Mark Brandis Junior: Eine alte Schuld
von Ender Wiggin
Kurzbeschreibung
Mittlerweile hat auch Mark Brandis Junior die VEGA Akademie durchlaufen und hat sie erfolgreich abgeschlossen. Zum Lieutenant befördert, wurde er dem Projekt Zypro zugeteilt. Als Zweimannjäger konzipiert, sollen sie die Nachfolge der Tauruszerstörer antreten. Auch Steffen, Marks bester Freund, wurde diesem Projekt zugeteilt. Doch nun geht das Projekt seinem Ende zu und auf Mark Junior warten neue Herausforderungen, die ihn diesmal an die Seite seines Vaters führen sollen.
GeschichteAbenteuer / P12 / Gen
John Harris
Mark Brandis
Mark Brandis Junior
Ruth O´Hara
07.10.2011
22.03.2012
9
19.528
07.10.2011
2.718
Kapitel 7: Gespräche
Endlich war mein Zwangsaufenthalt in meiner Kabine beendet. Gut, ich hätte natürlich während meiner Freizeit auch durchs Schiff stromern können, doch das erschien mir nicht angebracht und auch auf die Messe hatte ich keine Lust gehabt. Wie auch immer, endlich hatte ich wieder Dienst auf der Brücke und konnte mich dort aufhalten, wo ich einfach am liebsten war.
Commander Brandis nickte mir zu, als ich die Kommandozentrale des Schiffes betrat. Noch immer fiel es mir zu weilen schwer, den Mann, mit dem ich mein ganzes bewusstes Leben verbracht hatte – soweit er da war – als meinen Commander zu sehen. Andererseits waren die Streifen an seiner Uniform unübersehbar. Ich dachte an die Zeit zurück, als ich nur von dem Commander sprach und dachte. So lange war das noch gar nicht her. Doch es war viel geschehen seit diesen Tagen. Und immer wieder fragte ich mich, war das gerecht, was ich über ihn gedacht hatte und was viel wichtiger war, war ich nicht zum Teil auch schon so geworden? Die Last der Verantwortung, die mein Rang mit sich brachte, ließ wohl nichts anderes zu. Ich konnte nicht mehr der unbeschwerte Junge sein, auch nicht mehr der Jugendliche, der ich einst war. Ich musste Disziplin wahren, bei mir selbst und bei anderen. Musste mich nur vor meinem Commander rechtfertigen und vor meinem Gewissen.
Viele Entscheidungen fielen mir schwer, doch ich wusste genau, ich musste sie treffen, oder ich war fehl am Platze. Musste meine Streifen wieder abgeben und mich in einem anderen Beruf versuchen.
Ein anderer Beruf? Undenkbar. Und meine Streifen waren mir fast heilig. Also: Nicht beschweren, bewältigen.
Manchmal fragte ich mich, wie mich wohl die anderen sahen auf diesem Schiff. Manchmal fragte ich dies auch Steffen. Schließlich war er mein Freund und nicht nur mein Bording. Doch von ihm bekam ich nur beruhigende Worte. Keiner schien sich an meinem Alter zu stören – sah man von gewissen Wissenschaftlern ab. Die Lieutenants schienen zufrieden zu sein, und unser Smutje war sowieso nicht zu erschüttern. Doch waren sie Steffen gegenüber ehrlich? Sicherlich war bekannt, dass wir befreundet waren. Ich wusste es nicht.
Bislang hatte ich keine Kritik von meinem Vorgesetzten bekommen und auch mein Gewissen schien sich nicht über irgendetwas aufzuregen. Vielleicht sollte ich also ganz zufrieden sein. Vielleicht wäre aber gerade das ein großer Fehler: Selbstzufriedenheit. Nein, soweit durfte ich es nicht kommen lassen. Ständiges Hinterfragen war der Garant für einen guten Weg. Welcher meiner Ausbilder hatte das noch gesagt? Ich wusste es nicht mehr, doch der Satz ist hängengeblieben.
Nach der kurzen Übergabe rechnete ich damit, dass der Commander mich alleine meine Nachtwache machen lassen würde und die Brücke verließ. Doch er blieb auf seinem Stuhl sitzen und studierte irgendwelche Schriftstücke. Nun, jeder Rang hat seine Privilegien. Es musste mir ja nicht gefallen und ich konnte ihn auch schlecht auffordern, die Brücke zu verlassen.
Also besah ich mir die Anzeigen. Alles im grünen Bereich. Ich stellte einige Berechnungen an – völlig überflüssig, dennoch sah es beschäftigt aus. Danach wandte ich mich wieder meinen Anzeigen zu. Nichts Außergewöhnliches. Ich wagte einen Seitenblick auf den Commander. Der schien völlig vertieft in seiner Lektüre.
Nur so zum Spaß berechnete ich den Kurs zum Hundsstern. Sirius hatte mich schon immer fasziniert. Nur eine kleine Korrektur mit den Steuerdüsen und schon würde unsere Reise ein paar hundert Jahre länger dauern. Natürlich führte ich das Manöver nicht durch. Nun wollte ich es genau wissen. Wie lange wären wir bei der derzeitigen Geschwindigkeit unterwegs? Ich tippte einige Zahlen in den Computer und schon nach wenigen Augenblicken erschien dort eine Zahl. Ich pfiff leise durch die Zähne.
