Belongo
von Ace Kaiser
Kurzbeschreibung
Eine nicht authentische und verfremdete Geschichte über eine Diamantenmine in Afrika. Recherche zu Technik und Ausrüstung sind von Stinkstiefel.
GeschichteAbenteuer / P16 / Gen
12.09.2011
23.02.2017
37
260.000
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09.07.2016
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„Was denken Sie über diese jungen Männer?“, fragte Shatterfield den Imam. Er hatte dem Gottesdienst als stiller Teilhaber beigewohnt und die Worte des Predigers ebenso aufgenommen wie alle anderen im Raum. Dankenswerterweise hatte der Imam auf Französisch gepredigt, eine Sprache, die Malicke für ihn übersetzt hatte.
Danach hatte er die Gelegenheit gesucht, um mit Abu – Vater, wie sie ihn nannten - zu sprechen, so von behindertem altem Mann zu blindem altem Mann. Ihre Unterhaltung war schnell zu einer Diskussion geworden, die beide mit Freude geführt hatten, denn sie hatten beide nicht nur eine große Lebenserfahrung, sondern auch eine ähnliche Lebensansicht. Beide waren gläubig, beide beteten den gleichen Gott an, und beiden war es egal, auf welche Weise er angebetet wurde. Sie maßten sich auch nicht an zu behaupten, den einzig wahren Weg zu vertreten. Um ehrlich zu sein, waren beide mehr Atheisten als Gläubige, wenn man eine Summe zog. Aber sehr gläubige Atheisten.
„Meinen Sie die Allemani, General?“
„Die Deutschen, ja.“
„Sie wollen von mir nicht wissen, wie dankbar ich ihnen bin, dass sie den Riki aus der Stadt gejagt haben, richtig?“
Shatterfield antwortete darauf nicht.
„Ich denke...“, sagte der Sheik gedehnt, „Sie fragen, was die beiden Männer taugen und wie lange sie es hier aushalten könnten. Auf diese Frage kann ich Ihnen nicht antworten, denn die Antwort kennt einzig Allah.“
Shatterfield lachte leise. „Und was sagt Ihr Bauch, Abu?“
„Mein Bauch?“ Unwillkürlich griff sich der alte Mann an den eigenen Bauch, was Wanaganas Tochter ein wenig nervös raunen ließ. Der alte Mann hatte die letzten Tage Durchfall gehabt, und in seinem Alter war das nie eine gesunde Sache.
„Mein Bauch. Der sagt mir, dass die Allemani viel Gutes für Belongo tun und noch tun werden. Es ist gut für uns, je länger sie bei uns bleiben. Aber darf auch ich Ihnen eine Frage stellen, General?“
„Nur zu. Wenn ich sie beantworten kann.“
„Axel hat im Gottesdienst vergessen, dass Sie anwesend sind. Sie haben sich zurückgehalten, sind in den Hintergrund getreten. Und auch jetzt haben Sie niemandem in Erinnerung gerufen, dass Sie noch in der Moschee sind. Warum?“
Shatterfield schnaubte leise aus. „Erstens interessiert es mich, wann ihnen allen wieder einfällt, dass sie gerade einen General verlegt haben.“
Der alte Imam kicherte. „Ein Privileg des Alters. Und zweitens, weiser Mann?“
„Zweitens bin ich hier, um einige Entscheidungen zu treffen. Über die Leben der jungen Männer und Frauen da draußen. Dazu gehört, dass ich sie auch dann sehe, wenn sie mich nicht in der Nähe vermuten. Dazu gehört, dass ich mit allen Menschen hier spreche. Ich will mir sicher sein, bevor ich vielleicht ihre Leben vernichte.“
„Ich verstehe. Und werden Sie ihre Leben vernichten?“
„Jason Scott hat zwanzig seiner Leute verloren. Sie wurden mit Napalm bombardiert und brannten zu Tode. Egal ob er daran schuld war oder nicht, es ist seine Verantwortung und die seiner Offiziere. Das wird ihn niemals wieder verlassen. Aber es ist wie mit der Titanic. Als der Eisberg das „unsinkbare“ Schiff zum Sinken gebracht hatte, kam es nicht länger darauf an, warum es passiert ist. Es kam nur noch darauf an, wie es ab da weiterging und wie am besten möglichst viele Leben gerettet werden konnten.“
„Ah, die Titanic. Die mit dem falschen vierten Schornstein, ich erinnere mich. Für unsere Situation bedeutet das?“
„Wie hat sich Scott nach dem Angriff verhalten? Wie haben seine Leute reagiert? Wie war die Disziplin? Welche Entscheidungen hat Scott getroffen, und welche wurden von seinen Leuten umgesetzt? Sehen Sie, es gibt genügend Menschen, die geistig, seelisch und moralisch zusammengebrochen wären, hätte man ihnen zwanzig Menschen, die sie über Jahre gekannt hatten, auf einen Schlag auf so grausame Weise geraubt. Scott ist nicht zusammengebrochen. Seine Leute sind ihm weiterhin gefolgt. Und er hat sowohl mit Belongo Mining als auch mit den Panadianern weiterhin hervorragend zusammengearbeitet.“
„Sie werden also nicht empfehlen, dass er bestraft werden muss.“
„Nein. Das werde ich nicht empfehlen. Aber wie Sie schon sagten, Abu, es ist nur eine Empfehlung. Viel wichtiger ist ohnehin, was ich zu den Deutschen zu sagen habe.“
„Zu Axel?“
„Nein. Axel Herwig ist so weit aus dem Spiel, wie es nur geht. Er hat eine Bergbaulizenz, er hat die Erlaubnis, seine eigene Schutztruppe zu halten, und weder Panadia noch Ndongo haben ein effektives Kriegswaffenverbot. Da er das meiste Material erst hier in Afrika erworben hat, ist er rechtlich abgesichert. Es geht um Malicke und um den zweiten Herwig.“
„Über die Sie keine Befehlsgewalt haben.“
„Richtig. Aber ich wurde gebeten, auch sie zu... Beurteilen. Sehen Sie, die Regeln ihres Heimatlandes Deutschland gelten für sie, auch wenn sie hier in Belongo sind. Besonders, weil sie beide Soldaten sind. Aktive Soldaten. Beide sind derzeit... Freigestellt. Vom Dienst. Aber sicher sind sie nicht freigestellt, um hier unten Krieg zu spielen.“
„Sie spielen mitnichten Krieg. Sie bewegen hier eine Menge und tun viel Gutes. Man hat mir erzählt, wie der junge Malicke die Ärzte ohne Angst befreit hat. Er und seine Leute haben große Herzen und großen Mut.“
„Da widerspreche ich nicht. Aber, wie ich schon sagte, für beide gilt nicht nur das deutsche Recht, sondern auch das militärische Recht der Bundeswehr.“ Der General brummte leise vor sich hin. „Und das tut mir gerade sehr leid. Denn egal, was sie hier geleistet haben, was sie erreicht haben, es könnte passieren, dass sie in ihrem Heimatland der Söldnerei angeklagt werden. Dann würde man sie doppelt bestrafen. Einmal vor den zivilen Gerichten, dann vor denen der Bundeswehr.“
„Und wie wird Ihre Empfehlung ausschauen?“, fragte der Scheik geradeheraus.
„Nun, sie hatten beide keinerlei Recht, hier in Belongo zur Waffe zu greifen, solange sie noch Soldaten der Bundeswehr sind. Das ist schon mal nichts Gutes. Verstehen Sie mich nicht falsch. Angenommen, sie hätten sich wirklich einen Monat Zeit genommen, die Mine ausgebeutet, ein paar Felder entmint, ein paar Straßen gebaut, Infrastrukturen errichtet und hätten nach dem einen Monat mit dem Abzug begonnen, und niemand hätte es an die große Glocke gehängt, dann hätte es in Deutschland sicher auch keinen interessiert. So aber...“
„So aber, was?“
„So aber könnte es passieren, dass sie nicht in ihr Heimatland zurückkehren könnten, ohne eine lange Haftstrafe antreten zu müssen“, schloss der General. „Jetzt, in diesem Moment, sind eine wichtige Ministerialbeamtin des Verteidigungsministeriums und ein hochrangiger Offizier des Generalstabs auf dem Weg hierher, um zu beurteilen, was sie mit den beiden anstellen sollen.“
„Und Sie werden die beiden verteidigen?“
„Das weiß ich noch nicht. Aber ich werde sie definitiv loben. Captain Frost ist jedenfalls bis zu diesem Punkt von der Zusammenarbeit zwischen Rangern und Belongo Mining geradezu begeistert. Das spricht eindeutig für sie. Und glauben Sie mir, das Mädchen ist nicht sehr leicht zu begeistern.“
„Dann werde ich, so mein Wort irgendein Gewicht für die Allemani hat, auch für die beiden sprechen.“ Der alte Mann lächelte. „Und wenn alles andere nicht in Erfüllung geht, dann bleiben sie eben hier bei uns.“
Shatterfield wollte etwas darauf sagen, wollte erwähnen, dass in diesem Moment vielleicht ein Krieg begann, der Belongo noch mehr verwüsten würde, als es ohnehin schon war... Okay, vielleicht war da noch nicht genug wieder aufgebaut, was sich zu verwüsten lohnte, aber es würde eine Menge Menschen betreffen. Und die letzte Meldung, die er aus Washington erhalten hatte, hatte sich vor allem darauf konzentriert, die Botschaftsmitarbeiter, den Botschafter, die Zivilisten und die Marines zu evakuieren. Bis auf die Anweisung, das Flugverbot aufrecht zu erhalten, hatte nichts davon Belongo betroffen. Noch nicht. Aber er sagte es nicht. Shatterfield hatte in seinem Leben einige Konflikte erlebt, auch einige Einsätze, die besser nie öffentliche Beachtung finden sollten, nicht unbedingt aufgrund ihrer blutigen Zahlen, aber durchaus weil sie jenseits einiger sonst üblicher Gesetze stattgefunden hatten. Daher wusste er nicht, wie lange und wie weit das Gute, dass die Herwigs, der gute Bernd Assay, die Herwigs und natürlich Malicke nach Belongo gebracht hatten, anhalten würde. Oder ob sich Niklas Herwig und Hannes Malicke vorstellen konnten für immer in Belongo oder zumindest in Afrika zu bleiben. Aber er wusste guten Willen zu schätzen, und davon quoll der Imam beinahe über. „Warum auch nicht?“, fragte er. „Sie sind jetzt reich.“
Daraufhin lachten die beiden Männer, und selbst das Mädchen fiel ein, obwohl sie nicht so genau wusste, worüber gelacht wurde, denn Reichtum war doch nicht zum Lachen, oder?
„Abu? General Shatterfield?“ Hannes Malicke trat an sie heran. „Direktor Herwig bittet Sie ins Beratungszelt. Ldunga Abesimi ist nun ebenfalls mit Frau Herryhaus eingetroffen, um mit Wanagana zu konferieren. Außerdem ist ein weiterer Kriegsherr eingetroffen, Lobando Taran von den Atuti. Er beherrscht das Westufer südlich der Stadt und kontrolliert damit einen Teil der alten Nord-Süd-Route.“ Der KSK-Offizier deutete auf den großen Platz vor der Moschee, auf dem nun ein paar Zelte errichtet worden waren, während das zweiköpfige Kochteam Kaffee und Süßspeisen austeilte. „Es gibt auch was zu trinken. Also Kaffee und Tee.“
„Frau Herryhaus? Die Ärztin, die unsere Leute versorgt hat? Zumindest die, denen man noch helfen konnte?“, fragte Shatterfield. „Es wird mir eine Freude sein, diese Frau kennenzulernen und ihr den Dank meiner Nation vorzutragen.“
„Ebendiese, General.“
Der Imam hob erstaunt den Kopf an. „Sie ist hier? Sie ist wirklich hier?“
„Ja, Abu“, sagte Hannes. „Sie ist hier.“
„Worauf warten wir dann noch?“ Fröhlich angelte der alte Mann nach der Hand des KSK-Offiziers.
Shatterfield schloss sich an und fragte sich unvermittelt, was dieses „sie ist hier“ für den alten Imam bedeuten mochte.
