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Eine Welt ohne Weihnacht

von Stephan
Kurzbeschreibung
KurzgeschichteAllgemein / P6 / Gen
23.12.2011
23.12.2011
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Himmel, immer dieser Stress im letzten Monat des Jahres! Nicht auszuhalten war das! Kilian war genervt und machte kein Geheimnis daraus. Schon seit Wochen redeten seine Klassenkameraden über nichts anderes mehr. "Was bekomme ich zu Weihnachten", hier! "Wo fahren wir zwischen den Jahren hin", dort! Auch die Medien boten keine Zuflucht. Man konnte nicht ein einziges Internetforum mehr betreten, ohne über unzählbare weihnachtliche Threads zu stolpern, und sämtliche Radiosender spielten "Last Christmas" auf und ab. Kilian hielt es einfach nicht mehr aus! Früher, als er noch klein war, ja, da war Weihnachten noch schön - aber da hatte er selbst ja auch noch keinen Stress mit dem ganzen Trubel gehabt. Da gab es nur die Vorfreude, nicht mehr und nicht weniger. Vielleicht noch ein wenig Ungeduld, je näher der Heilige Abend rückte. Aber heute? Heute war Kilian vierzehn Jahre alt. Dass es den Weihnachtsmann nicht wirklich gab, hatte er längst herausbekommen. Inzwischen erwartete man von ihm, dass er sich aktiv an den Festtagsvorbereitungen beteiligte. Eltern, Cousins, Cousinen, Freunde, sie alle wollten mit einem Geschenk bedacht werden. Wie sollte da noch das Taschengeld für das neue "Super Mario 3D Land" ausreichen?
Immerhin einen Lichtblick gab es am Horizont. Heute war der 22. Dezember, der letzte Schultag vor den Weihnachtsferien. Noch war Kilian im Hebel-Gymnasium gefangen, aber in wenigen Minuten sollte die Glocke läuten und die Schülerinnen und Schüler in eine zweiwöchige Freiheit entlassen. Wenigstens etwas! Kilian würde dann durch die matschige braune Schneepampe nach Hause stapfen und noch schnell ein paar Weihnachtsbilder ausdrucken, die er als Weihnachtskarten für seine Familie verwenden konnte. Er würde gar nicht viel Zeit an die Suche verschwenden, sondern einfach die erstbesten Bilder nehmen, die auf Google beim Suchbegriff "Weihnachten" kommen würden. Danach würde er den Rest des Tages DVDs schauen, und zwar ganz bestimmt keine Weihnachtsfilme!
Endlich läutete es. Die Kinder zogen blitzschnell ihre Mäntel an und stürmten hinaus an die frische Luft, um nur schnell nach Hause zu kommen. Zum Abschied riefen sie sich gegenseitig fröhliche Weihnachtswünsche zu. Widerlich! Was sollte fröhlich sein an diesem Kommerz? Kilian versuchte, wegzuhören, so gut es ging, und stahl sich schnell nach Hause, in der Hoffnung, dort endlich seine Ruhe zu haben, doch aus dem gemütlichen Filmnachmittag wurde nichts. Stattdessen "durfte" der Junge seiner Mutter beim Schmücken des Weihnachtsbaums helfen.
"Sieht er nicht wunderschön aus?" sagte die Frau entzückt, nachdem das Werk vollbracht war.
"Ja, ja, passt schon", brummte Kilian. Innerlich dachte er daran, dass dieses Grünzeug ganze 30 Euro gekostet hatte. Und wozu? Damit es zwei Wochen lang in der Ecke steht und dann nur wieder weggeschmissen wird!
Das Telefon klingelte und riss den Jungen aus seinen Gedanken. Seine Mutter ging dran. Kilian hörte genau zu.
"Ach, Erna, du bist es! Schön, dass du anrufst! Wir haben gerade den Baum geschmückt! So schön wie schon lange nicht mehr!" Blablabla, schwafel, Rhabarber! "Frohe Weihnachten!"
"Frohe Weihnachten, pah!" rief Kilian. "Wieso wünscht man sich das eigentlich schon Wochen vorher mehrmals täglich? Einmal am Weihnachtsmorgen würde doch reichen! Man gratuliert doch auch nicht einen Monat im Voraus zum Geburtstag! Ach, ich wünschte, es gäbe kein Weihnachten mehr!"
