Belongo
von Ace Kaiser
Kurzbeschreibung
Eine nicht authentische und verfremdete Geschichte über eine Diamantenmine in Afrika. Recherche zu Technik und Ausrüstung sind von Stinkstiefel.
GeschichteAbenteuer / P16 / Gen
12.09.2011
23.02.2017
37
260.000
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12.09.2011
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13.
Vice Admiral Cedric Philips sah auf seine Taschenuhr. Er verfolgte den Sekundenzeiger, während er zur Zwölf unterwegs war. "Achtzehn Uhr drei. Sonnenuntergang in Keounda City", sagte er mit ernster Stimme. Er sah auf und überblickte sein Flaggbüro an Bord des atomgetriebenen Flugzeugträgers Abraham Lincoln. Vor ihm standen seine in dieser Situation wichtigsten Untergebenen: Captain Nicole Helmstad, die Kapitänin der Abraham Lincoln; Captain Rudy Hawkeye Tomlin, Chef des 17. Carrier Air Wings Deadly Sparrows, dem Bordgeschwader der Abe; Commander Rebecca Dentry, die Airboss des Trägers; Major Aaron Michael, den Anführer der Marines an Bord; und natürlich Rear Admiral Denise Forrester-Garcia, seine Stabschefin.
Die altgediente Frau sprach als Erste. "Dunkelheit ist kein Problem für die Army Ranger, Cedric."
"Außerdem haben sie Nachtsichtgeräte. Und soweit ich weiß, sind die Deutschen von der Mine auch mit Nachtsichtgeräten ausgerüstet, Sir", meldete sich Major Michael zu Wort.
"Dass ich das noch mal erleben darf. Ein Marine lobt die Ausrüstung der Army", spottete Rudy Tomlin und hatte damit die Lacher auf seiner Seite.
Philips lächelte schmallippig, bis wieder Ruhe eingekehrt war. "Unsere Aufgabe ist klar, Herrschaften. Die US Army hat sich in Keounda City festgekrallt, und diese Krallen werden nicht mehr loslassen, bis nicht der letzte Knopf, bis nicht der letzte Knochen eines US Army Rangers gefunden ist. Der Präsident hat sehr eindeutige Anweisungen dazu erlassen: Die Untersuchungen sind mit allen Kräften zu schützen, egal wie lange sie dauern. Bis wir alles wissen, was wir von diesem Kampfplatz erfahren können. In der vergangenen Stunde sind General Shatterfield und ein achtköpfiger Untersuchungsausschuß in Washington D.C. gestartet. Sie werden in rund zwanzig Stunden in Panadia landen. Sie bringen eine weitere Kompanie Ranger mit leichtem Gerät sowie eine Abteilung des CID mit."
Commander Dentry hob misstrauisch eine Augenbraue. "Es werden doch wohl keine Ermittlungen gegen Captain Scott geführt werden, Admiral?"
"Junge Dame, natürlich werden Ermittlungen gegen Scott geführt. Er hatte das Kommando, als sich Ndongo genötigt sah, auf zwei seiner Hubschrauber und auf eines seiner Platoons Napaln regnen zu lassen. Es ist der schnellste Weg, um seinen Namen reinzuwaschen, wenn er sich nichts hat zuschulden kommen lassen. Unsere Aufgabe ist es, General Shatterfield und seine Leute sowie die Ranger ins Zielgebiet zu bringen. Bis dahin aber will ich Ihre Marines in Belongo sehen, Aaron. Zwei Platoons."
Der große Schwarze nickte. "Wir bringen das Erste und das Zweite samt Ausrüstung mit drei Ospreys zuerst zum Honiton Air Field zum nachtanken, und von dort direkt nach Keounda City. Dabei erhalten wir Begleitschutz von der Belongo Mining in Form von zwei ihrer Mi-24."
Der Admiral nickte zufrieden. "Ein Glück, dass ausgerechnet dort eine Mine existiert. Und ein Glück, dass der Wachschutz dieser Mine so überaus gut bewaffnet ist."
"Diese Ironie ist mir auch schon aufgefallen, spätestens nachdem ZNN von der spektakulären Befreiungsaktion der Ärzte ohne Angst berichtet hat. Aber so wie es scheint, hat der ndongoische Minister für Bergbau ihnen nicht nur das Minengelände verpachtet, sondern ihnen eingeschärft, dass die Minengesellschaft für den Schutz ihrer Leute selbst verantwortlich ist. Und weder in Panadia, noch in Ndongo ist der Besitz von Kriegswaffen oder Kriegsgerät wirklich strafbar, Cedric." Die Stabschefin räusperte sich vernehmlich. "Ich habe es sicherheitshalber verifiziert. Die ndongoische Verfassung erlaubt tatsächlich Kriegswaffen in Privatbesitz."
"Wie praktisch für die Belongo Mining. Aber damit ist das Thema noch nicht beendet. Wenn es meine Zeit erlaubt, werde ich selbst rüberfliegen und mir ein Bild von der Lage machen. Sicher, die internationale Meinung hofiert die Herwig-Brüder für ihr Engagement und ihren Weitblick, und statt sich zu wundern was ihre Offiziere in dem fremden Land treiben, will die Bundeswehr wegen der gelungenen Kommandoaktion mit Orden um sich werfen. Aber ich wüsste schon gern, wer die Leute sind, für die anständige US-Soldaten sterben mussten. Aber das wird warten müssen, weil unser Maßnahmenkatalog damit noch nicht abgegolten ist. Aaron, Sie werden einen weiteren Osprey fertig machen und persönlich mit dem Dritten rausgehen."
"Sir, das dünnt unsere Personaldecke auf der Abe erheblich aus. Nicht, das ich glaube, dass wir Enterabwehr betreiben müssten, oder dass wir besondere polizeiliche Präsenz bei dieser hervorragenden, disziplinierten Mannschaft betreiben müssten. Aber ich würde meine Pflichten nur ungern teilweise vernachlässigen, wenn es um ausländische Interessen und ausländische Firmen geht."
"Dann wird es Sie freuen zu hören, was ich mit Ihnen vorhabe", sagte Philips. "Sie werden nach Ompala fliegen und das dortige US-Konsulat verstärken. Der Osprey wird auf dem Gelände verbleiben, falls die Evakuierung des Botschafters und seines Stabes notwendig sein sollte. Dies wird allerdings nur geschehen, wenn ein direkter Angriff zu befürchten ist."
"Sie würden nicht ein Platoon meiner Marines rüberschicken, wenn der Verdacht nicht bestehen würde, Sir." Michael sah ernst drein. "Befürchten die da oben weiteres Friendly Fire?"
"So in etwa. Wir haben den klaren Auftrag, die ganze Affäre aufzuklären. Zu diesem Zweck wird die Kampfgruppe vor der ndongoischen Küste kreuzen und Sie und die Einheiten in Keounda City mit dem Bordgeschwader unterstützen."
Captain Tomlin tippte sich mit Zeige-, und Mittelfinger der Rechten an die Stirn. "Wird mir und meinen Jungs und Mädels eine Freude sein, Sir."
"Gut zu wissen, Rudy. Damit das klar ist", sagte Philip, "es werden in Ndongo Köpfe rollen, und das nicht von Subalternen. Wenn wir Hinweise auf ein Kriegsverbrechen erhalten, werden wir im Namen unser toten Kameraden alles daransetzen, um die Drahtzieher in die Hände zu bekommen und vor ein ordentliches US-Gericht zu stellen. Dies schließt auch eine kriegerische Option ein."
"Sie meinen, Sir, dass wir Ndongo nötigenfalls den Krieg erklären werden?", fragte Captain Helmstad verblüfft. "Ist das nicht vollkommen übertrieben?"
"Sie meinen so übertrieben wie es war, dass die ndongoische Luftwaffe unsere Leute mit Napalm geröstet hat?", erwiderte der Admiral mit ärgerlicher Stimme. "Haben Sie keine Sorge, die Luftwaffe Ndongos ist bereits erheblich geschwächt. Es wird für unseren CAG keine Schwierigkeiten bedeuten, die Lufthoheit zu erringen und zu halten. Ein Eingreifen der Gemeinschaft Afrikanischer Staaten ist kurzfristig nicht zu erwarten, also werden wir, notfalls unterstützt von unseren panadianischen Verbündeten, die Lufthoheit eine lange Zeit behalten können."