***
Das Erste, was Unterstaatssekretärin Linda Goedehardt erwartete, als sie den Flieger verließ – dafür, dass sie einen Provinzflughafen anflog, hatte die Airline eine recht bequeme DC-10 aufgeboten – war Hitze. Trockene Hitze, aber davon mehr als genug. Ein kräftiger, unerwarteter Windstoß drohte ihr den Strohhut vom Kopf zu wehen, und so hielt sie ihn verzweifelt fest, bis das panadianische Wetter entschieden hatte, sie nicht länger zu ärgern. Sie hatte den Strohhut nicht unbedingt aus ästhetischen Gründen gewählt, aber der Offizier, der sie kurz gebrieft hatte, Oberleutnant Hinrich von der Afrika-Abteilung, hatte erwähnt, dass ein großer Teil Belongos auf einem Hochplateau lag. Das bedeutete, dass die Luft da oben dünner war, um einiges dünner, und dass die afrikanische Sonne da oben daher um einiges ungestörter scheinen konnte. Also hatte sie es für nötig befunden, reichlich Sunblocker einzupacken – und natürlich diesen überdimensionierten Strohhut, den ihre Mutter früher bei den Badeurlauben auf Sylt getragen hatte. Wobei sie mit Stolz von sich sagen konnte, dass sie nicht nur eine schnelle Packerin war, sondern auch eine überlegte. Für diese überaus eilige und eher zufällige Dienstreise hatte sie genau einen Koffer gepackt, um genau zu sein, einen Trolli in Standardgröße, dazu ihre Handtasche, die große Handtasche, in der sich unter anderem noch eine kleinere Handtasche befand, für besondere Gelegenheiten, und einen Rucksack mit allem, von dem sie meinte, es sofort zu brauchen. Mit besagter Tasche und ebendiesem Rucksack ging sie, begleitet von den englischen Wünschen für einen guten Aufenthalt der Stewardessen, die Treppe hinab. Logisch, ein kleiner Flughafen wie Honiton City hatte keinen Terminal von Weltformat. Und sie war sich noch nicht sicher, ob er überhaupt eine Lobby hatte, die den Namen verdient hätte.
„Lausig warm hier“, klang hinter ihr die Stimme von General Sunder auf, dem stellvertretenden Stabschef des Generalinspekteurs. „Aber nicht so warm wie in Gomarida. Da mussten wir mit einem ganzen Regiment mitten in der Wüste campieren. Das war eine Scheiß Hitze. Und das Bier war immer warm.“
„Hagen, bitte“, tadelte sie den älteren Mann, mit dem sie allerdings schon etliche Jahre per du war. „Nicht wieder diese alten Kriegsgeschichten.“
Sunder lachte bärbeißig auf. „Das sind keine Kriegsgeschichten, weil es kein Krieg war. In einem Krieg hat man zwei oder mehrere Parteien, man hat eine Kriegserklärung und man hat im Idealfall eine möglichst exakte Zielsetzung, die nur in Ausnahmen die Auslöschung einer Nation sein sollte. Die Auslöschung eines Volkes oder aller Menschen eines Staates ist zum Glück etwas, was für uns heutzutage undenkbar und damit untolerierbar ist, aber... Auf jeden Fall war das, was wir damals gemacht haben, ein wenig Sozialhilfe zu leisten, Straßen zu bauen und uns in unserem Camp einzuigeln. Nicht ganz das, was man von einem Krieg erwarten würde.“
Sie kamen die letzten Stufen herab und Frau Goedehardt blieb stehen, um sich zu orientieren. Hagen Sunder trat neben sie. „Als die Amis gelandet sind, die haben tatsächlich eine richtige amphibische Landungsoperation durchgezogen, weil sie überall Rebellen und Privatarmeen der Verbrecherfürsten und Clankrieger vermutet haben, wurden sie übrigens von einem Blitzlichtgewitter empfangen. Die internationale Presse hat sie allesamt abgeschossen – mit dem Fotoapparat. So viel zur Geheimhaltung. Und jetzt stellen wir uns mal vor, statt der Presse hätten sich da drei Dutzend Leute mit MANPADs und Maschinengewehren eingegraben.“
„Wäre eine kurze Landung geworden.“
„Eine sehr kurze.“
„Und das alles wofür? Um ein paar Hilfsgüter ins Land zu bringen?“
Sunder lachte trocken auf. „Ja, aber das ist nicht die ganze Wahrheit. Tatsächlich war das Land damals stark zerrissen im Bürgerkrieg der verschiedenen Stämme und der radikalen islamischen Fraktion, und durch den Bürgerkrieg drohte im Süden eine Hungersnot. Vor allem auch, weil viele Hilfslieferungen wegen Plünderungen nicht bei den Menschen ankamen, für die sie gedacht waren. Aber allein dafür mit Schießerlaubnis in einem afrikanischen Land einfallen, das war nie die Art der USA. Das Land hat Öl, und durch die Anarchie in der Politik konnte es nicht mehr ordentlich gefördert werden. Die Hilfsgüter haben übrigens wir ins Land gebracht, die Inder, die Australier, die Norweger... Gut, ich will nicht ungerecht sein. Die Amerikaner haben es zumindest versucht. Ohne sie wäre UNITAF nicht möglich gewesen, rein militärisch. Aber immer, wenn etwas nicht so läuft, wie der Amerikaner es will, kommen anschließend ein gutes Dutzend schlechter Filme zum Thema aus Hollywood, und das ist es dann wirklich nicht wert.“
„Du meinst den mit den abgestürzten Hubschraubern? Sehr dramatisch.“
„Vor allem sehr übertrieben. Ich meine, neunzehn tote amerikanische Soldaten, aber eintausend tote afrikanische Milizionäre als Niederlage hinzustellen ist schon arge Propaganda.“
„Seit wann ist es Propaganda, einen Film als Niederlage darzustellen?“
„Na, was passiert wohl, wenn man einen reißerischen Film über den heldenhaften Einsatz einer Truppe Special Forces macht, in dem man betont, wie tapfer sie gekämpft hat und wie schwer sie es hatte und dann noch betont, dass die Truppe nur mit Witz und Glück überleben konnte und ja quasi verloren hat?“
„Man macht Stimmung für eine neue Intervention.“ Die Frau zuckte die Achseln. „Ist bisher noch nicht erfolgt. Und das Ganze ist über zwanzig Jahre her. Die Theorie zieht also nicht.“
„Das liegt wohl eher daran, dass das Land nicht zu befrieden ist. Der militärische Aufwand und die Verluste wären zu hoch.“
„Also ist es doch nicht so viel Öl“, schloss die Unterstaatssekretärin.
„Irgendwas dazwischen wird schon sein.“
„Oder es ging tatsächlich nicht um Öl, sondern wirklich um die Bekämpfung einer Hungersnot, die Folge des Bürgerkriegs.“
„Dann hat sich das Weltinteresse schnell und endgültig von diesem Land abgewandt und für egal erklärt, obwohl wir Deutschen gezeigt haben, dass es geht, auch ohne Gewalt. Zumindest bis auf die eine Nacht, als ein Einheimischer unbefugt ins Camp eingedrungen ist und nach Anruf erschossen wurde. Und das ist ja auch nicht verwunderlich. Sieh dir Belongo an. Es liegt seit zwanzig Jahren in Trümmern. Aber was unterscheidet das Land von Gomarida, abgesehen von der Größe?“
„Du wirst es mir sicher gleich sagen“, erwiderte sie.
„Die Ölförderung hier funktioniert. Das ist der Unterschied, Linda.“
„Aha.“ Sie sah sich einmal um. „Und wo müssen wir jetzt überhaupt hin? Gibt es jemanden von der Botschaft?“
„Ich denke, ich kann alle deine Fragen beantworten. In etwa einer Minute“, schmunzelte Sunder. „Schau mal hinter dich.“
Sie tat, wie ihr gesagt wurde. Dann fuhr sie ein Stück weit zusammen. Vor Überraschung. „Ja, hol mich doch... Wenn das nicht mein alter Politik-Professor ist, dann will ich Olivia Öl heißen, und das den Rest meiner Tage.“ Sie hob die rechte Hand und winkte. „Professor Herryhaus!“
Der gesetzte ältere Herr kam direkt auf sie zu. „Linda. Na, das nenne ich mal eine Überraschung. Hagen, hallo. Ich habe alles vorbereitet, wie du es wolltest.“ Herryhaus reichte zuerst ihr, dann ihm die Hand.
Goedehardt sah ein wenig verblüfft drein. „Was haben Sie denn arrangiert?“
Thomas schmunzelte. „Hat man vergessen, dir zu sagen, dass Ihr zu mir wollt, Linda?“
Entsetzt sah sie ihren alten Professor an. „In der Tat. Das hat man. Mir hat man nur gesagt: Flieg runter nach Belongo und schau dir diese beiden Bundeswehroffiziere an, die im Land unterwegs sind und sage uns anschließend, ob wir sie mit Orden bewerfen, oder einen internationalen Steckbrief gegen sie in Den Haag beantragen müssen.“
„Um das zu erklären. Die Leutnants Herwig und Malicke sind Teil der Führungsmannschaft einer Diamantengesellschaft, der First Diamond Mining Company of Belongo. Sie führt Diamanten aus Belongo aus und führt im Gegenzug militärisches Gerät und zivile Hilfsgüter ein.“
„Militärisches Gerät“, echote Linda.
„Ich erkläre euch alles. Aber jetzt kommt bitte erst mal mit in mein Büro. Ich habe frische Zitronenlimonade machen lassen.“
„Ihr Büro, Professor?“, fragte die Unterstaatssekretärin, folgte Herryhaus aber automatisch.
„Nun, auch ich bin Teil der Führungsmannschaft der First Diamond Mining Company of Belongo, und der zuständige Direktor der Dependance Panadia.“
Die Unterstaatssekretärin war sich bewusst, dass die Größe ihrer Augen im Moment mit den meisten Manga-Figuren mithalten konnte. Zumindest wenn sie nach den Mangas ihrer Tochter ging. „Ich glaube, das wird noch richtig interessant.“
Sie betraten den großen Bürokomplex neben der Lagerhalle mit dem beeindruckenden Firmenschild. Dazu mussten sie eine Sicherheitstür passieren, die sie durch eine Schleuse mit einer weiteren Tür brachte. Ein freundlich lächelnder Schwarzafrikaner betätigte für Professor Herryhaus den Öffnungsknopf und ließ sie ein. „Früher, also Anfang der Woche, haben wir hier die Diamanten identifiziert, klassifiziert und gewogen. Das war natürlich nur ein Provisorium. Mittlerweile gehen alle potentiellen Rohdiamanten direkt per Panzerwagen an einen Geschäftspartner in der Innenstadt, der eine geradezu Festungsähnliche Manufaktur errichtet hat. Aber wir fürchten, der eine oder andere Gauner mit Begehrlichkeiten könnte der veralteten Information folgen, dass die Diamanten hier wären. Daher haben wir die Sicherheitsschleuse nicht ersetzt, auch um die Büros zu schützen“, sagte der Professor. „Früher haben hier fünf Spezialisten gesessen und jeden Rohdiamanten taxiert, klassifiziert und sortiert. Vor allem die mit dem rosa Einschlag, sogenannte Fancies, wurden hier vorsortiert, weil sie auf dem Schmuckmarkt sehr viel wert sind. Mittlerweile macht unser Geschäftspartner, Herr Trakener, die meisten Nachsorgearbeiten und bietet sie auf dem internationalen Markt an. Im Moment ist er in Genf, um unsere schönsten und größten Diamanten auf der berühmten Sotheby's-Auktion versteigern zu lassen, nachdem er bereits etliche kleinere Diamanten via Antwerpen in die Schmuckindustrie und einen Haufen noch kleinere mit großem Gewinn an die normale Industrie verkauft hat... Bereits jetzt ist unser Gewinn so groß, dass wir die Fertigteile für etwa achtzig Schulgebäude für Belongo finanziert haben, ohne dass die Rohdiamanten der letzten beiden Tage berücksichtigt wurden. Aber ich schweife ab. Hier herein, bitte.“
Thomas hielt die Tür zu einem europäisch eingerichteten Besprechungsraum auf, an dessen linker Wand eine weiße Tafel hing. „Interaktiv, ans Computernetzwerk angeschlossen. Nur internes Netz, um Einbrüche zu verhindern. Bisher ist noch nichts passiert, aber wir sind ja auch erst etwas mehr als eine Woche hier.“
„Keine Fenster“, stellte der General fest.
„Keine Fenster“, bestätigte der alte Herryhaus. „Ich habe etwas gegen künstliche Sicherheitslücken. Die Büros haben Fenster, allerdings nicht öffenbar und aus Panzerglas, stark genug, um einer Javelin standzuhalten. Einer Javelin zumindest. Wir haben das ausprobiert.“
Sunder grinste zufrieden, als er Platz nahm und Goedehardt bedeutete, sich neben ihn zu setzen. „Wie immer gehst du allen Geheimnissen direkt auf den Grund.“
„Wie man es nimmt. Ich mag halt keine unliebsamen Überraschungen. Deshalb bezahle ich auch neben den Mitarbeitern der Mine, die für den Schutz der Wartungscrew, der Lagerhalle und der Büros zuständig sind, noch einen ganzen Haufen freier Mitarbeiter, die mich vorwarnen, sollte irgendetwas im Busch sein.“
„Sie verdienen anscheinend gut“, sagte Linda.
