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Lex Tobruk, der Freelancer

Kurzbeschreibung
GeschichteAllgemein / P16 / Gen
01.01.2012
01.01.2012
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1.
Erst war es nur ein ungemütliches Geräusch, leise, fast an der Grenze des Hörbaren, leicht zu ignorieren. Lex ignorierte es nach bestem Können. Doch leider schwoll es an, gemächlich zwar, dafür aber konstant. Die Lautstärke erreichte schnell einen Punkt, der nicht mehr so leicht zu ignorieren war, nicht einmal mit seinem schweren Kopf. Als das Geräusch längst als laute, nervige und durch Mark und Bein gehende Rückkopplung zu identifizieren war, fuhr Lex hoch. "Ich bin wach! Ich bin wach! Hörst du, Karen?"
Das Geräusch verstummte beinahe sofort. Stattdessen meldete sich die Künstliche Bordintelligenz. Wie immer hatte sie einen leicht spöttischen Unterton in der rauchigen Stimme. "Wurde aber auch Zeit. Ich habe dich bereits zwanzig Minuten länger schlafen gelassen als ich eigentlich sollte. Dein Blutdruck ist etwas hoch, und du bist leicht dehydriert. Ich passe dein Frühstück entsprechend an. Also wirklich, Lex, du wärst leichter zu wecken, wenn du vor dem Schlafengehen ein Medikament gegen deinen Drogenkonsum nehmen würdest."
"Und welchen Sinn macht es, nüchtern zu schlafen, wenn ich überhaupt erst saufe um schlafen zu können?" Wütend schüttelte er den Kopf, um den letzten Rest Benommenheit abzuschütteln. Danach schwang er die Beine aus dem Bett und stellte sich aufrecht hin. "Ich nehme nicht an, dass die künstliche Schwerkraft den Vektorpol verändert hat?", fragte er bissig.
"Nein, Lex. Du hast lediglich ein halbes Promill Restalkohol. Ein Gegenmittel liegt für dich in der Waschkabine bereit. Und an deiner Stelle würde ich es nehmen. Außerdem sollten wir dringend bei der Gelegenheit deine inneren Organe untersuchen. Vor allem die Leber. Du trinkst mir zu viel und zu stark in letzter Zeit, mein Lieber."
"Darum nennt man es ja auch ungesund", knurrte er und machte einen ersten wackligen Schritt auf den Waschraum zu. "Sind wir bereits gesprungen?"
"Wir befinden uns etwas mehr als acht Komma zwei Lichtjahre von Lygavo entfernt. Wir werden in zwei Stunden und siebzehn Minuten im System ankommen."
"Lygavo? Ich wollte doch nach Tharben!", rief Lex, während er die altertümliche Wasserbrause anstellte. Der erste Schub war kochend heiß, bis Karen die Temperatur auf knappe vierzig Grad herunter geregelt hatte.
"Ein Anruf von der Wissenschaftsakademie von Lygavo. Professor Yglid Mahnter Partarro vom lygavorischen Institut für Xeno-Archäologie hat dich für einen eiligen Auftrag angefordert."
"Für Eierköpfe arbeiten? Schon wieder? Ich wollte eigentlich die teuer verdiente Kohle von der Mirsentahl-Entführung in ein paar schicke Ersatzteile für dich investieren."
"Und das Wechselgeld bei Wein, Weib und Gesang in einem der nicht ganz so teuren Casinos durchbringen", merkte das Bordgehirn spöttisch an.
"Was spricht dagegen? Immerhin habe ich hart für das Geld gearbeitet, und ab und an steht auch einem Freischaffenden etwas Urlaub zu", murrte Lex.
"Partarro hat aber ausdrücklich dich angefordert. Und da wir keinen anderen Auftrag haben, hat die Agentur sich die Freiheit genommen, in deinem Namen zuzusagen. Es ist ein Auftrag der Kategorie vier."
Ein wenig versöhnt sah Lex zur kaum sichtbaren Kamera des Bordgehirns hoch. "Wenigstens geht es nicht wieder um irgendwelche Kleinigkeiten wie beim letzten Mal."
"Oh, du bist definitiv der einzige Mensch in diesem Universum, der die Gefechte auf der Thungal-Ausgrabungsstätte letzten Mai als Kleinigkeit bezeichnen würde. Und ich möchte hinzufügen, du findest auch keinen Thungal, der so reden würde. Du hast den guten Professor damals schwer beeindruckt. Und deshalb will er dich, keinen anderen."
"Da wäre Variante zwei gewesen, das alles auf Likort oder Endressa abzuwälzen." Langsam begann er sich einzuseifen. "Sind die zwei nicht eh in der Nähe?"
"Du bekommst einen Bonus von zwanzigtausend Interlac, unabhängig wie die Mission ausgeht."
"Zwanzigtausend? Egal ob die Mission gelingt oder scheitert? Und der Professor hat mich persönlich angefordert?" Er zuckte mit den Achseln. "Na, anhören kann ich mir ja mal, was der gute Mann zu sagen hat."
"Pefovare, Lex. Professor Partarro ist Pefovare, und stolz auf seine Zweigeschlechtlichkeit. Oder ihre. Das kommt darauf an, welche Hormone ihn gerade überschwemmen. Oder sie."
"Oh ja, erinnere mich bitte nicht daran. Als ich diesen ekligen Durchschuss im Unterschenkel hatte, waren es die weiblichen, und der alte Eierkopf hat mich begluckt, wie Sandy es nicht besser könnte."
"Es ist schwer vorstellbar, dass die beste Freelancerin in diesem Teil der Galaxis jemanden beglucken könnte. Nicht einmal ihren jüngsten Sohn", sagte Karen spöttisch.
"Du bist eben ein Raumschiff. Du hast noch längst nicht alles gesehen, liebste Karen." Lex griff zum Shampoo und begann es einzumassieren. Wirklich, es ging nichts über eine gute alte Wasserdusche. Die neuen Schallduschen machten zwar gründlicher sauber, aber alleine schon wegen dem Nadelfichtenshampoo und der Bodylotionseife lohnte es sich, diese alte menschliche Tradition zu pflegen. "Hast du eigentlich Kontakt zur Bombay? Wo steckt Mutter überhaupt gerade?"
"Das letzte, was ich von ihr über das galaktische Netzwerk gehört habe stammt von Terra. Es sieht so aus, als hätten die Terrys Sandy für eine Kategorie eins-Mission direkt angefordert."
"Kategorie eins?", rief Lex überrascht und wäre beinahe in der Dusche ausgerutscht. Nur ein hastig von Karen errichtetes Kraftfeld hielt ihn auf den Beinen. "Alleine?"
"Nein, die Agentur hat ein Team aus einhundertvierzig Freelancern und dreizehn Schiffen aufgestellt, darunter zwei Kreuzer. Allerdings ist sie der einzige Mensch in der Truppe. Das war Bedingung. Deshalb wurdest du auch nicht ausgewählt."
"Das ist mir herzlich egal. Ich arbeite gerne für meine Mutter, aber nicht so gerne mit ihr. Ist mir ganz Recht so."
Er begann sich abzuspülen. "Hast du Details zu unserem Auftrag? Ein paar unwichtige Sachen nur, wie voraussichtliche Dauer, Missionsziele, zu erwartende Schwierigkeiten und dergleichen? Rudimentäre Fakten halt?"
"Ha, ha. Ich kriege gleich einen Kreislaufkollaps vor lauter Gelächter. Bisher sind mir nur zwei Fakten bekannt. Es geht wieder nach Optar zur Thungal-Ausgrabungsstätte."
"Wie nett. Also wieder Bodyguard und Obersheriff spielen?"
"Hastiger Junge. Du hast nicht auf Fakt zwei gewartet. Du sollst dort jemanden retten."
"Ach so. Ist die Ausgrabungsstätte endlich in der Hand der Rebellen? Haben sie es endlich geschafft? Wurde auch Zeit, wenn du mich fragst. Und jetzt sollen wir also all die Eierköpfe retten, die sie gefangen haben? Hätte der Professor auf meinen Rat gehört und die ganzen Ruinen einfach aus der Erdkruste geschnitten, um sie komplett auf einen ruhigeren Planeten zu verlegen, hätten wir diesen Ärger jetzt nicht."
"Nein, Lex. Du sollst nur einen retten. Den einzigen Wissenschaftler, der die Eroberung der Ausgrabungsstätte überlebt hat: Doktor Hynet Tarvol."
Lex spürte, wir ihm das Blut in den Kopf stieg. Gleichzeitig wurden ihm die Beine schwach. "Was? Wie viele haben sie getötet? Und warum lebt Hynet überhaupt noch?" Er ballte die Hände zu Fäusten. Nie hörten sie auf einen Freelancer, nie, nie, nie. Es war ja auch nicht so als hätte ein Freelancer die Erfahrung, das Wissen und die taktische Voraussicht, um einen guten Rat zu erteilen.
"Keine Sorge, Doktor Tarvol gehörte zur Nachhut, als die Tungal-Stätte geräumt wurde. Es hat lediglich achtzehn Söldner und drei Doktoranden erwischt. Doktor Tarvol lebt übrigens noch, weil ihre unverletzte Haut ihrem Vater derweil eine Viertelmillion Interlac wert ist."
Lex unterdrückte den Drang, anerkennend zu pfeifen und lautstark zu verkünden, dass er Hynet für eine Viertelmillion selbst entführen würde. Das hätte zwar dem Klischee entsprochen, das die Öffentlichkeit von ihm hatte, aber es war dem Ernst der Lage keinesfalls angemessen.

