Briefe von Logan
von Nobodys Darling
Kurzbeschreibung
Als Lou auf dem Londoner Flughafen Heathrow zufälligerweise Logan Lerman in einem Cafe erspäht, ergreift sie ihre Chance und fragt, ob sie sich zu ihm setzten an. Logan, welcher Lou eigentlich am liebsten gleich abweisen würde, überlegt es sich spontan anders - angetan von Lous Mut - und bietet ihr den freien Platz neben sich an. Beide kommen ins Gespräch, welches ein abruptes Ende findet, als Lou aufeinmal ausgerufen wird. Sie ist kurz davor ihren Flug zu verpassen. Eilig hinterlässt sie Logan auf seine Bitte hin ihre Adresse, da sie ihm weder ihre Handynummer noch ihre E-Mail-Adresse verraten will. Sie meint, dass wenn er schon in Kontakt mit ihr bleiben will, es auf die altmodische Weise machen muss. Als Lou in ihr Flugzeug nach Hause steigt, glaubt sie nicht, dass Logan wirklich auf ihren Vorschlag eingehen wird, doch eine Woche später liegt schon sein erster Brief in ihrem Briefkasten...
GeschichteFreundschaft, Liebesgeschichte / P12 / Gen
06.07.2012
22.09.2012
9
27.997
Alle Kapitel
21 Reviews
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Dieses Kapitel
5 Reviews
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06.07.2012
5.729
Hey!
Das hier ist meine erste FanFiciton. Ich hoffe sie gefällt euch.
Ich werde mich um regelmäßige (wöchentliche) Updates bemühen, aber kann diese nicht 100%tig garantieren, da die meisten Kapitel ziemlich lang sein werden wie dieses hier und ich dafür dementsprechend viel Zeit brauche.
Kritik ist gern gesehen - ob positiv oder negativ.
Ich hoffe, dass ich nicht allzuviele grausame Fehler reingehaut habe und wünsche euch viel Spaß beim Lesen.
LG Robin
P.S.: Noch schnell ein Hinweis zum Formalen. Die kursivgeschriebenen Dialoge sollen anzeigen, dass hier Englisch gesprochen wird. Ich dachte mir, dass ist die beste Lösung für mein kleines "Sprachproblem", weil ständig erwähnen zu müssen in welcher Sprache gerade gesprochen wird würde den Text nur unnötig verkomplizieren.
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Ich hasse Flughäfen. Ich hasse und liebe sie. Aber im Moment hasse ich sie, weil ich nur mehr noch knapp eine Stunde davon entfernt bin in das Flugzeug zu steigen, dass mich von der coolsten Stadt der Welt zurück in mein verschlafenes Heimatkaff zuhause in Österreich verfrachten wird. Ich wünschte ich könnte auf ewig in London bleiben. Es war so eine tolle Woche gewesen! Wahrscheinlich die beste Woche meines Lebens. Eine Woche nur London und ich. Mein erster Solotrip – und den hatte ich mir redlich verdient nach dem ganzen Drama im letzten Jahr.
Keine Eltern, keine Geschwister, keine Freunde – nur ich alleine mit meinem National Geographic Reiseführer in der Großstadt, die schon Schauplatz für viele meiner Lieblingsgeschichten war.
„Miss?“ Der Verkäufer hinter der Theke des kleinen Coffee-Shops, in dessen Verkaufsschlange ich mich zuvor eingeordnet habe, schaut mich fragend an.
„Äh… hey… ähm… one black tea – the big one, please“, antworte ich nachdem ich meine Gedanken wieder auf das Geschehen um mich gerichtet habe.
Der Verkäufer nickt, nennt mir den Preis, ich bezahle und mache Platz für den nächsten Kunden hinter mir. Es dauert keine Minute da habe ich den heißen Pappbecher in der Hand und weiß nicht so recht was ich jetzt damit anfangen soll, den zum Trinken war der Tee eindeutig noch zu heiß und außerdem brauchte er noch etwas Zeit zum Ziehen. Etwas hilflos schaue ich mich in dem vollbesetzten Coffee-Shop um. Na toll, war ja klar, dass ausgerechnet jetzt kein Platz mehr frei war!
Ich seufze und verfluche mich in Gedanken dafür heißen Tee statt einem kalten Frappuccino bestellt zu haben. Ich mache mich gerade auf den Laden zu verlassen, als ich aus dem Augenwinkel einen freien Platz erspähe. Zu meiner Ernüchterung sitzen an dem Tisch leider schon zwei Jungen. Zwei gutaussehende Jungen. Na gut, der eine ist gutaussehend – von dem anderen sehe ich nur den Rücken. Ich schaue kurz genauer hin und stutze. Nein… unmöglich!
Ich schüttel kaum merklich den Kopf und flüster zu mir selbst: „Sei nicht albern, Lou! Das bildest du dir nur ein.“
Doch ich schaue noch einmal genau hin und diesmal lässt meine Beobachtung keinen Zweifel zu. OMG – da vorne an dem Tisch sitzt Logan Lerman!
„Shit, ist das heiß!“ Ich bemerke fast zu spät, dass ich schon kurz davor bin mir meine Hand an der heißen Pappe meines Teebechers zu verbrennen und wechsele schnell die Hand.
Dann richte ich meine Aufmerksamkeit wieder zu dem Tisch hinüber. Logan lacht gerade über irgendeine Bemerkung seines Gegenübers, welches mir den Rücken zugewandt hat. Ich beiße mir auf die Unterlippe wie ich es immer mache wenn ich kurz davor bin total hibbelig zu werden oder eine wichtige Entscheidung zu treffen. Im Moment war beides zutreffend.
Doch schon nach kurzem hin und her überlegen steht fest, dass ich wohl oder übel kneifen werde. Ich bin halt manchmal ein richtig feiges Huhn – ich geb’s zu. Seufzend setzte ich mich in Bewegung – inzwischen müssten alle die mich in der Zwischenzeit beobachtet haben sich wohl denken, dass irgendwas mit mir nicht stimmte, weil ich da die ganze Zeit mit einem heißen Pappbecher blöd in der Gegend rumgestanden bin.
Doch gerade als ich aus dem Laden trete und mich einer der unbequemen Metallbänke gegenüber sehe, mache ich am Absatz kehrt. Da war ein bequemer Sessel frei und ich würde ihn mir schnappen, wenn nicht schon längst ein anderes Mädchen auf dieselbe Idee gekommen war. Überhaupt schien es seltsam ruhig zu sein – wo sind die ganzen verrückt kreischenden Fangirls? Heathrow ist ein riesiger Flughafen da musste mindestens ein Dutzend von denen irgendwo durch die Gegend rennen…
Ich packe meinen ganzen Mut zusammen, durchschreite den Laden bis zu Logans Tisch und bleibe genau davor stehen.
Ich warte kurz bis ich die Aufmerksamkeit von Logan und seinem mir unbekannten Freund habe. Ich kann sehen wie Logan mich kurz leicht genervt ansieht, sich dann aber zu einem Lächeln durchringt. Wahrscheinlich glaubt er ich will ein Autogramm oder ein Foto von ihm. Ich sehe wie er zu einer Frage ansetzen will und komme ihm gerade noch rechtzeitig zuvor. „Ähm… sorry, dass ich euch störe. Ich wollte bloß fragen, ob der Platz hier noch frei ist. Ich muss noch eine Stunde auf meinen Flug warten und die Metallsitze draußen sind ein Horror für meinen Rücken. Ich will mich nicht aufdrängen oder so, es ist bloß der einzige Platz der noch frei ist. Ich werde euch auch nicht stören, ich setz mich einfach hin und lese ein wenig“, sage ich auf Englisch, stelle meinen Becher kurz auf dem Tisch ab und ziehe zum Beweis für meine „friedlichen Absichten“ das „Artemis Fowl“ Buch aus meiner Handtasche, welches ich mir extra noch am Vortag für den Rückflug gekauft habe.
Logan und sein Freund wechseln einen zweifelnden Blick. Ich wittere, dass sie gleich nein sagen würden.
„Bitte, es ist ja auch nur wegen dem Tee – ich kann nichts dafür, ich hatte solche Lust darauf noch ein letztes Mal Tee in England zu trinken, wer weiß wann ich das nächste Mal wieder komme? Na jedenfalls, machen die in den Coffee-Shops den immer viel zu heiß, dass man sich beim Halten von dem Pappbecher mittlere Verbrennungen trotz diesem Pappdingens da drum herum, Halskrause oder keine Ahnung wie das Ding da heißt, zuzieht.“
Die Pause die auf meine verzweifelte Bemerkung hin folgt scheint sich in die Ewigkeit zu ziehen. Doch dann grinst mich Logan freundlich an und bedeutet mir mit einer Handgeste mich auf den freien Platz hinzusetzen. „Das Pappdingens da drum herum heißt übrigens Kaffeekragen.“
„Wusste ich…“, meine ich und lasse mich mit einem dankbaren Lächeln in den bequemen, wenn auch schon leicht abgesetzten Sessel sinken. Dann stelle ich meine Tasche zu meinen Füßen hin und widme mich wie versprochen der „Artemis Fowl“-Lektüre.
Das vorher so angeregte Gespräch zwischen Logan und seinem Freund flammt für kurze Zeit wieder auf, versinkt jedoch wenige Minuten später in einem peinlichen Schweigen. Ich hebe meinen Blick von der Seite auf der ich gerade zum fünften Mal den ersten Satz gelesen habe und sehe wie beide Jungen mich anstarren. Ich lasse kurz meinen Blick zwischen ihnen hin und her wandern, bis er plötzlich an meinem Pappbecher hängen bleibt und mir einfällt, dass es schon längst an der Zeit ist den Teebeutel rauszunehmen.
„Verdammt, der ist jetzt sicher total bitter!“, sage ich zu mir selbst auf Deutsch und versuche den Plastikdeckel runterzunehmen, stelle mich dabei aber wie jedes Mal so ungeschickt an, dass mir etwas von der heißen Flüssigkeit auf den Handrücken tropft. „Au! Scheiße ist das heiß! Verdammt!“ Reflexartig wische ich mir meine Hand an meiner Weste ab und merke nicht, dass Logan mir eine Serviette entgegenhält. Als er sieht, dass ich meine Hand schon längst trocken gewischt habe, legt er die Serviette zurück auf den Tisch und noch ehe ich ihn daran hindern kann macht der sich daran den Teebeutel aus dem Becher zu fischen.
„Ich hab zwar keine Ahnung, was du vorhin gesagt hast, aber dem Ton deiner Stimme nach zu urteilen muss es etwas Unschönes gewesen sein“, meint er und legt den tropfnassen, heißen Teebeutel auf den Plastikdeckel, den ich vorher auf den Tisch hab fallen lassen.
