Belongo
von Ace Kaiser
Kurzbeschreibung
Eine nicht authentische und verfremdete Geschichte über eine Diamantenmine in Afrika. Recherche zu Technik und Ausrüstung sind von Stinkstiefel.
GeschichteAbenteuer / P16 / Gen
12.09.2011
23.02.2017
37
260.000
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Dieses Kapitel
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12.09.2011
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Niklas reichte seinem großen Bruder das Megaphon, während rund um sie die letzten Vorbereitungen abgeschlossen wurden. Nach und nach trafen die Klarmeldungen der Einsatztrupps ein, und Mörser richteten sich auf den ehemaligen Prachtbau, der in besseren Zeiten das wichtigste Gebäude Belongos gewesen war. "Na los, mach Axel City klar", scherzte Niklas. Er klopfte seinem Bruder auf die Schulter, suchte seine Position auf und legte sein Gewehr an. "Bereit", sagte er mit zischendem Laut.
Morelli lauschte seinem Funkverkehr und grunzte zufrieden. "Sir, wir sind alle bereit", sagte er zu Axel.
"Also gut. Für Axel City", murmelte Axel Herwig und erhob sich.
"Ich hoffe, das war ein Scherz", sagte Sinclair. "Es war doch ein Scherz?"
"Bei Axel weiß man das nie", erwiderte Scott. "Ich kenne ihn nicht mal eine halbe Woche, aber ich glaube, ich habe eine ungefähre Ahnung davon, wie er tickt. Was warst du in der deutschen Army, Stabsgefreiter? Bei uns wärst du mittlerweile Colonel der Ranger."
Axel grinste bei diesem Einwurf unsicher. "Du traust mir was zu."
Der Captain der Ranger schmunzelte flüchtig. "Na, schau dich doch an, mit was für einer Idee du wieder angekommen bist. Das ist wie das Ei des Kolumbus: Man muss drauf kommen, und zwar vor den anderen. Mit Verlaub, Herr Herwig ist ein kleines Genie."
"Bitte keinen Extra-Druck", murmelte Axel. Seine Rechte krampfte sich um das Megaphon, löste den Trigger aus und verursachte deshalb eine Rückkopplung, die mit einem scharfen Geräusch über den Vorplatz hallte.
"Okay, wenn sie bisher noch nicht wach waren - jetzt sind sie es", kommentierte Irene Sinclair. "Nicht, dass es ihnen etwas nützt. Bereit, großer, böser Deutscher."
"Keine Schmeicheleien bitte, Ranger", erwiderte Axel. Er trat so weit aus seiner Deckung heraus, dass er das Megaphon auf das Gebäude richten konnte. Dann atmete er noch einmal tief ein und holte sein bestes Französisch raus.
"Moi, le Commandeur des Victoires, j'ai un Present pour le Riki. Riki, ecoute! Je te donne trente Minutes pour ton Retraite et le Retraite de tes Soldats, commencer cette Minute! Personne de mes Soldats veut tir á vous! Direct l'est, et vos Retraite ne vais pas derangé!"
Er holte tief Luft, sammelte seine Französischkenntnisse und begann erneut: "Ces Personnes, qui ne veux pas partier avec le Riki, pouvez attender notre Front! Ceux-ca, qui ne sont pas armé et élever ces armes, ne veux pas fusiller, je promette!" Axel zog sich in die Sicherheit seiner Hausecke zurück und nickte Austin zu. Es hatte eine kurze Diskussion darüber gegeben, wie viele Männer des Rikis wohl kommen wollen würden, aber es nicht riskierten. Oder wie viele kommen würden und erschossen wurden - von ihren eigenen Kameraden. Die Lösung war, ihnen zumindest eine Chance zu geben, aber eben auch wachsam zu bleiben.
"Nebel!", rief Scott.
"Nebel!", kam es ein halbes Dutzend mal von Deutschen, Marines und Rangers zurück. Danach schleuderten die Mörser, die Artillerie der Infanterie, bereits Geschosse auf das Haus und seine direkte Umgebung. Die Granaten explodierten, teilweise im Haus, und entließen sofort einen dichten gelben Rauch.
"Möge der Wind weder in unsere Richtung wehen, noch auffrischen", murmelte Niklas. Noch ging kein Wind, und die Rauchwolke breitete sich konstant über das alte Prachtgebäude und den Vorplatz aus. Aber wenn Wind aufkam, und wenn er in eine andere Richtung als Westen wehte, dann hatten die dort stationierten Soldaten ein Problem.
"Mal den Teufel nicht an die Wand, kleiner Bruder", tadelte Axel. "Oder willst du auf Meikes Operationstisch enden?"
"Da kommt wer!", zischte Andrew Leod. Der Mann stemmte sich in sein Gewehr und visierte die Silhouette an, die sich im Nebel abzeichnete. Als die Gestalt den Nebel verließ, sahen sie, dass der Mann waffenlos war und die Arme erhoben hatte. Kurz nach ihm und über die ganze Front verteilt folgten ihm Männer und Frauen. Nicht viele, aber immerhin.
"Jetzt muss es jede Sekunde losgehen", murmelte Axel. "Bereit machen!"
Wie um eine Antwort zu geben bellten Schüsse auf. Nicht, um sie zu treffen, sondern auf die Desertierenden abgefeuert. Beinahe sofort begannen die MG's der Soldaten zu hämmern, über die Köpfe der Deserteure hinweg gezielt, aber deutlich machend, dass sie nicht gewillt waren, Beschuss hinzunehmen. Ein Teil der Männer und Frauen warf sich zu Boden, einige liefen geduckt weiter, andere versuchten umzukehren.
"Los jetzt!", rief Axel.
Einzelne Trupps kamen aus der Deckung hervor, liefen zu den Deserteuren herüber und eskortierten sie zu den Stellungen. Dort wurden sie hinter die nächste stabile Wand gebracht und genauestens gefilzt. Die Zeit von Empfang und Untersuchung war ein hohes Risiko; ein Wahnsinniger mit einem Bündel Handgranaten hätte ein Massaker anrichten können. Aber Axel setzte darauf, dass die Aktion viel zu kurzfristig erfolgt war, als dass jemand auf diese Schweinerei hatte kommen können.
Dann ebbte das Feuer aus dem Nebel ab, und auch die MG's stellten das Feuer ein. Es kam niemand mehr aus dem Nebel hervor. Langsam wurde die Wand dünner.
"Das war es dann wohl. Hat jemand mitgezählt?", fragte Axel.
"Siebenundfünfzig. Dreiundvierzig Männer, vierzehn Frauen", sagte Morelli. "Noch nicht ganz vollständig, aber mehr werden es wohl nicht."
Axel nickte. "Dann haben wir wohl so gut wie alle gerettet, die gerettet werden wollten. Kann sein, dass noch ein paar Leute die Chance genutzt haben und sich im Haus versteckt halten. Sowohl Wahnsinnige des Riki als auch weitere Flüchtlinge."
"Der Hinweis ist vermerkt", erwiderte Scott.
Der Deutsche lächelte flüchtig. "Den Rest lassen wir unbehelligt abziehen. Aber wenn es auf das Ende der halben Stunde zugeht, sollten wir sie ein wenig motivieren und schon ein wenig rumballern, schätze ich."
Hinter dem Haus klang das Röhren von sehr alten Dieselmotoren auf.
"Sieht nicht so aus, als würden sie diese Motivation brauchen. Sie ziehen ab, wie es scheint", sagte Niklas. Für einen Moment wirkte er sehr erschöpft. "Endlich."
"Ja, endlich", sagte Scott. "Die Action geht dem Ende zu, und ab jetzt kommen die Gedanken. Willkommen, Dämonen, die Ihr mich fragen werdet, was ich hätte besser machen können, welche meiner Leute ich hätte doch irgendwie retten können. Gesellt euch zu den anderen."
Axel lachte abgehackt auf. "Ersäuf deine Dämonen, Jason. Ich stelle Bier und Scotch zur Verfügung."
"Das ist ein sehr guter Vorschlag", erwiderte der Amerikaner. Der Rest war Warten.
Als die halbe Stunde um war, schickte Scott zwei Firesquads vor, um das Gebäude zu inspizieren. Die Männer und Frauen hatten die Aufgabe, die Eingänge zu sichern und auf Schweinereien wie Sprengfallen zu untersuchen. Auch die Möglichkeit, dass eine Handvoll bis zum Anschlag zugedröhnte Männer des Riki zurückgeblieben waren, um so viele Soldaten wie möglich mit sich zu nehmen, hatten die Offiziere in Betracht gezogen. Für den Fall würden sie nicht viel Federlesens machen und den Kasten noch mehr durchsieben, als er ohnehin schon war. Die Stimme von Major Michael klang über Funk auf. "Wir richten jetzt die Barrikaden ein und errichten in unserem Abschnitt Stellungen."
Scott bestätigte. "Wir ebenso. Sobald das Gebäude sicher ist, gehört die Stadt damit uns." Ein Grinsen huschte über sein Gesicht. "Ich meine, sie gehört dann Axel."
Bellend lachte der Marine. "Das entbehrt nicht einer gewissen Wahrheit. Jedenfalls ist die Weststraße so gut wie gesichert. Falls Männer des Riki oder andere über die Wälder in die Stadt zu kommen versuchen, werden wir sie sehen."
"Falls nicht alles schiefgeht. Aber unser Pensum an Pech haben wir hoffentlich hinter uns", murmelte Scott mehr zu sich selbst als zu Michael. "Seien Sie einfach vorsichtig in Ihrem Sektor, Sir. Wie laufen übrigens die Reparaturen an Ihrem Osprey?"
"Meine Leute sind dran. Jetzt, wo die Maschine aus der Feuerlinie raus ist."
"Gut zu hören."
"Wie sieht es am Palast aus?"
"Sie meinen das Bürgermeisterhaus? Meine Leute sichern die Eingänge und suchen nach Sprengfallen oder Selbstmördern. Danach durchsuchen wir das Gebäude nach weiteren Deserteuren, weiteren Fallen und weiteren Fabriken, in denen der Riki die Fetische produzieren ließ, die seine Männer an den Halsketten tragen. Ist kein schöner Anblick."
"Kann ich mir denken. Michael over and out."
Scotts Miene verzerrte sich für einen kurzen Moment hässlich. "Ich habe einiges gesehen in meinem Leben - einiges. Aber eine Sache bestätigt sich doch immer: Wenn Menschen glauben, keine Strafe befürchten zu müssen, kommt viel von ihrem Wesen zum Vorschein. Und wenn diese Menschen dann der Meinung sind, übervorteilt, benachteiligt oder nicht gewürdigt zu sein, dann können sie zu schrecklichen Bestien werden."
"Manchmal verschanzen sie sich auch einfach hinter dem ominösen Begriff, den sie "Pflicht" nennen und begehen wissentlich und ohne jede Befriedigung ihre Greuel", sagte Niklas. "Glauben Sie mir, Jason, Sie sind nicht der einzige, der schon zuviel gesehen hat." Er schnaubte leise aus. "Ich hoffe, ab hier wird es besser."
"Ranger eins von Ranger drei-vier-drei, kommen."
"Ranger eins spricht."
"Wir sind drin. Keine Sprengfallen bisher. Keine Zurückgebliebenen, aber ein paar Tote. Hingerichtet, vermutlich mit dem Messer. Scheint so, der Riki hat noch mal groß aufgeräumt, bevor er gegangen ist. Er ist... Ohmeingottohmeingottohmeingott!" Die Stimme von Private Kosetzki brach ab. Der Funk verstummte.
