The Nightmare after Christmas
von NooboderNerd
Kurzbeschreibung
Ein schrecklicher Parasit verbreitet sich rasendschnell im kleinen Dorf Halloween Town und befällt die Bewohner mit schweren Blutergüssen und Halluzinationen. Jack muss unbedingt ein Gegenmittel finden, sonst ist sein Heim dem Untergang geweiht. Der einzigste Weg ist, die heilende Wirkung der Mondblume zu nutzen und tief in die Unterwelt zu reisen, um sie zu finden. Doch diese Blume ist nur eine Legende. Trotzdem gibt Jack nicht nach und macht sich auf die lange, schwere Reise. Aber während seiner Abwesenheit graut den Bürgern direkt das nächste Übel. Denn ein alter Feind nutzt das aus und erschafft einen wahren Alptraum kurz nach Weihnachten
GeschichteAbenteuer / P12 / Gen
Furcht
Jack Skellington
Sally
19.10.2011
19.10.2011
24
74.822
19.10.2011
3.151
Jacks Anwesen im Jahre 1994 Frühjahr
„Jack! Aufwachen, dein Typ wird verlangt!“
„Hmmwas?“
Verschlafen stemmte ich mich auf. Mein Kopf brummte, meine Zunge war trocken und ich fühlte mich müde und schwach.
War das eben nur ein Traum gewesen? Boah, so schwer gerädert fühlte ich mich seltenst.
Der Geisterhund namens Zero schwirrte aufgeregt um mich herum und knuffte mich mit der Schnauze gegen die Seite.
„Es klingelt seid zehn Minuten der Bürgermeister bei dir, hörst du die ganzen Schreie nicht?“
Jetzt hörte ich sie auch. In regelmäßigen Abständen ertönte ein langgezogenes, mir familiäres Kreischen. Sofort fing mein Kopf an zu schmerzen. Verbissen fasste ich mir an die Stirn.
„Ohh, diese scheiß Türklingel!“ knurrte ich.
Wie konnte ich das nur überhören?
„Wie spät ist es?“
„Zwölf Uhr! Du hast verschlafen.“
Brummelnd quälte ich mich aus dem Bett und stampfte die Treppen hinunter zur Tür. „Kein Wunder, dass ich selbst im Traum gefroren habe“ dachte ich. Ich hatte nur eine lange, dünne Jogginghose und ein dünnes Shirt an und es war nachts so kalt wie im Winter. Was zum Teufel ist gestern eigentlich passiert? Ich wünschte, ich könnte noch weiter schlafen und von mir und Sally träumen. Doch irgendwie erschien mir dieser Traum fremd und prägte meine Gedanken. Bestimmt kennt ihr dieses Gefühl auch, wenn ihr aus einem Traum erwacht und die Absurdität auf seine Humorvolle Art die ganze Zeit sich vor alle anderen Gedanken schob.
„Jack, mein Junge. Ich dachte schon, du wärst nicht da!“, stammelte der Bürgermeister und fuchtelte mit langen Papierrollen hin und her, als ich ihm endlich öffnete.
„Du siehst nicht gut aus. Gestern wohl etwas über den Durst getrunken?“
Wortlos nahm ich ihm die Pläne aus der Hand und grummelte etwas vor mich hin, was einen „Kommen sie doch bitte rein“ nicht unähnlich klang.
„Bitte was?“ fragte er nach.
Zero half nach und zog ihm an Hosenbein hinein.
Immer noch völlig neben der Bahn goss ich mir und den aktiven Gast Kaffee ein und setzte mich zu ihm an den Tisch.
„Also Jack, die Entwürfe sind fertig. Ich hatte mir eine Mischung aus Rocky Horror Picture Show und…“
Er fing schlagartig an zu husten, als er einen Schluck aus der Tasse nahm.
„Jack, der ist zu stark. Wie viel Pulver hast du genommen?“
„Das ist eine Mischung aus Indien mit Rindernachgeburt und wildem Reis, der schmeckt immer etwas zu stark. “
Der Blick des Bürgermeisters fiel in die Tasse, dann zu mir und zurück in die Tasse.
„Also wirklich, du wirst noch Koffeinabhängig.“ Grinsend schob er sie zur Seite und widmete sich wieder zu seinen Plänen.
Doch ich konnte ihm kaum zuhören. Mich beschäftigte mehr mein Traum von dem Weihnachtsabend damals. Es ist nun mehr als vier Monate her seid ich Oogie besiegt hatte und Sallys Herz erobert hatte. Der Anblick meines Enthaupteten Konkurrenten ließ mich nicht mehr los, trotzdem wollte ich endlich den Gedanken abschieben, mein toter Gegner war völlig primär für mich geworden. Ich hatte besseres zu tun. Schließlich war ich jetzt mit Sally zusammen und wollte sie aus der Hölle namens Finkelsteins Labor retten. Ständig war sie gezwungen, für ihn die Drecksarbeit zu machen und durfte kaum raus um mich zu sehen. Nur wenn sie ihn vergiftete, gelang es ihr meist zu fliehen. Er musste sie nun beschützen und sich um sie kümmern. Sie war praktisch noch ein Kind. Damals war ich acht Jahre, als sie von ihren Vater zusammengebastelt wurde und erweckt wurde. Heute war ich vierundzwanzig Jahre alt, deswegen müsste sie ungefähr sechzehn Jahre alt sein. Und sie brauchte unbedingt die Väterliche Liebe, die sie nie wirklich bekam oder in einer anderen, ungerechten Form.
Jeder in diesem Dorf hatte seine eigene Geschichte.
Selbst ich.
„Jacob? Hörst du überhaupt zu?“
Verwirrt blinzelte ich.
„Ä-ähm ja.“
„Was ist los, mein Junge. Scheinbar hast du die ganze Nacht lang nicht geschlafen und einen ziemlichen Kater hast du auch. Trinkst du aus Frust? Bitte sag mir nicht, dass du jetzt auch noch Alkoholiker wirst!“
„Nicht doch. Das klingt etwas komisch, aber ich habe selbst keine Ahnung was gestern passiert ist und warum ich so müde bin…“ ich blickte benebelt auf die Pläne. Die Zeichnungen ergaben für mich ohne Anleitung wenig Sinn.
