Geschichte: Freie Arbeiten / Prosa / Action / Belongo

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Belongo

Kurzbeschreibung
GeschichteAbenteuer / P16 / Gen
12.09.2011
23.02.2017
37
260.000
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12.09.2011 8.856
 
"Herr Herwig?" Axel schreckte aus seinem Zustand irgendwo zwischen Meditation und Dösen auf, als er angesprochen wurde. "Was?", fragte er, für einen Moment orientierungslos. Dies war doch Keounda City, und er saß doch mit drei Rangern im hohen Ufergras des Lagabandas und schoss auf die Männer des Riki, wenn sie sich zeigten? Oder saß er am Ufer der Alster, hatte mit seinen Freunden die Nacht durchgemacht und war dabei eingeschlafen? Er schüttelte den Kopf, um wieder klar zu werden. "Was?", wiederholte er erneut, bis er die schlanke Gestalt vor sich sah, die nun vor ihm salutierte. "Sir, ich bin... WHOA!"
"Erstens", zischte er der Frau zu, die er gewaltsam in die Hocke gezwungen hatte, "salutiert man nicht mitten im Feindgebiet! Zweitens kommt man nicht aufrecht an die Front, weil wir nicht die Einzigen mit Scharfschützen sind! Und drittens: Wer zum Teufel sind Sie?"
"Leutnant Heinlein, Grete Heinlein, Sir. Ich habe die Verstärkungen kommandiert, die Sie heute rausgehauen haben."
"Und das war gute Arbeit, Leutnant. Aber es ist so typisch für euch Piloten, dass Ihr euch am Boden so falsch verhaltet. Wie lange ist Ihre Grundausbildung her?"
Die Pilotin schien verlegen. "Zehn Jahre, Sir."
"Wieso Sir?", fragte Axel unvermittelt.
"Geht schneller und ist doch auch richtig, oder? Sie sind doch der Direktor der Belongo Mining, nicht?"
"Ja, das stimmt. Also meinetwegen Sir. Auch wenn ich mich nicht wie ein Sir fühle."
Die breite Pranke von Scott klopfte auf Axels Rücken. "Also, wenn es nach mir geht, dann sind Sie eine respektable Person, die den Titel Sir mehr als verdient hat, alter Freund."
Axel sah im Licht des beginnenden Tages Scotts weiße Zähne beim Lächeln aufblitzen. Für einen Moment fühlte er sich gerührt. Der Mann hatte ein Offizierspatent, war Captain der Ranger und stellte ihn, den Grundwehrdienst-Deutschen, auf eine Stufe mit sich selbst.  "Danke, Jason, für das Kompliment."
"Oh, ich mache nur Frauen Komplimente, Axel."
"Danke. Glaube ich. Also, was kann ich für Sie tun, Leutnant Heinlein? Was treibt Sie aus Ihrem sicheren Hubschrauber ohne Schutzweste und Ihren Fliegerhelm direkt an die vorderste Front?"
"Zugegeben, jetzt komme ich mir schon ein wenig einfältig vor."
"Halten Sie sich gebückt, wenn Sie zurückgehen, und sehen Sie zu, dass Ihr blondes Haar im Morgenlicht nicht zur Zielscheibe für die Männer des Riki wird, dann sollten Sie keine Probleme bekommen. Aber die eine oder andere Infanterie-Verhaltensregel könnten Sie trotzdem mal auffrischen. Also?"
"Es geht um Boxie. Ich meine, um Leutnant... Hauptmann Draeger."
"Um Boxie? Soweit ich weiß, sind Sie einander noch nicht begegnet", sagte Axel überrascht. "Und schon haben Sie Probleme mit ihm?"
"Nein, das ist es nicht. Keine Probleme. Jedenfalls noch nicht. Nein, das ist scheiße formuliert. Ich gebe zu, ich habe Angst vor der ersten Begegnung mit ihm."
"Weil er meistens seine Meerschweinchen mitnimmt? Ich kann Ihnen versichern, er spinnt nicht mehr als alle anderen auch. Und er ist ein hervorragender Pilot und ein guter Anführer. Ich vertraue ihm zu einhundert Prozent."
Sie seufzte entsagungsvoll. "Und genau da liegt mein Problem. Überall wo ich hingehe, wird Boxie wie ein Übermensch gelobt, und seine Fähigkeiten werden gepriesen, als wäre er der Allmächtige. Dazu kommt, dass ich weiß, dass er in seiner alten Einheit in der Heeresfliegertruppe hoch im Kurs stand. Hätte er diesen Meerschweinchentick nicht entwickelt, wäre er schon auf dem Weg zum Staffelführer. Sir, ich habe einfach Schiss davor, ihn zu treffen. Ich hatte vor, mich als Stellvertreterin zu empfehlen und drauf gehofft, dass er nicht nur die Frau in mir sieht. Aber jetzt befürchte ich, dass er mich nicht mal als Pilot ernst nimmt."
Axel unterdrückte ein Auflachen. "Sie machen sich definitiv zu viele Sorgen, Leutnant. Boxie ist durch und durch ein feiner Kerl. Und da wir unsere Fliegerstaffel vergrößert haben, und Sie bereits eine gute Leistung dabei gezeigt haben, unsere Reserven herzuführen und den Angriff in unserem Rücken abzuwehren, haben Sie, denke ich, eine gute Visitenkarte dagelassen. Aber vorsicht, Boxie beurteilt nur nach Fähigkeiten, nicht danach, wer die schöneren Streifen am SECAM-Fleckentarn hat."
"Jetzt habe ich noch mehr Angst", gestand sie.
"Wie lange waren Sie beim Bund? Und warum sind Sie raus?"
"Fünf Jahre. Habe mein Studium abgebrochen und wurde vorzeitig entlassen. Mangelndes Selbstbewusstsein, und damit einher gehend Führungsschwäche. Ist eine hässliche Geschichte, die ich hier nicht ausbreiten will. Ich dachte, als Bernd mich anrief, er wollte mich verarschen, weil er doch von der Geschichte gewusst hat. Aber nachdem ich eine Woche drüber nachgedacht hatte, war ich froh, dass er mich erneut anrief und mich als Verstärkung haben wollte. Im Camp auf dem Flughafen drüben in Panadia war es alles irgendwie dann ganz einfach, und ich habe mich schnell zum Anführer der Verstärkung gemausert. Da dachte ich, ich hätte diese ganze Zeit hinter mir gelassen, mein Selbstvertrauen sei wieder stark. Jedenfalls stärker als damals, als ich entlassen wurde."
"Nun, Sie haben gute Arbeit geleistet", sagte Axel, als die junge Frau nach Worten rang. "Und da Leutnant Androweit wohl eine längere Zeit ausfällt, könnte ich Sie mir durchaus in dieser Rolle vorstellen. Wo also ist das Problem? Kalte Füße, Leutnant Heinlein?"
"Nein, Sir. Ich bin nach wie vor fest entschlossen, diese Gelegenheit zu nutzen. Aber... Nun, Major Herwig schläft gerade, und Hauptmann Malicke hat mich zu Ihnen geschickt. Ich glaube, er hat mich dabei ausgelacht."
"Wenn, dann war das aber kein netter Zug von Hannes. Worum geht es denn jetzt?"
Verlegen druckste die Frau. "Wie... Wie ist er denn so? Ich meine im Einsatz? Wie sollte ich am Besten mit ihm umgehen? Soll ich ihn auch auf einen Altar stellen wie Thomas, oder soll ich ihn ganz normal behandeln?"
"Ich denke, in erster Linie sollten Sie erstmal schauen, ob er wach ist oder schläft. Und danach können Sie sich entscheiden, ob Sie das Risiko eingehen wollen ihn zu wecken. Es war für uns alle ein langer Tag, und für viele gab es keine Nachtruhe, oder sie wurden dabei gestört. Ich halte Ihr Anliegen aber für wichtig genug, dass Sie es zumindest versuchen sollten, Heinlein. Wenn Sie ihn dann dazu gebracht haben, Ihnen zuzuhören, bestechen Sie ihn mit einem frischen Kaffee. Oslovski, der Sani vom ersten Platoon, macht aus dem Instant-Gebräu etwas durchaus Ähnliches. Und wenn er Sie fragt, warum Sie Stellvertreter werden wollen, erwähnen Sie ruhig, dass die Piloten und Lademannschaften der Verstärkung Sie kennen und schätzen."