Wütend ging er in sein Zimmer. Er beschloss, noch schnell ein paar Aliens in einem Computerspiel wegzuballern und dann ins Bett zu gehen. Je schneller dieses blöde Weihnachten kam, desto schneller war es auch vorbei.

Der Wecker schrillte. Müde öffnete Kilian die Augen einen Spalt weit und schielte auf die Uhrzeit. Es war halb sieben. Hatte er wohl vergessen, den Wecker auszuschalten. Nein, heute musste Kilian nicht aufstehen, es waren Weihnachtsferien! Er stellte den Alarm mit einem kurzen Schlag ruhig und zog sich die Decke wieder über den Kopf.
Bumm! Bumm!
Kilians Mutter klopfte an die Tür. "Schläfst du noch?" rief sie. "Du musst aufstehen!"
Was will die denn? Brennt es etwa? Himmel, es sind Ferien! Wenn es noch um irgendwelche Last-Minute-Einkäufe geht, dann soll sie entweder alleine gehen oder noch drei Stunden warten! Kilian tat so, als hätte er sie nicht gehört, und schloss wieder die Augen.
Die Mutter kam ins Zimmer und zog ihrem Sohn die Decke weg.
"Mama", brummte Kilian unwirsch.
"Du musst jetzt aufstehen", befahl die Mutter, "sonst kommst du zu spät zur Schule!"
"Mann, es sind Ferien", schimpfte Kilian, "also was soll das?"
"Da musst du dich im Datum geirrt haben", bemerkte die Mutter, "die Neujahrsferien fangen erst in einer Woche an."
"Äh, die was?"
"Die Neujahrsferien."
"Heißen die denn nicht mehr Weihnachtsferien?"
"Was soll das sein? Ferien, um Wein nachts zu trinken? Ihr Jugendlichen werdet auch immer verrückter! Also, hopp! Ich gehe jetzt zur Arbeit und du musst in die Schule!"
Sie zog ihren Mantel an, griff nach ihrer Handtasche und verließ die Wohnung. Kilian saß verwirrt im Bett und warf einen prüfenden Blick auf sein Handy. 23. Dezember, behauptete die Datumsanzeige. Als ein echter Schüler war er sich zu 100 % sicher, dass dies der erste Tag der Weihnachtsferien in Baden-Württemberg war.
"Die will mich doch veralbern", dachte Kilian laut.
"Ganz und gar nicht", erklang eine tiefe Stimme, "steh nur auf, dann wirst du es merken!"
Jetzt hörte er auch noch Stimmen! Wurde er etwa verrückt? Der Junge gab sich selbst eine schallende Ohrfeige. Immerhin, den Schmerz konnte er spüren, so klar bei Verstand war er also noch - und wach war er auch, spätestens jetzt! Also stand Kilian auf und wollte in die Küche gehen, um sich mit Frühstück zu versorgen. Doch halt! Als er ins Wohnzimmer kam, blieb Kilian stehen. Sah sich um. Rieb sich die Augen. Sah sich noch einmal um. Nein, das war keine Sinnestäuschung! Der Tannenbaum war tatsächlich weg! Aber das war doch nicht möglich! Kilian hatte doch am Vorabend noch persönlich dabei mitgeholfen, ihn zu schmücken! Hatte seine Mutter den Baum etwa nochmal weggeräumt? Weil Kilian sich so lautstark darüber beschwert hatte, dass der Weihnachtstrubel immer viel zu früh losgeht? Dann hatte sie die Sache aber gründlich erledigt. Sie musste sogar hinterher gesaugt haben, nicht eine einzige Tannennadel lag am Boden.
Beim näheren Inspizieren des Wohnzimmers fiel Kilian so langsam auf, dass nicht nur der Baum fehlte, nein, auch die Strohsterne waren aus dem Fenster verschwunden. Selbst den Adventskranz hatte seine Mutter weggeräumt. Also, das wäre ja nun auch nicht nötig gewesen! Ein Adventskranz darf ruhig schon vier Wochen vor Heiligabend im Zimmer stehen, das gehört einfach dazu! Aber gut, vielleicht war Kilian wirklich etwas heftig gewesen am Vortag. Heute Abend würde seine Mutter wieder nach Hause kommen, dann konnte man sicher über alles reden. Kilian beschloss, bis dahin in die Stadt zu gehen und vielleicht auch mal spaßeshalber bei der Schule vorbeizuschauen. Vorher aber erstmal frühstücken! Zwei Scheiben Toast mit Marmelade und Nutella, und dann noch ein Lebkuchen. Nanu? Keine Lebkuchen mehr da? Alle schon wieder aufgegessen? Na gut, ein Grund mehr, tatsächlich in die Stadt zu gehen: Um die Süßkramvorräte aufzufrischen!