„Naja, ich glaube nicht, dass mein Tee sehr beleidigt über diese Bemerkung sein wird. Sagen wir mal es war eine unschön ausgedrückte Feststellung, dass er noch immer verdammt heiß ist.“
Logan lacht. „Originelle Antwort.“
„Tja, ich bin eben ein Original sondergleichen… Übrigens, danke für den Teebeutel.“
„Keine Ursache. Wir wollen ja nicht, dass du dir noch mehr schwere Verbrennungen zuziehst.“
Ich würde gerne noch etwas Freches daraufhin erwidern, doch mir fällt nichts ein. Also nicke ich Logan noch einmal zum Dank für seine Hilfe zu, lehne mich wieder zurück und nehme mein Buch wieder zur Hand. Doch ehe ich es auf der richtigen Seite aufschlagen und den ersten Satz dort zum sechsten Mal lesen kann, streckt mir Logan seine Hand entgegen. „Ich heiße übrigens Logan.“
Im letzten Moment kann ich mir gerade noch das „Wusste ich…“ verkneifen. Ich schaue ihn kurz verwundert an, ergreife aber nach kurzem Zögern seine Hand und stelle mich meinerseits vor. „Louisa. Aber ich werde von allen nur Lou genannt.“
Wir grinsen uns gegenseitig an und schütteln eine halbe Ewigkeit lang unsere Hände. Die ganze Situation kommt mir total surreal vor und fast glaube ich noch in meinem Hotelbett zu liegen und zu träumen.
Irgendwann fasst Logan sich jedoch wieder, lässt meine Hand los und deutet auf sein Gegenüber. „Und das ist Dean.“
Dean? Der Name kommt mir irgendwie im Zusammenhang mit Logan bekannt vor, allerdings weiß ich nicht recht wieso. Ich schenke Dean ein Lächeln und meine: „Freut mich euch beide kennenzulernen, Dean und Logan.“
„Die Freude liegt ganz auf unserer Seite“, erwidert Dean nach einer kurzen Pause. Es sind die ersten Worte die er an mich richtet. Ich sehe wie er mit Logan einen Blick austauscht, den ich nicht richtig deuten kann, doch dann nickt er seinem Freund plötzlich zu als hätten sie sich telepathisch auf irgendetwas geeinigt und steht auf. „Wenn wir beiden mich entschuldigt, ich wollte mich noch ein wenig in den Duty-Free-Shops umsehen. Wir sehen uns dann beim Abflugschalter, Logan.“
Noch ein schnelles Lächeln an mich und ein Augenzwinkern für Logan, von dem ich so tue als ob ich es nicht bemerkt hätte, dann macht Dean kehrt und verlässt den Coffee-Shop. Als Dean verschwunden ist, schaue ich Logan etwas hilflos an. Ich weiß nicht so recht, ob ich jetzt ein Gespräch mit ihm beginnen soll und vor allem nicht wie oder soll ich mich einfach wieder wie versprochen meinem Buch widmen.
„Tut mir leid“, rutscht es mir da auf einmal ungewollt raus.
Logan sieht mich mit gerunzelter Stirn verwundert an. „Was tut dir leid?“
„Ich…äh, naja… ich hab doch versprochen nicht zu stören und jetzt… naja… jetzt hab ich deinen Freund vergrault.“
Logan winkt ab. „Ach, das ist doch nicht weiter schlimm. Dean wollte mich schon vor einer halben Stunde zu einer Duty-Free-Shoppingtour überreden. Ehrlich gesagt bin ich ziemlich froh, dass er jetzt alleine losgezogen ist – er will nämlich partout nicht einsehen, dass eine Shoppingtour am Flughafen das Letzte ist wozu ich Lust habe.“
Ich kann mir ein Lachen nicht verkneifen. „Da ist er genau wie mein Onkel mütterlicherseits. Ich glaub er sein Kleiderschrank ist voller als der meiner Tante.“
„Oh nein, es geht nicht um die Sachen. Es ist vielmehr ein Versuch Mädchen aufzureißen.“
„So wie Barney Stinson aus ‚How I met your Mother‘?”
„Haha, ja ungefähr so.“
„Aber was bringt sich das Aufreißen auf einem Flughafen? Immerhin sind die Chancen groß, dass man unterschiedliche Weg geht und sich nie wieder über den Weg läuft…“
Logan zuckt die Schultern. „Keine Ahnung. Das frage ich ihn jedes Mal. Er meint es sei irgendwas bezüglich Flirttechniken üben und ausprobieren, oder so. Ich habe ehrlich gesagt wirklich keine Ahnung.“
Das Gespräch kommt erneut zum Erliegen und peinliches Schweigen hält Einzug. Ich überlege fieberhaft worüber wir uns noch unterhalten könnten, außer über das Wetter und seine Karriere, aber mir fällt einfach nichts ein. Doch anstatt erneut einen Versuch zu starten an meinem Buch weiterzulesen – es erscheint mir ziemlich unfreundlich Logan gegenüber, ihn jetzt einfach zu ignorieren, wo er scheinbar auch auf der Suche nach einem Gespräch ist – beschließe ich einen Schluck von meinem Tee zu nehmen und bereue es sogleich.
„Verdammt ist das Zeug heiß!“
„Heiß? Das hat Tee so an sich, weißt du“, erwidert Logan grinsend.
„Ich weiß, aber die Tees in den Coffee-Shops scheinen sich jeglicher physikalischer Grundgesetze der Wärmelehre zu entziehen. Statt abzukühlen heizen sie sich scheinbar auf mysteriöse Weise von selbst auf. Als ich ‚Tron Legacy‘ im Kino schauen war und zuvor mit meinen Freundinnen zum Star Bucks gegangen und mir genauso einen Tee bestellt habe – und das eine halbe Stunde bevor der Film überhaupt begonnen hat, weißt du wann ich den Tee dann erst gefahrlos trinken konnte?“
Logan schüttelt den Kopf. „Wann?“
„Zehn Minuten vor dem Abspann. Ohne Scheiß! Und der Film hatte knapp zwei Stunden Laufzeit!“
Logan lacht amüsiert. „Hast du nicht gesagt, dein Flug geht in einer Stunde?“
„Ja, und?“
„Wieso bestellst du dir dann einen Tee von dem du weißt, dass er über zwei Stunden braucht um abzukühlen?“
Ich zucke die Schultern. „Keine Ahnung. Ich hatte gerade Lust auf Tee und hab nicht weiter drüber nachgedacht…“
Wieder eine kurze Pause. „Glaubst du wir können den Abkühlvorgang irgendwie beschleunigen?“, fragt Logan.
Ich sehe wie er auf seinen leeren, durchsichtigen Plastikbecher schielt in dem nur mehr noch ein paar kleine Reste von dahin schmelzenden Eiswürfeln auf dem Boden zu erkennen sind und braune Schlieren an den Becherinnenwänden. Es muss sich um die Überreste eines Eiskaffees oder Schokofrappuccions handeln. „Oh nein, wehe du wirfst die Eiswürfel da in meinen Tee!“
„Das hatte ich nicht vor“, erwidert Logan lachend und steht auf.
Ich schaue ihm verwundert nach als er ohne ein weiteres Wort zu sagen zu der Verkaufstheke hinübergeht und den Verkäufer irgendetwas fragt. Keine zwei Minuten später kommt er mit einem kleinen, durchsichtigen, scheinbar leerem Plastikbecher in der Hand zurück. Als er den Becher jedoch auf dem Tisch abstellt kann ich erkennen, dass dort ein Haufen Eiswürfel drinnen ist.
„Aber mit den Eiswürfeln könnten wir es doch versuchen, oder?“
Ich zögere kurz, nicke dann aber. „Ich glaube ja.“
Logan nickt und fischt zwei Eiswürfel aus dem Becher und lässt sie vorsichtig in meinen heißen Tee fallen. Dann sehen wir beide zu wie die armen Eiswürfel sich in Rekordzeit auflösen. Ich greife nach dem Becher um zu fühlen ob es irgendwie geholfen hat, aber der Becher ist wie ich erwartet habe noch genauso heiß wie zuvor.
„Ich glaube nicht, dass die Eiswürfel sonderlich viel ausrichten.“
„Es waren nur zwei. Wir haben noch ein paar“, meint Logan und fischt noch zwei Eiswürfel aus dem Plastikbecher.
„Pass bloß auf, dass der Becher nicht überläuft!“, warne ich ihn, während er die zwei wieder vorsichtig in den Tee fallen lässt. Beide Eiswürfel schmelzen genauso schnell dahin wie ihre Vorgänger. Doch Logan scheint fest entschlossen und verfrachtet noch den Rest der Eiswürfel in den Tee. Gott sei Dank war der Becher nicht vollgefüllt, sonst hätten wir auf dem Tisch eine ziemliche Sauerei hinterlassen.
„So, aber ein bisschen muss das jetzt schon geholfen haben!“, sagt Logan, als der letzte Eiswürfel vor der Hitze kapituliert hat und geschmolzen ist. Er schaut mich auffordernd an und ich greife nach dem Becher. Der ist zwar noch immer heiß, aber ich wage einen vorsichtigen Schluck und tatsächlich, die Eiswürfel haben geholfen, wenn auch nur sehr wenig.
Nachdem dieses Problem gelöst ist kehrt wieder Schweigen ein. Ich nippe weiter an meinem Tee, weil ich Durst habe und außerdem nicht mehr viel Zeit um ihn dann in Ruhe fertig zu trinken. Logan schaut mich in der Zwischenzeit leicht verloren an, bis plötzlich neben uns zwei Mädchen mit einem breiten Grinsen im Gesicht, jeweils einem Autogrammheft plus Kuli in der Hand und einer Kamera auftauchen.
„Du bist Logan Lerman, nicht?“, fragte die größere von beiden mit langen, blonden Haaren in einem hellblauen Vintagekleid, dass so gar nicht zu der modernen Kamera in ihrer Hand passt.
Ich kann mir gerade noch ein Grinsen verkneifen. Fangirls… Ich wusste doch, dass die sich irgendwo rumtreiben müssen. Ich sehe aus dem Augenwinkel, wie Logan die Augen verdreht, den Mädchen dann jedoch trotzdem ein charmantes Lächeln schenkt. „Ja, der bin ich.“
Die Freundin von den Mädchen in dem hellblauen Vintagekleid gibt ein kurzes Kreischen von sich und ich sehe wie Logan kaum merklich zusammenzuckt. Das Mädchen in dem Vintagekleid versucht ihre Freundin zu beruhigen und wendet sich dann mit einem breiten Lächeln Logan zu. „Wir wollten fragen, ob wir vielleicht ein Autogramm haben könnten?“
Ich merke, dass ich hier nur stören würde und widme mich derweil scheinhalber wieder meiner Lektüre. Allerdings kann ich mich auf kein einziges Wort in dem Buch konzentrieren.