„Sogar sehr gut. Ihr müsst wissen, dass die Ngali-Mine eine unentdeckte Mine ist. Die Bevölkerung von Belongo hat sich dort über Jahre hinweg mit den Steinen versorgt, um sie als billigen Schmuck zu tragen. Jetzt, wo sie wissen, dass es Diamanten sind, bringen sie sie zu unserem Feldhospital in Ngali.“
„Ihr zwingt die Leute, ihren Reichtum gegen medizinische Versorgung aufzugeben?“, fragte die Unterstaatssekretärin möglichst sachlich, um ihr Entsetzen zu überspielen. Nein, das konnte nicht sein, das passte nicht zu Thomas Herryhaus.
„Nein. Sie schenken uns die Diamanten wirklich. Nicht ganz uneigennützig, zugegeben, denn sie wissen, dass ein Teil des Erlöses in Hilfsgüter gesteckt wird, die wiederum ihnen zugute kommen. Wir liefern Nahrungsmittel, die es in Belongo nicht gibt, importieren Rinder, solargetriebene Wasserpumpen, solargetriebene Stromaggregate, Dieselaggregate, Medizin, Impfstoffe, weitere medizinische Ausrüstung, und ach ja, wir haben bereits zwei Minenwölfe im Einsatz. Zwei kleinere sind bestellt und werden gerade von unseren Partnern in Bayern gebaut.“
„Minenwölfe?“, echote Sunder. „Du, warum habt Ihr nicht einfach versucht, einen Keiler zu bekommen?“
Thomas lachte leise. „Genau die Diskussion hatte ich schon mit den Jungs und Bernd Assay, unserem Faktotum. Das Gehirn der Aktion. Fähiger Bursche. War zum Glück arbeitslos, als die Sache losging. Ohne seinen Kopf funktioniert hier gar nichts. Jedenfalls wollte Bernd als guter, alter Militärfreak einen Keiler besorgen. Oder war es Axel? Jedenfalls hat ein anderer Freund von Bernd dazu geraten, die zivilen Minenwölfe zu kaufen, da sie sehr viel weniger wiegen und noch effizienter räumen. Die Firma, die sie baut, bastelt sie aus altruistischen Gründen und verkauft sie zu Preisen, die bezahlbar sind. Damit die Firma auch in Zukunft Minenwölfe anbieten kann. Die Dinger wiegen nur siebzehn Tonnen und sind dabei erheblich schneller als ein Keiler. Zudem haben sie einhundert Prozent Akkuresse, und das schafft ein Keiler nicht, oder?“
„Nein, zugegeben“, brummte Sunder. „Also Minenwölfe.“
„Ich fange wohl besser von vorne an. Wie Sie sicher wissen, geht es hier in erster Linie um den Oberleutnant Niklas Herwig und um den Leutnant Hannes Malicke. Beides famose Männer, aufgeweckte, intelligente Kerle. Vor allem Malicke hat sich schnell als Rückgrat der Aktion erwiesen. Super ausgebildet, ungeheure Einsatzbereitschaft, hat sein Leben riskiert, um die Ärzte ohne Angst zu retten...“
„Sie brauchen keine Stimmung für Leutnant Malicke machen, Herr Professor“, sagte Linda. „Noch nicht. Aber fahren Sie fort.“
„Jedenfalls wurde Niklas entführt und hier in Panadia befreit. Dabei nahm er einem toten belongoianischen Rebellen etwas ab, was er für einen Bergkristall hielt. Dieser entpuppte sich in Deutschland jedoch als Diamant. Als sehr teurer, sehr schwerer Diamant. Wir haben ihn über Sotheby's versteigert und elf Millionen Euro verlangt, aber fünfzehn und ein paar Zerkrümelte bekommen. Damit wurde der militärische Aspekt der Aktion finanziert, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, diese Diamantenmine zu finden und auszubeuten.“
„Verstehe“, sagte Sunder.
„Dabei war es natürlich sehr hilfreich, dass Niklas vom Bund Krank Zuhause geschrieben wurde, und das auf unbestimmte Zeit. Und es war auch hilfreich, dass man Malicke ein Vierteljahr suspendiert hat. Vollkommen unsinnigerweise, aber man hat es gerne angenommen. Die Firma jetzt. Tja, und dann bin ich mit Herrn Assay nach Ompala zu Minister Ogalalla vom Wirtschaftsministerium und habe die Mine gepachtet. Für eine jährliche Zahlung von vierzigtausend Euro. Mir schien, der Herr Minister glaubte nicht so recht an die Existenz der Mine, sonst wäre die Pacht sicher höher angesetzt worden.“
„Du hast ihn über den Hühnerdreck geführt“, lachte der General.
„Nein. Ich habe ihm ganz ehrlich gesagt, dass wir den Diamanten gefunden haben, aber nicht wissen, wo die Mine sein könnte. Daraufhin hat er die Pacht festgesetzt und mir zu verstehen gegeben, dass die ndongoische Armee nicht in der Lage wäre, für unseren Schutz zu sorgen, und dass wir selbst für den Schutz sorgen sollen, egal auf welche Weise. Also hat Herr Assay Waffen und Ausrüstung besorgt, und dazu gleich auch das Personal, um die Ausrüstung zu benutzen. Und dann erst sind wir nach Belongo rein geflogen, um die potentielle Mine zu finden.“
„Was Ihnen offensichtlich gelungen ist“, sagte Linda sarkastisch.
„Ja, wir hatten unfreiwillige Hilfe. Eine bewaffnete Räubertruppe hat auf dem Gelände der Mine nach Gold gesucht, aber natürlich keines gefunden. Leider hat sie das mit Blausäure gemacht und ihren unfreiwilligen Arbeitern nicht gesagt, wie man mit Blausäure umgeht. Wir haben ein Massengrab entdeckt und exhumiert und die Toten in ihre Dörfer zurückgebracht, nachdem wir sie identifiziert hatten. Jedenfalls befand sich diese Horde auf dem Gelände unserer offiziell gepachteten Mine und hat auf uns geschossen. Daraufhin hat sich Belongo Mining verteidigt, die Mine erobert, die Zwangsarbeiter, die noch lebten, befreit, eine junge Lehrerin vor einer Vergewaltigung gerettet, tja, und die Diamantenmine gefunden.“
„Sie haben vergessen zu erwähnen, dass der Chef der Firma nebenbei auch noch zugleich ein Yu-Gi-Oh-, und ein Pokémon-Turnier gewonnen hat“, warf Linda ein.
„Nicht so bissig, Mädchen. Das ist alles die reine Wahrheit. Tja, dann sind wir nach Ngali gefahren, der nächsten Ortschaft, dort überschlugen sich die Ereignisse, und wir haben ein Lazarett eingerichtet. Geleitet wird es von meiner Enkelin Meike. Es fand sehr großen Zuspruch, und so strömten die Kranken und Verletzten aus halb Belongo zu uns. Viele Bettlägrige und dringende Fälle haben wir mit Hilfe der Hubschrauber eingeflogen und auch wieder zurückgebracht. Einige wurden auch hierher nach Honiton City gebracht, um behandelt zu werden, aber wir konnten leider nicht jeden retten. Dafür aber haben wir bereits eine ansehnliche Impfrate erreicht und können diese weiter steigern. Wir hatten Glück, dass wir in einer relativ ruhigen epidemischen Phase angekommen sind. Mit etwas Glück werden Polio, Masern, Windpocken, Röteln, Mumps und Keuchhusten bald schon kein Thema mehr sein.
Die nächsten Schritte sind, die alte Nord-Süd-Straße wieder befahrbar zu machen. Dafür fliegen wir gerade schweres Gerät zur Mine. Entschuldigung. Zu schnell? Zu viele Informationen?“
Sunder lachte und schenkte sich aus der bereitstehenden Karaffe ein. „Mach ruhig weiter. Eigentlich wollten wir dich ja mit Fragen traktieren, aber jetzt werden wir nur Fragen stellen, wenn uns etwas unklar erscheint.“
„Was ist mit den Ärzten ohne Angst? Wie kam es dazu?“, fragte Linda.
„Sie wurden der Belongo Mining angeboten. Sie sollten sie kaufen. Also freikaufen“, erklärte Thomas. „Malicke ist mit einem Team seiner Leute raus, um eine Geisel aufzunehmen, um ihre Echtheit zu verifizieren. Die Entführer, eine Rebellenbande aus einem Nachbardistrikt, übergab ihnen Doktor Kensington. Äh, die Gute ist die Tochter eines weißen Vaters und einer schwarzen Mutter. Die anderen Ärzte waren alle weiß. Daher nehmen wir an, die Rebellen haben ihr nicht den gleichen Lösegeldwert beigemessen wie den Weißen, und sie deshalb leichter hergegeben. Als aber Malicke sah, wie die Rebellen die Dorfbevölkerung behandelten, in der sie ihre Gefangenen untergebracht hatten, sprang er mit einem Teil seiner Leute unbemerkt ab und entschloss sich dazu, das Dorf zu nehmen. Sechs Einsatzleute, zumindest offiziell, davon zwei Scharfschützen. Während der Aktion warf sich Malicke übrigens auf eine geworfene Handgranate, weil sie direkt vor der Hütte der Ärzte landete.“
Sunder pfiff anerkennend. „Blindgänger?“
„Stift nicht gezogen.“
„Also lebt Leutnant Malicke noch?“, beeilte sich Linda zu fragen.
„Ja, er lebt noch. Und es geht ihm den Umständen entsprechend gut.“
„Du spielst sicher auf die Umstände in der Distrikthauptstadt an. Darüber reden wir gleich. Was passierte weiter?“
„Nun, mein guter Hagen, als ersichtlich wurde, was geschah, entschlossen sich die Dorfbewohner, gegen ihre Peiniger zurückzuschlagen und ihnen ihre Toten und die vergewaltigten Frauen heimzuzahlen. Daher gab es keine Gefangenen. Nicht, dass Malickes Team überhaupt viele übrig gelassen hat.“
„Verstehe“, brummte Sunder. „War sicher die der Situation angemessene Entscheidung. Was dann? Ihr habt die Ärzte zur Mine ausgeflogen?“
„Ausgeflogen, erst mal mit einem guten Essen aufgepäppelt, medizinisch versorgt, sie duschen lassen und anschließend hier auf dem Honiton Air Field den Botschaftern ihrer Länder übergeben. Ist das in Deutschland nicht durch die Presse gegangen?“
„Erstaunlicherweise und soweit ich weiß, nicht“, sagte Sunder. „Aber ich weiß, dass die Amis das rauf und runter gebetet haben, und auch die Briten und die Franzosen zeigten angemessenes Interesse.“
„Also eine angemessene Situation bei der Unterstützung von Zivilisten in Not, vor allem freiwilligen Ärzten einer Hilfsorganisation“, sagte die Unterstaatssekretärin. „Das ist doch zumindest ein Pluspunkt. Was ist jetzt mit Keounda City?“
Thomas' Miene versteinerte. „Möchtest du das wirklich hören, Linda? Das ist harter Tobak, wirklich harter Tobak.“
„Entschuldigung, Herr Professor, aber seit ich nicht mehr in Ihre Vorlesungen gehe, was rund zwanzig Jahre her ist, habe ich mich weiter entwickelt.“ Sie griff ebenfalls nach der Karaffe und schenkte sich ein. „Als Unterstaatssekretärin des Verteidigungsministeriums bin ich durchaus abgehärtet und einiges gewohnt.“
„Nun.“ Thomas schenkte sich auch ein Glas ein. „Fakt eins ist nicht sehr erfreulich. Keounda City war bis vor kurzem in der Hand eines ehemaligen Miliz-Offiziers, der die Stadt und das Umland mit gnadenloser Hand beherrscht hat. Dies tat er mit einer Art Personenkult. Mit Drogen. Mit beschränktem Zugang zu den Frauen. Und einigen weiteren Dingen, die ich, nun, besser nicht erwähne. Jedenfalls war es Teil des Kults, dass sich hochrangige Mitglieder seines Hofstaats mit getrockneten Genitalien schmückten. Je mehr und je wertvoller, desto höher der Rang.“
Linda wurde blass, trank einen großen Schluck und gleich darauf noch einen.
„Vielleicht ein wenig Geschmack ins Glas?“, fragte Thomas mitfühlend.
