nachher-Bildern fest, und sie legte nachdenklich den Kopf schief. Es war blödsinnig und vollkommen unrealistisch. Aber... niemand war da... warum nicht?
Bald darauf sah das Zimmer aus, als hätten ein Tornado und eine Bombe darum gewettet, wer von beiden mehr Unheil anrichten konnte. Galindas Kosmetikutensilien lagen überall verstreut, auf dem Boden, auf dem Bett, und nur zu einem geringen Teil vor dem Spiegel, der über ihrem Tisch hing. Als zusätzliche Dekoration waren überall die Klamotten der Blondine zu finden, weshalb Boden und alles andere inzwischen ziemlich gefährlich aussahen. Inmitten dieses Wahnsinns stand Elphaba Thropp und grinste ihr Spiegelbild schief an. Sie hatte etwas geschafft, wozu sie sich selbst nicht für fähig gehalten hatte: Sie hatte den Schlafsaal in ein absolutes Chaos verwandelt, und obendrein sah sie selbst noch grauenhafter aus als sonst. Sie hatte nicht gedacht, dass das möglich war, aber der Beweis war nicht zu widerlegen.
Elphaba gab sich keinen Illusionen hin; sie wusste, dass sie schrecklich aussah. Sie hatte ein Kleid ihrer Zimmergenossin angezogen (wehe, sie behauptete noch ein einziges Mal, rosa passe gut zu grün), das ihr erstens ein wenig zu weit und zweitens viel zu kurz war, ganz abgesehen davon, dass Rüschen sowieso nicht zu ihr passten. Ihre Nägel waren in einem der vielen Pinktöne, die sich unter Galindas Nagellack fanden, lackiert, aber entgegen ihrer ersten Einschätzung war es leider ein anderes Pink als das des Kleids, und zudem hatte sie aufgrund mangelnder Übung ihre Fingerspitzen gleich mit angepinselt. Ihr Gesicht sah aus, als hätte eine Zweijährige mit dem Schminkkasten ihrer Mutter experimentiert; die Farbexplosion zwischen ihrer Stirn und ihrem Kinn hätte eher zu einem Clown gepasst.
Nachdem sie es schließlich geschafft hatte, mit ihrem ungläubigen Gelächter aufzuhören, machte sich langsam der Gedanke breit, dass das ja auch alles wieder runter musste. Sie erinnerte sich nicht daran, irgendetwas dahingehendes in den Zeitschriften gefunden zu haben... Vielleicht hatte Galinda ja im Bad etwas mit einer eindeutigen und selbsterklärenden Aufschrift? Etwas wie Entfernen Sie den ganzen Mist aus Ihrem Gesicht, den Sie vorher draufgeschmiert haben in der Hoffnung, dadurch hübscher auszusehen? Mit einem letzten Blick in den Spiegel wandte sich Elphaba in Richtung der Badezimmertür, nur um im nächsten Moment mitten in der Bewegung zu gefrieren. Von draußen klang ein ihr wohlbekanntes, fröhliches Lachen herein, und sie hörte, wie der Zimmerschlüssel ins Schloss gesteckt und langsam umgedreht wurde.
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Galinda lachte und drückte Fiyero noch einem Kuss auf die Wange, wobei sie sich der neidischen Blicke von Pfannee und Shenshen durchaus bewusst war. „Warte noch einen Moment, FiFi, ich frage Elphie schnell, ob sie dir ihre Notizen ausleiht, die sind vollständiger als meine.“ Der Rest der kleinen Gruppe – Pfannee, Shenshen, Boq und Avaric – wollte auch noch kurz warten; Pfannee und Shenshen, weil sie hofften, vielleicht von Galindas Freund noch zu ihren Zimmern begleitet zu werden, Avaric, weil er hoffte, eines von den Mädchen zum Mitkommen überreden zu können, und Boq, weil er hoffte, doch noch ein wenig Aufmerksamkeit von Galinda zu erhaschen.
Die Blondine öffnete lächelnd die Tür und bereitete sich darauf vor, mit Elphaba ein bisschen über die Herausgabe ihrer Notizen zu verhandeln, doch sie brachte kein Wort über die Lippen. Der Anblick, der sich ihr bot, war an sich unglaublich komisch, doch Galinda war nicht nach Lachen zumute. Sie stand wie eingefroren da und blickte in Elphabas erstarrtes, panisches Gesicht. Erst nach einem Moment hörte sie das Getuschel hinter ihr, das immer lauter wurde und sich langsam in immer lauteres Gekicher verwandelte. Hastig wandte sie den Kopf. Fiyero wirkte zwischen Belustigung und Mitgefühl hin- und hergerissen, während Boq sich mit undefinierbarem Gesichtsausdruck auf die Lippe biss. Auf den Gesichtern von Pfannee, Shenshen und Avaric spiegelte sich blanker Hohn wider.