Aus dem Augenwinkel beobachte ich wie Logan den beiden Mädchen jeweils ein Autogramm gibt.
„Und ein Foto?“, fragt das Mädchen in dem Vintagekleid, als Logan ihr das Autogrammheft zurückgibt.
„Sure“, antwortet Logan nach kurzem Zögern.
Das Mädchen in dem Vintagekleid grinst noch eine Spur breiter und glückseliger. Dann wendet sie sich plötzlich an mich. „Würde es dir was ausmachen, wenn du…“ Sie hält mir ihre Kamera entgegen.
Ich schaue sie kurz überrascht an, zucke dann mit den Schultern, nicke, nehme die Kamera und lass mir schnell von ihr erklären, welcher Knopf der Auslöser ist, obwohl ich es ohnedies weiß. „Bitte lächeln!“ Und schon drücke ich auf den Auslöser. Ich mache noch zwei weitere Fotos, dann reiche ich die Kamera wieder an ihre Besitzerin zurück und tue so als ob ich mich wieder meinem Buch widmen würde und mich der ganze Rummel um Logan herum nicht weiter interessieren würde.
Die beiden Mädchen bedanken sich noch überschwänglich bei Logan und machen dann endlich wieder einen Abgang. Als sie verschwunden sind, sehe ich von meinem Buch wieder auf und greife nach meinem Becher. Ich kann sehen wie Logan mich verstohlen beobachtet, dann deutet er auf einmal auf das Buch, welches ich im Sessel neben mich gelegt habe. „Interessantes Buch?“
Ich stelle meinen Becher wieder auf dem Tisch ab und schaue kurz auf das Buch. Dann nicke ich. „Ja sehr und echt witzig.“
„Worum geht es?“
Ich sehe ihn mich hochgezogenen Augenbraun an. „Du kennst Artemis Fowl nicht?“
Kopfschütteln.
„Naja, ich hab mal ein Interview mit dem Autor gelesen wo er meinte, Artemis Fowl sein Stirb langsam nur halt mit Feen.“
„Stirb langsam mit Feen?“ Logan sieht mich verwundert an.
Ich zucke mit den Schultern. „Ich finde es ist eine ganz gute Beschreibung. Aber eigentlich geht es um einen irischen Jungen, der total intelligent ist und eines Tages die Existenz eines Erdvolks entdeckt. Die ganze Geschichte jetzt zu erklären würde zu lange dauern. Aber ich kann dir versichern, die Bücher sind gut.“
„Bücher? Es ist also eine Reihe?“
„Mhm, ja… und das hier ist der letzte Band. Den Ersten hab ich mit elf oder zwölf gelesen. Mein Vater hat mir den ersten und den zweiten Teil damals als Doppelband zu Weihnachten geschenkt, aber ich wollte das Buch nicht lesen, weil mir das Cover nicht gefiel. Eines Tages hat meine Freundin Marty dann das Buch entdeckt und zu lesen begonnen. Sie meinte es sei gut und da sie einen guten Geschmack hat was Bücher angeht, habe ich es doch noch gelesen. Ich bereue es nicht. Und irgendwie ist es voll traurig, dass das hier das Letzte ist.“
Logan grinste. „Never jugde a book by the cover!”
„Naja, die englischen Cover sind eh ganz cool, aber die deutschen sind halt schrecklich.“
Und damit kehrte wieder eine Pause ein. Tja, das war der Fluch des Smalltalks – irgendwann ist ein Thema zu Ende und man hat keine Ahnung über war man als nächstes reden könnte außer übers Wetter.
Während wir uns also betreten anschweigen, nehme ich noch einen Schluck von meinem Tee und verschlucke mich im nächsten Moment beinahe daran, als ich folgende Durchsage höre: „Louisa Zimmerman, Paul Mayer und Herbert Gross werden dazu aufgerufen unverzüglich zum Schalter…“
Ach du Scheiße, war es wirklich schon so spät?
„Ist alles okay?“, fragt Logan besorgt als er meinen schockierten Gesichtsausdruck bemerkt.
„Wie spät ist es?“, frage ich anstatt zu antworten. Logan wirft einen kurzen Blick auf seine schwarze Armbanduhr und nennt mir die Uhrzeit.
„Shit, mein Flug geht in zehn Minuten!“
„Bist du gerade eben aufgerufen worden?“
„Ja, ja! Das war ich. Sorry, ich muss jetzt los. War schön deine Bekanntschaft zu machen“, sage ich, während ich aufstehe und mir meine braune Converse-Handtasche umhänge. Ich will schon eilig losrennen, als Logan mich am Handgelenk packt. „Warte kurz!“
„Was ist? Ich muss jetzt wirklich los. Meine Eltern bringen mich um, wenn ich den Flug verpasse!“
„Kann ich deine Handynummer haben?“
„Ich glaube nicht, dass ich mir die Telefonrechnung leisten könnte…“
„Okay. Dann vielleicht deine E-Mail-Adresse?“
„Ich schaue so gut wie nie in meinen E-Mail-Account.“
„Skype?“
„Habe ich nicht mehr seit ich meinen Laptop neu aufgesetzt habe.“
„Facebook?“
„Hab meinen Account gelöscht.“
„Keine Chance irgendwie in Kontakt zu bleiben?“
„Ich fürchte nicht.“
„Schade.“
„Ja, schade. Ich muss jetzt aber wirklich los“, sage ich, winde meine Hand aus seinem Griff und renne ohne ein weiteres Wort aus dem Coffee-Shop raus. Doch kaum bin ich draußen, halte ich für einen kurzen Moment inne und überlege es mir dann doch noch anders. „Ach, verdammt!“ Ich mache am Absatz kehrt und laufe noch einmal zurück zu Logan, der irgendwie auf einmal vollkommen verloren dasitzt und mit einem Stirnrunzeln nachdenklich die Tischplatte anstarrt.
„Okay, vielleicht gibt es doch eine Möglichkeit in Kontakt zu bleiben“, sage ich und sehe wie Logan kurz überrascht zusammenzuckt und mich dann verwundert ansieht.
Ohne weiter zu erklären, was ich damit meine krame ich eilig einen Kuli aus meiner Handtasche und ziehe vorsichtig den Kaffeekragen von meinem Teebecher. Dann schreibe ich mit krakeliger Schrift in Windeseile meine Adresse auf das Stück Karton und reiche es Logan. „Hier meine Adresse. Wenn du in Kontakt bleiben willst, musst du mir einen Brief schreiben. Da bin ich furchtbar altmodisch. Und pass auf, Zimmerman schreibt man nur mit einem N statt mit zwei.“
Damit mache ich erneut am Absatz kehrt und renne abermals los, ohne Logan überhaupt noch zu Wort kommen zu lassen. Ich habe es so eilig, dass ich gar nicht merke, dass Logan mir hinterherläuft, bis er mich eingeholt und plötzlich von hinten auf die Schulter tippt. Ich bleibe überrascht mitten am Gang stehen und drehe mich abrupt um.
„Willst du gar nicht meine Adresse haben?“
„Was? Nein. Ich überlasse die Entscheidung dir, mir zu schreiben oder nicht. Und wenn du dann den ersten Brief schickst, sehe ich deine Adresse eh als Absender auf der Rückseite der Briefumschlags…“
„Louisa Zimmerman und Paul Mayer werden aufgefordert sich unverzüglich…“, ertönt erneut die Durchsage.
„Jetzt muss ich aber wirklich. War wirklich schön deine Bekanntschaft zu machen… Ähm…ja also… ich lauf jetzt dann mal los“, sage ich, nehme Logans Hand und schüttele diese kurz zum Abschied. Dann renne ich los, diesmal ohne umzukehren oder aufgehalten zu werden.
„Bye, Lucy! War auch schön deine Bekanntschaft zu machen!“, höre ich Logan mir noch hinterherrufen. Liebend gerne hätte ich mich umgedreht und ihm zugerufen, dass mein Name Lou und nicht Lucy ist, aber für solche Kleinigkeiten hatte ich jetzt wirklich keine Zeit.
Es erscheint mir wie eine halbe Ewigkeit, wie ich da so durch die Gänge renne und nach meinem Gate Ausschau halte. Als ich es endlich finde, steht dort schon Paris statt Wien auf der Anzeige. Ich kriege einen halben Panikanfall und beschleunige meinen Schritt um die Dame hinter dem Schalter, welche gerade dabei ist diesen zu verlassen, noch zu erwischen.
Keuchend bleibe ich vor dem Schalter stehen und halte mir meine vor Seitenstechen schmerzende Seite. Es dauert einen Moment bis ich wieder genug Luft bekomme um etwas zu sagen. „Ich bin Louisa Zimmerman. Ich bin aufgerufen worden. Bitte Sie müssen mich noch durchlassen!“, flehe ich und krame meinen Pass und meine Boardingkarte aus meiner Handtasche.
Doch die Flughafenangestellte, ein etwas dickliche Frau Anfang fünfzig in dunkelblauer Uniform und mit einem grimmigen Gesichtsausdruck, mustert mich nur abschätzend mit ihren grauen Augen und schüttelt dann denn Kopf. „Es tut mir leid, Miss Zimmerman. Aber wir haben sie mehrmals ausgerufen. Das Boarding ist seit fünf Minuten zu Ende. Sie müssen sich einen neuen Flug suchen.“
„Nein, Sie verstehen mich nicht. Ich kann den Flug nicht verpassen, meine Eltern bringen mich um, wenn ich den Flug verpasse.“
„Tja Miss, das ist Ihr Problem nicht meines. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen, ich möchte Pause machen.“
„Ja, aber… Ich bin doch nicht mit Absicht zu spät gekommen. Bitte, können Sie nicht irgendetwas machen, dass ich doch noch…“
„Miss, wie schon gesagt: Das Boarding ist seit fünf Minuten zu Ende“, sagt die Frau mit den furchteinflößenden grauen Augen und in ihrer Stimme schwingt ein verärgerter und zugleich ungeduldiger Unterton mit.
Doch ich lasse mich nicht so schnell abwimmeln. ICH MUSS IN DIESES FLUGZEUG! In DIESES und KEIN ANDERES!! Ich will schon damit anfangen ihr eine Geschichte aufzutischen wieso ich zu spät bin, so von wegen mir war schlecht und so, als plötzlich ein großgewachsener Mann Ende zwanzig in einem feinen, schwarzen Anzug und Aktenkoffer neben mir auftaucht.
„Entschuldigen Sie meine Verspätung. Hier ist mein Pass und meine Boardingkarte“, sagt der Mann mit ruhiger Stimme zu der verärgerten Flughafenangestellten und hält ihr Pass und Boardingkarte entgegen.
