Herbstimpression 2011
von Fortigan
Kurzbeschreibung
Projektbeitrag zu Herbstimpressionen 2011
GeschichteAllgemein / P6 / Gen
27.11.2011
27.11.2011
1
3.335
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Der Wecker klingelte am Dienstag den 11.10.2011 besonders früh. Um 6:00 Uhr war die Nacht zu Ende. Aber der Grund für das frühe Aufstehen machte die nur fünf Stunden Schlaf lohnenswert. Außerdem, was heißt nur? Fünf Stunden lagen im Vergleich der letzten Wochen eher etwas über dem Schnitt, sollten demnach also mehr als ausreichen. Aber erst einmal husten. Das würde mich ohnehin noch ein bis zwei Monate begleiten, als Folgeerscheinung der letzten Lungeninfektion. Doch wer am Samstag zuvor krank arbeiten kann, der hat wohl kein Mitleid verdient und ist auch gesund genug, um mit nur fünf Stunden Schlaf auszukommen. Aber wieso eigentlich um sechs Uhr aufstehen, wenn ich erst in drei Stunden bei Jade (meiner Freundin) sein muss? Falscher Gedanke! Der ist nur müdigkeitsinduziert, die Zeit werde ich mit Sicherheit brauchen. 6:10 Uhr … morgens nachdenken dauert zu lang, bringt auch nichts, kommt nichts Sinnvolles bei raus. Also aufstehen. Der erste Blick geht natürlich aufs Handy. Zum einen aus dem Grund, dass man in der Nacht einen Anruf oder eine SMS verpasst haben könnte, das hätte je nach Absender ein schlechtes Gewissen zur Folge, weil man nicht 24/7 erreichbar war; zum andern aber um die am Vortag verfasste Notiz zu öffnen, in der drin steht, was noch alles vor Abreise zu erledigen ist. Denn so früh morgens nachdenken dauert zu lang. Das weiß ich glücklicherweise schon abends.
Mein Handy verrät mir auch sofort, warum ich den Wecker für um sechs Uhr gestellt habe. Überweisungen, packen, Werkstatt, Auto aufräumen …
Auf geht’s. Schnell in die Klamotten gesprungen, geduscht wurde gestern Abend, inklusive gesonderter Körperpflege, was keinen was angeht und nur hier steht, damit meine Freundin und ich noch in zehn Jahren wissen, worum es geht.
Die längst überfälligen Überweisungen sind schnell erledigt; dank meines 'gepimpten' PCs mit einem wundervoll laufenden Gates´schen Betriebssystems ist die alte Möhre schneller startbereit als ich. Vielleicht noch 20 Minuten daddeln (Spieleszene: PC spielen)?
Packen ist auch kein Problem. Reisetasche auf, alles reinklatschen, was irgendwie sinnvoll aussieht, und zu das Teil. Das bedeutet zwar jedes Mal, dass viel zu viel mitgenommen wird, ist aber zeitlich betrachtet ökonomischer.
7:00 Uhr … entweder bin ich langsam oder die Zeit zu schnell. Aber noch habe ich genug davon, denn die Werkstatt macht erst um acht Uhr auf. Deshalb kann ich mich noch ein wenig ins Wohnzimmer setzen. Es begrüßt mich ein Duft von Zigarettenrauch, den mein Vater in Jahrzehnten des mühevollen Rauchens in der gesamten Wohnung verteilt hat. Vor allem als ehemaliger Raucher riecht man das Zeug echt überall, aber irgendwie mag ich den Geruch. Sind wahrscheinlich die Nachwirkungen der Sucht. Ich freu mich jedenfalls auf den Tag, an dem der Siff anfängt zu stinken. Im Fernsehen läuft auch nichts Gutes. Wenigstens etwas, worauf man sich verlassen kann.
7:30 Uhr … genug Zeit verplempert. Ich halt mich dort sowieso nicht mehr so gerne auf, weil mich die Zigaretten von meinem Vater immer wieder anlächeln und förmlich schreien: „Rauch mich!“.
Als nächstes steht Auto aufräumen an. Super Sache. Als ich den Innenraum genauer betrachte, fällt mir sofort auf, dass ich eigentlich noch saugen müsste. Außerdem noch die Armaturen und Mittelkonsole putzen. Und wenn ich schon dabei wäre, könnte ich auch die Scheiben innen reinigen … vielleicht sogar außen … Außen, von da sieht der Wagen auch nicht gut aus. Bräuchte dringend eine Wäsche. Die letzte ist bestimmt zwei Wochen her. Und wann hab ich den das letzte Mal poliert? Das ist wohl vor zwei Monaten gewesen. Ich bin echt eine Schlampe, sollte ich dringend wieder ändern.
7:35 und nur Gedanken darum gemacht, was eventuell zu tun ist. Den groben Kram aus dem Innenraum räumen und Kofferraum leeren muss für die Fahrt reichen. Zum Glück steht hinten noch ein Korb, der mit den Sachen gefüllt wird, die ich nicht mitnehmen möchte und dieser landet dann im Flur. Das wird meinem Vater mit Sicherheit nicht sonderlich gut gefallen, aber das Zeug jetzt noch bis ganz nach oben in mein Zimmer zu bringen, ist mir zu anstrengend. Als auch das erledigt ist, verlasse ich mein geliebtes Auto, an dem der Stern auch tagsüber funkelt.