Kilian ließ den Morgen langsam angehen. Bis er tatsächlich vor die Tür trat, war es schon nach neun. Zwischenzeitlich war noch eine SMS gekommen. Von Kilians Freundin, die in die gleiche Klasse ging. "Kommst du heute nicht?" stand darin. Die war aber ungeduldig! Die beiden waren zwar für diesen Tag verabredet, ja, aber erst am Abend, und nicht in aller Herrgottsfrühe! Kilian beschloss, erst einmal gar nicht zu antworten. Hätte seine Mutter ihn nicht geweckt, würde er um diese Zeit sowieso noch schlafen.
"Morgen, Kilian", rief die nette alte Dame von gegenüber, als sie den Jungen auf der Straße erkannte, "du bist heute aber spät dran! Keine Schule?"
"Ferien", antwortete Kilian.
"Ferien, Ferien", murmelte die Frau, "die sind dieses Jahr aber früh. Na, wie auch immer! Frohes neues Jahr!"
Wie bitte? Langsam wurde Kilian nachdenklich. Entweder, die Dame wurde langsam verrückt, was durchaus mit ihrem fortgeschrittenen Alter erklärbar wäre, oder sie steckte mit seiner Mutter unter einer Decke. Was für ein Streich sollte das werden? Kilian nickte der Frau zum Abschied zu und ging wortlos seiner Wege.

Als er von der Carl-Theodor-Straße aus in die Mannheimer Straße einbog, blieb Kilian stehen. Er sah nach links, nach rechts, nach oben und schüttelte den Kopf. Der ganze Weihnachtsschmuck war schon wieder abmontiert worden. Richtig kahl sah die Straße jetzt wieder aus, nachdem in den letzten Wochen leuchtende Girlanden von Haus zu Haus gehangen hatten. Man hätte die festlichen Lichter doch zumindest noch bis nach den Feiertagen hängen lassen können, aber offenbar wollte die Stadt Strom sparen.
Na, wie auch immer! Jetzt wollte Kilian erstmal seinen Lebkuchen haben, oder irgendeine andere weihnachtliche Leckerei, und so lenkte er seine Schritte in die nächstbeste Bäckerei. Doch was war das? Keine abgepackten Plätzchen mehr da, und auch keine Christstollen. Eine Sekunde lang dachte Kilian an panische Hamsterkäufe. Vielleicht hatte ja irgendein Verrückter mal wieder einen Weltuntergang vorhergesagt. Aber diese Möglichkeit schied aus, sonst gäbe es auch kein Brot und keine Brötchen mehr. Selbst die leckeren Schwetzinger Kracher waren noch körbeweise zu kriegen, und Süßwaren ebenso, allerdings nur ganz normale Kaffeestückchen, wie man sie auch unter dem Jahr jederzeit bekam.
"Kann ich Ihnen helfen?" fragte die Verkäuferin.
"Äh, ja", sagte Kilian hastig, nachdem er aus seinen Gedanken aufgeschreckt war. "Haben Sie noch Weihnachtsplätzchen?"
"Wir führen leider keinen Wein", bedauerte die Verkäuferin, "wir hätten hier noch Apfelsaft, Cola, Fanta ..."
"Ja, passt schon", seufzte Kilian und winkte ab. Er verließ die Bäckerei und verstand die Welt nicht mehr. Hatte er am Ende vielleicht Weihnachten verschlafen? Die Datumsanzeige auf seinem Handy hatte zwar etwas vom 23. Dezember behauptet, aber Kilian konnte sich genauso gut verguckt haben. Er zog das Mobiltelefon noch einmal aus seiner Manteltasche und warf einen prüfenden Blick auf das Display. Nein, kein Zweifel möglich, da stand "23. Dezember"! Aber vielleicht war das Datum ja falsch eingestellt.
"Entschuldigen Sie", fragte Kilian den nächstbesten Passanten, "welcher Tag ist heute?"
"Heute?" antwortete der Passant. "Freitag, der 23. Dezember, würde ich meinen."
