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Briefe von Logan

Kurzbeschreibung
GeschichteFreundschaft, Liebesgeschichte / P12 / Gen
06.07.2012
22.09.2012
9
27.997
 
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Dieses Kapitel
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06.07.2012 3.748
 
Hey!
Hat diesmal etwas länger gedauert... aber dafür ist das Kapitel diesmal auch wieder etwas länger. Hatte 'ne Schreibblockade - der Anfang es Kapitels ist mir ständig im Kopf herumgeschwirrt aber wollte irgendwie dennoch nicht sorecht zu Papier gebracht werden.
Naja, aber irgendwann war das Hindernis überwunden und... tata: Das neue Kapitel.
Hoffe euch gefällt es und viel Spaß beim Lesen.

LG Robin
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7. Der zweite Brief

Kaum, dass ich den Brief eingeworfen habe will ich nur mehr noch eins: Ihn wieder aus dem gelben Briefkasten herausholen. Aber wie sagt Martin beim Schachspielen wenn ich einen Zug rückgängig machen will immer so schön? „Was liegt, das pickt!“
Einen kurzen Moment lang überlege ich einfach so lange zu warten bis der Briefkasten geleert wird um dabei nach der Rückgabe meines fälschlicherweise eingeworfenen Briefs zu verlangen, aber ich verwerfe den Gedanken sofort wieder. Dafür habe ich keine Zeit. Ich fische mein Handy aus meiner Hosentasche und werfe einen kurzen Blick auf das Handydisplay. Mein Zug geht in 10 Minuten. Ich rechne kurz nach und komme zu dem Schluss, dass wenn ich den nächsten Zug erwische und dann ein etwas flotteres Gehtempo einschlage ich es dennoch rechtzeitig ins Restaurant schaffen würde. Zwar riskierte ich dann eine lange Rede meines Vaters zum Thema Zuspätkommen und wie unhöflich es doch ist – aber das war mir die Sache allemal wert. Ich mein, Martins Schauspielgruppe fängt sowieso nie rechtzeitig an – außerdem bin ich ohnehin nicht sonderlich darauf erpicht bei einer Life-Performance mit der Einbeziehung des Publikums anwesend zu sein. Das ist der Vorteil von Filmen – man riskiert nicht, dass die Schauspieler durch die Zuschauerreihen streifen auf der Suche nach neuen Opfern… Ein kalter Schauer rinnt mir über den Rücken als ich bei dem Gedanken unwillkürlich an meinen Musical-Besuch von „CATS“ im März zurückerinnere. Diese blöden Katzen waren permanent im Zuschauerraum unterwegs und ich saß für meinen Geschmack einfach zu nah am Rand.
„Mein Gott, jetzt reiß dich gefälligst zusammen, Lou!“, ermahne ich mich selbst und schiebe jeglichen Gedanken der auch nur im Entferntesten mit Schauspielerei zu tun hat zur Seite und widme mich dann meinem eigentlichen Problem: Dem Brief.
Wenn ich ihn nicht aus dem Briefkasten rausholen kann, dann werde ich wohl oder übel einfach noch einen weiteren schreiben und erklären müssen, wieso ich so… unfreundlich gewesen war.
Eilig krame ich mein schwarzes Notizbuch und einen Kuli aus meiner geliebten braunen Converse-Tasche. Anschließend schaue ich mich kurz nach einer Sitzgelegenheit um und lasse mich kurzerhand auf dem Rand von einem der großen, steinernen Blumenkästen die den ganzen Gehsteig entlang aufgestellt sind nieder. Dann reiße ich ein Blatt aus meinem Notizbuch raus und fange an mit krakeliger Schrift zu schreiben.


Hey, Logan!
Sorry, dass ich so pampig war in meinem anderen/letzten Brief. Es ist bloß, ich hatte mich schon so auf einen Bericht über deine mysteriöse Bekanntschaft gefreut, dass ich total enttäuscht war als ich bloß drei Fragen als Antwort bekam.