"Sir", wandte Helmstad ein, "wird Ndongo die Sache nicht vor die Vereinten Nationen tragen?"
"Erstens ist das Politik, und das ist nicht unsere Aufgabe. Zweitens ist New York weit weg von hier. Und drittens sind wir im Recht, weil wir beweisen können, dass die Kampfjets ndongoische Maschinen waren. Viertens belegen die Satellitenaufnahmen sehr genau, dass die Jets die Landezone der Ranger anvisiert haben. Ihre Flugmuster sind eindeutig. Das dürfte ihrer Beschwerde ganz schön den Wind aus den Segeln nehmen. Und fünftens verlasse ich das Küstengewässer Ndongos erst dann, wenn Sie mir das schuldige Arschloch und seine Komplizen in Ketten in die Brig werfen, um es mal blumig auszudrücken."
"In die Brig. Aye, Sir", sagte Michael schmunzelnd.
"Eine Frage noch", sagte Commander Dentry. "Politik ist vielleicht hier nicht unsere Aufgabe. Und es dürfte feststehen, dass da in der Befehlsstruktur irgendjemand durchgeknallt ist, um aus unserer Rettungsoperation ein Schlachtfest zu machen. Die Schuld der ndongoischen Luftwaffe steht dabei auch fest. Wir sollten den Luftraum problemlos beherrschen, und das Wenige, was Ndongo unseres Wissen an SAM und Luftabwehr hat, stellt uns auch nicht vor Probleme. Aber zwei Dinge geben mir doch zu denken, Sir."
"Und diese wären?", fragte der Vice Admiral interessiert.
"Nun, Ndongo ist reich an Rohstoffen und Agrarflächen. Selbst in Belongo, das als unsicher und zerrüttet gilt, wird Erdöl gefördert und raffiniert. Und seit neuestem werden auch Diamanten abgebaut."
Leises Gelächter kommentierte ihre Worte, was Rebecca Dentry selbst kurz schmunzeln ließ. "Aber dennoch sind weder die Chinesen, noch die Russen vor Ort. Bei den Russen kann ich es verstehen. Sie haben selbst genügend Rohstoffe, und politisch haben sie in einem Bürgerkriegsland nichts zu gewinnen. Aber die Chinesen, Sir? Das gibt mir zu denken."
"Die Antwort liegt doch wohl auf der Hand, Commander", sagte der Admiral mit ernster Miene. "Wenn weder die Russen noch die Chinesen hier aktiv sind, in einer ehemaligen belgischen Kolonie, in der selbst in einer Unruheregion Erdöl gefördert, raffiniert und per Pipeline an die Küste gepumpt wird, was ist hier dann wohl los?"
"Nun, Sir, ich vermute messerscharf, dass wir dann hier vor Ort sind und das Sagen haben." Sie schnaubte kurz. "Und mit wir meine ich westliche Firmen, die die Regierung schmieren und die Rohstoffe für Almosen aufkaufen."
"Und das macht Ihnen Sorgen?", hakte der Admiral nach.
"Nun, Sir, es kann doch durchaus sein, dass wir mit dieser Aktion dem einen oder anderen Großkonzern die Bilanz versauen."
"Und wenn das so ist, Commander? Wenn wir Roxxon und Konsorten auf die Füße treten und ihnen ihre Milliarden-Auslandsgewinne verderben?"
"Nun, Admiral, mich persönlich würde das mehr als freuen. Ich bin keine Sozialistin, aber dem Turbokapitalismus auf Kosten der Dritten Welt kann ich auch nichts abgewinnen."
Der Admiral klopfte nachdenklich mit den Fingern der Rechten auf seiner Schreibtischplatte einen schnellen Stakkato. "Darum geht es aber nicht. Wie ich schon sagte, unsere Aktion ist in erster Linie militärisch. US-Soldaten mussten sterben, und wir wollen sie nach Hause bringen und wissen, wieso. Und wir wollen die Schuldigen vor unser Gericht stellen. Nicht irgendwelche Opferlämmer, sondern die ganz oben. Und wenn es der Staatspräsident ist, das ist mir egal! Selbst wenn ich dafür eine amphibische Division anfordern und dieses Land erobern muss!"
"Alles klar. Wir machen in keinster Weise Politik", spottete Tomlin.
"Richtig. Wir handeln nur gemäß der Weisungen des Präsidenten." Philip lächelte grimmig. "Commander Dentry, arbeiten Sie einen neuen Flightplan aus, um notfalls ein Flugverbot über Ndongo durchzusetzen." "Ja, Sir."
"Rudy, briefen Sie Ihre Kids darauf, notfalls die ndongoische Luftwaffe in der Luft und am Boden zu zerstören und die Luftabwehr des Landes auszulöschen." "Bin schon dabei, Admiral."
"Denise, ich möchte sowohl für die Einsätze in Keounda City als auch in Ompala City komplette Wege fürs rein und raus." "Liegen in einer Stunde auf deinem Schreibtisch, Cedric."
"Nicole, suchen Sie uns einen gemütlichen Platz vor der Ndongo-Küste knapp außerhalb ihrer Gewässer, so nahe an Ompala dran, wie es geht, aber möglichst weit weg von den Inseln vor der Küste. Ich möchte nicht anfällig für Artillerie oder Schnellbootattacken werden." "Ja, Sir."
"Und Aaron..." "Sir?" "Sie haben den schwersten Teil der Operation. Sehen Sie zu, dass die Ranger nicht besser aussehen werden als die Marines."
Der Major grinste. "Werde mich bemühen, Sir."
"Also dann, weggetreten."
Die Offiziere salutierten und verließen in hektischer Betriebsamkeit das Flaggbüro.
Vice Admiral Cedric Philip sah für einen Moment blicklos ins Leere. Er versuchte sich klarzumachen, was der Präsident mit dieser Entscheidung bezweckte. Beinahe schien es Philip, er wolle tatsächlich einen Krieg führen. Nur gegen wen? Gegen das schwache Ndongo doch eher nicht.
"Ab hier wird es interessanter", stellte der Admiral fest. "Es wird mir ein Vergnügen sein, Ihre Befehle auszuführen, Mr. President."
***
Es war ziemlich genau fünf Stunden her, seitdem das Napalm auf ein Platoon der Army Ranger gefallen war; das bedeutete für Washington D.C. zwei Uhr P.M. Ortszeit, eigentlich Zeit für eine anständige Mittagspause. Dazu war Präsident Salem Etranger heute aber nicht gekommen. Die Belongo-Krise hatte ihm nur Zeit für ein zugegeben hervorragend gemachtes Truthahnsandwich an seinem Schreibtisch gelassen, während die Affäre immer weitere Kreise zog. Schon hatte die erste undichte Stelle vage Informationen über den Vorfall an die Presse weitergegeben, sodass ZNN als eine der ersten Quellen verkündete, dass es wahrscheinlich einen kriegerischen Akt gegen die USA in Zentralafrika gegeben hätte. Noch konnte Cynthia Maybright, die Sprecherin des Pentagons, entsprechende Fragen mit kein Kommentar abwiegeln, aber in einer Demokratie, selbst einer so wackligen wie der ihren, war das nur so lange möglich, bis echte Fakten über den Vorfall durch die Presse gegangen war. Und der Präsident hatte keine Zweifel, dass die Morgenausgabe der Washington Post und der ehrwürdigen Grey Lady, der New York Times, in der Morgenausgabe mit einigen Details zum Geschehen aufwarten würden, wahren wie spekulativen. Aber auf jeden Fall würden die meisten berichtenden Zeitungen den Handlungsort eindeutig identifizieren: Belongo.
Im Moment hatte sein Stabschef alle anderen Termine abgesagt; neben General Landsdale entwickelten sich der Secretary of War, Staatsminister Willem van Fitz sowie der CNO, der Chief of Naval Operations, Admiral Jonas Blueberry, zu den Stammgästen seiner Kaffeepad-Maschine im Büro. Collien Holmes, SECNAV, der Secretary of the Navy, würde auch bald per Sonderflug aus Austin eintreffen.