"Das ist alles?", fragte sie zweifelnd.
"Das ist alles", bestätigte Axel. "Viel Glück dabei."
"Na, wenn Sie meinen... Oslovski heißt der Mann?"
"Sie finden ihn in der Moschee", sagte Captain Scott. "Dort kocht er seit einer Stunde Kaffee für alle. Er ist echt der Beste für diesen Job."
"Keine Sorge, mit dem nächsten Flug von der Mine lasse ich eine kleine Kochstelle mit zwei Köchen einfliegen. Ihre Leute mit dem Koch-Equipment sind ja wohl noch auf dem Weg zur Mine", sagte Axel. "Dann gibt es Frühstück, und vor allem frisch gemahlenen und aufgebrühten Kaffee."
Diese Worte ließ die Augen der Ranger aufblitzen. Frisch gemahlener, heißer Kaffee, das war alles, was diese Männer und Frauen zum glücklich werden brauchten.
"Das ist die beste Nachricht des Tages, Axel", schmunzelte Scott.
"Sie können ja auf die Kaffeetanten warten, Heinlein, oder doch Ihr Glück mit Oslovski versuchen."
Die Frau erhob sich in eine gebückte Haltung. "Ich versuche mein Glück mit dem Sani, Sir. Entschuldigen Sie mich."
"Warten Sie mal", sagte Axel und griff der Frau in den Kragen, um sie daran zu hindern, sich aufzurichten.
"Sir?", fragte sie verdutzt.
Axel nahm seinen Helm ab, setzte ihn der Pilotin auf den Kopf und schnallte ihn fest. Dafür musste er den Kinngurt nachjustieren. "Ihr Goldhaar ist eine bessere Zielscheibe als eine Zigarette in der Nacht. Lassen Sie mir den Helm zurückschicken, sobald Sie ihn nicht mehr brauchen, okay?"
"Ja, Sir. Danke." Die Pilotin wirkte gerührt. "Ich gehe dann mal." Sie deutete einen nicht ganz so strengen Salut wie vorhin mit zwei Fingern an, nickte den drei Männern zu und huschte zurück.
Als der Schuss aufbellte, hatte Axel schon gespürt, dass sie überschossen worden waren. Ungläubig ging sein Blick zur Pilotin, die gerade jetzt in diesem Augenblick zu Boden fiel, als wäre sie eine Marionette, der man die Bänder gekappt habe.
"Schütze, elf Uhr!", blaffte Polonski, der Spotter Leods. "Habe Ziel!" "Schuss!"
Das Scharfschützengewehr bellte heiser durch die Morgenluft, ohne das etwas zu passieren schien. Leod aber schnaufte leise aus. "Ziel terminiert!"
Erst jetzt kam Axel die Unwirklichkeit des Augenblicks zu Bewusst sein. Er warf sich zu Boden und robbte zur Pilotin herüber. "Um Himmels Willen, Heinlein, leben Sie noch?"
"Ja, Sir. Scheint noch alles dran zu sein", klang ihre Stimme zu ihm herüber, und dem Deutschen fiel ein Stein vom Herzen. "Himmel, warum haben Sie sich dann so effektvoll fallen gelassen?"
"Ich wollte nur in Deckung gehen. So ging es am Schnellsten."
"Zugegeben", erwiderte Axel, von einer unerklärlichen guten Laune beherrscht, die nur vom Schock kommen konnte. "Und, wo hat der Sniper Sie erwischt, Heinlein?"
"Am Hinterkopf, Sir. Ohne den Helm... Ohne Ihren Helm..." Sie drehte sich zu Axel herum. Ihre Augen waren groß und erschrocken und mit Tränen gefüllt. Sie zitterte am ganzen Leib.
"Na, na", machte der Chef der Mine und legte einen Arm um die zitternde Frau. "Es ist in Ordnung. Corporal Leod hat den Scharfschützen ausgeschaltet. Sie sind in Sicherheit, Heinlein."
"Das ist es nicht! Ohne Ihren Ratschlag wäre ich jetzt tot!" Sie nahm den Helm ab und inspizierte die Rückseite. Dort klebte die plattgequetschte Patrone. Ein Blick nach innen offenbarte, dass die Spitze teilweise durchgedrungen war. Zum großen Glück der Pilotin war es kein Hartmantelgeschoss gewesen, sondern wahrscheinlich eine neun Millimeter Luger. Das erklärte, warum die Kugel nicht ganz durchgedrungen, sondern vom Helm aufgehalten worden war. Ein Nato-Standard hätte den Helm auf dies Entfernung wohl nur mit wirklich viel Glück nicht perforiert.
"Kopf runter, Heinlein", befahl Axel und fuhr mit der Rechten durch das Haar an ihrem Hinterkopf. Kein Blut an der Hand, das war ein gutes Zeichen. Auch eine peniblere Suche brachte keine Wunde zum Vorschein. "Fliegen Sie trotzdem zu Doktor Herryhaus raus und lassen sich untersuchen, verstanden?"
"Ja, Sir. Gleich nachdem ich mit Boxie gesprochen habe."
Axel schnaubte amüsiert. "Wenn Sie die Kraft dazu haben, meinetwegen. Geht es, oder soll ich Sie begleiten? Kommen Sie, wir robben bis hinter die Hausecke."
"Alles im Griff, Axel?", fragte Scott vom Ufergras herüber.
"Ja, alles im Griff! Los, gehen wir. Ich meine, kriechen wir, Heinlein."
"Okay."
Die beiden Deutschen robbten weiter, kamen um die Hausecke und konnten sich endlich aufrichten. Axel sah, dass die Pilotin noch immer zitterte, also schloss er sie seinem Instinkt folgend in die Arme. Sie erwiderte die Umarmung nicht, aber irgendwann hörte das Zittern auf. "Danke, Sir. Es geht schon wieder. Sie haben mir das Leben gerettet."
Axel ließ sie aus seiner Umarmung. "So was soll hier in Afrika öfters vorkommen, Dass man sich das Leben rettet. So wie Sie gestern meines gerettet haben, als die Männer des Rikis aus der Kanalisation gekommen sind."
"Ja, verstehe. Aber dennoch, ohne Ihren Helm... Hier, den brauche ich jetzt wohl erstmal nicht mehr."
"Danke." Axel nahm den Helm, setzte ihn wieder auf und schnallte ihn neu fest. Verdammt, er musste einen neuen anfordern.
"Wenn ich Ihnen unorthodox danken dürfte, Herr Direktor..."
"Es ist zwar kein Dank nötig, aber meinetwegen", sagte Axel gutgelaunt, weil die Geschichte so glimpflich abgelaufen war.
"Danke." Sie trat vor und küsste den überrumpelten Axel Herwig. Allerdings verzichtete sie auf einen Zungenschlag, obwohl der überraschte Junge den Mund nicht geschlossen hatte.
Verlegen ließ sie von ihm ab. "I-ich denke, das war angemessen. Nochmal danke für den Helm, Sir."
"D-da nicht für. Ach, und Heinlein, das war ein toller Kuss, aber ich stecke in sowas wie... Nun, einer Beziehung, denke ich. Nicht, dass Sie denken, dass... Sie sind eine feine Soldatin und eine hübsche Frau, aber..."
"N-nein, Sir, natürlich nicht! Das war nur ein unorthodoxes Dankeschön! Das kriegt nicht jeder von mir! Da muss man mir schon das Leben retten."
Sie lächelte verlegen, und Axel fragte sich, ob er gerade ein idiotisches Gesicht zog bei all den Gedanken und Emotionen, die ihm gerade durch den Kopf gingen.
"Ich gehe dann mal zurück", verkündete er.