Du wolltest wissen wie das Fortgehen mit Marty war. Nun eines kann ich dir versichern – es war definitiv filmreif. Ich weiß nicht, ob ich es schon erwähnt habe, aber ich bin nicht so der Fortgeh-Typ. Laute Discos und viel Alkohol – das ist nichts für mich. Dachte ich zu mindestens bis letzten Freitag… Bisher beschränkten sich meine Fortgeherfahrungen auf Schulball und HAK-Ball (der Schulball unserer „Konkurrenz“). Wenn man wie ich in der Provinz lebt hat man nicht viele Fortgehmöglichkeiten – vor allem wenn man in Sachen Mobilität eingeschränkt ist. Entweder man geht auf irgendwelche Dorf-Festln irgendwo im Nirgendwo in einem Dorf von dessen Existenz man noch nicht einmal 24 Stunden zuvor erfahren hat und Home-Partys oder man fährt nach Wien.
Wie schon gesagt, ich bin kein großer Fan vom Fortgehen – aber ich hab Marty versprochen einmal mit ihr Wien des Nachts unsicher zu machen. Und da sind wir bei letztem Freitag…
Das Ganze fing schon mal prima an in dem es wie aus Kübeln schüttete als Marty um halb zehn bei mir auf der Türschwelle stand. Doch nachdem ich mich extra zurechtgemacht hatte ließ ich mich von so einer Kleinigkeit wie dem Wetter nicht beeindrucken. Felsenfest verkündete ich: „Einmal in meinem Leben will ich fortgehen und das ist heute. Nicht morgen, nicht übermorgen – heute! Ich will heute fort und da ist es mir scheißegal ob es regnet oder die Welt untergeht – wenn ich mich schon schick gemacht habe, gehe ich auch fort!“
Sowohl Marty als auch meine Familie waren ob dieser Entschlossenheit meinerseits ziemlich verwundert – ich mein, klar bin ich normalerweise auch ein ziemlicher Sturbock – aber wenn es darum geht einen Schritt vor die Haustür zu setzten ist mir jede Ausrede recht um es nicht tun zu müssen.
Es gibt da so ein lateinisches Sprichwort – leider habe ich mir den lateinischen Wortlaut nicht gemerkt -, dass ungefähr so geht: „Wer den Anfang geschafft hat, hat die Hälfte schon hinter sich.“ Auf mich übertragen heißt das so viel wie: „Hat Lou erst mal einen Fuß über die Haustürschwelle gesetzt kann das Abenteuer beginnen!“
Tja, und so auch in jener Nacht… Erst einmal sind wir zum Währinger Gürtel. Dort reiht sich ein Lokal an das nächste und obwohl ich da sicher schon ein paar dutzend Mal daran vorbeigegangen bin bei Tageslicht ist mir das nie wirklich aufgefallen. Als erstes sind wir ins „Loco“ – aber da war nichts los, außer lauter Musik und ein paar peinlicher Mädchen in nuttigen Outfits. Also sind wir weiter. Marty meinte wir sollten unbedingt ins „Q“, weil es da so gute Cocktails gibt – und während sie mir von den Cocktails vorschwärmt latschen wir geradewegs daran vorbei. Hätte ich nicht zufällig einen Blick zur Seite geworfen, Marty wäre noch kilometerweit durch Wien geirrt und hätte „Hier irgendwo muss es doch sein!“ vor sich hingemurmelt. Doch nachdem wir unsere Cocktails ausgeschlürft haben sind wir auch schon wieder los, weil sonst eigentlich nichts los war. Nur ein paar Leute die mit ihren Arbeitskollegen oder Freunden auf einen After-Work-Drink gingen – nicht wirklich die Party die wir suchten. Marty wollte unbedingt in den „Ride Club“ – aber wir mussten extra einen Umweg gehen, damit es nicht so aussah als kämen wir vom „Loco“, welches genau danebenlag. Aber die dämlichen Türsteher wollten mich nicht reinlassen, weil ich – Genie, das ich nun mal bin – meinen Ausweis zuhause vergessen habe… Und, dass obwohl Marty vorher noch prahlerisch gemeint hat: „Ach, ich zeig ihnen meinen Führerschein und dann sehen die, dass ich 19 bin und wenn die dann behaupten du wärst jünger, sag ich einfach: ‚Ach komm – schaut sie wirklich jünger aus als ich?‘“
Jaaaaa… genialer Plan und definitiv dazu gemacht schiefzugehen, denn anscheinend teilten die Türsteher nicht Martys Ansicht, dass ich – obwohl ein Jahr jünger – älter aussehe als sie. Sie meint, dass liege daran, dass ich markantere Gesichtszüge habe oder so… Jedenfalls fragte der Türsteher wann ich geborgen sei. Ich: „April 1994!“ Er: „95?“ Ich, wütend zischend: „94!“ Er wieder: „95?“ Ich, schon fast überschämend ob seiner Frechheit: „94! Ich bin 94 geborgen, verdammt noch mal!!!“
Am liebsten wäre ich dem Idioten an den Hals gesprungen! Ich lasse mich doch nicht zu einem Jahrgang 95 degradieren – wo kämen wir da hin? Trottel! 95… Also wirklich, das ist ja wohl die Höhe!