„Ich hol mir noch nen’ Kaffee.“
„Jacob, wenn du dich nicht gut fühlst, dann könnte es sein, das Halloween ausfällt.“
Der Bürgermeister fing wieder an hektisch zu werden.
„Wir haben noch fast neun Monate zeit, wie sollte es da ausfallen?“
„Letztes Jahr haben wir uns so viel Mühe gegeben, dass Burberry zwei Mal einen Herzinfarkt bekommen hat. Zwei Mal! Wie sollen wir das übertrumpfen?“
„In dem wir ihn auf den dritten vorbereiten.“
Burberry war der Werwolf aus dem Dorf. Nur ich, der Beamte und gelegentlich der Professor nannten ihn so, da er auch zu den Kreis der Oberhäupter gehörte. Für die anderen hieß er einfach nur Werwolf.
„Tut mir ja Leid, dass ich einen Filmriss habe und ich mich nicht wohl fühle.“, setzte ich mit gedämpfter Stimme nach und setzte mich wieder vor die Pläne. Als ich mich durch die Zeichnungen und Skizzen wühlte, kam mir plötzlich der Aufbau zweier riesigen Steinfiguren entgegen. Es waren ein bewaffneter Mensch mit einem Pferdeunterleib, der andere ein Aufrechtstehender, muskelbepackter Stier. Auf ihren Köpfen thronten große Helme in der Form von Drachenschädeln, in ihren Händen hielten sie Speere. Die Flanke, Oberarme und der Rücken waren mit Metallplatten geschützt. Ich war wirklich begeistert von dieser Idee, endlich wurde mein Job wieder interessanter als die langweiligen Pläne sonst-
„Was ist das?“ fragte ich erstaunt.
„Wächterfiguren. Sie sollen neben die Tore kommen und teilweise in das Labyrinth aufgestellt werden. sind sie nicht hübsch?“
„Aber wer soll die anfertigen?“
Der Bürgermeister stand auf, rollte die Pläne zusammen und nahm sie mit zur Tür.
„Deswegen bin eigentlich hergekommen: Bring dem Professor die Pläne und sag ihm einfach, dass ich dich geschickt habe.“ Und damit verschwand er wieder, so wie er gekommen war.
Mit einem tiefen Seufzer stand ich auf und lief die Treppen hinauf.
„Oh Mann, Zero. Hast du irgendeine Ahnung, was gestern passiert ist?
Mein treuer Begleiter flog an meine Seite und ließ sich von mir streicheln.
„Du hast gestern noch eine Flasche Wein im Keller gefunden und alleine auf Ex getrunken. Da wäre ich auch ordentlich am Arsch, Junge. Aber keine Sorge, wenn du mal kaputt gehst, kommen deine Knochen in das Museum.“
Zero war zwar etwas hart in seiner Ausdrucksweise, aber er sprach immer die Wahrheit. Nur ich und Sally wussten, dass er sprechen konnte, doch meist bellte er einfach nur, das war Kommunikation genug für ihn.
Seid ich alleine hier lebe, ist es ganz schön unordentlich geworden, doch ich hatte nie Zeit oder Lust, aufzuräumen. Lange Bettlaken hingen vor den Fenstern und an den Decken. Das fahle Licht kam durch den dünnen Stoff und erhellte den Raum mit einem cremefarbenen Licht. Ich war sogar zu faul gewesen, das Bett aus dem Keller zu holen und schlief immer auf der Anhöhe auf zwei großen Matratzen. Nichts war schöner, als von Decken umgeben zu sein und morgens nicht vom Sonnenlicht geweckt zu werden.
Wortlos nahm ich meinen Schwalbenschwanzanzug von der Stuhllehne, zog ihn mir über und streckte mich mit einen Gähnen. Eigentlich hatte ich keine Lust heute arbeiten zu gehen.
Und alle waren immer so im Stress, wenn ein Halloween wieder neu vorbereitet wird. Ein Full-Time-Job, ohne Urlaub oder Auszeit. Kein Wunder, das man da immer auf Achse sein sollte und jede Minute kostbar für die Vorbereitungen war. Diese Bestimmung hatte ich mir nicht aussuchen können. Wie mein Vater damals immer gesagt hat: „Du dienst einer edlen Sache.“, worauf ich nur antworten konnte: „Wir sind so gesehen Kriminelle, das ist nicht edel sondern primitiv!“
Zero kreiste ungeduldig um meine Beine.
„Komm schon, der Professor wartet. Und jemand ganz besonderes schreit geradezu danach, von dir endlich gefragt zu werden.“
Da viel es mir wieder ein: Ich wollte Sally heute fragen, ob sie sich endlich von ihren Pflichten im Elternhaus lösen wollte und zu mir ziehen wollte. Diese Frage war sehr wichtig für mich, noch besser als ihr direkt einen Antrag zu machen.
Also nahm ich das große Blatt mit den Konstruktionszeichnungen der Statuen und steckte sie sorgfältig ein.
„Bleib hier, ich bin gleich wieder da.“
„Das hoffe ich doch.“ Grinste der Hund.
Der Marktplatz war erfüllt von den Bürgern des kleinen Dorfes. Alle gingen ihren Alltäglichen Aktivitäten zu, andere halfen mit dem Aufbau des bevorstehenden Festes. Wie oft wünschte ich mir, das gleiche wie sie zu sein: Ein ganz normaler Bewohner, der keine Königlichen Aufgaben hat, eine Familie gründen konnte und mit den anderen feiern konnte. Jeder von ihnen wusste das, konnten damit aber nichts anfangen. Sie wussten schließlich nicht, wie anstrengend meine Arbeit als Kürbiskönig war.
Zwar war ihnen allen bewusst, dass mir der Thron egal wäre, sprachen mich allerdings nie darauf an.
Versteht das nicht falsch, sie empfanden mir gegenüber keine Undankbarkeit, aber alle kannten den Grund, warum ich damals einfach abgehauen war und wie ich auf Weihnachten gekommen bin. Nachvollziehen konnten sie das nicht unbedingt.