„Es tut mir leid, Sir. Aber wie ich schon der jungen Dame neben Ihnen gesagt habe, ist das Boarding für den Flug nach Wien schon seit fünf Minuten zu Ende.“
Ich sehe aus dem Augenwinkel wie der souveräne, selbstsicher Ausdruck auf dem Gesicht des Mannes für einen Bruchteil einer Sekunde ins Wanken gerät, doch dann setzt er plötzlich ein charmantes Lächeln auf, das eine Reihe von perlweißen Zähnen wie aus einer Zahnpastawerbung offenbart. „Ich bin leider aufgehalten worden. Auf dem Weg zum Flughafen gab es einen endlos langen Stau und der Security Check hat ewig gedauert. Bitte Mrs. …“ Er wirft einen Blick auf das goldene Namensschild der Flughafenangestellten. „… Fleming, es ist wichtig das ich diesen Flug nicht verpasse. Ich habe heute Abend noch ein wichtiges Meeting in Wien.“
„Es heißt Miss Fleming und Ihr Meeting ist mir egal. Wenn Sie nicht pünktlich kommen und den Flug verpassen, dann ist das Ihr Problem. Bitte lassen Sie mich jetzt in Ruhe und suchen Sie sich einen anderen Flug. Ich will endlich in meine wohlverdiente Pause gehen.“
Doch der Mann lässt sich von der groben Art der Flughafenangestellten nicht einschüchtern. Er lehnt sich über den Schalter und tippt auf den Computerbildschirm, während er die Frau noch immer charmant anlächelt und meint: „Ach kommen Sie, ich weiß, dass Sie mich…“ Er macht eine kurze Pause und schielt mit einem leichten Stirnrunzeln in meine Richtung. „… und dieses Mädchen hier noch in diese Maschine da draußen rein bekommen. Ich bitte Sie es wenigstens zu versuchen.“
Die Frau kneift die Lippen zusammen und ihre Augen verengen sich zu Schlitzen. Ich schlucke und befürchte schon das Schlimmste, als sie plötzlich meint: „Also gut, ich schaue was ich machen kann – aber ich verspreche nichts. Sonst geben Sie ja doch keine Ruhe!“
Ich wage es nicht aufzuatmen. So lange wie wir jetzt herum debattiert haben, stehen die Chancen bestimmt schlecht, dass wir es doch noch schaffen in das Flugzeug zu kommen. Ich sehe wie der Mann neben mir sich mit einem zufriedenen Ausdruck auf dem Gesicht wieder zurücklehnt und die Frau aufmerksam dabei beobachtet, wie sie etwas in den Computer eintippt während sie mit irgendjemanden angeregt telefoniert.
Als sie den Telefonhörer wieder auflegt und ihren Blick vom Bildschirm löst, macht mein Herz einen Satz. Meine Hände beginnen zu schwitzen und im Stillen bete ich, dass alles noch einmal gut geht.
„Sie haben verdammtes Glück, Mister! Das Gepäck der jungen Dame wurde noch nicht ausgecheckt. Ein Flugfeldmitarbeiter wird gleich kommen und sie beide zu ihrem Flugzeug eskortieren.“
Ich atme erleichtert auf und der Mann neben mir grinst selbstzufrieden. „Ich wusste doch, dass Sie uns beide noch in die Maschine bekommen können!“
Die missmutige Flughafenangestellt wirft ihm daraufhin einen bösen Blick zu und brummt etwas Unverständliches. Keine zwei Sekunden später taucht hinter ihr der Flugfeldmitarbeiter auf, von dem sie gesprochen hat. Ein drahtiger Mann Mitte dreißig im grauen Arbeitsoverall, mit orangenen Lärmschutzkopfhören um den Hals und einer Schutzbrille auf der Nase.
„Hier bin ich, Phyllis! Wo sind die beiden?“, fragt er die Frau, welche mit einer lässigen Handbewegung auf mich und den Mann neben mir deutet.
Der Flugfeldmitarbeiter nickt uns beiden zu, ein Grinsen macht sich auf seinem Gesicht breit und er bedeutet uns mit einem Handwinken ihm zu folgen.
Ich und mein redegewandter Retter tauschen schnell eine Blick miteinander und folgen dem Mann in dem grauen Arbeitsoverall dann im Laufschritt nach draußen. Dort steigt dieser in ein kleines, schmutziges weißes Auto, das mich ein eines der Autos erinnert in dem immer mysteriöserweise tausende von Clowns Platz haben. Ich reiße die Hintertür auf und lasse mich eilig in die Mitte der Rückbank fallen, während Mister Anzug sich auf den Beifahrersitz zwängt.
Sobald wir die Türen geschlossen haben, meint der Flugfeldmitarbeiter, wir sollen uns besser fest halten, denn es würde eine wilde Fahrt werden. Und dann tritt er auch schon das Gaspedal durch und rast los, wobei er gleich mal das Lenkrad rumreißt und eine scharfe Kurve fährt. Von dem Schnellstart total überrascht kann ich mich nicht rechtzeitig festhalten und werde gegen die Tür geschleudert, wo ich mir meinen Ellbogen am Haltegriff und meinen Kopf an der Fensterscheibe anhaue. Ich sehe wie der Mann im grauen Arbeitsoverall einen besorgten Blick in den Rückspiegel wirft. „Are you okay?“
„Yes, yes – I’m fine“, erwidere ich, richte mich wieder auf und halte mich so fest ich kann an dem Haltegriff fest, an dem ich mir zuvor den Ellbogen angestoßen habe.
„Nur zu eurer Info, solche Sachen gehören nicht zum Flughafenservice – das hier ist eine absolute Ausnahme!“, meint der Flugfeldmitarbeiter.
„Ich habe nicht vor noch einmal zu spät zum Boarding zu kommen“, meine ich und klammere mich weiter an dem Haltegriff fest.
„Wohin geht der Flug eigentlich?“
„Wien“, antworten Mister Anzug und ich unisono.
„Ah, Wien. Stephansdom und Riesenrad, richtig? Ich wollte schon immer mal nach Wien. Könnt ihr mir irgendwo ein Cafe empfehlen wo sie einen richtig guten, original österreichischen Apfelstrudel backen?“ Erneut reißt er das Steuer um und beschleunigt noch ein wenig.
„Wenn du mal nach Wien kommst, lade ich dich auf einen Apfelstrudel ein“, meint Mister Anzug.
Der andere lacht. „Okay, das Angebot nehme ich gerne an.“ Er reißt das Lenkrad abermals scharf herum und zwei Sekunden später bleiben wir abrupt stehen. So abrupt, dass ich fast gegen den Beifahrersitz knalle, weil ich nicht angeschnallt bin.
„So wir sind da“, meint der Mann im grauen Arbeitsoverall.
Sofort reißen Mister Anzug und ich unsere Türen auf. „Danke!“, bedanken wir uns unisono.
Der Mann hinterm Steuer winkt bloß mit einem lässigen Grinsen ab. „Ach, hab ich doch gerne gemacht. Man kriegt nicht jeden Tag Leute zu Gesicht die die strenge Phyllis Fleming weichklopfen. Außerdem hat’s Spaß gemacht mit Vollgas übers Flugfeld zu donnern!“
Ich lache und greife in meine Tasche aus der ich meine Geldbörse hervorhole. Dann fische ich flink einen fünf Pfundschein heraus und halte diesen unserem Retter entgegen. Dieser jedoch will das Geld nicht annehmen. „Du brauchst mich nicht zu bezahlen, ich habe es wirklich gerne gemacht!“
„Na gut, aber trotzdem. Es sind nur fünf Pfund und ich müsste sie zuhause sowieso wechseln lassen…“, sage ich und lege den Schein auf die Rückbank. „Für einen Apfelstrudel oder so.“
Und noch ehe er protestieren kann, schlage ich die Tür zu und drehe mich zu Mister Anzug um, der schon am Fuße der mobilen Metalltreppe auf mich wartet. Ich laufe zu ihm hinüber und versuche dabei das Schwindelgefühl, das mich plötzlich erfasst hat, und meine zittrigen Knie so gut es geht zu ignorieren.
Gemeinsam eilen wir die Treppe hoch, während er mit besorgtem Gesichtsausdruck auf Deutsch anmerkt: „Du bist leicht grün im Gesicht – geht es dir gut?“
„Ja, mir geht es gut… Muss wohl an der wilden Fahrt liegen…“
Mister Anzug nickt. Wir sind inzwischen am Kopf der Treppe angekommen und stehen einer Stewardess in roter AUA-Uniform gegenüber, der wir unsere Boardingpässe zeigen. Ich will schon zu meinem Sitz hinten in der Holzklasse gehen, als Mister Anzug mich an der Schulter festhält. „Können wir Plätze tauschen? Ich verdanke diesem Mädchen, dass ich jetzt doch noch an Board konnte“, fragt er die Stewardess. Sowohl sie also auch ich sehen ihn verwundert an. Er verdankt es mir an Board zu sein? Wie das?
Die Stewardess schaut kurz etwas unentschlossen zwischen uns hin und her und scheint sichtlich mit sich zu ringen. Schließlich seufzt sie und meint: „Also gut, ausnahmsweise. Aber begeben Sie sich jetzt bitte zu ihren Plätzen. Wegen Ihnen sind wir spät dran.“
Mister Anzug schenkt der Stewardess dasselbe charmante Grinsen wie zuvor Phyllis, der grimmigen Frau vom Flugschalter. „Danke vielmals.“ Ohne mich zu fragen, nimmt er meinen Boardingpass und drückt mir stattdessen seinen in die Hand. Ehe ich mich bei ihm bedanken kann, kämpft er sich auch schon seinen Weg nach hinten in die Holzklasse durch. Ich will mich bei ihm bedanken, aber ich traue mich nicht ihm ein „Danke!“ hinterherzurufen, vor allem weil der Rest der Fluggäste mich ohnedies mit stechendem Blick verurteilend ansieht. Ich werfe einen schnellen Blick auf meinen neuen Boardingpass und obwohl ich es schon geahnt habe falle ich fast in Ohnmacht. Da steht Business Class. Business Class!!
Ich höre wie die Stewardess hinter mich sich schon räuspert um mich zu bitten, endlich auf meinen Platz zu gehen. Ich hole tief Luft, werfe noch schnell einen Kontrollblick auf den Boardingpass und gehe dann wie mechanisch aufgezogen zu meinem neuen Platz in der Business Class. Oh mein Gott, ich fliege Business Class! Was für ein Tag…
Ich habe meinen Platz gefunden und setzte mich auf den breiten Sitz am Fenster. Ich höre wie die Stewardess den Sicherheitscheck durchgeht und uns der Pilot über den Lautsprecher begrüßt – jetzt wo alle Passagiere an Bord sind.