Marty wollte es weiter versuchen, doch ich zog sie von den Türstehern weg, die schon ziemlich sauer dreinschauten – aber bestimmt nicht so sauer wie ich. 95!!!
Weil ich nach dieser Show genug vom Währinger Gürtel hatte machten wir uns auf zum Schwedenplatz, überlegten es uns dann aber in der U-Bahn anders, als Marty meinte: „Lass uns ins ‚Flex‘ gehen – dass soll der angesagteste Club von ganz Wien sein…“ Natürlich hatten wir beide keine Ahnung wo das „Flex“ liegt, also googelte Marty nach der Adresse und wir versuchten unser Glück. Als wir bei der richtigen U-Bahn-Station ausstiegen latschten wir gleich mal in die falsche Richtung und liefen einmal im Kreis herum bis wir dahinter kamen, dass wir eigentlich in die andere Richtung gehört hätten. Also noch ein Versuch – diesmal in die andere Richtung… Aber nichts, nada, niente! Kein „Flex“ weit und breit…
Und während wir da so verloren in der Gegend rumstehen und es wieder zu regnen beginnt, quatscht uns plötzlich ein Typ der scheinbar aus dem Nirgendwo aufgetaucht ist an. An seiner Aussprache merke ich sofort, dass Deutsch nicht seine Muttersprache ist und er sichtlich nach Wörtern ringt.
Wie sich später herausstellt ist er Franzose. Er fragt uns ob wir einen guten Club kennen würden wo man so richtig abfeiern kann und wir sagen ihm, dass wir gerade auf der Suche nach dem „Flex“ sind. Er keine Ahnung was das „Flex“ ist, ich genauso wenig und Marty… naja, die versuchte noch immer sich mit Google-Maps zu orientieren.
Und obwohl wir Timo, so hieß der Franzose, erklären, dass wir selbst komplett ahnungslos sind fragt er uns, ob wir uns nicht seinen Freunden und ihm anschließen und als Wien-Guides fungieren wollen. Ich stimme sofort zu, weil er irgendwie süß ist und mal ehrlich, gibt es einen süßeren Akzent als einen französischen? Allerdings stelle ich sogleich fest, dass Marty der Guide ist und ich keine Ahnung vom Nachtleben in Wien habe. Ich weiß bis jetzt nicht ob er und seine Freunde das überrissen haben oder nicht, weil sie mich die ganze Nacht über mehrfach fragten: „Wo ist nun das Lokal?“ – „Wo gehen wir jetzt hin?“ – „Ist es noch weit?“
Und ich konnte nur die ganze Zeit antworten: „Keine Ahnung, bin heute zum ersten Mal fort – ich bin genauso ahnungslos wie du…“
Tja, und so kam es, dass wir dann mit Timo und seinen Freunden um die Häuser zogen – oder vielmehr durch Wien irrten auf der Suche nach einem vernünftigen Lokal. Wir waren vielleicht ein bunter Haufen: zwei (vollkommen planlose) Österreicherinnen, ein Franzose, ein Pole namens Pawel, ein Russe namens Anton und eine Ukrainerin deren Name mir leider entfallen ist – am Ende des Abends war es mir einfach viel zu peinlich sie noch einmal danach zu fragen…