Hinzu kamen seine engsten Berater, weitere Vertreter des Pentagons und die Außenministerin Maggie Hernandez. Was dazu führte, dass normaler Kaffee per Büro-Bypass ins Büro des Präsidenten geleitet werden musste, um den Bedarf an Koffein annähernd zu decken.
"Was also tun wir jetzt?", fragte Hernandez. "Erklären wir Ndongo den Krieg?"
Ihre Worte ließen die Männer und Frauen aufraunen. Einige zustimmend, andere ablehnend. Sie reagierte nicht darauf und fixierte weiterhin den Mann, den sie mit unendlicher Energie durch den Wahlkampf gegen seine Herausforderer getrieben hatte, von dem sie sich so viel versprach.
Der Präsident sah sie nachdenklich an. "Willem, würden Sie bitte noch einmal alles zusammenfassen, was wir bisher wissen?"
"Gerne, Mr. President. Vorgestern Nacht gelang es einer privaten Werksschutzeinheit, der aktive und ehemalige Soldaten der Bundeswehr, der US Army, der französischen Armee und weiteren Nationalarmeen angehören, die Ärzte ohne Angst zu befreien, die im Nachbarbezirk Belongos, Burutu, von Rebellen entführt worden waren, um Lösegeld zu fordern. Die Entführer gingen dabei mit äußerster Brutalität vor. Nach unseren Informationen zu brutal, denn als sie von den Deutschen dezimiert worden waren, wurden die Überlebenden von den Dorfbewohnern des Dorfes, in dem sie sich eingeigelt hatten, gelyncht. Diese Werksschutzeinheit, die mit deutschem und russischem Gerät ausgerüstet ist, gehört zur First Belongo Diamond Mining Company. Diese hat eine beeindruckende Leistung vollbracht. In nur einer Woche gelang es ihr nicht nur, tatsächlich eine Diamantenmine zu finden und erste Funde zu vermarkten, sie zog auch ein funktionierendes Feldlazarett für die Bevölkerung auf, das Kranke aus ganz Belongo anzieht. Ruhig, Maggie, ich erwähne das nur, damit Sie verstehen, mit wem wir es zu tun haben. Tatsächlich hat die Belongo Mining zwei sogenannte Minenwölfe angeschafft, die derzeit in der Region um die Mine an der Entminung von Feldern und Wiesen von Personenminen arbeiten. Mittelfristig will Belongo Mining ganz Belongo entminen, Straßen bauen, einen Flugplatz einrichten, Schulen bauen und fördern. Also alles tun, um in der Weltpresse als die Guten dazustehen. Nach meinen Informationen tut Belongo Mining das nicht aus Berechnung, sondern weil dies wirklich ihre Ziele sind. Zu diesen Maßnahmen gehört es, dass sich die Company mit den Warlords arrangiert oder einfach alle über den Haufen ballert. Axel Herwig, der Senior-Direktor des Unternehmens, entschied sich für Verhandlungen. Zu diesen Maßnahmen gehört es auch, sich um Keounda City zu kümmern, einem Ort, der von einer bewaffneten Truppe unbekannter Größe beherrscht wird. Diese Truppe, von Captain Jason Scott, dem Kompanieführer der Ranger, lunatische Irre genannt, terrorisiert das Umland und fordert Tribut, doch dazu später mehr.
Tatsache ist, wir hatten eine voll ausgerüstete Kompanie Ranger da unten, genauer gesagt in der Base de l'Air, dem einzigen Militärstützpunkt, den Ndongo noch in seiner neunzehnten Provinz unterhält. Von dort sollten sie nach der Lokalisierung der gefangenen Ärzte ausrücken, und je nach Situation reagieren können. Dazu kam es aber nicht mehr. Die Deutschen waren etwas schneller als wir."
Der Secretary of War wartete, bis das teils amüsierte, teils ironische Gelächter wieder abgeebbt war, dann nahm er den Faden wieder auf.
"Nach einer Verhandlung mit dem Kriegsherrn Ldunga Kamebesi, der die südliche Grenze der Belongo Mining bildet, wurde Axel Herwig nahe an Keounda City herangelockt, wo sein Hubschrauber mit Hilfe von MANPAD abgeschossen wurde. MANPAD, das sind, für alle, die es nicht wissen, tragbare Granat-, oder Raketenwerfer, die auf Panzer oder Flugeinheiten abgefeuert werden. Wir wissen nicht, was Herwig vom Himmel geholt hat, tippen aber auf eine Panzerfaust russischer Produktion. Jedenfalls schmierte ihre Maschine mitten im Westen der alten Distrikthauptstadt ab. Herwig und sein Pilot überlebten den Absturz und zogen sich unter schwerem Feuer an den einzigen sicheren Ort zurück, das war das Minarett der Moschee, die den Westen der Stadt beherrscht. Von hier riefen sie nach Hilfe und hatten Glück. Captain Scott hatte sich derweil entschlossen, der Belongo Mining mit einem seiner Platoons einen Anstandsbesuch zu machen und kam rechtzeitig, um den Hilferuf zu vernehmen. Scott handelte vollkommen im Sinne der Truppe, als er dem Wahlspruch sua sponte folgte, aus eigenem Antrieb. Er setzte sein gut organsiertes, bestens ausgerüstetes und hervorragendes Elite-Platoon gegen eine ganze Stadt voller lunatischer Irrer, führte eine Landeoperation durch und gelangte mit Unterstützung der Hubschrauber der Belongo Mining im Handstreich ebenfalls bis zur Moschee, wo er sich einigelte. Derweil rief er ein weiteres seiner Platoons zu Hilfe, welches auf der gleichen Landezone aufsetzen sollte, die er bereits benutzt hatte. Zu diesem Zeitpunkt hatte aber bereits der Kriegsherr Ldunga eingegriffen und seine Leute die Wälder rund um den Westteil der Stadt von Bewaffneten säubern lassen. Dabei fielen ihm russische Panzerfäuste und Luftfäuste in großer Zahl in die Hände.
Als jedoch First Lieutenant Austin mit dem schwere Waffen-Platoon landete, um Herwig, seinem Piloten und Scotts Erstem Platoon die Tür für die Evakuierung offenzuhalten, geschah das Unfassbare: Einheiten der ndongoischen Luftwaffe griffen die Landezone mit Waffenfeuer und Napalmbomben an. Zu diesem Zeitpunkt verzeichnen wir gesichert achtzehn Tote. Und es kann durchaus sein, dass es nicht alle Schwerverletzten schaffen, die derzeit im Lazarett der Belongo Mining versorgt werden."
Der Secretary of War ließ seine Worte einen Moment ins Bewusstsein der Männer und Frauen sacken, bevor er weitersprach. "Dank General Landsdale und seiner Intervention bei unseren Freunden in Panadia konnte ein zweiter Luftschlag der ndongoischen Luftwaffe vereitelt werden. Als weitere Kampfjets den Luftraum über Belongo betraten und Kurs auf unsere Landezone hielten, hat sie eine Staffel panadischer Jagdflieger nachdrücklich vertrieben.
Scott hat danach beschlossen, zusammen mit Ldungas Männern, den Überlebenden des dritten Platoons und seines ersten Platoons sowie den Deutschen, die Stadt zu nehmen, was, wie ich anmerken möchte, natürlich die richtige Entscheidung war, damit er Luft bekam, um die Verletzten und Toten bergen zu können.
Tja, was soll ich sagen? Die Aktion verlief nicht gerade wie im Bilderbuch, und die lunatischen Irren hatten noch ein paar Tricks in der Hinterhand, aber dank weiterer fliegender Einheiten der Belongo Mining konnte das Schlimmste verhindert werden. Wir zählen im Moment fünfhunderteinunddreißig Tote bei den Verteidigern Keounda Citys."
"Ist es angemessen, die Verteidiger Keounda Citys permanent als lunatische Irre zu bezeichnen?", fragte Hernandez verstimmt. "Wer weiß, ob sich die Situation nicht letztendlich als Schuld der Deutschen herausstellt, und wir kriegen dann die ganze schlechte Presse."