„Nein, danke. Weiter. Die haben also Gliedmaßen um den Hals getragen.“
„Hautfetzen waren das geringste Tikalak. So nannten sie das. Dann kamen Finger, Ohren, Nasen, getrocknete Augen bis hin zu Genitalien. Die Genitalien waren das Wertvollste. Je mehr ein Mann trug, desto höher war sein Rang. Einige trugen auch die getrocknete Klitoris einer Frau oder mehrere, aber fragt mich nicht, was das für eine kultische Bedeutung hatte.“
„Ich will es auch gar nicht wissen“, murmelte die Unterstaatssekretärin und trank ihr Glas leer.
„Jedenfalls wusste der Anführer, sie nennen ihn Riki, und seinen richtigen Namen haben wir bisher nicht herausgefunden, von der Mine im Norden, und dass ständig Hubschrauber der Minengesellschaft an seiner Stadt vorbei nach Süden flogen. Und er wusste, dass Weiße die Mine betrieben. Das führte wohl dazu, dass er sich einen weißen Penis als Schmuckstück wünschte. Als Axel Herwig dann zu Verhandlungen bei einem hiesigen Kriegslord war, Ldunga Abesimi, um eine Zusammenarbeit zu besprechen...“
„Moment mal, mit einem Warlord? Mit solchen Leuten kann man doch nicht reden, geschweige denn verhandeln!“, brauste Linda auf.
„Oh doch, das geht, und mit Ldunga erstaunlich gut. Ich werde später erklären, wieso und warum. Nur so viel vorab: Ohne die Hilfe seiner Leute, die er Speere nennt, wäre Axel jetzt vermutlich tot, und sein bestes Stück würde um den Hals des Riki baumeln. Ohne ihn. Jedenfalls stellte der Riki eine Falle und verbrannte dafür einen Stapel Autoreifen, was eine ölige Rauchwolke ein Stück vor der Stadt ergab. Axel wurde neugierig, hielt aber Abstand. Er war mit einem Helikopter russischer Fertigung unterwegs, wie ich erwähnen sollte. Leider hatte der Riki diesen Abstand einkalkuliert, sodass der Hubschrauber über den Männern des Riki schwebte. Sie brauchten ihn nur noch mit russischen Panzerfäusten beschießen. Dem Piloten, Jorge Androweit, gelang es aber, die Maschine so lange stabil zu halten, bis er über der Stadt abstürzte, ein ganzes Stück vom Hinterhalt entfernt. Axel und Androweit stiegen aus, kämpften sich frei, sprengten den Hubschrauber und liefen in die Stadt, nicht in den Dschungel, wo die Männer des Riki lauerten. Sie verbarrikadierten sich auf dem Minarett der alten Moschee, wo sie fast eine halbe Stunde ungestört blieben und versuchten die Mine per Funk zu erreichen.“
„Das stelle ich mir sehr schwierig vor. Ich meine, die Moschee zu erreichen. Aber taktisch klug, sich nicht durch eine ganze Horde Verrückter zu kämpfen, sondern nur durch eine halbe“, schmunzelte Sunder.
„So ungefähr. Sie bekamen Kontakt mit Captain Scott, der eigentlich gerade auf dem Weg zum Camp Diamond war, so nennen wir das Lager vor Ort, um sich dafür zu bedanken, dass ihm die Arbeit abgenommen worden war, die Ärzte ohne Angst zu befreien. Seine Leute hörten den Notruf, und er entschloss sich, sein Platoon außerhalb der Stadt zu landen und die Moschee zu sichern. Ein zweites Platoon zur Unterstützung forderte er an, und auch die Mine schickte Leute aus, um Axel und Androweit zu retten. Das hätte auch gut funktioniert, aber als das zweite Platoon landete, wurde es von ndongoischen Kampfjets mit Napalm bombardiert. Dabei starben etliche Soldaten von Scott sofort, einige später an den Folgen der schweren Verbrennungen, sodass die Amerikaner zwanzig Tote nur von diesem Angriff verzeichneten. Tja, und am dem Punkt bekam Scott Unterstützung von der Mine, von den Speeren Ldungas, und von der Luftwaffe Panadias. Sogar die Abraham Lincoln, die gerade erst ums Kap geschlichen war, schickte Flugzeuge zur Unterstützung. Mit dieser geballten Kraft an Leuten nahmen die vereinten Kräfte erst die Westseite der Stadt ein, und, als ein Osprey voll mit Marines auf der falschen Flussseite notlanden musste, entschlossen sich Axel und Scott, auch die andere Seite zu nehmen.“
Thomas atmete tief ein, wieder aus und trank dann einen Schluck aus seinem Glas. „Die langweiligen Details erspare ich euch, die hört Ihr noch früh genug. Jedenfalls gab es noch einigen Widerstand des Riki, und aus einem Nachbarland marschierten Söldner ein, die zur Unterstützung des Riki losgeschickt worden waren. Sie griffen die Mine an und versuchten auch zur Stadt vorzudringen. Aber die Hubschrauber der Belongo Mining haben die Panzer und Panzerwagen mit Hilfe der panadianischen Luftwaffe vernichtet. Kein schönes Wort, ich weiß. Aber das waren keine netten Söldner. Auf ihrem Weg nach Keounda City brandschatzten sie mal eben die Farm eines lokalen Kriegsherrn. Wir sind da noch am Sortieren.
Tja, und dann zog der Riki endlich ab, und wir konnten die Stadt komplett einnehmen. Damit steht uns nicht nur die alte Nord-Süd-Straße im Westen zur Verfügung, der Lagabanda-Fluss ist nun auch wieder voll befahrbar, ohne Gewalt durch den Riki befürchten zu müssen. Und die alte Ost-West-Route zur Ostküste hat sich ebenfalls wieder geöffnet.“ Thomas trank noch einen Schluck. „Das war natürlich nur die kurze Version. Die ganz kurze. Die USA hat mittlerweile eine weitere Kompanie Infanterie herangeführt, dazu eine Untersuchungskommission. Und die Kampfgruppe der Abraham Lincoln hat nach einigen Vorkommnissen auf hoher See einen aggressiven Protektionsauftrag erhalten. Aber das ist noch nicht das Ende vom Lied.“
„Das klingt alles sehr, sehr abenteuerlich“, sagte Linda. „Erklärt einiges. Aber leider löst es nicht das Problem, dass sich Leutnant Malicke und Oberleutnant Herwig von einer Privatfirma haben anwerben lassen, um in einem fremden Land Bodenschätze zu plündern.“
„Anwerben lassen?“ Thomas hob beide Augenbrauen. „Sie haben sich doch nicht anwerben lassen. Ihnen gehört die Firma. Sie sind Anteilseigner.“
Linda Goedehardt zog die Stirn in Falten. „Ich weiß gerade nicht, ob es die Situation für sie besser macht.“
„Dann sollten wir das klären“, sagte Sunder. „Also, wie geht es weiter? Wie schnell kann ich da raus? Und kann ich dabei auf deine Leute zählen, Thomas?“
„Der nächste Flug geht morgen früh. Es spricht nichts dagegen, dass du mit fliegst. Die Belongo Mining verspricht, dich in allen Belangen zu unterstützen. Linda, fliegst du mit?“
Die Angesprochene schien einen Moment unsicher zu sein. „Ursprünglich wollte ich von hier aus arbeiten, aber wenn Keounda City sicher ist, spricht nichts dagegen, wenn ich mir die Mine und die Stadt direkt ansehe und mir vor Ort ein Bild von Malicke und Herwig mache. Denke ich.“
„Dann solltest du das tun. Und vor allem solltest du mit den Menschen in Ngali sprechen, um aus erster Hand zu hören, was die Belongo Mining für sie bedeutet.“
„Das bringt mich zu einer wichtigen Frage. Wie ist das mit dem Gewinn? Ihr investiert einen Teil in Hilfsgüter. Aber wie viel?“
„Nun.“ Thomas sah die Frau, die einst seine Studentin gewesen war, ernst an. „Wir haben ursprünglich folgende Rechnung angestellt: Die eine Hälfte des Gewinns geht an die Leute. Anführer kriegen drei Teile, Offiziere zwei, Dienstgrade einen. Die andere Hälfte wird in militärischen und zivilen Nachschub investiert. Selbst wenn wir Bernds Kaufwut nach militärischem Equipment berücksichtigen, so bleibt noch eine erkleckliche Summe übrig, um Belongo effektiv zu helfen. Zum Beispiel mit Fertighäusern für Schulen, und einigem mehr.“
„Aber das ist den Bewohnern Belongos gegenüber ungerecht. Eure Leute verdienen viel zu viel, und das auf Kosten der Bevölkerung“, protestierte sie.
„Das ist richtig, aber auch falsch“, sagte Thomas. „Linda, damit das Geld den Menschen in Belongo zugute kommen kann, muss es jemand machen. Die Mine schürft die Diamanten und bringt sie zum Verkauf auf den internationalen Markt. Diese Arbeit ist risikoreich und gefährlich, und damit muss sie entsprechend bezahlt werden. Damit Belongo Mining die Arbeit durchführen kann, muss sie sich schützen. Wir brauchen Geld für Kriegsgerät, denn wenngleich Belongo langsam ein ruhiger Ort zu werden scheint und die Hauptstadt befreit ist, so haben wir längst noch nicht mit jedem Kriegsherrn geredet, nicht mit jedem Dorfvorstand verhandelt, noch keinen echten Kontakt zu den Rebellen, die sich im Dschungel von Belongo rumtreiben und mit denen Niklas diesen unschönen Kontakt hatte, und wir sind auch nicht geschützt gegen die Base de l'Air, die Belongo schon einmal in die Steinzeit zurückgebombt hat. Auch sorgt das Kriegsgerät für den Schutz des Krankenhauses in Ngali, und unsere Hubschrauber fliegen die schweren Fälle hierher nach Honiton City aus. Und dann können wir unsere Kapazitäten, die Waren nach Belongo schaffen, nicht schlagartig steigern. Das Geld, das wir machen und das wir in Hilfsgüter investieren, das kommt nur an, wenn wir die Einkäufe auch herüberschaffen können und gerecht verteilen. Hilfsgüter und medizinische Versorgung zu erhalten ist für diese Menschen jetzt wichtiger und eine größere Hilfe, wie wenn sie alle Bankkonten in Panadia hätten, auf denen für sie abstrakte Summen abgeladen werden. Wir müssen viel investieren, ja, in Kriegsgerät, ja, in unsere Leute. Aber unsere Hilfe für Belongo ist gerade erst angelaufen, und es gibt sehr viel zu tun.“
„Und wenn die Mine ausgeräumt ist? Was passiert dann mit Belongo?“, fragte Goedehardt.
„Dann fliegen wir zur zweiten Lagerstätte und richten dort eine neue Mine ein.“
„Eine zweite Lagerstätte?“, wiederholte die Unterstaatssekretärin.
„Wir vermuten sie nur, aber wohl nicht ganz zu Unrecht. Sobald wir überhaupt etwas Luft haben, werden wir nachschauen gehen. Und dann gibt es noch eine dritte potentielle Lagerstätte in Belongo. Ich denke, an Diamanten wird es uns lange Zeit nicht mangeln. Und seht es uns bitte nach, dass wir an diesem Unternehmen verdienen wollen. Wir sind eine Firma, und eine Firma will Profit machen. Dass wir nebenbei Gutes tun, ist übrigens kein Nebeneffekt, sondern war von vorneherein der Plan.“
Die drei saßen sich, nachdem Thomas geendet hatte, eine ganze Zeitlang schweigend gegenüber, bevor Linda wieder das Wort ergriff. „Die aktuelle Lage in Ndongo selbst, in der Hauptstadt...“
„Beobachten wir voller Sorge. Aber dank der Abraham Lincoln und der panadianischen Luftwaffe haben wir hier die Lufthoheit. Ich bin sicher, wir könnten nicht nur jeden Luftangriff zurückschlagen, wir können auch verhindern, dass von der Base de l'Air Strafexpeditionen ins Landesinnere starten.“
„Das ist sehr optimistisch formuliert“, sagte sie.
„Sicher ist das sehr optimistisch formuliert. Wann war ich auch je Pessimist?“ Thomas erhob sich. „Kommt bitte mit. Ich zeige euch die aktuellen Hilfsgüter, die wir nach Belongo schaffen wollen. Danach lade ich euch zu einem Abendessen in der Stadt ein und stelle euch zwei Zimmer in meinem Haus zur Verfügung. Und morgen früh geht es dann für euch nach Belongo.“
„Hast du gesagt, du hast ein Haus hier in Honiton?“, fragte Sunder erstaunt. „Willst du tatsächlich länger bleiben?“
Thomas schmunzelte. „Wie ich schon sagte, ich bin Optimist. Wir werden noch eine ganze Zeitlang hierbleiben.“ Einladend deutete er in Richtung der Tür. Die beiden Deutschen erhoben sich und traten auf den Gang hinaus.