Als sie mich erblickten, folgte eine Flutwelle aus morgendlichen Grüßen.
„Morgen.“ Brummte ich nur lapidar, die ganzen Stimmen bereiteten mir übelste Migräne.
„Jack, kann ich dich…kurz sprechen?“ fragte plötzlich das Müllmonster. Ich erkannte ihn an seiner tiefen Stimme, die metallisch aus einen der Mülleimer neben mir ertönte.
„Was ist denn?“
Der Deckel sprang aus, der große, bunte Kopf des stellvertretenden Ratsmitgliedes kam mir entgegen. In seinem dichten Fell hingen Bananenschalen und Bierdeckel.
„Burberry…der Bürgermeister und ich haben gestern…etwas herausgefunden.“
Prüfend sah er über meine Schulter.
„Erinnerst du dich…noch an Acthos?“
Acthos.
Der Name hallte mir durch den Kopf und verbiss sich in meinen Nerven. Wie Säure brannte er in mir, ein Zittern durchzuckte meine Arme und Fingerspitzen. Unwillkürlich zuckte mein Auge.
Es war der Name des Sohnes von Luzifer, dem Herrscher über die Hölle. Ich kannte ihn nur sehr flüchtig, damals hatte ich mal was mit seiner Schwester.
Wir dachten er wäre gestorben. Doch seine runden, tiefen, bodenlosen Höhlen ohne Augen, die Klaue aus Ungeziefer, seine Taten waren in meinen Kopf wie eingebrannt. Er kehrte zurück als Hüllenloser Geist in einen Flickengewand unter den Namen Oogie Boogie und regierte außerhalb des Dorfes in einer Spielhölle. Dieser Mistkerl hatte versucht, meine Freunde umzubringen, schon damals. Auch Sally bedrohte er zum zweiten Mal. Das würde ich ihm nie verzeihen.
„Ja, den Namen vergesse ich nie.“
„Er könnte wiederkehren, Jack.“
Aus meiner plötzlichen Wut wurde plötzliche Angst. Dieser Satz war wie ein Blitzeinschlag.
„Was?“ rief ich entsetzt aus.
Die Pranke des Monsters hielt mir den Mund zu.
„Bist du irre?“ zischte er. „Leise!“
Ich nickte.
„Aber wie kommt ihr denn darauf? Ich habe ihn doch…“
„Das…dachten wir auch…“ Ergänzte er.
Ich musste schlucken. Könnte es wirklich sein, dass mein Erzfeind zurückkommen könnte um Rache auszuüben?
„Burberry kam letztens…von einem Rundgang um das Dorf zurück und hörte etwas…aus seinem damaligen Versteck. Genau deuten konnte er es nicht, aber…es hörte sich gruselig an. Richtig unheimlich. Eine Art Lachen, gemischt…mit Geisterstimmen.“
„Das hat gar nichts zu bedeuten!“ antwortete ich entschlossen. „Vielleicht hat sich dort ein Geist verirrt oder ein betrunkener Zeuge Jehovas ist dort runtergefallen.“
Das Müllmonster sah mich ernst an.
„Ich…bitte dich Jack. Was ist…wenn nicht?“
„Ihr macht euch einfach zu viele Sorgen. Beruhigt euch, Oogie ist tot!“
Und damit machte ich mich wieder auf den Weg zum Laboratorium.
Um meinen Feind wollte ich mir wirklich keine Gedanken mehr machen.
„Das wird kein Gutes Ende nehmen.“ Murmelte das Monster und verschwand wieder in seiner Tonne.
Finkelsteins Labor sah nicht nur aus wie ein windschiefes Gefängnis, es war auch eins. Dort hielt er seine erschaffene Tochter Sally gefangen und verdonnerte sie zum arbeiten. Ich wusste, wie schwer es war, in so etwas mit hineingezogen zu werden, die hälfte meiner Jugendzeit hatte ich zusammen mit ihr dort verbracht.
Schon damals hatte ich versucht, sie zu überzeugen, mit mir zu fliehen, doch sie war zu schwach und wollte nicht gehen. Heute wollte ich sie auf jeden Fall fragen, ohne gestört zu werden.
Der steinige Weg war an einigen Stellen abgebröckelt, ein paar Steine fehlten. Um die Villa erstreckte sich eine tote Landschaft mit verwelkten Blumen, Pflanzen und Kürbissen. Aus dem obersten Fenster ertönten die Geräusche von verbiegendem Metall, Kreissägen und Knistern.
In der Hoffnung, jemand würde mir hören, klopfte ich an die Tür.
Keiner kam.
„Toll!“ knurrte ich und sah an der Wand hinauf. Sallys Zimmer war nicht so weit entfernt, sie müsste mich von hier unten hören können.
„Sally?“ rief ich hinauf. Keine Antwort.
Plötzlich flog die Tür auf und fegte mich beinahe um. Igor, der kleine, verkrüppelte Gehilfe des Professors stand mir gegenüber. Seine gelben Katzenaugen funkelten mich an.
„Jacob Skellington!“ er grinste heimtückisch. „Was macht eure Hoheit bei uns?“
„Es geht um die Pläne für Halloween. Wo ist dein Meister?“
„Immer diese Pläne…“ säuselte er und pickte eine Kakerlake aus seinen verbliebenen Haaren, die wild zappelte.
„Immer Pläne für Halloween, immer Aufgaben. Keine Zeit für sich selbst, oh nein. Nie Zeit für seine große Liebe.“
Sein Ausdruck fiel.
„Der Meister weiß bescheid, Jack, er weiß alles.“
Das Schalentier wurde zwischen seinen Fingern zerdrückt. „Er weiß von dir und seiner Tochter. Unreine Untote, die sich an seinen eigenen Fleisch und Blut vergehen, sie alle sollten…!“
„Igor!“ kam die ernste Stimme des Doktors dazwischen. Wie ein geschundener Hund schlich er davon.
Quietschend kam der Rollstuhl zum Eingang.
„Tut mir Leid, mein Junge. Igor ist einfach zu wenig an der frischen Luft, das würde ihn mal gut tun.“
Er warf ihm einen kalten Blick zu.