"Karen", sagte er leise, und öffnete die Fäuste wieder, "mach mich trocken."
"Sehr wohl, mein Herr und Meister." Ein heißer Luftstrom schoss aus dem Boden und nahm jedes kleine Tröpfchen Feuchtigkeit von seiner Haut und seinen Haaren mit sich.
"Und gib Nachricht an das Institut. Wir fliegen direkt nach Optar durch. Wir landen nicht vorher auf Lygavo. Wenn der Professor mir etwas zu sagen hat, kann er das per Überlichtverbindung tun."
"Sehr wohl, mein Herr und Meister. Zufällig habe ich alle Berechnungen für eine schnelle Durchquerung des Systems parat, inklusive eines Permits zur freien Passage."
"Ich liebe dich, Karen. Das weißt du, oder?"
"Natürlich, Lex Tobruk. Du liebst alles was zuverlässig, hochwertig oder einfach nur gut ist. All das trifft auf mich zu."
"Dem wage ich nicht zu widersprechen, Karen. Wo ist das Medikament gegen meinen Kater?"
"Habe ich dir bereits in einem heißen Nebelschwall verabreicht. Du kannst sofort in die Vollen gehen und die Mission vorbereiten."
"Ich liebe dich wirklich, Karen."
"Und gleich wirst du mich noch mehr lieben. Ich habe Frühstück gemacht."
Verblüfft sah Lex zur Kamera hoch, während er nach seiner frischen Borduniform griff. "Du hast Recht."
"Quod erat demonstrandum, Lex."
***
Während er frühstückte - es gab ein Frühstück für Männer, Müsli mit Milch, Kaffee mit Milchschaum und ein Glas Saft, der aussah und schmeckte, als würde er aus ausgepressten Orangen bestehen, was Lex angesichts des fortschrittlichen Recyclingsystems seines Schiffs, seiner Karen, jedoch arg bezweifelte - dachte er über seine Situation nach. Die Galaktische Föderation war ein Reich des Friedens, offiziell. Alle Völker, die in den Verbund aufgenommen wurden, hatten gefälligst friedlich mit ihren Nachbarn auszukommen und auch auf ihren eigenen Welten, Raumstationen oder Monden ein Mindestmaß an Recht und Ordnung aufzuweisen. Das war wichtig, um dem Zuzug von Leben eine Chance zu geben. Oder anders ausgedrückt, der totalen Durchmischung der knapp sechshundert bisher bekannten Rassen aus etwas über neuntausendsiebenhundert Staaten, die etwa eine Viertelmillion okkupierte Systeme umfasste. Davon waren etwa vierundfünfzigtausend mit natürlichen Sauerstoffwelten ausgestattet, die Leben zuließen wie Menschen es kannten, es kamen weitere dreitausend hinzu, die erst erschaffen worden waren, und dann noch einmal knapp zehntausend Welten, auf denen intelligentes Leben entstanden war, wie die Menschen es nicht gekannt hatten, bevor ihnen vor dreihundert Jahren der Schritt in das Überlichtzeitalter und damit in die Galaktische Föderation erlaubt worden war.
Wie gesagt, die verschiedenen Staaten und Rassen waren angewiesen, sich anständig zu benehmen. Und die letzte Rasse, die das missachtet hatte, die Kulvar, hatten es so weit getrieben, dass der eigentlich pazifistisch eingestellte Föderationsrat nach der neunten entvölkerten Welt erstaunlich unbürokratisch eine riesige Strafexpedition aufgestellt und das Kulvar-Reich in nur einem Jahr unterworfen hatte. Das war vor fünfzig Jahren, und die Verfahren wegen Völkermord gegen einzelne Kulvar-Soldaten und -Politiker liefen immer noch. Das war vielleicht eine viel größere Marter als die Eroberung ihres Reichs, ihre Entmündigung und die ziemlich rabiate Umerziehung eines Volkes von zwei Milliarden Individuen. Aber da die Alternative die absolute Ausrottung der Kulvar gewesen wäre, konnten sie eigentlich ganz zufrieden sein, fand, Lex.

Natürlich rückte nicht immer sofort eine ganze Flotte aus, wenn das eine oder andere Volk Probleme mit Frieden hatte. Oder mit dem Nachbarn. Oder beidem. Die meisten Konflikte verließen eher selten ein Sonnensystem, was ein Problem der Kategorie drei gewesen wäre. Hatte sich der Konflikt weiter als eintausend Lichtjahre von seinem Ursprungsort ausgebreitet, sprach man von Kategorie zwei. Waren in einen Fall der Kategorie zwei mehr als zwei Fraktionen involviert, sprach man von einer Kategorie eins.
Doch das waren alles noch kleine Fische in einer Galaxis, die fünfzigtausend Lichtjahre durchmaß. Das waren noch Aktionen für einen Freelancer. Freelancer wie er einer war.
Die einen betrachteten Freelancer als gedungene Mörder, als Söldner, und damit hatten sie nicht einmal Unrecht. Freelancer gab es in jeder Sortierung, von lizenzlosen Massenmörder über den Auftragskiller und den mietbaren Elite-Soldaten bis hin zu studierten Konfliktvermittlern mit Lizenz.
Natürlich war es verboten, sich ohne Lizenz in einen Konflikt einzumischen. Es war auch verboten, jemanden, der nicht aus dem eigenen Staat stammte, ohne Lizenz für ein Freelancer-Problem anzuwerben. Und natürlich war es auch nicht gerade leicht, eine Lizenz zu bekommen.
Um die Lizenzen kümmerten sich die Agenturen. Es gab viele von ihnen, tausende, über die Galaxis und deren Satellitengalaxien verteilt. Die Meisten von ihnen waren legal und bei der Föderation angemeldet. Oder sie wahrten wenigstens den Schein der Legalität.
Seine eigene Agentur, die Tobruk-Agentur für Hoffnungslose Fälle, war die einzige Agentur für Freelancer, die von Menschen gegründet worden war. Damals, vor fast dreihundert Jahren, als die Menschheit den Schritt zu den Sternen gewagt hatten. Damals war Tias Tobruk, Lex' Großvater, noch als Frachtfahrer unterwegs gewesen. Er war in einen internen Konflikt im Perseus-Sternhaufen gezogen worden, und er hatte eine der Parteien dank seines großen Herzens nicht alleine lassen wollen. Im Gegenteil. Die Menschheit galt damals als recht primitive und rückständige Rasse und hatte sich ihre Meriten erst zu erkämpfen. Es waren auch nicht wenige Stimmen laut gewesen, die gefordert hatten, die Mobilität der Terraner deutlich einzuschränken und ihnen keine Antriebe zu verkaufen, die weiter aus eintausend Lichtjahre reichten; aber das war Schnee von damals.
Kurz entschlossen, um seiner Aktion Legalität zu verleihen, hatte Tias Tobruk einen Antrag auf Agenturgründung gestellt und sich offiziell anwerben lassen, bevor die Agentur genehmigt und ihm überhaupt erst eine Lizenz erteilt worden war.
Das Ende vom Lied war, dass Tias gewonnen hatte, und damit auch ein ganzes Volk in einem Kategorie drei-Fall gerettet hatte. Stillschweigend hatte die Föderation dann die Agenturgründung zurückdatiert und umgehend Lizenzen erteilt, anstatt Tias und seine Freunde für ihre Eigenmächtigkeit zu bestrafen. Denn, und das war ein geflügeltes Wort in der Milchstraße: Wer siegt, hat Recht. Tias hatte gesiegt. Und damit hatte er eine Agentur gegründet, deren Ruf und deren Leistungsfähigkeit dreihundert Jahre später legendär war. Vierundachtzigtausend Freelancer gehörten ihr an oder hatten in den letzten dreihundert Jahren für sie gearbeitet. Davon waren mehr als zwei Drittel Fremdwesen, also Außerirdische.
Sie hatten die volle Bandbreite abgedeckt, angefangen beim einsam umher ziehenden Spezialisten mit umfassender Kampf- und Diplomatie-Ausbildung wie Lex sie besaß, über spezielle Kampfteams oder diplomatische Teams, bis hin zu ganzen Großschiff-Besatzungen.
Und der Erfolg gab der Tobruk-Agentur Recht; sie erreichten Aufträge aus bis zu zwanzigtausend Lichtjahren Entfernung, und das machte die Tobruk-Agentur zu einer A-Klasse-Agentur.

"Der Professor wäre jetzt für das Gespräch bereit", säuselte Karen.
"Stell ihn durch", murmelte Lex, noch immer halb in Gedanken versunken.
Über dem Tisch entstand ein Hologramm, das den Kopf des Pefovaren zeigte. Die Sprechmembran blähte sich, und sofort hörte er die gutturale, aber schlecht einzuordnende Stimme des Molluskwesen. "Lex Tobruk, ich grüße Sie."
"Professor Yglid Mahnter Partarro, ich grüße Sie auch. Wie ich erfahren musste, haben Sie nicht auf meinen Rat gehört und nun einen Kategorie vier-Zwischenfall am Hals?"
"Zu meinem Bedauern muss ich das zugeben. Aber die Gefahr, einen Teil der Artefakte bei einem Transport durch das Weltall zu beschädigen, war zu groß. Ohnehin sind unsere Forschungen abgeschlossen. Wir sind nun dabei, die nächsten drei bis fünf Jahre die gewonnenen Daten und Artefakte zu sortieren. Die Rebellen haben uns erwischt, als wir dabei waren das Thungal-Gebiet zu räumen und Optar zu verlassen. Deshalb gehe ich doch stark davon aus, dass sie es von vorne herein auf meine reizende Kollegin abgesehen hatten."
"Und jetzt steckt Hynet in der Scheiße", murmelte Lex.
"Doktor Tarvol", sagte der Molluske mit Betonung auf den Titel, "wird gegen eine Zahlung von einer Viertelmillion Interlac freigelassen werden. Ein entsprechendes Arrangement ist bereits getroffen. Ihr Elter hat bereits eine entsprechende Anordnung erlassen und das Geld in Kreditchips bereit gestellt."
"Ihr Vater", korrigierte Lex, der die Familienverhältnisse der Tarvols aus erster Hand kannte.
"Was auch immer. Ich möchte nun meinen eigenen Teil zum Geschehen leisten, Lex. Ich möchte, dass Sie überwachen, dass Doktor Tarvol auch tatsächlich freikommt."
"Wie langweilig. Soll ich sie nicht lieber selbst raus holen? Sollte eine Sache von zwei Tagen sein, dann sitzt sie im sicheren Orbit. Die Thungal-Administration achtet doch immer noch darauf, dass die Rebellen nicht an orbittaugliche Kampfgleiter kommen?"
"Ich kenne mich mit den wirtschaftlichen Daten nicht so aus, Lex. Das ist nicht mein Forschungsgebiet. Ich interessiere mich nur für die primitive Vergangenheit der Thungal. Und es war mehr als Pech, dass die alte Hauptstadt aus den Legenden, Thunga-Thol, ausgerechnet in jenem Gebiet liegen musste, das die Rebellen für sich beanspruchen."
"Was Sie nicht daran gehindert hat, mit Waffengewalt hinein zu gehen", spottete Lex.
"Artikel eintausenddreihundertfünf des Galaktischen Völkerrechts: Wissenschaftlichen Missionen in Konfliktgebieten, die von allen beteiligten Parteien genehmigt wurden, sind als strikt neutral zu behandeln. Es war nicht abzusehen, dass die Thungal-Rebellen zu solchen Gewaltmaßnahmen greifen würden."
"Aber es war abzusehen, dass Sie sich langweilen, Professor, weshalb Sie mich und achtzehn Freelancer sowie knappe zweihundert bewaffnete Söldner angeheuert haben, um mit Ihnen Schach zu spielen."
Der Pefovare räusperte sich umständlich. "Nun. Sagen wir es so, ich bin vielleicht uninteressiert, aber kein Vollidiot. Und Sie haben Ihre Sache ja auch sehr gut gemacht, Lex."
"Schmeicheleien bringen Sie auch nicht weiter. Ich bin bereits Ihr Mann, Herr Professor. Also eine Überwachungsmission. Habe ich darüber hinaus Handlungsfreiheit?"
Der Pefovare beugte sich vor. "Ich neige dazu, Fehler immer nur einmal zu machen, Lex. Auch ich lerne dazu. Und deshalb hören Sie mir jetzt ganz genau zu: Sollte die Mission nicht so laufen, wie wir uns das für den Idealfall vorstellen, dann haben Sie vollkommene Handlungsfreiheit."
"Vollkommene Handlungsfreiheit?" Lex pfiff anerkennend. "Sie lernen tatsächlich dazu."
"Also sind wir im Geschäft?"
"Herr Professor, wenn Sie sich die Mühe machen würden, den Kurs meiner Karen zu bestimmen, würden Sie feststellen, dass ich mich längst auf dem Weg befinde. Auf dem Weg nach Optar."
Das Gesicht des Mollusken veränderte sich zu jenem Eindruck, der Amüsiertheit bei seinem Volk bedeutete. Oder bei ihrem. Lex war sich nicht sicher, welche Seite des Zweigeschlechtlichen gerade dominierte. "Ich weise Ihrer Agentur den üblichen Vorschuss an, Lex."
"Ich bitte darum", sagte der Freelancer. "Wissen wir, wer das Geld übergeben wird?"
"Soweit ich weiß ein illegaler Freelancer namens Klefod Dahit."
Lex runzelte die Stirn. "Oh, Mist."
"Dahit mag illegal sein, aber er hat speziell bei Kampfaufträgen einen sehr guten Ruf", rechtfertigte Partarro die Entscheidung von Hynets Vater.
"Ja, das stimmt allerdings. Ich schalte jetzt ab, um mich auf die Mission vorzubereiten. Falls noch wichtige Fakten hinzu kommen, benachrichtigen Sie mich bis in zwei Stunden. Danach befindet sich die Karen im Schleichmodus, weil sie von Optar aus sonst zu orten wäre, da wir um die Sonne herum kommen."
"Ich werde das berücksichtigen. Ich breche die Funkstille nur in dringenden Notfällen. Partarro Ende."
Die Verbindung erlosch.