„Bis hierhin ging es gut“, murmelte Thomas so leise, dass die beiden es hoffentlich nicht hatten hören können und folgte ihnen.
***
Danach hatte er die Gelegenheit gesucht, um mit Abu – Vater, wie sie ihn nannten - zu sprechen, so von behindertem altem Mann zu blindem altem Mann. Ihre Unterhaltung war schnell zu einer Diskussion geworden, die beide mit Freude geführt hatten, denn sie hatten beide nicht nur eine große Lebenserfahrung, sondern auch eine ähnliche Lebensansicht. Beide waren gläubig, beide beteten den gleichen Gott an, und beiden war es egal, auf welche Weise er angebetet wurde. Sie maßten sich auch nicht an zu behaupten, den einzig wahren Weg zu vertreten. Um ehrlich zu sein, waren beide mehr Atheisten als Gläubige, wenn man eine Summe zog. Aber sehr gläubige Atheisten.
„Meinen Sie die Allemani, General?“
„Die Deutschen, ja.“
„Sie wollen von mir nicht wissen, wie dankbar ich ihnen bin, dass sie den Riki aus der Stadt gejagt haben, richtig?“
Shatterfield antwortete darauf nicht.
„Ich denke...“, sagte der Sheik gedehnt, „Sie fragen, was die beiden Männer taugen und wie lange sie es hier aushalten könnten. Auf diese Frage kann ich Ihnen nicht antworten, denn die Antwort kennt einzig Allah.“
Shatterfield lachte leise. „Und was sagt Ihr Bauch, Abu?“
„Mein Bauch?“ Unwillkürlich griff sich der alte Mann an den eigenen Bauch, was Wanaganas Tochter ein wenig nervös raunen ließ. Der alte Mann hatte die letzten Tage Durchfall gehabt, und in seinem Alter war das nie eine gesunde Sache.
„Mein Bauch. Der sagt mir, dass die Allemani viel Gutes für Belongo tun und noch tun werden. Es ist gut für uns, je länger sie bei uns bleiben. Aber darf auch ich Ihnen eine Frage stellen, General?“
„Nur zu. Wenn ich sie beantworten kann.“
„Axel hat im Gottesdienst vergessen, dass Sie anwesend sind. Sie haben sich zurückgehalten, sind in den Hintergrund getreten. Und auch jetzt haben Sie niemandem in Erinnerung gerufen, dass Sie noch in der Moschee sind. Warum?“
Shatterfield schnaubte leise aus. „Erstens interessiert es mich, wann ihnen allen wieder einfällt, dass sie gerade einen General verlegt haben.“
Der alte Imam kicherte. „Ein Privileg des Alters. Und zweitens, weiser Mann?“
„Zweitens bin ich hier, um einige Entscheidungen zu treffen. Über die Leben der jungen Männer und Frauen da draußen. Dazu gehört, dass ich sie auch dann sehe, wenn sie mich nicht in der Nähe vermuten. Dazu gehört, dass ich mit allen Menschen hier spreche. Ich will mir sicher sein, bevor ich vielleicht ihre Leben vernichte.“
„Ich verstehe. Und werden Sie ihre Leben vernichten?“
„Jason Scott hat zwanzig seiner Leute verloren. Sie wurden mit Napalm bombardiert und brannten zu Tode. Egal ob er daran schuld war oder nicht, es ist seine Verantwortung und die seiner Offiziere. Das wird ihn niemals wieder verlassen. Aber es ist wie mit der Titanic. Als der Eisberg das „unsinkbare“ Schiff zum Sinken gebracht hatte, kam es nicht länger darauf an, warum es passiert ist. Es kam nur noch darauf an, wie es ab da weiterging und wie am besten möglichst viele Leben gerettet werden konnten.“
„Ah, die Titanic. Die mit dem falschen vierten Schornstein, ich erinnere mich. Für unsere Situation bedeutet das?“
„Wie hat sich Scott nach dem Angriff verhalten? Wie haben seine Leute reagiert? Wie war die Disziplin? Welche Entscheidungen hat Scott getroffen, und welche wurden von seinen Leuten umgesetzt? Sehen Sie, es gibt genügend Menschen, die geistig, seelisch und moralisch zusammengebrochen wären, hätte man ihnen zwanzig Menschen, die sie über Jahre gekannt hatten, auf einen Schlag auf so grausame Weise geraubt. Scott ist nicht zusammengebrochen. Seine Leute sind ihm weiterhin gefolgt. Und er hat sowohl mit Belongo Mining als auch mit den Panadianern weiterhin hervorragend zusammengearbeitet.“
„Sie werden also nicht empfehlen, dass er bestraft werden muss.“
„Nein. Das werde ich nicht empfehlen. Aber wie Sie schon sagten, Abu, es ist nur eine Empfehlung. Viel wichtiger ist ohnehin, was ich zu den Deutschen zu sagen habe.“
„Zu Axel?“
„Nein. Axel Herwig ist so weit aus dem Spiel, wie es nur geht. Er hat eine Bergbaulizenz, er hat die Erlaubnis, seine eigene Schutztruppe zu halten, und weder Panadia noch Ndongo haben ein effektives Kriegswaffenverbot. Da er das meiste Material erst hier in Afrika erworben hat, ist er rechtlich abgesichert. Es geht um Malicke und um den zweiten Herwig.“
„Über die Sie keine Befehlsgewalt haben.“
„Richtig. Aber ich wurde gebeten, auch sie zu... Beurteilen. Sehen Sie, die Regeln ihres Heimatlandes Deutschland gelten für sie, auch wenn sie hier in Belongo sind. Besonders, weil sie beide Soldaten sind. Aktive Soldaten. Beide sind derzeit... Freigestellt. Vom Dienst. Aber sicher sind sie nicht freigestellt, um hier unten Krieg zu spielen.“
„Sie spielen mitnichten Krieg. Sie bewegen hier eine Menge und tun viel Gutes. Man hat mir erzählt, wie der junge Malicke die Ärzte ohne Angst befreit hat. Er und seine Leute haben große Herzen und großen Mut.“
„Da widerspreche ich nicht. Aber, wie ich schon sagte, für beide gilt nicht nur das deutsche Recht, sondern auch das militärische Recht der Bundeswehr.“ Der General brummte leise vor sich hin. „Und das tut mir gerade sehr leid. Denn egal, was sie hier geleistet haben, was sie erreicht haben, es könnte passieren, dass sie in ihrem Heimatland der Söldnerei angeklagt werden. Dann würde man sie doppelt bestrafen. Einmal vor den zivilen Gerichten, dann vor denen der Bundeswehr.“
„Und wie wird Ihre Empfehlung ausschauen?“, fragte der Scheik geradeheraus.
„Nun, sie hatten beide keinerlei Recht, hier in Belongo zur Waffe zu greifen, solange sie noch Soldaten der Bundeswehr sind. Das ist schon mal nichts Gutes. Verstehen Sie mich nicht falsch. Angenommen, sie hätten sich wirklich einen Monat Zeit genommen, die Mine ausgebeutet, ein paar Felder entmint, ein paar Straßen gebaut, Infrastrukturen errichtet und hätten nach dem einen Monat mit dem Abzug begonnen, und niemand hätte es an die große Glocke gehängt, dann hätte es in Deutschland sicher auch keinen interessiert. So aber...“
„So aber, was?“
„So aber könnte es passieren, dass sie nicht in ihr Heimatland zurückkehren könnten, ohne eine lange Haftstrafe antreten zu müssen“, schloss der General. „Jetzt, in diesem Moment, sind eine wichtige Ministerialbeamtin des Verteidigungsministeriums und ein hochrangiger Offizier des Generalstabs auf dem Weg hierher, um zu beurteilen, was sie mit den beiden anstellen sollen.“
„Und Sie werden die beiden verteidigen?“
„Das weiß ich noch nicht. Aber ich werde sie definitiv loben. Captain Frost ist jedenfalls bis zu diesem Punkt von der Zusammenarbeit zwischen Rangern und Belongo Mining geradezu begeistert. Das spricht eindeutig für sie. Und glauben Sie mir, das Mädchen ist nicht sehr leicht zu begeistern.“
„Dann werde ich, so mein Wort irgendein Gewicht für die Allemani hat, auch für die beiden sprechen.“ Der alte Mann lächelte. „Und wenn alles andere nicht in Erfüllung geht, dann bleiben sie eben hier bei uns.“
Shatterfield wollte etwas darauf sagen, wollte erwähnen, dass in diesem Moment vielleicht ein Krieg begann, der Belongo noch mehr verwüsten würde, als es ohnehin schon war... Okay, vielleicht war da noch nicht genug wieder aufgebaut, was sich zu verwüsten lohnte, aber es würde eine Menge Menschen betreffen. Und die letzte Meldung, die er aus Washington erhalten hatte, hatte sich vor allem darauf konzentriert, die Botschaftsmitarbeiter, den Botschafter, die Zivilisten und die Marines zu evakuieren. Bis auf die Anweisung, das Flugverbot aufrecht zu erhalten, hatte nichts davon Belongo betroffen. Noch nicht. Aber er sagte es nicht. Shatterfield hatte in seinem Leben einige Konflikte erlebt, auch einige Einsätze, die besser nie öffentliche Beachtung finden sollten, nicht unbedingt aufgrund ihrer blutigen Zahlen, aber durchaus weil sie jenseits einiger sonst üblicher Gesetze stattgefunden hatten. Daher wusste er nicht, wie lange und wie weit das Gute, dass die Herwigs, der gute Bernd Assay, die Herwigs und natürlich Malicke nach Belongo gebracht hatten, anhalten würde. Oder ob sich Niklas Herwig und Hannes Malicke vorstellen konnten für immer in Belongo oder zumindest in Afrika zu bleiben. Aber er wusste guten Willen zu schätzen, und davon quoll der Imam beinahe über. „Warum auch nicht?“, fragte er. „Sie sind jetzt reich.“
Daraufhin lachten die beiden Männer, und selbst das Mädchen fiel ein, obwohl sie nicht so genau wusste, worüber gelacht wurde, denn Reichtum war doch nicht zum Lachen, oder?
„Abu? General Shatterfield?“ Hannes Malicke trat an sie heran. „Direktor Herwig bittet Sie ins Beratungszelt. Ldunga Abesimi ist nun ebenfalls mit Frau Herryhaus eingetroffen, um mit Wanagana zu konferieren. Außerdem ist ein weiterer Kriegsherr eingetroffen, Lobando Taran von den Atuti. Er beherrscht das Westufer südlich der Stadt und kontrolliert damit einen Teil der alten Nord-Süd-Route.“ Der KSK-Offizier deutete auf den großen Platz vor der Moschee, auf dem nun ein paar Zelte errichtet worden waren, während das zweiköpfige Kochteam Kaffee und Süßspeisen austeilte. „Es gibt auch was zu trinken. Also Kaffee und Tee.“
„Frau Herryhaus? Die Ärztin, die unsere Leute versorgt hat? Zumindest die, denen man noch helfen konnte?“, fragte Shatterfield. „Es wird mir eine Freude sein, diese Frau kennenzulernen und ihr den Dank meiner Nation vorzutragen.“
„Ebendiese, General.“
Der Imam hob erstaunt den Kopf an. „Sie ist hier? Sie ist wirklich hier?“
„Ja, Abu“, sagte Hannes. „Sie ist hier.“
„Worauf warten wir dann noch?“ Fröhlich angelte der alte Mann nach der Hand des KSK-Offiziers.
Shatterfield schloss sich an und fragte sich unvermittelt, was dieses „sie ist hier“ für den alten Imam bedeuten mochte.