Ich spüre wie mir die Schamesröte wegen diesem Kommentar auf meine Wangen schleicht und will mich nur mehr noch hinter irgendetwas verstecken. Ich bin bloß froh, dass der Sitz neben mir frei ist. Ich greife in meine Tasche und will mein Buch herausholen, doch ich kann es nicht finden. Ich schließe die Augen, beiße mir auf meine Unterlippe, sinke ein Stück tiefer in meinen Sitz hinein und stelle meine Tasche wieder auf den leeren Sitz neben mir. Na toll, ich habe das Buch im Cafe liegen lassen!
Das hier ist meine erste FanFiciton. Ich hoffe sie gefällt euch.
Ich werde mich um regelmäßige (wöchentliche) Updates bemühen, aber kann diese nicht 100%tig garantieren, da die meisten Kapitel ziemlich lang sein werden wie dieses hier und ich dafür dementsprechend viel Zeit brauche.
Kritik ist gern gesehen - ob positiv oder negativ.
Ich hoffe, dass ich nicht allzuviele grausame Fehler reingehaut habe und wünsche euch viel Spaß beim Lesen.
LG Robin
P.S.: Noch schnell ein Hinweis zum Formalen. Die kursivgeschriebenen Dialoge sollen anzeigen, dass hier Englisch gesprochen wird. Ich dachte mir, dass ist die beste Lösung für mein kleines "Sprachproblem", weil ständig erwähnen zu müssen in welcher Sprache gerade gesprochen wird würde den Text nur unnötig verkomplizieren.
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1. Flughafenbekanntschaften
August
Ich hasse Flughäfen. Ich hasse und liebe sie. Aber im Moment hasse ich sie, weil ich nur mehr noch knapp eine Stunde davon entfernt bin in das Flugzeug zu steigen, dass mich von der coolsten Stadt der Welt zurück in mein verschlafenes Heimatkaff zuhause in Österreich verfrachten wird. Ich wünschte ich könnte auf ewig in London bleiben. Es war so eine tolle Woche gewesen! Wahrscheinlich die beste Woche meines Lebens. Eine Woche nur London und ich. Mein erster Solotrip – und den hatte ich mir redlich verdient nach dem ganzen Drama im letzten Jahr.
Keine Eltern, keine Geschwister, keine Freunde – nur ich alleine mit meinem National Geographic Reiseführer in der Großstadt, die schon Schauplatz für viele meiner Lieblingsgeschichten war.
„Miss?“ Der Verkäufer hinter der Theke des kleinen Coffee-Shops, in dessen Verkaufsschlange ich mich zuvor eingeordnet habe, schaut mich fragend an.
„Äh… hey… ähm… one black tea – the big one, please“, antworte ich nachdem ich meine Gedanken wieder auf das Geschehen um mich gerichtet habe.
Der Verkäufer nickt, nennt mir den Preis, ich bezahle und mache Platz für den nächsten Kunden hinter mir. Es dauert keine Minute da habe ich den heißen Pappbecher in der Hand und weiß nicht so recht was ich jetzt damit anfangen soll, den zum Trinken war der Tee eindeutig noch zu heiß und außerdem brauchte er noch etwas Zeit zum Ziehen. Etwas hilflos schaue ich mich in dem vollbesetzten Coffee-Shop um. Na toll, war ja klar, dass ausgerechnet jetzt kein Platz mehr frei war!
Ich seufze und verfluche mich in Gedanken dafür heißen Tee statt einem kalten Frappuccino bestellt zu haben. Ich mache mich gerade auf den Laden zu verlassen, als ich aus dem Augenwinkel einen freien Platz erspähe. Zu meiner Ernüchterung sitzen an dem Tisch leider schon zwei Jungen. Zwei gutaussehende Jungen. Na gut, der eine ist gutaussehend – von dem anderen sehe ich nur den Rücken. Ich schaue kurz genauer hin und stutze. Nein… unmöglich!
Ich schüttel kaum merklich den Kopf und flüster zu mir selbst: „Sei nicht albern, Lou! Das bildest du dir nur ein.“
Doch ich schaue noch einmal genau hin und diesmal lässt meine Beobachtung keinen Zweifel zu. OMG – da vorne an dem Tisch sitzt Logan Lerman!
„Shit, ist das heiß!“ Ich bemerke fast zu spät, dass ich schon kurz davor bin mir meine Hand an der heißen Pappe meines Teebechers zu verbrennen und wechsele schnell die Hand.
Dann richte ich meine Aufmerksamkeit wieder zu dem Tisch hinüber. Logan lacht gerade über irgendeine Bemerkung seines Gegenübers, welches mir den Rücken zugewandt hat. Ich beiße mir auf die Unterlippe wie ich es immer mache wenn ich kurz davor bin total hibbelig zu werden oder eine wichtige Entscheidung zu treffen. Im Moment war beides zutreffend.
Doch schon nach kurzem hin und her überlegen steht fest, dass ich wohl oder übel kneifen werde. Ich bin halt manchmal ein richtig feiges Huhn – ich geb’s zu. Seufzend setzte ich mich in Bewegung – inzwischen müssten alle die mich in der Zwischenzeit beobachtet haben sich wohl denken, dass irgendwas mit mir nicht stimmte, weil ich da die ganze Zeit mit einem heißen Pappbecher blöd in der Gegend rumgestanden bin.
Doch gerade als ich aus dem Laden trete und mich einer der unbequemen Metallbänke gegenüber sehe, mache ich am Absatz kehrt. Da war ein bequemer Sessel frei und ich würde ihn mir schnappen, wenn nicht schon längst ein anderes Mädchen auf dieselbe Idee gekommen war. Überhaupt schien es seltsam ruhig zu sein – wo sind die ganzen verrückt kreischenden Fangirls? Heathrow ist ein riesiger Flughafen da musste mindestens ein Dutzend von denen irgendwo durch die Gegend rennen…
Ich packe meinen ganzen Mut zusammen, durchschreite den Laden bis zu Logans Tisch und bleibe genau davor stehen.
Ich warte kurz bis ich die Aufmerksamkeit von Logan und seinem mir unbekannten Freund habe. Ich kann sehen wie Logan mich kurz leicht genervt ansieht, sich dann aber zu einem Lächeln durchringt. Wahrscheinlich glaubt er ich will ein Autogramm oder ein Foto von ihm. Ich sehe wie er zu einer Frage ansetzen will und komme ihm gerade noch rechtzeitig zuvor. „Ähm… sorry, dass ich euch störe. Ich wollte bloß fragen, ob der Platz hier noch frei ist. Ich muss noch eine Stunde auf meinen Flug warten und die Metallsitze draußen sind ein Horror für meinen Rücken. Ich will mich nicht aufdrängen oder so, es ist bloß der einzige Platz der noch frei ist. Ich werde euch auch nicht stören, ich setz mich einfach hin und lese ein wenig“, sage ich auf Englisch, stelle meinen Becher kurz auf dem Tisch ab und ziehe zum Beweis für meine „friedlichen Absichten“ das „Artemis Fowl“ Buch aus meiner Handtasche, welches ich mir extra noch am Vortag für den Rückflug gekauft habe.
Logan und sein Freund wechseln einen zweifelnden Blick. Ich wittere, dass sie gleich nein sagen würden.
„Bitte, es ist ja auch nur wegen dem Tee – ich kann nichts dafür, ich hatte solche Lust darauf noch ein letztes Mal Tee in England zu trinken, wer weiß wann ich das nächste Mal wieder komme? Na jedenfalls, machen die in den Coffee-Shops den immer viel zu heiß, dass man sich beim Halten von dem Pappbecher mittlere Verbrennungen trotz diesem Pappdingens da drum herum, Halskrause oder keine Ahnung wie das Ding da heißt, zuzieht.“
Die Pause die auf meine verzweifelte Bemerkung hin folgt scheint sich in die Ewigkeit zu ziehen. Doch dann grinst mich Logan freundlich an und bedeutet mir mit einer Handgeste mich auf den freien Platz hinzusetzen. „Das Pappdingens da drum herum heißt übrigens Kaffeekragen.“
„Wusste ich…“, meine ich und lasse mich mit einem dankbaren Lächeln in den bequemen, wenn auch schon leicht abgesetzten Sessel sinken. Dann stelle ich meine Tasche zu meinen Füßen hin und widme mich wie versprochen der „Artemis Fowl“-Lektüre.
Das vorher so angeregte Gespräch zwischen Logan und seinem Freund flammt für kurze Zeit wieder auf, versinkt jedoch wenige Minuten später in einem peinlichen Schweigen. Ich hebe meinen Blick von der Seite auf der ich gerade zum fünften Mal den ersten Satz gelesen habe und sehe wie beide Jungen mich anstarren. Ich lasse kurz meinen Blick zwischen ihnen hin und her wandern, bis er plötzlich an meinem Pappbecher hängen bleibt und mir einfällt, dass es schon längst an der Zeit ist den Teebeutel rauszunehmen.
„Verdammt, der ist jetzt sicher total bitter!“, sage ich zu mir selbst auf Deutsch und versuche den Plastikdeckel runterzunehmen, stelle mich dabei aber wie jedes Mal so ungeschickt an, dass mir etwas von der heißen Flüssigkeit auf den Handrücken tropft. „Au! Scheiße ist das heiß! Verdammt!“ Reflexartig wische ich mir meine Hand an meiner Weste ab und merke nicht, dass Logan mir eine Serviette entgegenhält. Als er sieht, dass ich meine Hand schon längst trocken gewischt habe, legt er die Serviette zurück auf den Tisch und noch ehe ich ihn daran hindern kann macht der sich daran den Teebeutel aus dem Becher zu fischen.
„Ich hab zwar keine Ahnung, was du vorhin gesagt hast, aber dem Ton deiner Stimme nach zu urteilen muss es etwas Unschönes gewesen sein“, meint er und legt den tropfnassen, heißen Teebeutel auf den Plastikdeckel, den ich vorher auf den Tisch hab fallen lassen.