"Eieieieieiei. Das ist gar nicht gut."
"Was hast du, Lex? Dieser Dahit hat in der Tat einen guten Ruf. So gut, dass man bereits darüber nachdenkt, ihn zu lizensieren."
Lex lachte schnaubend. "Kein Wunder, denn Klefod Dahit ist ein Tarnname von Opa Tias. Ich selbst habe ihn auch schon ein paarmal verwendet, Karen. Und da ich davon ausgehen kann, dass sich Opa keinesfalls mit seinen dreihundertvierzig Jahren in eine Kampfrüstung gezwängt hat, frage ich mich ehrlich, wen Vater Tarvol da angeworben hat."
"Oh. Das macht aus der relativ sicheren Sache eine relativ unsichere."
Lex schnaubte leise. "Und das war die Untertreibung des Jahres. Ich bin in der Ausrüstungskammer. Ich habe das Gefühl, ich sollte diesmal besonderen Wert darauf legen, was ich mitnehme."
"Keine Einwände, Lex."
***
Die Ausrüstungskammer war der größte Hangar der Karen. Das gesamte Schiff war oval und maß im größten Durchmesser einhundertdreißig Meter, an der dünnsten Stelle immerhin noch achtzig. Das bot einiges an Platz, der für die Künstliche Intelligenz, den Sprungantrieb, die Normaltriebwerke, die künstliche Schwerkraft und einige weitere Dinge gebraucht wurde. Es blieb aber mehr als genügend Platz für eine luxuriöse Wohneinheit, einen exzellenten Weinkeller und eine eigene Bierbrauerei. Und natürlich für die Ausrüstungskammer, in der die verschiedenen Ausrüstungsgegenstände gelagert, gewartet und notfalls repariert wurden.
"Nimmst du den Hyjack?", klang Karens Stimme auf.
Lex sah zu dem vier Meter hohen, gepanzerten Exoskellet herüber, das er für Aufträge unter extremen Umweltbedingungen oder extreme Kampfsituationen verwendete. Der Hyjack versprach nicht nur eine der modernsten Stealth-Einrichtungen, die er sich leisten konnte, er war auch eine Waffenplattform, die eine ganze Kompanie ersetzen konnte.
"Ich nehme den Ticker. Du bleibst im Orbit, du und der Hyjack."
"Lex...", sagte Karen leise.
"Keine Beschwerde. Der Ticker reicht." Er deutete auf den Jagdgleiter, der ihm schon viele gute Dienste erwiesen hatte. Seine Beschleunigung, seine Manövrierfähigkeit und seine Bewaffnung waren für ein Raumvehikel dieser Größe gut. Zusammen mit seiner Erfahrung und seinen Reflexen machte sie das zu einem guten Team.
"Okay, aber nur unter Protest. Was nimmst du noch mit?"
"Eine komplette Tarnrüstung. Aber nicht den Jeep."
"Den würdest du mit dem Ticker ohnehin nicht mit runter nehmen können. Also Tarnrüstung. Ich stelle eine auf subtropisches Klima um und füttere den Tarnschemapuffer mit den Erkenntnissen vom letzten Einsatz", sagte Karen.
"Ich sehe, wir verstehen uns." Lex ging zu einem großen Schott im Hintergrund der Halle. Hier, in einem speziell abgesicherten Raum, bewahrte er die Handfeuerwaffen und die Granaten auf. Die Tür öffnete sich durch seinen Handabdruck und offenbarte ein gut gepflegtes Arsenal.
"Sekunde. Ich flute die Stickstoffatmosphäre nur schnell mit etwas Sauerstoff."
Geduldig wartete Lex, bis die Luft in der Atemkammer genügend Sauerstoff enthielt, um dem Standard zu entsprechen. Reinen Stickstoff zu atmen war eine dumme Idee. Aber die Waffen, die Munition und der Sprengstoff korrodierten ohne den radikalen Sauerstoff nicht.

Als ein Signal erscholl, trat er ein. Sein erster Weg führte ihn zu den Klingenwaffen. Er suchte sich ein Eledi aus, ein halbmeterlanges Vibro-Schwert, das durch Stahl wie durch Butter schneiden konnte. Dazu einen Vibrodolch von zwanzig Zentimetern Durchmesser und einer Akkuladung von vierzig Arbeitssekunden, was für eine Vibrationswaffe eine kleine Ewigkeit darstellte.
Dann ging er zu den Handfeuerwaffen herüber. Er suchte sich zwei handliche Thermopistolen mit Energiepacks für je eintausend Schuss aus. Ersatzmagazine erübrigten sich damit, außer er hatte vor, den ganzen verdammten Planeten zu erobern. Dann wandte er sich den Langwaffen zu und entschied sich für ein Stratos&Main Scharfschützenlasergewehr, dessen Teleskop und Spionsonden ihm schon mehr als einmal gute Dienste erwiesen hatten.
Schließlich stand er vor den Granaten. Er entschied sich für mehrere Blitzgranaten, Streubomben und Desintegratorpacks. Insgesamt vierzig der daumendicken Waffensysteme fanden den Weg in seine Ausrüstung. Den Abschluss machte eine holografische Mine von knapp dreihundert Gramm Gewicht, aber vollgepowert mit neuester Hightech.
"Erinnere mich daran, auf deine heutige Waffenauswahl hinzuweisen, wenn du wieder mit deiner diplomatischen Ausbildung angibst, Lex", spottete Karen.
"Oh, das sind alles Werkzeuge der Diplomatie. Richtig eingesetzt, natürlich.
"Natürlich", echote der Schiffscomputer amüsiert. "Kontakt oder kein Kontakt während der Mission?"
"Dauerkontakt. Und eine permanente Überwachung vom falschen Dahit. Du wirst mich warnen müssen, wenn er von meiner Anwesenheit weiß und mich eventuell sogar sucht. Amateure begehen schreckliche Fehler."
"Dem kann ich nur zustimmen. Auch du warst mal ein blutiger Amateur, Lex."
"Hm. Und ich habe mir meine Arroganz mit Blut, Knochenbrüchen und Schmerzen erarbeitet, oder? Ich bin jetzt der beste Freelancer im Umkreis von viertausend Lichtjahren."
"Ich würde eher tausend sagen - solange deine Mutter im Sol-System ist."
Lex lachte laut. "Okay, zugegeben. An Sandy reiche ich noch nicht ran. Vielleicht wenn ich einhundert Jahre mehr Erfahrung habe."
"Und dann sind da auch noch Timuk, Lebar und Conn. Nicht zu vergessen deine große Schwester Danii und dein großer Bruder Dimo."
"Also, Danii lasse ich gelten, aber Dimo stecke ich locker in die Tasche", beschwerte sich Lex.
"Nur im Kampf. Als Diplomat hat er dir einiges voraus."
"Ich dachte, wir reden hier nur über Kampf. Du hast meine Schwester erwähnt."
Für einen Moment schwiegen Schiffseigner und Künstliche Intelligenz. Dann lachten sie beide.
"Oh, der Witz wird doch nie alt", sagte Karen mit einem Kichern in der Stimme.
Lex räusperte sich verlegen. Es war vielleicht keine so gute Idee, über eine der besten Soldatinnen der Agentur dumme Witze zu reißen. Was, wenn sie - zu seinem Schutz - Abhöranlagen im Schiff integriert hatte, deren Protokolle abhörte und ihm den Hosenboden stramm zog? Immerhin stammten die Pläne für die Karen von ihr. Und was ihre beiden jüngeren Brüder anging, so war sie stark überbeschützend. Das hatte durchaus schon negativen Charakter für ihn gehabt, und auch für Dimo, der eigentlich mit siebzig Lebensjahren eine ausreichende Lebenserfahrung besitzen sollte.
"Schwamm drüber. Welchen Anzug hast du für mich bereit gemacht?"
"In Anbetracht der besonderen Mission und der individuellen Fähigkeiten der Thungal habe ich den Juggernaut bereit gemacht. Ein zweites Energiepack erhöht sein Operationsfenster von achtzehn auf sechsunddreißig Stunden. Ein zweiter Tarnanzug, ein Hermes, liegt bereit und wurde auf Doktor Tarvol abgestimmt. Er kann mit magnetischer Tasche an einem der Unterschenkel fixiert werden, ohne den Griff zu deinen Waffen zu behindern."
"Der Hermes hat nur etwa vierzig Minuten konstante Tarnleistung", tadelte Lex.
"Mag sein, aber er wiegt auch nur vier Kilo. Wenn ich deine Ausrüstung berücksichtige, dann sind vier Kilo schon sehr, sehr viel. Deine restliche Ausrüstung wiegt dreiundzwanzig Kilo, die du die meiste Zeit nicht mit dem Juggernaut kompensieren kannst. Vor allem nicht im Schleichgang, Lex."
"Die Nachteile moderner Tarnsysteme", murmelte der Freelancer. "Also gut, ich nehme den Hermes mit, für den Notfall."
"Hoffen wir, dass er nicht eintreten wird", sagte Karen.
Lex grinste dünn. "Glaubst du daran? Was meinst du, warum der Professor mich angefordert hat?"
"Gutes Argument."
"Finde ich auch."