***
Das Erste, was Unterstaatssekretärin Linda Goedehardt erwartete, als sie den Flieger verließ – dafür, dass sie einen Provinzflughafen anflog, hatte die Airline eine recht bequeme DC-10 aufgeboten – war Hitze. Trockene Hitze, aber davon mehr als genug. Ein kräftiger, unerwarteter Windstoß drohte ihr den Strohhut vom Kopf zu wehen, und so hielt sie ihn verzweifelt fest, bis das panadianische Wetter entschieden hatte, sie nicht länger zu ärgern. Sie hatte den Strohhut nicht unbedingt aus ästhetischen Gründen gewählt, aber der Offizier, der sie kurz gebrieft hatte, Oberleutnant Hinrich von der Afrika-Abteilung, hatte erwähnt, dass ein großer Teil Belongos auf einem Hochplateau lag. Das bedeutete, dass die Luft da oben dünner war, um einiges dünner, und dass die afrikanische Sonne da oben daher um einiges ungestörter scheinen konnte. Also hatte sie es für nötig befunden, reichlich Sunblocker einzupacken – und natürlich diesen überdimensionierten Strohhut, den ihre Mutter früher bei den Badeurlauben auf Sylt getragen hatte. Wobei sie mit Stolz von sich sagen konnte, dass sie nicht nur eine schnelle Packerin war, sondern auch eine überlegte. Für diese überaus eilige und eher zufällige Dienstreise hatte sie genau einen Koffer gepackt, um genau zu sein, einen Trolli in Standardgröße, dazu ihre Handtasche, die große Handtasche, in der sich unter anderem noch eine kleinere Handtasche befand, für besondere Gelegenheiten, und einen Rucksack mit allem, von dem sie meinte, es sofort zu brauchen. Mit besagter Tasche und ebendiesem Rucksack ging sie, begleitet von den englischen Wünschen für einen guten Aufenthalt der Stewardessen, die Treppe hinab. Logisch, ein kleiner Flughafen wie Honiton City hatte keinen Terminal von Weltformat. Und sie war sich noch nicht sicher, ob er überhaupt eine Lobby hatte, die den Namen verdient hätte.
„Lausig warm hier“, klang hinter ihr die Stimme von General Sunder auf, dem stellvertretenden Stabschef des Generalinspekteurs. „Aber nicht so warm wie in Gomarida. Da mussten wir mit einem ganzen Regiment mitten in der Wüste campieren. Das war eine Scheiß Hitze. Und das Bier war immer warm.“
„Hagen, bitte“, tadelte sie den älteren Mann, mit dem sie allerdings schon etliche Jahre per du war. „Nicht wieder diese alten Kriegsgeschichten.“
Sunder lachte bärbeißig auf. „Das sind keine Kriegsgeschichten, weil es kein Krieg war. In einem Krieg hat man zwei oder mehrere Parteien, man hat eine Kriegserklärung und man hat im Idealfall eine möglichst exakte Zielsetzung, die nur in Ausnahmen die Auslöschung einer Nation sein sollte. Die Auslöschung eines Volkes oder aller Menschen eines Staates ist zum Glück etwas, was für uns heutzutage undenkbar und damit untolerierbar ist, aber... Auf jeden Fall war das, was wir damals gemacht haben, ein wenig Sozialhilfe zu leisten, Straßen zu bauen und uns in unserem Camp einzuigeln. Nicht ganz das, was man von einem Krieg erwarten würde.“
Sie kamen die letzten Stufen herab und Frau Goedehardt blieb stehen, um sich zu orientieren. Hagen Sunder trat neben sie. „Als die Amis gelandet sind, die haben tatsächlich eine richtige amphibische Landungsoperation durchgezogen, weil sie überall Rebellen und Privatarmeen der Verbrecherfürsten und Clankrieger vermutet haben, wurden sie übrigens von einem Blitzlichtgewitter empfangen. Die internationale Presse hat sie allesamt abgeschossen – mit dem Fotoapparat. So viel zur Geheimhaltung. Und jetzt stellen wir uns mal vor, statt der Presse hätten sich da drei Dutzend Leute mit MANPADs und Maschinengewehren eingegraben.“
„Wäre eine kurze Landung geworden.“
„Eine sehr kurze.“
„Und das alles wofür? Um ein paar Hilfsgüter ins Land zu bringen?“
Sunder lachte trocken auf. „Ja, aber das ist nicht die ganze Wahrheit. Tatsächlich war das Land damals stark zerrissen im Bürgerkrieg der verschiedenen Stämme und der radikalen islamischen Fraktion, und durch den Bürgerkrieg drohte im Süden eine Hungersnot. Vor allem auch, weil viele Hilfslieferungen wegen Plünderungen nicht bei den Menschen ankamen, für die sie gedacht waren. Aber allein dafür mit Schießerlaubnis in einem afrikanischen Land einfallen, das war nie die Art der USA. Das Land hat Öl, und durch die Anarchie in der Politik konnte es nicht mehr ordentlich gefördert werden. Die Hilfsgüter haben übrigens wir ins Land gebracht, die Inder, die Australier, die Norweger... Gut, ich will nicht ungerecht sein. Die Amerikaner haben es zumindest versucht. Ohne sie wäre UNITAF nicht möglich gewesen, rein militärisch. Aber immer, wenn etwas nicht so läuft, wie der Amerikaner es will, kommen anschließend ein gutes Dutzend schlechter Filme zum Thema aus Hollywood, und das ist es dann wirklich nicht wert.“
„Du meinst den mit den abgestürzten Hubschraubern? Sehr dramatisch.“
„Vor allem sehr übertrieben. Ich meine, neunzehn tote amerikanische Soldaten, aber eintausend tote afrikanische Milizionäre als Niederlage hinzustellen ist schon arge Propaganda.“
„Seit wann ist es Propaganda, einen Film als Niederlage darzustellen?“
„Na, was passiert wohl, wenn man einen reißerischen Film über den heldenhaften Einsatz einer Truppe Special Forces macht, in dem man betont, wie tapfer sie gekämpft hat und wie schwer sie es hatte und dann noch betont, dass die Truppe nur mit Witz und Glück überleben konnte und ja quasi verloren hat?“
„Man macht Stimmung für eine neue Intervention.“ Die Frau zuckte die Achseln. „Ist bisher noch nicht erfolgt. Und das Ganze ist über zwanzig Jahre her. Die Theorie zieht also nicht.“
„Das liegt wohl eher daran, dass das Land nicht zu befrieden ist. Der militärische Aufwand und die Verluste wären zu hoch.“
„Also ist es doch nicht so viel Öl“, schloss die Unterstaatssekretärin.
„Irgendwas dazwischen wird schon sein.“
„Oder es ging tatsächlich nicht um Öl, sondern wirklich um die Bekämpfung einer Hungersnot, die Folge des Bürgerkriegs.“
„Dann hat sich das Weltinteresse schnell und endgültig von diesem Land abgewandt und für egal erklärt, obwohl wir Deutschen gezeigt haben, dass es geht, auch ohne Gewalt. Zumindest bis auf die eine Nacht, als ein Einheimischer unbefugt ins Camp eingedrungen ist und nach Anruf erschossen wurde. Und das ist ja auch nicht verwunderlich. Sieh dir Belongo an. Es liegt seit zwanzig Jahren in Trümmern. Aber was unterscheidet das Land von Gomarida, abgesehen von der Größe?“
„Du wirst es mir sicher gleich sagen“, erwiderte sie.
„Die Ölförderung hier funktioniert. Das ist der Unterschied, Linda.“
„Aha.“ Sie sah sich einmal um. „Und wo müssen wir jetzt überhaupt hin? Gibt es jemanden von der Botschaft?“
„Ich denke, ich kann alle deine Fragen beantworten. In etwa einer Minute“, schmunzelte Sunder. „Schau mal hinter dich.“
Sie tat, wie ihr gesagt wurde. Dann fuhr sie ein Stück weit zusammen. Vor Überraschung. „Ja, hol mich doch... Wenn das nicht mein alter Politik-Professor ist, dann will ich Olivia Öl heißen, und das den Rest meiner Tage.“ Sie hob die rechte Hand und winkte. „Professor Herryhaus!“
Der gesetzte ältere Herr kam direkt auf sie zu. „Linda. Na, das nenne ich mal eine Überraschung. Hagen, hallo. Ich habe alles vorbereitet, wie du es wolltest.“ Herryhaus reichte zuerst ihr, dann ihm die Hand.
Goedehardt sah ein wenig verblüfft drein. „Was haben Sie denn arrangiert?“
Thomas schmunzelte. „Hat man vergessen, dir zu sagen, dass Ihr zu mir wollt, Linda?“
Entsetzt sah sie ihren alten Professor an. „In der Tat. Das hat man. Mir hat man nur gesagt: Flieg runter nach Belongo und schau dir diese beiden Bundeswehroffiziere an, die im Land unterwegs sind und sage uns anschließend, ob wir sie mit Orden bewerfen, oder einen internationalen Steckbrief gegen sie in Den Haag beantragen müssen.“
„Um das zu erklären. Die Leutnants Herwig und Malicke sind Teil der Führungsmannschaft einer Diamantengesellschaft, der First Diamond Mining Company of Belongo. Sie führt Diamanten aus Belongo aus und führt im Gegenzug militärisches Gerät und zivile Hilfsgüter ein.“
„Militärisches Gerät“, echote Linda.
„Ich erkläre euch alles. Aber jetzt kommt bitte erst mal mit in mein Büro. Ich habe frische Zitronenlimonade machen lassen.“
„Ihr Büro, Professor?“, fragte die Unterstaatssekretärin, folgte Herryhaus aber automatisch.
„Nun, auch ich bin Teil der Führungsmannschaft der First Diamond Mining Company of Belongo, und der zuständige Direktor der Dependance Panadia.“
Die Unterstaatssekretärin war sich bewusst, dass die Größe ihrer Augen im Moment mit den meisten Manga-Figuren mithalten konnte. Zumindest wenn sie nach den Mangas ihrer Tochter ging. „Ich glaube, das wird noch richtig interessant.“
Sie betraten den großen Bürokomplex neben der Lagerhalle mit dem beeindruckenden Firmenschild. Dazu mussten sie eine Sicherheitstür passieren, die sie durch eine Schleuse mit einer weiteren Tür brachte. Ein freundlich lächelnder Schwarzafrikaner betätigte für Professor Herryhaus den Öffnungsknopf und ließ sie ein. „Früher, also Anfang der Woche, haben wir hier die Diamanten identifiziert, klassifiziert und gewogen. Das war natürlich nur ein Provisorium. Mittlerweile gehen alle potentiellen Rohdiamanten direkt per Panzerwagen an einen Geschäftspartner in der Innenstadt, der eine geradezu Festungsähnliche Manufaktur errichtet hat. Aber wir fürchten, der eine oder andere Gauner mit Begehrlichkeiten könnte der veralteten Information folgen, dass die Diamanten hier wären. Daher haben wir die Sicherheitsschleuse nicht ersetzt, auch um die Büros zu schützen“, sagte der Professor. „Früher haben hier fünf Spezialisten gesessen und jeden Rohdiamanten taxiert, klassifiziert und sortiert. Vor allem die mit dem rosa Einschlag, sogenannte Fancies, wurden hier vorsortiert, weil sie auf dem Schmuckmarkt sehr viel wert sind. Mittlerweile macht unser Geschäftspartner, Herr Trakener, die meisten Nachsorgearbeiten und bietet sie auf dem internationalen Markt an. Im Moment ist er in Genf, um unsere schönsten und größten Diamanten auf der berühmten Sotheby's-Auktion versteigern zu lassen, nachdem er bereits etliche kleinere Diamanten via Antwerpen in die Schmuckindustrie und einen Haufen noch kleinere mit großem Gewinn an die normale Industrie verkauft hat... Bereits jetzt ist unser Gewinn so groß, dass wir die Fertigteile für etwa achtzig Schulgebäude für Belongo finanziert haben, ohne dass die Rohdiamanten der letzten beiden Tage berücksichtigt wurden. Aber ich schweife ab. Hier herein, bitte.“
Thomas hielt die Tür zu einem europäisch eingerichteten Besprechungsraum auf, an dessen linker Wand eine weiße Tafel hing. „Interaktiv, ans Computernetzwerk angeschlossen. Nur internes Netz, um Einbrüche zu verhindern. Bisher ist noch nichts passiert, aber wir sind ja auch erst etwas mehr als eine Woche hier.“
„Keine Fenster“, stellte der General fest.
„Keine Fenster“, bestätigte der alte Herryhaus. „Ich habe etwas gegen künstliche Sicherheitslücken. Die Büros haben Fenster, allerdings nicht öffenbar und aus Panzerglas, stark genug, um einer Javelin standzuhalten. Einer Javelin zumindest. Wir haben das ausprobiert.“
Sunder grinste zufrieden, als er Platz nahm und Goedehardt bedeutete, sich neben ihn zu setzen. „Wie immer gehst du allen Geheimnissen direkt auf den Grund.“
„Wie man es nimmt. Ich mag halt keine unliebsamen Überraschungen. Deshalb bezahle ich auch neben den Mitarbeitern der Mine, die für den Schutz der Wartungscrew, der Lagerhalle und der Büros zuständig sind, noch einen ganzen Haufen freier Mitarbeiter, die mich vorwarnen, sollte irgendetwas im Busch sein.“
„Sie verdienen anscheinend gut“, sagte Linda.