Hunger habe ich immer noch keinen, also schnell im Bad erledigen, was zu erledigen ist, Sachen ins Auto bringen, noch mal die Handynotiz checken … und da erkenne ich den Fehler. Die Notiz ist länger als der Bildschirm. Beim Herunterscrollen steht „externe“. Fast hätte ich vergessen, die externe Festplatte von einem meiner Freunde zurückzubringen, die er mir am Abend vorher noch gegeben hat, damit ich mich mit ein paar Filmen für den Urlaub ausrüsten kann. Also wieder hoch ins Zimmer gesprungen. Leider ist keine Festplatte zu finden … kann aber eigentlich gar nicht sein, denn ich hatte sie ja gestern Abend zuletzt hier an meinem PC benutzt. Noch mal auf dem Bett gucken, unter den Papierbergen auf meinem Schreibtisch, in den Umzugkartons in meinem Zimmer. … Ich bin einfach nur blöd. Natürlich habe ich sie nicht in meinem Zimmer am PC benutzt … Filme von einer Externen auf einen PC zu ziehen und diesen mitnehmen zu wollen, wäre auch reichlich unsinnig. Die wurden natürlich auf mein Netbook kopiert und das habe ich im Wohnzimmer. Auf nach unten, den Zigarettenrauch ignorieren, das gesuchte Gerät, welches tatsächlich auf dem Esstisch liegt, gepackt und weiter runter zum Auto gelaufen. Einen Morgen ohne Hektik scheint es bei mir wirklich nicht zu geben. Ich sollte endlich aufgeben, da auf was anderes zu hoffen … dabei mach ich mir den Stress fast immer selbst.
Der Motor springt gut an, noch kurz vorheizen lassen, Gasanlage anschmeißen und los geht’s zur Werkstatt. Da diese im selben Ort liegt, ist die Strecke in zwei Minuten geschafft. Ganz dreist vor eines der Garagentore gestellt und nach dem Meister gesucht. Der läuft bestimmt irgendwo rum, denn im Büro sitzt der um die Uhrzeit nicht. Der TÜV Prüfer ist auch da …stimmt, ist ja auch Dienstag. Da ist bei meiner Werkstatt immer TÜV-Tag. Der Prüfer hat auch vor ca. zwei Monaten meinen Wagen über den TÜV gebracht … natürlich ganz ordnungsgemäß, sofern man die Bremskraft mit den Händen messen kann. Der Meister ist in der Garage, in der seit Jahren immer derselbe Traktor auf der Hebebühne steht. Ich frage nach neuen Zündkerzen, denn diese sind nach Eigendiagnose für das Ruckeln meines Motors verantwortlich.
„Da brauchst du spezielle Kerzen für, wegen der Gasanlage. Die hab ich nich hier. Die kann ich aber bis heut Mittag besorgen. Jetzt kann ich auch nich nachgucken, der TÜV is da un da hab ich keine Zeit.“
Das Thema hat sich also auch erledigt. Aber egal, der Wagen wird uns schon zuverlässig vom Westerwald bis nach Südbayern, danach bis nach Oberfranken und wieder zurück in den Westerwald bringen.
Die externe Festplatte ist wie verabredet in eine Tüte gepackt und wird auf den Stuhl an der Haustür meines Kumpels gelegt. Denn um 8:30 Uhr ist er definitiv noch nicht wach. Zumindest nicht in seinem kurzen Urlaub.
Und jetzt gibt’s kein Zurück mehr, los meine Freundin abholen und dann Richtung Südbayern zwei Freunde von ihr besuchen, die sie auf dieser Website kennen gelernt hat.
Die Strecke zwischen Jade und mir beträgt lediglich zehn Kilometer. Bei gutem Wetter ist diese schnell überwunden. Bei ihr angekommen, ist sie 'natürlich' noch nicht startbereit. Zwar bin ich fünf Minuten zu früh, jedoch ist schon abzusehen, dass diese fünf Minuten nicht ausreichen werden, bis sie fertig ist. Aber wir haben genug Zeit eingeplant, denn auf hetzen sind wir beide nicht scharf.
Doch das ist natürlich nicht die einzige Planänderung an diesem Morgen. Mein Handy klingelt und irgendwie weiß ich schon, bevor ich das Ding ausgepackt hab, wer es ist. Meine Mutter. Das höre ich am Klingeln! Nach einem kurzen Telefonat hat sich unsere Reiseroute um einen Haltepunkt erweitert. Meine Schwester, die mit ihrem arbeitslosen Freund eine Hartz-4-WG im Ruhrpott gegründet hat, hat zu Hause angerufen. Sie wurde vom besagten Arbeitstier aus der Wohnung geworfen. Natürlich springt meine Mutter sofort, um sie von dort abzuholen, ist ja nicht so, dass sie an ihrem 18ten Geburtstag einfach abgehauen ist und meinte, sie wolle nie wieder zurück kommen. Aber egal. Das ist nicht mein Problem ... Halt, doch ist es. Denn aus diesem Grund müssen wir noch einmal kurz bei meinen Eltern vorbeifahren um das Navi zurückzugeben, welches ich mir für die Fahrt leihen wollte. Ein weiter Umweg entsteht dadurch glücklicherweise nicht, denn das Navi wollte uns ohnehin zurück durch das Dorf leiten, wo meine Eltern und auch wieder ich wohnen. Aber fertig sind wir hier auch noch nicht.
Meine Mutter ist wie erwartet recht aufgelöst und erklärt mir kurz, was passiert ist, bzw. was sie glaubt, das passiert ist oder ihr zumindest von meiner Schwester erzählt wurde. Das Navi bleibt dort und somit geht’s mit dem von meiner Freundin weiter. Mit diesem kann ich mich zwar nicht so recht anfreunden, jedoch besser als gar keins. Denn nicht nur, dass ich keine Karten besitze, ich kann sie auch einfach nicht lesen.
Der nächste Halt ist erst in 1,5 Kilometern zu erwarten. Dort ist nämlich die Bäckerei, bei der wir uns mit Kram für die Fahrt eindecken. Im direkt anliegenden Markt noch ein paar Getränke. Jetzt können wir vielleicht etwas mehr als 15 Kilometer am Stück fahren.
Und so ist es auch. Die Tour verläuft sogar besser als geplant, kein einziger Stau hält uns auf. Sogar einen Porsche konnte ich auf der Autobahn alt aussehen lassen. Das liegt natürlich nicht daran, dass er nicht schneller als 130km/h fahren will, sondern der kommt einfach nicht an die pure Kraft meines Wagens ran und somit darf er sich mein Nummernschild von hinten ansehen, worüber ich mich freue wie ein sechsjähriger Junge auf Weihnachten.