„Also, mit war habe ich die Ehre unseren König mitten in den Vorbereitungen für Halloween zu sehen?“
Vorsichtig sah ich über seine Schulter. Keine Spur von Sally.
„Äh, der Bürgermeister hat mir das hier gegeben und ich wollte sie fragen…“
Wortlos fuhr der Professor vor, die Stufenlose Treppe hinauf, und ich folgte ihm. Einen letzten Blick zum kleinen Gehilfen, der sich in der dunkelsten Ecke versteckte und seine Katzenaugen mich verfolgten.
„Wir gehen in mein Labor, da kannst du mir alles erzählen.“
Ich sah mich um. Sally war sonst immer irgendwo zu sehen, meistens putzte sie. Doch heute war sie wieder nicht zu sehen. Seit Finkelstein ihre Methoden herausfand, wie sie ihn immer lahm stellte, gewährte er ihr kaum noch, überhaupt mit Fremden zu sprechen. Wieder zog sich mein Magen zusammen vor unterdrückter Wut, der alleinige Gedanke brachte mich immer wieder zur Weißglut.
Sie war nirgends zu finden, selbst ihr Zimmer war leer. Ich traute mich nicht nachzufragen, wo sie wäre. Wenn es nämlich unter Umständen stimmen sollte, dass er von unserer Affäre wusste, würde er mich direkt wieder wegschicken. Er sollte überhaupt nichts von uns erfahren.
Das Labor war dunkel und überall waren Maschinen, OP Tische, Flaschen in allen Formen und mit allen möglichen Farben.
Pläne und Pergamente lagen achtlos am Boden, Bücher stapelten sich neben den Arbeitstischen. Scherben lagen auf den Boden, der Geruch von Verbrannter Haut und Eisen stieg mir in die Nase.
Finkelstein parkte vor einen Tisch, schob die Papiere zur Seite und reichte mir eine Tasse.
„Tee oder Kaffee?“
„Kaffee bitte.“
Er goss uns beiden ein und fragte: „Also, worum geht’s, Jacob?“
Ich griff in meine Hosentasche und zog den sorgfältig gefalteten Plan heraus und reichte ihn dem Professor.
Lange Zeit starrte er einfach nur auf die Zeichnungen oder kratzte sich gelegentlich am Hirn.
„Was willst du denn mit zwei Statuen?“
„Nun…sie sähen doch ganz hübsch aus, oder?“
Er sah mich missbilligend an.
„Ich hab ja eine Theorie: Wenn man tausend Jahre tausend Affen auf einer Schreibmaschine tippen lässt, dann kommt irgendwann mal Shakespeares dabei heraus. Nimmt man aber tausend geistig behinderte Affen, gibt denen Alkohol und höchstens zehn Minuten, erhält man Big Brother. Und der Bürgermeister sollte wirklich mal ne Urinprobe abgeben, wenn er auf so etwas kommt.“
„Wieso?“ fragte ich.
„Nun ja, die Konstruktion wäre kein Problem…“
Die Klappe auf seinen Kopf öffnete sich erneut und er kratzte sich am Gehirn.
„…Aber die Größe ist das Problem. Weißt du, ich bin kein Ingenieur und auch nicht unbedingt ein Handwerker, aber das müsste ich schaffen.“
Und damit fing er an, an dem Plan zu messen und Notizen zu machen.
„Und damit entlasse ich dich wieder, mein Junge.“
„Vielen Dank.“
Er winkte ab.
„Schon gut, schon gut.“
Finkelstein hasste es, wenn man ihm dankte und er selbst konnte auch nur schlecht danke sagen. Alles was er wollte, war Ruhe und Zeit.
Und die gab ich ihm nun auch. Doch bevor ich durch die Haustür verschwinden konnte, blieb ich stehen. Sally saß in ihrem Zimmer und sah aus dem Fenster über den Wald. Dort hatte sie sehr lange, fast ihre gesamte Zeit als Kind verbracht, Pilze gesucht und mit den Eichhörnchen gesprochen. Deshalb roch ihr Haar auch immer nach Harz und Erdbeeren. Ein anziehender Duft.
Doch seid der Professor dreimal in einen Monat von ihr vergiftet wurde, durfte Sally überhaupt nicht mehr aus dem Haus.
„Sally?“ fragte ich vorsichtig.
Sie schreckte auf und sah zu mir hinüber. Ihre großen Augen, das eine blau, das andere braun, schimmerten feucht und sie wurde schlagartig rot.
„Jack.“ Sagte sie verwundert. „Seid wann bist du denn hier?“
„Nicht lange. Ich hab dich eben gesucht.“
Ich trat in ihr Zimmer und strich ihr über die Wange. Sie war immer noch so schüchtern, obwohl sie mich nun so gut kannte.
„Hab dich gar nicht gehört…“ „Du warst auch eben nicht in deinen Zimmer. Konntest ja nichts dafür.“
Beschämt fummelte sie an ihren Fingern und scharrte mit den Füßen.
„Ich habe eine wichtige Frage an dich.“ Flüsterte ich ihr zu.
„Was denn?“ fragte sie verwundert.
Bevor ich Luft holen konnte und ihr von meinen Plan erzählen konnte, stockte ich. Igors Katzenaugen starrten uns vom Ende der Treppe aus an, ein dreckiges Grinsen lag ihm auf den Lippen. Unsere Blicke kreuzten sich.
Ein unangenehmes Gefühl stieg in mir auf. Wut und Hass auf alles in diesem Haus, da alle meine geliebte Sally beobachteten. Schier jedes Lebewesen in den Gemäuern dieses Gefängnisses wurde von Finkelstein kontrolliert.
„Ich kann dir das jetzt nicht sagen. Ich erkläre es dir heute Abend auf den Friedhof, wenn der Mond am höchsten steht.“
Und damit lief ich wieder aus dem Zimmer, ohne mich zu verabschieden.
Im Stillen bestrafte ich mich dafür selbst, dass ich sie einfach so stehen ließ. Doch das war alles, was ich tun konnte, um nicht die Aufmerksamkeit des Professors auf sie zu richten.
Mein Magen schmerzte.
Igor öffnete mir die Tür.