2.
Eigentlich waren die Thungal eine sehr angenehme Rasse. Die entfernt Humanoiden, die man am Besten mit Zentauren vergleichen konnte, hatten meist ein sympathisches, wissbegieriges Wesen. Sie waren recht intelligent, die jungen aufstrebenden vierbeinigen Wesen mit den komplexen Greifarmen... Und hierin lag auch ihr größtes Problem. Sie waren nicht nur wissbegierig, lernfähig, sie adaptierten auch für ihr Leben gerne. Von der Menschheit, der ersten interstellaren Spezies, mit der sie Kontakt aufgenommen hatten, hatten sie etliche kulturelle Aspekte übernommen und sich zu eigen gemacht. Orchestermusik, Pferderennsport - ohne das ironisch zu betrachten - Populärkultur, und viele andere Dinge. Man sagte, ein Thema, mit dem sich ein Thungal beschäftigte, das beherrschte er in wenigen Wochen auch. Gerade aus diesem Grund waren einige der populärsten Musiker im Sternenreich der Menschen Thungal. Sicher nicht die Mehrheit, sicher nicht die größte Minderheit. Aber doch bemerkenswert viele, und mit bemerkenswertem Talent.
So war es auch in diesem Fall. Diese Thungal hatten das Konzept von Rechtsstaatlichkeit aufgegriffen. War ihre Staatsform zuvor eine absolutistische Monarchie unter dem weisesten, gerechtesten und fähigsten König gewesen, so forderten einige nun den kompletten Umbruch, Parteienwahlrecht, Parlamentswahlen, Regierung durch einen gewählten Staatspräsidenten, und einiges mehr, was nun absolut nicht in das Leben der Thungal passte. Darüber konnte man hinweg sehen. Man konnte sogar Wahlen veranstalten, zum Beispiel einen Volksentscheid für Demokratie, der natürlich furios scheitern musste, wenn der amtierende König noch weit beliebter war als ein Großteil seiner Vorgänger.

An diesem Punkt adaptierten diese Thungal einen völlig neuen Aspekt in ihre Leben: Die Durchsetzung nicht mehrheitsfähiger Konzepte durch Terrorismus und Guerilla-Tätigkeit. Und wie es die Natur der Thungal war, wurden sie in diesen Disziplinen mit der Zeit richtig gut.
Schon damals, im letzten Jahr, hatte Lex die Expedition des Professors davor gewarnt, dass sie als Fremdweltler ein begehrtes Propaganda-Ziel der Demokraten sein würden, dass ihre Vertreibung oder gar Ermordung als Erfolg gegen "die Überfremdung" ihrer Spezies angesehen werden würde. Aber sein Hauptvorschlag, die Ruinen entweder auf einen anderen Kontinent oder gleich nach Lygavo zu verbringen, was zwar aufwändig, aber nicht unmöglich gewesen wäre, war rigoros wegen der Sicherheit der Artefakte abgelehnt worden.
Nun, es war abzusehen gewesen, dass die Demokraten nach ihrem ersten Rückschlag erneut zuschlagen würden.
Und wieder hatten sie ein neues Konzept aufgenommen: Die Finanzierung ihrer militärischen Aktionen durch Erpressung und Entführung. Das war so absehbar gewesen, dass nur ein weltfremder Wissenschaftler, der seinen Elfenbeinturm nur an Feiertagen verließ, das nicht hatte sehen können. Und wer hatte den Preis bezahlt? Knappe zwei Dutzend Söldner und Doktoranden.

Lex unterdrückte ein resignierendes Seufzen, als er den schlanken Tipper senkrecht zur Atmosphäre  Optars ausrichtete. Er würde mit minimaler Geschwindigkeit eintauchen und damit die Reibung des Luftwiderstandes, der seinen schlanken Jäger sonst zu einer weithin leuchtenden Fackel gemacht hätte, auf ein absolutes Minimum reduzieren. Sein Urteil über die Demokraten, die das Ausgrabungsprojekt des Professors für ihre Propaganda-Zwecke genutzt hatten, war: Gefährliche Idealisten, aber miese Soldaten. Lex kannte den Ausrüstungsstand, den die Schutztruppen des Ausgrabungsorts gehabt hatten, und der war auf einem guten Level gewesen. Wenn also achtzehn von ihnen während dem Abflug hatten getötet werden können, gab es nur drei Möglichkeiten.
Nummer eins: Auf Kosten von vielen, vielen Thungal hatten sie die Söldner mit ihrer Masse schlicht überrannt.
Nummer zwei: Ihr Ausrüstungsstand war mittlerweile auf galaktischem Standard.
Nummer drei: Einer oder mehrere von ihnen hatten sich mittlerweile als taktische Genies entpuppt.
Es gab auch noch Nummer vier: Die Wahrheit war eine Mischung aus allen drei Varianten.
Der Abstieg in die Atmosphäre Optars, also in die Tropopause, dauerte etwa drei Stunden. In fünfzehn Kilometern Höhe beendete Lex den Sinkflug und steuerte sein Ziel an. Kontinent Ucklar, Region Taphi, die Thungal-Ausgrabungsstätte der alten antiken Königsstadt Thunga-Thol. Dabei hielt sich Lex knapp unter der Schallmauer, weil er es als sinnlos betrachtete, sich einerseits einschleichen zu wollen und sich andererseits mit einem Überschallknall, der weithin zu hören war, anzumelden. Das war eigentlich logisch, aber auch ein beliebter Anfängerfehler; viele Amateure dachten, wenn sie kurz vor der Zielregion vom Gas gingen, wäre das auch ein Anschleichen. Das Universum schickte sich dann meistens an, ihnen auf radikale Art zu erklären, was ein militärischer Vorposten war.

"Ich bin jetzt im Zielgebiet, Karen."
"Verstanden, Lex. Ich befinde mich wie vereinbart knapp unter dem Horizont. Soll ich unseren Funk unterbrechen, während du auf der Mission bist?"
"Ich denke, verschlüsseln wird reichen. Erstens benutzen wir eine nicht sehr übliche Frequenz, und zweitens dürften die Thungal mit dem Funkverkehr zum falschen Klefod Dihat gut ausgelastet sein. Überdies schwirrt hier in der Region ohnehin einiges an Hochfrequenzfunkverkehr herum, wie mir meine Messdaten anzeigen. Ein weiterer Stream fällt da nicht unbedingt auf."
"Aber du glaubst schon, dass sie dich erwarten?", hakte Karen nach.
"Natürlich glaube ich das. Ich würde ein Team runter schicken, um mich abzusichern. Ich hoffe, dieser Dihat ist auch nur annähernd so klug. Und schlau genug um anzunehmen, dass diese Thungal das auch erwarten."
"Es läuft also wieder auf die alte Geschichte raus. Konter, Gegenkonter, Technologie gegen Strategie, und so weiter."
Lex grinste. "Du kennst das Spiel ja. Kannst du mit der Passivortung feststellen, ob sich Jäger oder Hyjack-Rüstungen in der Region befinden?"
"Hyjacks sind möglich, obwohl ich keine aktiven Batterien anmessen kann. Und zumindest in der Luft ist nichts, was fliegen kann. Da halte ich dich aber permanent auf dem Laufenden."
"Hyjacks also. Ich sagte doch, diese Thungal lernen schnell dazu", knurrte er.

Eine Lichtung, nicht zu nahe, nicht zu weit entfernt, bot ihm die Chance für eine Senkrechtlandung mit dem Ticker. Er senkte das schlanke raumtaugliche Gefährt auf den Boden ab und deaktivierte die Triebwerke. Er verließ den Jäger, schaltete die Camouflage auf und befahl anschließend der unsichtbaren Maschine, mit Hilfe des Antigrav-Geräts auf Baumwipfelhöhe zu steigen. Nun musste schon ein wirklich dummer Zufall dazwischen kommen, damit der Jäger noch gefunden werden würde. Anschließend schulterte Lex seine Ausrüstung und machte sich auf den Weg zur Ausgrabungsstätte. Das subtropische Klima war hier besonders fruchtbar, weshalb ein üppiger Wald aus einheimischen Gigantgewächsen das Gelände umgab.
Je näher er kam, desto vorsichtiger wurde er. Als er zwei Kilometer Distanz erreichte, etwa zwei Stunden vor dem avisierten Termin, an dem Dahit landen und den Austausch vornehmen sollte, aktivierte er den Tarnmodus der Juggernaut-Rüstung. Anschließend begab er sich auf die breite Asphaltstraße, die zur archäologischen Fundstätte führte. Damit vermied er das älteste Dilemma der Unsichtbarkeit. Zwar konnte man nicht gesehen werden, dafür aber gehört, vor allem wenn man sich einen Weg durch Unterholz oder andere Pflanzen bahnte. Oder man konnte gesehen werden, indirekt, durch einen Wasserschleier, durch Fußspuren in aufgeweichtem Boden, durch abgebrochene, oder sich bewegende Äste, und so weiter, und so fort. Dabei war es so einfach, die Asphaltstraße zu nehmen. Da gab es keine Vegetation, keinen Matsch. Und künstliche Wasserschleier waren weithin sichtbar. Selbst wenn Drucksensoren in die Straße eingelassen waren, würde der Juggernaut deren Energie rechtzeitig anmessen und ihn warnen. Die Straße nicht zu benutzen war genauso ein Anfängerfehler. Die Straße zu benutzen und sich dann auch noch sicher zu fühlen, war hingegen ein Fehler für die Fortgeschrittenen. Der wichtigste Fehler aber war, nicht auf eventuellen Verkehr auf der Straße zu achten, der einen nicht sehen konnte, weil man unsichtbar war.