„Ich glaube, es ist besser, wenn ihr jetzt geht.“ In ihrer Hast stolperte sie über ihre Worte. Nervös sah sie sich um und sah gerade noch, wie etwas grünlich-pinkes im Badezimmer verschwand und die Tür zuschlug, was eine weitere Welle an Gelächter hervorrief. „Fiyero, ich geb dir die Notizen morgen, ja? Gute Nacht, alle zusammen!“ Mit diesen Worten scheuchte sie die ganze Gruppe von ihrer Tür weg, huschte ins Zimmer und knallte dem zurückgebliebenen Boq die Tür vor der Nase zu.
Langsam ging sie auf das Badezimmer zu, wobei sie das sie umgebende Durcheinander ignorierte. Es war keine große Überraschung, dass die Tür verschlossen war. Elphaba gab auf ihr Klopfen keine Antwort, und nach kurzem Zögern legte sie ihr Ohr an die Tür und lauschte. Kaum ein Laut drang durch das Holz, doch Galinda meinte, ein paar leise Geräusche hören zu können, ohne allerdings zu wissen, was sie damit anfangen sollte. Die naheliegendste Vermutung wäre, dass ihre Freundin weinte, doch sie war sich nicht sicher. Sie hatte Elphaba noch nie eine Träne vergießen sehen.
Kurz entschlossen klopfte sie noch einmal, diesmal heftiger. Keine Antwort.
„Elphie?“ Sie merkte, wie unsicher ihre Stimme klang, und räusperte sich, bevor sie weitersprach. „Elphie, bitte mach die Tür auf. Sie sind nicht mehr da, okay? Sie sind weg.“ Galinda war sich nicht sicher, ob ihre Freundin überhaupt reagiert hatte, doch sie sprach weiter. „Bitte mach auf. Ich werde nicht über dich lachen oder so. Und ich bin auch nicht sauer, falls du das befürchtest.“ Langsam wurde sie nervös. Was machte Elphaba da drin? „Elphie! Das waren Pfannee und Shenshen und Avaric, das sind Idioten, das weißt du doch! Lass sie denken, was sie wollen... Bitte! Komm raus!“
Keine Reaktion war bemerkbar. Galinda versuchte es anders. „Wenn du jetzt schmollen willst, schön! Aber mach es woanders, nicht im Bad. Ich muss da mal rein, weißt du. Elphaba!“ Einen Moment lang geschah immer noch nichts, dann hörte sie ein Geräusch, das ihr sagte, dass Elphaba wohl gerade vom Boden aufgestanden war. Im nächsten Moment ging die Tür auf und die Grüne versuchte, sich mit gesenktem Kopf an Galinda vorbeizuschieben, doch die hielt sie fest. Elphaba blieb stehen, den Blick weiterhin fest auf den Boden gerichtet. Ihr Atem ging zittrig und unregelmäßig, und Galinda biss sich auf die Lippe und strich ihrer Freundin leicht über den Rücken, doch Elphaba versteifte sich, und sie ließ die Hand wieder sinken.
„Oh, Elphie...“ Sie zog sie hinter sich her zu ihrem pink bezogenen Bett und drückte sie auf die Matratze. Dann hob sie mit dem Zeigefinger Elphabas Kinn an. Sie schluckte, als sie ihr ins Gesicht sah. Ihre Augen schwammen in Tränen, die sie offenbar nur mühsam zurückhielt, doch was Galinda mehr erschreckte, war die Verachtung, die ihre Züge zeigten. Verachtung, die gegen Elphaba selbst gerichtet war. Aus einem Impuls heraus warf Galinda die Arme um Elphaba, und nach ein paar Sekunden entspannte sich die Grüne ein wenig und wehrte sich nicht mehr gegen die Umarmung.