„Auf Wiedersehen, eure Majestät.“
Ich blieb stehen und warf ihm einen eiskalten Blick zu. Die Schlitze in seinen Puppillen verengten sich, als er leise kicherte. Am liebsten hätte ich ihn erwürgt. Ich knirschte mit den Zähnen, bis sie wehtaten.
„Pass auf, was du mit ihr machst!“ Zischte ich ihm zu. „Ich behalte dich im Auge.“
Dann wandte ich mich von ihm ab und lief zurück zum Marktplatz und verschwand in dem Auflauf von Bewohnern.
„Jack! Aufwachen, dein Typ wird verlangt!“
„Hmmwas?“
Verschlafen stemmte ich mich auf. Mein Kopf brummte, meine Zunge war trocken und ich fühlte mich müde und schwach.
War das eben nur ein Traum gewesen? Boah, so schwer gerädert fühlte ich mich seltenst.
Der Geisterhund namens Zero schwirrte aufgeregt um mich herum und knuffte mich mit der Schnauze gegen die Seite.
„Es klingelt seid zehn Minuten der Bürgermeister bei dir, hörst du die ganzen Schreie nicht?“
Jetzt hörte ich sie auch. In regelmäßigen Abständen ertönte ein langgezogenes, mir familiäres Kreischen. Sofort fing mein Kopf an zu schmerzen. Verbissen fasste ich mir an die Stirn.
„Ohh, diese scheiß Türklingel!“ knurrte ich.
Wie konnte ich das nur überhören?
„Wie spät ist es?“
„Zwölf Uhr! Du hast verschlafen.“
Brummelnd quälte ich mich aus dem Bett und stampfte die Treppen hinunter zur Tür. „Kein Wunder, dass ich selbst im Traum gefroren habe“ dachte ich. Ich hatte nur eine lange, dünne Jogginghose und ein dünnes Shirt an und es war nachts so kalt wie im Winter. Was zum Teufel ist gestern eigentlich passiert? Ich wünschte, ich könnte noch weiter schlafen und von mir und Sally träumen. Doch irgendwie erschien mir dieser Traum fremd und prägte meine Gedanken. Bestimmt kennt ihr dieses Gefühl auch, wenn ihr aus einem Traum erwacht und die Absurdität auf seine Humorvolle Art die ganze Zeit sich vor alle anderen Gedanken schob.
„Jack, mein Junge. Ich dachte schon, du wärst nicht da!“, stammelte der Bürgermeister und fuchtelte mit langen Papierrollen hin und her, als ich ihm endlich öffnete.
„Du siehst nicht gut aus. Gestern wohl etwas über den Durst getrunken?“
Wortlos nahm ich ihm die Pläne aus der Hand und grummelte etwas vor mich hin, was einen „Kommen sie doch bitte rein“ nicht unähnlich klang.
„Bitte was?“ fragte er nach.
Zero half nach und zog ihm an Hosenbein hinein.
Immer noch völlig neben der Bahn goss ich mir und den aktiven Gast Kaffee ein und setzte mich zu ihm an den Tisch.
„Also Jack, die Entwürfe sind fertig. Ich hatte mir eine Mischung aus Rocky Horror Picture Show und…“
Er fing schlagartig an zu husten, als er einen Schluck aus der Tasse nahm.
„Jack, der ist zu stark. Wie viel Pulver hast du genommen?“
„Das ist eine Mischung aus Indien mit Rindernachgeburt und wildem Reis, der schmeckt immer etwas zu stark. “
Der Blick des Bürgermeisters fiel in die Tasse, dann zu mir und zurück in die Tasse.
„Also wirklich, du wirst noch Koffeinabhängig.“ Grinsend schob er sie zur Seite und widmete sich wieder zu seinen Plänen.
Doch ich konnte ihm kaum zuhören. Mich beschäftigte mehr mein Traum von dem Weihnachtsabend damals. Es ist nun mehr als vier Monate her seid ich Oogie besiegt hatte und Sallys Herz erobert hatte. Der Anblick meines Enthaupteten Konkurrenten ließ mich nicht mehr los, trotzdem wollte ich endlich den Gedanken abschieben, mein toter Gegner war völlig primär für mich geworden. Ich hatte besseres zu tun. Schließlich war ich jetzt mit Sally zusammen und wollte sie aus der Hölle namens Finkelsteins Labor retten. Ständig war sie gezwungen, für ihn die Drecksarbeit zu machen und durfte kaum raus um mich zu sehen. Nur wenn sie ihn vergiftete, gelang es ihr meist zu fliehen. Er musste sie nun beschützen und sich um sie kümmern. Sie war praktisch noch ein Kind. Damals war ich acht Jahre, als sie von ihren Vater zusammengebastelt wurde und erweckt wurde. Heute war ich vierundzwanzig Jahre alt, deswegen müsste sie ungefähr sechzehn Jahre alt sein. Und sie brauchte unbedingt die Väterliche Liebe, die sie nie wirklich bekam oder in einer anderen, ungerechten Form.
Jeder in diesem Dorf hatte seine eigene Geschichte.
Selbst ich.
„Jacob? Hörst du überhaupt zu?“
Verwirrt blinzelte ich.
„Ä-ähm ja.“
„Was ist los, mein Junge. Scheinbar hast du die ganze Nacht lang nicht geschlafen und einen ziemlichen Kater hast du auch. Trinkst du aus Frust? Bitte sag mir nicht, dass du jetzt auch noch Alkoholiker wirst!“
„Nicht doch. Das klingt etwas komisch, aber ich habe selbst keine Ahnung was gestern passiert ist und warum ich so müde bin…“ ich blickte benebelt auf die Pläne. Die Zeichnungen ergaben für mich ohne Anleitung wenig Sinn.
„Ich hol mir noch nen’ Kaffee.“
„Jacob, wenn du dich nicht gut fühlst, dann könnte es sein, das Halloween ausfällt.“
Der Bürgermeister fing wieder an hektisch zu werden.