"Und ich gehe zur Moschee. Bis später, Herr Direktor."
"Bis später, Heinlein."
Die beiden trennten sich, zum Bedauern, aber auch zur Erleichterung Axels. Himmel, Arsch und Zwirn, jetzt wusste er wenigstens, warum er in zehn Jahren nur zwei Beziehungen gehabt hatte. Mit einem Haufen Söldner nach Afrika fliegen, karitative Einrichtungen aufbauen und Diamanten suchen musste irgendwie sexy machen. Hätte er das früher gewusst... Axel lachte über sich selbst, dann legte er sich auf den Boden und robbte zurück.

"Hat sie sich wenigstens bedankt?", fragte Scott wie beiläufig.
"Ja, hat sie", erwiderte Axel und spürte Röte im Gesicht. "Auf eine Weise, bei der sie bei den Army Rangern rausgeflogen wäre."
"Wieso?", fragte Leod. "Hat sie Ihnen Sex versprochen?"
"Nein!", entrüstete sich Axel. "Sie hat mich geküsst. Auf den Mund. Ohne Zunge."
Scott prustete in die vorgehaltene Hand. "Also, dafür fliegt man bei den Army Rangern aber noch nicht aus der Truppe, oder?"
"Garantiert nicht, Sir", sagte Polonski mit einer Miene, die zu ernst war, um wirklich ernst zu sein.
Axel fühlte sich leicht hochgenommen. Aber wenn die Ranger das nicht dürfen sollten, wer dann auf dieser Welt? "Ist noch Kaffee da?", fragte er gut gelaunt und setzte sich wieder auf.
"Glück gehabt. Letzte Tasse." Scott schenkte seinen Becher voll. Wie schön das Leben doch war, wenn der höchste Anspruch, den man stellte, ein heißer Kaffee war. Okay, ein lauwarmer Kaffee. Aber immerhin Kaffee.
"Machen Sie sich keine Sorgen, Axel", sagte Scott grinsend. "Unter Stress neigen Männer und Frauen nun mal dazu, mehr auf ihre Hormone zu hören oder direkter zu sein. Würde ich es meinen Mädchen jedesmal übelnehmen, wenn sie mich küssen oder mir Sex anbieten, dann hätte ich eine ganz schöne Fluktuation in meiner Einheit. Von den Männern ganz zu schweigen. Sowas passiert nun mal in einer ruhigen Minute, wenn man jederzeit sterben kann. So hat das die Natur eingerichtet. Man nutzt quasi die "letzte Chance", um sich zu vermehren, und bei Frauen verschiebt sich auch schon mal die Menstruation. Viele haben auch einen Eisprung bei der Geschichte."
Axel wurde blass, als ihm die vorletzte Nacht einfiel. "Ich glaube, ich habe dann gute Chancen, gestern eine Frau geschwängert zu haben."
"So?", fragte Scott, eine Augenbraue gehoben. "Hoffentlich keine von meinen."
"Nein, das war falsch formuliert. In der Nacht auf gestern, bei mir im Camp. Sie fiel über mich her, und wenn ich meine Erinnerungsfetzen noch recht beisammen hatte, haben wir keine Kondome genutzt. Jedesmal nicht."
Von Leod war ein leises Gegacker zu hören, Polonski grinste aufs Höchste amüsiert, und Scott verkniff sich einen Lacher. "Der Sex muss gigantisch gewesen sein."
"Gigantisch reicht da nicht", erwiderte Axel und nahm einen Schluck Kaffee. "Ich beginne, Stress und Todesgefahr zu mögen."
"Wer von uns denn nicht? Oder meinen Sie, es gibt andere Gründe, um Berufssoldat zu werden, Herr Direktor?", fragte Polonski trocken.
"Gutes Argument."
Scott sah auf seine Uhr. "Sonnenaufgang, drei vor sechs. Noch sechs Stunden, bis die Verstärkung von der Abe eintrifft. Und nochmal höchstens weitere sechs, bis die Untersuchungskommission ankommt. Bis dahin müssen wir hier für Ruhe sorgen."
"Eines noch, Jason", sagte Axel stirnrunzelnd. "Ihnen wurde schon von Männern Sex angeboten, und die haben Sie geküsst?"
"Ja, sicher. Ein Mannsbild wie ich wirkt ja eben nicht nur auf Frauen anziehend, oder?"
"Haben Sie bei der Army nicht die No fags-Regel?"
"Erstens sind wir Army Ranger. Zweitens ist es mir egal, ob meine Leute schwul oder hetero sind, solange sie ihren Job machen. Und drittens kann sich auch mal ein Mann zu einem anderen Mann hingezogen fühlen, ohne gleich schwul zu werden. Oder hat Sie noch nie ein Mann geküsst, Axel Herwig?"
"Doch, doch", räumte er ein. "Auf die Wange und so. Aber ich staune über Ihre progressive Einstellung, Jason."
"Wie ich schon sagte, ich hätte eine hohe Fluktuation, würde ich mir sowas zu Herzen gehen lassen", erwiderte der Offizier grinsend. "Gerade wir Army Ranger stehen sehr oft unter hohem Druck. Da darf man nicht jedes Wort und jede Tat auf die Goldwaage legen, wenn man die Leute nicht enttäuschen oder bloßstellen will." Sein Grinsen verblasste. "Und so oft kommt es nun auch wieder nicht vor. Dass Sie mir das nicht in den falschen Hals kriegen, Axel. Und das bleibt auch in der Einheit."
"Oh, keine Sorge. Ich freue mich zu sehr über Sie und Ihre Leute. Da werde ich doch nicht herumgehen und Sie zu blamieren versuchen. Abgesehen davon, dass das bei meinen Leuten ohnehin nicht möglich wäre."
"Und kein Wort zu ZNN. Die würden aus dieser Mücke einen Elefanten machen, und das wäre ein gefundenes Fressen für die Konservativen, und dann hätten es die, die tatsächlich schwul oder lesbisch sind, in unserer Einheit richtig schwer", mahnte der Captain.
"Eines Tages werden Sie so etwas nicht mehr totschweigen müssen. Und ein Küsschen von einem Mann auf die Wange wird auch nicht gleich als Homosexualität ausgelegt werden", erwiderte Axel. "Irgendwann."
"Ja, in zwei bis drei Jahrhunderten, wenn wir das erste Mal einen schwulen Präsidenten haben werden", sagte Scott ironisch. "Ich kenne meine Landsleute etwas zu gut, Axel."
"Kürzen Sie die Null raus, Jason. Manchmal dreht sich die Erde schneller als Sie denken." Er trank seinen Kaffee aus. "Sehr viel schneller, als Sie denken."
"Ihr Wort ins Ohr des Präsidenten", murmelte Scott und schüttete den kalt gewordenen Rest seines Kaffees ins Ufergras. "Wann, sagten Sie, kommt Ihre Küche?"
***
Keiner der sechs Männer im Raum hätte jemals von sich gesagt, Teil einer Verschwörung zu sein. Nein, Verschwörer waren Heimlichtuer, die sich im Dunkeln trafen, in einsamen Häusern, verborgen, unerkannt, und böse Dinge betrieben. Verrat, Mord, Heuchelei. Aber sie? Niemals. Ihr Treffpunkt war ein lichtdurchflutetes Penthouse in einem Wolkenkratzer in New York, und all ihr Handeln galt einzig und allein dem Wohl der Dividende ihrer Aktionäre. Dennoch was das, was sie taten, beschlossen, befahlen, geheim. Dass sie sich mitten in der Nacht trafen, war ausschließlich den Umständen geschuldet.
"Also", sagte der graumelierte Mann mit Halbglatze, der den Vorsitz übernommen hatte, "was sagt Mr. Red über die Situation in Ndongo?"