„Sogar sehr gut. Ihr müsst wissen, dass die Ngali-Mine eine unentdeckte Mine ist. Die Bevölkerung von Belongo hat sich dort über Jahre hinweg mit den Steinen versorgt, um sie als billigen Schmuck zu tragen. Jetzt, wo sie wissen, dass es Diamanten sind, bringen sie sie zu unserem Feldhospital in Ngali.“
„Ihr zwingt die Leute, ihren Reichtum gegen medizinische Versorgung aufzugeben?“, fragte die Unterstaatssekretärin möglichst sachlich, um ihr Entsetzen zu überspielen. Nein, das konnte nicht sein, das passte nicht zu Thomas Herryhaus.
„Nein. Sie schenken uns die Diamanten wirklich. Nicht ganz uneigennützig, zugegeben, denn sie wissen, dass ein Teil des Erlöses in Hilfsgüter gesteckt wird, die wiederum ihnen zugute kommen. Wir liefern Nahrungsmittel, die es in Belongo nicht gibt, importieren Rinder, solargetriebene Wasserpumpen, solargetriebene Stromaggregate, Dieselaggregate, Medizin, Impfstoffe, weitere medizinische Ausrüstung, und ach ja, wir haben bereits zwei Minenwölfe im Einsatz. Zwei kleinere sind bestellt und werden gerade von unseren Partnern in Bayern gebaut.“
„Minenwölfe?“, echote Sunder. „Du, warum habt Ihr nicht einfach versucht, einen Keiler zu bekommen?“
Thomas lachte leise. „Genau die Diskussion hatte ich schon mit den Jungs und Bernd Assay, unserem Faktotum. Das Gehirn der Aktion. Fähiger Bursche. War zum Glück arbeitslos, als die Sache losging. Ohne seinen Kopf funktioniert hier gar nichts. Jedenfalls wollte Bernd als guter, alter Militärfreak einen Keiler besorgen. Oder war es Axel? Jedenfalls hat ein anderer Freund von Bernd dazu geraten, die zivilen Minenwölfe zu kaufen, da sie sehr viel weniger wiegen und noch effizienter räumen. Die Firma, die sie baut, bastelt sie aus altruistischen Gründen und verkauft sie zu Preisen, die bezahlbar sind. Damit die Firma auch in Zukunft Minenwölfe anbieten kann. Die Dinger wiegen nur siebzehn Tonnen und sind dabei erheblich schneller als ein Keiler. Zudem haben sie einhundert Prozent Akkuresse, und das schafft ein Keiler nicht, oder?“
„Nein, zugegeben“, brummte Sunder. „Also Minenwölfe.“
„Ich fange wohl besser von vorne an. Wie Sie sicher wissen, geht es hier in erster Linie um den Oberleutnant Niklas Herwig und um den Leutnant Hannes Malicke. Beides famose Männer, aufgeweckte, intelligente Kerle. Vor allem Malicke hat sich schnell als Rückgrat der Aktion erwiesen. Super ausgebildet, ungeheure Einsatzbereitschaft, hat sein Leben riskiert, um die Ärzte ohne Angst zu retten...“
„Sie brauchen keine Stimmung für Leutnant Malicke machen, Herr Professor“, sagte Linda. „Noch nicht. Aber fahren Sie fort.“
„Jedenfalls wurde Niklas entführt und hier in Panadia befreit. Dabei nahm er einem toten belongoianischen Rebellen etwas ab, was er für einen Bergkristall hielt. Dieser entpuppte sich in Deutschland jedoch als Diamant. Als sehr teurer, sehr schwerer Diamant. Wir haben ihn über Sotheby's versteigert und elf Millionen Euro verlangt, aber fünfzehn und ein paar Zerkrümelte bekommen. Damit wurde der militärische Aspekt der Aktion finanziert, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, diese Diamantenmine zu finden und auszubeuten.“
„Verstehe“, sagte Sunder.
„Dabei war es natürlich sehr hilfreich, dass Niklas vom Bund Krank Zuhause geschrieben wurde, und das auf unbestimmte Zeit. Und es war auch hilfreich, dass man Malicke ein Vierteljahr suspendiert hat. Vollkommen unsinnigerweise, aber man hat es gerne angenommen. Die Firma jetzt. Tja, und dann bin ich mit Herrn Assay nach Ompala zu Minister Ogalalla vom Wirtschaftsministerium und habe die Mine gepachtet. Für eine jährliche Zahlung von vierzigtausend Euro. Mir schien, der Herr Minister glaubte nicht so recht an die Existenz der Mine, sonst wäre die Pacht sicher höher angesetzt worden.“
„Du hast ihn über den Hühnerdreck geführt“, lachte der General.
„Nein. Ich habe ihm ganz ehrlich gesagt, dass wir den Diamanten gefunden haben, aber nicht wissen, wo die Mine sein könnte. Daraufhin hat er die Pacht festgesetzt und mir zu verstehen gegeben, dass die ndongoische Armee nicht in der Lage wäre, für unseren Schutz zu sorgen, und dass wir selbst für den Schutz sorgen sollen, egal auf welche Weise. Also hat Herr Assay Waffen und Ausrüstung besorgt, und dazu gleich auch das Personal, um die Ausrüstung zu benutzen. Und dann erst sind wir nach Belongo rein geflogen, um die potentielle Mine zu finden.“
„Was Ihnen offensichtlich gelungen ist“, sagte Linda sarkastisch.
„Ja, wir hatten unfreiwillige Hilfe. Eine bewaffnete Räubertruppe hat auf dem Gelände der Mine nach Gold gesucht, aber natürlich keines gefunden. Leider hat sie das mit Blausäure gemacht und ihren unfreiwilligen Arbeitern nicht gesagt, wie man mit Blausäure umgeht. Wir haben ein Massengrab entdeckt und exhumiert und die Toten in ihre Dörfer zurückgebracht, nachdem wir sie identifiziert hatten. Jedenfalls befand sich diese Horde auf dem Gelände unserer offiziell gepachteten Mine und hat auf uns geschossen. Daraufhin hat sich Belongo Mining verteidigt, die Mine erobert, die Zwangsarbeiter, die noch lebten, befreit, eine junge Lehrerin vor einer Vergewaltigung gerettet, tja, und die Diamantenmine gefunden.“
„Sie haben vergessen zu erwähnen, dass der Chef der Firma nebenbei auch noch zugleich ein Yu-Gi-Oh-, und ein Pokémon-Turnier gewonnen hat“, warf Linda ein.
„Nicht so bissig, Mädchen. Das ist alles die reine Wahrheit. Tja, dann sind wir nach Ngali gefahren, der nächsten Ortschaft, dort überschlugen sich die Ereignisse, und wir haben ein Lazarett eingerichtet. Geleitet wird es von meiner Enkelin Meike. Es fand sehr großen Zuspruch, und so strömten die Kranken und Verletzten aus halb Belongo zu uns. Viele Bettlägrige und dringende Fälle haben wir mit Hilfe der Hubschrauber eingeflogen und auch wieder zurückgebracht. Einige wurden auch hierher nach Honiton City gebracht, um behandelt zu werden, aber wir konnten leider nicht jeden retten. Dafür aber haben wir bereits eine ansehnliche Impfrate erreicht und können diese weiter steigern. Wir hatten Glück, dass wir in einer relativ ruhigen epidemischen Phase angekommen sind. Mit etwas Glück werden Polio, Masern, Windpocken, Röteln, Mumps und Keuchhusten bald schon kein Thema mehr sein.
Die nächsten Schritte sind, die alte Nord-Süd-Straße wieder befahrbar zu machen. Dafür fliegen wir gerade schweres Gerät zur Mine. Entschuldigung. Zu schnell? Zu viele Informationen?“
Sunder lachte und schenkte sich aus der bereitstehenden Karaffe ein. „Mach ruhig weiter. Eigentlich wollten wir dich ja mit Fragen traktieren, aber jetzt werden wir nur Fragen stellen, wenn uns etwas unklar erscheint.“
„Was ist mit den Ärzten ohne Angst? Wie kam es dazu?“, fragte Linda.
„Sie wurden der Belongo Mining angeboten. Sie sollten sie kaufen. Also freikaufen“, erklärte Thomas. „Malicke ist mit einem Team seiner Leute raus, um eine Geisel aufzunehmen, um ihre Echtheit zu verifizieren. Die Entführer, eine Rebellenbande aus einem Nachbardistrikt, übergab ihnen Doktor Kensington. Äh, die Gute ist die Tochter eines weißen Vaters und einer schwarzen Mutter. Die anderen Ärzte waren alle weiß. Daher nehmen wir an, die Rebellen haben ihr nicht den gleichen Lösegeldwert beigemessen wie den Weißen, und sie deshalb leichter hergegeben. Als aber Malicke sah, wie die Rebellen die Dorfbevölkerung behandelten, in der sie ihre Gefangenen untergebracht hatten, sprang er mit einem Teil seiner Leute unbemerkt ab und entschloss sich dazu, das Dorf zu nehmen. Sechs Einsatzleute, zumindest offiziell, davon zwei Scharfschützen. Während der Aktion warf sich Malicke übrigens auf eine geworfene Handgranate, weil sie direkt vor der Hütte der Ärzte landete.“
Sunder pfiff anerkennend. „Blindgänger?“
„Stift nicht gezogen.“
„Also lebt Leutnant Malicke noch?“, beeilte sich Linda zu fragen.
„Ja, er lebt noch. Und es geht ihm den Umständen entsprechend gut.“
„Du spielst sicher auf die Umstände in der Distrikthauptstadt an. Darüber reden wir gleich. Was passierte weiter?“
„Nun, mein guter Hagen, als ersichtlich wurde, was geschah, entschlossen sich die Dorfbewohner, gegen ihre Peiniger zurückzuschlagen und ihnen ihre Toten und die vergewaltigten Frauen heimzuzahlen. Daher gab es keine Gefangenen. Nicht, dass Malickes Team überhaupt viele übrig gelassen hat.“
„Verstehe“, brummte Sunder. „War sicher die der Situation angemessene Entscheidung. Was dann? Ihr habt die Ärzte zur Mine ausgeflogen?“
„Ausgeflogen, erst mal mit einem guten Essen aufgepäppelt, medizinisch versorgt, sie duschen lassen und anschließend hier auf dem Honiton Air Field den Botschaftern ihrer Länder übergeben. Ist das in Deutschland nicht durch die Presse gegangen?“
„Erstaunlicherweise und soweit ich weiß, nicht“, sagte Sunder. „Aber ich weiß, dass die Amis das rauf und runter gebetet haben, und auch die Briten und die Franzosen zeigten angemessenes Interesse.“
„Also eine angemessene Situation bei der Unterstützung von Zivilisten in Not, vor allem freiwilligen Ärzten einer Hilfsorganisation“, sagte die Unterstaatssekretärin. „Das ist doch zumindest ein Pluspunkt. Was ist jetzt mit Keounda City?“
Thomas' Miene versteinerte. „Möchtest du das wirklich hören, Linda? Das ist harter Tobak, wirklich harter Tobak.“
„Entschuldigung, Herr Professor, aber seit ich nicht mehr in Ihre Vorlesungen gehe, was rund zwanzig Jahre her ist, habe ich mich weiter entwickelt.“ Sie griff ebenfalls nach der Karaffe und schenkte sich ein. „Als Unterstaatssekretärin des Verteidigungsministeriums bin ich durchaus abgehärtet und einiges gewohnt.“
„Nun.“ Thomas schenkte sich auch ein Glas ein. „Fakt eins ist nicht sehr erfreulich. Keounda City war bis vor kurzem in der Hand eines ehemaligen Miliz-Offiziers, der die Stadt und das Umland mit gnadenloser Hand beherrscht hat. Dies tat er mit einer Art Personenkult. Mit Drogen. Mit beschränktem Zugang zu den Frauen. Und einigen weiteren Dingen, die ich, nun, besser nicht erwähne. Jedenfalls war es Teil des Kults, dass sich hochrangige Mitglieder seines Hofstaats mit getrockneten Genitalien schmückten. Je mehr und je wertvoller, desto höher der Rang.“
Linda wurde blass, trank einen großen Schluck und gleich darauf noch einen.
„Vielleicht ein wenig Geschmack ins Glas?“, fragte Thomas mitfühlend.
„Nein, danke. Weiter. Die haben also Gliedmaßen um den Hals getragen.“
„Hautfetzen waren das geringste Tikalak. So nannten sie das. Dann kamen Finger, Ohren, Nasen, getrocknete Augen bis hin zu Genitalien. Die Genitalien waren das Wertvollste. Je mehr ein Mann trug, desto höher war sein Rang. Einige trugen auch die getrocknete Klitoris einer Frau oder mehrere, aber fragt mich nicht, was das für eine kultische Bedeutung hatte.“
„Ich will es auch gar nicht wissen“, murmelte die Unterstaatssekretärin und trank ihr Glas leer.