Nach ungefähr fünf Stunden Fahrt kommen wir um zwei Uhr in Südbayern an. Den Wohnort von Jades Freunden haben wir uns beide etwas anders vorgestellt. Die Hauptstraße führt einmal quer durch den Ort und verläuft nicht durchgehend asphaltiert, sondern um ein Gebilde herum als Pflastersteinstraße, ist jedoch stark befahren, was wahrscheinlich an der Uhrzeit liegt. Ich habe mir die Gegend städtischer vorgestellt, denn allgemein finde ich die Landschaft und das Stadtbild sehr ländlich. Meine Freundin hat sie sich ländlicher vorgestellt. Das Interessante an diesen Interpretationen ist, dass ich seit je her ein Landkind bin und Jade schon immer in einer Stadt wohnt, wodurch eigentlich zu erwarten wäre, dass ich den Ort schon als riesig beschreibe und sie als dörflich. Leider helfen beide Ansichten nicht, einen geeigneten Parkplatz zu finden. Da Alex und Georg direkt an der Hauptstraße wohnen, wollen wir natürlich auch direkt an dieser parken. Zumindest ich will das und Jade widerspricht mir nicht. Also fahren wir die Straße runter, wieder hoch und beim zweiten Mal runter fahren, finden wir einen freien Platz in unmittelbarer Nähe unseres Ziels.
Jade ist sichtlich aufgeregt und freut sich auf die lang ersehnte Begegnung. Ich bin auch schon sehr gespannt, weil sie mir viel von den beiden erzählt hat. Es wäre fast schon gelogen, wenn ich verschweigen würde, dass ich nicht auch explizit auf Georg gespannt bin, weil er eine stärker ausgeprägte körperliche Behinderung hat. Davon hat Alex Jade in Emails berichtet. Dabei wurde deutlich, dass er geistig auf einem hohen Level spielt. Die Kombination aus körperlicher Behinderung und einem scharfen Verstand ist für die meisten Menschen, die nicht täglich damit zu tun haben, eben sehr spannend und ich gehöre zu diesen. Stolz bin ich nicht darauf, dass mich das so sehr beschäftigt, aber Menschen sind eben neugierig und sensationsgeil. Total abscheulich, finde ich.
Alex öffnet uns die Tür und empfängt uns in einer gemütlichen Wohnung. Im Esszimmer erwartet uns dann auch Georg. Ich muss ganz ehrlich zugeben, dass ich mir die Behinderung weniger schlimm vorgestellt habe. Und genau diese beiden Wörter sind es auch, die dafür sorgen, dass ich im ersten Moment, oder auch die ersten Momente, etwas überfordert bin mit der Situation. Behinderung und schlimm. In unserer Gesellschaft verbindet man diese Wörter zwangsläufig miteinander, wenn man nicht oft mit diesem Thema konfrontiert wird, denn was soll eine Behinderung sonst sein, außer schlimm?
Natürlich versuch ich mir das nicht anmerken zu lassen, umarme auch Georg zur Begrüßung. Positiv faszinierend finde ich seine freundliche Offenheit. Das erfährt man nicht allzu oft. Wir setzen uns alle an den Tisch, das Essen steht schon bereit, kann ich auch gut gebrauchen, denn so eine Autofahrt macht doch hungrig. Das merk ich aber meistens erst, wenn ich aussteige. Wäre vielleicht eine gute Abnehmmethode. Den ganzen Tag fahren und dabei keinen Hunger bekommen. Aber irgendwie wäre das wohl mit die teuerste Diät aller Zeiten.
Wieder muss ich mich ertappen, wie ich mein Verhalten gegenüber Georg anders gestalten will als bei anderen Menschen. Da Georg viel langsamer spricht als ich, bekomme ich den Drang, auch viel langsamer, lauter und deutlicher zu sprechen. Ich muss mich sogar zurückhalten, den Satzbau und die Wortwahl nicht derart anzupassen, als ob ich mit einem Kindergartenkind reden würde. Ich schäme mich wirklich für mich selbst, was für unbeholfene Gedanken in mir aufkommen. Hoffentlich merkt er das nicht …
Aber eins muss man Georg lassen. Durch seine Art und Wortwahl merkt jeder schnell, dass er zwar motorische Schwierigkeiten hat, sein Großhirn den meisten nicht behinderten Menschen jedoch einiges voraus hat. Und von der Gastfreundlichkeit und Offenheit können sich die meisten auch eine Scheibe abschneiden.
Alex hat uns ziemlich zu Anfang des Treffens 'gewarnt', dass Georg nicht zu bremsen ist, hat er einmal angefangen zu erzählen. Recht hat sie. In der ersten Stunde erzählt er uns mehr als die meisten meiner Freunde das an einem Tag gegenüber Unbekannten tun würden. Erst dachte ich mir: „Der arme Georg. Wenn er mit Alex unterwegs ist, steht er bestimmt nur in ihrem Schatten.“ Jetzt kann ich fast schon „die arme Alex“ sagen, denn bei Georgs Erzähldrang kommt sie nur schwer zu Wort. Er ist eben die geborene Eloquenz. Aber unglaublich süß sind die beiden. Wüsste ich es nicht besser, würde ich behaupten, sie sind frisch verliebt, erst vor kurzem zusammen gekommen. Aber wieso sollte frisch verliebt unbedingt vor Kurzem zusammengekommen bedeuten? Ich merke bei meiner Freundin, dass ich seit über acht Monaten täglich frisch verliebt bin.
Das Essen schmeckt übrigens sehr gut. Ciabatta mit Hähnchenbrust und Curry, soweit ich mich noch recht entsinne. Auf jeden Fall total lecker. Und zum Nachtisch gibt es Strudel mit Vanillesoße bzw. Pudding. Danach wird noch viel geredet und ich erkenne starke Parallelen zwischen Georgs und meiner Familie. Leider erfahre ich zu häufig, dass so etwas kein Einzelfall ist. Ich bin nach wie vor für den Elternführerschein. Dann würde die Menschheit zwar aussterben, aber wenigstens wären die letzten Generationen glücklicher.