Der Commander legte seine Schriftstücke zur Seite und fragte:
„Und, wie lange wird es dauern?“
„Etwas mehr als 200 Jahre.“
Nachdem ich die Antwort gegeben hatte, biss ich mir auf die Lippen. Das war bestimmt nicht die Antwort, die mein Vorgesetzter hören wollte.
„Sirius nehme ich an?“
„Ja, Sir. Verzeihung, ich werde sofort die richtige Zeit ermitteln.“
„Nein, nein. Ist schon gut. Ich wollte nicht die Ankunftszeit auf Pilgrim erfahren, sondern das Ziel Ihrer Berechnungen.“
„Sir?“
„Glauben Sie vielleicht, solche Berechnungen haben Sie als Erster durchgeführt?“
Ein grimmiges Lachen schallte mir entgegen.
„Ich habe früher immer den Kurs zur Wega berechnet. Schon wegen des Gleichklangs, Sie verstehen?“
Ich nickte. Für die nächste einsame Wache würde ich das auch mal versuchen.
Der Commander sah über die Schulter und drehte sich dann wieder zu mir um.
„Captain, können Sie reden und gleichzeitig den Instrumenten Ihre Aufmerksamkeit widmen?“
„Ja, Sir. Ich denke, das kann ich.“
„Dann lass uns reden, Mark.“
„Sir?“
„Lass den Sir weg. Wir sind unter uns und was ich zu sagen habe, ist nicht unbedingt dienstlich.“
Ich grinste ihn an.
„Was sagen dazu die Vorschriften, Mark?“
„Gar nichts, Mark. Die besagen nur, dass man seinen Dienst gewissenhaft ausführen muss. Und du hast mir gerade bestätigt, dass du zuhören kannst und dennoch deiner Pflicht nachgehst.“
„Und wenn ich es nicht schaffe?“
„Ich kenne deinen Commander und werde ein gutes Wort für dich einlegen.“
Selten hatte ich ihn in solch lockerer, ja aufgeräumter Stimmung erlebt. Schon gar nicht im Dienst. Ich war sehr gespannt, was es zu bereden gab, was nicht warten konnte.
„Ich wollte schon länger mit dir reden, aber ich wollte es unter vier Augen machen. Zuhause ist immer Ruth da gewesen und ansonsten hatte es keine richtige Gelegenheit gegeben.“
„Sprich, ich höre zu.“
„Du sollst nicht nur zuhören. Aber doch, zumindest erst einmal wäre es vielleicht günstiger. Doch wenn du Fragen hast, nur raus damit, vielleicht werden wir nie wieder solch eine Gelegenheit bekommen.“
Plötzlich ergriff mich Sorge.
„Es ist doch alles okay mit dir? Ich meine, du bist nicht krank, oder?“
„Nein, nein. Mir geht es gut. Doch man weiß nie, was der morgige Tag bringt. Ach, lassen wir das. Meine letzte Routineuntersuchung war völlig ohne Befund.“
Mir fiel ein Stein vom Herzen.
„Das einzige Leiden, das ich habe“, fuhr er fort, „kann kein Arzt heilen.“
„Was?“, mehr fiel mir nicht ein.
„Das Alter!“
„Das Alter?“
„Nun tue nicht so erstaunt. Du warst auf meinem letzten Geburtstag. Die Zahl auf der Torte war kein Scherz. Ohne Weiteres könnte ich dein Großvater sein. Und ehrlich“, er machte eine kleine Pause, „manchmal fühle ich mich auch so.“
„Aber du bist doch noch fit, und – das jetzt Mal ganz privat – einer der besten Commander, der zurzeit seinen Dienst tut.“
„Ich danke dir – auch ganz privat. Auch, wenn es nicht ganz die Wahrheit ist. Es gibt einige, die sind mindestens genauso gut.“
Er grinste und das Grinsen machte sein Gesicht noch jünger. Gut, ich wusste, wie alt er war, doch ich wusste auch, dass er es mit manchen viel jüngeren aufnehmen konnte und das Kompliment war nicht einfach so dahingesagt. Seine Erfahrung, sein Wissen, sein Können, damit kann es wohl keiner aufnehmen. Ich formulierte meine nächsten Worte vorsichtig.
„Aber du bist Mark Brandis, eine lebende Legende.“
„Oh, danke schön. Legende klingt nicht schlecht, aber es erinnert mich eher an Odysseus, Siegfried und Herakles. Von der Legende zum Denkmal ist es ja nicht weit und eines haben Legenden nun mal so an sich: Sie sind alt, oder tot.“
„Tot bist du nicht.“
„Dann bleibt ja nur noch alt übrig. Das sage ich doch die ganze Zeit. Diese Jugend hört einfach nicht zu.“
„So jung bin ich ja auch nicht mehr und ich höre zu. Doch ich vernahm wohl deine Worte, doch blieb der Sinn mir dunkel. Was willst du mir sagen?“
„Wusste gar nicht, dass du das alte Zitat noch kennst.“ Wieder grinste er, doch er wurde schnell wieder ernst.