„Naja, ich glaube nicht, dass mein Tee sehr beleidigt über diese Bemerkung sein wird. Sagen wir mal es war eine unschön ausgedrückte Feststellung, dass er noch immer verdammt heiß ist.“
Logan lacht. „Originelle Antwort.“
„Tja, ich bin eben ein Original sondergleichen… Übrigens, danke für den Teebeutel.“
„Keine Ursache. Wir wollen ja nicht, dass du dir noch mehr schwere Verbrennungen zuziehst.“
Ich würde gerne noch etwas Freches daraufhin erwidern, doch mir fällt nichts ein. Also nicke ich Logan noch einmal zum Dank für seine Hilfe zu, lehne mich wieder zurück und nehme mein Buch wieder zur Hand. Doch ehe ich es auf der richtigen Seite aufschlagen und den ersten Satz dort zum sechsten Mal lesen kann, streckt mir Logan seine Hand entgegen. „Ich heiße übrigens Logan.“
Im letzten Moment kann ich mir gerade noch das „Wusste ich…“ verkneifen. Ich schaue ihn kurz verwundert an, ergreife aber nach kurzem Zögern seine Hand und stelle mich meinerseits vor. „Louisa. Aber ich werde von allen nur Lou genannt.“
Wir grinsen uns gegenseitig an und schütteln eine halbe Ewigkeit lang unsere Hände. Die ganze Situation kommt mir total surreal vor und fast glaube ich noch in meinem Hotelbett zu liegen und zu träumen.
Irgendwann fasst Logan sich jedoch wieder, lässt meine Hand los und deutet auf sein Gegenüber. „Und das ist Dean.“
Dean? Der Name kommt mir irgendwie im Zusammenhang mit Logan bekannt vor, allerdings weiß ich nicht recht wieso. Ich schenke Dean ein Lächeln und meine: „Freut mich euch beide kennenzulernen, Dean und Logan.“
„Die Freude liegt ganz auf unserer Seite“, erwidert Dean nach einer kurzen Pause. Es sind die ersten Worte die er an mich richtet. Ich sehe wie er mit Logan einen Blick austauscht, den ich nicht richtig deuten kann, doch dann nickt er seinem Freund plötzlich zu als hätten sie sich telepathisch auf irgendetwas geeinigt und steht auf. „Wenn wir beiden mich entschuldigt, ich wollte mich noch ein wenig in den Duty-Free-Shops umsehen. Wir sehen uns dann beim Abflugschalter, Logan.“
Noch ein schnelles Lächeln an mich und ein Augenzwinkern für Logan, von dem ich so tue als ob ich es nicht bemerkt hätte, dann macht Dean kehrt und verlässt den Coffee-Shop. Als Dean verschwunden ist, schaue ich Logan etwas hilflos an. Ich weiß nicht so recht, ob ich jetzt ein Gespräch mit ihm beginnen soll und vor allem nicht wie oder soll ich mich einfach wieder wie versprochen meinem Buch widmen.
„Tut mir leid“, rutscht es mir da auf einmal ungewollt raus.
Logan sieht mich mit gerunzelter Stirn verwundert an. „Was tut dir leid?“
„Ich…äh, naja… ich hab doch versprochen nicht zu stören und jetzt… naja… jetzt hab ich deinen Freund vergrault.“
Logan winkt ab. „Ach, das ist doch nicht weiter schlimm. Dean wollte mich schon vor einer halben Stunde zu einer Duty-Free-Shoppingtour überreden. Ehrlich gesagt bin ich ziemlich froh, dass er jetzt alleine losgezogen ist – er will nämlich partout nicht einsehen, dass eine Shoppingtour am Flughafen das Letzte ist wozu ich Lust habe.“
Ich kann mir ein Lachen nicht verkneifen. „Da ist er genau wie mein Onkel mütterlicherseits. Ich glaub er sein Kleiderschrank ist voller als der meiner Tante.“
„Oh nein, es geht nicht um die Sachen. Es ist vielmehr ein Versuch Mädchen aufzureißen.“
„So wie Barney Stinson aus ‚How I met your Mother‘?”
„Haha, ja ungefähr so.“
„Aber was bringt sich das Aufreißen auf einem Flughafen? Immerhin sind die Chancen groß, dass man unterschiedliche Weg geht und sich nie wieder über den Weg läuft…“
Logan zuckt die Schultern. „Keine Ahnung. Das frage ich ihn jedes Mal. Er meint es sei irgendwas bezüglich Flirttechniken üben und ausprobieren, oder so. Ich habe ehrlich gesagt wirklich keine Ahnung.“
Das Gespräch kommt erneut zum Erliegen und peinliches Schweigen hält Einzug. Ich überlege fieberhaft worüber wir uns noch unterhalten könnten, außer über das Wetter und seine Karriere, aber mir fällt einfach nichts ein. Doch anstatt erneut einen Versuch zu starten an meinem Buch weiterzulesen – es erscheint mir ziemlich unfreundlich Logan gegenüber, ihn jetzt einfach zu ignorieren, wo er scheinbar auch auf der Suche nach einem Gespräch ist – beschließe ich einen Schluck von meinem Tee zu nehmen und bereue es sogleich.
„Verdammt ist das Zeug heiß!“
„Heiß? Das hat Tee so an sich, weißt du“, erwidert Logan grinsend.
„Ich weiß, aber die Tees in den Coffee-Shops scheinen sich jeglicher physikalischer Grundgesetze der Wärmelehre zu entziehen. Statt abzukühlen heizen sie sich scheinbar auf mysteriöse Weise von selbst auf. Als ich ‚Tron Legacy‘ im Kino schauen war und zuvor mit meinen Freundinnen zum Star Bucks gegangen und mir genauso einen Tee bestellt habe – und das eine halbe Stunde bevor der Film überhaupt begonnen hat, weißt du wann ich den Tee dann erst gefahrlos trinken konnte?“
Logan schüttelt den Kopf. „Wann?“
„Zehn Minuten vor dem Abspann. Ohne Scheiß! Und der Film hatte knapp zwei Stunden Laufzeit!“
Logan lacht amüsiert. „Hast du nicht gesagt, dein Flug geht in einer Stunde?“
„Ja, und?“
„Wieso bestellst du dir dann einen Tee von dem du weißt, dass er über zwei Stunden braucht um abzukühlen?“
Ich zucke die Schultern. „Keine Ahnung. Ich hatte gerade Lust auf Tee und hab nicht weiter drüber nachgedacht…“
Wieder eine kurze Pause. „Glaubst du wir können den Abkühlvorgang irgendwie beschleunigen?“, fragt Logan.
Ich sehe wie er auf seinen leeren, durchsichtigen Plastikbecher schielt in dem nur mehr noch ein paar kleine Reste von dahin schmelzenden Eiswürfeln auf dem Boden zu erkennen sind und braune Schlieren an den Becherinnenwänden. Es muss sich um die Überreste eines Eiskaffees oder Schokofrappuccions handeln. „Oh nein, wehe du wirfst die Eiswürfel da in meinen Tee!“
„Das hatte ich nicht vor“, erwidert Logan lachend und steht auf.
Ich schaue ihm verwundert nach als er ohne ein weiteres Wort zu sagen zu der Verkaufstheke hinübergeht und den Verkäufer irgendetwas fragt. Keine zwei Minuten später kommt er mit einem kleinen, durchsichtigen, scheinbar leerem Plastikbecher in der Hand zurück. Als er den Becher jedoch auf dem Tisch abstellt kann ich erkennen, dass dort ein Haufen Eiswürfel drinnen ist.
„Aber mit den Eiswürfeln könnten wir es doch versuchen, oder?“
Ich zögere kurz, nicke dann aber. „Ich glaube ja.“
Logan nickt und fischt zwei Eiswürfel aus dem Becher und lässt sie vorsichtig in meinen heißen Tee fallen. Dann sehen wir beide zu wie die armen Eiswürfel sich in Rekordzeit auflösen. Ich greife nach dem Becher um zu fühlen ob es irgendwie geholfen hat, aber der Becher ist wie ich erwartet habe noch genauso heiß wie zuvor.
„Ich glaube nicht, dass die Eiswürfel sonderlich viel ausrichten.“
„Es waren nur zwei. Wir haben noch ein paar“, meint Logan und fischt noch zwei Eiswürfel aus dem Plastikbecher.
„Pass bloß auf, dass der Becher nicht überläuft!“, warne ich ihn, während er die zwei wieder vorsichtig in den Tee fallen lässt. Beide Eiswürfel schmelzen genauso schnell dahin wie ihre Vorgänger. Doch Logan scheint fest entschlossen und verfrachtet noch den Rest der Eiswürfel in den Tee. Gott sei Dank war der Becher nicht vollgefüllt, sonst hätten wir auf dem Tisch eine ziemliche Sauerei hinterlassen.
„So, aber ein bisschen muss das jetzt schon geholfen haben!“, sagt Logan, als der letzte Eiswürfel vor der Hitze kapituliert hat und geschmolzen ist. Er schaut mich auffordernd an und ich greife nach dem Becher. Der ist zwar noch immer heiß, aber ich wage einen vorsichtigen Schluck und tatsächlich, die Eiswürfel haben geholfen, wenn auch nur sehr wenig.
Nachdem dieses Problem gelöst ist kehrt wieder Schweigen ein. Ich nippe weiter an meinem Tee, weil ich Durst habe und außerdem nicht mehr viel Zeit um ihn dann in Ruhe fertig zu trinken. Logan schaut mich in der Zwischenzeit leicht verloren an, bis plötzlich neben uns zwei Mädchen mit einem breiten Grinsen im Gesicht, jeweils einem Autogrammheft plus Kuli in der Hand und einer Kamera auftauchen.
„Du bist Logan Lerman, nicht?“, fragte die größere von beiden mit langen, blonden Haaren in einem hellblauen Vintagekleid, dass so gar nicht zu der modernen Kamera in ihrer Hand passt.
Ich kann mir gerade noch ein Grinsen verkneifen. Fangirls… Ich wusste doch, dass die sich irgendwo rumtreiben müssen. Ich sehe aus dem Augenwinkel, wie Logan die Augen verdreht, den Mädchen dann jedoch trotzdem ein charmantes Lächeln schenkt. „Ja, der bin ich.“
Die Freundin von den Mädchen in dem hellblauen Vintagekleid gibt ein kurzes Kreischen von sich und ich sehe wie Logan kaum merklich zusammenzuckt. Das Mädchen in dem Vintagekleid versucht ihre Freundin zu beruhigen und wendet sich dann mit einem breiten Lächeln Logan zu. „Wir wollten fragen, ob wir vielleicht ein Autogramm haben könnten?“
Ich merke, dass ich hier nur stören würde und widme mich derweil scheinhalber wieder meiner Lektüre. Allerdings kann ich mich auf kein einziges Wort in dem Buch konzentrieren.
Aus dem Augenwinkel beobachte ich wie Logan den beiden Mädchen jeweils ein Autogramm gibt.
„Und ein Foto?“, fragt das Mädchen in dem Vintagekleid, als Logan ihr das Autogrammheft zurückgibt.
„Sure“, antwortet Logan nach kurzem Zögern.
Das Mädchen in dem Vintagekleid grinst noch eine Spur breiter und glückseliger. Dann wendet sie sich plötzlich an mich. „Würde es dir was ausmachen, wenn du…“ Sie hält mir ihre Kamera entgegen.