Nach anderthalb Kilometern kam er in Sichtweite der Ausgrabungen. Ihm blieb noch eine halbe Stunde bis zum avisierten Termin des falschen Dahits mit dem Lösegeld. Genug Zeit, um sich einzurichten. Er fand eine gute Position direkt neben der Straße, an einer Stelle, wo sie in die Tiefe auf die Sohle der Grabungsstätte hinab führte. Es war eine Art letzter höchster Punkt, und bot ihm einen Überblick über die freigelegten Pyramidenbauten und über die Zeltstadt, die ehemals von den Archäologen und ihren Schutztruppen bewohnt worden war. Zweifellos campierten nun die Demokraten hier. Es wurde Zeit, sich seine zwanzigtausend Interlac Bonus zu verdienen.
Lex ließ sich zu Boden gleiten, neben der Straße, auf einer Stelle, die aus bemoostem Fels bestand. Hier würde er keine auffälligen Abdrücke erzeugen. Dann nahm er das Scharfschützengewehr zur Hand und betrachtete das noch rund dreihundert Meter entfernte Gelände. Zuerst zählte er alle Thungal, die er sehen konnte. Schnell kam er auf beachtliche einhundertsieben Personen. Dann zählte er die Waffen, soweit er sie erkennen konnte. Das waren dreihunderteinundvierzig, davon fast zweihundert Granaten und Vibromesser. Lex zweifelte nicht daran, dass sie vom galaktischen Waffenmarkt stammten und es mit seinen eigenen Klingen aufnehmen konnten. Das war eine Menge Feuerkraft, und auch eine Menge Leute.
Hynet konnte er nirgends erkennen. Es hätte ihn aber auch ziemlich misstrauisch gemacht, wenn er die junge Terranerin frei durch das Lager hätte spazieren sehen können.
Aber er engte den Bereich, in dem sie sich befand, auf zwei Zelte ein. Beide hatten Wachen vor der Tür. Eines hatte auch eine Wache auf der Rückseite. Das musste Hynets Zelt sein. Also hatten die Thungal schon herausgefunden, dass die Frau Doktor ungewöhnlich findig war. Eventuell war sie ihnen bereits einmal durch die Zeltrückwand ausgebüchst, nachdem sie den Minicomputer des Zeltes gehackt hatte, damit dieser keinen Alarm gab. Das entlockte Lex ein fröhliches Grinsen. Ha, war er also nicht der Einzige, der mit der lieben Frau Doktor so seine Extrasorgen und Probleme hatte. Sicherheitshalber checkte er das Zelt mit dem Infrarotfilter, und konnte trotz der Überwachungsbarrieren feststellen, dass sich ein Infrarotschatten in ihm bewegte. Ja, das passte auch zu ihr. Wenn sie nicht festgeschnallt war, dann tigerte sie immer nervös umher, bis ihr jemand etwas zu tun gab. Lex hätte sie Kartoffeln schälen lassen, oder seinetwegen Thun-Hor-Wurzeln, den hiesigen Ersatz für die subterranische Knollenfrucht.
Sein nächster Blick galt der Patrouillenstruktur der Thungal, und schließlich sah er sich die Hyjacks der Demokraten genauer an, von denen er fünf entdecken konnte. Fünf, das war schon eine Hausnummer. Damit konnte man ein ganzes Bataillon regulärer Truppen aufwiegen. Ja, diesmal waren die Thungal erheblich besser vorbereitet. Die Crux an der Geschichte war jetzt einfach, ob und wie viel er zu tun bekam. Seinen Bonus verdiente er auch im Schlaf. Andererseits war es nicht seine Art, einen Freund im Stich zu lassen, und so nervig, altklug und arrogant Frau Doktor auch herüber kam, sie beide waren Freunde. Irgendwie. Okay, Hynet hatte ihm schon ein paarmal mit nützlichen Daten ausgeholfen, für ihn langwierige Recherchen betrieben, mit ihm Situationen diskutiert. Er schätzte ihren messerscharfen Verstand, und er sah überhaupt nicht ein, warum er in Zukunft darauf verzichten sollte. Soweit der Plan.

"Lex, er kommt. Es handelt sich um einen Kreuzer für dreißig Personen. Überlichttauglich, Bewaffnungskategorie B."
"Wie? Keine Atomwaffen?", fragte Lex spöttisch. Er hätte eine Kategorie A-Bewaffnung ausgewählt, ganz einfach um die Thungal mit einem zusätzlichen Faktor unter Druck zu setzen.
"Nur B. Aber reichen dir Antischiffs-Tachyonenwerfer noch nicht?"
"Sie sind so furchtbar schlecht darin, kleine Ziele zu treffen, Karen. Für eine Atombombe ist das kein Problem. Sie vernichtet einfach alles im Zielgebiet, sowohl große als auch kleine Ziele."
"Sehr witzig, Lex. Avisierte Ankunftszeit ist in achtzehn Minuten. Er kommt recht gemächlich runter, direkt über der Grabungsstätte. Jetzt gerade kündigt er sich über Funk an."
"Kannst du mitschneiden und die Stimme durch den Analyser jagen?", fragte Lex hoffnungsvoll. Theoretisch konnte es sich beim falschen Dahit um einen seiner Kollegen handeln, der sich den legendären Outlaw-Namen lediglich für die Mission geborgt hatte. Eventuell mit Opas Wissen.
"Nein, tut mir leid, keine Übereinkunft in der Datenbank. Zudem wird die Stimme gescrambled."
"Ich stelle fest, unser falscher Dahit ist kein vollkommener Idiot", sagte Lex.
"Lob den Tag mal nicht, bevor du das Abendleuchten siehst. Du müsstest das Schiff jetzt jede Sekunde sehen können."
Lex richtete sein Zielfernrohr gen Himmel. Und tatsächlich, da kam er herab geklettert, ein Kreuzer der Yorinaga-Klasse, auf der Erde gebaut. Ein typisches Freelancer-Schiff mit vielen flexiblen Möglichkeiten.

Über dem Lager entstand ein Energieschirm. Dies zwang den Freelancer, etwas abseits zu landen, mit erheblichem Abstand zum Lager. Kein dummer Schachzug, fand Lex. Der Kreuzer, auf dem rund geschwungenen Rumpf stand in verschnörkelten Lettern der Name Adeline, setzte auch brav außerhalb des geschützten Bereichs auf.
Ein kluger Schachzug, der die Adeline, und damit den falschen Dahit genau dorthin brachte, wo der Kommandeur der Entführer ihn haben wollte. Das konnte eine reine Sicherheitsvorkehrung sein. Das konnte aber auch der Auftakt für eine größere Aktion sein.  
Mit einem Seufzer stellte er das Stratos&Main-Scharfschützengewehr scharf. Zumindest er war bereit.
Bei der Adeline fuhr das Frachtdeck auf und bildete eine Rampe zum Boden. Auf der Thungal-Seite hatten sich derweil vierzig Schwerbewaffnete eingefunden, die eine lockere Formation bildeten. Auffällig daran war, dass auch die anderen Thungal in Aufruhr zu sein schienen. Sie bildeten in zweiter Reihe, teils hinter den Zelten, drei weitere Gruppen von noch einmal dreißig Mann.
Aus dem vorderen bewachten Zelt trat ein ungewöhnlich kleiner Thungal hervor, der von seinen Posten sofort flankiert wurde. Aha, das war dann also der Boss. Aus dem zweiten bewachten Zelt wurde eine humanoide Person abgeführt. Lex musste nicht einmal nachschauen um sicher zu gehen, wer da gebracht wurde; er hörte Hynet bis zu seiner Position schimpfen und fluchen.
Mittlerweile kamen etwa zwanzig gut ausgerüstete Soldaten die Rampe herab, die Waffen im Anschlag und auf die Thungal unter dem Schirm gerichtet. Vorweg ging ein großer Humanoider. Er trug keinen Kampfanzug und keine Waffen. Dafür aber eine wirklich hübsche, leicht überladen wirkende Phantasie-Uniform. Er lächelte gewinnend, und Lex nutzte die Gelegenheit für ein Foto.
"Karen, ich schicke dir ein Bild unseres falschen Dahit. Sieh mal zu, ob du was über ihn in den interstellaren Datennetzen findest."
"Okay, das kann aber etwas dauern. Das hiesige Stel-Net ist nur lichtschnell, und zudem auf Lygavo aufgebaut. Das macht achtzehn Minuten für eine Anfrage."
"Es ist nicht so, als wäre ich auf diese Information unbedingt angewiesen", murmelte er amüsiert. "Es geht los. Sie bringen Hynet nach vorne an den Schirm, und Dahit kommt mit seinen Leuten näher. Mit der Feuerkraft der Adeline im Rücken müssten sie eigentlich im Vorteil sein, aber ich kann mir nicht helfen. Da stimmt etwas nicht."
"Lex, ich messe gerade an, dass die Hyjacks hochgefahren werden. Bewegen sie sich?"
Der Freelancer kontrollierte das mit Hilfe seines Visiers. "Keine Aktivitäten bei den Hyjacks. Aber das müssten sie auf dem Kreuzer doch auch anmessen, oder?"
"Was, wenn sie erst reagieren, wenn sich die Exos bewegen, Lex?"
"Das wäre natürlich ein Zeichen ausgemachter Dummheit", erwiderte er.
"Das Schirmfeld wird abgeschaltet. Ich höre per Richtmikrofon mit. Der Anführer der Thungal verlangt die Kreditchips zu sehen. Dahit verlangt im Gegenzug, die Echtheit von Hynet überprüfen zu dürfen. Na, ganz so dumm ist der Junge dann wohl nicht. Der Thungal ist einverstanden, und nun gehen von jeder Fraktion jeweils einer der Leute auf die andere Gruppe zu. Der Thungal, der die Kreditchips checken wird, lahmt auf dem linken hinteren Bein. Wahrscheinlich eine alte Wunde. Ich behalte das im Hinterkopf. Auf Dahits Seite ist es ein Soldat mit Genscanner. Der Junge hat reichlich Angst und wagt sich nur langsam vor. Der Thungal hat da weniger Probleme. Der steht schon bei Dahit und überprüft die Chips und ihren Ladezustand.
So, jetzt ist der Söldner bei Hynet und überprüft ihre DNS. Die Prüfung verläuft positiv, wie es scheint. Der Söldner zieht sich zurück. Auch der Thungal ist zufrieden und kehrt wieder um."
Lex runzelte die Stirn. "Soweit scheint alles fair zu verlaufen, wenn man bei einer Entführung überhaupt von Fairness sprechen kann. Nun verhandeln sie, wie der Austausch zustande kommen soll. Es gibt leider keine dritte Partei. Ah, aber sie scheinen schnell zum Kernproblem zu kommen. Hynet soll rüber gehen, und wenn sie die halbe Entfernung geschafft hat, soll Dahit die Chips rüber werfen. Dann hüllen sich die Thungal wieder unter den Energieschirm. Klingt nach einer fairen Methode. Aber, ich glaube nicht daran."
"Du glaubst nicht an was, Lex?"
"Ich glaube nicht daran, dass dem Burschen eine Viertelmillion Interlac schon reichen. Und wenn das der Fall ist, dann erleben wir hier gleich ein tüchtiges Desaster."
"Oder du siehst zu schwarz, Lex."
"Hm?", machte der Freelancer. "Leider neige ich dazu, eher wenige falsche Fehleinschätzungen von mir zu geben."
"Eventuell ist das einer dieser wenigen Fälle."
Lex lachte. "Sicher. Und ich bin Freelancer des Jahres.
Jetzt bringen sie Hynet in Position. Ihre Bewacher lassen sie zurück, aber einer von ihnen zielt auf ihren Rücken. Jetzt bewegen sich auch die Hyjacks, und... DER ENERGIESCHIRM!"
"Lex? Was ist los? Ist etwas passiert?"
Hastig suchte der Freelancer die nähere Umgebung rund um die Adeline ab. Er glaubte nicht daran, dass der Energieschirm, der die Thungal schützte, zufällig entstanden war. Nein, dahinter steckte ein Plan. Und dieser Plan würde jetzt Anwendung finden.
"Schachmatt", kommentierte er resigniert. "Dahit hat einen Thermoblaster am Kopf und muss sich ergeben."
"Erstaunlich. Wie haben die Thungal das denn geschafft? Haben sich ihre Leute auf dem vorgesehenen Landeplatz eingegraben? Kamen sie aus dem Wald?"
Lex lachte leise. "Oh, es war eher die gute alte Geld schafft alles-Methode. Die Hälfte von Dahits Söldnern scheint nicht nur auf seiner Lohnliste zu stehen. Sie haben ihn überwältigt, und... Oh nein, nein, nein, Ihr Idioten, senkt doch nicht die Waffen! Jetzt ergeben sich auch noch die anderen. Und Ihr wollt Söldner sein? Oh, ich glaube es nicht! Jetzt werden die Söldner entwaffnet, und die Verräter nehmen auch noch die Adeline ein! Aber positiv ist, dass bisher noch niemand getötet wurde. Da hat wohl jemand gelernt, dass mehr Geiseln auch mehr Lösegeld bringen werden."
"Und jemand hat damit gerechnet, dass Söldner Geld sehr zu schätzen wissen, Lex", sagte Karen. "Wann soll ich dich aufnehmen?"
"Hm. Schwer zu sagen. Ich schätze, das wird einige Stunden dauern."
"Du ziehst dich nicht sofort zurück? Die Mission ist gescheitert."
"Dahits Mission ist gescheitert. Meine fängt gerade erst an. Ich bastle gerade an einem Plan. Und ich habe eine Menge Ideen. Wie passend, übrigens. Die Hyjacks unterstützen gerade die Eroberung der Adeline von außen. Nicht, dass sie viel ausrichten können, aber an eine Flucht zu Fuß denkt wohl keiner. Jetzt stellt sich nur noch eine Frage: Gehört die Adeline auch zur Beute, oder ziehen sich die Verräter mit ihr zurück?"
"Im Anbetracht der Umstände würde ich sagen, dass der Thungal-Anführer sehr geldgierig ist, und sich ein Raumschiff im Wert von achtzehn Millionen Interlac nicht entgehen lassen wird. Ist es eigentlich gerade eine schlechte Zeit, um dir zu melden, was meine Anfrage ans Net ergeben hat?"
"Es ist immer eine schlechte Zeit, also schieß los."
"Bei unserem falschen Klefod Dahit handelt es sich um niemand anderen als um Jumanga Tarvol, den älteren Bruder von Hynet. Er hat ein wenig Maske gemacht, aber nicht gut genug. Du kannst dir vorstellen, wie viel Lösegeld Bruder und Schwester gemeinsam einbringen werden?"
Lex lachte leise. "Der Professor hat mich nur beauftragt, Hynet zu retten, oder?"
"Lex, ich mag es nicht, wenn deine Stimme so einen Ton bekommt. Was planst du schon wieder?"
"Ach, nichts besonderes", erwiderte der Freelancer und tätschelte sein Lasergewehr. "Ich will nur die Herde ein wenig ausdünnen, und dann den Tag retten."
"So etwas habe ich befürchtet", erwiderte Karen resignierend. "Übernimm dich bitte nicht, Lex."
"Aber ich doch nicht."
"Übernimm dich auf gar keinen Fall!", präzisierte Karen.