"Ranger drei-vier-drei, was ist passiert?", bellte Scott ins Funkgerät.
"Ranger drei-vier-drei hier, Ranger eins", klang eine neue Stimme auf. Im Hintergrund übergab sich jemand. "Ross hier, Sir."
"Ross, was ist passiert?"
Die Stimme des Mannes zitterte. Er war den Tränen nahe. "Kosetzki übergibt sich gerade, und ich kann es ihm nicht verdenken. Mein Magen schwankt auch ganz schön."
"Bleiben Sie ruhig, Junge, und sagen Sie mir, was Sie gefunden haben", sagte Scott mit möglichst ruhiger Stimme.
"Weitere Opfer von der Aufräumwut des Riki. Darunter die Leiche einer hochschwangeren Frau. Augenscheinlich war sie nicht transportfähig, also hat er sie und das Ungeborene umbringen lassen. Das ist hier wirklich kein schöner Anblick."
Scott atmete tief ein und wieder aus. Er sah zu Axel herüber. "Ihre Hubschrauber sollten dem Spuk ein Ende machen. Jetzt. Bevor noch mehr passiert."
Axel sah zu Niklas herüber, der mit steinerner Miene nickte.
"Also gut. Boxie, hörst du mich? Steig auf und mach sie fertig. Alle mit Soldaten besetzten Wagen sind Ziele."
Schweigen.
"Boxie?"
"Habe verstanden. Breche mit Flügelmann auf." Sekunden darauf zogen zwei Mil Mi 24 über ihre Köpfe hinweg, eine davon ihre erste D mit Tandem-Cockpit.
"Ranger drei-vier-drei von Ranger eins. Ross, hören Sie mich?"
"Ja... Ja, Sir, laut und deutlich."
"Wie schätzen Sie die Situation im Gebäude ein?"
"Die Eingänge sind gesichert. Keine Sprengfallen und keine Überraschungen, von den Hingerichteten mal abgesehen. Wir... Moment, ich übergebe."
"Kosetzki hier. Entschuldigen Sie meinen Ausfall, Captain."
"Schon gut, Private."
"Sir, Sie können den Rest reinschicken. Der Kasten ist riesig und es wird dauern, ihn zu durchsuchen. Augenblick, bitte."
Der Funk wurde unterbrochen, und die Offiziere lauschten auf Schüsse aus dem Gebäude. Stattdessen erwachte der Funk wieder zum Leben. "Wir haben weitere Deserteure entdeckt, Sir." Die Stimme des Private First Class klang beinahe fröhlich. "Ein paar Jungs zwischen acht und zwölf. Hatten sich im Kaminsystem versteckt. Sie sind unbewaffnet."
Scott schnaubte in einer Mischung aus nachlassender Anspannung und Überraschung. "In Ordnung. Lassen Sie die Jungs zum Sammelpunkt schaffen. Ich schicke die restlichen Leute jetzt rein." Er nickte Morelli zu. "Ihr Einsatz, Lieutenant."
"Jawohl, Sir. Auf, auf, Kameraden!" Er erhob sich, und mit ihm sein Platoon. Diese Leute würden den ganzen Kasten filzen, von unten bis ganz oben. Und dann... Dann gehörte Keounda City wirklich ihnen.
"Boxie hier, Chef."
"Axel hier. Was gibt es?"
"Warst ein bisschen spät dran mit deinem Befehl. Ich habe die Fahrzeuge gefunden, wenn auch nicht alle. Sie sind verlassen. Schätze, der Riki und seine Leute haben sich auf in den Busch gemacht und bewegen sich jetzt auf Dschungelpisten vorwärts."
"Das ist bedauerlich."
"Was mache ich mit dem Rest?"
"Ich schicke Hannes mit ein paar Leuten raus, die die Fahrzeuge einsammeln und zu uns zurückbringen. Deckt die Aktion von oben aus und seht zu, dass nicht wieder jemand mit RPG's um sich schießt."
"Verstanden, Boss."
"Hannes, hast du mitgehört?"
"Bin schon auf dem Weg, Boss."
Axel grunzte zufrieden. "Dann warten wir mal das Ergebnis der Suchaktion ab. Aber ich denke, es ist endlich vorbei."
Scott runzelte die Stirn. "Ich denke, hier fängt es gerade erst an."
***
"General, wir haben soeben Nachricht erhalten", sagte Kram. "Keounda City ist gesichert. Ihre Kommission kann nun zu Ldungas Farm geflogen werden. In einer Stunde habe ich die Hubschrauber dafür."
Shatterfield nickte anerkennend. "Scheint so, als hätten Scott und Ihre Leute gute Arbeit geleistet. Ach ja, und die Marines."
Die anderen Offiziere am Tisch lachten leise über den versteckten Seitenhieb. Eine gesunde Rivalität zwischen den Teileinheiten förderte die Leistungen der einzelnen Abteilungen. Solange man nicht vergaß, wer Freund und wer Feind war.
"Zu Ldungas Farm? Diesem Kriegsherrn?", fragte Dukakis. "Hat er nicht diese Mine ausgebeutet, bevor Ihr sie ihm abgenommen habt? Und gab es hier nicht ein schreckliches Regime?"
"Nicht ganz, Sir", erwiderte Kram. "Aus den Zeugenaussagen der ehemaligen Wachen und der überlebenden Arbeiter konnten wir einiges rekonstruieren. Zwar stellte Ldunga die Männer für das Projekt, aber die Mine selbst wurde von einem seiner Männer geführt, Jean mit Namen. Unterstützt wurde er von einem weißen Buchhalter aus Belgien, der Mirell heißt. Wir haben ihn an die panadianischen Behörden übergeben, weil er dort wegen diverser Kriegsgreuel steckbrieflich gesucht wurde. Jean wurde erschossen, als er sich der Verhaftung durch Geiselnahme wiedersetzen wollte. Die Mine war auf der Suche nach Gold aus, deshalb starben viele der Zwangsarbeiter, die in den umliegenden Dörfer mit Gewalt rekrutiert wurden, an Blausäurevergiftung. Dass die schönen klaren Steine, die sie manchmal mit ausgruben, Diamanten sind, haben sie nicht mal geahnt. Sie waren vollkommen auf das Gold fixiert, das es hier gar nicht gibt."
"Und das heißt jetzt für Ldunga?"
"Klar ist der Mann kein Weisenknabe. Klar hat er Männer unter Waffen. Aber die Mine wurde autark und autoritär von Jean regiert und nach seinen Vorstellungen betrieben. Wenn ich daran denke, wie viele Leben hätten gerettet werden können, wenn man den Arbeitern Verhaltensmaßregeln für den Umgang mit Blausäure mitgegeben hätte... Aber für Jean war es billiger, neue Arbeiter zwangszurekrutieren."
"Also erteilen Sie dem Warlord Ihres Herzens einen Ablassschein, Herr Oberleutnant?", fragte der General mit neutraler Miene.
"Wir haben ein Bündnis. Und dieses Bündnis hat nicht nur uns, sondern auch Ihren Rangern mehr als einmal geholfen. Ldungas Speere sind auch jetzt gerade dabei, Keounda City zu halten. Zudem ist der Mann Großbauer und versorgt einen nicht geringen Teil der Region mit Nahrung. Mit anderen Worten: Egal, was hier in der Mine passiert ist und egal wie viel Verantwortung er dafür trägt oder nicht, er ist wichtig für Belongo. Und er wird noch viel wichtiger werden, jetzt wo Keounda City in unserer Hand ist. Und eines noch dazu: Er hat uns nicht eine einige Minute gefehlt oder übervorteilt. Wir von Belongo Mining sind mehr als bereit, unter die Vergangenheit einen Schlussstrich zu ziehen und mit ihm ganz von vorne anzufangen."
Eureka Frost vom CID zog die rechte Augenbraue hoch. "So? Und wie sehen das die Menschen in den umliegenden Dörfern, vor allem in Ngali?"
"Nun, Ma'am, der Mann ist ein Lulugengo", erklärte Kram.
"Ein was, bitte?"
"Ein Lulugengo. Sie müssen wissen, fast vierzig Prozent der Menschen in Belongo sind Wagondas. Man findet sie auf beiden Seiten des Flusses. Lulugengos aber siedelten bisher immer nur auf der Ostseite des Lagabandas. Von dort aber wurden sie nach und nach von den Kelegaba verdrängt. Wanagana, der dortige Warlord, ist dafür verantwortlich. Nun ist der Witz aber, dass die Kelegaba von ihren angestammten Weideflächen vertrieben wurden, hier auf der Westseite des Lagabandas. Und das von Wagondas. So und ähnlich erfolgt das Spiel in ganz Belongo, und das seit zwanzig Jahren. Daher sind die Menschen Ldunga nicht mehr gram als unbedingt nötig. Außerdem wurde Gewalt in Belongo bisher als Mittel der Diplomatie angesehen."
"Das sind ja grauenhafte Zustände hier", murmelte die CID-Ermittlerin.
"Zwanzig Jahre Anarchie, nachdem die regionale Regierung zerschlagen wurde."
"Himmel, warum wurde sie zerschlagen?", fragte Dukakis.
"Weil sie da war", erwiderte Kram. "Irgendjemand weiter oben hat entschieden, dass sie die neu entdeckten gigantischen Ölfelder eben besser ausbeuten können, wenn Belongo keine funktionierende Regierung hat. Tatsächlich habe ich schon das eine oder andere Gerücht darüber gehört, dass die damalige Regierung von Ndongo fürchtete, Belongo könnte sich mitsamt seiner Ölfelder selbstständig machen. Das Ergebnis kennen Sie ja alle."
"Nicht so schnell", murmelte Captain Frost, die sich eifrig Notizen machte.
"Hat Ihnen schon mal jemand von den Vorzügen eines Smartphones erzählt, Eureka?", scherzte Dukakis.
"Nein. Ihnen, Constantin?" Sie hielt ihren Papierblock hoch. "Das Ding ist mir lieber. Ich muss die Fußnoten nicht erst einrichten, wissen Sie?"
Das oberste Blatt war dicht beschrieben. Selbst zwischen den Zeilen stand etwas. Ein absolutes Chaos, durch das nur finden konnte, wer es verzapft hatte. Kram schmunzelte bei dieser Erkenntnis. Notizen auf einem Smartphone waren wesentlich einfacher zu lesen.
"Außerdem ist das nur eine Krücke für mich, um mir Fakten zu merken. Wenn ich es einmal geschrieben habe, ist es auch in meinem Kopf gespeichert. General, statten wir auch der Base de l'Air einen Besuch ab?"
"Sie meinen, nachdem sie dort versucht haben, zwei Platoons Ranger mit Gewalt festzuhalten, Aurora?"
Die Frau sah trotzig herüber. "Denken Sie, das werden sie auch gegenüber offiziellen Ermittlerteams der USA machen?"
"Nein, das werden sie natürlich nicht", warf Kram ein. "Der Keks ist gegessen. Stattdessen können wir uns jetzt auf eine heiße Phase freuen. In der Belongo Base de l'Air werden sie nun alles daransetzen, um die Region weiter instabil zu halten, was nach der Eroberung von Keounda City schwieriger werden wird. Ich würde die Basis meiden wie die Pest."
Frost verzog die Miene grimmig, sagte aber nichts, machte sich jedoch weitere Notizen. "Also nicht. Gut. Eine Stunde, sagten Sie, Oberleutnant?"
"Ja, Ma'am. Eine Stunde, dann können Sie aufbrechen. Aber ich warne Sie gleich vor, da unten warten ein paar Anblicke auf Sie, die Sie durchaus ein paar Lebensjahre kosten können."