Jedenfalls, dass „Flex“ fanden wir nicht und nachdem wir nicht einen halbe Stunde auf die nächste U-Bahn warten wollten gingen wir kurzerhand zu Fuß zum Schwedenplatz, der nur einen Station weiter entfernt lag. Gott sei Dank ist Wien nicht so groß. Dort gingen wir dann ins sogenannte „Bermuda Dreieck“. Denn ganzen Abend über dachte ich, dass wäre ein Lokal und wunderte mich, wieso wir nie dort ankamen… Später stellte sich heraus, dass einfach nur die Ecke dort so hieß… Peinlich, mein Vater hat mehr Ahnung vom Wiener Nachtleben als ich – aber dann, schließlich war er auch mal jung… in Wien…
Im „Bermuda Dreieck“ verfrachtete Marty uns dann in ein Lokal namens „Gnadenlos“, aber seltsamerweise bilde ich mir ständig ein, dass es „Die Grube“ hieß… Keine Ahnung wieso…
Naja, aber dort blieben wir nicht lange – zu mindestens der größere Teil von unserer Gruppe. Nachdem wir versucht haben ein bisschen zu tanzen – was bei der UZUZUZUZ-Musik die es in dem Laden spielte mehr als schwer war, wenigstens für mich – kam es zu einem Zickenkrieg. Irgendwelche zwei Mädchen fingen plötzlich an wegen einem Typen (Gibt es sonst einen anderen Grund sich zu prügeln?) aufeinander los zu gehen. Gläser flogen zu Boden. Scherbenmeer und Kreischen – und ein nasses Hemd. Armer Pawel – als die Fetzen zu fliegen begannen stand er einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort… Oder gerade richtig, denn ich stand genau neben ihm und wäre er nicht gewesen hätte ich wahrscheinlich die Ladung abbekommen…
Jedenfalls machten Marty, Pawel, die namenlose Ukrainerin (die ich hier jetzt einfach mal Maria nenn) und ich uns aus dem Staub. Draußen versuchten wir Timo und Anton per Handy zu erreichen, aber letztendlich verlor sich ihre Spur für den Rest des Abends in der Menschenmenge des „Gnadenlos“.
Danach klapperten wir noch ein paar Lokale ab und landeten schlussendlich in der „Bettelalm“. Dort war’s dann auch ganz lustig und endlich wurde mal halbwegs normale Musik gespielt. Zuerst genehmigten wir uns aber oben im Restaurant etwas zum trinken und Marty ärgerte sich zu Tode, weil der Kellner ihr kein Leitungswasser geben wollte und sie so Wasser kaufen musste und es am Ende um 10 Cent teurer war als mein Tee. Nachdem zur Disco keine meilenweite Schlange mehr anstand sind wir runter und dann ging die Party ab. Oh mein Gott, das war als würde man eine musikalische Zeitreise antreten. Und als ich total hibbelig wurde und Luftsprünge machte als „All Summer long“ von Kid Rock gespielt wurde schauten mich Pawel und Maria an wie eine Geistesgestörte, während Marty mich nur wissend angrinste. Ach, Sommer 2008…
Irgendwann um halb vier oder so sind wir dann los, weil wir alle schon etwas müde waren. Beim Karlsplatz gingen wir dann alle getrennte Wege und ich könnte mich jetzt noch dafür schlagen, dass ich Pawel auf den Bus nach Liesing aufmerksam gemacht habe. Hätte ich meine Klappe gehalten wäre er mit uns zum Praterstern gefahren und hätte auf den Zug nach Liesing gewartet. Dann hätten Marty und ich uns auch nicht bis halb fünf am Bahnhof zu Tode gelangweilt, weil da erst der erste Zug zu uns nach Hause in die Provinz ging und weil der McDonalds noch nicht offen hatte.