3.
Nach der relativ unblutigen Eroberung der Adeline und der Gefangennahme des älteren Tarvols und seiner nicht bestochenen Söldner sowie der kleinen Crew des Kreuzers kehrte rasch wieder Ruhe ein. Die Gefangenen wurden ihrer Waffen entledigt und in einem großen Gebäude eingesperrt, das wohl auch zu Zeiten, in denen Thunga-Thol noch Königsstadt gewesen war, diesem Zweck diente. Die humanoiden Söldner-Verräter übernahmen deren Bewachung. Jumanga und Hynet wurden derweil in das Gefangenenzelt zurückgebracht. Natürlich nicht, ohne dass der ältere Bruder unter der Schimpfkanonade seiner kleinen Schwester ausgiebig leiden musste. Und, das musste Lex als Fachmann leider sagen, sie hatte mit dem Meisten Recht.
Nun, es herrschte keine vollkommene Ruhe. Die Hyjacks waren nun auf Patrouille, um etwaigen Zweit-Operationen vorzubeugen. Und, das fand Lex relativ fix heraus, während er den Funk der Patrouillen belauschte, es fiel kein Wort über ihn oder einen Freelancer, der in der Nähe sein sollte. Also wusste Jumanga entweder nichts von ihm, oder aber er war schlauer, als diese misslungene Aktion vermuten ließ.
Es wurde Zeit, aus der misslungenen Aktion eine gelingende zu machen.

Lex erhob sich, das Gewehr im Anschlag, und folgte der Asphaltstraße bis ins Lager. Dabei achtete er auf die üblichen Schweinereien, die vor Unsichtbaren warnen sollten, vom Wassertümpel, in dem plötzlich unerklärliche Bewegung war, bis hin zu Sprenkleranlagen, die sporadisch aktiv wurden. Er fand nichts dergleichen, nicht einmal Gewichtssensoren unter sich. So grandios der Thungal-Anführer diese Aktion durchgeführt hatte, so sicher schien er sich hier zu fühlen.
Lex war nicht nett genug, um einen Vorteil, der sich ihm bot, nicht auch anzunehmen.
Als er das eigentliche Lager erreichte, ließen sich Fußspuren nicht mehr vermeiden; aber im Lager wimmelte es ohnehin von Trittspuren im Lehm. Er musste nur vermeiden, dabei gesehen zu werden, wie er als Unsichtbarer Fußspuren hinterließ. Dank Karen machte er nicht einmal terranische Fußspuren, sondern hinterließ Thungal-Fußabdrücke, die sich an der Vierbeinigkeit der Spezies orientierten. Der Juggernaut war nicht umsonst einer der besten Tarnanzüge der Galaxis. Und Karen war nicht umsonst sein Raumschiff, seine Künstliche Intelligenz.
Der Freelancer kam recht zügig voran und erreichte schließlich Hynets Zelt. Selbst bis hier draußen konnte er sie schimpfen hören. Ihr Bruder antwortete nicht. Was hätte er auch sagen sollen, der arme Tropf, nachdem er die Sache so furios vermasselt hatte?
Lex grinste bei diesem Gedanken.
Die nächsten zehn Minuten verbrachte er damit, Hynets Tirade aufzunehmen, für später.
Dann schlich er sich an die Ostseite des Zelts heran. Der Thungal-Anführer ließ Eingang und Rückwand bewachen, aber nicht die Seiten. Zweifellos ging er davon aus, dass das von den regulären Wachen erledigt werden konnte. Und das war sein erster grober Fehler, und würde sicher nicht der letzte sein.
Lex etablierte einen Link mit dem Zelt-Computer. Aha, dank Hynet war das Ding besonders abgesichert und darauf programmiert, schon bei einem Kontaktversuch Alarm zu geben. Damit hatte er gerechnet, und seinen Link in der regulären Kommunikation mit dem Zentralcomputer eingebettet, damit der Zelt-Computer nicht erkennen konnte, dass ein Unbefugter auf ihn zugriff. Anschließend simulierte sein Juggernaut die Routine-Kommunikation, kurz bevor Lex das Zelt einfach ausschaltete.
Mit einem Vibromesser schnitt er die Plane auf. Er hoffte auf genau die drei Minuten, die er im Zelt brauchen würde, bevor der Schnitt entdeckt werden würde - wenn überhaupt. Anschließend huschte er ins Zelt, das mit einem Feldbett mehr als karg eingerichtet war, wurde sichtbar und bedeutete beiden Geschwistern sofort zu schweigen. Dann spielte er die Tirade von Hynet aus seinem Speicher ab, extra laut. Er öffnete seinen Helm und gab sich zu erkennen.
"Lex, verdammt!", raunte Hynet ihm zu. "Was zum Teufel machst du hier?"
Der Freelancer warf ihr den Hermes-Tarnanzug zu. "Dich retten, was denn sonst?"
"Und was ist mit meinem Bruder?", fragte sie sofort.
Lex wandte sich dem hageren Mann zu. "Ja, für den tut es mir leid. Professor Partarro hat mir nur aufgetragen, dich zu retten. Es konnte ja keiner ahnen, dass dein verehrter Bruder sich selbst in diese dümmliche Lage bringt."
Jumanga verbiss sich ein gequältes Lächeln. "Das kann ich nachvollziehen", sagte er.
"Los, zieh das Ding an. Und diesmal vertrau mir bitte, ja?"
"Ich gehe nicht ohne meinen Bruder!", zischte sie aufgebracht. "Er war vielleicht dumm und hat sich übertölpeln lassen wie ein Anfänger, aber er ist immer noch mein Bruder!", sagte sie so laut, dass man sie draußen hören musste.
"Ich kann auch wieder gehen", sagte Lex und aktivierte die Tarnung des Juggernauts.
"Nein!", sagte Jumanga hastig. "Nein, nicht! Natürlich wird sie mit Ihnen gehen! Hynet, sei nicht so dumm und höre auf ihn! Wenn dieser Lex der Lex Tobruk ist, von dem ich schon gehört habe, und von dem du mir erzählt hast, dann ist es eine sehr dumme Idee, ihm zu widersprechen, vor allem in dieser Situation! Zieh den Anzug an, Hynet! Bitte!"
Unsicher sah sie von ihrem Bruder zu jener Stelle, an der Lex unsichtbar stehen musste.
"Aber ich kann dich nicht zurücklassen", klagte sie.
"Vater kann ja diesmal gleich Lex Tobruk anfordern und mich befreien", konterte Jumanga.
"A-also gut, aber nur unter Protest." Sie begann das Bündel auseinander zu falten. Anschließend stieg sie in den leichten Hermes-Tarnanzug. Lex wurde wieder sichtbar, nickte Jumanga dankbar zu und überprüfte die Verschlüsse des Anzugs.
"Was jetzt passieren wird, erfordert einiges an schauspielerischem Talent. Sind Sie bereit dazu, Jumanga?"
"Was planst du eigentlich, Lex?", fragte sie ärgerlich.
"Oh, dieses und jenes. Ich habe hier ein paar Minen, eine gute Bewaffnung, und eine hervorragende Holo-Mine auf dem neuesten Stand der Technik."
"Ich glaube, jetzt wird es interessant", sagte Jumanga.
***
Als die Geschwister Bereitschaft signalisierten, sprang Lex aus dem Zelt hervor. Er hatte beide Thermoblaster gezogen und erschoss zielsicher die beiden Wachen. Kurz ging sein Blick umher, er schoss auf eine dreiköpfige Patrouille, die ihm zu nahe war. Dann kehrte er ins Zelt zurück und suchte mit Hilfe der Infrarotsensoren den Thungal, der die Rückseite bewachen sollte. Der befand sich gerade links neben dem Zelt, auf dem Weg zum Eingang. Lex erschoss ihn durch die Zeltplane hindurch. Er nahm sich einen Augenblick, um durchzuatmen. Was nun folgte, würde eine Menge, eine Riesenmenge Chuzpe benötigen. Noch mehr als das, es würde Blut aus Eis benötigen. In dem Punkt hatte er allerdings wenig Zweifel an Hynet.
"Ich aktiviere jetzt die Holo-Mine", sagte er ernst. Im Hintergrund jaulte Thungal-Alarm auf und scheuchte damit über einhundert Rebellen in Bereitschaft.
"Bringen wir es hinter uns", sagte Hynet gepresst. Jumanga nickte nur zustimmend.
"Es geht los", sagte Lex, aktivierte die Mine und ließ sie los. Sie verharrte etwa einen Meter in der Luft, bevor sie sich zu bewegen begann.