Van Fits zog ein paar Fotos aus seiner Jackentasche. "Urteilen Sie selbst. Wir haben hier ein paar Aufnahmen ausgedruckt, die wir mit Hilfe einer Helmkamera machen konnten. Sie zeigen einige der toten Verteidiger und eines ihrer speziellen Häuser von innen." Er verteilte die Fotos großzügig.
Es dauerte etwa fünf Sekunden, bis sich Staatssekretärin Gerald zusamenkrümmte und auf den guten Teppich im Oval Office übergab.
Der Präsident konnte sie gut verstehen. Die Bilder waren dazu angetan, sogar ihm den Magen umzudrehen, und er hatte vieles gesehen, vor allem in seinen Tagen als freiwilliger Helfer in Krisengebieten. "Interessant", sagte er mit tonloser Stimme. "Sie tragen also Körperteile als Fetische. Und sie stellen diesen Schmuck auch noch selbst her, wie es scheint."
"So sieht es aus, Mr. President", sagte der SECNAV. "Ich frage mich, ob wir diese Information überhaupt an die Öffentlichkeit weitergeben können."
"Das ist hier doch gar nicht der springende Punkt", sagte Landsdale. "Ich informiere Sie hiermit darüber, dass vor drei Stunden drei ranghohe Offiziere der Ranger und ein Untersuchungsteam der CID sowie eine weitere Kompanie Ranger per Langstreckenflug unterwegs nach Panadia sind. Bis zum Ende dieser Untersuchungen werden wir West-Keounda halten. Der Anführer der Truppe ist Colonel Blight Ryley."
"Und was versprechen Sie sich von den Untersuchungen, abgesehen davon, dass Ryley eine verlässliche Größe ist?", fragte der CNO. "Wir haben Aufnahmen des Luftverkehrs per Satellit, wir haben Aufnahmen ihres Funkverkehrs, und wir haben die militärische Überlegenheit in der Region. Glauben Sie ernsthaft, Ndongo wird uns die Herausgabe der Verantwortlichen verweigern?"
"Ja, das glaube ich", erwiderte Landsdale. "Schauen Sie sich doch mal die Situation an. Wer immer den Befehl gegeben hat, dass die Jäger aufsteigen, wer immer den Befehl gegeben hat, unsere Ranger zu bombardieren, der war sich im Klaren darüber, das er sich mit der mächtigsten Armee der Welt anlegt. Und schauen Sie sich die Aufstellung Ndongos an, Admiral. Sie haben nichts, was einer Division Marines länger als eine Woche standhalten könnte. Alleine die Abraham Lincoln könnte mit ihren Fliegern und den Marines von Bord und den Begleitschiffen Ompala City erobern."
"Erobern, aber nicht halten", warf van Fitz ein. "Zumindest nicht sehr lange."
"Richtig, Willem. Und darin liegt wohl unser Problem bei der Geschichte. Ndongo ist ein autarker Staat, der Mitglied in der Gemeinschaft Afrikanischer Staaten ist. Was, wenn es Ndongo gelingt, seine Nachbarn dazu zu bringen, zu seinen Gunsten einzugreifen?"
"Ich bitte Sie. Das setzt doch einen Angriff unsererseits voraus."
"Den wir bereits geschlagen haben, als wir die Panadianer um Hilfe gebeten haben, Jonas."
"Ich verstehe immer noch nicht, was hier überhaupt passiert ist", sagte Hernandez nachdrücklich. "Dieser Staat hat keine große Armee, keine bemerkenswerte Luftwaffe und nicht mal eine anständige Küstenwache. Zudem ist eines seiner Bundesländer ein permanenter Krisenherd. Ndongo kann es sich nicht mal träumen lassen, uns herauszufordern! Warum aber haben unsere Ranger von Ndongo eine Basis bekommen, von der aus sie operieren konnten, und einen Tag später schmeißt man ihnen Napalm auf den Kopf? Wie können sie nur glauben, wir lassen das ungesühnt?"
"Eventuell meinen sie, mit ein paar Bauernopfern davonzukommen. Ein missverstandener Befehl, ein paar durchgedrehte Piloten", murmelte Bixby, der militärische Berater des Präsidenten.
"Ja, Henrik, in Ordnung. Aber was wollten sie damit gewinnen?", fragte die Außenministerin scharf.
"Unordnung", erwiderte Landsdale.
"Unordnung? Erklären Sie das, General."
"Nun, als die Ranger in Keounda City ankamen, hatten sie die Verteidiger Keounda Citys erstaunlich gut im Griff. Als Captain Scott ein weiteres Platoon nachzog, muss irgendjemand in der Befehlshierarchie beim Gedanken, die Ranger könnten die ganze Stadt erobern wollen, in Panik geraten sein und hat diese Wahnsinnstat befohlen. Anstatt aber Scotts Kommando ins Chaos zu stürzen, trat die gegenteilige Wirkung ein. Jetzt, in diesem Moment beherrschen wir den westlichen Teil der alten Distrikthauptstadt und das westliche Ufer des Lagabandas, der die Stadt durchfließt."
"Ich verstehe immer noch nicht."
"Ich will es Ihnen erklären, Frau Außenministerin. Wussten Sie, dass es genau einen Stützpunkt des ndongoischen Militärs in Belongo gibt?"
"Ja, die Base de l'Air, von der auch die Ranger operiert haben."
"Richtig. Wussten Sie, dass dieser Stützpunkt ein Erdölfeld, eine Raffinerie und eine Pipeline beschützt, die auf belongoischem Gebiet liegen?"
"Was hat das bitte mit der jetzigen Situation zu tun?", fragte sie irritiert.
"Viel, Ma'am. Ich gehe davon aus, dass Sie das nicht wussten." Landsdale räusperte sich. "Vor zwanzig Jahren begann der Bürgerkrieg in Belongo, der das Land in Unruhen und Chaos gestürzt hat. Seither ist der achtzehnte Bezirk Ndongos nicht mehr zur Ruhe gekommen. Die Hauptstadt ist in der Hand einer militanten, fanatischen Sekte, die eine Befriedung und Wiederbesiedlung verhindert, und sie blockiert eine der wichtigsten kontinentalen Straßen Afrikas. Bevor dieser Bürgerkrieg aber begann, wurden die Öfelder entdeckt und als sehr ergiebig klassifiziert. Mir liegen Informationen vor, dass man in der Bundesregierung befürchtete, Belongo könnte sich mit seinem neuen Reichtum vom Rest des Landes lossagen. Eine Welle weiterer Sezessionen hätte die Folge sein können, und vom Öl hätte man nie etwas gesehen."
"Aha. Ndongo hat also seinen Bundesstaat, der anscheinend abtrünnig werden wollte, ins Chaos gestürzt, um die Hand auf das Öl zu legen", folgerte Hernandez. "Und um das Chaos permanent zu halten, wurde die Hauptstadt unbesiedelbar gemacht. Ohne die Verkehrstrasse, die Schlagader des Landes, konnte es sicher keine Revitalisierung geben. Haben Sie sich das in etwa so gedacht, General?"
"Brillant geschlussfolgert, Frau Außenministerin."
"Gut, dann erklären Sie jetzt doch mir und allen Anwesenden, warum Ndongo unsere Operation nicht einfach ausgesessen hat, anstatt uns zu provozieren."
"Ich glaube, ich kann Ihnen diese Frage besser beantworten, Maggie", sagte der Präsident. Er atmete heftig aus. "Vor gut drei Stunden bekam ich einen Anruf von Alexander Dexter."
"Alexander Dexter? Dem Vorstandschef von Roxxon?"
"Ja. Er wies mich ausdrücklich auf die Interessen seines amerikanischen Konzerns in Ndongo und im Speziellen in Belongo hin und bat mich, alles in meiner Macht stehende zu tun, um die Werte und Investitionen des Konzerns nachhaltig zu stützen."
Hernandez runzelte die Stirn. "Jetzt sagen Sie bloß, Roxxon hat die Förderlizenz in Belongo."
"Richtig geraten, Maggie", sagte Blueberry.
"Was will Dexter also? Dass wir das Land erobern und die Einkünfte von Roxxon sichern helfen?"