Mann, Pawel war so süß – und jetzt hab ich noch nicht einmal seine Nummer und außerdem ist er nur mehr noch eine Woche in Wien… Naja, das heißt, jetzt ist er wahrscheinlich nicht mehr da… Wie auch immer…
Er war perfekt. Und das Witzige an der ganzen Sache ist, dass ich am Anfang des Abends noch felsenfest behauptet habe, dass wir bestimmt keinen süßen Polen aufgabeln würden (Marty hat da von so einem anderen süßen Polen erzählt, denn sie mal beim Fortgehen kennengelernt hat…) – tja, und doch sind wir Pawel über den Weg gelaufen. Hab ich schon erwähnt, dass er perfekt war. Marty meint zwar, er sei ein bisschen zu klein für ihren Geschmack – Gott bewahre, dass sie mit einem Jungen ausgeht der genauso groß ist wie sie selbst, wenn nicht sogar einen Zentimeter kleiner. Aber mir macht das nichts aus. Ich mein, ich bin ja auch nicht gerade groß mit meinen 1,64 – aber wenn du mich fragst ist das die perfekte Größe. Und da ich sowieso keine Schuhe mit mehr als 2 Zentimeter-Absätzen trage, da sonst akute Beinbruchgefahr besteht, kann ich auch kleine Jungs da…



Plötzlich vibriert etwas in meiner Hosentasche. Ich fahre erschrocken zusammen und rutsche mit dem Kuli ab. „Scheiße!“, fluche ich, lege Stift und Block zur Seite und fische mein Handy aus meiner Hosentasche. Auf dem Display leuchtet Martys Bild auf und ich wundere mich, was sie von mir will. Hastig versuche ich abzuheben, doch… Naja, Touchscreen-Telefonieren ist nicht so meins. Alles kann ich auf diesem bescheuerten Handy machen – nur nicht telefonieren… Das nennt man dann wohl Ironie des Lebens.
Bis ich es endlich schaffe abzuheben, hat Marty schon längst wieder aufgelegt. Ist ja mal wieder typisch – keine Geduld. „Das gibt’s ja wohl nicht“, stöhne ich und rollte genervt mit den Augen während ich Martys Nummer wähle und sie zurückrufe.
Sie nimmt gleich nach dem ersten Läuten ab. Noch ehe ich irgendetwas sagen kann fährt mich meine beste Freundin auch schon halbhysterisch mit einem „Verdammt, Lou! Wo zum Teufel bist du?“ an.
Ich runzle die Stirn, halte das Handy kurz von mir weg und mustere es mit einem verwirrten Blick. Marty – panisch? „Ja, äh… worum geht’s jetzt eigentlich?“
Ich bin mir zwar nicht hundertprozentig sicher, aber ich glaube Marty bekommt gerade einen Nervenzusammenbruch am anderen Ende der Leitung. „Dinner & Crime?
Ja, neee ne? Nach 8 Jahren müsstest du doch wissen, dass ich nicht auf Krimis stehe…“
Es folgt eine kurze Pause, dann antwortet Marty noch einen Ton schärfer, fast schon zischend und angsteinflößend langgedehnt: „Dinner & Crime!!!
„Mit drei Ausrufezeichen? Das… äh… hört sich nicht gu… Verdammt!“ Ich Volldepp! Hab ich doch glatt Martins Aufführung vergessen. Meine Familie wird mich jetzt bestimmt meucheln und ein paar Jahre lang mit verachtenden Blicken strafen. Ich bin tot! Ich kann gleich mein Testament machen! „Das nennt man dann wohl erfolgreiche Verdrängung“, unterbreche ich Martys Wortschwall der vom anderen Ende der Leitung auf mich niederprasselt, mehr ungewollt als gewollt.
„Sag mal, geht es dir noch gut? Bist du krank, oder so? Du kommst irgendwie total verwirrt rüber? Lou!?“
Na toll – und was soll ich Marty jetzt sagen?! „Ja, du Marty, sorry – aber kannst du Martin und meinen Eltern bitte sagen, dass ich nach Australien auswandere, weil ich die große Aufführung meines Bruders wegen einem Brief an einen Hollywoodstar verpasst habe…“ Klingt sehr… glaubwürdig – nicht?!