"Da! Sie brechen aus!", rief einer der Wächter und schoss auf die beiden fliehenden Humanoiden, die aus dem Gefangenenzelt hervor gebrochen kamen und in Richtung Waldrand liefen. Sie hatten etwa zwanzig Meter hinter sich gebracht, als beide unsichtbar wurden. "Sie haben Tarnanzüge!", meldete er hastig weiter. "Ein schweres und ein leichtes Modell!"
Die Rückantwort kam sofort. "Morek hier! Sucht sie! Findet sie! Setzt sie unter Druck! Das leichte Modell hat nur geringe Tarnkapazitäten! Sie werden seine Tarnzeit immer wieder unterbrechen müssen, um die Energiepacks zu schonen! Wenn wir sie von uns hertreiben, kriegen wir sie! Die Hyjacks sollen ihnen voraus eilen und den Weg versperren! Notfalls sollen sie dafür den Wald abbrennen!"
"Verstanden!"
Nur Sekunden später stand der kleine Thungal, der die Operation anführte, mitsamt einer Horde Bewaffneter im Gefangenenzelt. Indigniert musterte er Jumanga Tarvol. "Du bist noch hier", stellte er fest.
Jumanga lachte. "Wie bitte hätte ich auch zwei Tarnrüstungen verstecken können?"
"Das ist ein Argument. Also, was ist passiert?"
"Ein Freelancer ist gekommen. Er hatte einen Anzug für Hynet dabei, hat die Wachen ausgeschaltet und ist dann mit ihr geflohen."
Der Thungal rümpfte die Nase. "Er hat dich nicht mitgenommen?"
"Nein. Ich war nicht sein Auftrag."
Nun lachte der Vierbeiner gehässig. "Ja, das passt zu diesem verlogenen galaktischen Söldnerpack. Was sie tun, das tun sie für Geld. Gibt es kein Geld, tun sie nichts." Er schien für einen Moment nachzudenken. "Morek hier! Die leichte Rüstung müsst Ihr unbedingt um jeden Preis in die Hand bekommen. Sind die Hyjacks schon ausgerückt?"
"Ja, sie sind auf dem Weg. Sollen wir die Adeline bemannen und bei der Suche helfen?"
"Nur wenn einer von euch Idioten das Ding fliegen kann."
"Oh, daran habe ich nicht gedacht."
"Das habe ich gemerkt. Und jetzt haltet euch ran. Ich will die terranische Gefangene in spätestens einer Stunde wieder in meiner Hand haben."
"Verstanden!"
"Soweit so gut", murmelte der Anführer der Thungal-Demokraten. "Der Rest ist eine Frage der Zeit."
Er warf Jumanga einen fragenden Blick zu. "Du hast den Freelancer nicht zufällig erkannt? Einige von ihnen sind recht populär, sagt man."
"Es war Lex Tobruk, ein alter Bekannter meiner Schwester."
"Lex Tobruk? Wie erfreulich. Er hat uns letztes Jahr sehr zugesetzt, als wir zum ersten Mal versucht haben, die alte Königsstadt aus den Klauen der Galaktiker zu befreien. Ich habe geahnt, dass er zurückkehren würde, irgendwann. Es wird mir eine Freude sein, die Nachricht von seinem Tod zu vernehmen." Der Thungal wandte sich ab und verließ das Zelt wieder. Seine Männer folgten ihm. Deutlich konnte man hören, wie er einige von ihnen dazu abkommandierte, fortan das Zelt zu bewachen, und andere, um die Leichen der Toten abzutransportieren.

Hynet wurde wieder sichtbar. Neben ihr schälten sich die Umrisse von Tobruks Juggernaut hervor.
"Na, bis hierhin hat das ja gut geklappt", flüsterte sie. "Und was jetzt?"
"Wir warten", sagte Lex und setzte sich nieder. Aus den Tiefen seiner Ausrüstungstaschen zog er einen Schokoriegel hervor. "Auch einen? Hynet? Jumanga?"
Zögernd nahm sie die Süßigkeit entgegen. "Worauf warten wir, Lex?"
Der Freelancer grinste. "Die Holo-Mine wird den Thungal viel Spaß bereiten. Ich hoffe, so richtig viel Spaß. Und wenn es ihnen gelingt, sie einzufangen, dann fängt der eigentliche Spaß erst an."
Er sah die beiden Geschwister an. "Wer hat lieber eine Schusswaffe, wer bevorzugt eine Vibroklinge, und wie sieht es mit Granaten aus?"
"Was genau meinst du mit Spaß, Lex?", fragte Jumanga erstaunt. "Das interessiert mich jetzt wirklich sehr."
"Warte die Zeit ab", erwiderte Lex fröhlich und warf einen Blick auf seinen Chronometer. "Zehn Minuten, seit ich die Mine los gejagt habe. Und die Anzahl der Infrarotschatten ist bereits angemessen geschrumpft. Es kann nicht mehr lange dauern."
"Du wirst doch nicht etwa...?", fragte Hynet erstaunt.
"Wenn ich eine Rettungsaktion beginne, dann ziehe ich sie auch richtig durch", erwiderte er säuerlich. "Du kennst mich doch."
"Das war zu erwarten gewesen", klang Karens Stimme in seinem Anzug auf. "Ich soll nicht zufällig sofort rüber kommen?"
"Nein, das sollst du nicht, Karen."
"Ich habe es geahnt", seufzte die Künstliche Intelligenz.
***
Der Ring der Verfolger zog sich immer enger. Die leichte Tarnrüstung hatte nur ein schwaches Akkupack, weshalb die Frau immer mal wieder sichtbar werden musste. Und das in letzter Zeit immer öfter, auch weil der Waldbrand, der die beiden wieder in Richtung Ausgrabungsstätte trieb, immer größere Dimensionen annahm. Den Hyjacks machte das bisschen Feuer natürlich nicht viel, und auch der Juggernaut hätte ein längeres Flammenbad sicher überstanden. Doch sicher nicht der Hermes. Und deshalb war es nur noch eine Frage der Zeit, bis die beiden ergriffen werden konnten. Aber sie waren trickreich, beweglich und entschlüpften ihren Häschern immer wieder. Schnell war eine Stunde vergangen, dann anderthalb. Das reizte Morek so sehr, dass er jeden verfügbaren Mann zur Verfolgung abkommandierte, sogar die Hälfte der Söldner-Verräter.
Mit dieser gewaltigen Suchtruppe, fünf Hyjacks, den modern ausgerüsteten Söldnern und über einhundert Thungal, gab es für die beiden schließlich kein Entkommen mehr. Unter einem hundert Meter hohen Urwaldriesen wurde der Hermes-Anzug der Frau sichtbar, und verschwand auch nicht mehr. Nun deaktivierte auch der Juggernaut die Tarnung und ließ seine Waffe fallen. Er hob die Hände, um anzuzeigen, dass er bereit war aufzugeben.
"Wir haben sie gestellt, Morek. Was soll jetzt geschehen? Es sieht so aus, als würde der Freelancer aufgeben wollen."
"Bringt sie beide her", befahl der Anführer der Demokraten.
"Verstanden. Ergreift sie, entwaffnet sie, schält sie aus den Anzügen und bringt sie ins Lager!"
***
Als die Detonation erklang, sprang Lex auf. Wieder schoss er durch die Plane, tötete die beiden Wachen vorne und die dritte Wache hinten, aktivierte die Tarnung und verließ das Zelt durch den seitlichen Schnitt. Jumanga und Hynet folgten ihm ohne zu zögern.
"Aha, deshalb also Holo-Mine!", sagte Hynet laut, während sie mit ihrem Thermostrahler einen Wachtposten unter Beschuss nahm. Zimperlich war sie noch nie gewesen. Und sie hatte nicht vor, ausgerechnet heute damit anzufangen.
Ihr Bruder hatte das Scharfschützengewehr erhalten. Damit visierte er einen weiteren Posten an und erschoss ihn, bevor dieser wusste, was eigentlich gerade passierte. "Wohin jetzt?"
"Schnappt euch Morek!", kommandierte Lex. "Ich gehe deine Leute und die Crew der Adeline befreien!"
"Und du meinst, das schaffen wir?", fragte Hynet zweifelnd.
"Sprich nur für dich selbst", sagte Jumanga und eilte voran. "Ich für meinen Teil will heute auch mal etwas richtig machen!"
"Männer!", tadelte sie, aktivierte ihre eigene Tarnung und eilte ihrem Bruder als unsichtbarer Schutzengel hinterher.