„Jedenfalls wusste der Anführer, sie nennen ihn Riki, und seinen richtigen Namen haben wir bisher nicht herausgefunden, von der Mine im Norden, und dass ständig Hubschrauber der Minengesellschaft an seiner Stadt vorbei nach Süden flogen. Und er wusste, dass Weiße die Mine betrieben. Das führte wohl dazu, dass er sich einen weißen Penis als Schmuckstück wünschte. Als Axel Herwig dann zu Verhandlungen bei einem hiesigen Kriegslord war, Ldunga Abesimi, um eine Zusammenarbeit zu besprechen...“
„Moment mal, mit einem Warlord? Mit solchen Leuten kann man doch nicht reden, geschweige denn verhandeln!“, brauste Linda auf.
„Oh doch, das geht, und mit Ldunga erstaunlich gut. Ich werde später erklären, wieso und warum. Nur so viel vorab: Ohne die Hilfe seiner Leute, die er Speere nennt, wäre Axel jetzt vermutlich tot, und sein bestes Stück würde um den Hals des Riki baumeln. Ohne ihn. Jedenfalls stellte der Riki eine Falle und verbrannte dafür einen Stapel Autoreifen, was eine ölige Rauchwolke ein Stück vor der Stadt ergab. Axel wurde neugierig, hielt aber Abstand. Er war mit einem Helikopter russischer Fertigung unterwegs, wie ich erwähnen sollte. Leider hatte der Riki diesen Abstand einkalkuliert, sodass der Hubschrauber über den Männern des Riki schwebte. Sie brauchten ihn nur noch mit russischen Panzerfäusten beschießen. Dem Piloten, Jorge Androweit, gelang es aber, die Maschine so lange stabil zu halten, bis er über der Stadt abstürzte, ein ganzes Stück vom Hinterhalt entfernt. Axel und Androweit stiegen aus, kämpften sich frei, sprengten den Hubschrauber und liefen in die Stadt, nicht in den Dschungel, wo die Männer des Riki lauerten. Sie verbarrikadierten sich auf dem Minarett der alten Moschee, wo sie fast eine halbe Stunde ungestört blieben und versuchten die Mine per Funk zu erreichen.“
„Das stelle ich mir sehr schwierig vor. Ich meine, die Moschee zu erreichen. Aber taktisch klug, sich nicht durch eine ganze Horde Verrückter zu kämpfen, sondern nur durch eine halbe“, schmunzelte Sunder.
„So ungefähr. Sie bekamen Kontakt mit Captain Scott, der eigentlich gerade auf dem Weg zum Camp Diamond war, so nennen wir das Lager vor Ort, um sich dafür zu bedanken, dass ihm die Arbeit abgenommen worden war, die Ärzte ohne Angst zu befreien. Seine Leute hörten den Notruf, und er entschloss sich, sein Platoon außerhalb der Stadt zu landen und die Moschee zu sichern. Ein zweites Platoon zur Unterstützung forderte er an, und auch die Mine schickte Leute aus, um Axel und Androweit zu retten. Das hätte auch gut funktioniert, aber als das zweite Platoon landete, wurde es von ndongoischen Kampfjets mit Napalm bombardiert. Dabei starben etliche Soldaten von Scott sofort, einige später an den Folgen der schweren Verbrennungen, sodass die Amerikaner zwanzig Tote nur von diesem Angriff verzeichneten. Tja, und am dem Punkt bekam Scott Unterstützung von der Mine, von den Speeren Ldungas, und von der Luftwaffe Panadias. Sogar die Abraham Lincoln, die gerade erst ums Kap geschlichen war, schickte Flugzeuge zur Unterstützung. Mit dieser geballten Kraft an Leuten nahmen die vereinten Kräfte erst die Westseite der Stadt ein, und, als ein Osprey voll mit Marines auf der falschen Flussseite notlanden musste, entschlossen sich Axel und Scott, auch die andere Seite zu nehmen.“
Thomas atmete tief ein, wieder aus und trank dann einen Schluck aus seinem Glas. „Die langweiligen Details erspare ich euch, die hört Ihr noch früh genug. Jedenfalls gab es noch einigen Widerstand des Riki, und aus einem Nachbarland marschierten Söldner ein, die zur Unterstützung des Riki losgeschickt worden waren. Sie griffen die Mine an und versuchten auch zur Stadt vorzudringen. Aber die Hubschrauber der Belongo Mining haben die Panzer und Panzerwagen mit Hilfe der panadianischen Luftwaffe vernichtet. Kein schönes Wort, ich weiß. Aber das waren keine netten Söldner. Auf ihrem Weg nach Keounda City brandschatzten sie mal eben die Farm eines lokalen Kriegsherrn. Wir sind da noch am Sortieren.
Tja, und dann zog der Riki endlich ab, und wir konnten die Stadt komplett einnehmen. Damit steht uns nicht nur die alte Nord-Süd-Straße im Westen zur Verfügung, der Lagabanda-Fluss ist nun auch wieder voll befahrbar, ohne Gewalt durch den Riki befürchten zu müssen. Und die alte Ost-West-Route zur Ostküste hat sich ebenfalls wieder geöffnet.“ Thomas trank noch einen Schluck. „Das war natürlich nur die kurze Version. Die ganz kurze. Die USA hat mittlerweile eine weitere Kompanie Infanterie herangeführt, dazu eine Untersuchungskommission. Und die Kampfgruppe der Abraham Lincoln hat nach einigen Vorkommnissen auf hoher See einen aggressiven Protektionsauftrag erhalten. Aber das ist noch nicht das Ende vom Lied.“
„Das klingt alles sehr, sehr abenteuerlich“, sagte Linda. „Erklärt einiges. Aber leider löst es nicht das Problem, dass sich Leutnant Malicke und Oberleutnant Herwig von einer Privatfirma haben anwerben lassen, um in einem fremden Land Bodenschätze zu plündern.“
„Anwerben lassen?“ Thomas hob beide Augenbrauen. „Sie haben sich doch nicht anwerben lassen. Ihnen gehört die Firma. Sie sind Anteilseigner.“
Linda Goedehardt zog die Stirn in Falten. „Ich weiß gerade nicht, ob es die Situation für sie besser macht.“
„Dann sollten wir das klären“, sagte Sunder. „Also, wie geht es weiter? Wie schnell kann ich da raus? Und kann ich dabei auf deine Leute zählen, Thomas?“
„Der nächste Flug geht morgen früh. Es spricht nichts dagegen, dass du mit fliegst. Die Belongo Mining verspricht, dich in allen Belangen zu unterstützen. Linda, fliegst du mit?“
Die Angesprochene schien einen Moment unsicher zu sein. „Ursprünglich wollte ich von hier aus arbeiten, aber wenn Keounda City sicher ist, spricht nichts dagegen, wenn ich mir die Mine und die Stadt direkt ansehe und mir vor Ort ein Bild von Malicke und Herwig mache. Denke ich.“
„Dann solltest du das tun. Und vor allem solltest du mit den Menschen in Ngali sprechen, um aus erster Hand zu hören, was die Belongo Mining für sie bedeutet.“
„Das bringt mich zu einer wichtigen Frage. Wie ist das mit dem Gewinn? Ihr investiert einen Teil in Hilfsgüter. Aber wie viel?“
„Nun.“ Thomas sah die Frau, die einst seine Studentin gewesen war, ernst an. „Wir haben ursprünglich folgende Rechnung angestellt: Die eine Hälfte des Gewinns geht an die Leute. Anführer kriegen drei Teile, Offiziere zwei, Dienstgrade einen. Die andere Hälfte wird in militärischen und zivilen Nachschub investiert. Selbst wenn wir Bernds Kaufwut nach militärischem Equipment berücksichtigen, so bleibt noch eine erkleckliche Summe übrig, um Belongo effektiv zu helfen. Zum Beispiel mit Fertighäusern für Schulen, und einigem mehr.“
„Aber das ist den Bewohnern Belongos gegenüber ungerecht. Eure Leute verdienen viel zu viel, und das auf Kosten der Bevölkerung“, protestierte sie.
„Das ist richtig, aber auch falsch“, sagte Thomas. „Linda, damit das Geld den Menschen in Belongo zugute kommen kann, muss es jemand machen. Die Mine schürft die Diamanten und bringt sie zum Verkauf auf den internationalen Markt. Diese Arbeit ist risikoreich und gefährlich, und damit muss sie entsprechend bezahlt werden. Damit Belongo Mining die Arbeit durchführen kann, muss sie sich schützen. Wir brauchen Geld für Kriegsgerät, denn wenngleich Belongo langsam ein ruhiger Ort zu werden scheint und die Hauptstadt befreit ist, so haben wir längst noch nicht mit jedem Kriegsherrn geredet, nicht mit jedem Dorfvorstand verhandelt, noch keinen echten Kontakt zu den Rebellen, die sich im Dschungel von Belongo rumtreiben und mit denen Niklas diesen unschönen Kontakt hatte, und wir sind auch nicht geschützt gegen die Base de l'Air, die Belongo schon einmal in die Steinzeit zurückgebombt hat. Auch sorgt das Kriegsgerät für den Schutz des Krankenhauses in Ngali, und unsere Hubschrauber fliegen die schweren Fälle hierher nach Honiton City aus. Und dann können wir unsere Kapazitäten, die Waren nach Belongo schaffen, nicht schlagartig steigern. Das Geld, das wir machen und das wir in Hilfsgüter investieren, das kommt nur an, wenn wir die Einkäufe auch herüberschaffen können und gerecht verteilen. Hilfsgüter und medizinische Versorgung zu erhalten ist für diese Menschen jetzt wichtiger und eine größere Hilfe, wie wenn sie alle Bankkonten in Panadia hätten, auf denen für sie abstrakte Summen abgeladen werden. Wir müssen viel investieren, ja, in Kriegsgerät, ja, in unsere Leute. Aber unsere Hilfe für Belongo ist gerade erst angelaufen, und es gibt sehr viel zu tun.“
„Und wenn die Mine ausgeräumt ist? Was passiert dann mit Belongo?“, fragte Goedehardt.
„Dann fliegen wir zur zweiten Lagerstätte und richten dort eine neue Mine ein.“
„Eine zweite Lagerstätte?“, wiederholte die Unterstaatssekretärin.
„Wir vermuten sie nur, aber wohl nicht ganz zu Unrecht. Sobald wir überhaupt etwas Luft haben, werden wir nachschauen gehen. Und dann gibt es noch eine dritte potentielle Lagerstätte in Belongo. Ich denke, an Diamanten wird es uns lange Zeit nicht mangeln. Und seht es uns bitte nach, dass wir an diesem Unternehmen verdienen wollen. Wir sind eine Firma, und eine Firma will Profit machen. Dass wir nebenbei Gutes tun, ist übrigens kein Nebeneffekt, sondern war von vorneherein der Plan.“
Die drei saßen sich, nachdem Thomas geendet hatte, eine ganze Zeitlang schweigend gegenüber, bevor Linda wieder das Wort ergriff. „Die aktuelle Lage in Ndongo selbst, in der Hauptstadt...“
„Beobachten wir voller Sorge. Aber dank der Abraham Lincoln und der panadianischen Luftwaffe haben wir hier die Lufthoheit. Ich bin sicher, wir könnten nicht nur jeden Luftangriff zurückschlagen, wir können auch verhindern, dass von der Base de l'Air Strafexpeditionen ins Landesinnere starten.“
„Das ist sehr optimistisch formuliert“, sagte sie.
„Sicher ist das sehr optimistisch formuliert. Wann war ich auch je Pessimist?“ Thomas erhob sich. „Kommt bitte mit. Ich zeige euch die aktuellen Hilfsgüter, die wir nach Belongo schaffen wollen. Danach lade ich euch zu einem Abendessen in der Stadt ein und stelle euch zwei Zimmer in meinem Haus zur Verfügung. Und morgen früh geht es dann für euch nach Belongo.“
„Hast du gesagt, du hast ein Haus hier in Honiton?“, fragte Sunder erstaunt. „Willst du tatsächlich länger bleiben?“
Thomas schmunzelte. „Wie ich schon sagte, ich bin Optimist. Wir werden noch eine ganze Zeitlang hierbleiben.“ Einladend deutete er in Richtung der Tür. Die beiden Deutschen erhoben sich und traten auf den Gang hinaus.
„Bis hierhin ging es gut“, murmelte Thomas so leise, dass die beiden es hoffentlich nicht hatten hören können und folgte ihnen.
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