Ich schaue sie kurz überrascht an, zucke dann mit den Schultern, nicke, nehme die Kamera und lass mir schnell von ihr erklären, welcher Knopf der Auslöser ist, obwohl ich es ohnedies weiß. „Bitte lächeln!“ Und schon drücke ich auf den Auslöser. Ich mache noch zwei weitere Fotos, dann reiche ich die Kamera wieder an ihre Besitzerin zurück und tue so als ob ich mich wieder meinem Buch widmen würde und mich der ganze Rummel um Logan herum nicht weiter interessieren würde.
Die beiden Mädchen bedanken sich noch überschwänglich bei Logan und machen dann endlich wieder einen Abgang. Als sie verschwunden sind, sehe ich von meinem Buch wieder auf und greife nach meinem Becher. Ich kann sehen wie Logan mich verstohlen beobachtet, dann deutet er auf einmal auf das Buch, welches ich im Sessel neben mich gelegt habe. „Interessantes Buch?“
Ich stelle meinen Becher wieder auf dem Tisch ab und schaue kurz auf das Buch. Dann nicke ich. „Ja sehr und echt witzig.“
„Worum geht es?“
Ich sehe ihn mich hochgezogenen Augenbraun an. „Du kennst Artemis Fowl nicht?“
Kopfschütteln.
„Naja, ich hab mal ein Interview mit dem Autor gelesen wo er meinte, Artemis Fowl sein Stirb langsam nur halt mit Feen.“
„Stirb langsam mit Feen?“ Logan sieht mich verwundert an.
Ich zucke mit den Schultern. „Ich finde es ist eine ganz gute Beschreibung. Aber eigentlich geht es um einen irischen Jungen, der total intelligent ist und eines Tages die Existenz eines Erdvolks entdeckt. Die ganze Geschichte jetzt zu erklären würde zu lange dauern. Aber ich kann dir versichern, die Bücher sind gut.“
„Bücher? Es ist also eine Reihe?“
„Mhm, ja… und das hier ist der letzte Band. Den Ersten hab ich mit elf oder zwölf gelesen. Mein Vater hat mir den ersten und den zweiten Teil damals als Doppelband zu Weihnachten geschenkt, aber ich wollte das Buch nicht lesen, weil mir das Cover nicht gefiel. Eines Tages hat meine Freundin Marty dann das Buch entdeckt und zu lesen begonnen. Sie meinte es sei gut und da sie einen guten Geschmack hat was Bücher angeht, habe ich es doch noch gelesen. Ich bereue es nicht. Und irgendwie ist es voll traurig, dass das hier das Letzte ist.“
Logan grinste. „Never jugde a book by the cover!”
„Naja, die englischen Cover sind eh ganz cool, aber die deutschen sind halt schrecklich.“
Und damit kehrte wieder eine Pause ein. Tja, das war der Fluch des Smalltalks – irgendwann ist ein Thema zu Ende und man hat keine Ahnung über war man als nächstes reden könnte außer übers Wetter.
Während wir uns also betreten anschweigen, nehme ich noch einen Schluck von meinem Tee und verschlucke mich im nächsten Moment beinahe daran, als ich folgende Durchsage höre: „Louisa Zimmerman, Paul Mayer und Herbert Gross werden dazu aufgerufen unverzüglich zum Schalter…“
Ach du Scheiße, war es wirklich schon so spät?
„Ist alles okay?“, fragt Logan besorgt als er meinen schockierten Gesichtsausdruck bemerkt.
„Wie spät ist es?“, frage ich anstatt zu antworten. Logan wirft einen kurzen Blick auf seine schwarze Armbanduhr und nennt mir die Uhrzeit.
„Shit, mein Flug geht in zehn Minuten!“
„Bist du gerade eben aufgerufen worden?“
„Ja, ja! Das war ich. Sorry, ich muss jetzt los. War schön deine Bekanntschaft zu machen“, sage ich, während ich aufstehe und mir meine braune Converse-Handtasche umhänge. Ich will schon eilig losrennen, als Logan mich am Handgelenk packt. „Warte kurz!“
„Was ist? Ich muss jetzt wirklich los. Meine Eltern bringen mich um, wenn ich den Flug verpasse!“
„Kann ich deine Handynummer haben?“
„Ich glaube nicht, dass ich mir die Telefonrechnung leisten könnte…“
„Okay. Dann vielleicht deine E-Mail-Adresse?“
„Ich schaue so gut wie nie in meinen E-Mail-Account.“
„Skype?“
„Habe ich nicht mehr seit ich meinen Laptop neu aufgesetzt habe.“
„Facebook?“
„Hab meinen Account gelöscht.“
„Keine Chance irgendwie in Kontakt zu bleiben?“
„Ich fürchte nicht.“
„Schade.“
„Ja, schade. Ich muss jetzt aber wirklich los“, sage ich, winde meine Hand aus seinem Griff und renne ohne ein weiteres Wort aus dem Coffee-Shop raus. Doch kaum bin ich draußen, halte ich für einen kurzen Moment inne und überlege es mir dann doch noch anders. „Ach, verdammt!“ Ich mache am Absatz kehrt und laufe noch einmal zurück zu Logan, der irgendwie auf einmal vollkommen verloren dasitzt und mit einem Stirnrunzeln nachdenklich die Tischplatte anstarrt.
„Okay, vielleicht gibt es doch eine Möglichkeit in Kontakt zu bleiben“, sage ich und sehe wie Logan kurz überrascht zusammenzuckt und mich dann verwundert ansieht.
Ohne weiter zu erklären, was ich damit meine krame ich eilig einen Kuli aus meiner Handtasche und ziehe vorsichtig den Kaffeekragen von meinem Teebecher. Dann schreibe ich mit krakeliger Schrift in Windeseile meine Adresse auf das Stück Karton und reiche es Logan. „Hier meine Adresse. Wenn du in Kontakt bleiben willst, musst du mir einen Brief schreiben. Da bin ich furchtbar altmodisch. Und pass auf, Zimmerman schreibt man nur mit einem N statt mit zwei.“
Damit mache ich erneut am Absatz kehrt und renne abermals los, ohne Logan überhaupt noch zu Wort kommen zu lassen. Ich habe es so eilig, dass ich gar nicht merke, dass Logan mir hinterherläuft, bis er mich eingeholt und plötzlich von hinten auf die Schulter tippt. Ich bleibe überrascht mitten am Gang stehen und drehe mich abrupt um.
„Willst du gar nicht meine Adresse haben?“
„Was? Nein. Ich überlasse die Entscheidung dir, mir zu schreiben oder nicht. Und wenn du dann den ersten Brief schickst, sehe ich deine Adresse eh als Absender auf der Rückseite der Briefumschlags…“
„Louisa Zimmerman und Paul Mayer werden aufgefordert sich unverzüglich…“, ertönt erneut die Durchsage.
„Jetzt muss ich aber wirklich. War wirklich schön deine Bekanntschaft zu machen… Ähm…ja also… ich lauf jetzt dann mal los“, sage ich, nehme Logans Hand und schüttele diese kurz zum Abschied. Dann renne ich los, diesmal ohne umzukehren oder aufgehalten zu werden.
„Bye, Lucy! War auch schön deine Bekanntschaft zu machen!“, höre ich Logan mir noch hinterherrufen. Liebend gerne hätte ich mich umgedreht und ihm zugerufen, dass mein Name Lou und nicht Lucy ist, aber für solche Kleinigkeiten hatte ich jetzt wirklich keine Zeit.
Es erscheint mir wie eine halbe Ewigkeit, wie ich da so durch die Gänge renne und nach meinem Gate Ausschau halte. Als ich es endlich finde, steht dort schon Paris statt Wien auf der Anzeige. Ich kriege einen halben Panikanfall und beschleunige meinen Schritt um die Dame hinter dem Schalter, welche gerade dabei ist diesen zu verlassen, noch zu erwischen.
Keuchend bleibe ich vor dem Schalter stehen und halte mir meine vor Seitenstechen schmerzende Seite. Es dauert einen Moment bis ich wieder genug Luft bekomme um etwas zu sagen. „Ich bin Louisa Zimmerman. Ich bin aufgerufen worden. Bitte Sie müssen mich noch durchlassen!“, flehe ich und krame meinen Pass und meine Boardingkarte aus meiner Handtasche.
Doch die Flughafenangestellte, ein etwas dickliche Frau Anfang fünfzig in dunkelblauer Uniform und mit einem grimmigen Gesichtsausdruck, mustert mich nur abschätzend mit ihren grauen Augen und schüttelt dann denn Kopf. „Es tut mir leid, Miss Zimmerman. Aber wir haben sie mehrmals ausgerufen. Das Boarding ist seit fünf Minuten zu Ende. Sie müssen sich einen neuen Flug suchen.“
„Nein, Sie verstehen mich nicht. Ich kann den Flug nicht verpassen, meine Eltern bringen mich um, wenn ich den Flug verpasse.“
„Tja Miss, das ist Ihr Problem nicht meines. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen, ich möchte Pause machen.“
„Ja, aber… Ich bin doch nicht mit Absicht zu spät gekommen. Bitte, können Sie nicht irgendetwas machen, dass ich doch noch…“
„Miss, wie schon gesagt: Das Boarding ist seit fünf Minuten zu Ende“, sagt die Frau mit den furchteinflößenden grauen Augen und in ihrer Stimme schwingt ein verärgerter und zugleich ungeduldiger Unterton mit.
Doch ich lasse mich nicht so schnell abwimmeln. ICH MUSS IN DIESES FLUGZEUG! In DIESES und KEIN ANDERES!! Ich will schon damit anfangen ihr eine Geschichte aufzutischen wieso ich zu spät bin, so von wegen mir war schlecht und so, als plötzlich ein großgewachsener Mann Ende zwanzig in einem feinen, schwarzen Anzug und Aktenkoffer neben mir auftaucht.
„Entschuldigen Sie meine Verspätung. Hier ist mein Pass und meine Boardingkarte“, sagt der Mann mit ruhiger Stimme zu der verärgerten Flughafenangestellten und hält ihr Pass und Boardingkarte entgegen.