Ein weiteres Highlight bietet uns Georg, über das wir alle mehr lachen als bei den besten Komödien. Er macht sich bereit zu sprechen, will uns etwas unbedingt mitteilen. Alle warten gespannt. Doch statt Worte, stößt er unbeabsichtigt auf. Ein kleines, aber perfekt in Szene gesetztes Bäuerchen. Einfach filmreif. Wir alle lachen was das Zeug hält. Ich fange immer mehr an, diesen Menschen wirklich zu mögen.
Hier dürfte sich zeigen, dass Alex eher 'in Georgs Schatten steht', denn obwohl sie auch ein wunderbarer und interessanter Mensch ist, toppt er das noch einmal. Und das liegt, ganz ehrlich, nicht an seiner Behinderung, sondern viel mehr an seiner Art, mit der er einfach fesseln kann. Selbst Jade ist viel aufgeschlossener als sonst. Georg hat´s einfach drauf.
Die Ausbildungsgeschichte von den beiden ist auch erzählenswert, vor allem, weil sie sich dort kennen gelernt haben. Das werde ich aber hier nicht weiter ausführen, da es den Rahmen sprengen würde und es mir zudem nicht zusteht, ungefragt über die Lebensgeschichte anderer zu sprechen.
Eine Weile später gehen wir spazieren, dass Wetter passt bestens dazu. Jetzt lernen wir auch den ländlichen Touch von dem Ort kennen, denn keine 500 Meter Fußweg und wir befinden uns auf einem Weg in Richtung Wald und Felder. Sogar der sehr männliche Ochse steht, wider Erwarten, auf seiner Wiese. Leider so weit vom Zaun entfernt, dass wir keinen genauen Blick auf seine von Alex angepriesene Männlichkeit erhaschen können.
Auf dem Weg in Richtung Wald, entlang der Felder, sorgen ein Mann und ein Kind, die einen Drachen steigen lassen, für Verwirrung, denn für Jade und Alex war nicht klar, ob es sich dabei um ein Pferd oder zwei Menschen handelt. Ansonsten hat sich uns noch der Dorfsee als besondere Sehenswürdigkeit geboten. Insgesamt eine sehr hübsche Gegend. Zu Hause finde ich es dennoch am schönsten, weil ich einen perfekten Ausblick auf das Rheintal genieße und daher äußerst verwöhnt bin, was die Aussicht angeht.
Anschließend gibt es Abendessen. Eigentlich sind wir jetzt schon zu spät dran, aber da Alex extra Sachen für uns besorgt hatte und der Drang von dort wegzufahren eher gering ausfällt, bleiben wir natürlich noch.
Dabei entdecke ich eine weitere Gemeinsamkeit mit Georg, über die ich mich sehr freue. Er isst, genau wie ich, nicht Brot mit Belag, sondern Belag mit Brot. So finden sich zwei Scheiben Käse und gut fünf kleine Scheiben Salami auf einer Scheibe Brot. Endlich habe ich den Beweis für Jade, dass ich nicht der einzige bin, der aus einer Brotscheibe einen feudalen Genuss kreiert.
Um ungefähr 20 Uhr verabschieden wir uns von Alex und Georg, da wir für 21 Uhr bei meinen Verwandten im 300 Kilometer entfernten Oberbayern angemeldet sind. 300 Kilometer in einer Stunde macht durchschnittlich 300km/h. Wie gut, dass wir in Deutschland keine allgemeine Geschwindigkeitsbegrenzung kennen. Also noch vorher schnell tanken, Nachbrenner einschalten und los geht’s … Tanken … wo ist hier eine Tankstelle? Zum Glück haben wir ja Jades Navi mit. Und sofort weiß ich wieder, warum ich dieses Gerät nicht leiden kann. Anscheinend ist es ihm auch schon zu spät geworden, denn zum Verbindung aufbauen hat es erst einmal so ziemlich gar keine Lust. Aber Geduld ist eine Tugend und so haben wir nach ca. fünf Minuten endlich ein Signal. Schnell die nächste Tankstelle als Ziel eingeben. „Links abbiegen, rechts abbiegen, in 200 Metern rechts abbiegen, links abbiegen“ … Halt, hier gibt es kein links abbiegen. Entweder ist der Ort erst ein paar Jahre alt, oder das Kartenmaterial stammt aus der Zeit, als Bayern noch ein Königreich war … der Hass auf dieses Stück Plastik mit Chip steigt.
30 Minuten und die Wegbeschreibung eines Einheimischen später ist das Tankmanöver erfolgreich abgeschlossen. 300km in 30 Minuten, bedeutet 600km/h. Ich rufe schon mal die Tochter des Bruders meines Opas (Wie ist die nun eigentlich mit mir verwandt?) an und sage ihr, dass wir uns etwas verspäten. Eine kleine Pause auf halben Weg muss auch noch sein, bei der mir eine äußerst freundliche Mitarbeiterin beim Subway noch etwas macht, obwohl sie schon seit fast zwei Stunden frei hat.
Ungefähr gegen 23 Uhr kommen wir an unserem zweiten Ziel des Tages endlich an.
Und hier endet nun auch diese Herbstimpression, denn wenn ich noch die anderen Tage zusammenfassen will, lad ich das alles erst im Herbst 2012 hoch. Irgendwie fehlt mir die entscheidende Motivation für Schreiben als Freizeitbeschäftigung. Nicht, dass ich es langweilig finde, aber vieles macht eben mehr Spaß. Ich habe Lust, Lust zum Schreiben zu haben.