„Lou? Lou, bist du noch dran?!“
Ich reiße mich von meinen Auswanderungsgedanken los und räuspere mich. „Ja, bin noch dran.“
„Also, wo bist du?“
„Bahnhof.“
„Soll ich dich abholen? Ich bin in fünf Minuten da…“
„Nimm die fünf Minuten mal drei…“
Nachdenkliche Pause, dann: „Du bist noch nicht mal in den Zug eingestiegen?!“
„Scharf kombiniert, Sherlock.“
„Oh Mann, Lou… Bitte nicht schon wieder das Theater. Es ist doch nur die Generalprobe…“
Hab ich etwas an den Ohren oder höre ich inzwischen schon nicht mehr richtig? „Generalprobe? Wie jetzt – ich dachte heute wäre Aufführung…“
Marty stöhnt genervt. „Nein, Generalprobe…“
„Aber heute ist doch Freitag, oder?“
„Nein, heute ist Donnerstag.“
„Das kann nicht sein. Ich bin mir sicher, dass heute Freitag ist.“
„Irgendwo am östlichsten Zipfel der Welt mag diese Vermutung ja zutreffen, aber hier in Österreich haben wir noch etwas mehr als sechs Stunden lang Donnerstag…“
„Mann, vier Monate Nichtstun wirkt sich verdammt schlecht auf mein Zeitgefühl aus. Ich kann es kaum erwarten, wenn das Studium endlich losgeht – dann hab ich wenigstens wieder einen Überblick über die Wochentage…“
„Ja, gut… Schön für dich. Also, kommst du noch?“
„‘s is ja eh nur die Probe…“
„Tanja ist krank.“
„Oh, dann wünsch ihr gute Besserung von mir.“
„Du hast Martin versprochen als Zweitbesetzung einzuspringen.“
WAS? Das habe ich nie im Leben getan!“
„Hat er mir aber vorhin gesagt…“
Da geht doch etwas nicht mit rechten Dingen zu. Ich habe bestimmt nicht eingewilligt bei Martins Schauspielsekte als Zweitbesetzung auszuhelfen. Daran würde ich mich erinnern. Ein Jahr bei den Verrückten hat mir gereicht… Und da bin ich ohnehin nur hingegangen, weil meine Eltern meinten, ich solle mein Leben nicht verschwenden und ich hätte samstags ohnehin nie irgendetwas zu tun… Naja, und Martin meinte, dass Noah auch mitmacht… Tja, und die Moral von der ganzen Geschichte: jugendliche Verknalltheit macht nicht nur blind sondern auch dumm – hab ich am eigenen Leib erfahren.
„Oh Mann, gib mir den Deppen bitte!“
Ich höre wie Marty nach meinen Bruder ruft, welcher sich keine 10 Sekunden später am anderen Ende der Leitung meldet – total sauer: „Mann, Lou! Wo zum Teufel steckst du?“
„Egal was ich gesagt habe, aber ich spiele nicht die Zweitbesetzung und damit basta!“
„Wehe du legst je…“
Auf? Gute Idee – die ich auch sofort in die Tat umsetze noch ehe Martin seinen Satz beenden kann. Ich – freiwillig der Sekte aushelfen? Nur über meine Leiche – übrigens sowieso das einzige wofür mein Schauspieltalent ausreicht (und um ganz ehrlich zu sein, nicht einmal Leichen kann ich sonderlich gut spielen…). Ich bin ungefähr so schauspielbegabt wie ein Esel sprachbegabt ist.
Ich will mich wieder meinem „Entschuldigungsbrief“ widmen, als mein Handy erneut zu vibrieren beginnt. „Einfach nicht rangehen“, murmel ich zu mir selbst und nehme Block und Stift wieder zur Hand. Doch Martin ist hartnäckig. „Irgendwann bringe ich diesen Idioten noch um“, knurre ich und gehe doch wieder ran. „WAS!?