„Was ich damit sagen will, ist, dies wird meine letzte Reise als Commander sein.“
„Was?“
Beinahe wäre ich von meinem Sitz gerutscht und ich merkte, wie mir das Blut aus dem Gesicht wich.
„Nicht dein Ernst!?“
„Doch, Mark, mein voller Ernst. Ich habe die meiste Zeit meines Lebens unter dem kalten, unnahbaren Glanz der Sterne gelebt. Raumschiffe waren mein Leben. Sehr zum Leidwesen deiner Mutter.“
„Aber sie hat sich nie beklagt.“
„Nicht laut. Das stimmt, aber ich weiß, dass sie oft traurig darüber war, mich immer teilen zu müssen. Einmal sagte sie: 'Lieber teile ich dich mit den Sternen, als dich gar nicht zu haben.' Es war eine der schönsten Liebeserklärungen, die ich je gehört habe. Dennoch, es muss einmal vorüber sein, die ewige Trennung. Ich will nicht mehr ohne sie einschlafen. Ich will nicht mehr morgens aufstehen und nicht wissen, ob Ruth nicht am Abend Witwe ist. Unser Beruf, so sehr ich ihn auch liebe, ist gefährlich. Zu viele Freunde habe ich verloren, zu viele gute Männer sterben sehen. Es wird Zeit, auch einmal an Ruth zu denken.
Du selbst hast mich selten gesehen. Vielleicht wäre alles anders verlaufen, wenn es nicht so gewesen wäre. Doch du gehst jetzt deinen eigenen Weg, wirst dein eigenes Leben führen. Ruth und ich aber wollen noch ein paar Jahre ohne Trennung sein und diese Zeit genießen.“
„Ich war dem immer im Weg, stimmts?“
„Was?“ Er sah mich verdutzt an. „Das denkst du?“
„Ist es nicht so? Du warst selten da und wenn, musstest du deine Frau immer mit mir teilen.“
„Ich gebe zu, es war nicht ganz einfach mit dir, aber so habe ich es nie gesehen. Willst du wissen, was ich über dich dachte?“
„Nur raus damit, das interessiert mich jetzt.“
In mir war plötzlich wieder der alte Zorn, die alten Gefühle brachen wieder durch. Ich konnte es nicht verhindern. Vielleicht wollte ich es auch nicht. In diesem Moment war er nicht mein Commander, sondern wieder DER Commander. Jetzt würden wir endlich Klarschiffmachen.
„Gut, dann will ich es endlich los werden. Du warst für mich der Garant, dass ich wieder aufbrechen konnte. Du warst der Grund, warum ich immer wieder zurückkehrte zu den Sternen.“
„Weil du mich nicht ertragen konntest?“
„Nein, Mark. Weil ich wusste, dass Ruth nicht alleine war. Weil sie jemand an ihrer Seite hatte, den sie liebte und der sie liebte. Wenn ich schon nicht da sein konnte, so war es mir stets ein Trost, dass Du da warst. Ich wusste Ruth in guten Händen. Klingt vielleicht doof, schließlich warst du ja noch so klein. Zumindest am Anfang. Doch auch als du klein warst, warst du Ruth ein Halt. Du gabst Ihrem Leben eine große Portion Sinn. Mehr Sinn, als auf mich zu warten, mehr Sinn, als ihre Arbeit. Es hat eine Weile gedauert, bis ich es durchschaut hatte, bis ich begriffen hatte, warum sie dich mitgenommen hatte. Mal ganz davon abgesehen, dass ihr großes Herz sie gar nicht hätte anders handeln lassen können, hatte sie vom ersten Augenblick ihr Herz an dich verloren.
Du warst ein Quälgeist, du warst quengelig, schreckhaft, weinerlich, das Schlimmste, was man sich unter einem Dreijährigen vorstellen konnte. Doch Ruth sah durch all das hindurch, sah deinen Schmerz, deine Furcht, deine Eifersucht nur als Schutzmantel um dich herum. Sie sah durch diese Mauer und sah Dich, so wie du heute bist. Intelligent, sensibel, mit Durchsetzungsvermögen, ohne die kleinsten Anzeichen einer Geltungssucht. Sie sah in dem kleinen Jungen, den talentierten, liebenwerten jungen Mann, der du heute bist. Sie hat immer Talent gehabt, hinter die Fassade zu blicken. Menschen zu durchschauen. Hinter Leuten, die schön taten, sah sie die Ungeheuer, die in ihnen schlummerten und in denen, die sich alle Mühe gaben, nicht geliebt zu werden, sah sie die Liebenswerten. Ich weiß nicht, wie sie es macht, aber es ist eindeutig ihr Talent. Und ich habe nie erlebt, dass sie danebenlag.“
Während er sprach musste ich einige Male schlucken und ein leichtes Brennen in den Augen verriet, dass ich ihm glaubte und ihn verstand. Es war ein Wechselbad der Gefühle. Scham über meine, so dachte ich, längst abgelegte Wut, Scham über die Verdächtigungen. Ehrfurcht, Bewunderung waren zwei Dinge, die mir öfter in Bezug auf Mark Brandis senior kamen, doch nun machte sich ein völlig anderes Gefühl in mir breit. Während ich mit den Tränen kämpfte, spürte ich es: Zuneigung und – ich musste es mir eingestehen – Liebe zu diesem alten Astronauten. Nie hätte ich es mir träumen lassen, nie hätte ich es erwartet. Kameradschaft – okay, Freundschaft, sehr wohl denkbar, doch Liebe hätte ich nie erwartet.