Was ich aber auf jeden Fall noch zu diesem Treffen loswerden möchte ist, dass ich eine Menge über mich selbst gelernt habe. Wie ich schon im Text erwähne, resultierte das Interesse daran, die beiden zu sehen, auch aus Georgs Behinderung. Das kann man, meiner Meinung nach, niemandem zum Vorwurf machen, da 'Andersartigkeit' nun einmal eine gewisse Faszination auf Menschen ausübt. Man erwischt sich immer wieder bei diesem gefährlichen Schubladendenken. Behinderung = schlimm = andere Behandlung.
Aber aus Fehlern kann man lernen. Georg hat mir eindrucksvoll gezeigt, dass Leute mit einer körperlichen Behinderung geistig sehr wohl ganz normal sind. Jeder, der einen solchen Menschen auf der Straße sieht und anstarrt, sollte sich vor Augen halten, dass ebendieser womöglich genau so denkt wie man selbst und wer wird schon gerne angestarrt? Wer mit solch einer Einstellung Probleme hat, sollte sich an Alex wenden, denn ihr ist es möglich, die Behinderung nicht als Ausschlusskriterium zu interpretieren, noch nicht einmal für eine Beziehung.
Mein Handy verrät mir auch sofort, warum ich den Wecker für um sechs Uhr gestellt habe. Überweisungen, packen, Werkstatt, Auto aufräumen …
Auf geht’s. Schnell in die Klamotten gesprungen, geduscht wurde gestern Abend, inklusive gesonderter Körperpflege, was keinen was angeht und nur hier steht, damit meine Freundin und ich noch in zehn Jahren wissen, worum es geht.
Die längst überfälligen Überweisungen sind schnell erledigt; dank meines 'gepimpten' PCs mit einem wundervoll laufenden Gates´schen Betriebssystems ist die alte Möhre schneller startbereit als ich. Vielleicht noch 20 Minuten daddeln (Spieleszene: PC spielen)?
Packen ist auch kein Problem. Reisetasche auf, alles reinklatschen, was irgendwie sinnvoll aussieht, und zu das Teil. Das bedeutet zwar jedes Mal, dass viel zu viel mitgenommen wird, ist aber zeitlich betrachtet ökonomischer.
7:00 Uhr … entweder bin ich langsam oder die Zeit zu schnell. Aber noch habe ich genug davon, denn die Werkstatt macht erst um acht Uhr auf. Deshalb kann ich mich noch ein wenig ins Wohnzimmer setzen. Es begrüßt mich ein Duft von Zigarettenrauch, den mein Vater in Jahrzehnten des mühevollen Rauchens in der gesamten Wohnung verteilt hat. Vor allem als ehemaliger Raucher riecht man das Zeug echt überall, aber irgendwie mag ich den Geruch. Sind wahrscheinlich die Nachwirkungen der Sucht. Ich freu mich jedenfalls auf den Tag, an dem der Siff anfängt zu stinken. Im Fernsehen läuft auch nichts Gutes. Wenigstens etwas, worauf man sich verlassen kann.
7:30 Uhr … genug Zeit verplempert. Ich halt mich dort sowieso nicht mehr so gerne auf, weil mich die Zigaretten von meinem Vater immer wieder anlächeln und förmlich schreien: „Rauch mich!“.
Als nächstes steht Auto aufräumen an. Super Sache. Als ich den Innenraum genauer betrachte, fällt mir sofort auf, dass ich eigentlich noch saugen müsste. Außerdem noch die Armaturen und Mittelkonsole putzen. Und wenn ich schon dabei wäre, könnte ich auch die Scheiben innen reinigen … vielleicht sogar außen … Außen, von da sieht der Wagen auch nicht gut aus. Bräuchte dringend eine Wäsche. Die letzte ist bestimmt zwei Wochen her. Und wann hab ich den das letzte Mal poliert? Das ist wohl vor zwei Monaten gewesen. Ich bin echt eine Schlampe, sollte ich dringend wieder ändern.
7:35 und nur Gedanken darum gemacht, was eventuell zu tun ist. Den groben Kram aus dem Innenraum räumen und Kofferraum leeren muss für die Fahrt reichen. Zum Glück steht hinten noch ein Korb, der mit den Sachen gefüllt wird, die ich nicht mitnehmen möchte und dieser landet dann im Flur. Das wird meinem Vater mit Sicherheit nicht sonderlich gut gefallen, aber das Zeug jetzt noch bis ganz nach oben in mein Zimmer zu bringen, ist mir zu anstrengend. Als auch das erledigt ist, verlasse ich mein geliebtes Auto, an dem der Stern auch tagsüber funkelt.
Hunger habe ich immer noch keinen, also schnell im Bad erledigen, was zu erledigen ist, Sachen ins Auto bringen, noch mal die Handynotiz checken … und da erkenne ich den Fehler. Die Notiz ist länger als der Bildschirm. Beim Herunterscrollen steht „externe“. Fast hätte ich vergessen, die externe Festplatte von einem meiner Freunde zurückzubringen, die er mir am Abend vorher noch gegeben hat, damit ich mich mit ein paar Filmen für den Urlaub ausrüsten kann. Also wieder hoch ins Zimmer gesprungen. Leider ist keine Festplatte zu finden … kann aber eigentlich gar nicht sein, denn ich hatte sie ja gestern Abend zuletzt hier an meinem PC benutzt. Noch mal auf dem Bett gucken, unter den Papierbergen auf meinem Schreibtisch, in den Umzugkartons in meinem Zimmer. … Ich bin einfach nur blöd. Natürlich habe ich sie nicht in meinem Zimmer am PC benutzt … Filme von einer Externen auf einen PC zu ziehen und diesen mitnehmen zu wollen, wäre auch reichlich unsinnig. Die wurden natürlich auf mein Netbook kopiert und das habe ich im Wohnzimmer. Auf nach unten, den Zigarettenrauch ignorieren, das gesuchte Gerät, welches tatsächlich auf dem Esstisch liegt, gepackt und weiter runter zum Auto gelaufen. Einen Morgen ohne Hektik scheint es bei mir wirklich nicht zu geben. Ich sollte endlich aufgeben, da auf was anderes zu hoffen … dabei mach ich mir den Stress fast immer selbst.