„Wir haben noch fast neun Monate zeit, wie sollte es da ausfallen?“
„Letztes Jahr haben wir uns so viel Mühe gegeben, dass Burberry zwei Mal einen Herzinfarkt bekommen hat. Zwei Mal! Wie sollen wir das übertrumpfen?“
„In dem wir ihn auf den dritten vorbereiten.“
Burberry war der Werwolf aus dem Dorf. Nur ich, der Beamte und gelegentlich der Professor nannten ihn so, da er auch zu den Kreis der Oberhäupter gehörte. Für die anderen hieß er einfach nur Werwolf.
„Tut mir ja Leid, dass ich einen Filmriss habe und ich mich nicht wohl fühle.“, setzte ich mit gedämpfter Stimme nach und setzte mich wieder vor die Pläne. Als ich mich durch die Zeichnungen und Skizzen wühlte, kam mir plötzlich der Aufbau zweier riesigen Steinfiguren entgegen. Es waren ein bewaffneter Mensch mit einem Pferdeunterleib, der andere ein Aufrechtstehender, muskelbepackter Stier. Auf ihren Köpfen thronten große Helme in der Form von Drachenschädeln, in ihren Händen hielten sie Speere. Die Flanke, Oberarme und der Rücken waren mit Metallplatten geschützt. Ich war wirklich begeistert von dieser Idee, endlich wurde mein Job wieder interessanter als die langweiligen Pläne sonst-
„Was ist das?“ fragte ich erstaunt.
„Wächterfiguren. Sie sollen neben die Tore kommen und teilweise in das Labyrinth aufgestellt werden. sind sie nicht hübsch?“
„Aber wer soll die anfertigen?“
Der Bürgermeister stand auf, rollte die Pläne zusammen und nahm sie mit zur Tür.
„Deswegen bin eigentlich hergekommen: Bring dem Professor die Pläne und sag ihm einfach, dass ich dich geschickt habe.“ Und damit verschwand er wieder, so wie er gekommen war.
Mit einem tiefen Seufzer stand ich auf und lief die Treppen hinauf.
„Oh Mann, Zero. Hast du irgendeine Ahnung, was gestern passiert ist?
Mein treuer Begleiter flog an meine Seite und ließ sich von mir streicheln.
„Du hast gestern noch eine Flasche Wein im Keller gefunden und alleine auf Ex getrunken. Da wäre ich auch ordentlich am Arsch, Junge. Aber keine Sorge, wenn du mal kaputt gehst, kommen deine Knochen in das Museum.“
Zero war zwar etwas hart in seiner Ausdrucksweise, aber er sprach immer die Wahrheit. Nur ich und Sally wussten, dass er sprechen konnte, doch meist bellte er einfach nur, das war Kommunikation genug für ihn.
Seid ich alleine hier lebe, ist es ganz schön unordentlich geworden, doch ich hatte nie Zeit oder Lust, aufzuräumen. Lange Bettlaken hingen vor den Fenstern und an den Decken. Das fahle Licht kam durch den dünnen Stoff und erhellte den Raum mit einem cremefarbenen Licht. Ich war sogar zu faul gewesen, das Bett aus dem Keller zu holen und schlief immer auf der Anhöhe auf zwei großen Matratzen. Nichts war schöner, als von Decken umgeben zu sein und morgens nicht vom Sonnenlicht geweckt zu werden.
Wortlos nahm ich meinen Schwalbenschwanzanzug von der Stuhllehne, zog ihn mir über und streckte mich mit einen Gähnen. Eigentlich hatte ich keine Lust heute arbeiten zu gehen.
Und alle waren immer so im Stress, wenn ein Halloween wieder neu vorbereitet wird. Ein Full-Time-Job, ohne Urlaub oder Auszeit. Kein Wunder, das man da immer auf Achse sein sollte und jede Minute kostbar für die Vorbereitungen war. Diese Bestimmung hatte ich mir nicht aussuchen können. Wie mein Vater damals immer gesagt hat: „Du dienst einer edlen Sache.“, worauf ich nur antworten konnte: „Wir sind so gesehen Kriminelle, das ist nicht edel sondern primitiv!“
Zero kreiste ungeduldig um meine Beine.
„Komm schon, der Professor wartet. Und jemand ganz besonderes schreit geradezu danach, von dir endlich gefragt zu werden.“
Da viel es mir wieder ein: Ich wollte Sally heute fragen, ob sie sich endlich von ihren Pflichten im Elternhaus lösen wollte und zu mir ziehen wollte. Diese Frage war sehr wichtig für mich, noch besser als ihr direkt einen Antrag zu machen.
Also nahm ich das große Blatt mit den Konstruktionszeichnungen der Statuen und steckte sie sorgfältig ein.
„Bleib hier, ich bin gleich wieder da.“
„Das hoffe ich doch.“ Grinste der Hund.
Der Marktplatz war erfüllt von den Bürgern des kleinen Dorfes. Alle gingen ihren Alltäglichen Aktivitäten zu, andere halfen mit dem Aufbau des bevorstehenden Festes. Wie oft wünschte ich mir, das gleiche wie sie zu sein: Ein ganz normaler Bewohner, der keine Königlichen Aufgaben hat, eine Familie gründen konnte und mit den anderen feiern konnte. Jeder von ihnen wusste das, konnten damit aber nichts anfangen. Sie wussten schließlich nicht, wie anstrengend meine Arbeit als Kürbiskönig war.
Zwar war ihnen allen bewusst, dass mir der Thron egal wäre, sprachen mich allerdings nie darauf an.
Versteht das nicht falsch, sie empfanden mir gegenüber keine Undankbarkeit, aber alle kannten den Grund, warum ich damals einfach abgehauen war und wie ich auf Weihnachten gekommen bin. Nachvollziehen konnten sie das nicht unbedingt.
Als sie mich erblickten, folgte eine Flutwelle aus morgendlichen Grüßen.
„Morgen.“ Brummte ich nur lapidar, die ganzen Stimmen bereiteten mir übelste Migräne.
„Jack, kann ich dich…kurz sprechen?“ fragte plötzlich das Müllmonster. Ich erkannte ihn an seiner tiefen Stimme, die metallisch aus einen der Mülleimer neben mir ertönte.
„Was ist denn?“
Der Deckel sprang aus, der große, bunte Kopf des stellvertretenden Ratsmitgliedes kam mir entgegen. In seinem dichten Fell hingen Bananenschalen und Bierdeckel.