Die Lage bei den Gefangenen war unübersichtlich, die vier Wachen sichtlich nicht informiert und konfus. Die Söldner und die Raumfahrer schienen etwas zu ahnen. Sie taten ihr Möglichstes, um die Aufmerksamkeit der Verräter auf sich zu ziehen.
Lex nahm es dankbar zur Kenntnis, als er unsichtbar auf das Gebäude zueilte. Dabei übersah er leider eine Wasserpfütze, und kaum das er hinein getreten war, wurde seine Position beschossen.
"Okay", murmelte er mehr zu sich selbst, "die sind schon ein anderes Kaliber." Er warf sich zur Seite, geriet hinter eine Steinmauer und zog eine der Granaten hervor. Er warf sie in Richtung der Verräter und wartete das helle Summen der Desintegrator-Wirkung, die Materie in Staub verwandelte ab, bevor er erneut aufsprang und weiter eilte.
Er hatte zwei der Wachen erwischt, ein dritter existierte nur noch zu einem Drittel. Der vierte Posten stand mit dem Rücken zur Wand. Nur, dort war keine Wand mehr. Bevor er sich versah, hatten die Gefangenen ihn hinein gezogen und überwältigt.
Lex besah sich die Bescherung genauer. Die Desintegrator-Granate hatte nicht nur zwei Wachen aufgelöst und eine dritte tödlich verletzt. Sie hatte auch einen Teil der Gitterwand aufgelöst.
Einer der Gefangenen, der gerade über den weißen, klebrigen Staub der Desintegrator-Rückstände kletterte, suchte nach einer Waffe.
Lex wurde sichtbar, winkte ihn und die anderen heran. "Keine Zeit für eure Ausrüstung! Ab zur Adeline!"
Die Söldner und Crewmitglieder nickten und stürmten an ihm vorbei, in Richtung der fernen Rampe. Der Mann von vorhin blieb bei ihm stehen und deutete hinter sich. "Freelancer, eh? Müssen aber auch immer übertreiben."
"Was beschwerst du dich? Du hast doch noch alle Gliedmaßen", erwiderte Lex grinsend.
Der Mann lief weiter, und der Freelancer suchte nach den Geschwistern.
***
Als Jumanga in das Zelt eindrang, wusste er, wieso er keine Wachen vor dem Zelt gesehen hatte. Sie waren alle hier drin, sie hatten ihren Besprechungstisch umgestürzt, und sie zielten auf ihn. Gleich drei Waffen, eine davon von Morek, hatten ihn fest im Visier.
Langsam nahm Jumanga die Arme hoch und ließ den Laser fallen. "Okay, dumme Idee. Sehr dumme Idee."
"Gefolgt von einer klugen Entscheidung. Senn, geh vor, nimm das Gewehr und erteile dann Herrn Tarvol eine Lektion darüber, was wir mit ausgebrochenen Gefangenen machen."
"Sofort!"
Aus dem Nichts summte ein Laserschuss, der Senn traf. Ein zweiter tötete Moreks zweite Wache. Schließlich schälte sich der Hermes aus dem Nichts hervor. Der Lauf der Thermopistole deutete auf den ungeschützten Nacken des Thungal-Rebellen. "Und jetzt wäre eine kluge Entscheidung, die eigene Waffe fallen zu lassen, Morek, und das ganz, ganz schnell. Ich bin keine besonders geduldige Frau."
Jumanga hob das Gewehr wieder auf. "Hör besser auf sie. Ich weiß genau wie sie ist, und das war eben keine Übertreibung."
Nun öffnete der Thungal die Finger und ließ seine Waffe fallen.
Hynet trat näher heran, drückte ihm die Mündung weiter in den Nacken und klopfte den Thungal nach weiteren Waffen ab. Bei den Hinterbeinen entdeckte sie Vibromesser, die sie an sich nahm. "Ich kann mir vorstellen, dass viele die Hinterbeine vergessen, nicht?"
"Einige", sagte Morek ausweichend.
"Ich gehöre nicht dazu. So, und jetzt voran mit dir. Unser Ziel ist die Adeline. Und wenn wir in zwei Minuten nicht da sind, lasse ich dich hier. Oh, ich meinte natürlich das, was von dir dann übrig ist."
"Ich gehorche", sagte der Anführer der Thungal mürrisch.
In diesem Moment bewegte sich die Zeltplane heftig, und Lex entstand aus dem Nichts. "Sehr gut. Ihr habt die Situation unter Kontrolle. Los, bringt ihn zum Schiff. Falls es eng wird, ist er unser Druckmittel hier raus."
"Wir sind schon eifrig dabei", sagte Jumanga fröhlich.
"Moment! Wenn sie hier ist, wenn der Freelancer hier ist, wen haben meine Leute da draußen gejagt?"
Tobruk lächelte zynisch. "Eine fliegende Bombe. Und sie haben sie gefunden, wie man hören konnte."
"Ihr verdammten Free...", begann er, aber die heiße Mündung von Hynets Waffe ließ ihn wieder verstummen.
"Los jetzt, Bursche", kommandierte sie. Und im Kommandieren war sie gut, richtig gut.

Als sie auf die Adeline zuliefen, war das Schiff wieder besetzt. Ein Hyjack betrat zwar die Szene, doch die Bordwaffen des Kreuzers machten ihm eindringlich klar, das er nicht erwünscht war.
Derweil eilten die drei Menschen mit ihrem Gefangenen auf die noch immer herab gelassene Rampe zu. Als sie nahe genug waren, aktivierte der Pilot der Adeline den Energieschirm des Schiffs, der sie mit einschloss und in Sicherheit brachte. Kurz darauf erklommen sie die Rampe zum Frachtraum, betraten das Schiff und spürten, wie es abhob.
Lex legte eine Hand in den Nacken des Thungal. "Wir brauchen ein paar Freiwillige, die unseren Freund hier wegsperren und bewachen!"
Die Hände aller Söldner schossen nach oben. Der Freelancer lachte laut. "Das überlasse ich dir, Jumanga. Ich muss jetzt zum Piloten, damit wir meinen Ticker aufnehmen, bevor wir abfliegen."
Zwei Minuten später sendete Lex die Freigabe an seinen Jäger. Daraufhin schälte er sich aus der Unsichtbarkeit. Es war höchste Zeit dafür, weil sich der Waldbrand näher fraß. Durch all den Rauch hätte auch die beste Tarnvorrichtung nichts genützt, und es waren immer noch vier Hyjacks mit ziemlich wütenden Piloten in der Gegend unterwegs. Die Adeline koppelte den Jäger an, dann versuchte sie den hohen Orbit zu erreichen.

"Himmel, wir haben die Kreditchips vergessen!", rief Hynet plötzlich.
Jumanga sah sie tadelnd an. "Du lebst doch noch, oder? Das ist doch mehr wert als eine Viertelmillion Interlac!"
"Das sagst du auch nur, weil du die Chips auch vergessen hast", erwiderte sie ärgerlich.
Grinsend hielt Lex den beiden den kleinen Beutel mit den Chips unter die Nase. "Aber ich habe es nicht vergessen. Ich habe mir die Chips schon vorher gekrallt, bevor ich zum Zelt kam. Ich dachte mir, es könnte eventuell einiges an Aufruhr geben, wenn jemand merkt, dass die Chips nicht mehr da sind, und wenn als Täter nur die eigenen Leute in Frage kommen." Er drückte die Viertelmillion Hynet in die Hände. "Oder war das falsch von mir?"
"Nein, nein. Oh nein, eine Viertelmillion ist immer noch eine Viertelmillion, egal was mein Bruder sagt."
"So habe ich das nicht gemeint. Ich sage ja nur, es ist eine riesige Menge Geld, aber dein Leben ist so viel wert, Schwesterherz."
"So. Hm. Vom Gong gerettet, würde ich da sagen."
Lex beugte sich vertraulich über Jumangas Schulter. "Da darfst du jetzt nicht drauf reinfallen. Sie tut nur so, um ihre Rührung zu überspielen."
"Ich weiß", antwortete er grinsend. "Meinst du, ich kenne meine eigene Schwester nicht?"
Unschlüssig sah Hynet von einem zum anderen. Dann warf sie die Arme in die Luft, wandte sich ab und sagte, während sie fort ging: "Männer! Du kannst nicht mit ihnen!"

"Karen?"
"Ich höre dich, Lex."
"Ich verabrede jetzt einen Rendezvous-Punkt mit der Adeline für dich. Dort übernimmst du den Ticker und mich."
"Du bleibst nicht an Bord?"
"Mein Ziel heißt immer noch Tharben, du erinnerst dich? Und dank Professor Partarro wird sowohl deine Aufrüstung als auch mein Urlaub etwas üppiger ausfallen."
"Ich erwarte dich dann am Rendezvous-Punkt, Lex."


Epilog:
Karen zog ihre Bahn aus dem Sonnensystem hinaus. Ihr Ziel war eine gute Werft, ein gutes Hotel und ein gutes Casino. Alles, was Lex derzeit zum Wohlfühlen brauchte. Abgesehen vom Nervenkitzel der Gefahr, unlösbaren Rätseln, heißen Gefechten und verzwickten diplomatischen Missionen. Na, vielleicht kühlte er etwas ab, wenn er einhundert oder älter war. Auch wenn sie das von einem Tobruk nicht erwartete. Nicht wirklich.
"Na, das hat sich doch gelohnt", sagte Lex. "Zwanzigtausend von Professor Partarro als Prämie, fünfzehntausend für die gelungene Mission, dazu noch mal achttausend von der Thungal-Monarchie für die Ergreifung eines hohen Terroristen, und obendrauf eine Prämie von weiteren zwanzigtausend für die Befreiung von Jumanga Tarvol, der sich hoffentlich nie wieder als Renegaten-Freelancer ausgeben wird. Dreiundsechzigtausend Interlac. Karen, plane schon mal für eine Kern-Erweiterung und diese teuren biologischen Interfaces, von denen du mir erzählt hast."
"Und du planst sicherlich schon für eines der teuren Casinos vor Ort, wo du so um die zwanzigtausend Interlac durchbringen wirst." Sie seufzte. "Dazu hast du ja auch jedes Recht. Aber eines finde ich dann doch schade."
"So?" Lex sah zur Kamera hoch. "Was findest du schade? Willst du vielleicht noch etwas generalüberholt haben?"
"Nein, nichts für mich, Lex. Ich finde es einfach nur schade, dass sich Doktor Tarvol nicht persönlich bei dir bedankt hat", erwiderte sie.
"Oh, das hat sie doch. Und das sogar richtig gut. Genauer gesagt kostet mich der Casino-Aufenthalt keinen Zehntel Interlac." Er grinste zufrieden und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. "Hynet hat ihren Jahresurlaub genommen und beschlossen, ihn im Four Stars-Hotel auf Tharben zu verbringen. Das Hotel mit Wellness, Fitness, großen Außensportflächen, angeschlossener Casino-Landschaft, und, und, und... Sie hat mich eingeladen, sie die nächsten drei Wochen zu begleiten. Sie übernimmt alle Kosten, auch das was wir im Casino verspielen."
"Okay, das nenne ich mal einen ordentlichen Dank. Aber bist du sicher, dass du das überlebst? Wir reden hier immerhin von Doktor Tarvol."
Lex schnaubte amüsiert. "Du weißt, ich liebe die Herausforderung. Und davon bietet Hynet mir jede Menge."
"Das stimmt allerdings. Und ein guter Freelancer scheut kein Risiko."
"Nein, das tut er nicht. Aber er scheut auch keinen guten Urlaub." Lex gähnte herzhaft. "So, ich gehe mal den Juggernaut, den Hermes und den Ticker warten, bevor ich ins Bett gehe. Mir ist gerade nach Routine, nicht nach Action."
Karen unterdrückte ein Lachen. Ruhiger wurde ihr Freelancer in diesem Leben sicher nicht. Aber er wurde besser, und das mit jedem Tag. Und das war gut so.
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