Ich wusste nicht wieso, doch ich wusste: Jedes Wort war wahr. Er hatte mir sein Innerstes gezeigt. Hatte mich seine Seele berühren lassen. Und ich war traurig. Traurig über all die Stunden, die ich ihn bekämpft hatte, all die langen Zeiten, die ich trotzig in meinem Zimmer verbracht hatte, ihn mit Ignoranz gestraft hatte, mit Tritten und Bissen versehen hatte. Und ich schämte mich der Freude, wenn er endlich wieder abgereist war.
Meine Hand fuhr über meine Wange, die einzelne Träne, die ich nicht mehr halten konnte, kitzelte. Ich wollte schnell den Kopf wegdrehen, doch Mark hielt mich zurück.
„Ich sagte doch, wir sind unter uns. Und alles, was hier geschieht, bleibt auch unter uns. Oder hast du Angst, ich würde es beim nächsten Bordmeeting verkünden?“
„Nein, das wohl eher nicht. Aber du kannst es doch nicht leiden, Tränen zu sehen.“
„Leiden ist nicht das richtige Wort. Ertragen wäre richtiger. Ich habe nie gelernt, damit umzugehen. Doch in manchen Augenblicken, kann ich es ertragen.“
„Ich war ein ganz schöner Idiot“
„Soweit würde ich nicht gehen.“
„Aber was ich alles getan habe, was ich alles gesagt habe. Du musst mich doch ganz schön gehasst haben zu dieser Zeit?“
„Wie gesagt, es war nicht immer einfach mit dir, doch gehasst habe ich Dich nie.“
„Warum hast du mich nicht einfach vor die Tür gesetzt?“
„Nun, da sprachen zwei triftige Argumente dagegen.“
„Zwei?“
„Zum Ersten hatte ich dich ja adoptiert, sprich an Kindes Statt angenommen. Kinder wirft man nicht einfach vor die Tür, da gibt es Gesetze gegen. Obwohl, vielleicht hätte ich mildernde Umstände bekommen. Aber es gab ja noch den Zweiten. Deine Mutter. Eher hätte sie mich vor die Tür gesetzt.“
„Das glaube ich nicht.“
„Frag sie mal bei Gelegenheit. Du wirst erstaunt sein. Der Spatz in der Hand ist immer besser, als die Taube auf dem Dach.“
„Du bist natürlich die Taube!“
„Selbstredend! Doch ich war auf dem Dach. Selten zu Hause, oft Wochen, manchmal monatelang. Du warst immer bei ihr. Also Spatz!“
„Wo steht eigentlich in der Dienstvorschrift, dass ein Commander seinen Captain Spatz nennen darf?“
„Artikel 405, Absatz Drei, Unterpunkt 12. Außerdem habe ich nicht Spatz zu Dir gesagt, sondern dich lediglich als solchen bezeichnet, das ist ein Unterschied.“
„Haarspalterei! Und ich glaube nicht, dass es diesen Unterpunkt gibt.“
„Ich werde wohl meinen Captain anweisen müssen, dass er die Artikel des Bordgesetzbuches auswendig lernt.“
„Wird besagter Captain dann diesen Punkt finden?“
„Das wird er dann schon sehen.“
Ich nahm mir vor, den entsprechenden Artikel herauszusuchen.
„Ich werde jetzt die Brücke verlassen, Captain. Noch einen angenehmen Dienst. Wenn etwas sein sollte – aber das wissen Sie ja.“
„Aye, aye, Sir. Wenn etwas ist, werde ich den Commander natürlich rufen, soweit es die Anwesenheit des Commanders erfordert, versteht sich.“
Dann änderte ich den Tonfall.
„Danke für das Gespräch. Es hat wirklich gut getan.“
Er antwortete im selben Tonfall:
„Mir auch. Das hätte ich schon vor Jahren machen sollen.“
Dann wieder dienstlich:
„Ach, Captain, Sie sollten mal den Kurs überprüfen.“
„Kurs überprüfen, aye, aye, Sir.“
„Wenn Sie das getan haben, können Sie ja mal nachdenken, ob Sie bei der VEGA bleiben wollen, bei der UGzRR wird demnächst eine Planstelle frei.“
Bevor ich etwas erwidern konnte, hatte er die Brücke verlassen. Ich sah ihm noch eine Weile mit offenem Mund nach, dann erinnerte ich mich an den letzten Befehl und überprüfte den Kurs.
Selbst von seinem Platz aus hatte er bemerkt, dass eine winzige Korrektur nötig war. Von wegen alt! Nachdem ich die Steuerdüsen bemüht hatte, wanderten meine Gedanken zum letzten Satz. War die VEGA meine Zukunft? Sollte ich zur UGzRR wechseln? Tief im Herzen wusste ich, ich gehörte zu den Sternen, daran gab es keinen Zweifel. War es aber das Testen neuer Schiffe, oder lag mein Streben eher darin, anderen zu helfen? Eine schwere Entscheidung. Doch gab es wirklich eine Wahl? Und wenn, würden da auch zwei Stellen frei sein? Noch war ich nicht bereit, gänzlich auf die Freundschaft von Steffen zu verzichten. Und wollte er überhaupt? Ich wusste es nicht, nur eines wusste ich. Mein Dienst auf der Brücke würde noch ein paar Stunden dauern und es gab noch viele Flugbahnen zu berechnen. Zunächst einmal die zur Wega.