„Du hast es versprochen!“
„Hab ich nicht!“
„Ich hab Beweise…“
„Ach, ja – welche?“
„Audio-Aufnahme.“
„Du bluffst doch nur.“
Stille folgt und ich will schon aufatmen, erleichtert nicht schon wieder auf einen von Martins billigen Tricks hereingefallen zu sein, als ich plötzlich eine blecherne Stimme, die meiner erschreckend ähnlich klingt, am anderen Ende der Leitung verschlafen folgendes sagen höre: „Mann, schleich dich Martin. Es ist noch nicht mal… äh… neun Uhr. Ich will schlafen – okay?“
Dann Martins Stimme, ebenfalls etwas blechern: „Ich geh gleich. Kannst du mir nur einen kleinen Gefallen machen?“
„Gehst du dann?“
„Ja.“
„Okay, aber sag schnell bevor ich wach werde und nicht mehr einschlafen kann.“
„Tanja ist krank geworden und wir haben nicht wirklich eine Zweitbesetzung. Du warst mal bei den Proben dabei und die Mayer meinte, ich soll dich mal fragen, ob du einspringen kannst…“
„Ja, gut mach ich… Und jetzt geh!“
„Ganz sicher? Du müsstest Noahs Freundin spielen…“
„Ja, ja – mir egal. Schleich dich endlich!“
„Gut, danke Schwesterherz. Schlaf schön weiter.“
Doch nicht geblufft. Verdammt – der Mistkerl hat mich eiskalt im Aufwachmodus erwischt! „Du intrigantes…“
„Spar dir deine Beleidigungen. Dafür haben wir jetzt keine Zeit. Du hast ein Versprechen einzulösen“, unterbricht mich Martin selbstgefällig. Ich wette im Moment ziert ein dickes, fettes Siegergrinsen sein Gesicht – oh, wie gerne würde ich ihm dieses Grinsen jetzt aus dem Gesicht schlagen! „Tja, 18 Jahre mit einer kleinen Schwester lehren einen so einige schmutzige Tricks.“
„Halt die Klappe, du Idiot! Glaub ja nicht, dass du mich aufgrund der dämlichen Aufnahme zu irgendetwas zwingen kannst!“
„Oh… wie süß – hältst du mich wirklich für so dumm? Du bist mir noch etwas schuldig, wegen der Sache mit…“ Oh, verdammt! Das ist ja wohl unterste Schublade!
„Sag es nicht! Ich komm mit dem nächsten Zug…“ …Wenn ich mich nicht vorher vor den Zug werfe…
„Wusst ich’s doch… Du bist Wachs in meinen Händen.“
„Und du bist ekelerregend!“, schreie ich wütend in den Lautsprecher und lege auf. Ich werfe einen Blick auf die Uhr. Na wenigsten komme ich nicht pünktlich sondern mit zwei Stunden Verspätung… Und außerdem bleibt mir noch genug Zeit um den Brief fertig zu schreiben bevor der nächste Zug kommt.
Alsoooo… Wo war ich denn stehen geblieben? „Und da ich sowieso keine Schuhe mit mehr als 2 Zentimeter-Absätzen trage, da sonst akute Beinbruchgefahr besteht, kann ich auch kleine Jungs da…“


… ten.
Gut, ich könnte mich jetzt noch seitenweise über das Thema auslassen – aber leider habe ich keine Zeit. Ich muss mal wieder Marionette spielen in einem der bösen Machtpläne meines intriganten Bruders. Habe ich zufällig mal erwähnt, dass ich ihn hasse? Er könnte wirklich eine Karriere als Profi-Erpresser starten – genug Übung hat er ja immerhin schon darin.
Also, wie gesagt – ich muss los. Freu mich auf deinen nächsten Brief und hoffe endlich auf News über deine mysteriöse Bekanntschaft.

Lou

P.S.: Wenn du das nächste Mal nur so wenig schreibst verwende bitte eine Postkarte – da wirkt so wenig Text nicht so fehl am Platz. Außerdem freu ich mich immer über schöne Postkarten… Hab schon eine ganze Pinnwand voll – die hab ich während meiner Lernerei für die Matura höchstwahrscheinlich öfter angeschaut als meine Lernunterlagen… :-)
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