"Hrn", machte die CID-Ermittlerin. "Keine Sorge. Ich bin schon ein großes Mädchen. Und während meiner Arbeit habe ich einiges miterlebt."
"Wie Sie meinen, Ma'am." Er sah den General an. "Was die andere Sache angeht, Sir..."
"Nun, verfügten Sie über die Globemaster. Solange Sie den Sprit bezahlen."
Kram lächelte erleichtert. "Danke, Sir. Das wird es uns erlauben, einiges an notwendigem Material wesentlich früher rüberzuschaffen."
"Keine Ursache. Eventuell kann und werde ich Ihnen noch eine zweite besorgen, die Sie nutzen können, solange die Untersuchung andauert, aber versprechen kann ich nichts. Und solange Sie für den Transport vor Ort sorgen..."
"Selbstverständlich, Sir."
"Was genau lassen Sie rüberschaffen?", fragte Dukakis.
"Weitere Hilfsgüter, Straßenbaumaschinen und Material, militärische Versorgungsgüter, weitere Soldaten für den Werksschutz und was wir sonst noch alles in die Maschine stopfen können."
"Straßenbaumaschinen?", echote Dukakis.
"Wir flicken die alten Belgierstraßen und bauen Zubringer zu den Dörfern, so fix wir können", sagte Kram. "Wir schließen Keounda City wieder an und flicken auch die alte Ost-West-Straße, die früher einmal durch den Kontinent ging. Das macht uns unabhängiger von den Hubschraubern und bedeutet auch für die Einwohner mehr Mobilität. Und sie kommen schneller zum Krankenhaus."
"Sieht so aus, als wollten Sie länger bleiben, eh, Oberleutnant?", schmunzelte Frost.
"Ein wenig vielleicht. Zumindest solange, wie wir uns behaupten können. Denn machen wir uns nichts vor, letztendlich stehen wir irgendwann gegen ganz Ndongo."
"Und wenn Sie sich nicht mehr halten können, ziehen Sie sich zurück und Belongo wird wieder in den Bürgerkrieg gestürzt?", fragte Frost mit angemessenem Entsetzen.
"Ganz Belongo wird dann aber besser dastehen. Und dank des Krankenhauses werden die Völker wissen, dass eine Zusammenarbeit möglich ist. Ob, wie, das steht alles in den Sternen. Ursprünglich wollten wir nur einen Monat bleiben, Diamanten suchen und Hilfsgüter wie Nahrung, Vieh, Baumaterialien, Medikamente und Solarpaneele ins Land schaffen. So in der Art. Und nun importieren wir schon Minenräumer und flicken die alten Straßen. Wir werden unseren Aufenthalt hier neu bewerten müssen. Das wird jeder tun müssen, der bei Belongo Mining für einen Monat unterschrieben hat."
"Aber die Mine ist nicht erschöpft, oder?", fragte der General.
"Sir, wir würden Jahre brauchen, bis sie nicht mehr als profitabel gilt, fürchte ich."
"Und danach gibt es noch die Ölfelder, die Kupferfelder, Uran, Eisen, Erdgas, und was sich noch alles in Belongo befindet. Kein Wunder, dass die Regierung befürchtet hat, Belongo könnte die Sezession versuchen." Dukakis kratzte sich nachdenklich auf dem rechten Handrücken. "Wie sieht es hier eigentlich so aus mit ansteckenden Krankheiten? Malaria, Masern, Röteln, Windpocken, Mumps, Scharlach, Keuchhusten, Diphterie und den anderen fiesen Teufeln?"
"Wüten turnusmäßig durch das Land. Wir haben eine sehr ruhige Phase erwischt und impfen eifrig, wen immer wir in die Finger bekommen. Die Krankheiten sind daher eine Herausforderung, aber nicht epidemisch. Zur Zeit zumindest nicht."
"Das bedeutet dann, dass mit dem Ende des Riki die größeren internen Probleme Belongos erst einmal beigelegt sind. Zumindest auf der Westseite des Lagabandas."
"Das sehen Sie richtig, Sir. Und auf der Ostseite ist unsere Diplomatin unterwegs und wirbt bei Kriegsherren und Dorfvorstehern für Stabilität und Zusammenarbeit."
"Dann wird es hier bald heiß hergehen, denn wenn wirklich die Zentralregierung für die Vernichtung Belongos verantwortlich ist, dann wird sie es wieder versuchen." Dukakis sah Frost an. "Soviel zum Besuch der Basis, Aurora."
"Das sind alles Gedanken von morgen. Wir müssen uns um das heute kümmern", mahnte der General und erhob sich. "Bereiten wir unseren Abmarsch vor. Unsere Untersuchung steht an, und wir beginnen sie natürlich auf Ldungas Farm als sicherer Ausgangsbasis bei unseren Toten."
Die letzten Worte schienen die anderen beiden Offiziere zu ernüchtern. Auch Frost und Dukakis erhoben sich und folgten dem General, der nach dem langen Sitzen etwas steif auf seiner Unterschenkelprothese ging.
Constantine Dukakis drehte noch einmal um und kam zu Frost zurück. "Hören Sie, Fritz, ich kann und will nichts versprechen, aber ich sehe da eine Möglichkeit, dass Belongo Mining die nächste Zeit nicht alleine durchstehen muss. Solange die Untersuchung dauert, haben wir Schutz durch die Abraham Lincoln. Es kann durchaus sein, dass diese Untersuchung etwas länger dauert als gewöhnlich."
Kram schmunzelte. "Das könnte wahrscheinlich hilfreich sein." In Gedanken tadelte sich der ehemalige Unteroffizier für die Untertreibung des Tages.
Dukakis folgte wieder dem General, und Kram machte sich auf, um die Boeing C-17 Globemaster nach Panadia zu schicken. Hoffentlich dauerte die Untersuchung wirklich lange, denn die Globemaster würde riesige Mengen an Material heranschaffen können. Und wenn die Straße nach Panadia erst einmal geteert war, eröffneten sich für die Region vollkommen neue Möglichkeiten.
***
"Ma'am!"
McMasters und Burdelle sahen beide auf. "Welche?", rief Burdelle zurück.
"Beide, am Besten!", antwortete die Männerstimme, die gerufen hatte.
Die beiden Frauen gingen zügig, aber ohne zu laufen. "Was gibt es, Franco?", fragte McMasters.
Der Sergeant Major deutete aus dem Fenster. "Problem, Ma'am."
Die beiden Frauen traten an das Fenster, an dem Marines Stellung bezogen hatten, noch aber verborgen blieben. Der Mob war nun praktisch in Steinwurfweite vom Haus. Unten am Tor der Mauer drängten sich immer noch schwarze Flüchtlinge, die Einlass suchten, um sich vor dem Mob zu retten, obwohl der Osprey, die einzige Fluchtmöglichkeit, bereits vor einer Viertelstunde mit einem Gros der Botschaftsangehörigen und Zivilisten abgehoben war. Ob er wiederkam war zweifelhaft. Doch noch stand der Mob. Was ihn dennoch interessant machte, das war, dass die fanatisierten jungen Männer einen Schwarzen traktierten. Beide Augen waren durch Schläge dick zugeschwollen, ein Ohr sah aus wie ein Blumenkohl, und blaue Flecken sowie blutige Schnitte, aber auch die Wunden von brennenden Zigaretten bedeckten seinen nackten Oberkörper.
"Das ist ja furchtbar."
"Es kommt noch schlimmer", sagte eine Männerstimme hinter ihnen, die beide Frauen erschrocken herumfahren ließ.
"Exzellenz! Wir dachten, Sie sind mitgeflogen!", rief McMasters überrascht.
"Ich bleibe hier solange, wie noch US-Bürger in der Botschaft sind und die Flagge über uns weht", erklärte der Botschafter. Hayes deutete auf den traktierten Mann. "Was meinen Sie, warum er so zugerichtet wurde?"
"Er gehört einer Minderheit an?", riet Burdelle.
"Richtig. Und zwar der Minderheit der CIA-Agenten in diesem Land." Fitzpatrick Hayes' Miene wurde hart. "Er hat uns den Tipp mit den Sizzlern gegeben, und so wie es aussieht, ist er aufgeflogen."
Unter dem Johlen der Menge wurde dem Agenten ein weiterer Schnitt in den Oberkörper zugefügt.
"Holen Sie ihn da raus, Ariele. Auf die landesübliche Methode."
Die First Lieutenant nickte. "Jawohl, Exzellenz. Auf die landesübliche Methode. Mit Ihrem Einverständnis, Captain."
"Ich gebe Ihnen Feuerunterstützung. Obwohl ich es jetzt noch nicht gutheiße, auf den Mob zu schießen."
"Keine Sorge, Ma'am. Die landesübliche Methode beinhaltet kein Massaker. Noch nicht." Sie streckte die Rechte aus. "Exzellenz?"
"Die Kasse wurde bereits evakuiert. Leider." Der Mann griff in die Innenseite seines Jacketts und zog seine Brieftasche hervor. "Hier, mehr habe ich leider nicht dabei. Und ich bezweifle, dass der Mob American Express oder Paypal nimmt." Dreihundertachtundzwanzig Dollar wechselten den Besitzer.
"Danke, Sir." McMasters griff nach ihrem eigenen Geldbeutel und erhöhte die Summe auf fast fünfhundert Euro. "Wie viel, denken Sie, werden wir brauchen?"
"Wenn sie ihn für einen Angehörigen eines Stammes aus dem Osten halten, den man ungestraft traktieren kann, vielleicht tausend. Wenn sie wissen, dass er CIA-Agent ist, mindestens das Dreifache.
"Sie wollen ihn rauskaufen", stellte Burdelle fest. Sie griff in ihre Uniform und zog ihr eigenes Portemonnaie. "Mehr habe ich leider nicht." Achtzig und ein halber Dollar wechselten in McMasters Hand. "Aber nehmen Sie das hier mit." Der Captain zog einen Ring vom Finger. "Er ist mindestens zweitausend wert, also erzählen Sie denen was von fünfhundert."
"Ma'am, ist der Ring..."
"Er ist nicht so wichtig wie das Leben eines Menschen. Schon gar nicht so wichtig wie das Leben eines unserer Agenten. Also nehmen Sie ihn einfach, Ariele."
Nun kam auch Bewegung in die anderen Marines. Geldbeutel wurden gezückt und Dollars gesammelt. Es kamen auch ein paar Ndongo-Kronen zusammen, obwohl die Händler in der Hauptstadt lieber Dollar nahmen; meistens aber gaben sie das Wechselgeld in Kronen raus. Das Thema sprach sich schnell in der Botschaft herum, und als McMasters Sergeant Major Louis Franco Anweisung gab, sie zu begleiten, erwartete sie an der Treppe ein Marine, der ihr fast zweitausend Dollar und ein paar weitere Schmuckstücke übergab.
"Sie sehen das Zeug nie wieder", warnte McMasters.
Der Mann runzelte die Stirn. "Ich stelle mir gerade vor, ich wäre da draußen und würde so traktiert werden. Dann wäre ich dankbar für jeden, der sich von etwas Wertvollem trennt, um mein Leben zu retten."
"Danke, Kromberg."
"Ich begleite Sie bis ans Tor", bot Burdelle an.
"Danke, Ma'am.
Wir machen einen Abstecher über die Küche, Franco."
"Was wollen Sie denn in der Küche, Ariele?"
Die Marine lächelte wissend. "Ein wenig Cola mitnehmen. Das ist hier ein Nationalgetränk und wird den Mob kurzfristig ruhigstellen." Tatsächlich schleppte der Sergeant Major schließlich acht Kartons mit je neun Drittel Liter-Dosen.