"Etwa eine Stunde zuvor bekam ich einen anderen Anruf. Es war Mr. Red, derzeit tätig als Auslandsmanager von Roxxon in Ndongo."
"Reden wir hier von Amadeus Red?", fragte die Außenministerin misstrauisch.
"Richtig. Amadeus Red, dem Urbild des Öllobbyisten", bestätigte der Präsident.
"Ich ahne Schlimmes."
"Zu Recht. Mr. Red sagte mir während unseres Gesprächs, er wäre von der Regierung Ndongos gebeten worden, für sie zu vermitteln. Demnach sollten wir den Vorfall so gut wir können unter den Teppich kehren, und Ndongo würde sich zu jeder Form von Reparationen bereiterklären."
"Was ich für eine vernünftige Bitte halte, auch wenn wir sie angesichts von achtzehn toten Army Ranger unmöglich erfüllen können", sagte Hernandez. "Aber wie passt das mit den Worten von Dexter zusammen?"
"Das ist relativ einfach erklärt", sagte der Präsident. "Roxxon beherrscht das Ölgeschäft in Belongo und führt die raffinierten Produkte mit einer eigenen Pipeline bis zum eigenen Verladehafen am Atlantik. Ein stabiles Belongo würde eventuell fragen, wo denn die Gewinne aus den Ölverkäufen hingehen, deshalb können sie einen stabilen Bezirk nicht gebrauchen. Deshalb hat Mr. Red mit der weißen Fahne gewedelt, nachdem augenscheinlich die Firmeninteressen mit Waffengewalt durchgesetzt wurden. Und Mr. Dexter hat angerufen, weil er eine noch viel bessere Idee hatte, um die Interessen seiner Firma zu schützen, nämlich das ganze Land einfach erobern zu lassen."
"Aber das ist monströser Wahnsinn! Das kann Dexter doch nicht ernst meinen", sagte die Außenministerin aufgebracht.
"Maggie, hier in diesem Büro müssen wir auch das aussprechen, was mancher von uns als unmöglich empfindet. Oder als Wahnsinn", mahnte der Präsident. "Und bedenken Sie, wir haben nur aufgrund einer Meldung über den Beschuss mit Napalm eine Trägerkampfgruppe umgeleitet, um unsere Untersuchungen notfalls mit Waffengewalt durchzusetzen. Was, meinen Sie, wird passieren, wenn unsere Botschaft überfallen wird?"
Bigsby räusperte sich. "Wir haben festgestellt, dass Ndongo militärisch recht schwach ist, dafür aber reich an Bodenschätzen. Zudem könnten wir uns sicher sein, dass ein Großteil der Bevölkerung, vor allem jene, die nicht an der Küste siedeln, uns wenn schon nicht mit offenen Armen, so doch freundschaftlich oder neutral empfangen würden. Wir hätten keine Schwierigkeiten, uns auf Jahre oder gar Jahrzehnte festzusetzen. Und entschuldigen Sie, wenn ich das sage, Mr. President, aber die letzten beiden Kriege, die Ihr Vorgänger geführt hat, haben sich nur darum gedreht, Erdöl und Erdgas in amerikanische Hände zu bekommen. Ndongo ist relativ leicht militärisch zu besiegen. Und wenn wir einen völkerrechtlich relevanten Grund hätten, würde die Welt uns auch noch beglückwünschen, wenn wir es tun. Anschließend setzen wir eine Marionettenregierung ein, und ein neuer US-Vasall ist geboren."
"Um es kurz zu machen", sagte der Präsident, "hat Dexter uns in eine echte Zwangslage gebracht, in der wir auf rohen Eiern tanzen. Ein falscher Schritt von uns, und wir sind sogar gezwungen, Ndongo anzugreifen. Und wie wir wissen, gibt es in Ndongo nicht erst seit gestern Diamanten. Wirtschaftliche Anreize sind genügend vorhanden. Allerdings möchte ich nicht als Präsident in die Geschichte eingehen, der ein armes afrikanisches Land wegen Rohstoffen niedergeknüppelt hat."
"Wir könnten... Das Land besetzen. Die Strukturen ordnen. Freie Wahlen abhalten. Den Einfluss der US-Konzerne, die bereits vor Ort sind, einschränken oder zumindest einfrieren", sagte Hernandez.
"Mir wäre es lieber, es würde nicht so weit kommen. Es geht mir vor allem um unsere Leute, die da unten in der Zwickmühle stecken. Und um die Schuldigen am Tod unserer Army Ranger", sagte der Präsident.
"Was, Sir, wenn wir diese Schuldigen letztendlich in Roxxons Vorstandsetage suchen müssen?", fragte Bigsby leise.
"Das steht wohl außer Frage", sagte Landsdale. "Die richtige Frage lautet: Wie schaffen wir das, ohne unsere Wirtschaft und unsere Nation in eine Krise zu stürzen?"
Auf diese Frage konnte ihm niemand antworten.
***
Die Nacht legte sich wie ein samtiger Schatten über die ehemalige Distrikthauptstadt Belongos. Sie befand sich wie ein großer Teil des Landes auf einem Hochplateau und war dem Himmel tausend Meter näher als der Rest des Landes. Ursache hierfür waren zweifellos die erloschenen Vulkane im Norden, die in ihrer aktiven Zeit für allerlei tektonische Aktivität gesorgt hatten, sodass sich das Land vor gut zwanzig Millionen Jahren komplett gewendet und aufgeworfen hatte. Das nächste derartige Ereignis war glücklicherweise nicht vor weiteren zwanzig Millionen Jahren zu erwarten. Das gab der Belongo Mining theoretisch genug Zeit, um das Gros der Diamanten in ihrer Mine abzubauen.
Über den Verteidigern der eroberten Westhälfte der Stadt glomm der Sternenhimmel Zentralafrikas, kaum durch ein Licht getrübt. Lediglich eine Neumondsichel, bedingt durch die Nähe zu Äquator natürlich riesig, schickte sich an, im Osten aufzugehen. Ansonsten trübten nur eine Handvoll Lagerfeuer und Lampen im hinteren Teil der Stadt das natürliche Sternenlicht; die Ranger und die Mitarbeiter der Mine hatten sich jedoch einiges an Mühe gegeben, um die Männer und Frauen an der Frontlinie, also dem Flussufer, möglichst von Streulicht zu verschonen. Jeder Anfänger lernte in seiner ersten Einweisung, was eine zu starke Lichtquelle mit einem Nachtsichtgerät machte. Und eine gute Nachtsicht war in dieser Nacht der große Trumpf der Army Ranger und ihrer deutschen Verbündeten. Lediglich die schlechter ausgerüsteten Speere Ldungas konnten nicht helfen; bis auf eine kleine Abordnung waren sie mit ihren Toten und Verwundeten auf Ldunga Abesimis Farm zurückgekehrt.
Die Hubschrauber flogen nicht, um Sprit zu sparen. Es befanden sich im Moment auch nur zwei Black Hawks, eine Mi-24 und ein Tandemcockpit in der Stadt; die anderen Rangereinheiten standen abgesichert auf Ldungas Farm, die restlichen deutschen Mi-24 waren zur Mine zurückgekehrt. Lediglich die Mi-8MT waren nach Panadia zurückgekehrt, um Kerosin und Diesel aufzunehmen. Während der Schlacht war ein Großteil des Vorrats, den die Deutschen nach und nach zur Mine geschafft hatten, aufgebraucht worden. Es war dringend notwendig, die Kampfhubschrauber entweder auf dem Honiton Air Field tanken zu lassen, oder große Mengen Sprit zur Mine zu schaffen. Axel hatte sich in Absprache mit Boxie für Letzteres entschieden. Die Mi-24D, die dort gerade gewartet wurde, konnte die Maschinen mit ein wenig Glück auf ihrem Rückweg eskortieren, wenn sie rechtzeitig genug wieder zusammengebaut werden konnte.