Also doch! Aber was war dann bloß los mit der Welt? Der Junge ging weiter die Mannheimer Straße entlang und warf prüfende Blicke in alle Schaufenster. In einigen waren Glücksschweinchen und Schornsteinfeger aufgebaut, scheinbar Vorboten für Silvester, wirklich weihnachtlich sah aber keiner der Läden aus. Vor einem Schreibwarengeschäft war ein Ständer mit Grußkarten aufgebaut. Kilian sah das Angebot durch und fand neben Geburtstags- und Hochzeitsglückwünschen auch diverse Karten, die ein frohes neues Jahr wünschten, keine einzige jedoch, auf der so etwas wie "Fröhliche Weihnachten" stand. Dass sie alle ausverkauft sein könnten, glaubte der Junge inzwischen nicht mehr. Da musste irgendetwas anderes faul sein!
Plötzlich realisierte Kilian, dass er die Stadtkirche erreicht hatte. Er blieb vor der Eingangstür stehen und überlegte. Dieses Gotteshaus konnte ihm vielleicht Klarheit verschaffen: Wenn es noch einen Weihnachtsbaum in der Stadt gab, dann da drin! Den Christbaum neben dem Altar konnte man einfach nicht wegräumen! Jedenfalls nicht vor dem Gottesdienst am morgigen Heiligabend! Kilian griff an die Klinke und hielt ein. Er wusste nicht, ob er sich trauen sollte, die Tür zu öffnen. Was, wenn er da drinnen auch keinen Tannenbaum vorfinden würde? Würde er damit klarkommen? Sollte er nicht lieber zurück nach Hause gehen? Auf seine Mutter warten? Darauf warten, dass sie die Sache auflösen würde? Sicher war alles nur ein Missverständnis! Bestimmt gab es eine ganz logische Erklärung! Nein, es bestand kein Grund, einen Blick in diese Kirche zu werfen.
Kilian wollte sich gerade zum Gehen wenden, als ein älterer Herr die Straße entlang kam. Er steuerte genau auf die Kirche zu. Genau auf die Tür, vor der Kilian stand. Scheinbar wollte auch er das Gotteshaus besuchen. Der Junge kniff kurz die Augen zusammen, um bloß keinen Winkel des Innenraumes zu sehen, wenn der Mann die Tür öffnete, doch dann sagte er sich: "Nein! Was bin ich für ein Idiot! Was soll die Angst? Ich war doch schon zig Mal da drin! Also was ist dabei?"
Er atmete tief durch, dann folgte er den älteren Herrn in die Kirche. Hinter den beiden fiel die Tür mit einem lauten Rums ins Schloss.

Kilian betrachtete zunächst nur den Boden, doch schnell fasste er sich ein Herz und schaute auf. Er sah nach rechts und nach links. Zu beiden Seiten des Ganges standen die braunen Holzbänke. Menschen saßen nicht darauf, Kilian und der alte Mann waren die beiden einzigen Personen in dieser Kirche. Endlich wagte der Junge einen Blick nach vorne. Er erkannte den weißen Altar und dahinter das schöne Buntglasfenster. Er sah zur rechten Seite des Altars auch die prunkvolle Kanzel. Ein Weihnachtsbaum war allerdings nicht zu sehen, und auch ansonsten nichts, das auch nur im Entferntesten einen halbwegs weihnachtlichen Eindruck machte. Kilian seufzte.
"Bedrückt dich etwas, mein Junge?" fragte der Herr vorsichtig.
Kilian winkte wortlos ab.
"Kopf hoch", lächelte der alte Mann, "nächste Woche ist Silvester! Dann ist das Jahr zu Ende. Dann kannst du all deine Sorgen im alten Jahr lassen und unbeschwert in ein neues starten."
"Sagen Sie", merkte Kilian vorsichtig an.
"Ja?" fragte der Herr gespannt.
"Morgen", begann Kilian und zögerte etwas. "Morgen ist doch Weihnachten", sagte er schließlich. "Das wissen Sie doch auch, nicht wahr?"
"Weihnachten?" fragte der Mann verwirrt. "Junge, wovon sprichst du?"
"Na, Weihnachten eben", jammerte Kilian verzweifelt, "das Fest, an dem alle Menschen nett zueinander sind! An dem man seinen Liebsten Geschenke macht!"
"Nett, pah", winkte der alte Herr ab, "das schaffen die Leute doch das ganze Jahr lang nicht, warum sollte dann ausgerechnet irgendein Fest etwas daran ändern können? Und für Geschenke gibt's doch auch den Geburtstag!"