„Es tut mir leid, Sir. Aber wie ich schon der jungen Dame neben Ihnen gesagt habe, ist das Boarding für den Flug nach Wien schon seit fünf Minuten zu Ende.“
Ich sehe aus dem Augenwinkel wie der souveräne, selbstsicher Ausdruck auf dem Gesicht des Mannes für einen Bruchteil einer Sekunde ins Wanken gerät, doch dann setzt er plötzlich ein charmantes Lächeln auf, das eine Reihe von perlweißen Zähnen wie aus einer Zahnpastawerbung offenbart. „Ich bin leider aufgehalten worden. Auf dem Weg zum Flughafen gab es einen endlos langen Stau und der Security Check hat ewig gedauert. Bitte Mrs. …“ Er wirft einen Blick auf das goldene Namensschild der Flughafenangestellten. „… Fleming, es ist wichtig das ich diesen Flug nicht verpasse. Ich habe heute Abend noch ein wichtiges Meeting in Wien.“
„Es heißt Miss Fleming und Ihr Meeting ist mir egal. Wenn Sie nicht pünktlich kommen und den Flug verpassen, dann ist das Ihr Problem. Bitte lassen Sie mich jetzt in Ruhe und suchen Sie sich einen anderen Flug. Ich will endlich in meine wohlverdiente Pause gehen.“
Doch der Mann lässt sich von der groben Art der Flughafenangestellten nicht einschüchtern. Er lehnt sich über den Schalter und tippt auf den Computerbildschirm, während er die Frau noch immer charmant anlächelt und meint: „Ach kommen Sie, ich weiß, dass Sie mich…“ Er macht eine kurze Pause und schielt mit einem leichten Stirnrunzeln in meine Richtung. „… und dieses Mädchen hier noch in diese Maschine da draußen rein bekommen. Ich bitte Sie es wenigstens zu versuchen.“
Die Frau kneift die Lippen zusammen und ihre Augen verengen sich zu Schlitzen. Ich schlucke und befürchte schon das Schlimmste, als sie plötzlich meint: „Also gut, ich schaue was ich machen kann – aber ich verspreche nichts. Sonst geben Sie ja doch keine Ruhe!“
Ich wage es nicht aufzuatmen. So lange wie wir jetzt herum debattiert haben, stehen die Chancen bestimmt schlecht, dass wir es doch noch schaffen in das Flugzeug zu kommen. Ich sehe wie der Mann neben mir sich mit einem zufriedenen Ausdruck auf dem Gesicht wieder zurücklehnt und die Frau aufmerksam dabei beobachtet, wie sie etwas in den Computer eintippt während sie mit irgendjemanden angeregt telefoniert.
Als sie den Telefonhörer wieder auflegt und ihren Blick vom Bildschirm löst, macht mein Herz einen Satz. Meine Hände beginnen zu schwitzen und im Stillen bete ich, dass alles noch einmal gut geht.
„Sie haben verdammtes Glück, Mister! Das Gepäck der jungen Dame wurde noch nicht ausgecheckt. Ein Flugfeldmitarbeiter wird gleich kommen und sie beide zu ihrem Flugzeug eskortieren.“
Ich atme erleichtert auf und der Mann neben mir grinst selbstzufrieden. „Ich wusste doch, dass Sie uns beide noch in die Maschine bekommen können!“
Die missmutige Flughafenangestellt wirft ihm daraufhin einen bösen Blick zu und brummt etwas Unverständliches. Keine zwei Sekunden später taucht hinter ihr der Flugfeldmitarbeiter auf, von dem sie gesprochen hat. Ein drahtiger Mann Mitte dreißig im grauen Arbeitsoverall, mit orangenen Lärmschutzkopfhören um den Hals und einer Schutzbrille auf der Nase.
„Hier bin ich, Phyllis! Wo sind die beiden?“, fragt er die Frau, welche mit einer lässigen Handbewegung auf mich und den Mann neben mir deutet.
Der Flugfeldmitarbeiter nickt uns beiden zu, ein Grinsen macht sich auf seinem Gesicht breit und er bedeutet uns mit einem Handwinken ihm zu folgen.
Ich und mein redegewandter Retter tauschen schnell eine Blick miteinander und folgen dem Mann in dem grauen Arbeitsoverall dann im Laufschritt nach draußen. Dort steigt dieser in ein kleines, schmutziges weißes Auto, das mich ein eines der Autos erinnert in dem immer mysteriöserweise tausende von Clowns Platz haben. Ich reiße die Hintertür auf und lasse mich eilig in die Mitte der Rückbank fallen, während Mister Anzug sich auf den Beifahrersitz zwängt.
Sobald wir die Türen geschlossen haben, meint der Flugfeldmitarbeiter, wir sollen uns besser fest halten, denn es würde eine wilde Fahrt werden. Und dann tritt er auch schon das Gaspedal durch und rast los, wobei er gleich mal das Lenkrad rumreißt und eine scharfe Kurve fährt. Von dem Schnellstart total überrascht kann ich mich nicht rechtzeitig festhalten und werde gegen die Tür geschleudert, wo ich mir meinen Ellbogen am Haltegriff und meinen Kopf an der Fensterscheibe anhaue. Ich sehe wie der Mann im grauen Arbeitsoverall einen besorgten Blick in den Rückspiegel wirft. „Are you okay?“
„Yes, yes – I’m fine“, erwidere ich, richte mich wieder auf und halte mich so fest ich kann an dem Haltegriff fest, an dem ich mir zuvor den Ellbogen angestoßen habe.
„Nur zu eurer Info, solche Sachen gehören nicht zum Flughafenservice – das hier ist eine absolute Ausnahme!“, meint der Flugfeldmitarbeiter.
„Ich habe nicht vor noch einmal zu spät zum Boarding zu kommen“, meine ich und klammere mich weiter an dem Haltegriff fest.
„Wohin geht der Flug eigentlich?“
„Wien“, antworten Mister Anzug und ich unisono.
„Ah, Wien. Stephansdom und Riesenrad, richtig? Ich wollte schon immer mal nach Wien. Könnt ihr mir irgendwo ein Cafe empfehlen wo sie einen richtig guten, original österreichischen Apfelstrudel backen?“ Erneut reißt er das Steuer um und beschleunigt noch ein wenig.
„Wenn du mal nach Wien kommst, lade ich dich auf einen Apfelstrudel ein“, meint Mister Anzug.
Der andere lacht. „Okay, das Angebot nehme ich gerne an.“ Er reißt das Lenkrad abermals scharf herum und zwei Sekunden später bleiben wir abrupt stehen. So abrupt, dass ich fast gegen den Beifahrersitz knalle, weil ich nicht angeschnallt bin.
„So wir sind da“, meint der Mann im grauen Arbeitsoverall.
Sofort reißen Mister Anzug und ich unsere Türen auf. „Danke!“, bedanken wir uns unisono.
Der Mann hinterm Steuer winkt bloß mit einem lässigen Grinsen ab. „Ach, hab ich doch gerne gemacht. Man kriegt nicht jeden Tag Leute zu Gesicht die die strenge Phyllis Fleming weichklopfen. Außerdem hat’s Spaß gemacht mit Vollgas übers Flugfeld zu donnern!“
Ich lache und greife in meine Tasche aus der ich meine Geldbörse hervorhole. Dann fische ich flink einen fünf Pfundschein heraus und halte diesen unserem Retter entgegen. Dieser jedoch will das Geld nicht annehmen. „Du brauchst mich nicht zu bezahlen, ich habe es wirklich gerne gemacht!“
„Na gut, aber trotzdem. Es sind nur fünf Pfund und ich müsste sie zuhause sowieso wechseln lassen…“, sage ich und lege den Schein auf die Rückbank. „Für einen Apfelstrudel oder so.“
Und noch ehe er protestieren kann, schlage ich die Tür zu und drehe mich zu Mister Anzug um, der schon am Fuße der mobilen Metalltreppe auf mich wartet. Ich laufe zu ihm hinüber und versuche dabei das Schwindelgefühl, das mich plötzlich erfasst hat, und meine zittrigen Knie so gut es geht zu ignorieren.
Gemeinsam eilen wir die Treppe hoch, während er mit besorgtem Gesichtsausdruck auf Deutsch anmerkt: „Du bist leicht grün im Gesicht – geht es dir gut?“
„Ja, mir geht es gut… Muss wohl an der wilden Fahrt liegen…“
Mister Anzug nickt. Wir sind inzwischen am Kopf der Treppe angekommen und stehen einer Stewardess in roter AUA-Uniform gegenüber, der wir unsere Boardingpässe zeigen. Ich will schon zu meinem Sitz hinten in der Holzklasse gehen, als Mister Anzug mich an der Schulter festhält. „Können wir Plätze tauschen? Ich verdanke diesem Mädchen, dass ich jetzt doch noch an Board konnte“, fragt er die Stewardess. Sowohl sie also auch ich sehen ihn verwundert an. Er verdankt es mir an Board zu sein? Wie das?
Die Stewardess schaut kurz etwas unentschlossen zwischen uns hin und her und scheint sichtlich mit sich zu ringen. Schließlich seufzt sie und meint: „Also gut, ausnahmsweise. Aber begeben Sie sich jetzt bitte zu ihren Plätzen. Wegen Ihnen sind wir spät dran.“
Mister Anzug schenkt der Stewardess dasselbe charmante Grinsen wie zuvor Phyllis, der grimmigen Frau vom Flugschalter. „Danke vielmals.“ Ohne mich zu fragen, nimmt er meinen Boardingpass und drückt mir stattdessen seinen in die Hand. Ehe ich mich bei ihm bedanken kann, kämpft er sich auch schon seinen Weg nach hinten in die Holzklasse durch. Ich will mich bei ihm bedanken, aber ich traue mich nicht ihm ein „Danke!“ hinterherzurufen, vor allem weil der Rest der Fluggäste mich ohnedies mit stechendem Blick verurteilend ansieht. Ich werfe einen schnellen Blick auf meinen neuen Boardingpass und obwohl ich es schon geahnt habe falle ich fast in Ohnmacht. Da steht Business Class. Business Class!!
Ich höre wie die Stewardess hinter mich sich schon räuspert um mich zu bitten, endlich auf meinen Platz zu gehen. Ich hole tief Luft, werfe noch schnell einen Kontrollblick auf den Boardingpass und gehe dann wie mechanisch aufgezogen zu meinem neuen Platz in der Business Class. Oh mein Gott, ich fliege Business Class! Was für ein Tag…
Ich habe meinen Platz gefunden und setzte mich auf den breiten Sitz am Fenster. Ich höre wie die Stewardess den Sicherheitscheck durchgeht und uns der Pilot über den Lautsprecher begrüßt – jetzt wo alle Passagiere an Bord sind.
Ich spüre wie mir die Schamesröte wegen diesem Kommentar auf meine Wangen schleicht und will mich nur mehr noch hinter irgendetwas verstecken. Ich bin bloß froh, dass der Sitz neben mir frei ist. Ich greife in meine Tasche und will mein Buch herausholen, doch ich kann es nicht finden. Ich schließe die Augen, beiße mir auf meine Unterlippe, sinke ein Stück tiefer in meinen Sitz hinein und stelle meine Tasche wieder auf den leeren Sitz neben mir. Na toll, ich habe das Buch im Cafe liegen lassen!