Der Motor springt gut an, noch kurz vorheizen lassen, Gasanlage anschmeißen und los geht’s zur Werkstatt. Da diese im selben Ort liegt, ist die Strecke in zwei Minuten geschafft. Ganz dreist vor eines der Garagentore gestellt und nach dem Meister gesucht. Der läuft bestimmt irgendwo rum, denn im Büro sitzt der um die Uhrzeit nicht. Der TÜV Prüfer ist auch da …stimmt, ist ja auch Dienstag. Da ist bei meiner Werkstatt immer TÜV-Tag. Der Prüfer hat auch vor ca. zwei Monaten meinen Wagen über den TÜV gebracht … natürlich ganz ordnungsgemäß, sofern man die Bremskraft mit den Händen messen kann. Der Meister ist in der Garage, in der seit Jahren immer derselbe Traktor auf der Hebebühne steht. Ich frage nach neuen Zündkerzen, denn diese sind nach Eigendiagnose für das Ruckeln meines Motors verantwortlich.
„Da brauchst du spezielle Kerzen für, wegen der Gasanlage. Die hab ich nich hier. Die kann ich aber bis heut Mittag besorgen. Jetzt kann ich auch nich nachgucken, der TÜV is da un da hab ich keine Zeit.“
Das Thema hat sich also auch erledigt. Aber egal, der Wagen wird uns schon zuverlässig vom Westerwald bis nach Südbayern, danach bis nach Oberfranken und wieder zurück in den Westerwald bringen.
Die externe Festplatte ist wie verabredet in eine Tüte gepackt und wird auf den Stuhl an der Haustür meines Kumpels gelegt. Denn um 8:30 Uhr ist er definitiv noch nicht wach. Zumindest nicht in seinem kurzen Urlaub.
Und jetzt gibt’s kein Zurück mehr, los meine Freundin abholen und dann Richtung Südbayern zwei Freunde von ihr besuchen, die sie auf dieser Website kennen gelernt hat.
Die Strecke zwischen Jade und mir beträgt lediglich zehn Kilometer. Bei gutem Wetter ist diese schnell überwunden. Bei ihr angekommen, ist sie 'natürlich' noch nicht startbereit. Zwar bin ich fünf Minuten zu früh, jedoch ist schon abzusehen, dass diese fünf Minuten nicht ausreichen werden, bis sie fertig ist. Aber wir haben genug Zeit eingeplant, denn auf hetzen sind wir beide nicht scharf.
Doch das ist natürlich nicht die einzige Planänderung an diesem Morgen. Mein Handy klingelt und irgendwie weiß ich schon, bevor ich das Ding ausgepackt hab, wer es ist. Meine Mutter. Das höre ich am Klingeln! Nach einem kurzen Telefonat hat sich unsere Reiseroute um einen Haltepunkt erweitert. Meine Schwester, die mit ihrem arbeitslosen Freund eine Hartz-4-WG im Ruhrpott gegründet hat, hat zu Hause angerufen. Sie wurde vom besagten Arbeitstier aus der Wohnung geworfen. Natürlich springt meine Mutter sofort, um sie von dort abzuholen, ist ja nicht so, dass sie an ihrem 18ten Geburtstag einfach abgehauen ist und meinte, sie wolle nie wieder zurück kommen. Aber egal. Das ist nicht mein Problem ... Halt, doch ist es. Denn aus diesem Grund müssen wir noch einmal kurz bei meinen Eltern vorbeifahren um das Navi zurückzugeben, welches ich mir für die Fahrt leihen wollte. Ein weiter Umweg entsteht dadurch glücklicherweise nicht, denn das Navi wollte uns ohnehin zurück durch das Dorf leiten, wo meine Eltern und auch wieder ich wohnen. Aber fertig sind wir hier auch noch nicht.
Meine Mutter ist wie erwartet recht aufgelöst und erklärt mir kurz, was passiert ist, bzw. was sie glaubt, das passiert ist oder ihr zumindest von meiner Schwester erzählt wurde. Das Navi bleibt dort und somit geht’s mit dem von meiner Freundin weiter. Mit diesem kann ich mich zwar nicht so recht anfreunden, jedoch besser als gar keins. Denn nicht nur, dass ich keine Karten besitze, ich kann sie auch einfach nicht lesen.
Der nächste Halt ist erst in 1,5 Kilometern zu erwarten. Dort ist nämlich die Bäckerei, bei der wir uns mit Kram für die Fahrt eindecken. Im direkt anliegenden Markt noch ein paar Getränke. Jetzt können wir vielleicht etwas mehr als 15 Kilometer am Stück fahren.
Und so ist es auch. Die Tour verläuft sogar besser als geplant, kein einziger Stau hält uns auf. Sogar einen Porsche konnte ich auf der Autobahn alt aussehen lassen. Das liegt natürlich nicht daran, dass er nicht schneller als 130km/h fahren will, sondern der kommt einfach nicht an die pure Kraft meines Wagens ran und somit darf er sich mein Nummernschild von hinten ansehen, worüber ich mich freue wie ein sechsjähriger Junge auf Weihnachten.
Nach ungefähr fünf Stunden Fahrt kommen wir um zwei Uhr in Südbayern an. Den Wohnort von Jades Freunden haben wir uns beide etwas anders vorgestellt. Die Hauptstraße führt einmal quer durch den Ort und verläuft nicht durchgehend asphaltiert, sondern um ein Gebilde herum als Pflastersteinstraße, ist jedoch stark befahren, was wahrscheinlich an der Uhrzeit liegt. Ich habe mir die Gegend städtischer vorgestellt, denn allgemein finde ich die Landschaft und das Stadtbild sehr ländlich. Meine Freundin hat sie sich ländlicher vorgestellt. Das Interessante an diesen Interpretationen ist, dass ich seit je her ein Landkind bin und Jade schon immer in einer Stadt wohnt, wodurch eigentlich zu erwarten wäre, dass ich den Ort schon als riesig beschreibe und sie als dörflich. Leider helfen beide Ansichten nicht, einen geeigneten Parkplatz zu finden. Da Alex und Georg direkt an der Hauptstraße wohnen, wollen wir natürlich auch direkt an dieser parken. Zumindest ich will das und Jade widerspricht mir nicht. Also fahren wir die Straße runter, wieder hoch und beim zweiten Mal runter fahren, finden wir einen freien Platz in unmittelbarer Nähe unseres Ziels.