Zudem hatten sich für den frühen Nachmittag die US Marines angekündigt. Mit Hilfe von drei Osprey-Langstreckenmaschinen würde die Abraham Lincoln ein Platoon ihrer Bordtruppen einfliegen, um die Ranger zu entlasten. Trotz der gesunden Rivalität zwischen dem selbstständigen Marine Corps und der Spezialeinheit der Army Ranger war Scott mehr als froh, als er die Nachricht von der Verstärkung erhalten hatte. Allerdings hatte ihn der Zusatz, das auch die US-Botschaft in Ompala mit einem Osprey voller Marines verstärkt werden würde, deutlich nervös gemacht.
"Wissen Sie, Axel, bis jetzt hätten sich alle noch irgendwie rausreden können. Es hätte Reparationszahlungen gegeben, ein paar Offiziere wären degradiert worden, man hätte einen oder zwei Generäle, ob schuldig oder nicht, als Kriegsverbrecher an die USA ausgeliefert, und wir hätten Keounda City irgendwann wieder verlassen. Aber jetzt, mit einer Verstärkung der Botschaft befürchte ich, dass sich niemand mehr rausreden werden kann." Der Army Ranger-Offizier war seit seiner Stippvisite bei Doktor Herryhaus zunehmend nachdenklicher geworden, hatte sich aber Axel, der ihn begleitet hatte, nicht weiter geöffnet. Damit hatte er den Deutschen mit seinen Gedanken und Sorgen allein gelassen.
Ein Großteil der Männer und Frauen befand sich in der Moschee, wo sie ihre Schlafstatt gebaut hatten. Es war sogar gelungen, den Gefangenen etwas annähernd Ähnliches zu schaffen, indem die Ranger Decken und Iso-Folien aus ihrer Ausrüstung zur Verfügung gestellt hatten. Auch Axel hatte hier seine kleine Ecke aufgestellt, genau zwischen den Lagern von Hannes und Niklas. Hannes lag links von ihm und grunzte leise im Schlaf; Niklas war draußen bei seinen Leuten im Einsatz und würde sich gegen ein Uhr nachts vom KSK-Offizier ablösen lassen.
Axel betrachtete den scheinbar sorglos schlummernden Mann. Es war noch keine zwei Tage her, da hatte er sich auf eine scharfe Handgranate geworfen, um Zivilisten zu beschützen. Nur weil der Stift nicht gezogen worden war, lebte er noch. Bei der Ankunft draußen in der Landezone war der Höllenatem einer Napalmbombe nahe genug an ihm vorbei geweht, um ihm die Gesichtshaut wie bei einem Sonnenbrand tüchtig zu verbrühen, ein Schritt weiter hätte seinen sicheren Tod bedeutet. Und beim Angriff des frechen kleinen Panzerwagens hatte es nicht ihn, sondern seinen Nebenmann erwischt, er selbst hatte nur einen Streifschuss davon getragen. Machte es ihm überhaupt nichts aus, dass er in nicht einmal zwei Tagen dreimal wiedergeboren worden war? Anscheinend nicht, so wie er dalag, als könne ihn kein Wässerchen trüben. Vielleicht lag darin auch das Geheimnis eines guten Soldaten. Schlaf, wenn du schlafen kannst. Axel hatte das in der Grundausbildung immer beherzigt. Also, wenn sie auf Übung gewesen waren und dergleichen. Hier aber, im realen Gefechtseinsatz, nach einem anstrengenden Tag, jetzt wo ihm jeder Muskel wehzutun schien und die Müdigkeit in seinen Knochen irreal groß erschien, da konnte er nicht schlafen. Es ging einfach nicht.
Also kroch er unter seiner Isofolie hervor und stand auf. Das heißt, er versuchte es, schaffte es aber erst im dritten Anlauf, verbunden mit einigen sehr leisen, aber auch sehr markanten Flüchen über seine Schmerzen. Erst Sergeant Rybacks Hilfe, die gerade hereingekommen war, brachte ihn auf die Beine. Sie war es auch, die ihn vor die Moschee begleitete und seine Beine überstreckte, bis die Schmerzen nachließen.
"Vollkommen übersäuert, Sir. Kein Wunder bei dem Programm, das Sie heute mitgemacht haben. Zuerst Androweit das ganze Minarett raufgeschleppt, dann den Rest des Tages den Captain gestützt, und dazu noch der Absturz... Sie hätten auf Ldungas Farm bleiben sollen. Dort gibt es weiche Betten, hat man mir gesagt."
"Ja, mir auch", erwiderte Axel seufzend. "Sie brauchen mich nicht Sir zu nennen, Sergeant. Ich war nur Stabsgefreiter bei der Bundeswehr. Sie sind ein Sergeant."
"So? Ich denke, ich bleibe beim Sir. Einerseits aus Höflichkeit, andererseits, weil ich Ihre Spur der Verwüstung gesehen habe, die sich vom abgestürzten Hind bis zur Moschee gezogen hat. Das hätte ein Ranger nicht besser machen können."
"Ich hatte Glück", erwiderte er, und fügte ein leises "Autsch!" an, als Ryback ihm ein Knie in den Rücken setzte und seine Schultern nach hinten drückte. "Teufel auch, sind alle Army Ranger Chiropraktiker?"
"Nein, Sir. Nur die, die es im Zivilleben gelernt haben. Und was Ihr Glück angeht, ein Army Ranger hätte es nicht besser machen können." Sie lächelte. "Und darunter wird nicht verhandelt."
"Also gut", seufzte er und begann damit, seine Arme zu strecken. "Danke, dass Sie Ihre Zeit für mich opfern. Immerhin bin ich für die ganze Scheiße verantwortlich, die Ihren Leuten und dem Cap passiert ist."
"Sicher sind Sie das, Sir. Aber soll ich Ihnen was verraten? Es ist immer irgendwie irgendwer für irgendwas verantwortlich. Das ist nun mal so. Man kann auf der Welt keinen Stein bewegen, wenn nicht ein Mensch den Entschluss gefasst hat, dass der Stein bewegt werden soll. Es ist halt so. Sie haben sich zu nahe an die Stadt gewagt und sind abgeschossen worden. Sie haben um Hilfe gerufen, und die Army Ranger haben geantwortet. Ja, und dann hat uns Ndongo den Stinkefinger gezeigt." Sie sah ihn ernst an. "Aber, und das ist der wichtigste Punkt an der ganzen Geschichte, Sir, es war nie Ihre Absicht, über Keounda City abgeschossen zu werden und uns Army Ranger in eine Napalm-Falle zu locken. Im Gegenteil, irgendwo in der Militärhierarchie gibt es jemanden, der entschieden hat, genau das mit Lieutenant Austins Platoon zu tun, und genau dieser Jemand ist Schuld daran, dass das Napalm abgeworfen wurde. Wir sind also wegen Ihnen hier, Sir, aber wir wurden nicht wegen Ihnen bombardiert. Es war nicht Ihre rationale Entscheidung. Und was den Cap angeht, wir hatten als nominelle Verbündete Ndongos jedes Recht, hier zu sein und eine Rettungsmission durchzuführen. Eine Aufhebung unserer freien Bewegung hat uns nie erreicht. Sie sind nicht Schuld daran, dass meine Kameraden gebraten wurden, und das werde ich auch so vor dem Untersuchungsausschuss aussagen."
"Danke. Ich nehme an, ich werde ebenfalls vor diesem Ausschuss aussagen müssen."
"Eventuell. Falls die Aussagen der Militärangehörigen nicht ausreichen, um dem Ausschuss ein ausreichend umfassendes Bild des Geschehens zu vermitteln", sagte sie.
"Gut. Ich weiß nämlich nicht, wie eine Abordnung US-Offiziere auf die Konfrontation mit einem Ausbeuter wie mir reagieren wird."
"Ausbeuter?" Ryback runzelte die Stirn. "Ich habe gehört, Sie haben ein Feldlazarett für die Zivilbevölkerung eingerichtet und lassen in einem der Orte bereits die Weiden von Minen räumen. Außerdem wollen Sie Schulen und Straßen bauen. War das falsch?"