Am Tor übergaben McMasters und der Sergeant Major ihre Waffen dem Captain. "Wünschen Sie uns Glück, Ma'am."
"Das muss ich nicht. Sie beide sind Marines", erwiderte Burdelle. 'Und wenn es hart auf hart kommt, hole ich Sie alle drei mit Waffengewalt da raus', sagte sie sich in Gedanken. Sie folgte den beiden Marines mit ihrem Blick, während sie auf den Mob zuschritten. "Unauffällig entsichern und bereit machen. Gefeuert wird nur auf meinen Befehl", sagte sie.
Leises Klicken, das im hektischen Lärm der letzten Flüchtlinge fast unterging, sagte ihr, dass die Torwache bereit war, um einzugreifen. Sie hatte nichts anderes erwartet. Sie waren Marines.
Zehn Meter vor dem Mob blieben die beiden Marines stehen. Die Menge rief Schmähungen, und der gleiche Mann, der noch vor Minuten die Brust des Agenten aufgeritzt hatte, hielt ihm nun das Messer als offene Drohung an die Kehle. Ungerührt stellte Franco die Kartons ab und riss den obersten auf. Er nahm eine Dose heraus und warf sie in die Menge. Dutzende Hände reckten sich ihr entgegen. Als der Karton leer war, öffnete er den zweiten und verfuhr genauso.
"Lassen Sie das!", rief der Mann mit dem Messer.
"Also gut, dann verteilen Sie die Cola. Als Zeichen des guten Willens der amerikanisch-ndongoianischen Freundschaft", sagte McMasters.
"Freundschaft? FREUNDSCHAFT?" Der Mann lachte gehässig, und die Menge tat es ihm nach. "Freunde hetzen einander keine Spione auf den Hals!" Er drückte die Klinge scharf in den Hals des Mannes, Blut floss aus einem Schnitt den Hals hinab, aber es war noch lange keine tödliche Wunde.
"Ach, das ist einer von uns? Das wusste ich nicht."
Franco versuchte ein Grinsen zu unterbinden. Seine Vorgesetzte lügte wie gedruckt, und das ohne rot zu werden.
"Das ändert natürlich alles. Eigentlich wollte ich nur fragen, was der Mann verbrochen hat und warum er dann nicht im Gefängnis sitzt. Aber wenn er ein Landsmann von mir ist, würde ich ihn gerne freikaufen."
"Freikaufen? Er ist nicht zu verkaufen."
"Dann verteilen wir eben weiterhin die Cola und nehmen unser Geld wieder mit", sagte McMasters, zuckte lakonisch die Achseln und bedeutete Franco, den nächsten Karton zu verteilen. In die Menge geriet Bewegung, als jene, die weiter hinten standen, versuchten nach vorne zu kommen, um ebenfalls eine Dose zu erhaschen. Die vorderen ließen sich das nicht gefallen und drückten zurück, um selbst eine Dose bekommen zu können. Unruhe entstand im Mob, und die richtete sich nicht gegen die Amerikaner.
Der Mann mit dem Messer, zumindest ein Rädelsführer, bemerkte die schwankende Stimmung natürlich. "Lassen Sie das!", rief er ärgerlich.
"Keine Sorge, die Kartons sind bald alle." Diese Worte ließen die Menge nur noch mehr schieben.
"Ruhig! Bleibt ruhig!", blaffte der Mann, aber das Schieben endete nicht.
"Wie viel ist er ihnen wert?", rief er den Marines zu.
McMasters hob ein Bund Ölpapier. "Dreitausendeinhundertneunzehn Dollar und Goldschmuck im Wert von knapp achttausend Dollar."
"Das reicht nicht! Er ist mindestens dreißigtausend wert!"
Das war nicht ganz richtig, denn er war eher so um eine Million US-Dollar wert. "Mehr habe ich nicht. Und das ist ein sehr stolzer Preis für einen einzelnen Mann."
"Es ist zu wenig!", blaffte der Mann mit dem Messer.
"Dann eben nicht. Ich hätte auch noch ein paar Kartons Cola draufgelegt, aber..." Sie gab Franco ein Zeichen, der nun einen verschlossenen Karton in die Menge schleuderte. Dies löste rund um die Stelle, wo er auf die Menge traf, einen regelrechten Tumult aus. Und da waren immer noch vier weitere Kartons.
"Also gut", rief der Mann, um die Kontrolle fürchtend. "Ihr Geld reicht! Und ich will noch mal zwanzig Kartons mit Cola!"
"Kriegen Sie, kriegen Sie. Suchen Sie sich jemanden aus, der uns begleitet und Ihnen tragen hilft und kommen Sie mit." Sie wandte sich um und ging, ohne dem Geschehen hinter ihr einen weiteren Blick zu schenken. Franco folgte ihr, ließ die restlichen Kartons zurück. Aber den Geräuschen nach wurde das Gedränge und Geschiebe in Richtung der Cola erst so richtig schlimm.
Das war nicht wirklich ein Wunder. Cola war tatsächlich so etwas wie ein Nationalgetränk für die westlichen Provinzen Ndongos. Dabei war das Getränk nicht teuer, es wurde nur künstlich verknappt, um den Moslem-Anteil in der Hauptstadt Ompala besser kontrollieren zu können. Die Botschaft verfügte natürlich über eine eigene Versorgung und daher über keinen Mangel, was die braune Brause anging.
"Ist er hinter uns?", fragte sie Anette Burdelle, als sie das Tor wieder erreicht hatten.
"Ist er. Mit dem Agenten und einem zweiten Mann." Sie nickte hinter sich. "Der Sanitäter steht bereit."
"Ich habe ihm zwanzig weitere Kartons Cola versprochen."
Burdelle zog beide Augenbrauen hoch. "Die Cola ist ihnen lieber als der Goldschmuck und das Geld?"
"Von der Cola kriegen sie eher was ab als von den anderen Dingen", erklärte McMasters. "Franco, tun Sie Ihren Job."
"Ja, Ma'am." Der Sergeant Major ging ohne Hast ins Haus, rekrutierte auf dem Weg zwei Helfer und kam nach wenigen Minuten mit zwanzig weiteren Kartons hervor. Sie stellten die Kartons auf der Straße ab und zogen sich wieder zurück. McMasters wandte sich den beiden Ndongoianern zu, trat an die Kartons heran und legte das Ölpapier mit dem Schmuck und dem Geld obenauf. "Jetzt Sie."
Der Mann mit dem Messer machte einen Laut der Zufriedenheit. Er gab dem Agenten einen Stoß in den Rücken, der ihn vorwärtstaumeln ließ. Aber er fing sich, richtete sich auf und ging dann ohne jede Hast in Richtung der Marines. Als er McMasters passierte, flüsterte er: "Danke."
"Gern geschehen, Special Agent Walker."
Wenn der Mann überrascht war, dass die Soldatin doch über ihn informiert war, zeigte er es nicht. Und im Moment war er sicher auch einfach nur erleichtert, weil er dem sicheren Foltertod entkommen war. Zumindest vorläufig.
Burdette nahm den Mann in Empfang und führte ihn durchs Tor. Als sie zwischen sich und der Menge die Marines der Torwache wusste, hielt sie an und winkte den Sanitäter heran.
"Ist es jetzt sicher?", murmelte Walker.
"Ja, Sir, das ist es."
"Gut." Er sackte auf die Knie ein und brach zur Seite weg, aber Burdelle fing ihn auf. Schon war der Sani heran. Er winkte einem zweiten Marine. "Bringen wir ihn erst mal rein."
Burdelle wandte sich ab und sah wieder auf die Menge. Der Messermann und sein Begleiter verteilten gerade die Coladosen, und es hätte nich viel gefehlt, und die Menge hätte sie ihnen aus den Händen gerissen und die beiden Männer gleich mit. "Verrückte Bande", murmelte sie. "Ist doch kein Guinnes." Aber immerhin, die Masse war abgelenkt. Für den Moment.
***
"Mr. President, die gute Nachricht kam gerade herein: Die Herwigs haben nun die vollständige Kontrolle über Keounda City. Der Verrückte, dieser Riki, ist in den Dschungel geflohen und mit einigen seiner Anhänger mit unbekanntem Ziel entkommen."
"Danke, Admiral. Das bedeutet, dass da unten nun eine Stadt gesichert und verteidigt werden muss, oder?"
"Es bedeutet noch ein wenig mehr, Sir. Im Nordosten der Stadt gab es vor der Zeit der Unruhe einen kleinen regionalen Flughaften. Nichts großartiges, eigentlich nur zwei Dschungelpisten, ein provisorischer Tower und Lagerhallen. Aber das Gelände könnte noch nutzbar sein. Oder mit geringem Aufwand wieder nutzbar gemacht werden."
"Und das bedeutet?"
"Überlegen Sie, Mr. President, wenn wir das Flugfeld wieder öffnen können, bringt uns das einen entscheidenden Vorteil. Es steht außer Frage, dass die Base de l'Air, von der aus Belongo instabil und in Unruhe gehalten wird, nun reagieren wird und muss. Wenn wir aber ein Flugfeld quasi in der Nachbarschaft haben, mit kurzen Versorgungswegen, direkt an einem Verkehrsknotenpunkt..."
"Sie sagen, wir sollen uns in den Konflikt einmischen?"
"Ich denke, wir sind bereits mittendrin. Es ist viel zu viel passiert, als dass wir uns als der Affäre schleichen können", sagte Blueberry. "Und in dem Konflikt, der kommen wird, wird es nicht verkehrt sein, wenn wir über zwei Basen verfügen. Über die Abraham Lincoln vor der Küste Ndongos, und in der Provinz Belongo über einen Flughafen. Entweder für uns, oder für unsere panadianischen Verbündeten. Davon einmal abgesehen, dass diese Basis ein wichtiges Gegengewicht gegen die Base de l'Air sein könnte, mit solch einer Basis könnten wir ein Patt erreichen, was für die Menschen vor Ort bedeuten könnte, dass sie dem ndongoischen Militär eben nicht willkürlich ausgeliefert sind. Zudem könnte dies die richtige Antwort auf die Aggression Ndongos sein, ohne gleich einen ganzen Krieg auszulösen."
"Isaac, was halten Sie davon?"
Drei Sterne-General Isaac Landsdale dachte kurz nach. "Nun, Sir, wir brauchen gut eine Woche für die Untersuchung des Vorfalls. Es kann nicht schaden, für diesen Zeitraum eine gute Luftdeckung zu haben. Wer in Belongo den Luftraum beherrscht, beherrscht im übrigen auch mittelfristig das Ölgeschäft."
Salem Entranger faltete die Hände vor dem Gesicht zusammen. "Was uns wieder zur alten Idee bringt."
Willem van Fitz, Secretary of War, nickte schwer. "Eine meines Erachtens nach angemessene Reaktion auf das Geschehen. Die Frage ist nur, ob die Belongo Mining das mitmacht."
"Die Frage ist eher", meldete sich Maggie Hernandez zu Wort, "ob sie das schaffen, was uns vorschwebt, ob mit oder ohne unsere Unterstützung. Kriegen sie das hin? Und vor allem, würden sie einen Krieg überstehen? Wollen sie das überhaupt?"
Der Präsident nickte bei ihren Worten. "Guter Einwand, Maggie. Also gut, fragen wir die Belongo Mining. Fragen wir die Gebrüder Herwig. Isaac, Sie übernehmen das."
"Sofort, Mr. President."