Jade ist sichtlich aufgeregt und freut sich auf die lang ersehnte Begegnung. Ich bin auch schon sehr gespannt, weil sie mir viel von den beiden erzählt hat. Es wäre fast schon gelogen, wenn ich verschweigen würde, dass ich nicht auch explizit auf Georg gespannt bin, weil er eine stärker ausgeprägte körperliche Behinderung hat. Davon hat Alex Jade in Emails berichtet. Dabei wurde deutlich, dass er geistig auf einem hohen Level spielt. Die Kombination aus körperlicher Behinderung und einem scharfen Verstand ist für die meisten Menschen, die nicht täglich damit zu tun haben, eben sehr spannend und ich gehöre zu diesen. Stolz bin ich nicht darauf, dass mich das so sehr beschäftigt, aber Menschen sind eben neugierig und sensationsgeil. Total abscheulich, finde ich.
Alex öffnet uns die Tür und empfängt uns in einer gemütlichen Wohnung. Im Esszimmer erwartet uns dann auch Georg. Ich muss ganz ehrlich zugeben, dass ich mir die Behinderung weniger schlimm vorgestellt habe. Und genau diese beiden Wörter sind es auch, die dafür sorgen, dass ich im ersten Moment, oder auch die ersten Momente, etwas überfordert bin mit der Situation. Behinderung und schlimm. In unserer Gesellschaft verbindet man diese Wörter zwangsläufig miteinander, wenn man nicht oft mit diesem Thema konfrontiert wird, denn was soll eine Behinderung sonst sein, außer schlimm?
Natürlich versuch ich mir das nicht anmerken zu lassen, umarme auch Georg zur Begrüßung. Positiv faszinierend finde ich seine freundliche Offenheit. Das erfährt man nicht allzu oft. Wir setzen uns alle an den Tisch, das Essen steht schon bereit, kann ich auch gut gebrauchen, denn so eine Autofahrt macht doch hungrig. Das merk ich aber meistens erst, wenn ich aussteige. Wäre vielleicht eine gute Abnehmmethode. Den ganzen Tag fahren und dabei keinen Hunger bekommen. Aber irgendwie wäre das wohl mit die teuerste Diät aller Zeiten.
Wieder muss ich mich ertappen, wie ich mein Verhalten gegenüber Georg anders gestalten will als bei anderen Menschen. Da Georg viel langsamer spricht als ich, bekomme ich den Drang, auch viel langsamer, lauter und deutlicher zu sprechen. Ich muss mich sogar zurückhalten, den Satzbau und die Wortwahl nicht derart anzupassen, als ob ich mit einem Kindergartenkind reden würde. Ich schäme mich wirklich für mich selbst, was für unbeholfene Gedanken in mir aufkommen. Hoffentlich merkt er das nicht …
Aber eins muss man Georg lassen. Durch seine Art und Wortwahl merkt jeder schnell, dass er zwar motorische Schwierigkeiten hat, sein Großhirn den meisten nicht behinderten Menschen jedoch einiges voraus hat. Und von der Gastfreundlichkeit und Offenheit können sich die meisten auch eine Scheibe abschneiden.
Alex hat uns ziemlich zu Anfang des Treffens 'gewarnt', dass Georg nicht zu bremsen ist, hat er einmal angefangen zu erzählen. Recht hat sie. In der ersten Stunde erzählt er uns mehr als die meisten meiner Freunde das an einem Tag gegenüber Unbekannten tun würden. Erst dachte ich mir: „Der arme Georg. Wenn er mit Alex unterwegs ist, steht er bestimmt nur in ihrem Schatten.“ Jetzt kann ich fast schon „die arme Alex“ sagen, denn bei Georgs Erzähldrang kommt sie nur schwer zu Wort. Er ist eben die geborene Eloquenz. Aber unglaublich süß sind die beiden. Wüsste ich es nicht besser, würde ich behaupten, sie sind frisch verliebt, erst vor kurzem zusammen gekommen. Aber wieso sollte frisch verliebt unbedingt vor Kurzem zusammengekommen bedeuten? Ich merke bei meiner Freundin, dass ich seit über acht Monaten täglich frisch verliebt bin.
Das Essen schmeckt übrigens sehr gut. Ciabatta mit Hähnchenbrust und Curry, soweit ich mich noch recht entsinne. Auf jeden Fall total lecker. Und zum Nachtisch gibt es Strudel mit Vanillesoße bzw. Pudding. Danach wird noch viel geredet und ich erkenne starke Parallelen zwischen Georgs und meiner Familie. Leider erfahre ich zu häufig, dass so etwas kein Einzelfall ist. Ich bin nach wie vor für den Elternführerschein. Dann würde die Menschheit zwar aussterben, aber wenigstens wären die letzten Generationen glücklicher.
Ein weiteres Highlight bietet uns Georg, über das wir alle mehr lachen als bei den besten Komödien. Er macht sich bereit zu sprechen, will uns etwas unbedingt mitteilen. Alle warten gespannt. Doch statt Worte, stößt er unbeabsichtigt auf. Ein kleines, aber perfekt in Szene gesetztes Bäuerchen. Einfach filmreif. Wir alle lachen was das Zeug hält. Ich fange immer mehr an, diesen Menschen wirklich zu mögen.
Hier dürfte sich zeigen, dass Alex eher 'in Georgs Schatten steht', denn obwohl sie auch ein wunderbarer und interessanter Mensch ist, toppt er das noch einmal. Und das liegt, ganz ehrlich, nicht an seiner Behinderung, sondern viel mehr an seiner Art, mit der er einfach fesseln kann. Selbst Jade ist viel aufgeschlossener als sonst. Georg hat´s einfach drauf.