"Das stimmt schon alles, und das Gerät für den Straßenbau wird mit der ersten Transall, die bei der Mine landen kann, eingeflogen werden. Schotter haben wir ja zum Glück genug da oben." Axel lachte bei der Ironie seiner Worte. Wahrscheinlich würden sie etliche tausend Karat an Diamanten im Schotter mitverbauen, und damit die teuerste Landebahn und das teuerste Straßennetz der Welt erschaffen. "Aber glauben Sie mir, Sergeant Ryback, es bleibt mehr als genügend für die weißen Ausbeuter übrig. Tatsächlich werden wir alle in ein paar Monaten Millionäre sein. Und was wird dann aus den Menschen in Belongo?"
"Eleonore", sagte Ryback bestimmt.
"Was?"
"Nennen Sie mich Eleonore, Sir. Sie sind kein Militär, also brauchen wir nicht förmlicher zu sein als Marines auf einem Festakt."
"Eleonore? Ein schöner Name für eine tödliche Frau wie Sie. Sagen Sie Axel zu mir."
Sie lachte leise. "Schmeicheleien bringen bei mir nichts. Ich bin eine Army Ranger."
"Natürlich", schmunzelte Axel und ließ sich von ihr auf die Beine ziehen. Die Schmerzen waren tatsächlich besser, noch vorhanden, aber nur noch irgendwo im Hintergrund, weit entfernt. Das war besser als noch vor zehn Minuten.
"Ich denke, es wird ihnen sehr viel besser gehen", sagte Eleonore.
"Was? Wem?"
"Na, den Menschen aus Belongo. Wenn Sie tatsächlich noch ein paar Monate hierbleiben und dann Millionäre geworden sind, bedeutet das, dass Sie wie viele Schulen und Straßenkilometer gebaut haben? Wievielen Menschen Impfungen und medizinische Hilfe haben zukommen lassen?"
"Schulen? Vielleicht ein Dutzend. Straßenkilometer? Wir werden sehen, wie fix unsere Pioniere sind. Impfungen und medizinische Hilfe? Wir schleusen im Moment fünfhundert Menschen am Tag durch das Lazarett. Den Meisten können wir helfen. Einige mussten für dringende Operationen nach Panadia ausgeflogen werden, aber die Zahl ist überschaubar."
"Hören Sie sich eigentlich nicht selbst reden?", fragte Eleonore amüsiert. "Mag ja sein, dass Sie reich werden, Axel. Aber auf dem Weg dahin ziehen Sie eine große Schleppe an guten Taten hinter sich her. Belongo wird schon bald nicht mehr das sein, was es seit zwanzig Jahren ist, glaube ich." Sie runzelte die Stirn. "Wir Army Ranger werden hier schon bald wieder weg sein, zurück in den guten alten USA und regruppieren, unsere Verluste ausgleichen und für den nächsten Einsatz trainieren. Sie aber sind dann noch hier und bewirken Gutes. Dann sollen Sie meinetwegen verdammt noch mal reich werden, Axel. Es trifft dann ja keinen Falschen."
Für einen Moment musste Herwig mit einem dicken Kloß im Hals kämpfen. "Danke, Eleonore. Ich weiß nicht, was ich sagen soll."
"Machen Sie sich keine Sorgen, das ist alles. Ich bin sicher, der eine oder andere Ranger wird Sie insgeheim verdammen, weil er nicht weit genug sieht und Sie für den Tod unserer Kameraden verantwortlich macht. Aber ich sage Ihnen was: Der Cap, die Lieutenants und die Unteroffiziere - und da stecke ich mit drin - sehen das nicht so."
"Bitte immer nur eine Heiligsprechung zur gleichen Zeit", erwiderte Axel schmunzelnd.
"Gern geschehen, Axel", erwiderte die Army Ranger. "So, wenn Sie nichts dagegen haben, werde ich mich jetzt hinlegen. Der Tag war lang, und nicht jeder von uns hat die Stamina vom Captain, der schon wieder am Ufer sitzt und den Osten beobachtet."
"Ich schätze, ich werde mich ihm anschließen, Eleonore. Haben Sie vielen Dank für die Hilfe."
"Kein Problem, Axel. Wenn Sie zum Cap gehen, er hat direkt neben der großen Brücke Position bezogen. Sie beobachten das Ufer und warten auf Schwimmer, die versuchen, den Fluss zu durchqueren. Außerdem helfen sie den Booten, die Brücken zu passieren. Es sind erstaunlich viele unterwegs. Ich denke, das liegt nicht zuletzt daran, dass der Westteil der Stadt nun uns gehört."
"Ja, scheint sich schnell herumgesprochen zu haben", murmelte der Deutsche.
"Noch etwas, Axel. Lima."
"Lima?"
"Lima ist bis um Mitternacht das Losungswort. Die Antwort ist Bananarama. Der Cap hat es ausgesucht, weil unsere Gefangenen es nicht aussprechen können. Ab Mitternacht sind es Copperfield und Dexterity."
"Lassen Sie mich raten: Dexterity können unsere Deserteure auch nicht aussprechen."
"Eigentlich haspeln sie eher bei Copperfield", scherzte Eleonore. "Also dann, gute Nacht."
"Schlafen Sie gut. Die Nacht wird kurz genug für Sie sein."
"Ich weiß." Sie nickte dem Deutschen zu und verschwand im Innern der Moschee.
Axel, derart alleingelassen, überlegte einen Moment, dann ging er selbst wieder rein, nahm seine Waffen auf und ging zum Fluss runter.
"Lima", erklang es leise aus der Dunkelheit.
"Bananarama."
"Kommen", sagte die gleiche Stimme.
Axel trat an den Schemen heran, der sich vom Flussufer kaum abhob. Es war Austin.
"Können Sie auch nicht schlafen, Mr. Herwig?", fragte der stellvertretende Chef der Ranger. Er deutete neben sich. Dort hockten zwei Ranger im Ufergras. Der eine trug ein Scharfschützengewehr in der Hand, während der andere mit einem Nachtsichtglas das andere Ufer absuchte. Rechts daneben hockte Scott, den Rücken zum Ufer gerichtet, und studierte mit Hilfe einer Rotlichttaschenlampe einen topographischen Plan der ehemaligen Distrikthauptstadt.
"Ich bin totmüde. Aber ich finde keine Ruhe."
"Setzen Sie sich zu mir, Axel", sagte Scott gerade laut genug, um gehört zu werden. "Es gibt Literweise Kaffee."
Axel setzte sich im Schneidersitz neben den Offizier, tunlichst darauf bedacht, den Scharfschützen und seinen Spotter nicht zu stören.
Austin seufzte. "Also nehme ich nicht an, dass ich Sie dazu bewegen kann, den Captain zu überreden, wenigstens während meiner Wachschicht schlafen zu gehen?"
"Dafür bin ich wohl der Falsche", erwiderte Axel entschuldigend. "Zumindest solange mir selbst der Kopf schwirrt."
"Ziel auf ein Uhr", sagte der Spotter. "Zwei Mann, bewaffnet, AK47, steigen ins Wasser."
"Ziele erfasst. Freigabe?"
"Freigabe", raunte der Spotter.
Die Waffe des Ranges ruckte heftig, als er sie abschoss. Axels Ohren protestierten beim Knall jedoch nicht. Er hatte mehr als genug Lärm an diesem Tag gehabt. So ein popeliger Gewehrschuss fiel da nicht mehr ins Gewicht. Oder besser gesagt zwei.
Der Scharfschütze suchte nach seinem zweiten Ziel und drückte erneut ab. "Ziele eliminiert."
Der Spotter machte sich eine Notiz in seinem Log. "Das macht dann Nummer vier und Nummer fünf. Werden die heute noch mal schlau?"
Von Norden klang ebenfalls Einzelfeuer zu ihnen herüber.
"Sie versuchen es schon den ganzen Abend", kommentierte Austin. "Immer alleine oder in Zweiergruppen. Es wundert mich, dass sie meinen, gut genug schwimmen zu können, um nicht nur ans Ufer zu kommen, sondern auch ihre Gewehre trocken rüber zu bringen."
"Ich habe ihre Tikalaks gesehen", murmelte der Spotter. "Sie tragen Hauptsächlich Ohren und Nasen, manche auch einen Penis. Ich schätze mal, die sind alle auf Omonek. Sonst könnte der Riki sie uns nicht so einfach zum Fraß vorwerfen."