Endlich war mein Zwangsaufenthalt in meiner Kabine beendet. Gut, ich hätte natürlich während meiner Freizeit auch durchs Schiff stromern können, doch das erschien mir nicht angebracht und auch auf die Messe hatte ich keine Lust gehabt. Wie auch immer, endlich hatte ich wieder Dienst auf der Brücke und konnte mich dort aufhalten, wo ich einfach am liebsten war.
Commander Brandis nickte mir zu, als ich die Kommandozentrale des Schiffes betrat. Noch immer fiel es mir zu weilen schwer, den Mann, mit dem ich mein ganzes bewusstes Leben verbracht hatte – soweit er da war – als meinen Commander zu sehen. Andererseits waren die Streifen an seiner Uniform unübersehbar. Ich dachte an die Zeit zurück, als ich nur von dem Commander sprach und dachte. So lange war das noch gar nicht her. Doch es war viel geschehen seit diesen Tagen. Und immer wieder fragte ich mich, war das gerecht, was ich über ihn gedacht hatte und was viel wichtiger war, war ich nicht zum Teil auch schon so geworden? Die Last der Verantwortung, die mein Rang mit sich brachte, ließ wohl nichts anderes zu. Ich konnte nicht mehr der unbeschwerte Junge sein, auch nicht mehr der Jugendliche, der ich einst war. Ich musste Disziplin wahren, bei mir selbst und bei anderen. Musste mich nur vor meinem Commander rechtfertigen und vor meinem Gewissen.
Viele Entscheidungen fielen mir schwer, doch ich wusste genau, ich musste sie treffen, oder ich war fehl am Platze. Musste meine Streifen wieder abgeben und mich in einem anderen Beruf versuchen.
Ein anderer Beruf? Undenkbar. Und meine Streifen waren mir fast heilig. Also: Nicht beschweren, bewältigen.
Manchmal fragte ich mich, wie mich wohl die anderen sahen auf diesem Schiff. Manchmal fragte ich dies auch Steffen. Schließlich war er mein Freund und nicht nur mein Bording. Doch von ihm bekam ich nur beruhigende Worte. Keiner schien sich an meinem Alter zu stören – sah man von gewissen Wissenschaftlern ab. Die Lieutenants schienen zufrieden zu sein, und unser Smutje war sowieso nicht zu erschüttern. Doch waren sie Steffen gegenüber ehrlich? Sicherlich war bekannt, dass wir befreundet waren. Ich wusste es nicht.
Bislang hatte ich keine Kritik von meinem Vorgesetzten bekommen und auch mein Gewissen schien sich nicht über irgendetwas aufzuregen. Vielleicht sollte ich also ganz zufrieden sein. Vielleicht wäre aber gerade das ein großer Fehler: Selbstzufriedenheit. Nein, soweit durfte ich es nicht kommen lassen. Ständiges Hinterfragen war der Garant für einen guten Weg. Welcher meiner Ausbilder hatte das noch gesagt? Ich wusste es nicht mehr, doch der Satz ist hängengeblieben.
Nach der kurzen Übergabe rechnete ich damit, dass der Commander mich alleine meine Nachtwache machen lassen würde und die Brücke verließ. Doch er blieb auf seinem Stuhl sitzen und studierte irgendwelche Schriftstücke. Nun, jeder Rang hat seine Privilegien. Es musste mir ja nicht gefallen und ich konnte ihn auch schlecht auffordern, die Brücke zu verlassen.
Also besah ich mir die Anzeigen. Alles im grünen Bereich. Ich stellte einige Berechnungen an – völlig überflüssig, dennoch sah es beschäftigt aus. Danach wandte ich mich wieder meinen Anzeigen zu. Nichts Außergewöhnliches. Ich wagte einen Seitenblick auf den Commander. Der schien völlig vertieft in seiner Lektüre.
Nur so zum Spaß berechnete ich den Kurs zum Hundsstern. Sirius hatte mich schon immer fasziniert. Nur eine kleine Korrektur mit den Steuerdüsen und schon würde unsere Reise ein paar hundert Jahre länger dauern. Natürlich führte ich das Manöver nicht durch. Nun wollte ich es genau wissen. Wie lange wären wir bei der derzeitigen Geschwindigkeit unterwegs? Ich tippte einige Zahlen in den Computer und schon nach wenigen Augenblicken erschien dort eine Zahl. Ich pfiff leise durch die Zähne.
Der Commander legte seine Schriftstücke zur Seite und fragte:
„Und, wie lange wird es dauern?“
„Etwas mehr als 200 Jahre.“
Nachdem ich die Antwort gegeben hatte, biss ich mir auf die Lippen. Das war bestimmt nicht die Antwort, die mein Vorgesetzter hören wollte.
„Sirius nehme ich an?“
„Ja, Sir. Verzeihung, ich werde sofort die richtige Zeit ermitteln.“
„Nein, nein. Ist schon gut. Ich wollte nicht die Ankunftszeit auf Pilgrim erfahren, sondern das Ziel Ihrer Berechnungen.“
„Sir?“
„Glauben Sie vielleicht, solche Berechnungen haben Sie als Erster durchgeführt?“
Ein grimmiges Lachen schallte mir entgegen.
„Ich habe früher immer den Kurs zur Wega berechnet. Schon wegen des Gleichklangs, Sie verstehen?“
Ich nickte. Für die nächste einsame Wache würde ich das auch mal versuchen.
Der Commander sah über die Schulter und drehte sich dann wieder zu mir um.
„Captain, können Sie reden und gleichzeitig den Instrumenten Ihre Aufmerksamkeit widmen?“
„Ja, Sir. Ich denke, das kann ich.“
„Dann lass uns reden, Mark.“
„Sir?“
„Lass den Sir weg. Wir sind unter uns und was ich zu sagen habe, ist nicht unbedingt dienstlich.“
Ich grinste ihn an.
„Was sagen dazu die Vorschriften, Mark?“
„Gar nichts, Mark. Die besagen nur, dass man seinen Dienst gewissenhaft ausführen muss. Und du hast mir gerade bestätigt, dass du zuhören kannst und dennoch deiner Pflicht nachgehst.“
„Und wenn ich es nicht schaffe?“
„Ich kenne deinen Commander und werde ein gutes Wort für dich einlegen.“
Selten hatte ich ihn in solch lockerer, ja aufgeräumter Stimmung erlebt. Schon gar nicht im Dienst. Ich war sehr gespannt, was es zu bereden gab, was nicht warten konnte.
„Ich wollte schon länger mit dir reden, aber ich wollte es unter vier Augen machen. Zuhause ist immer Ruth da gewesen und ansonsten hatte es keine richtige Gelegenheit gegeben.“
„Sprich, ich höre zu.“
„Du sollst nicht nur zuhören. Aber doch, zumindest erst einmal wäre es vielleicht günstiger. Doch wenn du Fragen hast, nur raus damit, vielleicht werden wir nie wieder solch eine Gelegenheit bekommen.“
Plötzlich ergriff mich Sorge.
„Es ist doch alles okay mit dir? Ich meine, du bist nicht krank, oder?“
„Nein, nein. Mir geht es gut. Doch man weiß nie, was der morgige Tag bringt. Ach, lassen wir das. Meine letzte Routineuntersuchung war völlig ohne Befund.“
Mir fiel ein Stein vom Herzen.
„Das einzige Leiden, das ich habe“, fuhr er fort, „kann kein Arzt heilen.“
„Was?“, mehr fiel mir nicht ein.
„Das Alter!“
„Das Alter?“
„Nun tue nicht so erstaunt. Du warst auf meinem letzten Geburtstag. Die Zahl auf der Torte war kein Scherz. Ohne Weiteres könnte ich dein Großvater sein. Und ehrlich“, er machte eine kleine Pause, „manchmal fühle ich mich auch so.“
„Aber du bist doch noch fit, und – das jetzt Mal ganz privat – einer der besten Commander, der zurzeit seinen Dienst tut.“
„Ich danke dir – auch ganz privat. Auch, wenn es nicht ganz die Wahrheit ist. Es gibt einige, die sind mindestens genauso gut.“
Er grinste und das Grinsen machte sein Gesicht noch jünger. Gut, ich wusste, wie alt er war, doch ich wusste auch, dass er es mit manchen viel jüngeren aufnehmen konnte und das Kompliment war nicht einfach so dahingesagt. Seine Erfahrung, sein Wissen, sein Können, damit kann es wohl keiner aufnehmen. Ich formulierte meine nächsten Worte vorsichtig.
„Aber du bist Mark Brandis, eine lebende Legende.“
„Oh, danke schön. Legende klingt nicht schlecht, aber es erinnert mich eher an Odysseus, Siegfried und Herakles. Von der Legende zum Denkmal ist es ja nicht weit und eines haben Legenden nun mal so an sich: Sie sind alt, oder tot.“
„Tot bist du nicht.“
„Dann bleibt ja nur noch alt übrig. Das sage ich doch die ganze Zeit. Diese Jugend hört einfach nicht zu.“
„So jung bin ich ja auch nicht mehr und ich höre zu. Doch ich vernahm wohl deine Worte, doch blieb der Sinn mir dunkel. Was willst du mir sagen?“
„Wusste gar nicht, dass du das alte Zitat noch kennst.“ Wieder grinste er, doch er wurde schnell wieder ernst.
„Was ich damit sagen will, ist, dies wird meine letzte Reise als Commander sein.“
„Was?“
Beinahe wäre ich von meinem Sitz gerutscht und ich merkte, wie mir das Blut aus dem Gesicht wich.