"Auf diese Antwort bin ich gespannt", murmelte Etranger. Er sah zu Blueberry herüber. "Und nur für alle Fälle: Machen Sie die Materialschiffe für drei Divisionen bereit und treffen Sie eine Vorauswahl jene Einheiten betreffend, die wir kurzfristig nach Afrika schicken können."
"Jawohl, Mr. President. Ich schätze, das wird eine verrückte Zeit."
"Lieber eine verrückte Zeit", erwiderte Etranger, "als eine blutige Zeit. Blut hatten wir wahrlich schon genug da unten." Und wahrscheinlich würde es noch mehr werden. Weit mehr.
Morelli lauschte seinem Funkverkehr und grunzte zufrieden. "Sir, wir sind alle bereit", sagte er zu Axel.
"Also gut. Für Axel City", murmelte Axel Herwig und erhob sich.
"Ich hoffe, das war ein Scherz", sagte Sinclair. "Es war doch ein Scherz?"
"Bei Axel weiß man das nie", erwiderte Scott. "Ich kenne ihn nicht mal eine halbe Woche, aber ich glaube, ich habe eine ungefähre Ahnung davon, wie er tickt. Was warst du in der deutschen Army, Stabsgefreiter? Bei uns wärst du mittlerweile Colonel der Ranger."
Axel grinste bei diesem Einwurf unsicher. "Du traust mir was zu."
Der Captain der Ranger schmunzelte flüchtig. "Na, schau dich doch an, mit was für einer Idee du wieder angekommen bist. Das ist wie das Ei des Kolumbus: Man muss drauf kommen, und zwar vor den anderen. Mit Verlaub, Herr Herwig ist ein kleines Genie."
"Bitte keinen Extra-Druck", murmelte Axel. Seine Rechte krampfte sich um das Megaphon, löste den Trigger aus und verursachte deshalb eine Rückkopplung, die mit einem scharfen Geräusch über den Vorplatz hallte.
"Okay, wenn sie bisher noch nicht wach waren - jetzt sind sie es", kommentierte Irene Sinclair. "Nicht, dass es ihnen etwas nützt. Bereit, großer, böser Deutscher."
"Keine Schmeicheleien bitte, Ranger", erwiderte Axel. Er trat so weit aus seiner Deckung heraus, dass er das Megaphon auf das Gebäude richten konnte. Dann atmete er noch einmal tief ein und holte sein bestes Französisch raus.
"Moi, le Commandeur des Victoires, j'ai un Present pour le Riki. Riki, ecoute! Je te donne trente Minutes pour ton Retraite et le Retraite de tes Soldats, commencer cette Minute! Personne de mes Soldats veut tir á vous! Direct l'est, et vos Retraite ne vais pas derangé!"
Er holte tief Luft, sammelte seine Französischkenntnisse und begann erneut: "Ces Personnes, qui ne veux pas partier avec le Riki, pouvez attender notre Front! Ceux-ca, qui ne sont pas armé et élever ces armes, ne veux pas fusiller, je promette!" Axel zog sich in die Sicherheit seiner Hausecke zurück und nickte Austin zu. Es hatte eine kurze Diskussion darüber gegeben, wie viele Männer des Rikis wohl kommen wollen würden, aber es nicht riskierten. Oder wie viele kommen würden und erschossen wurden - von ihren eigenen Kameraden. Die Lösung war, ihnen zumindest eine Chance zu geben, aber eben auch wachsam zu bleiben.
"Nebel!", rief Scott.
"Nebel!", kam es ein halbes Dutzend mal von Deutschen, Marines und Rangers zurück. Danach schleuderten die Mörser, die Artillerie der Infanterie, bereits Geschosse auf das Haus und seine direkte Umgebung. Die Granaten explodierten, teilweise im Haus, und entließen sofort einen dichten gelben Rauch.
"Möge der Wind weder in unsere Richtung wehen, noch auffrischen", murmelte Niklas. Noch ging kein Wind, und die Rauchwolke breitete sich konstant über das alte Prachtgebäude und den Vorplatz aus. Aber wenn Wind aufkam, und wenn er in eine andere Richtung als Westen wehte, dann hatten die dort stationierten Soldaten ein Problem.
"Mal den Teufel nicht an die Wand, kleiner Bruder", tadelte Axel. "Oder willst du auf Meikes Operationstisch enden?"
"Da kommt wer!", zischte Andrew Leod. Der Mann stemmte sich in sein Gewehr und visierte die Silhouette an, die sich im Nebel abzeichnete. Als die Gestalt den Nebel verließ, sahen sie, dass der Mann waffenlos war und die Arme erhoben hatte. Kurz nach ihm und über die ganze Front verteilt folgten ihm Männer und Frauen. Nicht viele, aber immerhin.
"Jetzt muss es jede Sekunde losgehen", murmelte Axel. "Bereit machen!"
Wie um eine Antwort zu geben bellten Schüsse auf. Nicht, um sie zu treffen, sondern auf die Desertierenden abgefeuert. Beinahe sofort begannen die MG's der Soldaten zu hämmern, über die Köpfe der Deserteure hinweg gezielt, aber deutlich machend, dass sie nicht gewillt waren, Beschuss hinzunehmen. Ein Teil der Männer und Frauen warf sich zu Boden, einige liefen geduckt weiter, andere versuchten umzukehren.
"Los jetzt!", rief Axel.
Einzelne Trupps kamen aus der Deckung hervor, liefen zu den Deserteuren herüber und eskortierten sie zu den Stellungen. Dort wurden sie hinter die nächste stabile Wand gebracht und genauestens gefilzt. Die Zeit von Empfang und Untersuchung war ein hohes Risiko; ein Wahnsinniger mit einem Bündel Handgranaten hätte ein Massaker anrichten können. Aber Axel setzte darauf, dass die Aktion viel zu kurzfristig erfolgt war, als dass jemand auf diese Schweinerei hatte kommen können.
Dann ebbte das Feuer aus dem Nebel ab, und auch die MG's stellten das Feuer ein. Es kam niemand mehr aus dem Nebel hervor. Langsam wurde die Wand dünner.
"Das war es dann wohl. Hat jemand mitgezählt?", fragte Axel.
"Siebenundfünfzig. Dreiundvierzig Männer, vierzehn Frauen", sagte Morelli. "Noch nicht ganz vollständig, aber mehr werden es wohl nicht."
Axel nickte. "Dann haben wir wohl so gut wie alle gerettet, die gerettet werden wollten. Kann sein, dass noch ein paar Leute die Chance genutzt haben und sich im Haus versteckt halten. Sowohl Wahnsinnige des Riki als auch weitere Flüchtlinge."
"Der Hinweis ist vermerkt", erwiderte Scott.
Der Deutsche lächelte flüchtig. "Den Rest lassen wir unbehelligt abziehen. Aber wenn es auf das Ende der halben Stunde zugeht, sollten wir sie ein wenig motivieren und schon ein wenig rumballern, schätze ich."
Hinter dem Haus klang das Röhren von sehr alten Dieselmotoren auf.
"Sieht nicht so aus, als würden sie diese Motivation brauchen. Sie ziehen ab, wie es scheint", sagte Niklas. Für einen Moment wirkte er sehr erschöpft. "Endlich."
"Ja, endlich", sagte Scott. "Die Action geht dem Ende zu, und ab jetzt kommen die Gedanken. Willkommen, Dämonen, die Ihr mich fragen werdet, was ich hätte besser machen können, welche meiner Leute ich hätte doch irgendwie retten können. Gesellt euch zu den anderen."
Axel lachte abgehackt auf. "Ersäuf deine Dämonen, Jason. Ich stelle Bier und Scotch zur Verfügung."
"Das ist ein sehr guter Vorschlag", erwiderte der Amerikaner. Der Rest war Warten.
Als die halbe Stunde um war, schickte Scott zwei Firesquads vor, um das Gebäude zu inspizieren. Die Männer und Frauen hatten die Aufgabe, die Eingänge zu sichern und auf Schweinereien wie Sprengfallen zu untersuchen. Auch die Möglichkeit, dass eine Handvoll bis zum Anschlag zugedröhnte Männer des Riki zurückgeblieben waren, um so viele Soldaten wie möglich mit sich zu nehmen, hatten die Offiziere in Betracht gezogen. Für den Fall würden sie nicht viel Federlesens machen und den Kasten noch mehr durchsieben, als er ohnehin schon war. Die Stimme von Major Michael klang über Funk auf. "Wir richten jetzt die Barrikaden ein und errichten in unserem Abschnitt Stellungen."
Scott bestätigte. "Wir ebenso. Sobald das Gebäude sicher ist, gehört die Stadt damit uns." Ein Grinsen huschte über sein Gesicht. "Ich meine, sie gehört dann Axel."
Bellend lachte der Marine. "Das entbehrt nicht einer gewissen Wahrheit. Jedenfalls ist die Weststraße so gut wie gesichert. Falls Männer des Riki oder andere über die Wälder in die Stadt zu kommen versuchen, werden wir sie sehen."
"Falls nicht alles schiefgeht. Aber unser Pensum an Pech haben wir hoffentlich hinter uns", murmelte Scott mehr zu sich selbst als zu Michael. "Seien Sie einfach vorsichtig in Ihrem Sektor, Sir. Wie laufen übrigens die Reparaturen an Ihrem Osprey?"
"Meine Leute sind dran. Jetzt, wo die Maschine aus der Feuerlinie raus ist."
"Gut zu hören."
"Wie sieht es am Palast aus?"
"Sie meinen das Bürgermeisterhaus? Meine Leute sichern die Eingänge und suchen nach Sprengfallen oder Selbstmördern. Danach durchsuchen wir das Gebäude nach weiteren Deserteuren, weiteren Fallen und weiteren Fabriken, in denen der Riki die Fetische produzieren ließ, die seine Männer an den Halsketten tragen. Ist kein schöner Anblick."
"Kann ich mir denken. Michael over and out."
Scotts Miene verzerrte sich für einen kurzen Moment hässlich. "Ich habe einiges gesehen in meinem Leben - einiges. Aber eine Sache bestätigt sich doch immer: Wenn Menschen glauben, keine Strafe befürchten zu müssen, kommt viel von ihrem Wesen zum Vorschein. Und wenn diese Menschen dann der Meinung sind, übervorteilt, benachteiligt oder nicht gewürdigt zu sein, dann können sie zu schrecklichen Bestien werden."
"Manchmal verschanzen sie sich auch einfach hinter dem ominösen Begriff, den sie "Pflicht" nennen und begehen wissentlich und ohne jede Befriedigung ihre Greuel", sagte Niklas. "Glauben Sie mir, Jason, Sie sind nicht der einzige, der schon zuviel gesehen hat." Er schnaubte leise aus. "Ich hoffe, ab hier wird es besser."
"Ranger eins von Ranger drei-vier-drei, kommen."
"Ranger eins spricht."
"Wir sind drin. Keine Sprengfallen bisher. Keine Zurückgebliebenen, aber ein paar Tote. Hingerichtet, vermutlich mit dem Messer. Scheint so, der Riki hat noch mal groß aufgeräumt, bevor er gegangen ist. Er ist... Ohmeingottohmeingottohmeingott!" Die Stimme von Private Kosetzki brach ab. Der Funk verstummte.
"Ranger drei-vier-drei, was ist passiert?", bellte Scott ins Funkgerät.
"Ranger drei-vier-drei hier, Ranger eins", klang eine neue Stimme auf. Im Hintergrund übergab sich jemand. "Ross hier, Sir."
"Ross, was ist passiert?"
Die Stimme des Mannes zitterte. Er war den Tränen nahe. "Kosetzki übergibt sich gerade, und ich kann es ihm nicht verdenken. Mein Magen schwankt auch ganz schön."
"Bleiben Sie ruhig, Junge, und sagen Sie mir, was Sie gefunden haben", sagte Scott mit möglichst ruhiger Stimme.
"Weitere Opfer von der Aufräumwut des Riki. Darunter die Leiche einer hochschwangeren Frau. Augenscheinlich war sie nicht transportfähig, also hat er sie und das Ungeborene umbringen lassen. Das ist hier wirklich kein schöner Anblick."
Scott atmete tief ein und wieder aus. Er sah zu Axel herüber. "Ihre Hubschrauber sollten dem Spuk ein Ende machen. Jetzt. Bevor noch mehr passiert."
Axel sah zu Niklas herüber, der mit steinerner Miene nickte.
"Also gut. Boxie, hörst du mich? Steig auf und mach sie fertig. Alle mit Soldaten besetzten Wagen sind Ziele."
Schweigen.
"Boxie?"
"Habe verstanden. Breche mit Flügelmann auf." Sekunden darauf zogen zwei Mil Mi 24 über ihre Köpfe hinweg, eine davon ihre erste D mit Tandem-Cockpit.
"Ranger drei-vier-drei von Ranger eins. Ross, hören Sie mich?"
"Ja... Ja, Sir, laut und deutlich."
"Wie schätzen Sie die Situation im Gebäude ein?"
"Die Eingänge sind gesichert. Keine Sprengfallen und keine Überraschungen, von den Hingerichteten mal abgesehen. Wir... Moment, ich übergebe."
"Kosetzki hier. Entschuldigen Sie meinen Ausfall, Captain."
"Schon gut, Private."
"Sir, Sie können den Rest reinschicken. Der Kasten ist riesig und es wird dauern, ihn zu durchsuchen. Augenblick, bitte."
Der Funk wurde unterbrochen, und die Offiziere lauschten auf Schüsse aus dem Gebäude. Stattdessen erwachte der Funk wieder zum Leben. "Wir haben weitere Deserteure entdeckt, Sir." Die Stimme des Private First Class klang beinahe fröhlich. "Ein paar Jungs zwischen acht und zwölf. Hatten sich im Kaminsystem versteckt. Sie sind unbewaffnet."
Scott schnaubte in einer Mischung aus nachlassender Anspannung und Überraschung. "In Ordnung. Lassen Sie die Jungs zum Sammelpunkt schaffen. Ich schicke die restlichen Leute jetzt rein." Er nickte Morelli zu. "Ihr Einsatz, Lieutenant."
"Jawohl, Sir. Auf, auf, Kameraden!" Er erhob sich, und mit ihm sein Platoon. Diese Leute würden den ganzen Kasten filzen, von unten bis ganz oben. Und dann... Dann gehörte Keounda City wirklich ihnen.
"Boxie hier, Chef."
"Axel hier. Was gibt es?"
"Warst ein bisschen spät dran mit deinem Befehl. Ich habe die Fahrzeuge gefunden, wenn auch nicht alle. Sie sind verlassen. Schätze, der Riki und seine Leute haben sich auf in den Busch gemacht und bewegen sich jetzt auf Dschungelpisten vorwärts."
"Das ist bedauerlich."
"Was mache ich mit dem Rest?"
"Ich schicke Hannes mit ein paar Leuten raus, die die Fahrzeuge einsammeln und zu uns zurückbringen. Deckt die Aktion von oben aus und seht zu, dass nicht wieder jemand mit RPG's um sich schießt."
"Verstanden, Boss."
"Hannes, hast du mitgehört?"
"Bin schon auf dem Weg, Boss."
Axel grunzte zufrieden. "Dann warten wir mal das Ergebnis der Suchaktion ab. Aber ich denke, es ist endlich vorbei."
Scott runzelte die Stirn. "Ich denke, hier fängt es gerade erst an."
***
"General, wir haben soeben Nachricht erhalten", sagte Kram. "Keounda City ist gesichert. Ihre Kommission kann nun zu Ldungas Farm geflogen werden. In einer Stunde habe ich die Hubschrauber dafür."
Shatterfield nickte anerkennend. "Scheint so, als hätten Scott und Ihre Leute gute Arbeit geleistet. Ach ja, und die Marines."
Die anderen Offiziere am Tisch lachten leise über den versteckten Seitenhieb. Eine gesunde Rivalität zwischen den Teileinheiten förderte die Leistungen der einzelnen Abteilungen. Solange man nicht vergaß, wer Freund und wer Feind war.
"Zu Ldungas Farm? Diesem Kriegsherrn?", fragte Dukakis. "Hat er nicht diese Mine ausgebeutet, bevor Ihr sie ihm abgenommen habt? Und gab es hier nicht ein schreckliches Regime?"
"Nicht ganz, Sir", erwiderte Kram. "Aus den Zeugenaussagen der ehemaligen Wachen und der überlebenden Arbeiter konnten wir einiges rekonstruieren. Zwar stellte Ldunga die Männer für das Projekt, aber die Mine selbst wurde von einem seiner Männer geführt, Jean mit Namen. Unterstützt wurde er von einem weißen Buchhalter aus Belgien, der Mirell heißt. Wir haben ihn an die panadianischen Behörden übergeben, weil er dort wegen diverser Kriegsgreuel steckbrieflich gesucht wurde. Jean wurde erschossen, als er sich der Verhaftung durch Geiselnahme wiedersetzen wollte. Die Mine war auf der Suche nach Gold aus, deshalb starben viele der Zwangsarbeiter, die in den umliegenden Dörfer mit Gewalt rekrutiert wurden, an Blausäurevergiftung. Dass die schönen klaren Steine, die sie manchmal mit ausgruben, Diamanten sind, haben sie nicht mal geahnt. Sie waren vollkommen auf das Gold fixiert, das es hier gar nicht gibt."
"Und das heißt jetzt für Ldunga?"
"Klar ist der Mann kein Weisenknabe. Klar hat er Männer unter Waffen. Aber die Mine wurde autark und autoritär von Jean regiert und nach seinen Vorstellungen betrieben. Wenn ich daran denke, wie viele Leben hätten gerettet werden können, wenn man den Arbeitern Verhaltensmaßregeln für den Umgang mit Blausäure mitgegeben hätte... Aber für Jean war es billiger, neue Arbeiter zwangszurekrutieren."
"Also erteilen Sie dem Warlord Ihres Herzens einen Ablassschein, Herr Oberleutnant?", fragte der General mit neutraler Miene.
"Wir haben ein Bündnis. Und dieses Bündnis hat nicht nur uns, sondern auch Ihren Rangern mehr als einmal geholfen. Ldungas Speere sind auch jetzt gerade dabei, Keounda City zu halten. Zudem ist der Mann Großbauer und versorgt einen nicht geringen Teil der Region mit Nahrung. Mit anderen Worten: Egal, was hier in der Mine passiert ist und egal wie viel Verantwortung er dafür trägt oder nicht, er ist wichtig für Belongo. Und er wird noch viel wichtiger werden, jetzt wo Keounda City in unserer Hand ist. Und eines noch dazu: Er hat uns nicht eine einige Minute gefehlt oder übervorteilt. Wir von Belongo Mining sind mehr als bereit, unter die Vergangenheit einen Schlussstrich zu ziehen und mit ihm ganz von vorne anzufangen."
Eureka Frost vom CID zog die rechte Augenbraue hoch. "So? Und wie sehen das die Menschen in den umliegenden Dörfern, vor allem in Ngali?"
"Nun, Ma'am, der Mann ist ein Lulugengo", erklärte Kram.
"Ein was, bitte?"
"Ein Lulugengo. Sie müssen wissen, fast vierzig Prozent der Menschen in Belongo sind Wagondas. Man findet sie auf beiden Seiten des Flusses. Lulugengos aber siedelten bisher immer nur auf der Ostseite des Lagabandas. Von dort aber wurden sie nach und nach von den Kelegaba verdrängt. Wanagana, der dortige Warlord, ist dafür verantwortlich. Nun ist der Witz aber, dass die Kelegaba von ihren angestammten Weideflächen vertrieben wurden, hier auf der Westseite des Lagabandas. Und das von Wagondas. So und ähnlich erfolgt das Spiel in ganz Belongo, und das seit zwanzig Jahren. Daher sind die Menschen Ldunga nicht mehr gram als unbedingt nötig. Außerdem wurde Gewalt in Belongo bisher als Mittel der Diplomatie angesehen."
"Das sind ja grauenhafte Zustände hier", murmelte die CID-Ermittlerin.
"Zwanzig Jahre Anarchie, nachdem die regionale Regierung zerschlagen wurde."
"Himmel, warum wurde sie zerschlagen?", fragte Dukakis.
"Weil sie da war", erwiderte Kram. "Irgendjemand weiter oben hat entschieden, dass sie die neu entdeckten gigantischen Ölfelder eben besser ausbeuten können, wenn Belongo keine funktionierende Regierung hat. Tatsächlich habe ich schon das eine oder andere Gerücht darüber gehört, dass die damalige Regierung von Ndongo fürchtete, Belongo könnte sich mitsamt seiner Ölfelder selbstständig machen. Das Ergebnis kennen Sie ja alle."
"Nicht so schnell", murmelte Captain Frost, die sich eifrig Notizen machte.
"Hat Ihnen schon mal jemand von den Vorzügen eines Smartphones erzählt, Eureka?", scherzte Dukakis.
"Nein. Ihnen, Constantin?" Sie hielt ihren Papierblock hoch. "Das Ding ist mir lieber. Ich muss die Fußnoten nicht erst einrichten, wissen Sie?"
Das oberste Blatt war dicht beschrieben. Selbst zwischen den Zeilen stand etwas. Ein absolutes Chaos, durch das nur finden konnte, wer es verzapft hatte. Kram schmunzelte bei dieser Erkenntnis. Notizen auf einem Smartphone waren wesentlich einfacher zu lesen.
"Außerdem ist das nur eine Krücke für mich, um mir Fakten zu merken. Wenn ich es einmal geschrieben habe, ist es auch in meinem Kopf gespeichert. General, statten wir auch der Base de l'Air einen Besuch ab?"
"Sie meinen, nachdem sie dort versucht haben, zwei Platoons Ranger mit Gewalt festzuhalten, Aurora?"
Die Frau sah trotzig herüber. "Denken Sie, das werden sie auch gegenüber offiziellen Ermittlerteams der USA machen?"
"Nein, das werden sie natürlich nicht", warf Kram ein. "Der Keks ist gegessen. Stattdessen können wir uns jetzt auf eine heiße Phase freuen. In der Belongo Base de l'Air werden sie nun alles daransetzen, um die Region weiter instabil zu halten, was nach der Eroberung von Keounda City schwieriger werden wird. Ich würde die Basis meiden wie die Pest."
Frost verzog die Miene grimmig, sagte aber nichts, machte sich jedoch weitere Notizen. "Also nicht. Gut. Eine Stunde, sagten Sie, Oberleutnant?"
"Ja, Ma'am. Eine Stunde, dann können Sie aufbrechen. Aber ich warne Sie gleich vor, da unten warten ein paar Anblicke auf Sie, die Sie durchaus ein paar Lebensjahre kosten können."
"Hrn", machte die CID-Ermittlerin. "Keine Sorge. Ich bin schon ein großes Mädchen. Und während meiner Arbeit habe ich einiges miterlebt."
"Wie Sie meinen, Ma'am." Er sah den General an. "Was die andere Sache angeht, Sir..."
"Nun, verfügten Sie über die Globemaster. Solange Sie den Sprit bezahlen."
Kram lächelte erleichtert. "Danke, Sir. Das wird es uns erlauben, einiges an notwendigem Material wesentlich früher rüberzuschaffen."
"Keine Ursache. Eventuell kann und werde ich Ihnen noch eine zweite besorgen, die Sie nutzen können, solange die Untersuchung andauert, aber versprechen kann ich nichts. Und solange Sie für den Transport vor Ort sorgen..."
"Selbstverständlich, Sir."
"Was genau lassen Sie rüberschaffen?", fragte Dukakis.
"Weitere Hilfsgüter, Straßenbaumaschinen und Material, militärische Versorgungsgüter, weitere Soldaten für den Werksschutz und was wir sonst noch alles in die Maschine stopfen können."
"Straßenbaumaschinen?", echote Dukakis.
"Wir flicken die alten Belgierstraßen und bauen Zubringer zu den Dörfern, so fix wir können", sagte Kram. "Wir schließen Keounda City wieder an und flicken auch die alte Ost-West-Straße, die früher einmal durch den Kontinent ging. Das macht uns unabhängiger von den Hubschraubern und bedeutet auch für die Einwohner mehr Mobilität. Und sie kommen schneller zum Krankenhaus."
"Sieht so aus, als wollten Sie länger bleiben, eh, Oberleutnant?", schmunzelte Frost.
"Ein wenig vielleicht. Zumindest solange, wie wir uns behaupten können. Denn machen wir uns nichts vor, letztendlich stehen wir irgendwann gegen ganz Ndongo."
"Und wenn Sie sich nicht mehr halten können, ziehen Sie sich zurück und Belongo wird wieder in den Bürgerkrieg gestürzt?", fragte Frost mit angemessenem Entsetzen.
"Ganz Belongo wird dann aber besser dastehen. Und dank des Krankenhauses werden die Völker wissen, dass eine Zusammenarbeit möglich ist. Ob, wie, das steht alles in den Sternen. Ursprünglich wollten wir nur einen Monat bleiben, Diamanten suchen und Hilfsgüter wie Nahrung, Vieh, Baumaterialien, Medikamente und Solarpaneele ins Land schaffen. So in der Art. Und nun importieren wir schon Minenräumer und flicken die alten Straßen. Wir werden unseren Aufenthalt hier neu bewerten müssen. Das wird jeder tun müssen, der bei Belongo Mining für einen Monat unterschrieben hat."
"Aber die Mine ist nicht erschöpft, oder?", fragte der General.
"Sir, wir würden Jahre brauchen, bis sie nicht mehr als profitabel gilt, fürchte ich."
"Und danach gibt es noch die Ölfelder, die Kupferfelder, Uran, Eisen, Erdgas, und was sich noch alles in Belongo befindet. Kein Wunder, dass die Regierung befürchtet hat, Belongo könnte die Sezession versuchen." Dukakis kratzte sich nachdenklich auf dem rechten Handrücken. "Wie sieht es hier eigentlich so aus mit ansteckenden Krankheiten? Malaria, Masern, Röteln, Windpocken, Mumps, Scharlach, Keuchhusten, Diphterie und den anderen fiesen Teufeln?"
"Wüten turnusmäßig durch das Land. Wir haben eine sehr ruhige Phase erwischt und impfen eifrig, wen immer wir in die Finger bekommen. Die Krankheiten sind daher eine Herausforderung, aber nicht epidemisch. Zur Zeit zumindest nicht."
"Das bedeutet dann, dass mit dem Ende des Riki die größeren internen Probleme Belongos erst einmal beigelegt sind. Zumindest auf der Westseite des Lagabandas."
"Das sehen Sie richtig, Sir. Und auf der Ostseite ist unsere Diplomatin unterwegs und wirbt bei Kriegsherren und Dorfvorstehern für Stabilität und Zusammenarbeit."
"Dann wird es hier bald heiß hergehen, denn wenn wirklich die Zentralregierung für die Vernichtung Belongos verantwortlich ist, dann wird sie es wieder versuchen." Dukakis sah Frost an. "Soviel zum Besuch der Basis, Aurora."
"Das sind alles Gedanken von morgen. Wir müssen uns um das heute kümmern", mahnte der General und erhob sich. "Bereiten wir unseren Abmarsch vor. Unsere Untersuchung steht an, und wir beginnen sie natürlich auf Ldungas Farm als sicherer Ausgangsbasis bei unseren Toten."
Die letzten Worte schienen die anderen beiden Offiziere zu ernüchtern. Auch Frost und Dukakis erhoben sich und folgten dem General, der nach dem langen Sitzen etwas steif auf seiner Unterschenkelprothese ging.
Constantine Dukakis drehte noch einmal um und kam zu Frost zurück. "Hören Sie, Fritz, ich kann und will nichts versprechen, aber ich sehe da eine Möglichkeit, dass Belongo Mining die nächste Zeit nicht alleine durchstehen muss. Solange die Untersuchung dauert, haben wir Schutz durch die Abraham Lincoln. Es kann durchaus sein, dass diese Untersuchung etwas länger dauert als gewöhnlich."
Kram schmunzelte. "Das könnte wahrscheinlich hilfreich sein." In Gedanken tadelte sich der ehemalige Unteroffizier für die Untertreibung des Tages.
Dukakis folgte wieder dem General, und Kram machte sich auf, um die Boeing C-17 Globemaster nach Panadia zu schicken. Hoffentlich dauerte die Untersuchung wirklich lange, denn die Globemaster würde riesige Mengen an Material heranschaffen können. Und wenn die Straße nach Panadia erst einmal geteert war, eröffneten sich für die Region vollkommen neue Möglichkeiten.
***
"Ma'am!"
McMasters und Burdelle sahen beide auf. "Welche?", rief Burdelle zurück.
"Beide, am Besten!", antwortete die Männerstimme, die gerufen hatte.
Die beiden Frauen gingen zügig, aber ohne zu laufen. "Was gibt es, Franco?", fragte McMasters.
Der Sergeant Major deutete aus dem Fenster. "Problem, Ma'am."
Die beiden Frauen traten an das Fenster, an dem Marines Stellung bezogen hatten, noch aber verborgen blieben. Der Mob war nun praktisch in Steinwurfweite vom Haus. Unten am Tor der Mauer drängten sich immer noch schwarze Flüchtlinge, die Einlass suchten, um sich vor dem Mob zu retten, obwohl der Osprey, die einzige Fluchtmöglichkeit, bereits vor einer Viertelstunde mit einem Gros der Botschaftsangehörigen und Zivilisten abgehoben war. Ob er wiederkam war zweifelhaft. Doch noch stand der Mob. Was ihn dennoch interessant machte, das war, dass die fanatisierten jungen Männer einen Schwarzen traktierten. Beide Augen waren durch Schläge dick zugeschwollen, ein Ohr sah aus wie ein Blumenkohl, und blaue Flecken sowie blutige Schnitte, aber auch die Wunden von brennenden Zigaretten bedeckten seinen nackten Oberkörper.
"Das ist ja furchtbar."
"Es kommt noch schlimmer", sagte eine Männerstimme hinter ihnen, die beide Frauen erschrocken herumfahren ließ.
"Exzellenz! Wir dachten, Sie sind mitgeflogen!", rief McMasters überrascht.
"Ich bleibe hier solange, wie noch US-Bürger in der Botschaft sind und die Flagge über uns weht", erklärte der Botschafter. Hayes deutete auf den traktierten Mann. "Was meinen Sie, warum er so zugerichtet wurde?"
"Er gehört einer Minderheit an?", riet Burdelle.
"Richtig. Und zwar der Minderheit der CIA-Agenten in diesem Land." Fitzpatrick Hayes' Miene wurde hart. "Er hat uns den Tipp mit den Sizzlern gegeben, und so wie es aussieht, ist er aufgeflogen."
Unter dem Johlen der Menge wurde dem Agenten ein weiterer Schnitt in den Oberkörper zugefügt.
"Holen Sie ihn da raus, Ariele. Auf die landesübliche Methode."
Die First Lieutenant nickte. "Jawohl, Exzellenz. Auf die landesübliche Methode. Mit Ihrem Einverständnis, Captain."
"Ich gebe Ihnen Feuerunterstützung. Obwohl ich es jetzt noch nicht gutheiße, auf den Mob zu schießen."
"Keine Sorge, Ma'am. Die landesübliche Methode beinhaltet kein Massaker. Noch nicht." Sie streckte die Rechte aus. "Exzellenz?"
"Die Kasse wurde bereits evakuiert. Leider." Der Mann griff in die Innenseite seines Jacketts und zog seine Brieftasche hervor. "Hier, mehr habe ich leider nicht dabei. Und ich bezweifle, dass der Mob American Express oder Paypal nimmt." Dreihundertachtundzwanzig Dollar wechselten den Besitzer.
"Danke, Sir." McMasters griff nach ihrem eigenen Geldbeutel und erhöhte die Summe auf fast fünfhundert Euro. "Wie viel, denken Sie, werden wir brauchen?"
"Wenn sie ihn für einen Angehörigen eines Stammes aus dem Osten halten, den man ungestraft traktieren kann, vielleicht tausend. Wenn sie wissen, dass er CIA-Agent ist, mindestens das Dreifache.
"Sie wollen ihn rauskaufen", stellte Burdelle fest. Sie griff in ihre Uniform und zog ihr eigenes Portemonnaie. "Mehr habe ich leider nicht." Achtzig und ein halber Dollar wechselten in McMasters Hand. "Aber nehmen Sie das hier mit." Der Captain zog einen Ring vom Finger. "Er ist mindestens zweitausend wert, also erzählen Sie denen was von fünfhundert."
"Ma'am, ist der Ring..."
"Er ist nicht so wichtig wie das Leben eines Menschen. Schon gar nicht so wichtig wie das Leben eines unserer Agenten. Also nehmen Sie ihn einfach, Ariele."
Nun kam auch Bewegung in die anderen Marines. Geldbeutel wurden gezückt und Dollars gesammelt. Es kamen auch ein paar Ndongo-Kronen zusammen, obwohl die Händler in der Hauptstadt lieber Dollar nahmen; meistens aber gaben sie das Wechselgeld in Kronen raus. Das Thema sprach sich schnell in der Botschaft herum, und als McMasters Sergeant Major Louis Franco Anweisung gab, sie zu begleiten, erwartete sie an der Treppe ein Marine, der ihr fast zweitausend Dollar und ein paar weitere Schmuckstücke übergab.
"Sie sehen das Zeug nie wieder", warnte McMasters.
Der Mann runzelte die Stirn. "Ich stelle mir gerade vor, ich wäre da draußen und würde so traktiert werden. Dann wäre ich dankbar für jeden, der sich von etwas Wertvollem trennt, um mein Leben zu retten."
"Danke, Kromberg."
"Ich begleite Sie bis ans Tor", bot Burdelle an.
"Danke, Ma'am.
Wir machen einen Abstecher über die Küche, Franco."
"Was wollen Sie denn in der Küche, Ariele?"
Die Marine lächelte wissend. "Ein wenig Cola mitnehmen. Das ist hier ein Nationalgetränk und wird den Mob kurzfristig ruhigstellen." Tatsächlich schleppte der Sergeant Major schließlich acht Kartons mit je neun Drittel Liter-Dosen.
Am Tor übergaben McMasters und der Sergeant Major ihre Waffen dem Captain. "Wünschen Sie uns Glück, Ma'am."
"Das muss ich nicht. Sie beide sind Marines", erwiderte Burdelle. 'Und wenn es hart auf hart kommt, hole ich Sie alle drei mit Waffengewalt da raus', sagte sie sich in Gedanken. Sie folgte den beiden Marines mit ihrem Blick, während sie auf den Mob zuschritten. "Unauffällig entsichern und bereit machen. Gefeuert wird nur auf meinen Befehl", sagte sie.
Leises Klicken, das im hektischen Lärm der letzten Flüchtlinge fast unterging, sagte ihr, dass die Torwache bereit war, um einzugreifen. Sie hatte nichts anderes erwartet. Sie waren Marines.
Zehn Meter vor dem Mob blieben die beiden Marines stehen. Die Menge rief Schmähungen, und der gleiche Mann, der noch vor Minuten die Brust des Agenten aufgeritzt hatte, hielt ihm nun das Messer als offene Drohung an die Kehle. Ungerührt stellte Franco die Kartons ab und riss den obersten auf. Er nahm eine Dose heraus und warf sie in die Menge. Dutzende Hände reckten sich ihr entgegen. Als der Karton leer war, öffnete er den zweiten und verfuhr genauso.
"Lassen Sie das!", rief der Mann mit dem Messer.
"Also gut, dann verteilen Sie die Cola. Als Zeichen des guten Willens der amerikanisch-ndongoianischen Freundschaft", sagte McMasters.
"Freundschaft? FREUNDSCHAFT?" Der Mann lachte gehässig, und die Menge tat es ihm nach. "Freunde hetzen einander keine Spione auf den Hals!" Er drückte die Klinge scharf in den Hals des Mannes, Blut floss aus einem Schnitt den Hals hinab, aber es war noch lange keine tödliche Wunde.
"Ach, das ist einer von uns? Das wusste ich nicht."
Franco versuchte ein Grinsen zu unterbinden. Seine Vorgesetzte lügte wie gedruckt, und das ohne rot zu werden.
"Das ändert natürlich alles. Eigentlich wollte ich nur fragen, was der Mann verbrochen hat und warum er dann nicht im Gefängnis sitzt. Aber wenn er ein Landsmann von mir ist, würde ich ihn gerne freikaufen."
"Freikaufen? Er ist nicht zu verkaufen."
"Dann verteilen wir eben weiterhin die Cola und nehmen unser Geld wieder mit", sagte McMasters, zuckte lakonisch die Achseln und bedeutete Franco, den nächsten Karton zu verteilen. In die Menge geriet Bewegung, als jene, die weiter hinten standen, versuchten nach vorne zu kommen, um ebenfalls eine Dose zu erhaschen. Die vorderen ließen sich das nicht gefallen und drückten zurück, um selbst eine Dose bekommen zu können. Unruhe entstand im Mob, und die richtete sich nicht gegen die Amerikaner.
Der Mann mit dem Messer, zumindest ein Rädelsführer, bemerkte die schwankende Stimmung natürlich. "Lassen Sie das!", rief er ärgerlich.
"Keine Sorge, die Kartons sind bald alle." Diese Worte ließen die Menge nur noch mehr schieben.
"Ruhig! Bleibt ruhig!", blaffte der Mann, aber das Schieben endete nicht.
"Wie viel ist er ihnen wert?", rief er den Marines zu.
McMasters hob ein Bund Ölpapier. "Dreitausendeinhundertneunzehn Dollar und Goldschmuck im Wert von knapp achttausend Dollar."
"Das reicht nicht! Er ist mindestens dreißigtausend wert!"
Das war nicht ganz richtig, denn er war eher so um eine Million US-Dollar wert. "Mehr habe ich nicht. Und das ist ein sehr stolzer Preis für einen einzelnen Mann."
"Es ist zu wenig!", blaffte der Mann mit dem Messer.
"Dann eben nicht. Ich hätte auch noch ein paar Kartons Cola draufgelegt, aber..." Sie gab Franco ein Zeichen, der nun einen verschlossenen Karton in die Menge schleuderte. Dies löste rund um die Stelle, wo er auf die Menge traf, einen regelrechten Tumult aus. Und da waren immer noch vier weitere Kartons.
"Also gut", rief der Mann, um die Kontrolle fürchtend. "Ihr Geld reicht! Und ich will noch mal zwanzig Kartons mit Cola!"
"Kriegen Sie, kriegen Sie. Suchen Sie sich jemanden aus, der uns begleitet und Ihnen tragen hilft und kommen Sie mit." Sie wandte sich um und ging, ohne dem Geschehen hinter ihr einen weiteren Blick zu schenken. Franco folgte ihr, ließ die restlichen Kartons zurück. Aber den Geräuschen nach wurde das Gedränge und Geschiebe in Richtung der Cola erst so richtig schlimm.
Das war nicht wirklich ein Wunder. Cola war tatsächlich so etwas wie ein Nationalgetränk für die westlichen Provinzen Ndongos. Dabei war das Getränk nicht teuer, es wurde nur künstlich verknappt, um den Moslem-Anteil in der Hauptstadt Ompala besser kontrollieren zu können. Die Botschaft verfügte natürlich über eine eigene Versorgung und daher über keinen Mangel, was die braune Brause anging.
"Ist er hinter uns?", fragte sie Anette Burdelle, als sie das Tor wieder erreicht hatten.
"Ist er. Mit dem Agenten und einem zweiten Mann." Sie nickte hinter sich. "Der Sanitäter steht bereit."
"Ich habe ihm zwanzig weitere Kartons Cola versprochen."
Burdelle zog beide Augenbrauen hoch. "Die Cola ist ihnen lieber als der Goldschmuck und das Geld?"
"Von der Cola kriegen sie eher was ab als von den anderen Dingen", erklärte McMasters. "Franco, tun Sie Ihren Job."
"Ja, Ma'am." Der Sergeant Major ging ohne Hast ins Haus, rekrutierte auf dem Weg zwei Helfer und kam nach wenigen Minuten mit zwanzig weiteren Kartons hervor. Sie stellten die Kartons auf der Straße ab und zogen sich wieder zurück. McMasters wandte sich den beiden Ndongoianern zu, trat an die Kartons heran und legte das Ölpapier mit dem Schmuck und dem Geld obenauf. "Jetzt Sie."
Der Mann mit dem Messer machte einen Laut der Zufriedenheit. Er gab dem Agenten einen Stoß in den Rücken, der ihn vorwärtstaumeln ließ. Aber er fing sich, richtete sich auf und ging dann ohne jede Hast in Richtung der Marines. Als er McMasters passierte, flüsterte er: "Danke."
"Gern geschehen, Special Agent Walker."
Wenn der Mann überrascht war, dass die Soldatin doch über ihn informiert war, zeigte er es nicht. Und im Moment war er sicher auch einfach nur erleichtert, weil er dem sicheren Foltertod entkommen war. Zumindest vorläufig.
Burdette nahm den Mann in Empfang und führte ihn durchs Tor. Als sie zwischen sich und der Menge die Marines der Torwache wusste, hielt sie an und winkte den Sanitäter heran.
"Ist es jetzt sicher?", murmelte Walker.
"Ja, Sir, das ist es."
"Gut." Er sackte auf die Knie ein und brach zur Seite weg, aber Burdelle fing ihn auf. Schon war der Sani heran. Er winkte einem zweiten Marine. "Bringen wir ihn erst mal rein."
Burdelle wandte sich ab und sah wieder auf die Menge. Der Messermann und sein Begleiter verteilten gerade die Coladosen, und es hätte nich viel gefehlt, und die Menge hätte sie ihnen aus den Händen gerissen und die beiden Männer gleich mit. "Verrückte Bande", murmelte sie. "Ist doch kein Guinnes." Aber immerhin, die Masse war abgelenkt. Für den Moment.
***
"Mr. President, die gute Nachricht kam gerade herein: Die Herwigs haben nun die vollständige Kontrolle über Keounda City. Der Verrückte, dieser Riki, ist in den Dschungel geflohen und mit einigen seiner Anhänger mit unbekanntem Ziel entkommen."
"Danke, Admiral. Das bedeutet, dass da unten nun eine Stadt gesichert und verteidigt werden muss, oder?"
"Es bedeutet noch ein wenig mehr, Sir. Im Nordosten der Stadt gab es vor der Zeit der Unruhe einen kleinen regionalen Flughaften. Nichts großartiges, eigentlich nur zwei Dschungelpisten, ein provisorischer Tower und Lagerhallen. Aber das Gelände könnte noch nutzbar sein. Oder mit geringem Aufwand wieder nutzbar gemacht werden."
"Und das bedeutet?"
"Überlegen Sie, Mr. President, wenn wir das Flugfeld wieder öffnen können, bringt uns das einen entscheidenden Vorteil. Es steht außer Frage, dass die Base de l'Air, von der aus Belongo instabil und in Unruhe gehalten wird, nun reagieren wird und muss. Wenn wir aber ein Flugfeld quasi in der Nachbarschaft haben, mit kurzen Versorgungswegen, direkt an einem Verkehrsknotenpunkt..."
"Sie sagen, wir sollen uns in den Konflikt einmischen?"
"Ich denke, wir sind bereits mittendrin. Es ist viel zu viel passiert, als dass wir uns als der Affäre schleichen können", sagte Blueberry. "Und in dem Konflikt, der kommen wird, wird es nicht verkehrt sein, wenn wir über zwei Basen verfügen. Über die Abraham Lincoln vor der Küste Ndongos, und in der Provinz Belongo über einen Flughafen. Entweder für uns, oder für unsere panadianischen Verbündeten. Davon einmal abgesehen, dass diese Basis ein wichtiges Gegengewicht gegen die Base de l'Air sein könnte, mit solch einer Basis könnten wir ein Patt erreichen, was für die Menschen vor Ort bedeuten könnte, dass sie dem ndongoischen Militär eben nicht willkürlich ausgeliefert sind. Zudem könnte dies die richtige Antwort auf die Aggression Ndongos sein, ohne gleich einen ganzen Krieg auszulösen."
"Isaac, was halten Sie davon?"
Drei Sterne-General Isaac Landsdale dachte kurz nach. "Nun, Sir, wir brauchen gut eine Woche für die Untersuchung des Vorfalls. Es kann nicht schaden, für diesen Zeitraum eine gute Luftdeckung zu haben. Wer in Belongo den Luftraum beherrscht, beherrscht im übrigen auch mittelfristig das Ölgeschäft."
Salem Entranger faltete die Hände vor dem Gesicht zusammen. "Was uns wieder zur alten Idee bringt."
Willem van Fitz, Secretary of War, nickte schwer. "Eine meines Erachtens nach angemessene Reaktion auf das Geschehen. Die Frage ist nur, ob die Belongo Mining das mitmacht."
"Die Frage ist eher", meldete sich Maggie Hernandez zu Wort, "ob sie das schaffen, was uns vorschwebt, ob mit oder ohne unsere Unterstützung. Kriegen sie das hin? Und vor allem, würden sie einen Krieg überstehen? Wollen sie das überhaupt?"
Der Präsident nickte bei ihren Worten. "Guter Einwand, Maggie. Also gut, fragen wir die Belongo Mining. Fragen wir die Gebrüder Herwig. Isaac, Sie übernehmen das."
"Sofort, Mr. President."
"Auf diese Antwort bin ich gespannt", murmelte Etranger. Er sah zu Blueberry herüber. "Und nur für alle Fälle: Machen Sie die Materialschiffe für drei Divisionen bereit und treffen Sie eine Vorauswahl jene Einheiten betreffend, die wir kurzfristig nach Afrika schicken können."
"Jawohl, Mr. President. Ich schätze, das wird eine verrückte Zeit."
"Lieber eine verrückte Zeit", erwiderte Etranger, "als eine blutige Zeit. Blut hatten wir wahrlich schon genug da unten." Und wahrscheinlich würde es noch mehr werden. Weit mehr.