„Burberry…der Bürgermeister und ich haben gestern…etwas herausgefunden.“
Prüfend sah er über meine Schulter.
„Erinnerst du dich…noch an Acthos?“
Acthos.
Der Name hallte mir durch den Kopf und verbiss sich in meinen Nerven. Wie Säure brannte er in mir, ein Zittern durchzuckte meine Arme und Fingerspitzen. Unwillkürlich zuckte mein Auge.
Es war der Name des Sohnes von Luzifer, dem Herrscher über die Hölle. Ich kannte ihn nur sehr flüchtig, damals hatte ich mal was mit seiner Schwester.
Wir dachten er wäre gestorben. Doch seine runden, tiefen, bodenlosen Höhlen ohne Augen, die Klaue aus Ungeziefer, seine Taten waren in meinen Kopf wie eingebrannt. Er kehrte zurück als Hüllenloser Geist in einen Flickengewand unter den Namen Oogie Boogie und regierte außerhalb des Dorfes in einer Spielhölle. Dieser Mistkerl hatte versucht, meine Freunde umzubringen, schon damals. Auch Sally bedrohte er zum zweiten Mal. Das würde ich ihm nie verzeihen.
„Ja, den Namen vergesse ich nie.“
„Er könnte wiederkehren, Jack.“
Aus meiner plötzlichen Wut wurde plötzliche Angst. Dieser Satz war wie ein Blitzeinschlag.
„Was?“ rief ich entsetzt aus.
Die Pranke des Monsters hielt mir den Mund zu.
„Bist du irre?“ zischte er. „Leise!“
Ich nickte.
„Aber wie kommt ihr denn darauf? Ich habe ihn doch…“
„Das…dachten wir auch…“ Ergänzte er.
Ich musste schlucken. Könnte es wirklich sein, dass mein Erzfeind zurückkommen könnte um Rache auszuüben?
„Burberry kam letztens…von einem Rundgang um das Dorf zurück und hörte etwas…aus seinem damaligen Versteck. Genau deuten konnte er es nicht, aber…es hörte sich gruselig an. Richtig unheimlich. Eine Art Lachen, gemischt…mit Geisterstimmen.“
„Das hat gar nichts zu bedeuten!“ antwortete ich entschlossen. „Vielleicht hat sich dort ein Geist verirrt oder ein betrunkener Zeuge Jehovas ist dort runtergefallen.“
Das Müllmonster sah mich ernst an.
„Ich…bitte dich Jack. Was ist…wenn nicht?“
„Ihr macht euch einfach zu viele Sorgen. Beruhigt euch, Oogie ist tot!“
Und damit machte ich mich wieder auf den Weg zum Laboratorium.
Um meinen Feind wollte ich mir wirklich keine Gedanken mehr machen.
„Das wird kein Gutes Ende nehmen.“ Murmelte das Monster und verschwand wieder in seiner Tonne.
Finkelsteins Labor sah nicht nur aus wie ein windschiefes Gefängnis, es war auch eins. Dort hielt er seine erschaffene Tochter Sally gefangen und verdonnerte sie zum arbeiten. Ich wusste, wie schwer es war, in so etwas mit hineingezogen zu werden, die hälfte meiner Jugendzeit hatte ich zusammen mit ihr dort verbracht.
Schon damals hatte ich versucht, sie zu überzeugen, mit mir zu fliehen, doch sie war zu schwach und wollte nicht gehen. Heute wollte ich sie auf jeden Fall fragen, ohne gestört zu werden.
Der steinige Weg war an einigen Stellen abgebröckelt, ein paar Steine fehlten. Um die Villa erstreckte sich eine tote Landschaft mit verwelkten Blumen, Pflanzen und Kürbissen. Aus dem obersten Fenster ertönten die Geräusche von verbiegendem Metall, Kreissägen und Knistern.
In der Hoffnung, jemand würde mir hören, klopfte ich an die Tür.
Keiner kam.
„Toll!“ knurrte ich und sah an der Wand hinauf. Sallys Zimmer war nicht so weit entfernt, sie müsste mich von hier unten hören können.
„Sally?“ rief ich hinauf. Keine Antwort.
Plötzlich flog die Tür auf und fegte mich beinahe um. Igor, der kleine, verkrüppelte Gehilfe des Professors stand mir gegenüber. Seine gelben Katzenaugen funkelten mich an.
„Jacob Skellington!“ er grinste heimtückisch. „Was macht eure Hoheit bei uns?“
„Es geht um die Pläne für Halloween. Wo ist dein Meister?“
„Immer diese Pläne…“ säuselte er und pickte eine Kakerlake aus seinen verbliebenen Haaren, die wild zappelte.
„Immer Pläne für Halloween, immer Aufgaben. Keine Zeit für sich selbst, oh nein. Nie Zeit für seine große Liebe.“
Sein Ausdruck fiel.
„Der Meister weiß bescheid, Jack, er weiß alles.“
Das Schalentier wurde zwischen seinen Fingern zerdrückt. „Er weiß von dir und seiner Tochter. Unreine Untote, die sich an seinen eigenen Fleisch und Blut vergehen, sie alle sollten…!“
„Igor!“ kam die ernste Stimme des Doktors dazwischen. Wie ein geschundener Hund schlich er davon.
Quietschend kam der Rollstuhl zum Eingang.
„Tut mir Leid, mein Junge. Igor ist einfach zu wenig an der frischen Luft, das würde ihn mal gut tun.“
Er warf ihm einen kalten Blick zu.
„Also, mit war habe ich die Ehre unseren König mitten in den Vorbereitungen für Halloween zu sehen?“
Vorsichtig sah ich über seine Schulter. Keine Spur von Sally.
„Äh, der Bürgermeister hat mir das hier gegeben und ich wollte sie fragen…“
Wortlos fuhr der Professor vor, die Stufenlose Treppe hinauf, und ich folgte ihm. Einen letzten Blick zum kleinen Gehilfen, der sich in der dunkelsten Ecke versteckte und seine Katzenaugen mich verfolgten.