Die Ausbildungsgeschichte von den beiden ist auch erzählenswert, vor allem, weil sie sich dort kennen gelernt haben. Das werde ich aber hier nicht weiter ausführen, da es den Rahmen sprengen würde und es mir zudem nicht zusteht, ungefragt über die Lebensgeschichte anderer zu sprechen.
Eine Weile später gehen wir spazieren, dass Wetter passt bestens dazu. Jetzt lernen wir auch den ländlichen Touch von dem Ort kennen, denn keine 500 Meter Fußweg und wir befinden uns auf einem Weg in Richtung Wald und Felder. Sogar der sehr männliche Ochse steht, wider Erwarten, auf seiner Wiese. Leider so weit vom Zaun entfernt, dass wir keinen genauen Blick auf seine von Alex angepriesene Männlichkeit erhaschen können.
Auf dem Weg in Richtung Wald, entlang der Felder, sorgen ein Mann und ein Kind, die einen Drachen steigen lassen, für Verwirrung, denn für Jade und Alex war nicht klar, ob es sich dabei um ein Pferd oder zwei Menschen handelt. Ansonsten hat sich uns noch der Dorfsee als besondere Sehenswürdigkeit geboten. Insgesamt eine sehr hübsche Gegend. Zu Hause finde ich es dennoch am schönsten, weil ich einen perfekten Ausblick auf das Rheintal genieße und daher äußerst verwöhnt bin, was die Aussicht angeht.
Anschließend gibt es Abendessen. Eigentlich sind wir jetzt schon zu spät dran, aber da Alex extra Sachen für uns besorgt hatte und der Drang von dort wegzufahren eher gering ausfällt, bleiben wir natürlich noch.
Dabei entdecke ich eine weitere Gemeinsamkeit mit Georg, über die ich mich sehr freue. Er isst, genau wie ich, nicht Brot mit Belag, sondern Belag mit Brot. So finden sich zwei Scheiben Käse und gut fünf kleine Scheiben Salami auf einer Scheibe Brot. Endlich habe ich den Beweis für Jade, dass ich nicht der einzige bin, der aus einer Brotscheibe einen feudalen Genuss kreiert.
Um ungefähr 20 Uhr verabschieden wir uns von Alex und Georg, da wir für 21 Uhr bei meinen Verwandten im 300 Kilometer entfernten Oberbayern angemeldet sind. 300 Kilometer in einer Stunde macht durchschnittlich 300km/h. Wie gut, dass wir in Deutschland keine allgemeine Geschwindigkeitsbegrenzung kennen. Also noch vorher schnell tanken, Nachbrenner einschalten und los geht’s … Tanken … wo ist hier eine Tankstelle? Zum Glück haben wir ja Jades Navi mit. Und sofort weiß ich wieder, warum ich dieses Gerät nicht leiden kann. Anscheinend ist es ihm auch schon zu spät geworden, denn zum Verbindung aufbauen hat es erst einmal so ziemlich gar keine Lust. Aber Geduld ist eine Tugend und so haben wir nach ca. fünf Minuten endlich ein Signal. Schnell die nächste Tankstelle als Ziel eingeben. „Links abbiegen, rechts abbiegen, in 200 Metern rechts abbiegen, links abbiegen“ … Halt, hier gibt es kein links abbiegen. Entweder ist der Ort erst ein paar Jahre alt, oder das Kartenmaterial stammt aus der Zeit, als Bayern noch ein Königreich war … der Hass auf dieses Stück Plastik mit Chip steigt.
30 Minuten und die Wegbeschreibung eines Einheimischen später ist das Tankmanöver erfolgreich abgeschlossen. 300km in 30 Minuten, bedeutet 600km/h. Ich rufe schon mal die Tochter des Bruders meines Opas (Wie ist die nun eigentlich mit mir verwandt?) an und sage ihr, dass wir uns etwas verspäten. Eine kleine Pause auf halben Weg muss auch noch sein, bei der mir eine äußerst freundliche Mitarbeiterin beim Subway noch etwas macht, obwohl sie schon seit fast zwei Stunden frei hat.
Ungefähr gegen 23 Uhr kommen wir an unserem zweiten Ziel des Tages endlich an.
Und hier endet nun auch diese Herbstimpression, denn wenn ich noch die anderen Tage zusammenfassen will, lad ich das alles erst im Herbst 2012 hoch. Irgendwie fehlt mir die entscheidende Motivation für Schreiben als Freizeitbeschäftigung. Nicht, dass ich es langweilig finde, aber vieles macht eben mehr Spaß. Ich habe Lust, Lust zum Schreiben zu haben.
Was ich aber auf jeden Fall noch zu diesem Treffen loswerden möchte ist, dass ich eine Menge über mich selbst gelernt habe. Wie ich schon im Text erwähne, resultierte das Interesse daran, die beiden zu sehen, auch aus Georgs Behinderung. Das kann man, meiner Meinung nach, niemandem zum Vorwurf machen, da 'Andersartigkeit' nun einmal eine gewisse Faszination auf Menschen ausübt. Man erwischt sich immer wieder bei diesem gefährlichen Schubladendenken. Behinderung = schlimm = andere Behandlung.
Aber aus Fehlern kann man lernen. Georg hat mir eindrucksvoll gezeigt, dass Leute mit einer körperlichen Behinderung geistig sehr wohl ganz normal sind. Jeder, der einen solchen Menschen auf der Straße sieht und anstarrt, sollte sich vor Augen halten, dass ebendieser womöglich genau so denkt wie man selbst und wer wird schon gerne angestarrt? Wer mit solch einer Einstellung Probleme hat, sollte sich an Alex wenden, denn ihr ist es möglich, die Behinderung nicht als Ausschlusskriterium zu interpretieren, noch nicht einmal für eine Beziehung.