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Herbstimpressionen (2011)

Kurzbeschreibung
GeschichteAllgemein / P12 / Gen
30.10.2011
30.11.2011
2
1.150
1
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Dieses Kapitel
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30.10.2011 879
 
Info: Ich habe mich mal wieder an ein Projekt (Herbst-Impressionen http://forum.fanfiktion.de/t/12124/1) herangewagt. Keine Ahnung wie viele Texte es werden, kommt darauf an wie Inspirierend der Herbst noch ist.

Beta: Meine Mutter, die zum Glück nicht müde wird meine Fehler zu korrigieren.

Inhalt des Kapitels: Ein paar Gedanken nach einer wirklich bewegenden Vorführung..

Im Vorfeld möchte ich mich bei der der Tanzkompanie DV8 Physikal Theater für die bewegende Umsetzung und beim Regisseur Lloyd Newson für seinen Mut bedanken. Ohne sie gäbe es diesen Text nicht und es ist kein einfacher Job, Dinge anzusprechen die keiner hören will.



Can We Talk About This?

Es kotzt mich an! Wieso mache ich mir so viele Gedanken über Probleme, die doch im Grunde keine Probleme sind?

Erst letzten Freitag (21.10.2011) habe ich die Tanzveranstaltung im Tanzquartier Wien besucht. In der Tanz-Produktion „Can WE Talk About This?“ ging es um die Themen Religion, Multikulturalismus und Rassismus. Anhand von Interviews mit ganz unterschiedlichen Persönlichkeiten wurden Konflikte und Schnittstellen aufgezeigt. Durch Fragen wurde darauf hingewiesen worüber geschwiegen wird. Weiße Flecken in der Wahrnehmung unserer Gesellschaft, aber nicht blütenweiß.

Es ist erschreckend, wie blind man sehend sein kann, wie Beobachtungen nicht realisiert werden und wie unschuldig man in seinem Unwissen sein kann.

Es ist keine Woche her, als mir die Konsequenzen für eine Frau vor Augen geführt wurden, die sich gegen eine Zwangsehe gewehrt hat. Und ich jammere, dass mein Leben hart ist!? Während sie im Zeugenschutzprogramm ist, weil ihr Vater sie für ihre Weigerung umbringen möchte, ärgere ich mich darüber, dass für das letzte Familienfest ein ganzer Tag vergangen ist, an dem ich nichts arbeiten konnte. Ich hatte zu essen, zu trinken und konnte mit meinem Vater seinen Geburtstag feiern. Aber am Abend habe ich nur gestöhnt, dass ich zu nichts gekommen bin und ich am nächsten Tag doppelt so viel zu tun haben werde.

Heute ist der nächste Tag und was tue ich? Ich schreibe mir meine Sorgen von der Seele anstatt aufzuarbeiten, was liegen geblieben ist. Denn wenn man genau darüber nachdenkt, sind die Sachen gar nicht so dringend, fehlt mir der gestrige Tag nicht unbedingt. Es sollten Bücher gelesen, Arbeiten verfasst und für Referate recherchiert werden, aber der Abgabetermin ist erst nächste Woche und auch dann hängt mein Leben nicht davon ab.

Ich kämpfe tagtäglich mit meiner Unsicherheit, bin überfordert von all den Möglichkeiten zwischen denen ich ständig Entscheidungen treffen muss und frage mich, ob das vermessen ist. Schließlich gibt es Menschen die ihr Leben riskieren für Redefreiheit und Wahlmöglichkeiten.

In Tunesien gab es eine 90%ige Wahlbeteiligung, während in unserem Land die Nichtwähler die Mehrheit bilden. Dürfen wir unsere Demokratie mit Füßen treten? Wäre ich in der Lage 32 Stunden unter den Trümmern eines Gebäudes auszuharren, um lebend von den Suchtrupps geborgen werden zu können? Nicht aufzugeben ohne Licht, Wärme und Flüssigkeit scheint mir unmöglich.

Wie oft habe ich gehört, dass ich essen soll, was auf den Tisch kommt, weil es in anderen Ländern Menschen gibt, die gar nichts zu essen haben. Aber es ist selten, dass die Bedeutung dieser Aussage tatsächlich ankommt. Was bedeutet es für mich, wenn alle 5 Sekunden ein Kind stirbt? Darf ich deshalb nicht mehr das Gemüse aus der Suppe fischen, weil es mir nicht schmeckt? Ist es dekadent, den ganzen Tag Kuchen zu essen, weil man keine Lust auf Brot hat? Besonders, wenn man weiß, wie viel Brot wir tagtäglich wegschmeißen. Oder ist es die logische Konsequenz einer Gesellschaft, die Rüben und Kukuruz (Mais) als Biomasse verheizt?

Das Stück, welches ich gesehen habe, war eine Mischung aus Tanz, Theater und Dokumentation, passend zur Thematik war es ausdrucksstark und unfassbar zu gleich. Wenn man erfahren muss, was für Ungerechtigkeiten in unmittelbarer Nähe passieren, kommt man sich vor, wie auf einem anderen Planeten.

Müsste ich nicht tanzend und singend durchs Leben hüpfen, weil es mir möglich ist, mich frei zu bewegen, meinen Wünschen und Meinungen Ausdruck zu verleihen und nicht fürchten muss, ob ich den nächsten Tag noch erlebe? Ich weiß, dass meine Sorgen und Ängste nicht geringer sind, als die eines jeden anderen, sie sind nur nicht so substanziell oder?

Aber wenn ich mich ungeliebt oder nicht wahrgenommen fühle, fehlt mir dann nicht auch ein lebenswichtiger Aspekt in meinem Leben? Angeblich sterben Säuglinge nach wenigen Monaten, wenn man nicht mit ihnen spricht. Sind Krankheiten wie Burnout und Depressionen weniger gefährlich als Mangelernährung oder Morddrohungen? Oder ist die Ursache nur leichter zu konkretisieren?

Ist es falsch, dem Bettler an der Ecke keine Münzen zu geben, weil man sein ganzes Geld für die coole CD ausgegeben hat? Ist es schlimm, wenn man bei Schönwetter großzügiger ist, weil es im Regen nicht angenehm ist stehen zu bleiben um nach Kleingeld zu kramen?

Soll ich mich schlecht fühlen, weil ich Zeit habe mir über solche Sachen den Kopf zu zerbrechen? Ich meine, ist es nicht genau DAS, was die Aufführung erreichen wollte? Dass man nachdenkt? Dass man nachfragt? Dass man mit anderen darüber spricht?

Ich denke, ich frage, ich schreibe und ich poste… because I can talk about this! (Und dafür bin ich dankbar.)


______
Es war echt beeindruckend, ins Theater zu gehen um nachzudenken und sich nicht nur unterhalten zu lassen. Mal sehen was der November für mich bereit hält…
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