„Nicht dein Ernst!?“
„Doch, Mark, mein voller Ernst. Ich habe die meiste Zeit meines Lebens unter dem kalten, unnahbaren Glanz der Sterne gelebt. Raumschiffe waren mein Leben. Sehr zum Leidwesen deiner Mutter.“
„Aber sie hat sich nie beklagt.“
„Nicht laut. Das stimmt, aber ich weiß, dass sie oft traurig darüber war, mich immer teilen zu müssen. Einmal sagte sie: 'Lieber teile ich dich mit den Sternen, als dich gar nicht zu haben.' Es war eine der schönsten Liebeserklärungen, die ich je gehört habe. Dennoch, es muss einmal vorüber sein, die ewige Trennung. Ich will nicht mehr ohne sie einschlafen. Ich will nicht mehr morgens aufstehen und nicht wissen, ob Ruth nicht am Abend Witwe ist. Unser Beruf, so sehr ich ihn auch liebe, ist gefährlich. Zu viele Freunde habe ich verloren, zu viele gute Männer sterben sehen. Es wird Zeit, auch einmal an Ruth zu denken.
Du selbst hast mich selten gesehen. Vielleicht wäre alles anders verlaufen, wenn es nicht so gewesen wäre. Doch du gehst jetzt deinen eigenen Weg, wirst dein eigenes Leben führen. Ruth und ich aber wollen noch ein paar Jahre ohne Trennung sein und diese Zeit genießen.“
„Ich war dem immer im Weg, stimmts?“
„Was?“ Er sah mich verdutzt an. „Das denkst du?“
„Ist es nicht so? Du warst selten da und wenn, musstest du deine Frau immer mit mir teilen.“
„Ich gebe zu, es war nicht ganz einfach mit dir, aber so habe ich es nie gesehen. Willst du wissen, was ich über dich dachte?“
„Nur raus damit, das interessiert mich jetzt.“
In mir war plötzlich wieder der alte Zorn, die alten Gefühle brachen wieder durch. Ich konnte es nicht verhindern. Vielleicht wollte ich es auch nicht. In diesem Moment war er nicht mein Commander, sondern wieder DER Commander. Jetzt würden wir endlich Klarschiffmachen.
„Gut, dann will ich es endlich los werden. Du warst für mich der Garant, dass ich wieder aufbrechen konnte. Du warst der Grund, warum ich immer wieder zurückkehrte zu den Sternen.“
„Weil du mich nicht ertragen konntest?“
„Nein, Mark. Weil ich wusste, dass Ruth nicht alleine war. Weil sie jemand an ihrer Seite hatte, den sie liebte und der sie liebte. Wenn ich schon nicht da sein konnte, so war es mir stets ein Trost, dass Du da warst. Ich wusste Ruth in guten Händen. Klingt vielleicht doof, schließlich warst du ja noch so klein. Zumindest am Anfang. Doch auch als du klein warst, warst du Ruth ein Halt. Du gabst Ihrem Leben eine große Portion Sinn. Mehr Sinn, als auf mich zu warten, mehr Sinn, als ihre Arbeit. Es hat eine Weile gedauert, bis ich es durchschaut hatte, bis ich begriffen hatte, warum sie dich mitgenommen hatte. Mal ganz davon abgesehen, dass ihr großes Herz sie gar nicht hätte anders handeln lassen können, hatte sie vom ersten Augenblick ihr Herz an dich verloren.
Du warst ein Quälgeist, du warst quengelig, schreckhaft, weinerlich, das Schlimmste, was man sich unter einem Dreijährigen vorstellen konnte. Doch Ruth sah durch all das hindurch, sah deinen Schmerz, deine Furcht, deine Eifersucht nur als Schutzmantel um dich herum. Sie sah durch diese Mauer und sah Dich, so wie du heute bist. Intelligent, sensibel, mit Durchsetzungsvermögen, ohne die kleinsten Anzeichen einer Geltungssucht. Sie sah in dem kleinen Jungen, den talentierten, liebenwerten jungen Mann, der du heute bist. Sie hat immer Talent gehabt, hinter die Fassade zu blicken. Menschen zu durchschauen. Hinter Leuten, die schön taten, sah sie die Ungeheuer, die in ihnen schlummerten und in denen, die sich alle Mühe gaben, nicht geliebt zu werden, sah sie die Liebenswerten. Ich weiß nicht, wie sie es macht, aber es ist eindeutig ihr Talent. Und ich habe nie erlebt, dass sie danebenlag.“
Während er sprach musste ich einige Male schlucken und ein leichtes Brennen in den Augen verriet, dass ich ihm glaubte und ihn verstand. Es war ein Wechselbad der Gefühle. Scham über meine, so dachte ich, längst abgelegte Wut, Scham über die Verdächtigungen. Ehrfurcht, Bewunderung waren zwei Dinge, die mir öfter in Bezug auf Mark Brandis senior kamen, doch nun machte sich ein völlig anderes Gefühl in mir breit. Während ich mit den Tränen kämpfte, spürte ich es: Zuneigung und – ich musste es mir eingestehen – Liebe zu diesem alten Astronauten. Nie hätte ich es mir träumen lassen, nie hätte ich es erwartet. Kameradschaft – okay, Freundschaft, sehr wohl denkbar, doch Liebe hätte ich nie erwartet.
Ich wusste nicht wieso, doch ich wusste: Jedes Wort war wahr. Er hatte mir sein Innerstes gezeigt. Hatte mich seine Seele berühren lassen. Und ich war traurig. Traurig über all die Stunden, die ich ihn bekämpft hatte, all die langen Zeiten, die ich trotzig in meinem Zimmer verbracht hatte, ihn mit Ignoranz gestraft hatte, mit Tritten und Bissen versehen hatte. Und ich schämte mich der Freude, wenn er endlich wieder abgereist war.
Meine Hand fuhr über meine Wange, die einzelne Träne, die ich nicht mehr halten konnte, kitzelte. Ich wollte schnell den Kopf wegdrehen, doch Mark hielt mich zurück.
„Ich sagte doch, wir sind unter uns. Und alles, was hier geschieht, bleibt auch unter uns. Oder hast du Angst, ich würde es beim nächsten Bordmeeting verkünden?“
„Nein, das wohl eher nicht. Aber du kannst es doch nicht leiden, Tränen zu sehen.“
„Leiden ist nicht das richtige Wort. Ertragen wäre richtiger. Ich habe nie gelernt, damit umzugehen. Doch in manchen Augenblicken, kann ich es ertragen.“
„Ich war ein ganz schöner Idiot“
„Soweit würde ich nicht gehen.“
„Aber was ich alles getan habe, was ich alles gesagt habe. Du musst mich doch ganz schön gehasst haben zu dieser Zeit?“
„Wie gesagt, es war nicht immer einfach mit dir, doch gehasst habe ich Dich nie.“
„Warum hast du mich nicht einfach vor die Tür gesetzt?“
„Nun, da sprachen zwei triftige Argumente dagegen.“
„Zwei?“
„Zum Ersten hatte ich dich ja adoptiert, sprich an Kindes Statt angenommen. Kinder wirft man nicht einfach vor die Tür, da gibt es Gesetze gegen. Obwohl, vielleicht hätte ich mildernde Umstände bekommen. Aber es gab ja noch den Zweiten. Deine Mutter. Eher hätte sie mich vor die Tür gesetzt.“
„Das glaube ich nicht.“
„Frag sie mal bei Gelegenheit. Du wirst erstaunt sein. Der Spatz in der Hand ist immer besser, als die Taube auf dem Dach.“
„Du bist natürlich die Taube!“
„Selbstredend! Doch ich war auf dem Dach. Selten zu Hause, oft Wochen, manchmal monatelang. Du warst immer bei ihr. Also Spatz!“
„Wo steht eigentlich in der Dienstvorschrift, dass ein Commander seinen Captain Spatz nennen darf?“
„Artikel 405, Absatz Drei, Unterpunkt 12. Außerdem habe ich nicht Spatz zu Dir gesagt, sondern dich lediglich als solchen bezeichnet, das ist ein Unterschied.“
„Haarspalterei! Und ich glaube nicht, dass es diesen Unterpunkt gibt.“
„Ich werde wohl meinen Captain anweisen müssen, dass er die Artikel des Bordgesetzbuches auswendig lernt.“
„Wird besagter Captain dann diesen Punkt finden?“
„Das wird er dann schon sehen.“
Ich nahm mir vor, den entsprechenden Artikel herauszusuchen.
„Ich werde jetzt die Brücke verlassen, Captain. Noch einen angenehmen Dienst. Wenn etwas sein sollte – aber das wissen Sie ja.“
„Aye, aye, Sir. Wenn etwas ist, werde ich den Commander natürlich rufen, soweit es die Anwesenheit des Commanders erfordert, versteht sich.“
Dann änderte ich den Tonfall.
„Danke für das Gespräch. Es hat wirklich gut getan.“
Er antwortete im selben Tonfall:
„Mir auch. Das hätte ich schon vor Jahren machen sollen.“
Dann wieder dienstlich:
„Ach, Captain, Sie sollten mal den Kurs überprüfen.“
„Kurs überprüfen, aye, aye, Sir.“
„Wenn Sie das getan haben, können Sie ja mal nachdenken, ob Sie bei der VEGA bleiben wollen, bei der UGzRR wird demnächst eine Planstelle frei.“
Bevor ich etwas erwidern konnte, hatte er die Brücke verlassen. Ich sah ihm noch eine Weile mit offenem Mund nach, dann erinnerte ich mich an den letzten Befehl und überprüfte den Kurs.
Selbst von seinem Platz aus hatte er bemerkt, dass eine winzige Korrektur nötig war. Von wegen alt! Nachdem ich die Steuerdüsen bemüht hatte, wanderten meine Gedanken zum letzten Satz. War die VEGA meine Zukunft? Sollte ich zur UGzRR wechseln? Tief im Herzen wusste ich, ich gehörte zu den Sternen, daran gab es keinen Zweifel. War es aber das Testen neuer Schiffe, oder lag mein Streben eher darin, anderen zu helfen? Eine schwere Entscheidung. Doch gab es wirklich eine Wahl? Und wenn, würden da auch zwei Stellen frei sein? Noch war ich nicht bereit, gänzlich auf die Freundschaft von Steffen zu verzichten. Und wollte er überhaupt? Ich wusste es nicht, nur eines wusste ich. Mein Dienst auf der Brücke würde noch ein paar Stunden dauern und es gab noch viele Flugbahnen zu berechnen. Zunächst einmal die zur Wega.
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