"Aber, ich ...", wollte Kilian fortfahren, doch er hielt inne. Er sah dem alten Mann ins Gesicht. Sah er wirklich so verwirrt aus, wie er tat, oder nicht doch eher auffordernd? Hoffend sogar?
"An Weihnachten stellt man sich einen Tannenbaum ins Zimmer", erklärte Kilian kurzerhand und war gespannt auf die Reaktion.
"Ach was", staunte der Herr, "wirklich? Unsinn! Warum sollte ein vollsinniger Mensch das tun? Da kann man genauso gut einen Waldspaziergang machen!"
"Und an Weihnachten isst man Lebkuchen", sagte Kilian.
"Kuchen leben nicht", belehrte ihn der alte Mann ernst. "Und damit du's gleich weißt, Grünschnabel: Auch Döner und Pizzen sind genauso tot, wie sie ungesund sind! Du möchtest mich doch nicht etwa an der Nase herumführen, oder doch?"
So langsam gingen Kilian die Argumente aus. Der Herr wandte sich zum Gehen.
"Also", sagte er zum Abschied, "frohes neues Jahr!"
"Und an Weihnachten feiert man die Geburt Christi!" rief Kilian in diesem Moment. Der alte Mann blieb stehen.
"Die Geburt von wem?" fragte er.
"Die Geburt von Jesus Christus", erklärte Kilian, "Gottes Sohn! Er kam in Bethlehem zur Welt, durch die Jungfrau Maria! Deswegen feiern wir Weihnachten, und aus keinem anderen Grund!"
"Ach so", murmelte der alte Herr, "ja, kann sein, dass wir das mal im Geschichtsunterricht kurz angeschnitten haben, so vor 50 oder 60 Jahren. Bist du sicher, dass das gleich ein Fest wert ist?"
"Neben Ostern das wichtigste Fest überhaupt", sagte Kilian entschlossen.
"Genau das wollte ich hören", sagte der alte Mann zufrieden. Er drehte sich wieder zu Kilian um, und erst jetzt bemerkte der Junge, dass der Herr genau so aussah, wie er sich früher immer den Weihnachtsmann vorgestellt hatte. Aber Moment, hatte der Herr wirklich schon die ganze Zeit so "weihnachtlich" ausgesehen? Nein, er musste sich eben unbemerkt verwandelt haben!
"Mein Junge", sagte der Mann und legte Kilian die Hand auf die Schulter, "ich weiß, was du denkst! Ja, ich bin der Weihnachtsmann! Und nein, ich verteile keine Geschenke - aber ich wache darüber, dass kein Mensch den Glauben an Weihnachten verliert!"
Kilian sah dem Weihnachtsmann beeindruckt in die freundlichen Augen.
"Weißt du", fuhr Santa Claus fort, "auch ich finde, dass die Menschheit das Weihnachtsfest zu sehr kommerzialisiert hat. Es ist nicht immer einfach, dem Weihnachtsrummel aus dem Weg zu gehen, und das kann nerven, da stimme ich zu. Deshalb aber gleich zu wünschen, dass es gar kein Weihnachten mehr gäbe, halte ich für übertrieben. Daher habe ich beschlossen, dir zu zeigen, wie die Welt ohne Weihnachten aussähe, damit du dich daran erinnerst, warum wir das Fest wirklich feiern. Dieses Wissen ist leider bei viel zu vielen Menschen in Vergessenheit geraten."
Kilian sah dem Weihnachtsmann ins Gesicht. Der Weihnachtsmann lächelte zurück.
"Danke", sagte der Junge leise. Aus dem Augenwinkel war ihm so, als stünde neben dem Altar der vertraute Tannenbaum.
Der Weihnachtsmann zog eine kleine dunkelblaue Pappschachtel aus seiner Manteltasche, die dezent mit silbernen Sternen bemalt war. "Feinste Lebkuchen aus der Weihnachtsbäckerei" stand darauf. Der Weihnachtsmann überreichte sie dem Jungen.
"Aber nicht vor der Bescherung", lächelte er. "Frohe Weihnachten!"
Und diesmal reagierte Kilian nicht genervt auf den Gruß. Er nahm die Lebkuchen dankbar an und lächelte zurück.
"Frohe Weihnachten", sagte er, "und danke für alles!"
 
 
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