„Wir gehen in mein Labor, da kannst du mir alles erzählen.“
Ich sah mich um. Sally war sonst immer irgendwo zu sehen, meistens putzte sie. Doch heute war sie wieder nicht zu sehen. Seit Finkelstein ihre Methoden herausfand, wie sie ihn immer lahm stellte, gewährte er ihr kaum noch, überhaupt mit Fremden zu sprechen. Wieder zog sich mein Magen zusammen vor unterdrückter Wut, der alleinige Gedanke brachte mich immer wieder zur Weißglut.
Sie war nirgends zu finden, selbst ihr Zimmer war leer. Ich traute mich nicht nachzufragen, wo sie wäre. Wenn es nämlich unter Umständen stimmen sollte, dass er von unserer Affäre wusste, würde er mich direkt wieder wegschicken. Er sollte überhaupt nichts von uns erfahren.
Das Labor war dunkel und überall waren Maschinen, OP Tische, Flaschen in allen Formen und mit allen möglichen Farben.
Pläne und Pergamente lagen achtlos am Boden, Bücher stapelten sich neben den Arbeitstischen. Scherben lagen auf den Boden, der Geruch von Verbrannter Haut und Eisen stieg mir in die Nase.
Finkelstein parkte vor einen Tisch, schob die Papiere zur Seite und reichte mir eine Tasse.
„Tee oder Kaffee?“
„Kaffee bitte.“
Er goss uns beiden ein und fragte: „Also, worum geht’s, Jacob?“
Ich griff in meine Hosentasche und zog den sorgfältig gefalteten Plan heraus und reichte ihn dem Professor.
Lange Zeit starrte er einfach nur auf die Zeichnungen oder kratzte sich gelegentlich am Hirn.
„Was willst du denn mit zwei Statuen?“
„Nun…sie sähen doch ganz hübsch aus, oder?“
Er sah mich missbilligend an.
„Ich hab ja eine Theorie: Wenn man tausend Jahre tausend Affen auf einer Schreibmaschine tippen lässt, dann kommt irgendwann mal Shakespeares dabei heraus. Nimmt man aber tausend geistig behinderte Affen, gibt denen Alkohol und höchstens zehn Minuten, erhält man Big Brother. Und der Bürgermeister sollte wirklich mal ne Urinprobe abgeben, wenn er auf so etwas kommt.“
„Wieso?“ fragte ich.
„Nun ja, die Konstruktion wäre kein Problem…“
Die Klappe auf seinen Kopf öffnete sich erneut und er kratzte sich am Gehirn.
„…Aber die Größe ist das Problem. Weißt du, ich bin kein Ingenieur und auch nicht unbedingt ein Handwerker, aber das müsste ich schaffen.“
Und damit fing er an, an dem Plan zu messen und Notizen zu machen.
„Und damit entlasse ich dich wieder, mein Junge.“
„Vielen Dank.“
Er winkte ab.
„Schon gut, schon gut.“
Finkelstein hasste es, wenn man ihm dankte und er selbst konnte auch nur schlecht danke sagen. Alles was er wollte, war Ruhe und Zeit.
Und die gab ich ihm nun auch. Doch bevor ich durch die Haustür verschwinden konnte, blieb ich stehen. Sally saß in ihrem Zimmer und sah aus dem Fenster über den Wald. Dort hatte sie sehr lange, fast ihre gesamte Zeit als Kind verbracht, Pilze gesucht und mit den Eichhörnchen gesprochen. Deshalb roch ihr Haar auch immer nach Harz und Erdbeeren. Ein anziehender Duft.
Doch seid der Professor dreimal in einen Monat von ihr vergiftet wurde, durfte Sally überhaupt nicht mehr aus dem Haus.
„Sally?“ fragte ich vorsichtig.
Sie schreckte auf und sah zu mir hinüber. Ihre großen Augen, das eine blau, das andere braun, schimmerten feucht und sie wurde schlagartig rot.
„Jack.“ Sagte sie verwundert. „Seid wann bist du denn hier?“
„Nicht lange. Ich hab dich eben gesucht.“
Ich trat in ihr Zimmer und strich ihr über die Wange. Sie war immer noch so schüchtern, obwohl sie mich nun so gut kannte.
„Hab dich gar nicht gehört…“ „Du warst auch eben nicht in deinen Zimmer. Konntest ja nichts dafür.“
Beschämt fummelte sie an ihren Fingern und scharrte mit den Füßen.
„Ich habe eine wichtige Frage an dich.“ Flüsterte ich ihr zu.
„Was denn?“ fragte sie verwundert.
Bevor ich Luft holen konnte und ihr von meinen Plan erzählen konnte, stockte ich. Igors Katzenaugen starrten uns vom Ende der Treppe aus an, ein dreckiges Grinsen lag ihm auf den Lippen. Unsere Blicke kreuzten sich.
Ein unangenehmes Gefühl stieg in mir auf. Wut und Hass auf alles in diesem Haus, da alle meine geliebte Sally beobachteten. Schier jedes Lebewesen in den Gemäuern dieses Gefängnisses wurde von Finkelstein kontrolliert.
„Ich kann dir das jetzt nicht sagen. Ich erkläre es dir heute Abend auf den Friedhof, wenn der Mond am höchsten steht.“
Und damit lief ich wieder aus dem Zimmer, ohne mich zu verabschieden.
Im Stillen bestrafte ich mich dafür selbst, dass ich sie einfach so stehen ließ. Doch das war alles, was ich tun konnte, um nicht die Aufmerksamkeit des Professors auf sie zu richten.
Mein Magen schmerzte.
Igor öffnete mir die Tür.
„Auf Wiedersehen, eure Majestät.“
Ich blieb stehen und warf ihm einen eiskalten Blick zu. Die Schlitze in seinen Puppillen verengten sich, als er leise kicherte. Am liebsten hätte ich ihn erwürgt. Ich knirschte mit den Zähnen, bis sie wehtaten.
„Pass auf, was du mit ihr machst!“ Zischte ich ihm zu. „Ich behalte dich im Auge.“
Dann wandte ich mich von ihm ab und lief zurück zum Marktplatz und verschwand in dem Auflauf von Bewohnern.
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