Der Mann links von ihm, ein großer schwarzhaariger Bursche mit vollem Haar und dem Gesicht des Berufs-Asketen, verteilte per Daumendruck von seinem Handheld PC eine Datei an die anderen fünf Handheld im Raum. "Es sieht gut aus, und auch wieder schlecht aus. Zuallererst die gute Nachricht: Weder die Ölförderung, noch die Raffinierung ist gefährdet. Das Benzin kommt noch immer mit dem üblichen Arbeitsdruck der Pipeline in unseren Großtanks an der Küste an. Bestenfalls mittelfristig müssen wir uns Sorgen machen. Keounda Citys Westen ist erobert und wird von den Army Rangern und diesen vermaledeiten Deutschen gehalten. Alle Versuche des Riki, auf dem Westufer des Lagabanda wieder Fuß zu fassen, sind gescheitert. Ich schlage vor, wir stellen ihm weiteres Material im großen Maßstab zur Verfügung. Eventuell sollten wir auch ein paar unserer Arbeitskontakte in der Region aktivieren, um den Riki und seine Leute zu unterstützen."
Der Mann ganz rechts, dritter in der Sitzreihe, ein untersetzter älterer Herr mit weißgoldenem Mecki-Schnitt, rieb sich den Schädel vom Schweiß trocken. "Wer ist denn wahnsinnig genug, mit diesen Verrückten zu arbeiten? Monster sind es, definitiv Monster! Wir sollten sie im Namen Gottes endlich von dieser Welt tilgen und damit ein ihm gefälliges Werk tun!"
"Dass wir es mit Verrückten zu tun haben", sagte der Asket, "steht vollkommen außer Zweifel. Aber es sind nützliche Verrückte, die uns einen außerordentlichen Profit einbringen. Wenn wir genug bezahlen, werden sich sicher genügend Leute finden lassen, die bereit sind, Keounda City zurückzuerobern."
"Und dabei sind sie ständig in Gefahr, dass der Riki ihnen ihre Schwänze abschneidet, hä?", spottete der Mecki.
"Selbst der Riki ist vernünftig genug zu wissen, dass er bei sechzig Prozent Verlusten unter seinen Leuten Hilfe annehmen muss. Außerdem kann es nur in unserem Sinne sein, wenn wir nicht alle Söldner bezahlen müssen."
Der Tischführer auf der linken Seite, ein grauhaariges dürres Männchen mit vollem Schopf, zu einem nichtssagenden Business-Schnitt gestümpert, sah unsicher hin und her. "Wenn ich dazu etwas sagen dürfte... Das Hauptproblem ist doch gar nicht mehr Keounda City. Vor zwanzig Jahren, da war die Hauptstadt ein Problem. Hätten sie ihre Rezession vollzogen, hätten wir womöglich auf Jahre nicht die Hand auf das Erdöl in der Region legen können. Auf Jahre. Die Hauptstadt lahmzulegen und die Bevölkerung zu terrorisieren hat uns zwanzig Jahre Ruhe beschert. Das Schüren von Rassendünkeln und das Verhindern von jedwelcher Hilfeleistung hat den Wiederaufbau von internen Strukturen unterbunden. Jetzt aber gibt es etwas, was sie einen könnte, und das sind diese verdammten Herwigs mit ihrer Diamantenmine, die zehntausende Tonnen Hilfsgüter ins Land schaffen und die Minen auf den Weiden räumen lassen. Was wir überhaupt nicht brauchen, dass ist, wenn diese dämlichen Neger ein gutes Beispiel dafür kriegen, dass sie miteinander auskommen können, wenn sie nur wollen. Zum Beispiel wenn sie friedlich vor dem Lazarett auf ihre Behandlung warten. Entschuldigen Sie meine Wortwahl", sagte er zum Mann in der Mitte der Dreierrunde. Der Mann hatte eine Milchkaffeefarbene Haut und war das, was man trotz seiner weißen Mutter als Afroamerikaner bezeichnete. "Ist schon gut. Mir ist klar, dass Sie diese Hillbillies nicht mit einem Mann mit Doktortitel von Havard in einen Topf werfen wollten."
"Was also schlagen Sie vor?", fragte der Vorsitzende den Hageren. "Sie haben sich doch dazu Gedanken gemacht, oder?"
"Keounda City mit Söldnern zu verstärken ist eine tolle Idee. Zwei Schlachtfelder in der Region teilen die Kräfte der Mine auf, sobald die Ranger beschäftigt sind. Aber wir sollten auch versuchen, das Problem bei der Wurzel zu packen. Wir sollten die Mine übernehmen. Und mit wir meine ich Mr. Red. Bedenken wir, wie viele neuzertifizierte Diamanten aus Belongo frisch gehandelt werden, wie viel Profit mit ihnen erzielt wird, vor allem mit den ungewöhnlich vielen rosa Fancies, und wieviel wir an dem Geschäft verdienen werden. Da wir keine dummen Hilfsgüter für die Bevölkerung kaufen müssen, wird der Profit enorm sein."
"Und Sie denken", meldete sich der Asket zu Wort, "nur weil Ndongo bereits zwei Diamantenminen hat, werden sie nichts dagegen unternehmen, dass wir uns nun auch noch diese äußerst lukrative Diamantenmine unter den Nagel reißen? Wachen Sie doch auf. So viele Menschen können wir gar nicht bestechen! Eine Pipeline ist eine nicht einordnenbare Größe, aber ein Fluss aus Diamanten, das ist was Reelles. Dann dauert es nicht lange, bis jemand gierig wird."
"Was ist, wenn es diese Jemands bald nicht mehr gibt?"
Der Vorsitzende beugte sich vor. "Spielen Sie auf den Angriff auf die Army Ranger mit Napalm an?"
"Eine unglückliche Überreaktion von Mr. Red, fürchte ich, mit der er den armen Mr. Riki unterstützen wollte. Die ist nun aber vollkommen nach hinten losgegangen. So könnte man annehmen, aber... Ein altes chinesisches Sprichwort lautet, dass eine Katastrophe auch immer eine Chance ist, und ich habe eine Idee, wie wir das Beste daraus machen können."
Der Asket hob eine Augenbraue. "Sie haben meine volle Aufmerksamkeit."
"Nun, es ist doch so. Die Army Ranger sind ins Land gekommen, um die entführten Ärzte ohne Angst zu befreien. Eine Entführung, die, wie ich anmerken möchte, eine Gruppe unserer Lohnleute in der Region ausgeführt hat, weil diese Abordnung Belongo viel zu nahe gekommen ist. Mr. Red hat sich darum gekümmert. Und hätte es funktioniert, hätte jede verdammte Hilfsorganisation einen fünhundert Meilen großen Bogen um Belongo geschlagen. Auf jeden Fall hat die Regierung die Ranger unterstützt. Dann, bei der Schlacht um Keounda City jedoch, hat die Ndongoische Luftwaffe unsere Soldaten mit Napalm bombardiert. Wieder eine Aktion von Mr. Red. Das schreit natürlich nach Rache. Nicht an Mr. Red. Der Mann ist nützlich und muss uns noch die Mine besorgen. Aber denken Sie, die US Army gibt sich mit ein paar Bauernopfern zufrieden? Was ist, wenn sie den Kopf des Präsidenten wollen?"
"Bah! Niemand will den Kopf des Präsidenten! Der Anführer der Streitkräfte, der Verteidigungsminister, darauf wird es hinauflaufen!", sagte der Vorsitzende barsch.
"Nein, wird es nicht", sagte der Schmale. "Alle Hinweise werden darauf hindeuten, dass der Präsident persönlich den Befehl gegeben hat, die Army Ranger zu bombardieren, angeblich um sie zusammen mit den Männern des Riki zu erwischen. Angedacht war ein tagelanges Bombardement, das ganz Keounda City und die kämpfenden Parteien dort ausradieren sollte, damit endlich Ruhe in Belongo herrscht. Die Army Ranger sollten dabei den Gegner im Kampfgebiet binden. Der Angriff auf ihre Landezone erfolgte peinlicherweise zu früh. Oder man glaubte, es wären bereits Kämpfer des Riki vor Ort."
"Interessante Idee. Aber Ihnen ist schon klar, dass alles, was laufen und schießen kann, eingesetzt werden wird, um den Präsidenten und seinen Clan zu verteidigen? Von seinem Stamm einmal ganz abgesehen, der den Großteil der republikanischen Elitegarde stellt?", fragte der Asket.
Der Afroamerikaner hob eine Hand. "Eine Trägergruppe ist auf dem Weg nach Ndongo, oder? Der Träger, die Abraham Lincoln, wird vor der Küste kreuzen. Ihre Jäger werden den Luftraum über Ndongo beherrschen, und ihre Marines sowohl in der US-Botschaft in der Hauptstadt, als auch in Keounda City eingesetzt werden. Eine solche Bedrohung müsste jeden halbwegs vernünftigen Politiker davon überzeugen, den Präsidenten auszuliefern, Clan hin, Clan her. Aber dann wäre der schöne Krieg vorbei, den Sie planen", sagte er zu dem Hageren.
"Richtig. Ein Krieg, der das bisherige System hinwegfegen wird. Ein Krieg, der es uns erlaubt, endlich eine Regierung über Ndongo zu stellen, die wirklich für uns arbeitet, anstatt arrogant nur beide Augen zudrückt, und nebenbei groß die Hände für ihr Schmiergeld aufhält. Ein Krieg, mit dem wir außerdem unsere Konkurrenten in der Region ein für allemal daran hindern können, in unser Interessengebiet zu kommen. Und als Preis winken außerdem noch beide Diamantenminen Ndongos, ihre Kupferminen, die Zinngruben und nicht zu vergessen das Geschäft mit Tropenholz. Und wenn ich an die Fischfanglizenzen für die fischreichen Gewässer vor dem Land denke..."
"Das ist Kolonialismus", warf der letzte Mann am Tisch ein. "Kolonialismus der übelsten Sorte. Das können wir den Bürgern nie verkaufen."
"Sie wissen schon, dass die Hilfe für jemanden, der für ein Zelt schon dankbar ist, nicht so teuer ist, wie der Wiederaufbau einer ganzen Stadt? Wenn das Land erst einmal kleingebombt ist - natürlich abgesehen von den industriell wichtigen Anlagen - werden wir uns schnell als örtlich involviertes Unternehmen einen Namen für unsere Hilfeleistung machen. Wir können sogar zu Spenden aufrufen und in die eigene Tasche stecken. Schauen Sie sich die Erdbebeninsel in der Karibik an. Vor zwei Jahren wurden ganze Landstriche zerstört, Städte ausradiert, Milliarden sind geflossen, und nichts passiert. Nach einer kurzen Welle der Aufmerksamkeit hat man sie einfach vergessen."
"Soweit, so gut", sagte der Afroamerikaner, "aber wie wollen Sie das Land so nachhaltig vernichten? Wie wollen Sie für uns die Tür öffnen?"
Der Schmächtige räusperte sich. "Der Präsident wird einen Alleingang machen, kaum das er weiß, dass es ihm selbst an den Kragen geht. Wir werden ihm unmissverständlich klarmachen, dass ihm vor einem US-Gericht nur die Anklage wegen Mordes und damit der elektrische Stuhl winkt. Dass er aber gute Chancen hat, diesen Sturm zu überstehen, wenn es ihm gelingt, die Trägergruppe vor seiner Küste zu vertreiben. Oder gar... Zu versenken. Zumindest einige der Schiffe."
Der Asket zog nun auch die zweite Braue hoch. "Ndongo hat keine nennenswerte Marine. Und bei Schnellbootattacken ist selbt die Navy schlauer geworden."
"Ja, bei Schnellbootattacken. Aber wie sieht es mit Raketenangriffen aus? Die Russen haben doch diese schnucklige Rakete namens Sizzler entwickelt. SS-N-27 Sizzler, um genau zu sein. Die kann von so ziemlich jeder Abschussplattform gestartet werden und stellt eine böse Überraschung für alles dar, worauf sie abgefeuert wird. Zum Beispiel aus Normcontainern für die Schifffahrt. Wie überraschend muss es für einen Trägerverband sein, wenn aus nächster Nähe zwanzig oder mehr dieser Raketen auf sie abgefeuert werden? Und was wird dann wohl passieren?"
Der Schwitzende wischte sich erneut mit einem Tuch über die Stirn. "Die Navy wird das Land in die Steinzeit bomben, und der Präsident wird ein oder zwei amphibische Divisionen schicken, um es zu erobern. Binnen von zwei Wochen gehört das Land den USA."
"Und damit hätten wir genau das Ziel erreicht, das wir heute anstreben."
"Abgesehen davon, dass dabei schon wieder US-Soldaten sterben werden, wogegen ich protestiere", sagte der Asket, "fehlen in Ihrem Szenario ein Schiff, Container und Sizzler-Raketen in der Nähe der Abe."
"Fehlen sie nicht", sagte der Schmächtige. "Ein Schiff mit den entsprechenden Containern an Bord liegt derweil in einem ndongoischen Hafen. Abschussbereit, wohlgemerkt. Ursprünglich sollten die Raketen nach Argentinien gehen. Die wollten sich etwas aufrüsten, falls sie genügend Mumm finden, um noch mal um die Malwinen zu kämpfen. Aber bei ihnen ist es nicht so eilig. Wir aber hätten eine perfekte Gelegenheit, um... Zum Wohle der Menschen in Ndongo die Diktatur zu stürzen und ein besseres System einzuführen, dass das Land in einen gewissen Wohlstand und in den Frieden führt."
"Und dass US-Soldaten dabei sterben, ist Ihnen egal?", tadelte der Asket.
"Nun, dafür sind sie da. Dafür waren sie doch schon immer da." Der Schmächtige zuckte mit den Schultern. "Und außerdem leeren wir damit auch unsere Slums ein wenig, was der ganzen Gesellschaft gut tun wird."
"Dennoch!", beharrte der Asket. "Ich habe nicht in zwei Golfkriegen gekämpft, nur um..."
"Wir nehmen die Idee an!", sagte der Vorsitzende barsch. Er nickte dem Schmächtigen zu. "Leiten Sie alles in die Wege, um die Abraham Lincoln böse zu überraschen. Und weisen Sie Mr. Red an, sich um Keounda City und um die Mine zu kümmern. Zusätzliches Geld wird bereitgestellt." Sein Blick ging zum Asketen. "Und was die Soldaten angeht, so habe ich noch keinen G.I. der USA getroffen, der nicht bereitwillig sein Leben für sein Land gegeben hätte."
Die anderen Männer lachten, während der Asket ihn mit steinerner Miene ansah. "Ich protestiere."
"Tun Sie das. Aber tun Sie auch das Beste für die Firma. Gentlemen, es gilt, einen Krieg auszulösen. Einen Krieg, der Hitlers Blitzkriege wie einen russischen Zehnjahresplan aussehen lassen wird. Roxxon macht Politik."
***
Meike schreckte hoch, als irgendwo in der Nähe ein Hahn schrie. Sie hatte auf einem Stuhl geschlafen, den Kopf auf den Schlachttisch gelegt, der ihr als Operationstisch gedient hatte, jemand hatte eine Decke über ihre Schultern gelegt. Wann genau war sie eingeschlafen? Und wer hatte sich so rührend um sie gekümmert? Sie blinzelte verschlafen. Wo war sie überhaupt? Ach ja, Ldungas Farm. Ihr Blick ging zum Fenster. Dort wurde es, wie für Afrika üblich, recht schnell hell. Also war es relativ früh am Morgen. Irgendwas um sechs. Sie fragte sich, wie die Nacht in Keounda City verlaufen war. Sie fragte sich, wie es Niklas ergangen war. Denn trotz der ganzen Zeit, und trotz seiner Stupidität, die sie immer zur Weißglut gereizt hatte, fühlte sie doch noch etwas für ihn, und das war nicht gerade wenig. Um Axel machte sie sich weniger Sorgen. Der konnte auf sich aufpassen und hielt sich aus dem gröbsten Ärger heraus. Diesen Eindruck hatte er jedenfalls auf sie gemacht, gestern Abend, als er mit Captain Scott rübergekommen war, um den Steckschuss im Bein des Rangers behandeln zu lassen. Meike hatte dann auch gleich darauf bestanden, den Anführer der Belongo Mining zu untersuchen. Auf versteckte Verletzungen, Kratzer, die in diesem Klima schnell zu Blutvergiftungen führen konnten, auf Brüche und Anbrüche, die er sich beim Absturz der Mi-24 zugezogen haben konnte, auf angebrochene Rippen. Also alles das, was sie ohne Röntgengerät oder gar Kernspintomographen hatte leisten können. Der Junge war zwar grün und blau gewesen, bestand eigentlich nur noch aus einem großen Stück misshandelter Haut, aber soweit sie das hatte erkennen können, war er noch aus einem Stück. Was nicht nur sie, sondern auch Ldunga zufriedengestellt hatte, denn für ihn stand der junge Deutsche für das Bündnis zwischen ihm und der Minengesellschaft. Sein Leben war ein Garant dafür, dass das Missverständnis, das einigen seiner Leute das Leben gekostet hatte, bald vergessen werden würde, und dass sie tatsächlich als Partner handeln konnten. Unabhängig davon, von welchem Volk Ldunga war. Meike war sich sehr sicher, dass er, wenn es seinem Volk gut ging, nichts dagegen hatte, dass es zum Beispiel den Wagondas auch gut ging.
Gemeinsam hatten sie auf Axel und Scott eingeredet, auf der Farm zu bleiben oder zur Mine weiterzufliegen, anstatt in die Stadt zurückzukehren, aber der eine hatte seine Pflicht zu erfüllen, und der andere war einfach nur ein gewaltiger Sturkopf, der ihr bei seiner Parade auch noch in die Augen gesehen hatte, ohne einmal zu zwinkern. Verdammt, Axel, sturer Hund! Sie hatte sich doch nur Sorgen um ihn gemacht! Und um Niklas, und um Hannes, und... Ach, das brachte doch alles nichts.
"Wieder wach?", klang eine Frauenstimme neben ihr auf. Meike blinzelte, sah zur Seite. Dort lag Michelle, die Tochter des Warlords, eingerollt in eine Decke auf dem blanken Boden. Sie hatten gestern gemeinsam die verletzten Ranger und Speere versorgt, die nach und nach vorbei gekommen waren. Die Zahl toter Ranger war im Zuge dessen übrigens auf zwanzig gestiegen; man hatte zwei weitere Leichen gefunden. "Ja, wieder wach. Warum bist du noch hier, Mädchen?"
"Ich dachte mir, ich bleibe in der Nähe, falls du mich brauchst, Meike", erwiderte sie. "In der Nacht hätte einiges passieren können, oder?" Sie nickte in Richtung Tür. "Deine beiden Sanis sind draußen und schlafen. Wir hatten ab zwei nicht mehr wirklich viel zu tun. Und als du eingeschlafen bist, habe ich die Männer rausgejagt." Ihr Blick war spöttisch. "Du hast doch nicht schon ausgeschlafen, oder?"
"Nein, nicht wirklich. Ich wäre für einen Kaffee dankbar."
"Ich lasse uns welchen bringen. Die Ranger machen einen ziemlich guten." Sie wickelte sich aus ihrer Decke. Die Tochter Ldungas hatte in der Kleidung geschlafen, in der sie den späten Nachmittag, den Abend und die Nacht hindurch gearbeitet hatte. Sie trat vor die Tür und gab einem Mann, der vor der Tür Wache schob, auf Französisch eine Anweisung. Der Mann nickte und rief einen anderen herbei, der im Gras saß und mit mindestens zwanzig weiteren Männern etwas trank. Er sprang auf und eilte davon, als hinge sein Leben davon ab.
"Nanu", machte Meike.
"Deine Leibwache", erklärte Michelle Abesimi. "Obwohl dich jeder Speer mindestens als Medizinerin verehrt, und die Abergläubischen unter ihnen dich für eine große Zauberin halten, haben sie eine Wache gegründet, die dich beschützen soll. Im Moment sorgen sie dafür, dass du nicht das Objekt von zu großer Verehrung wirst."
"Oh. Männer."
"Ja, Männer. Ich hoffe, du hast nichts gegen schwarze Männer. Ich meine, in Beziehungen und so."
"Weiß nicht. Ich habe mich noch in keinen verliebt. Ein Japaner war mal dabei, aber das ging schnell auseinander, als er merkte, das ich jedes Wort verstand, das er sagte. Ein kleines Arschloch."
"Und wie sieht es jetzt aus?"
"Sagen wir, ich bin für alles offen. Aber es gibt da jemanden, der... Nun."
Der Mann kam zurückgelaufen, zwei große Becher und eine Thermoskanne in der Hand, die mit Stars&Stripes beklebt war. Eindeutig von den Rangern.
Er durfte den Operationsraum betreten und reichte Michelle die drei Objekte. Dabei warf er Meike bewundernde Blicke zu, bevor er es wagte, Michelle etwas in einem der Dialekte zu fragen.
Die junge Frau lachte leise. "Er will wissen, ob du in Belongo bleiben wirst, wenigstens für einige Zeit."
Das verblüffte die junge Frau. "Eine Zeitlang sicherlich."
Michelle übersetzte und komplimentierte den Mann wieder raus. Hinter ihm schloss sie die Tür. Anschließend schenkte sie sich und der Deutschen ein. "Trinken wir den Kaffee zum Wachwerden und gehen wir dann ins Haus, etwas frühstücken. Ich würde ungern hier drin essen wollen."
Meike nickte. "Die Männer sollen den Raum und den Tisch tüchtig durchschrubben und desinfizieren, wenn wir weg sind. Heute Nacht hat man uns keine Verletzten gebracht, aber das kann heute im Lauf des Tages noch werden. Ist denn gar nichts passiert?"
"Oh doch, in der Stadt war die Hölle los. Ein Dutzend Schiffe hat Keounda City passiert, was eine enorm hohe Zahl ist. Und die Verrückten haben versucht, mit ihrem Schwimmpanzer über den Fluss zu kommen. Euer Boxie hat sie getötet. Der Fluss wurde rot von ihrem Blut, und ihre zerschlagenen Leichen trieben stromabwärts. Überall, wo man die Leichen hat treiben sehen, wurden Freudengesänge angestimmt. Die Lulugengo entlang beider Flussseiten sind in heller Aufregung und feiern das baldige Ende der Monster, die in der Stadt hausen. Makaber?"
"Nicht so makaber, wie sich getrocknete Körperteile als Schmuck um den Hals zu hängen. War noch etwas los, außer das wir Verstärkung erhalten haben?"
"Falls du die Army Ranger meinst, die auf dem Weg zur Mine sind, die dürften jetzt jede Minute ankommen. Hättet Ihr die versprochenen Straßen bereits gebaut, wären sie vermutlich um Mitternacht schon dagewesen."
"Immerhin geht es voran." Meike trank einen großen Schluck Kaffee. "Ja, die Amis wissen wie man Kaffee kocht. Eure Leute trinken Tee?"
"Ja. Wir Lulugengo sind eigentlich Teetrinker. Ich habe mir den Kaffee angewöhnt, als ich studiert habe und den Offizierslehrgang belegt hatte." Sie trank ebenfalls aus ihrem Becher. "Man wird süchtig nach diesem Zeug."
"Ja, leider. Aber ihm verdanke ich es, dass ich mein Studium geschafft habe." Meike seufzte und trank die Tasse leer. "Gehen wir frühstücken. Wir nützen niemandem was, wenn es hier Arbeit gibt, und wir vor Hunger fast umfallen."
"Einverstanden."
Ja, Völkerverständigung konnte sehr einfach sein, wenn alle was zu essen bekamen. Meike beschloss, diese Lektion zu beherzigen.
***
"Boxie? Sind Sie wach?"
"Jetzt schon", brummte der Hubschrauberpilot. "Was gibt es denn, Heinlein?"
"Woher wissen Sie, das ich es bin?", fragte sie überrascht.
"Ich merke mir alle potentiellen Diebe meiner Meerschweinchen, merken Sie sich das."
Die blonde Frau hob abwehrend beide Arme. "Oh, ich habe bestimmt nicht vor, Ihnen Ihre Meerschweinchen zu stehlen! Ich meine, sie sind bestimmt ganz lieb und knuffig. Ich hatte früher auch einen Zwerghasen. Aber ich will sie ganz bestimmt nicht!"
"Ruhig, Goldie, ich nehme Sie ja nur hoch." Boxie streckte sich auf seinem Pilotensitz ein wenig, bis irgendetwas knackte, was garantiert nicht knacken durfte. "Oh. Mist." Er kletterte aus dem Sitz und sprang zu Boden. "Ist das da Kaffee in Ihrer Hand, Heinlein?"
"Ja, Sir. Der Chef hat mir geraten, Ihnen einen mitzubringen, wenn ich was von Ihnen will."
"Na, dann mal her mit dem Zeug. Ich hatte eine scheiß lange Nacht."
Sie reichte ihm den Kaffeebecher. "Hier, bitte."
"Und was führt Sie nun zu mir?"
"Sir, ich wollte Sie fragen, ob ich Ihr Stellvertreter werden kann. Also für die Fliegerstaffel."
Hatte Boxie bis eben noch verschlafen ausgesehen, so wurde sein Blick nun hellwach. "Stellvertreter?"
"Ja, Sir."
"Und Sie meinen, Sie haben das Zeug dazu?"
Für einen Moment wirkte die blonde Pilotin unsicher. "Nun, ich habe meine Probleme, zugegeben, aber ich arbeite sehr hart an ihnen. Zum Beispiel wurde gerade auf mich geschossen, ich hatte eine Kugel im Helm, und ich habe mich nicht eingepinkelt und auch nicht verkrochen. Ich wachse mit meinen Aufgaben."
"Sagen Sie nicht sowas wie einpinkeln. Erstens glaube ich das von Ihnen nicht, und zweitens sind wir in einer Situation, in der es auch dem Tapfersten unter uns passieren kann. Wir sind hier permanent vom Tod bedroht. Und ich glaube, das bleibt auch noch einige Zeit so."
"Ja, Sir. Entschuldigung."
"Das brauchen Sie nicht. Wirklich. Was Ihre Frage angeht, nun, bisher waren wir drei Piloten und drei Co-Piloten für vier Maschinen, von denen immer eine in der Wartung war. Ich bin der Boss, und ansonsten haben wir bei diskussionsfähigen Entscheidungen ein Komitee gebildet. Das hat ganz gut funktioniert."
"Verstehe, Sir."
"Aber da wir ja nun sechs Piloten und sechs Co-Piloten haben werden, der siebte kommt irgendwann heute an und bringt uns unseren neunten Vogel mit, wird es wohl langsam Zeit, das wir ein wenig Strukturen bilden. Jorge wird ja wohl ohnehin eine Zeitlang im Lazarett bleiben, wenn er nicht nach Deutschland zurückwill, also kann der schon mal nicht meckern. Ich bin einverstanden."
"Sir, natürlich respektiere ich Ihre Entscheidung, aber ich würde gerne die Chance haben, meine Vorzüge darzulegen."
"Nicht nötig. Ich sagte es doch. Ich bin einverstanden."
"Was?", fragte sie ungläubig.
"Ja, doch. Ab heute sind Sie die Stellvertretende Leiterin unserer Luftschwadron. Und glauben Sie mir, die wird noch gewaltig wachsen. Bernd kauft gerade eine TransAll und sucht die Piloten für sie. Außerdem lässt er eine Landepiste errichten, auf der eine Antonov Platz finden würde. Sind Sie sich sicher, dass Sie sich die Arbeit aufhalsen wollen? Am XO bleibt meistens der Papierkrieg hängen, und so."
Heinlein strahlte den Hauptmann an. "Im Papierkram bin ich gut, Sir! Ich halte Ihnen schon den Rücken frei!"
"Boxie. Bleiben wir bei Boxie. Ich habe mich so an den Namen gewöhnt. Und er steht für Tapferkeit, Wagemut, Ausdauer und innere Ruhe." Irritiert stellte Boxie fest, dass die Frau ihm förmlich an den Lippen hing.
"Kann ich nachvollziehen. Ich habe das Video von der Landung an der Mine gesehen und den Funk gehört. Perfekte Mission, Sir. Äh, Boxie."
"So perfekt nun auch wieder nicht." Er kratzte sich nachdenklich am Schopf. "War es das also?"
"Im Prinzip schon. Aber wenn ich Ihnen auf unorthodoxe Weise danken dürfte, Boxie..."
"Ich mag unorthodoxe Sachen."
Heinlein trat an ihn heran und stellte sich auf die Zehenspitzen. Dabei drückte sie ihm einen Kuss auf die Wange.
"Was denn? Für eine Beförderung kriegt man ein Küsschen? Hätten Sie das mal gleich gesagt."
"Na, da warten Sie erstmal ab, was es dafür gibt, wenn man mir das Leben rettet. Herr Herwig hat mir seinen Helm geliehen, bevor ich hinterrücks angeschossen wurde. Dafür hat er einen auf die Lippen gekriegt", erklärte sie mit einem strahlenden Lächeln.
"Das ist in Ordnung. Auf jeden Fall weiß ich jetzt, warum Sie aus der Bundeswehr geflogen sind."
"Oh. Das war es nicht. Nicht nur. Mögen Sie es nicht?"
"Nein, ich mag Küsse sehr gerne. Auch solche Dankeschön-Küsschen. Sehen Sie nur einfach zu, dass Sie nicht aus Versehen jemandem das Herz brechen. Axel zum Beispiel. Der Arme ist ja so ausgehungert, was Liebe angeht, da... Brechen Sie einfach niemandem das Herz."
"Ja, das kommt der Wahrheit schon näher. Ich werde mir Mühe geben, mich etwas zurückzuhalten."
"Gut. Dann sollten wir jetzt Ihre Beförderung feiern. Schnorren wir bei den Amis doch irgendwas zu frühstücken. Ich vermisse die Kantine von Herrn Worms, und kein deutsches EPA kann da mithalten."
"Private Oslovski, von dem ich den Kaffee habe, hat schon sowas angedeutet."
"Dann sollten wir den guten Mann beim Wort nehmen", sagte Boxie schmunzelnd. Verstohlen griff er sich an die Wange. Das mit dem keine Herzen brechen hatte er vielleicht einen kleinen Tick zu spät gesagt. Verdammt, die Frau war genau sein Typ. Und die Situation war sowas von nicht dazu geeignet, sich zu verlieben oder eine Beziehung zu knüpfen. Oder beides. Aber wann war sie das schon? "Gehen wir, Heinlein."
"Grete." "Was?" "Wenn ich Sie Boxie rufen darf, dürfen Sie mich beim Vornamen nennen." Sie lächelte ihn erwartungsvoll an.
"Also gut: Grete." Boxie ahnte, dass er in ihr nicht gerade eine Verbündete darin hatte, sich nicht in sie zu verlieben. Und in ihrer unbedarften Art würde sie wahrscheinlich nicht einmal merken, dass... Gequält seufzte er auf. Egal, so war sein Leben nun mal. Einmal mehr scheitern würde ihn auch nicht umbringen. "Gehen wir, Grete."
"Gerne, Boxie."
***
Kaum hatten sich die Rotoren der Mi-24WM ausgedreht, kamen die Techniker der First Belongo Diamond Mining Company herüber, um dem Piloten und seinem Lademeister beim Ausladen zu helfen. In einer Entfernung stand ein junger Mann mit gepflegtem Kurzhaarschnitt und sah zu ihnen herüber.
Der Lademeister, ein blonder Mittvierziger, raunte dem Piloten etwas zu. Es klang russisch.
Der Pilot lachte in seinen schwarzen Vollbart, der aber sorgsam gestutzt war. Soweit konnte die Welt gar nicht untergehen, dass er vergaß sich selbst ein Minimum an Pflege zu gönnen. "Es ist wohl etwas spät, um Bedenken zu entwickeln, Ljoscha. Außerdem vertraue ich Bernd."
"Genauso wie unserem letzten Auftraggeber?", fragte der Russe sarkastisch in akzentlastigem Deutsch.
"Ich weiß gar nicht was du hast. Wir haben doch eine prächtige Entlohnung für unsere Dienste bekommen, oder etwa nicht?" Er tätschelte den Bauch des Kampfhubschraubers. Okay, hier und da gab es Einschusslöcher, ein paar Panzerplatten waren lose, und eine der beiden Turbinen brauchte dringend Wartung. Aber alles in allem war sie gut in Schuss dafür, dass sie keinen russischen Techniker gesehen hatte, seit sie nach Afrika verschachert worden war. "Und nur zu deiner Information, Bernd vertraue ich wie einem Bruder."
"Und warum haben wir den Auftrag nicht gleich angenommen, Herr Leutnant?"
"Weil ich meine Verpflichtungen ernst nehme. Desertiert wird erst, wenn die Vertragspartner ihren Teil nicht einhalten. Rate mal, warum ich so einen guten Ruf habe."
"Ja, man kennt dich", frozzelte der Russe. Mit angenehmer Stimme wies er die Techniker auf Material hin, das ausgeladen werden musste und zeigte die gröbsten Schäden auf, die sie reparieren mussten.
"Erstmal zum Boss", sagte der Pilot und gab Ljoscha einen Wink, ihm zu folgen. Je näher sie dem einsam dastehenden Mann kamen, desto deutlicher erkannte er, dass der junge Mann in Wirklichkeit wesentlich älter war. Aber erst als sie einander gegenüberstanden, wagte er es, ihn auf Ende fünfzig oder Anfang sechzig zu schätzen.
Probeweise salutierte er vor dem großen schlanken Mann. "Guten Morgen. Michael Möller, dreiundvierzig, ehemals Leutnant der Hubschrauberwaffe der NVA, stehe zu Ihren Diensten. Das hier ist Alexej Wladimirowitsch Kusnezow, der beste Hubschraubermechaniker, den Sie in Afrika finden können."
"Freut mich, meine Herren. Professor Thomas Herryhaus, Stützpunktkommandeur der Belongo Mining Company von Honiton City." Der Professor reichte beiden die Hand. "Freut mich, dass Sie schon da sind. Letzte Nacht wäre aber noch besser gewesen, aber davon später mehr. Ihr Vogel scheint gut in Schuss zu sein."
Ljoscha und Michael wandten wie auf Kommando den Kopf nach hinten. "Na ja, geht so. Die Teile waren knapp. Aber mein Alexej ist ein Zauberer vor dem Herrn."
"Fünfundzwanig!", rief einer der Techniker nach einer ersten Inspektion zu Herryhaus herüber.
"Fünfundzwanzig was?", fragte Möller argwöhnisch.
"Er meint, Ihre Maschine ist fünfundzwanzigtausend Euro wert. Ich zahle Ihnen aber maximal zweiundzwanzigtausend."
Der Russe und der Ostdeutsche wechselten einen überraschten Blick. "Bernd sagte was von einem Bonus in Höhe von zehntausend Euro pro Nase", sagte Möller. Seine Stimme zitterte dabei leicht.
"Ja, das ist richtig. Aber das sind nur Kleinigkeiten. Alleine heute wurden der Belongo Mining Company aus den Diamantenverkäufen knapp dreihunderttausend Euro aufs Konto überwiesen. Was denken Sie, werden Sie anteilmäßig am Ende der Woche haben, wenn es so weitergeht?"
"Mehr als einundzwanzigtausend Euro pro Nase?", fragte der Russe erstaunt.
"Wesentlich mehr. Wir haben zwar einigen Ärger, aber wir machen ein Vermögen. Und ehrlich gesagt, wir können einen russischen Muttersprachler als Wartungstechniker gerade sehr gut gebrauchen. Wir kriegen heute ebenfalls noch einen weiteren Transporter rein, und ich würde mich freuen, wenn er morgen oder spätestens übermorgen weitere Hilfsgüter nach Belongo bringt. Unser Hospital dürfte sonst einen Engpass erleiden. Außerdem stehen auch noch zwei Rücktransporte von Menschen an, die wir nach Panadia haben ausfliegen lassen, um sie hier behandeln zu lassen."
Wieder wechselten die beiden einen erstaunten Blick. "Sagen Sie, Professor", begann Möller, "wie groß sind Ihre karitativen Bemühungen eigentlich?"
"Oh die Hälfte aus den Diamantenverkäufen gehen in unsere Ausrüstung und die Hilfsgüter. Das bedeutet, wir schaffen Hilfsgüter im Wert von vier Millionen Euro nach Belongo herüber.  Hilfsgüter im Wert von sechs Millionen Euro sind bestellt, weitere zehn Millionen reserviert, diesmal hauptsächlich Fertigbauhäuser und dergleichen. Wir machen ernst mit den Schulen in Belongo."
"Fertigbauhäuser?", fragte der Russe ungläubig.
"Ja. Der schnellste Weg, um die Kinder unter ein trockenes Dach zu kriegen. Mit der Transall, die nächste Woche kommen soll, bringen wir die Bauteile dann nach Belongo, und die Hubschrauber können sie untergehängt zu den Dörfern tragen, wo sie aufgebaut werden können. Solange es noch keine Straßen gibt, geht es leider nicht anders. Aber wir planen schon an einer Straße, die, wenn alles gut geht, die Diamantenmine mit Honiton City verbinden wird. Entsprechende Anträge laufen bereits hier in Panadia."
"Und das wollen Sie alles im Rest dieses Monats schaffen?", fragte Michael Möller ungläubig.
"Wenn uns genug Zeit bleibt, ja." Der Professor sah die beiden Männer ernst an und begann, sie in das Geschehen der letzten beiden Tage einzuweisen. Als er geendet hatte, fragte er: "Und? Sind Sie dabei?"
Möller nickte. "Wenn ich die Mi-24 mit dem Tandemcockpit fliegen darf."
"Und ich kann an allen Modellen arbeiten?", vergewisserte sich Kusnezow.
"Das müssen Sie sogar. Und ich gebe der Kantine den Auftrag, Borschtsch für Sie zu kochen."
"Och nö, nicht dieses alte Klischee", murrte der Mechaniker.
"Dann soll ich das lassen?"
"Nein, nein, es ist schon etwas her, dass ich gute Borschtsch gegessen habe. Ich mag nur das Klischee nicht."
"Also ist es abgemacht. Sie fliegen die 24-D mit dem zusätzlichen Sprit zur Mine raus, wenn Sie die US Marines nach Keounda City eskortiert haben, Michael..."
Möller nickte zustimmend.
"Und Sie, Ljoscha, leiten als Erstes die Wartung des Hind-E, den Sie mitgebracht haben."
"Leiten? Ich bin sicher, Sie haben ein festes Team hier, und..."
"Sie sind der Muttersprachler, der die Wartungshandbücher nicht erst übersetzen muss. Sie sind der Mann mit der Erfahrung. Wenn Sie die Verantwortung nicht übernehmen wollen, kann ich das verstehen. Aber ich möchte schon, dass Sie den Leuten mit Rat und Tat zur Seite stehen."
Möller gab dem Blonden einen kräftigen Hieb mit dem Ellenbogen in die Rippen.
"Autsch. Wenn es nur ein Team ist, ist das wohl in Ordnung."
"Gut. Gehen wir was essen, meine Herren. Es ist Frühstückszeit. Und dann helfen Sie uns dabei, ein Land zu retten." Professor Herryhaus wandte sich um und ging vorweg. Die beiden folgten ihm ohne zu zögern. Es war merkwürdig, so ein Gefühl zu haben, das vehement behauptete, diesmal auf der richtigen Seite zu sein. Und es machte froh. Auch wenn dieses Unternehmen wie schon so viele kräftig in die Tonne getreten werden würde, sie würden stolz sein auf jeden Tag, an dem sie es zumindest probiert hatten.
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