„Ich wollte – ich wollte doch bloß schön sein. Einmal im Leben nicht das hässliche grüne Mädchen sein, sondern jemand, der schön ist“, flüsterte Elphaba plötzlich mit erstickter Stimme. „So wie du.“ Galindas Herz zog sich in ihrer Brust zusammen, als sie den Schmerz in der Stimmer ihrer Freundin hörte, und sie drückte sie noch fester an sich. Sie sah die Modezeitschriften, die auf Elphabas Bett verstreut waren, und konnte sich denken, was passiert war. Bevor sie noch die richtigen Worte finden konnte, um zu antworten, spürte sie, wie die Schultern, die sie mit ihren Armen umschlungen hielt, zu zucken begannen. Ein unterdrücktes Schluchzen war zu hören, und im nächsten Moment ein leises, schmerzerfülltes Zischen, als die Tränen Elphabas Haut verbrannten. Galinda zog sich schnell ein Stück zurück und wischte der Grünen die Flüssigkeit von den Wangen, bevor sie ihre Daumen unter deren geschlossenen Augen legte, um zu verhindern, dass weitere Tränen herabtropften und ihr noch mehr wehtaten.
Eine Weile saßen sie so da, bis Elphabas Tränen versiegten und sie sich wieder unter Kontrolle hatte. Zögernd öffnete sie die Augen, doch sie brachte es nicht über sich, Galinda anzusehen. „Entschuldige“, murmelte sie und drehte den Kopf. Galinda nahm ihre Hand und hielt sie fest, als sie sie reflexartig zurückziehen wollte. „Nein“, sagte sie leise, „du musst dich nicht entschuldigen. Wofür auch? Wenn sich irgendjemand entschuldigen muss, dann bin ich das. Ich hab dir den ganzen Blödsinn in den Kopf gesetzt, aber ich habe Blödsinn geredet. Schönheit hat nichts damit zu tun, welche Klamotten man trägt oder wie man geschminkt ist. Es tut mir Leid, Elphie.“
Elphaba hob nun doch den Kopf und sah Galinda aus geröteten Augen erstaunt an. „Wofür entschuldigst du dich?“ Galinda schüttelte mit traurigem Lächeln den Kopf. „Es ist meine Schuld, dass du dachtest, du müsstest dich schminken und Kleider anziehen, die nicht zu dir passen, um schön zu sein. Bitte glaub mir, was ich dir jetzt sage, Elphaba: Du brauchst das alles gar nicht. Selbst wenn du das perfekt gemacht hättest und dein Lippenstift nicht eine halbe Etage zu tief wäre-“, Elphaba lächelte schräg, was Galinda sehr erleichterte, „-wäre es falsch. Verstehst du, Elphie, ich weiß, dass die meisten Leute das anders sehen, aber du bist schön. Du bist wunderschön und am schönsten bist du, wenn du dir keine Mühe dafür gibst. Wenn du einfach ganz natürlich bist-“
„Ich bin aber nicht natürlich.“ Mit einem Schlag waren alle Selbstzweifel wieder da, doch Galinda wollte es nicht zulassen. Heftig schüttelte sie den Kopf.
„Halt die Klappe, Elphie. Jetzt rede ich und du hörst gefälligst zu. Du bist grün. Na und? Ich bin weiß. Oder eher rosa.“ Sie kicherte und Elphaba hob eine Augenbraue. „Und Winkies sind braun und Quadlinger sind rot. Und Boq ist klein und Fiyero ist groß und meine Haare sind schulterlang und deine gehen bis über die Taille und wenn du nicht meine beste Freundin wärst, würde ich sie abschneiden, weil ich sie haben wollen würde. Elphie, du bist wunderschön, und wer das nicht sieht, ist einfach nur engstirnig.“ Einen Moment lang verstummte sie, als sie daran dachte, wie sie selbst zunächst auf Elphabas Haut reagiert hatte. Wie engstirnig sie selbst gewesen war. „Du brauchst nichts davon“, flüsterte sie schließlich. „Du kannst meine Sachen hernehmen, so oft du willst, und wenn du möchtest, helfe ich dir dabei, aber nicht, weil ich denke, dass du dadurch schöner wirst. Anders sein bedeutet nicht, hässlich zu sein. Klar?“
Für einen Moment schien Elphaba völlig geschockt und starrte Galinda mit leicht geöffneten Lippen an. „O-okay“, meinte sie dann unsicher. Galinda lächelte.
„Na bitte. Komm mit, jetzt machen wir dein Gesicht erstmal wieder grün. Wenn ich sage, rosa passt gut zu grün, meine ich nicht, dass du das Grün unter Rosa verstecken sollst.“ Sie grinste und zog Elphaba ins Bad, um ihr die Farbe aus dem Gesicht zu wischen. Elphaba spürte ihre kleine, helle Hand in ihrer und lächelte. Sie war anders. Aber es gab zumindest eine Person in Oz, die sie trotz allem für schön hielt.
ENDE