"Gute Analyse, Polonsky. Mehr von diesen Weisheiten, und ich schlage Sie noch für den Offizierslehrgang vor", sagte Scott mit guter Laune. Zumindest der besten Laune, seit Meike ohne örtliche Betäubung seine Beinwunde ausgeschabt und vernäht hatte.
"Danke, Sir, nicht mein Ding. Man sieht ja, dass Offiziere die bevorzugte Zielscheibe unserer Gegner sind."
"Und er hat keine guten Manieren, Sir. Sie sollten ihn mal bei McDonalds essen sehen", scherzte Leod, der Scharfschütze.
"Äh", begann Axel unsicher, "Jason, ich weiß nicht, ob es mir zusteht, Ihnen Tipps zu geben, aber..."
"Nur zu, Axel. Sie brauchen sich nicht schüchtern zu geben. Ihre Tipps waren heute immer sehr wertvoll", erwiderte der Captain.
"Nun gut. Haben Sie die Möglichkeit bedacht, dass die armen Teufel, die über den Fluss kommen, nur ein Ablenkungsmanöver sind, damit die Truppen des Riki an anderer Stelle übersetzen können?"
"Natürlich. Wir unterhalten im Süden und im Norden weitere Posten, die das gegenüberliegende Ufer und den Wald auf Truppenbewegungen absuchen. Ldunga übernimmt weiter nördlich mit seinen Leuten ebenfalls die Wacht am Fluss. Dafür haben wir ihm ein paar Nachtsichtgeräte überlassen und seine Leute in die Technik eingewiesen. Außerdem überwachen wir die Region mit dem Satellit, Infrarot. Darüber hinaus kontrollieren wir jedes Flussboot darauf, ob es auch ist, was es zu sein vorgibt, oder ob es womöglich ein trojanisches Boot ist, vollgestopft mit den Kämpfern des Riki."
"Jetzt ist es mir peinlich, dass ich gefragt habe, Jason. Sie haben noch weiter gedacht als ich", sagte Axel verlegen.
"Die Tatsache, dass Sie nicht gezögert haben, mich darauf anzusprechen beweist, dass Ihnen nichts peinlich sein muss. Sie handeln so, wie Sie es für richtig halten. Sie würden einen wunderbaren Ranger abgeben."
"Danke, Jason."
Der Captain reichte dem Deutschen einen Metallbecher. "Kaffee?"
"Danke, gerne. Ich kann eh nicht schlafen."
Der Funk von Scott erwachte zum Leben, gerade als Axel nach der Tasse griff. "Ranger 1 von Ranger 3-3-2, kommen."
"Sprechen Sie, Ranger 3-3-2."
"Sir, die Truppe, die wir mit dem Satelliten verfolgen, kommt nun auf meiner Höhe zum Ufer. Die Russenschüssel ist dabei."
"Armstrong..."
"Sorry, Sir. Der BRDM-2-Amphibienpanzerwagen wird mitgeführt und will über den Fluss setzen."
"Schon besser. Halten Sie die Stellung und gehen Sie notfalls leise stiften, wenn der Feind Ihnen zu nahe kommt. Die Kavallerie ist unterwegs. Ranger 1 Ende und aus."
"Welche Kavallerie?", fragte Axel verdutzt.
"Nun, wir beobachten den Trupp schon einige Zeit, per Satellit, mit Nachtsichtgeräten und mit den Infrarotscannern der Hubschrauber. Wir haben nur darauf gewartet, dass sie über das Ufer setzen will. Bei der Gelegenheit erwischen wir auch gleich den nervenden Panzerwagen. Ich korrigiere mich: Sie erwischen den nervenden Panzerwagen. Ich habe mir erlaubt, für diese Operation Boxies Hilfe einzuholen. Wenn er mitgehört hat, dann..." Hinter ihnen, in Richtung Moschee, lief der Rotor eines Helikopters an. "Dann wird er sich der Sache gleich persönlich annehmen."
"Genau das Richtige für eine ruhige Nacht", kommentierte Axel sarkastisch. Wobei er keine Ahnung hatte, wo er den Sarkasmus hernahm. Allerdings wusste er, dass auf eine ruhige Nacht nicht unbedingt ein ruhiger Tag folgen würde.
Die Mi-24D zog hinter der Moschee hoch, erreichte Wipfelhöhe und flog nach Norden ab. Sie sahen es in gut vier Kilometern Entfernung am Flussufer blitzen, und es kam zu einer Sekundärexplosion, als der Amphibienpanzerwagen in die Luft ging - vermutlich - danach herrschte wirklich Ruhe. Einige Zeit später trieb der Fluss die Toten der Aktion an ihnen vorbei.
In Axels Brust rangen zwei Seelen miteinander. Einerseits verabscheute er das Töten. Er konnte, er wollte, er musste gut sein, Gutes tun, die Leben der Menschen verbessern, helfen, wo immer er nur konnte. Andererseits wusste er, dass diesen Menschen, den Dienern des Riki, nicht zu helfen war. Sie mussten sich selbst helfen, so wie die Männer, die sich ihnen ergeben hatten. Dafür mussten sie selbst die Voraussetzungen schaffen.
Axel hoffte inbrünstig, dass der Riki mittlerweile bitter bereute, dass er sich ausgerechnet seinen Penis als Trophäe hatte holen wollen.
***
Vice Admiral Cedric Philips sah auf seine Taschenuhr. Er verfolgte den Sekundenzeiger, während er zur Zwölf unterwegs war. "Achtzehn Uhr drei. Sonnenuntergang in Keounda City", sagte er mit ernster Stimme. Er sah auf und überblickte sein Flaggbüro an Bord des atomgetriebenen Flugzeugträgers Abraham Lincoln. Vor ihm standen seine in dieser Situation wichtigsten Untergebenen: Captain Nicole Helmstad, die Kapitänin der Abraham Lincoln; Captain Rudy Hawkeye Tomlin, Chef des 17. Carrier Air Wings Deadly Sparrows, dem Bordgeschwader der Abe; Commander Rebecca Dentry, die Airboss des Trägers; Major Aaron Michael, den Anführer der Marines an Bord; und natürlich Rear Admiral Denise Forrester-Garcia, seine Stabschefin.
Die altgediente Frau sprach als Erste. "Dunkelheit ist kein Problem für die Army Ranger, Cedric."
"Außerdem haben sie Nachtsichtgeräte. Und soweit ich weiß, sind die Deutschen von der Mine auch mit Nachtsichtgeräten ausgerüstet, Sir", meldete sich Major Michael zu Wort.
"Dass ich das noch mal erleben darf. Ein Marine lobt die Ausrüstung der Army", spottete Rudy Tomlin und hatte damit die Lacher auf seiner Seite.
Philips lächelte schmallippig, bis wieder Ruhe eingekehrt war. "Unsere Aufgabe ist klar, Herrschaften. Die US Army hat sich in Keounda City festgekrallt, und diese Krallen werden nicht mehr loslassen, bis nicht der letzte Knopf, bis nicht der letzte Knochen eines US Army Rangers gefunden ist. Der Präsident hat sehr eindeutige Anweisungen dazu erlassen: Die Untersuchungen sind mit allen Kräften zu schützen, egal wie lange sie dauern. Bis wir alles wissen, was wir von diesem Kampfplatz erfahren können. In der vergangenen Stunde sind General Shatterfield und ein achtköpfiger Untersuchungsausschuß in Washington D.C. gestartet. Sie werden in rund zwanzig Stunden in Panadia landen. Sie bringen eine weitere Kompanie Ranger mit leichtem Gerät sowie eine Abteilung des CID mit."
Commander Dentry hob misstrauisch eine Augenbraue. "Es werden doch wohl keine Ermittlungen gegen Captain Scott geführt werden, Admiral?"
"Junge Dame, natürlich werden Ermittlungen gegen Scott geführt. Er hatte das Kommando, als sich Ndongo genötigt sah, auf zwei seiner Hubschrauber und auf eines seiner Platoons Napaln regnen zu lassen. Es ist der schnellste Weg, um seinen Namen reinzuwaschen, wenn er sich nichts hat zuschulden kommen lassen. