Belongo
von Ace Kaiser
Kurzbeschreibung
Eine nicht authentische und verfremdete Geschichte über eine Diamantenmine in Afrika. Recherche zu Technik und Ausrüstung sind von Stinkstiefel.
GeschichteAbenteuer / P16 / Gen
12.09.2011
23.02.2017
37
260.000
8
Alle Kapitel
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Dieses Kapitel
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12.09.2011
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Tausende Dinge gingen First Lieutenant Nana Kalabalus durch den Kopf, als sein Tigris Richtung Boden rauschte, und keiner war auch nur ansatzweise hilfreich. Hätte er nicht seine unverletzte rechte Hand gebraucht, um den Steuerknüppel zu halten, er hätte versucht, die Gedanken mit heftigen Bewegungen zu verscheuchen. Das waren Fragen wie: War der linke Arm, den er nicht mehr spürte, eigentlich noch dran? Wo, zum Henker, sollte er hier landen? Ob er wohl wie ein Stein auf die Erde fiel, wenn er den Schub noch weiter runter nahm? Würde er die Mühle in die Erde, oder in einen Haufen Bäume bohren? Und wie lange hielt der Vogel überhaupt noch aus, der durch einen fehlenden halben Flügel ohnehin die Aerodynamik eines schwangeren fliegenden Rentiers hatte? Und warum kämpfte er überhaupt noch? Wahrscheinlich war er ohnehin so schwer verletzt worden, dass er eh bald sterben würde. Es war so simpel, so leicht, einfach loszulassen, die Mühle taumeln zu lassen, zu Boden zu gehen und in einem großen Feuerball zu sterben. Dann war Ruhe, dann hatte er es hinter sich. Falls er nicht schon vorher verblutete.
Aber nein, er musste ja stur sein, weiterhin den Vogel stabilisieren, den Tank im rechten Flügel entleeren und immer noch irgendwie irgendwo eine möglichst zwei Kilometer lange, gerade und möglichst baumfreie Ecke in diesem Dschungel suchen, auf der er die Maschine aufsetzen konnte. Und dann musste er noch daran denken, rechtzeitig genug zu landen, sodass noch Sprit genug im Tank war, damit er die Nase seines Vogels hochziehen konnte, um auf dem Bauch zu landen. Alle anderen Varianten inklusive eines Überschlags garantierten sein schnelles Ende. Und wenn er neben all der Frustration, der Niedergeschlagenheit und dem tauben Gefühl in der linken Seite ehrlich zu sich war, dann wollte er nicht als der Pilot Panadias in die Geschichte eingehen, der nicht bis zur letzten Sekunde um sein Leben gekämpft hatte. Sobald er sicher gelandet war, konnte er seinetwegen an Blutverlust sterben, oder er wollte nicht mehr Sonny gerufen werden.
Ungefähr in dieser Sekunde offenbarte sich das Wunder vor dem First Lieutenant, das er aus größerer Höhe nicht hatte sehen können: Eine schnurgerade, baumfreie Linie, mehrere Kilometer lang, bevor sie einen scharfen Knick Richtung Keounda City machte. Eine Straße! Eine gottverdammte, vom Urwald halb zurückeroberte und vollkommen überwucherte, aber definitiv baumfreie Straße! Sonny korrigierte leicht nach rechts, um über die Straße zu kommen, auch wenn er dabei riskierte, dass sein Jet vollends auseinanderbrach. Dies war seine einzige Chance, und er hatte nur einen Versuch, bevor der Jet ihm unter dem Arsch zerbrach. Verdammt, jetzt wäre die Cockpithaube, die er abgesprengt hatte, um per Schleudersitz rauszukommen, natürlich als Überrollbügel sinnvoll gewesen. Aber ehrlich gesagt, wenn der Jet sich überschlug, würde auch das bisschen Stahl und Plastikglas ihn nicht beschützen können. Er beschloss, das Beste draus zu machen und bis zum Schluss zu kämpfen. Er nahm weiter Schub zurück. Ladestatus des rechten Tanks lag noch bei über zehn Prozent, und das war nicht gut. Er würde sehr, sehr schnell sein müssen, um aus der Mühle zu kommen, bevor sie in einem Feuerball aufging. Falls er sich überhaupt bewegen konnte. Falls er die Gurte aufbekam. Falls er dann noch lebte. Er biss die Zähne zusammen und zog die Zunge nach hinten, nur für den Fall, dass er sie aufbiss und an seinem eigenen Blut zu ersticken drohte, ganz wie man es ihm gelehrt hatte. Verdammt.
Dann war er mit dem Jet zwischen den Bäumen, mit noch etwas mehr als zwei Kilometern Luft vor sich. Wer hatte die Straße einst gebaut? Die Belgier. Hoffentlich hatten sie gute Arbeit geleistet, die Belgier. Wenn ihre Straßen nur halb so gut wie ihre Schokolade war, hatte er Hoffnung. Wie hoch war er noch? Zehn Meter? Zwölf? Er zog den Steuerknüppel zu sich heran, gab wieder etwas Gas. Ladezustand sechs Prozent. Immer noch zuviel.
Dann setzte sein Vogel auf. Es war ein harter Ruck, aber das Wunder geschah. Die Tigris folgte der Straße und entschloss sich nicht dazu, nach links oder rechts in die Bäume zu gieren.
Sonny war mal auf einem Lehrgang in Deutschland gewesen, damals in seiner Zeit in der britischen Garnison. Die Krauts hatten ihm das Prinzip ihrer Autobahnen erklärt und dass sie auf weiten Strecken als Behelfslandebahnen genutzt werden konnten, sodass die Russen, hätten sie je angegriffen, die Fliegerhorste so oft angreifen konnten wie sie wollten - die Krauts hätten sofort Ausweichlandeplätze gehabt. Unendlich viele. Und einige der Abschnitte konnten sogar zu Flughäfen umgebaut werden, und das mit wenig Aufwand.
Und so wie es schien, hatten die Belgier diese Straße nach ähnlichen Gesichtspunkten erbaut. Mit nur einem Haken: Der Knick vor ihm war verdammt scharf, und markiert wurde er von einem Riesen von Baum, der da schon gestanden haben musste, als die Schoko-Macher die Straße erbaut hatten. Und die Tigris machte keinerlei Anstalten, in absehbarer Zeit anzuhalten. Und dann brach zu allem Überfluss noch das Heck aus. Von dem war zwar nicht mehr viel da, aber als ein Teil des Fliegers einen Baum auf der Rechten touchierte, spürte er den Ruck und sah, wie sich die MAschine querstellte und weiter auf den Baum zurutschte. So oder so, für ihn ging es in den Dschungel. Seine Hoffnung zu überleben hatte sich verflüchtigt. Und als wäre das nicht noch genug, begann eine kleine Senke, in die der Jet nach ungefähr zwanzig Meter Flug wieder hinabstürzte. Der Ruck ging ihm durch und durch und irgendetwas in sich hörte er wie ein Gummiband reißen. Und garantiert hatte da etwas geknackt. Laut geknackt. Nachdrücklich geknackt. Verdammt!
Tja, und dann löste, wahrscheinlich durch den harten Aufprall, doch noch die Patrone aus, die den Schleudersitz aus der Maschine beförderte. Für ein paar bange Sekunden wurde es Sonny schwarz vor Augen. 'Das war es jetzt', war sein letzter bewusster Gedanke.
Als er Stimmen hörte, öffnete er vorsichtig die Augen. Okay, er lebte noch. Der Teil des Plans hatte also funktioniert. Andererseits, hatte es einen gegeben? Er war nicht sicher. Außerdem schwindelte ihn, obwohl er nicht mal die Augen geöffnet hatte.
Was war passiert? Ach ja, die Luftfaust, der Abschuss. Sein Versuch... Sein Versuch, auf der belgischen Schokolade... Nein, auf der Straße zu landen. Verdammt, warum ging das Denken nur so langsam? Sein Schleudersitz hatte nicht funktioniert, er hatte notlanden müssen. Und dann war er auf den riesigen Urwaldbaum zugerast. Sein sicherer Tod. Dann war die Jet, die schon Bodenkontakt gehabt hatte, ein Stück gehüpft und in eine Senke gefallen. Das musste die Patrone des Schleudersitz doch noch ausgelöst haben. Diese amerikanischen Produkte. Aber wie sagte man doch gleich? Besser spät als nie.
"...labalus?"
Er versuchte, den Kopf zu bewegen oder die Augen zu öffnen.
"Können Sie mich hören, Lieutenant Kalabalus?"
Eine Frau. Sie sprach Englisch.
Er öffnete den Mund, aber es kam nur ein Krächzen heraus, das er kaum als seine Stimme erkannte.
"Ganz ruhig, Sir. Wir holen Sie gleich vom Baum runter. Ich bin Sergeant Sokol von den US Army Rangers. Wir wurden Ihnen nachgeschickt, um Sie zu retten. Falls es was zur Rettung gibt, heißt das."
Sonny fühlte sich versucht zu grinsen, aber allein der Gedanke daran bereitete ihm ernsthafte Schmerzen. Mist. Aber die Frau war nach seinem Geschmack. Toller Galgenhumor. Er krächzte erneut. "...Baum?"
"Ja, Sir, Baum. Es hat ein wenig gedauert, bis wir einen Landeplatz gefunden haben, und dann, bis wir Sie gefunden haben. Sie hängen gerade kopfüber in gut zwanzig Metern Höhe in einem Urwaldriesen in den Gurten Ihres Schleudersitzes. Ihr Schirm hat sich in den oberen Ästen verfangen und Ihnen vermutlich das Leben gerettet. Corporal Smith und Private Astley seilen sich gerade zu Ihnen herab, um Sie und Ihren Sitz zu sichern. Oh, das Knacken klang nicht gut. Geht es euch gut, Leute?"
"Da ist definitiv was angebrochen!", klang eine harsche Männerstimme auf. "Wir müssen uns beeilen! Hier, Sarge, binden Sie die Leinen um den Stamm. Falls da was runterkommt, knallen wir nur gegen den Baum."
"Hab sie, Smith. Geben Sie Ihr Bestes. Es wäre eine Schande, den Lieutenant zu verlieren, nach allem, was er durchgemacht hat."
"Meine Meinung", krächzte der panadianische Pilot. Merkwürdigerweise war er vollkommen ruhig. Er wusste einfach, dass er gerettet werden würde. Es war so als ob das Glück eines ganzen Lebens jetzt in diesem Moment aufgebraucht wurde. Er würde überleben. Und er würde Sidecast an seinem Krankenbett heulen sehen.
"So, das war der Sitz. Jetzt der Lieutenant, Corporal."
"Suzie... Schneid die Gurte durch! Schnell, verdammt! Der Ast kommt runter!"
"Was? Ich..."
"Ich hab ihn! Nun schneid ihn los!", blaffte die Männerstimme.
Sonny fühlte einen Ruck, einen kurzen Fall und noch einen Ruck, der schmerzhaft durch seinen Körper jagte.
"Schneid uns los, Mädchen! Schneid uns los!"
"Ja, Corporal!", blaffte die zweite Stimme. Über ihnen wurde das Knacken ohrenbetäubend. Etwas rauschte, Sonny fühlte, wie er erneut fiel. Dann aber gab es einen weiteren harten Ruck, der Fall ging zur Seite und er spürte mindestens zwei Rippen brechen und zwei Menschen aufstöhnen, als sie gemeinsam gegen etwas hartes, etwas sehr hartes fielen. Wahrscheinlich an den Stamm des Baumes, in dessen Ästen er hing. Unter ihm krachte und knackte es weiterhin.
"ICH HAB IHN! SARGE!"
"Bin ja schon da, Bengel! So, Lieutenant, jetzt sind wir ein unzertrennliches Paar, wir zwei, bis wir unten sind. Sie sind an mich gebunden, im wahrsten Sinn des Wortes!"
"Autsch, ich habe mir die Hand gebrochen", beschwerte sich die zweite Frau.
"Ist bestimmt nur verstaucht. Schaffst du es runter, oder soll noch jemand raufkommen, Astley?"
"Sie ist gebrochen, bestimmt, Corporal! Ich habe es knacken gehört", murrte sie.
"Jetzt hat es erst mal Priorität, den Lieutenant auf den Boden zu schaffen! Hier, Smith, klinken Sie uns ein. Ich bringe uns zwei runter! Sie führen die Leine, okay?"
"Geht klar."
"Private, Sie halten die Füße still. Wir bringen Sie anschließend runter."
"Jawohl, Sarge."
Sonny musste lachen. "Die beste Rettung aller Zeiten."
"Sorry, Sir, wir mussten etwas improvisieren", erwiderte Sokol.
"Das habe ich ernst gemeint. Hey, Sarge, können Sie sehen, was mit meinen Augen ist? Ich sehe nichts mehr."
"Das würde mich auch schwer wundern. Ihr Visier ist dunkel und unter dem Baum ist es dunkel wie im Arsch eines Grizzlys. Wir kümmern uns um Ihren Helm, wenn wir unten sind. Wehe, Sie sterben mir die letzten Meter, Lieutenant, dann bringe ich Sie um. Das ist ein Versprechen."
"Wie könnte ich bei solchen Worten widersprechen? Ich bin in Ihrer Hand, Sergeant."
"Ich liebe es, wenn die Sternchen verstehen", erwiderte sie zufrieden. "Also los, Smith, wir gehen runter."
"Bereit, Sarge."
Sokol begann, sich und den notdürftig mit einem Gurt an ihr befestigten, wie eine Banane an ihr hängenden Lieutenant abzuseilen. Unter ihr wartete der Rest vom Fireteam und der Sanitäter auf ihre Ankunft. Meter um Meter ging es hinab.
Am liebsten hätte Sonny laut und breit gelacht, denn er hätte auf sein Überleben keinen Cent gegeben, nicht so, wie seine Chancen gestanden hatten. Aber wenn er Sergeant Sokol irritierte, holte der Tod sein Versäumnis womöglich noch nach.
"Vorsichtig jetzt!", rief eine neue Stimme. Hände griffen zu und richteten den Lieutenant wieder auf. "Langsam zu Boden! Passt auf den linken Arm auf, der ist gebrochen! Abmachen, Sarge. Danke. Auf die Trage!"
Sein Visir wurde hochgeschoben und Sonny konnte wieder etwas sehen. Aber es war wirklich recht dunkel unter dem Baum. Licht stach zu ihm herüber und blendete ihm. "Können Sie mich hören, Lieutenant? Pupillenreflexe normal. Himmel, was sind Sie für ein Glückspilz."
"Ja, ich höre Sie. Wie sieht es aus? Wie viel von mir ist noch dran?"
Ein Gesicht erschien vor ihm. Ein Weißer mit ziemlich großem Kinn und dunklen Augen. "Sie haben mehr Verletzungen, als ich Finger an den Händen habe, aber keine davon ist tödlich. Falls es nicht zu inneren Blutungen kommt. Aber tüchtig einen an die Birne gekriegt haben Sie, das kann ich jetzt schon sagen. Sarge, ist besser, ihn so schnell wie möglich ins Lazarett zu schaffen."
"Ldungas Farm. Sagen Sie Möller Bescheid. Wir kommen nach, sobald ich meine Kletterexperten runtergeholt habe." Nun erschien auch der weibliche Sergeant über ihm. Ebenfalls eine Weiße, mit hartem Gesicht und Hakennase. Aber selten war ihm eine Frau schöner vorgekommen.
"Mein Versprechen steht, Lieutenant. Wenn Sie es wagen sollten zu sterben, werde ich Sie töten, darauf haben Sie mein Wort."
"Ich werde nichts tun, was Sie ärgert, Sarge, versprochen", erwiderte Sonny und quälte sich durch einen Hustenanfall, ausgelöst von seinem Bedürfnis zu lachen.
"Na also", sagte die Frau zufrieden. "Kein Blut im Auswurf. Die Lungen scheinen schon mal noch ganz zu sein. Viel Glück, Lieutenant."
"Danke, Sarge. Ach ja, und gute Arbeit da oben. Ich werde Sie und Ihre Leute lobend in meinem Bericht erwähnen."
"Na, das hoffe ich doch. Vor allem weil es bedeutet, dass Sie wieder Berichte schreiben können. Und jetzt bringt ihn weg. Möller soll uns anschließend holen kommen."
"Ja, Sarge." Schaukelnd setzte sich seine Trage in Bewegung, jedes auf und ab ließ seinen Körper schmerzen. Die Kakophonie aus Brüchen, Verstauchungen, blauen Flecken und was sonst noch alles äußerte sich als unendliche Abfolge von großen und kleinen Schmerzen, die ihn aufstöhnen und die Luft zischend zwischen den Zähnen entweichen ließ. Aber er begrüßte sie sehr. Schmerz bedeutete Leben. Er war immer noch am Leben. Und er hatte vor, das noch eine sehr lange Zeit zu bleiben.
***
"Haben Sie gehört? T-54-Panzer und Ratel 20-Radpanzer bewegen sich auf Sie zu, Captain!"
"Ja, Sir, ich habe Sie verstanden. Aber das mit den Panzern haben wir auch so schon bemerkt", erwiderte Scott in sein Funkgerät. Eine herabpfeifende und explodierende Artilleriegranate untermalte das Geschehen effektvoll. Ein Haus zweihundert Meter vor ihrer Frontlinie wurde getroffen. Ein Teil der Fassade wurde abgesprengt. "Wir werden beschossen. Wie es aussieht mit einer Feldhaubitze. Es ist kein besonders gut gezieltes Feuer und sehr willkürlich verteilt und es scheint auch nur ein Geschütz zu sein. Aber ich fürchte mich vor dem ersten Glückstreffer. Wir haben hier auch nicht gerade Schützengräben zu unserer Verteidigung. Und zurückziehen ist auch keine Option, weil das Feuer nur auf die Weststadt verlagert werden muss. Wenigstens verursacht das Bombardement dem Riki mehr Ärger als uns. Noch."
Eine Pause entstand, in der Admiral Philips, sein Gesprächspartner an Bord der Abraham Lincoln, das Gesagte verarbeitete. "Hören Sie, die zum Bodenkampf ausgerüsteten Super Hornets sind noch vierzig Minuten entfernt. Aber die Panadier haben sich zu einem Angriff auf Bodenziele bereiterklärt. Und zugegeben, sie sind etwas sauer, weil einer ihrer Piloten abgeschossen wurde. Meine Frage ist: Halten Sie noch vierzig Minuten durch?"
"Wie viele Panzer kommen auf uns zu, sagten Sie, Admiral?"
"Mindestens zehn wurden klar erkannt, Captain."
"Wenn sie uns nahe genug kommen, um zu feuern, sind wir im Nachteil. Der Riki hat eindeutig immer noch mehr kampfbereite Männer als wir. Außerdem müssen wir hier jedes Lock und jedes Pappstück filzen, weil sich dahinter ein Kindersoldat verstecken könnte, der uns in den Rücken fallen will. Zwölf von den kleinen Kröten haben wir schon einkassiert. Und wer weiß, wie viele wir noch entdecken werden. Außerdem graut mir eher vor denen, die wir nicht entdecken."
"Also lautet Ihre Antwort?", fragte der Admiral.
Jason Scott sah sich kurz zu seinen Begleitern um, Axel Herwig und Lieutenant Morelli. "Die Haubitze und die Panzer sind außer Reichweite unseres schweren Geräts, Admiral. Unsere Mörser reichen nicht so weit. Und mit Javelins können wir sie nur bekämpfen, wenn sie nahe genug herankommen. Ihnen entgegen ziehen geht auch nicht, weil wir nicht motorisiert sind, und..." Ein erneuter Einschlag unterbrach ihn. Jemand schrie auf, sein Nachbar rief nach dem Sani.
"Und zurückziehen ist auch keine Option, auch weil Major Michael die Stellung nicht alleine halten kann. Den Osprey sprengen nützt nichts. Wenn die Panzer zehn Kilometer bis zu uns schießen, ist der Lagabanda für sie nur eine Pfütze."
Wieder entstand eine lange Pause. "Geben Sie mir Herwig."
"Welchen, Sir?"
"Den Verrückteren der beiden."
Scott reichte das Funkgerät Axel. "Der Admiral will Sie sprechen."
"Warum bin ich genau nochmal der Verrücktere?", murrte Axel. "Herwig hier."
"Direktor Herwig, wie sieht es aus? Können Ihre Hubschrauber eingreifen? Ihnen dürfte langsam die Munition ausgehen, oder?"
"Admiral, Sir, wenn Sie meine Einschätzung der Lage hören wollen: Die anrückenden Panzer unterstützen augenscheinlich den Riki. Auch wenn sie noch auf die Falschen schießen, sie haben was gegen uns, die Marines und die Ranger. Meine Leute haben Befehl, die Panzer anzugreifen. Allerdings wäre ich dankbar dafür, wenn Sie die Zahl der potentiellen Ziele für die Luftfaustschützen unserer unbekannten Angreifer erhöhen könnten. Das erhöht die Überlebenswahrscheinlichkeit für alle."
"Also gut, Direktor Herwig. Wir bitten die panadianische Luftwaffe darum, der Keounda City-Einheit Entsatz zu gewähren."
Axel atmete erleichtert aus. "Ich sage meinem Staffelchef Bescheid, damit er sich mit Mincemeat abspricht." Wieder ein Einschlag, diesmal in einem Gebäude hinter der Linie der Ranger. Steintrümmer prasselten auf die Umliegenden nieder. "Und das so schnell es geht."
"Und ich sage unseren Leuten, sie sollen etwas auf die Tube drücken", schloss der Admiral. "Viel Glück Ihnen allen."
"Danke, Admiral. Over and out."
Axel gab das Funkgerät an den Ranger-Captain zurück. "So, so. Ich bin der verrücktere der Herwig-Brüder?"
"Eine unverrückbare Tatsache", versicherte Scott todernst.
Axel wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Er entschloss sich, zuerst Boxie zu kontaktieren, über die veränderte Lage zu informieren und erst danach zu schmollen.
"Ranger 1 an alle Ranger und Marine 1", sagte Scott in sein Einsatzfunkgerät. "Admiral Philips ersucht die Panadianer um Unterstützung in Form eines Luftschlags, den sie mit den Hubschraubern kombinieren werden... Hoffentlich. Wenn also nördlich von uns das Chaos ausbricht, könnte der Riki Morgenluft wittern. Sollte er angreifen, verpassen wir ihm eine blutige Nase und stürmen. Sollte er nichts tun, stürmen wir trotzdem."
"Hier Marine 1. Ranger 1, habe ich das richtig verstanden? Sie wollen die Stadt stürmen und nehmen?"
"Ja, Major. Einwände?"
"Keine Einwände. Treten wir ihnen in den Arsch, und das kräftig."
"Ranger 1 von Captain Sinclair, auf dem Weg zu Ihrer Position mit einem vollen Platoon Ranger."
Scotts Blick wurde starr. Damit war zumindest der militärische Schutz der Untersuchungskommission eingetroffen.
"Ranger 1 hört und versteht, Captain. Sprechen Sie."
"Ich beantrage, als Ranger 5-1 in den Funkkreis aufgenommen zu werden. Wo wollen Sie mich und meine Fireteams haben? Aufgeteilt auf die einzelnen Abteilungen, oder im Block?"
"Bestätige Callsign Ranger 5-1. Ranger 5-1, gehen Sie mit Ihren Leuten in die Mitte zwischen uns und den Marines, ungefähr achthundert Meter Richtung Osten von der kleinen Brücke aus gesehen. Meine Ranger und Major Michaels Marines werden dann ihre Reihen verdichten können."
"Verstanden, Ranger 1." Ein erneuter Einschlag, diesmal weit hinter ihnen am Ostufer des Lagabandas, unterbrach die Kommunikation erneut für einen Moment.
"Sie schießen einmal alle zwei Minuten", sagte Axel. "Irgendwer vor Ort weist ihr Feuer ein, aber ihr Artillerist ist einfach scheiße."
Scott nickte zum Zeichen, dass er der gleichen Meinung war.
"Danke für die Unterstützung, Ranger 5-1."
"Sie brauchen sich für nichts zu bedanken, was unter Rangers üblich ist, Scott. Aber eine Sache ist da noch, die an mir nagt."
"Und die wäre, Ranger 5-1?"
"Wagen Sie es ja nicht, die Oststadt zu stürmen!"
"Hören Sie, Ma'am, ich als erster Offizier vor Ort..."
"Nicht, bevor meine Leute und ich in Stellung sind und am Spaß teilnehmen können."
Scott sah verblüfft drein. "Ich tue, was ich kann, Ranger 5-1." Er schüttelte amüsiert den Kopf. "Na ja, was hätte ich auch sonst von einem weiblichen Ranger-Offizier erwarten sollen? Bereithalten, Leute!"
"Aber ich bin der Verrücktere, hm?", murrte Axel.
***
"Wenn Sie meine Analyse hören wollen, Mincemeat", sagte Boxie, während er dem Techniker vor seinem Vogel auf dem Vorplatz der Kathedrale mit Daumen hoch bescheinigte, dass er abflugbereit war, "dann sind das Bewaffnete, aber keine Könner."
"Woran machen Sie das fest, Boxie?"
"Zum Beispiel daran, dass sie auf dem Weg in die Stadt mal eben die Farm eines Warlords plündern. Oder daran, dass sie eine Ewigkeit brauchen, um sich auf unsere Leute einzuschießen, wofür ich selbstverständlich dankbar bin."
"Und das heißt für uns?"
Boxie grinste. "Lassen Sie eine Rotte aus unserer Angriffsrichtung kommen und mit Überschall über die Tanks hinwegfegen. Anschließend kommen Sie aus neunzig Grad und beharken die Panzer. Ich verspreche Ihnen, keine Luftfaust wird in Ihre Richtung zeigen. Und danach kommen wir aus der Richtung der ersten Rotte und räumen auf."
"Klingt nach einem Plan. Aber bedenken Sie, wie fix Sonny runtergeholt wurde."
"Deshalb der Überflug mit Überschallgeschwindigkeit. Ihre Leute sind dann raus, bevor sie beschossen werden können. Oder glauben Sie, dieser Gegner war schlau genug, auf unserer Flussseite Beobachter marschieren zu lassen? Oder in irgendeiner Luftrichtung Beobachter zu haben? Ein paar nette russische Raketen reichen eben noch nicht für eine ernstzunehmende Armee. Oder für eine gute Luftabwehr. Oder beides."
"Machen wir es so, Boxie. Eine Rotte vorab, danach zwei Rotten zum abräumen. Anschließend Ihre Helis zum aufräumen."
"Einverstanden. Wir steigen auf, sobald die Rotte Tigris uns überflogen hat. Und wir kommen direkt nach Ihrem Angriff über den Fluss."
"Einverstanden."
"Wann kann ich mit der Rotte rechnen?"
"Nun, meinen Berechnungen zufolge... Jetzt."
Das war nicht ganz korrekt. Es dauerte noch fünf Sekunden, bevor der Donnerknall der Druckwelle beide Jets ankündigte. Der Lärm erreichte seinen Höhepunkt bei ihrem Überflug, der in lediglich zweihundert Metern Höhe geführt wurde. Dann verschwanden die Jets auch schon wieder in der Ferne.
"Boxie an alle! Start!" Alle, das waren in diesem Fall immerhin drei russische Kampfhubschrauber.
Boxie zog seine Maschine hoch und drückte sie nach vorne. Hinter und neben ihm stiegen die anderen Mi-24 auf, eine zweite davon ebenfalls ein D-Modell. In Keilformation flogen sie zum Fluss, folgten ihm eine Zeit, um von der Stadt loszukommen und überquerten ihn. Dann zogen sie in die Himmelsrichtung, in der noch die Rauchwolken von einem guten Dutzend gestarteter Flugabwehrraketen in der Luft standen.
Über diese Stellung zog gerade eine offene V-Formation mit vier Tigris hinweg, aus allen Rohren feuernd. Boxie zählte drei Detonationen. Auch ihnen folgte mindestens eine russische Luftfaust, aber soweit er sehen konnte, traf sie nicht.
"Das war unser Teil. Rufen Sie uns, wenn wir beim Aufräumen helfen sollen, Boxie."
"Das werde ich, Mincemeat. Das werde ich." Boxie atmete tief ein. Der Überschallknall hatte die Truppe sicherlich verwirrt und der Beschuss durch die anderen beiden Rotten in Unordnung gebracht. Nun war es an ihnen, aufzuräumen.
Das Zielsuchgerät markierte schon auf zwei Kilometer Entfernung einen. "Boxie? T-54 in der Erfassung. Feuer frei?"
Der ehemalige Bundeswehrpilot lachte auf. "Du kommst schon noch zu deinem ersten Schuss, Timm", sagte er zu Thaler, der vom Lademeisterposten auf den Bordschützenplatz hatte wechseln müssen. "Boxie an alle: Feuer frei nach eigenem Ermessen. Du auch, Timm."
"Danke." Thaler betätigte den Auslöser. Die linke Dartbox begann Tod und Verderben zu spucken. Dann visierte er einen der Radpanzer an und ließ die Gatling feuern. Etwa in diesem Moment verschwand der T-54 unter den Explosionen der Dart-Raketen. Links und rechts von ihnen spuckten zwei ihrer Helis ebenfalls Raketen und MG-Feuer aus, während der zweite Mi-24D weiter nach Norden driftete.
Boxie stutzte. "Heinlein, was wird das?"
"Kein offenes Schussfeld, Boxie. Ah, aber jetzt. Eröffne das Feuer." Raketen stieben von ihrem Hind davon.
Beinahe emotionslos registrierte Boxie die Zerstörungen, die die anderen Piloten anrichteten. Das war gut gewesen, aber noch nicht gut genug. "Wir gehen wieder in die Deckung der Bäume. Jackson, wir zwei fliegen ein Stück nach Süden und kommen von dort noch mal. Heinlein, Sie und Waltze machen das Gleich von Norden. Achtet ein wenig darauf, dass wir nicht aufeinander schießen. Los jetzt, bevor doch noch einer von denen merkt, was hier tatsächlich passiert."
"Verstanden." "Roger. Folge Heinlein." "Verstanden, Boxie."
Boxie zog zurück. Es klimperte hell auf, als ein paar Geschosse von der Panzerung des Mi-24D abprallten. Jemand schoss zurück, augenscheinlich mit einer AK47.
Thaler schoss erneut mit der Gatling, und das Feuer hörte auf. "Er hat mich provoziert."
"Sehr komisch. Mach das nicht zu deiner Ausrede für alles, okay?" Der Hind brachte eine Baumgruppe zwischen sich und das rauchende Schlachtfeld. "Aber für den Moment behalte es bei. Zumindest, bis wir den Konvoi in Fetzen gerissen haben."
"Angekommen, Boxie, keine Sorge. Und ich verwechsel das hier auch nicht mit meiner X-Box Zuhause. Da wird man weniger durchgeschüttelt."
Der derzeitige diensttuende Hauptmann und Oberbefehlshaber der Luftstreitkräfte der Belongo Mining, Michael Draeger, schüttelte nur den Kopf. Das passierte also, wenn man einen Lademeister an scharfe Waffen ließ. Sie brauchten dringend noch mehr Piloten und Bordschützen. "Bist du dran, Jackson?"
"Bin hinter dir, Boxie."
"Wir kommen über die Straße rein, und... RADPANZER!"
Sofort löste sich eine Salve Dartraketen, die über die drei fahrenden Ratel 20 fuhren wie eine Fliegenklatsche über ein armes Insekt.
"Gut gesehen, Chef", lobte Thaler.
"Gut geschossen, Timm", erwiderte er das Lob. "Jackson, streich das mit der Straße. Das erwarten sie jetzt von uns. Wir kommen von hier über die Bäume."
"Verstanden, Boxie."
"Boxie von Mincemeat. Wie sieht es aus? Brauchen Sie einen zweiten Angriff?"
"Mincemeat von Boxie. Danke für die bisherige Unterstützung. Wir rufen Sie, wenn wir Sie brauchen, also bleiben Sie ruhig in der Nähe. Ach, und können Sie mir sagen, was in der Stadt vor sich geht?", fragte er, während er die Maschine über die Baumwipfel zog. Sobald das erste militärische Gerät in die Erfassung geriet, bellte erneut die Gatling auf. Vielleicht hatte Thaler eher doch den Job verfehlt.
"Um das bisschen, was wir sehen, in Worte zu fassen: Ein Massaker."
Oh. Fragte sich nur, wer gerade an wem eines beging.
***
Als der Überschallknall sie erreichte und über sie hinwegfegte, eröffneten die Sniper das Feuer.
"Ranger 1 an Sniper. Was ist los?"
"Viele Ziele, Captain", sagte Corporal Leod über Funk. "Sie stürmen kopflos auf die Straße. Sieht nicht so aus, als sei das geplant."
"Ranger 1 an alle: Vor! Die Häuser und die Kanalisation durchsuchen wir später! Aber seht zu, dass jemand auf unsere Rücken aufpasst. Ach, und Ranger 5-1, wenn Sie einen Krieger des Rikis erwischen, dann..."
"Eine Kugel in den Kopf. Ich habe schon gehört, dass die Jungs derart auf Drogen sind, dass sie ihren eigenen Tod nicht mitbekommen, Ranger 1."
"Oh. Gut."
Sie rückten vor, als geschlossene Linie. Vereinzelt kamen Krieger des Riki in ihre Sicht und die Ranger begannen zu feuern. Aber alles auf der Gegenseite wirkte kopflos.
"Ob sie uns was vorspielen?", fragte Scott mehr zu sich selbst als in Axels Richtung.
Von Norden her waren Explosionen zu hören, als vier Tigris auf einmal auf die gepanzerten Einheiten niederstießen.
Der Deutsche schüttelte den Kopf. "Sie sind durchgeknallt genug, um ohne Rücksicht auf ihre Leben in unser Feuer zu laufen. Aber sich abknallen lassen und die Ahnungslosen spielen... Nein, Jason, das glaube ich nicht."
"Und was vermutest du, Axel?"
"Dass sie sich gleich organisiert haben werden."
So geschah es auch. Erst waren es nur ein paar, die direkt ins Feuer der Marines, Ranger und der deutschen Infanteristen liefen, dann wurden es Dutzende, hunderte. Sie feuerten aus ihren AK47, aber eher ungezielt. Die meisten hielten ihre Waffen zu hoch, feuerten über die Köpfe der Angreifer hinweg, bevor sie in ihrem Feuer starben.
"Achtet auf Schweinereien wie die brennenden Autoreifen, auf Sprengfallen und Handgranaten!", mahnte Scott.
Aber irgendwie glaubte Axel nicht daran. Sie schlossen zur nächsten Straße auf. Links und rechts von ihnen betraten ihre Leute ebenfalls die Kreuzungen. Solange sie den Sichtkontakt hatten, war die Situation überschaubar. Jetzt, wo die Kampfhubschrauber nicht eingreifen konnten und die Amerikaner damit beschäftigt waren, Transportdienst zu verrichten.
Als sie um eine leichte Kurve kamen, sah Axel überrascht zu Scott herüber. "Da soll mich doch... Was ist das?"
"Ich schätze, das war mal das hiesige Rathaus", erwiderte der Ranger, während der kleine Platz und der zweistöckige Jahrhundertwendebau immer mehr in ihr Sichtfeld rückte. "Heutzutage wohl der Palast des Riki. Ranger 1 an alle: Am Platz Stellung aufbauen. Marine 1, wäre es möglich, wenn ein paar Ihrer Leute schauen, was hinter dem Gebäude vor sich geht? Der Platz ist leer und ich fürchte, sie sitzen hinter den Fenstern und warten nur darauf, uns auf freier Fläche abzuknallen, während der Riki wer weiß was tut."
"Ich sehe zu, was ich tun kann, Ranger 1."
Axel schnaubte. Er wusste nicht, dass Niklas das einhundertachtzehn Meter weiter Richtung Südosten an seinem Teil der Straße ebenfalls tat, als er den Palast des Riki sah. Und er wusste nicht, dass sie beide das Gleiche sagten: "Schätze, das ist das letzte Kapitel."
***
Der Osprey landete auf dem Innenhof der Residenz, die offizielles US-Staatsgebiet war. Captain Anette Burdelle verließ den Hubschrauber als Erste. "Lieutenant, übernehmen Sie. Sie kennen das ja. Ausrüstung aufnehmen, ausbooten, Stellungen auskundschaften und befestigen."
"Aye, Ma'am. Ihr habt den Captain gehört! Los, los, los!"
Burdelle widmete das Ausbooten keines Blickes. Sie konnte sich auf ihre Leute voll und ganz verlassen. Und erst Recht auf Second Lieutenant Albert Bloom, ihre rechte Hand.
Mit weit ausgreifenden Schritten ging die schwarzhaarige Kaukasierin mit dem einen oder anderen mexikanischen Einschlag im Gesicht auf seine Exzellenz Fitzpatrick Hayle und die Anführerin der Botschaft-Marines Ariele McMasters zu.
"Good Day, Sir, Lieutenant. Wie ist die Lage?"
Hayle war ein energisch wirkender junger Mann mit dunkelblondem Haar und buschigen Koteletten. Eine kleine Goldrandbrille und die scharfe, gerade Nase gaben ihm etwas ernstes. Burdelle wusste, dass das Außenministerium Länder wie Ndongo normalerweise als unproblematisch ansah und deshalb meist Botschafter entsandte, die in dieser Position ihre ersten Sporen sammeln mussten. Das passte zum Alter Hayles, das in seiner Akte mit siebenunddreißig angegeben war. Das machte Leute wie ihn allerdings auch wenig berechenbar.
"Noch nicht besonders ernst, wenngleich wir versuchen, so viele US-Bürger wie möglich in die Botschaft zu bekommen und die Ndongoianer draußen zu halten. Es gibt erste zaghafte Proteste gegen die US-Regierung, und auf dem Platz vor dem Präsidentenpalast starten die Anhänger des Präsidenten ihre erste Demonstration. Ich habe Lieutenant McMasters angewiesen, die Verteidigung vorzubereiten, nach eigenem Ermessen."
"Ziehen Sie eine Evakuierung in Betracht?", fragte Burdelle direkt, während sie mit der anderen Marine einen Salut austauschte.
"Wenn ich ehrlich sein soll - ja. Und dabei ist es mir egal, ob man mich im Außenministerium für einen Feigling hält. Spätestens seit dem Abschuss einer ndongoanischen Militärmaschine durch Panadia beginnt es hier langsam heiß zu werden. Fakt ist aber, wir passen nicht alle in den Osprey."
"Hm." Ihr Blick ging zu McMasters. Die rothaarige Frau nickte knapp. "Die Lage ist ernst. Noch nicht gefährlich, aber einige der US-Bürger, die in die Botschaft evakuiert wurden, berichten von einer sehr gereizten Stimmung und vereinzelten Übergriffen auf Minderheiten. Das Geschehen in Belongo wird als Eingriff in ihre Souveränität gesehen. Viele sind verärgert. Wenn der Präsident zudem seine Anhänger mobilisiert, also seine Stammesmitglieder, kann es hier schnell zur Sache gehen."
"Dann empfehle ich die Evakuierung. Holen Sie die Flagge ein, Exzellenz, und verlassen Sie mit den Zivilisten die Stadt."
"Dem möchte ich widersprechen", sagte Hayle. "Ich habe zwar gesagt, es ist mir egal, ob das Außenministerium mich für einen Feigling hält, aber das heißt nicht, dass ich sofort den Schwanz einkneife, wenn es mal etwas brenzliger wird. Aber Ihren Vorschlag nehme ich auf. Ziviles Personal und alle in der Botschaft konzentrierten US-Bürger werden ausgeflogen."
"Exzellenz, ob wir dann einen zweiten Anflug schaffen werden, mag bezweifelt werden. Und selbst wenn der funktioniert, bin ich nicht sicher, ob uns ein Abflug gelingen wird", warnte Burdelle.
"Ihr Einwand wurde zur Kenntnis genommen, Captain. Es bleibt dabei. Wir evakuieren die zivilen Mitarbeiter und die US-Bürger sowie alle geheimen Unterlagen, die wir nicht ohne Not vernichten können. Stellen Sie dazu ein paar Mann ab, die tragen helfen, Captain. Und Lieutenant, weisen Sie den Captain über unsere Lage ein und helfen sie ihr dann dabei, Stellungen aufzubauen. Und was die Fahne angeht: Die wird heute vom Fahnenappell eingeholt werden und von niemandem sonst.
Entschuldigen Sie mich jetzt, meine Damen. Ich habe eine Protestnote zu verfassen."
"Ist er mutig, oder dumm?", fragte Burdelle die rangniedere Marine, als der Botschafter im Gebäude verschwunden war.
"Oh, Mut ist eine Seuche, die in Ndongo gerade furchtbar grassiert. Manchmal muss man einem Menschen nur Gelegenheit geben, seinen Charakter zu belasten, um zu sehen, was darunter ist.
Kommen Sie, Captain, ich zeige Ihnen unsere Schwachpunkte, solange wir Zeit haben."
"Einen Moment.
Lieutenant Bloom!"
"Ma'am?"
"Auf Aufforderung des Sekretariats stellen Sie ein Squad ab, das beim Tragen von Dokumenten in den Osprey und bei der Evakuierung der Zivilisten helfen wird!"
"Verstanden, Ma'am. Und was ist mit dem Platoon?"
Burdelle zog eine Augenbraue hoch. "Wir bleiben selbstverständlich hier und halten die Stellung."
Der Marine grinste sie an. "Genau so, wie wir Marines es lieben, Captain."
"Etwas anderes habe ich von Ihnen auch nicht erwartet, Bloom. Räumen Sie weiter aus und melden Sie sich, wenn Sie fertig sind. McMasters? Zeigen Sie mir das Gebäude und das Dach."
"Aye, Ma'am."
"Und sagen Sie mir was zur Situation."
"Nun, Captain", sagte die Lieutenant, während sie dem Captain die Tür aufhielt, "Ompala ist eine Großstadt mit knapp drei Millionen Einwohnern, von denen siebzig Prozent in Slum-Siedlungen leben, meistens Angehörige von Stämmen der ferneren Inlandprovinzen. Der Rest wird gebildet von Upeti, Llangoto und Mtagi, um nur die Wichtigsten zu nennen, deren Vertreter Regierung, Parlament, Militär, Wirtschaft und Justiz weitestgehend unter Kontrolle haben. Da sie wissen, dass sie in ihrer Hauptstadt in der Minderheit sind, tun sie sich vor allem mit Propaganda und Günstlingswirtschaft hervor. Wenn es dem Präsidenten gefällt, dann werden zehntausende schlecht bezahlte Tagelöhner, denen man ein paar US-Dollar gibt, diese Botschaft stürmen."
"Und wie groß ist die Gefahr Ihrer Meinung nach?"
"Die Gefahr, auf Unschuldige zu schießen, die nur aufgehetzt wurden, oder die Gefahr, dass wir in diesen Hallen unbeschreibliche Akte der Gewalt, Entmenschlichung und Brutalität erleben werden - zumindest jene, die dann noch leben?"
"Beides, Lieutenant."
"Wenn Sie die Nachrichtensendungen verfolgt hätten, wüssten Sie, dass es jederzeit losgehen kann." Ihre Miene wurde starr. "Gerade vor fünf Minuten hat das staatliche Fernsehen in einer Sondersendung mitgeteilt, dass sich ein einfacher ndongoischer Frachter gegen eine amerikanische Fregatte unter ganboischer Flagge durchsetzen und sie versenken konnte. Sie können sich denken, was das für die Stimmung bedeutet, die wegen dem Abschuss durch panadianische Flieger hier in Ompala herrscht."
"Mit anderen Worten: Wir sitzen in der Scheiße."
"Aber sowas von."
Die beiden Frauen tauschten ein unmilitärisches Lächeln. "Schätze, es wird Zeit, ein paar Vorurteile zu bestätigen, die man Zuhause von Frauen bei den Marines hat. So von wegen Kampfgeil, schießwütig und übertrieben brutal und unfraulich."
McMasters lachte leise. "Bin dabei, Ma'am. Kommen Sie, sehen wir uns das Dach an."
Zwei Mitarbeiter der Botschaft, amerikanische Männer wohlgemerkt, sahen den beiden Marines nach, als diese die Treppe hochgingen.
"Was habe ich dir gesagt, Matt? Frauen in Uniform sind alle durchgeknallt. Die freuen sich ja schon drauf, dass es hier ordentlich kracht."
"Das ist ihr Job. Und jetzt halt die Klappe und arbeite."
***
Aber nein, er musste ja stur sein, weiterhin den Vogel stabilisieren, den Tank im rechten Flügel entleeren und immer noch irgendwie irgendwo eine möglichst zwei Kilometer lange, gerade und möglichst baumfreie Ecke in diesem Dschungel suchen, auf der er die Maschine aufsetzen konnte. Und dann musste er noch daran denken, rechtzeitig genug zu landen, sodass noch Sprit genug im Tank war, damit er die Nase seines Vogels hochziehen konnte, um auf dem Bauch zu landen. Alle anderen Varianten inklusive eines Überschlags garantierten sein schnelles Ende. Und wenn er neben all der Frustration, der Niedergeschlagenheit und dem tauben Gefühl in der linken Seite ehrlich zu sich war, dann wollte er nicht als der Pilot Panadias in die Geschichte eingehen, der nicht bis zur letzten Sekunde um sein Leben gekämpft hatte. Sobald er sicher gelandet war, konnte er seinetwegen an Blutverlust sterben, oder er wollte nicht mehr Sonny gerufen werden.
Ungefähr in dieser Sekunde offenbarte sich das Wunder vor dem First Lieutenant, das er aus größerer Höhe nicht hatte sehen können: Eine schnurgerade, baumfreie Linie, mehrere Kilometer lang, bevor sie einen scharfen Knick Richtung Keounda City machte. Eine Straße! Eine gottverdammte, vom Urwald halb zurückeroberte und vollkommen überwucherte, aber definitiv baumfreie Straße! Sonny korrigierte leicht nach rechts, um über die Straße zu kommen, auch wenn er dabei riskierte, dass sein Jet vollends auseinanderbrach. Dies war seine einzige Chance, und er hatte nur einen Versuch, bevor der Jet ihm unter dem Arsch zerbrach. Verdammt, jetzt wäre die Cockpithaube, die er abgesprengt hatte, um per Schleudersitz rauszukommen, natürlich als Überrollbügel sinnvoll gewesen. Aber ehrlich gesagt, wenn der Jet sich überschlug, würde auch das bisschen Stahl und Plastikglas ihn nicht beschützen können. Er beschloss, das Beste draus zu machen und bis zum Schluss zu kämpfen. Er nahm weiter Schub zurück. Ladestatus des rechten Tanks lag noch bei über zehn Prozent, und das war nicht gut. Er würde sehr, sehr schnell sein müssen, um aus der Mühle zu kommen, bevor sie in einem Feuerball aufging. Falls er sich überhaupt bewegen konnte. Falls er die Gurte aufbekam. Falls er dann noch lebte. Er biss die Zähne zusammen und zog die Zunge nach hinten, nur für den Fall, dass er sie aufbiss und an seinem eigenen Blut zu ersticken drohte, ganz wie man es ihm gelehrt hatte. Verdammt.
Dann war er mit dem Jet zwischen den Bäumen, mit noch etwas mehr als zwei Kilometern Luft vor sich. Wer hatte die Straße einst gebaut? Die Belgier. Hoffentlich hatten sie gute Arbeit geleistet, die Belgier. Wenn ihre Straßen nur halb so gut wie ihre Schokolade war, hatte er Hoffnung. Wie hoch war er noch? Zehn Meter? Zwölf? Er zog den Steuerknüppel zu sich heran, gab wieder etwas Gas. Ladezustand sechs Prozent. Immer noch zuviel.
Dann setzte sein Vogel auf. Es war ein harter Ruck, aber das Wunder geschah. Die Tigris folgte der Straße und entschloss sich nicht dazu, nach links oder rechts in die Bäume zu gieren.
Sonny war mal auf einem Lehrgang in Deutschland gewesen, damals in seiner Zeit in der britischen Garnison. Die Krauts hatten ihm das Prinzip ihrer Autobahnen erklärt und dass sie auf weiten Strecken als Behelfslandebahnen genutzt werden konnten, sodass die Russen, hätten sie je angegriffen, die Fliegerhorste so oft angreifen konnten wie sie wollten - die Krauts hätten sofort Ausweichlandeplätze gehabt. Unendlich viele. Und einige der Abschnitte konnten sogar zu Flughäfen umgebaut werden, und das mit wenig Aufwand.
Und so wie es schien, hatten die Belgier diese Straße nach ähnlichen Gesichtspunkten erbaut. Mit nur einem Haken: Der Knick vor ihm war verdammt scharf, und markiert wurde er von einem Riesen von Baum, der da schon gestanden haben musste, als die Schoko-Macher die Straße erbaut hatten. Und die Tigris machte keinerlei Anstalten, in absehbarer Zeit anzuhalten. Und dann brach zu allem Überfluss noch das Heck aus. Von dem war zwar nicht mehr viel da, aber als ein Teil des Fliegers einen Baum auf der Rechten touchierte, spürte er den Ruck und sah, wie sich die MAschine querstellte und weiter auf den Baum zurutschte. So oder so, für ihn ging es in den Dschungel. Seine Hoffnung zu überleben hatte sich verflüchtigt. Und als wäre das nicht noch genug, begann eine kleine Senke, in die der Jet nach ungefähr zwanzig Meter Flug wieder hinabstürzte. Der Ruck ging ihm durch und durch und irgendetwas in sich hörte er wie ein Gummiband reißen. Und garantiert hatte da etwas geknackt. Laut geknackt. Nachdrücklich geknackt. Verdammt!
Tja, und dann löste, wahrscheinlich durch den harten Aufprall, doch noch die Patrone aus, die den Schleudersitz aus der Maschine beförderte. Für ein paar bange Sekunden wurde es Sonny schwarz vor Augen. 'Das war es jetzt', war sein letzter bewusster Gedanke.
Als er Stimmen hörte, öffnete er vorsichtig die Augen. Okay, er lebte noch. Der Teil des Plans hatte also funktioniert. Andererseits, hatte es einen gegeben? Er war nicht sicher. Außerdem schwindelte ihn, obwohl er nicht mal die Augen geöffnet hatte.
Was war passiert? Ach ja, die Luftfaust, der Abschuss. Sein Versuch... Sein Versuch, auf der belgischen Schokolade... Nein, auf der Straße zu landen. Verdammt, warum ging das Denken nur so langsam? Sein Schleudersitz hatte nicht funktioniert, er hatte notlanden müssen. Und dann war er auf den riesigen Urwaldbaum zugerast. Sein sicherer Tod. Dann war die Jet, die schon Bodenkontakt gehabt hatte, ein Stück gehüpft und in eine Senke gefallen. Das musste die Patrone des Schleudersitz doch noch ausgelöst haben. Diese amerikanischen Produkte. Aber wie sagte man doch gleich? Besser spät als nie.
"...labalus?"
Er versuchte, den Kopf zu bewegen oder die Augen zu öffnen.
"Können Sie mich hören, Lieutenant Kalabalus?"
Eine Frau. Sie sprach Englisch.
Er öffnete den Mund, aber es kam nur ein Krächzen heraus, das er kaum als seine Stimme erkannte.
"Ganz ruhig, Sir. Wir holen Sie gleich vom Baum runter. Ich bin Sergeant Sokol von den US Army Rangers. Wir wurden Ihnen nachgeschickt, um Sie zu retten. Falls es was zur Rettung gibt, heißt das."
Sonny fühlte sich versucht zu grinsen, aber allein der Gedanke daran bereitete ihm ernsthafte Schmerzen. Mist. Aber die Frau war nach seinem Geschmack. Toller Galgenhumor. Er krächzte erneut. "...Baum?"
"Ja, Sir, Baum. Es hat ein wenig gedauert, bis wir einen Landeplatz gefunden haben, und dann, bis wir Sie gefunden haben. Sie hängen gerade kopfüber in gut zwanzig Metern Höhe in einem Urwaldriesen in den Gurten Ihres Schleudersitzes. Ihr Schirm hat sich in den oberen Ästen verfangen und Ihnen vermutlich das Leben gerettet. Corporal Smith und Private Astley seilen sich gerade zu Ihnen herab, um Sie und Ihren Sitz zu sichern. Oh, das Knacken klang nicht gut. Geht es euch gut, Leute?"
"Da ist definitiv was angebrochen!", klang eine harsche Männerstimme auf. "Wir müssen uns beeilen! Hier, Sarge, binden Sie die Leinen um den Stamm. Falls da was runterkommt, knallen wir nur gegen den Baum."
"Hab sie, Smith. Geben Sie Ihr Bestes. Es wäre eine Schande, den Lieutenant zu verlieren, nach allem, was er durchgemacht hat."
"Meine Meinung", krächzte der panadianische Pilot. Merkwürdigerweise war er vollkommen ruhig. Er wusste einfach, dass er gerettet werden würde. Es war so als ob das Glück eines ganzen Lebens jetzt in diesem Moment aufgebraucht wurde. Er würde überleben. Und er würde Sidecast an seinem Krankenbett heulen sehen.
"So, das war der Sitz. Jetzt der Lieutenant, Corporal."
"Suzie... Schneid die Gurte durch! Schnell, verdammt! Der Ast kommt runter!"
"Was? Ich..."
"Ich hab ihn! Nun schneid ihn los!", blaffte die Männerstimme.
Sonny fühlte einen Ruck, einen kurzen Fall und noch einen Ruck, der schmerzhaft durch seinen Körper jagte.
"Schneid uns los, Mädchen! Schneid uns los!"
"Ja, Corporal!", blaffte die zweite Stimme. Über ihnen wurde das Knacken ohrenbetäubend. Etwas rauschte, Sonny fühlte, wie er erneut fiel. Dann aber gab es einen weiteren harten Ruck, der Fall ging zur Seite und er spürte mindestens zwei Rippen brechen und zwei Menschen aufstöhnen, als sie gemeinsam gegen etwas hartes, etwas sehr hartes fielen. Wahrscheinlich an den Stamm des Baumes, in dessen Ästen er hing. Unter ihm krachte und knackte es weiterhin.
"ICH HAB IHN! SARGE!"
"Bin ja schon da, Bengel! So, Lieutenant, jetzt sind wir ein unzertrennliches Paar, wir zwei, bis wir unten sind. Sie sind an mich gebunden, im wahrsten Sinn des Wortes!"
"Autsch, ich habe mir die Hand gebrochen", beschwerte sich die zweite Frau.
"Ist bestimmt nur verstaucht. Schaffst du es runter, oder soll noch jemand raufkommen, Astley?"
"Sie ist gebrochen, bestimmt, Corporal! Ich habe es knacken gehört", murrte sie.
"Jetzt hat es erst mal Priorität, den Lieutenant auf den Boden zu schaffen! Hier, Smith, klinken Sie uns ein. Ich bringe uns zwei runter! Sie führen die Leine, okay?"
"Geht klar."
"Private, Sie halten die Füße still. Wir bringen Sie anschließend runter."
"Jawohl, Sarge."
Sonny musste lachen. "Die beste Rettung aller Zeiten."
"Sorry, Sir, wir mussten etwas improvisieren", erwiderte Sokol.
"Das habe ich ernst gemeint. Hey, Sarge, können Sie sehen, was mit meinen Augen ist? Ich sehe nichts mehr."
"Das würde mich auch schwer wundern. Ihr Visier ist dunkel und unter dem Baum ist es dunkel wie im Arsch eines Grizzlys. Wir kümmern uns um Ihren Helm, wenn wir unten sind. Wehe, Sie sterben mir die letzten Meter, Lieutenant, dann bringe ich Sie um. Das ist ein Versprechen."
"Wie könnte ich bei solchen Worten widersprechen? Ich bin in Ihrer Hand, Sergeant."
"Ich liebe es, wenn die Sternchen verstehen", erwiderte sie zufrieden. "Also los, Smith, wir gehen runter."
"Bereit, Sarge."
Sokol begann, sich und den notdürftig mit einem Gurt an ihr befestigten, wie eine Banane an ihr hängenden Lieutenant abzuseilen. Unter ihr wartete der Rest vom Fireteam und der Sanitäter auf ihre Ankunft. Meter um Meter ging es hinab.
Am liebsten hätte Sonny laut und breit gelacht, denn er hätte auf sein Überleben keinen Cent gegeben, nicht so, wie seine Chancen gestanden hatten. Aber wenn er Sergeant Sokol irritierte, holte der Tod sein Versäumnis womöglich noch nach.
"Vorsichtig jetzt!", rief eine neue Stimme. Hände griffen zu und richteten den Lieutenant wieder auf. "Langsam zu Boden! Passt auf den linken Arm auf, der ist gebrochen! Abmachen, Sarge. Danke. Auf die Trage!"
Sein Visir wurde hochgeschoben und Sonny konnte wieder etwas sehen. Aber es war wirklich recht dunkel unter dem Baum. Licht stach zu ihm herüber und blendete ihm. "Können Sie mich hören, Lieutenant? Pupillenreflexe normal. Himmel, was sind Sie für ein Glückspilz."
"Ja, ich höre Sie. Wie sieht es aus? Wie viel von mir ist noch dran?"
Ein Gesicht erschien vor ihm. Ein Weißer mit ziemlich großem Kinn und dunklen Augen. "Sie haben mehr Verletzungen, als ich Finger an den Händen habe, aber keine davon ist tödlich. Falls es nicht zu inneren Blutungen kommt. Aber tüchtig einen an die Birne gekriegt haben Sie, das kann ich jetzt schon sagen. Sarge, ist besser, ihn so schnell wie möglich ins Lazarett zu schaffen."
"Ldungas Farm. Sagen Sie Möller Bescheid. Wir kommen nach, sobald ich meine Kletterexperten runtergeholt habe." Nun erschien auch der weibliche Sergeant über ihm. Ebenfalls eine Weiße, mit hartem Gesicht und Hakennase. Aber selten war ihm eine Frau schöner vorgekommen.
"Mein Versprechen steht, Lieutenant. Wenn Sie es wagen sollten zu sterben, werde ich Sie töten, darauf haben Sie mein Wort."
"Ich werde nichts tun, was Sie ärgert, Sarge, versprochen", erwiderte Sonny und quälte sich durch einen Hustenanfall, ausgelöst von seinem Bedürfnis zu lachen.
"Na also", sagte die Frau zufrieden. "Kein Blut im Auswurf. Die Lungen scheinen schon mal noch ganz zu sein. Viel Glück, Lieutenant."
"Danke, Sarge. Ach ja, und gute Arbeit da oben. Ich werde Sie und Ihre Leute lobend in meinem Bericht erwähnen."
"Na, das hoffe ich doch. Vor allem weil es bedeutet, dass Sie wieder Berichte schreiben können. Und jetzt bringt ihn weg. Möller soll uns anschließend holen kommen."
"Ja, Sarge." Schaukelnd setzte sich seine Trage in Bewegung, jedes auf und ab ließ seinen Körper schmerzen. Die Kakophonie aus Brüchen, Verstauchungen, blauen Flecken und was sonst noch alles äußerte sich als unendliche Abfolge von großen und kleinen Schmerzen, die ihn aufstöhnen und die Luft zischend zwischen den Zähnen entweichen ließ. Aber er begrüßte sie sehr. Schmerz bedeutete Leben. Er war immer noch am Leben. Und er hatte vor, das noch eine sehr lange Zeit zu bleiben.
***
"Haben Sie gehört? T-54-Panzer und Ratel 20-Radpanzer bewegen sich auf Sie zu, Captain!"
"Ja, Sir, ich habe Sie verstanden. Aber das mit den Panzern haben wir auch so schon bemerkt", erwiderte Scott in sein Funkgerät. Eine herabpfeifende und explodierende Artilleriegranate untermalte das Geschehen effektvoll. Ein Haus zweihundert Meter vor ihrer Frontlinie wurde getroffen. Ein Teil der Fassade wurde abgesprengt. "Wir werden beschossen. Wie es aussieht mit einer Feldhaubitze. Es ist kein besonders gut gezieltes Feuer und sehr willkürlich verteilt und es scheint auch nur ein Geschütz zu sein. Aber ich fürchte mich vor dem ersten Glückstreffer. Wir haben hier auch nicht gerade Schützengräben zu unserer Verteidigung. Und zurückziehen ist auch keine Option, weil das Feuer nur auf die Weststadt verlagert werden muss. Wenigstens verursacht das Bombardement dem Riki mehr Ärger als uns. Noch."
Eine Pause entstand, in der Admiral Philips, sein Gesprächspartner an Bord der Abraham Lincoln, das Gesagte verarbeitete. "Hören Sie, die zum Bodenkampf ausgerüsteten Super Hornets sind noch vierzig Minuten entfernt. Aber die Panadier haben sich zu einem Angriff auf Bodenziele bereiterklärt. Und zugegeben, sie sind etwas sauer, weil einer ihrer Piloten abgeschossen wurde. Meine Frage ist: Halten Sie noch vierzig Minuten durch?"
"Wie viele Panzer kommen auf uns zu, sagten Sie, Admiral?"
"Mindestens zehn wurden klar erkannt, Captain."
"Wenn sie uns nahe genug kommen, um zu feuern, sind wir im Nachteil. Der Riki hat eindeutig immer noch mehr kampfbereite Männer als wir. Außerdem müssen wir hier jedes Lock und jedes Pappstück filzen, weil sich dahinter ein Kindersoldat verstecken könnte, der uns in den Rücken fallen will. Zwölf von den kleinen Kröten haben wir schon einkassiert. Und wer weiß, wie viele wir noch entdecken werden. Außerdem graut mir eher vor denen, die wir nicht entdecken."
"Also lautet Ihre Antwort?", fragte der Admiral.
Jason Scott sah sich kurz zu seinen Begleitern um, Axel Herwig und Lieutenant Morelli. "Die Haubitze und die Panzer sind außer Reichweite unseres schweren Geräts, Admiral. Unsere Mörser reichen nicht so weit. Und mit Javelins können wir sie nur bekämpfen, wenn sie nahe genug herankommen. Ihnen entgegen ziehen geht auch nicht, weil wir nicht motorisiert sind, und..." Ein erneuter Einschlag unterbrach ihn. Jemand schrie auf, sein Nachbar rief nach dem Sani.
"Und zurückziehen ist auch keine Option, auch weil Major Michael die Stellung nicht alleine halten kann. Den Osprey sprengen nützt nichts. Wenn die Panzer zehn Kilometer bis zu uns schießen, ist der Lagabanda für sie nur eine Pfütze."
Wieder entstand eine lange Pause. "Geben Sie mir Herwig."
"Welchen, Sir?"
"Den Verrückteren der beiden."
Scott reichte das Funkgerät Axel. "Der Admiral will Sie sprechen."
"Warum bin ich genau nochmal der Verrücktere?", murrte Axel. "Herwig hier."
"Direktor Herwig, wie sieht es aus? Können Ihre Hubschrauber eingreifen? Ihnen dürfte langsam die Munition ausgehen, oder?"
"Admiral, Sir, wenn Sie meine Einschätzung der Lage hören wollen: Die anrückenden Panzer unterstützen augenscheinlich den Riki. Auch wenn sie noch auf die Falschen schießen, sie haben was gegen uns, die Marines und die Ranger. Meine Leute haben Befehl, die Panzer anzugreifen. Allerdings wäre ich dankbar dafür, wenn Sie die Zahl der potentiellen Ziele für die Luftfaustschützen unserer unbekannten Angreifer erhöhen könnten. Das erhöht die Überlebenswahrscheinlichkeit für alle."
"Also gut, Direktor Herwig. Wir bitten die panadianische Luftwaffe darum, der Keounda City-Einheit Entsatz zu gewähren."
Axel atmete erleichtert aus. "Ich sage meinem Staffelchef Bescheid, damit er sich mit Mincemeat abspricht." Wieder ein Einschlag, diesmal in einem Gebäude hinter der Linie der Ranger. Steintrümmer prasselten auf die Umliegenden nieder. "Und das so schnell es geht."
"Und ich sage unseren Leuten, sie sollen etwas auf die Tube drücken", schloss der Admiral. "Viel Glück Ihnen allen."
"Danke, Admiral. Over and out."
Axel gab das Funkgerät an den Ranger-Captain zurück. "So, so. Ich bin der verrücktere der Herwig-Brüder?"
"Eine unverrückbare Tatsache", versicherte Scott todernst.
Axel wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Er entschloss sich, zuerst Boxie zu kontaktieren, über die veränderte Lage zu informieren und erst danach zu schmollen.
"Ranger 1 an alle Ranger und Marine 1", sagte Scott in sein Einsatzfunkgerät. "Admiral Philips ersucht die Panadianer um Unterstützung in Form eines Luftschlags, den sie mit den Hubschraubern kombinieren werden... Hoffentlich. Wenn also nördlich von uns das Chaos ausbricht, könnte der Riki Morgenluft wittern. Sollte er angreifen, verpassen wir ihm eine blutige Nase und stürmen. Sollte er nichts tun, stürmen wir trotzdem."
"Hier Marine 1. Ranger 1, habe ich das richtig verstanden? Sie wollen die Stadt stürmen und nehmen?"
"Ja, Major. Einwände?"
"Keine Einwände. Treten wir ihnen in den Arsch, und das kräftig."
"Ranger 1 von Captain Sinclair, auf dem Weg zu Ihrer Position mit einem vollen Platoon Ranger."
Scotts Blick wurde starr. Damit war zumindest der militärische Schutz der Untersuchungskommission eingetroffen.
"Ranger 1 hört und versteht, Captain. Sprechen Sie."
"Ich beantrage, als Ranger 5-1 in den Funkkreis aufgenommen zu werden. Wo wollen Sie mich und meine Fireteams haben? Aufgeteilt auf die einzelnen Abteilungen, oder im Block?"
"Bestätige Callsign Ranger 5-1. Ranger 5-1, gehen Sie mit Ihren Leuten in die Mitte zwischen uns und den Marines, ungefähr achthundert Meter Richtung Osten von der kleinen Brücke aus gesehen. Meine Ranger und Major Michaels Marines werden dann ihre Reihen verdichten können."
"Verstanden, Ranger 1." Ein erneuter Einschlag, diesmal weit hinter ihnen am Ostufer des Lagabandas, unterbrach die Kommunikation erneut für einen Moment.
"Sie schießen einmal alle zwei Minuten", sagte Axel. "Irgendwer vor Ort weist ihr Feuer ein, aber ihr Artillerist ist einfach scheiße."
Scott nickte zum Zeichen, dass er der gleichen Meinung war.
"Danke für die Unterstützung, Ranger 5-1."
"Sie brauchen sich für nichts zu bedanken, was unter Rangers üblich ist, Scott. Aber eine Sache ist da noch, die an mir nagt."
"Und die wäre, Ranger 5-1?"
"Wagen Sie es ja nicht, die Oststadt zu stürmen!"
"Hören Sie, Ma'am, ich als erster Offizier vor Ort..."
"Nicht, bevor meine Leute und ich in Stellung sind und am Spaß teilnehmen können."
Scott sah verblüfft drein. "Ich tue, was ich kann, Ranger 5-1." Er schüttelte amüsiert den Kopf. "Na ja, was hätte ich auch sonst von einem weiblichen Ranger-Offizier erwarten sollen? Bereithalten, Leute!"
"Aber ich bin der Verrücktere, hm?", murrte Axel.
***
"Wenn Sie meine Analyse hören wollen, Mincemeat", sagte Boxie, während er dem Techniker vor seinem Vogel auf dem Vorplatz der Kathedrale mit Daumen hoch bescheinigte, dass er abflugbereit war, "dann sind das Bewaffnete, aber keine Könner."
"Woran machen Sie das fest, Boxie?"
"Zum Beispiel daran, dass sie auf dem Weg in die Stadt mal eben die Farm eines Warlords plündern. Oder daran, dass sie eine Ewigkeit brauchen, um sich auf unsere Leute einzuschießen, wofür ich selbstverständlich dankbar bin."
"Und das heißt für uns?"
Boxie grinste. "Lassen Sie eine Rotte aus unserer Angriffsrichtung kommen und mit Überschall über die Tanks hinwegfegen. Anschließend kommen Sie aus neunzig Grad und beharken die Panzer. Ich verspreche Ihnen, keine Luftfaust wird in Ihre Richtung zeigen. Und danach kommen wir aus der Richtung der ersten Rotte und räumen auf."
"Klingt nach einem Plan. Aber bedenken Sie, wie fix Sonny runtergeholt wurde."
"Deshalb der Überflug mit Überschallgeschwindigkeit. Ihre Leute sind dann raus, bevor sie beschossen werden können. Oder glauben Sie, dieser Gegner war schlau genug, auf unserer Flussseite Beobachter marschieren zu lassen? Oder in irgendeiner Luftrichtung Beobachter zu haben? Ein paar nette russische Raketen reichen eben noch nicht für eine ernstzunehmende Armee. Oder für eine gute Luftabwehr. Oder beides."
"Machen wir es so, Boxie. Eine Rotte vorab, danach zwei Rotten zum abräumen. Anschließend Ihre Helis zum aufräumen."
"Einverstanden. Wir steigen auf, sobald die Rotte Tigris uns überflogen hat. Und wir kommen direkt nach Ihrem Angriff über den Fluss."
"Einverstanden."
"Wann kann ich mit der Rotte rechnen?"
"Nun, meinen Berechnungen zufolge... Jetzt."
Das war nicht ganz korrekt. Es dauerte noch fünf Sekunden, bevor der Donnerknall der Druckwelle beide Jets ankündigte. Der Lärm erreichte seinen Höhepunkt bei ihrem Überflug, der in lediglich zweihundert Metern Höhe geführt wurde. Dann verschwanden die Jets auch schon wieder in der Ferne.
"Boxie an alle! Start!" Alle, das waren in diesem Fall immerhin drei russische Kampfhubschrauber.
Boxie zog seine Maschine hoch und drückte sie nach vorne. Hinter und neben ihm stiegen die anderen Mi-24 auf, eine zweite davon ebenfalls ein D-Modell. In Keilformation flogen sie zum Fluss, folgten ihm eine Zeit, um von der Stadt loszukommen und überquerten ihn. Dann zogen sie in die Himmelsrichtung, in der noch die Rauchwolken von einem guten Dutzend gestarteter Flugabwehrraketen in der Luft standen.
Über diese Stellung zog gerade eine offene V-Formation mit vier Tigris hinweg, aus allen Rohren feuernd. Boxie zählte drei Detonationen. Auch ihnen folgte mindestens eine russische Luftfaust, aber soweit er sehen konnte, traf sie nicht.
"Das war unser Teil. Rufen Sie uns, wenn wir beim Aufräumen helfen sollen, Boxie."
"Das werde ich, Mincemeat. Das werde ich." Boxie atmete tief ein. Der Überschallknall hatte die Truppe sicherlich verwirrt und der Beschuss durch die anderen beiden Rotten in Unordnung gebracht. Nun war es an ihnen, aufzuräumen.
Das Zielsuchgerät markierte schon auf zwei Kilometer Entfernung einen. "Boxie? T-54 in der Erfassung. Feuer frei?"
Der ehemalige Bundeswehrpilot lachte auf. "Du kommst schon noch zu deinem ersten Schuss, Timm", sagte er zu Thaler, der vom Lademeisterposten auf den Bordschützenplatz hatte wechseln müssen. "Boxie an alle: Feuer frei nach eigenem Ermessen. Du auch, Timm."
"Danke." Thaler betätigte den Auslöser. Die linke Dartbox begann Tod und Verderben zu spucken. Dann visierte er einen der Radpanzer an und ließ die Gatling feuern. Etwa in diesem Moment verschwand der T-54 unter den Explosionen der Dart-Raketen. Links und rechts von ihnen spuckten zwei ihrer Helis ebenfalls Raketen und MG-Feuer aus, während der zweite Mi-24D weiter nach Norden driftete.
Boxie stutzte. "Heinlein, was wird das?"
"Kein offenes Schussfeld, Boxie. Ah, aber jetzt. Eröffne das Feuer." Raketen stieben von ihrem Hind davon.
Beinahe emotionslos registrierte Boxie die Zerstörungen, die die anderen Piloten anrichteten. Das war gut gewesen, aber noch nicht gut genug. "Wir gehen wieder in die Deckung der Bäume. Jackson, wir zwei fliegen ein Stück nach Süden und kommen von dort noch mal. Heinlein, Sie und Waltze machen das Gleich von Norden. Achtet ein wenig darauf, dass wir nicht aufeinander schießen. Los jetzt, bevor doch noch einer von denen merkt, was hier tatsächlich passiert."
"Verstanden." "Roger. Folge Heinlein." "Verstanden, Boxie."
Boxie zog zurück. Es klimperte hell auf, als ein paar Geschosse von der Panzerung des Mi-24D abprallten. Jemand schoss zurück, augenscheinlich mit einer AK47.
Thaler schoss erneut mit der Gatling, und das Feuer hörte auf. "Er hat mich provoziert."
"Sehr komisch. Mach das nicht zu deiner Ausrede für alles, okay?" Der Hind brachte eine Baumgruppe zwischen sich und das rauchende Schlachtfeld. "Aber für den Moment behalte es bei. Zumindest, bis wir den Konvoi in Fetzen gerissen haben."
"Angekommen, Boxie, keine Sorge. Und ich verwechsel das hier auch nicht mit meiner X-Box Zuhause. Da wird man weniger durchgeschüttelt."
Der derzeitige diensttuende Hauptmann und Oberbefehlshaber der Luftstreitkräfte der Belongo Mining, Michael Draeger, schüttelte nur den Kopf. Das passierte also, wenn man einen Lademeister an scharfe Waffen ließ. Sie brauchten dringend noch mehr Piloten und Bordschützen. "Bist du dran, Jackson?"
"Bin hinter dir, Boxie."
"Wir kommen über die Straße rein, und... RADPANZER!"
Sofort löste sich eine Salve Dartraketen, die über die drei fahrenden Ratel 20 fuhren wie eine Fliegenklatsche über ein armes Insekt.
"Gut gesehen, Chef", lobte Thaler.
"Gut geschossen, Timm", erwiderte er das Lob. "Jackson, streich das mit der Straße. Das erwarten sie jetzt von uns. Wir kommen von hier über die Bäume."
"Verstanden, Boxie."
"Boxie von Mincemeat. Wie sieht es aus? Brauchen Sie einen zweiten Angriff?"
"Mincemeat von Boxie. Danke für die bisherige Unterstützung. Wir rufen Sie, wenn wir Sie brauchen, also bleiben Sie ruhig in der Nähe. Ach, und können Sie mir sagen, was in der Stadt vor sich geht?", fragte er, während er die Maschine über die Baumwipfel zog. Sobald das erste militärische Gerät in die Erfassung geriet, bellte erneut die Gatling auf. Vielleicht hatte Thaler eher doch den Job verfehlt.
"Um das bisschen, was wir sehen, in Worte zu fassen: Ein Massaker."
Oh. Fragte sich nur, wer gerade an wem eines beging.
***
Als der Überschallknall sie erreichte und über sie hinwegfegte, eröffneten die Sniper das Feuer.
"Ranger 1 an Sniper. Was ist los?"
"Viele Ziele, Captain", sagte Corporal Leod über Funk. "Sie stürmen kopflos auf die Straße. Sieht nicht so aus, als sei das geplant."
"Ranger 1 an alle: Vor! Die Häuser und die Kanalisation durchsuchen wir später! Aber seht zu, dass jemand auf unsere Rücken aufpasst. Ach, und Ranger 5-1, wenn Sie einen Krieger des Rikis erwischen, dann..."
"Eine Kugel in den Kopf. Ich habe schon gehört, dass die Jungs derart auf Drogen sind, dass sie ihren eigenen Tod nicht mitbekommen, Ranger 1."
"Oh. Gut."
Sie rückten vor, als geschlossene Linie. Vereinzelt kamen Krieger des Riki in ihre Sicht und die Ranger begannen zu feuern. Aber alles auf der Gegenseite wirkte kopflos.
"Ob sie uns was vorspielen?", fragte Scott mehr zu sich selbst als in Axels Richtung.
Von Norden her waren Explosionen zu hören, als vier Tigris auf einmal auf die gepanzerten Einheiten niederstießen.
Der Deutsche schüttelte den Kopf. "Sie sind durchgeknallt genug, um ohne Rücksicht auf ihre Leben in unser Feuer zu laufen. Aber sich abknallen lassen und die Ahnungslosen spielen... Nein, Jason, das glaube ich nicht."
"Und was vermutest du, Axel?"
"Dass sie sich gleich organisiert haben werden."
So geschah es auch. Erst waren es nur ein paar, die direkt ins Feuer der Marines, Ranger und der deutschen Infanteristen liefen, dann wurden es Dutzende, hunderte. Sie feuerten aus ihren AK47, aber eher ungezielt. Die meisten hielten ihre Waffen zu hoch, feuerten über die Köpfe der Angreifer hinweg, bevor sie in ihrem Feuer starben.
"Achtet auf Schweinereien wie die brennenden Autoreifen, auf Sprengfallen und Handgranaten!", mahnte Scott.
Aber irgendwie glaubte Axel nicht daran. Sie schlossen zur nächsten Straße auf. Links und rechts von ihnen betraten ihre Leute ebenfalls die Kreuzungen. Solange sie den Sichtkontakt hatten, war die Situation überschaubar. Jetzt, wo die Kampfhubschrauber nicht eingreifen konnten und die Amerikaner damit beschäftigt waren, Transportdienst zu verrichten.
Als sie um eine leichte Kurve kamen, sah Axel überrascht zu Scott herüber. "Da soll mich doch... Was ist das?"
"Ich schätze, das war mal das hiesige Rathaus", erwiderte der Ranger, während der kleine Platz und der zweistöckige Jahrhundertwendebau immer mehr in ihr Sichtfeld rückte. "Heutzutage wohl der Palast des Riki. Ranger 1 an alle: Am Platz Stellung aufbauen. Marine 1, wäre es möglich, wenn ein paar Ihrer Leute schauen, was hinter dem Gebäude vor sich geht? Der Platz ist leer und ich fürchte, sie sitzen hinter den Fenstern und warten nur darauf, uns auf freier Fläche abzuknallen, während der Riki wer weiß was tut."
"Ich sehe zu, was ich tun kann, Ranger 1."
Axel schnaubte. Er wusste nicht, dass Niklas das einhundertachtzehn Meter weiter Richtung Südosten an seinem Teil der Straße ebenfalls tat, als er den Palast des Riki sah. Und er wusste nicht, dass sie beide das Gleiche sagten: "Schätze, das ist das letzte Kapitel."
***
Der Osprey landete auf dem Innenhof der Residenz, die offizielles US-Staatsgebiet war. Captain Anette Burdelle verließ den Hubschrauber als Erste. "Lieutenant, übernehmen Sie. Sie kennen das ja. Ausrüstung aufnehmen, ausbooten, Stellungen auskundschaften und befestigen."
"Aye, Ma'am. Ihr habt den Captain gehört! Los, los, los!"
Burdelle widmete das Ausbooten keines Blickes. Sie konnte sich auf ihre Leute voll und ganz verlassen. Und erst Recht auf Second Lieutenant Albert Bloom, ihre rechte Hand.
Mit weit ausgreifenden Schritten ging die schwarzhaarige Kaukasierin mit dem einen oder anderen mexikanischen Einschlag im Gesicht auf seine Exzellenz Fitzpatrick Hayle und die Anführerin der Botschaft-Marines Ariele McMasters zu.
"Good Day, Sir, Lieutenant. Wie ist die Lage?"
Hayle war ein energisch wirkender junger Mann mit dunkelblondem Haar und buschigen Koteletten. Eine kleine Goldrandbrille und die scharfe, gerade Nase gaben ihm etwas ernstes. Burdelle wusste, dass das Außenministerium Länder wie Ndongo normalerweise als unproblematisch ansah und deshalb meist Botschafter entsandte, die in dieser Position ihre ersten Sporen sammeln mussten. Das passte zum Alter Hayles, das in seiner Akte mit siebenunddreißig angegeben war. Das machte Leute wie ihn allerdings auch wenig berechenbar.
"Noch nicht besonders ernst, wenngleich wir versuchen, so viele US-Bürger wie möglich in die Botschaft zu bekommen und die Ndongoianer draußen zu halten. Es gibt erste zaghafte Proteste gegen die US-Regierung, und auf dem Platz vor dem Präsidentenpalast starten die Anhänger des Präsidenten ihre erste Demonstration. Ich habe Lieutenant McMasters angewiesen, die Verteidigung vorzubereiten, nach eigenem Ermessen."
"Ziehen Sie eine Evakuierung in Betracht?", fragte Burdelle direkt, während sie mit der anderen Marine einen Salut austauschte.
"Wenn ich ehrlich sein soll - ja. Und dabei ist es mir egal, ob man mich im Außenministerium für einen Feigling hält. Spätestens seit dem Abschuss einer ndongoanischen Militärmaschine durch Panadia beginnt es hier langsam heiß zu werden. Fakt ist aber, wir passen nicht alle in den Osprey."
"Hm." Ihr Blick ging zu McMasters. Die rothaarige Frau nickte knapp. "Die Lage ist ernst. Noch nicht gefährlich, aber einige der US-Bürger, die in die Botschaft evakuiert wurden, berichten von einer sehr gereizten Stimmung und vereinzelten Übergriffen auf Minderheiten. Das Geschehen in Belongo wird als Eingriff in ihre Souveränität gesehen. Viele sind verärgert. Wenn der Präsident zudem seine Anhänger mobilisiert, also seine Stammesmitglieder, kann es hier schnell zur Sache gehen."
"Dann empfehle ich die Evakuierung. Holen Sie die Flagge ein, Exzellenz, und verlassen Sie mit den Zivilisten die Stadt."
"Dem möchte ich widersprechen", sagte Hayle. "Ich habe zwar gesagt, es ist mir egal, ob das Außenministerium mich für einen Feigling hält, aber das heißt nicht, dass ich sofort den Schwanz einkneife, wenn es mal etwas brenzliger wird. Aber Ihren Vorschlag nehme ich auf. Ziviles Personal und alle in der Botschaft konzentrierten US-Bürger werden ausgeflogen."
"Exzellenz, ob wir dann einen zweiten Anflug schaffen werden, mag bezweifelt werden. Und selbst wenn der funktioniert, bin ich nicht sicher, ob uns ein Abflug gelingen wird", warnte Burdelle.
"Ihr Einwand wurde zur Kenntnis genommen, Captain. Es bleibt dabei. Wir evakuieren die zivilen Mitarbeiter und die US-Bürger sowie alle geheimen Unterlagen, die wir nicht ohne Not vernichten können. Stellen Sie dazu ein paar Mann ab, die tragen helfen, Captain. Und Lieutenant, weisen Sie den Captain über unsere Lage ein und helfen sie ihr dann dabei, Stellungen aufzubauen. Und was die Fahne angeht: Die wird heute vom Fahnenappell eingeholt werden und von niemandem sonst.
Entschuldigen Sie mich jetzt, meine Damen. Ich habe eine Protestnote zu verfassen."
"Ist er mutig, oder dumm?", fragte Burdelle die rangniedere Marine, als der Botschafter im Gebäude verschwunden war.
"Oh, Mut ist eine Seuche, die in Ndongo gerade furchtbar grassiert. Manchmal muss man einem Menschen nur Gelegenheit geben, seinen Charakter zu belasten, um zu sehen, was darunter ist.
Kommen Sie, Captain, ich zeige Ihnen unsere Schwachpunkte, solange wir Zeit haben."
"Einen Moment.
Lieutenant Bloom!"
"Ma'am?"
"Auf Aufforderung des Sekretariats stellen Sie ein Squad ab, das beim Tragen von Dokumenten in den Osprey und bei der Evakuierung der Zivilisten helfen wird!"
"Verstanden, Ma'am. Und was ist mit dem Platoon?"
Burdelle zog eine Augenbraue hoch. "Wir bleiben selbstverständlich hier und halten die Stellung."
Der Marine grinste sie an. "Genau so, wie wir Marines es lieben, Captain."
"Etwas anderes habe ich von Ihnen auch nicht erwartet, Bloom. Räumen Sie weiter aus und melden Sie sich, wenn Sie fertig sind. McMasters? Zeigen Sie mir das Gebäude und das Dach."
"Aye, Ma'am."
"Und sagen Sie mir was zur Situation."
"Nun, Captain", sagte die Lieutenant, während sie dem Captain die Tür aufhielt, "Ompala ist eine Großstadt mit knapp drei Millionen Einwohnern, von denen siebzig Prozent in Slum-Siedlungen leben, meistens Angehörige von Stämmen der ferneren Inlandprovinzen. Der Rest wird gebildet von Upeti, Llangoto und Mtagi, um nur die Wichtigsten zu nennen, deren Vertreter Regierung, Parlament, Militär, Wirtschaft und Justiz weitestgehend unter Kontrolle haben. Da sie wissen, dass sie in ihrer Hauptstadt in der Minderheit sind, tun sie sich vor allem mit Propaganda und Günstlingswirtschaft hervor. Wenn es dem Präsidenten gefällt, dann werden zehntausende schlecht bezahlte Tagelöhner, denen man ein paar US-Dollar gibt, diese Botschaft stürmen."
"Und wie groß ist die Gefahr Ihrer Meinung nach?"
"Die Gefahr, auf Unschuldige zu schießen, die nur aufgehetzt wurden, oder die Gefahr, dass wir in diesen Hallen unbeschreibliche Akte der Gewalt, Entmenschlichung und Brutalität erleben werden - zumindest jene, die dann noch leben?"
"Beides, Lieutenant."
"Wenn Sie die Nachrichtensendungen verfolgt hätten, wüssten Sie, dass es jederzeit losgehen kann." Ihre Miene wurde starr. "Gerade vor fünf Minuten hat das staatliche Fernsehen in einer Sondersendung mitgeteilt, dass sich ein einfacher ndongoischer Frachter gegen eine amerikanische Fregatte unter ganboischer Flagge durchsetzen und sie versenken konnte. Sie können sich denken, was das für die Stimmung bedeutet, die wegen dem Abschuss durch panadianische Flieger hier in Ompala herrscht."
"Mit anderen Worten: Wir sitzen in der Scheiße."
"Aber sowas von."
Die beiden Frauen tauschten ein unmilitärisches Lächeln. "Schätze, es wird Zeit, ein paar Vorurteile zu bestätigen, die man Zuhause von Frauen bei den Marines hat. So von wegen Kampfgeil, schießwütig und übertrieben brutal und unfraulich."
McMasters lachte leise. "Bin dabei, Ma'am. Kommen Sie, sehen wir uns das Dach an."
Zwei Mitarbeiter der Botschaft, amerikanische Männer wohlgemerkt, sahen den beiden Marines nach, als diese die Treppe hochgingen.
"Was habe ich dir gesagt, Matt? Frauen in Uniform sind alle durchgeknallt. Die freuen sich ja schon drauf, dass es hier ordentlich kracht."
"Das ist ihr Job. Und jetzt halt die Klappe und arbeite."
***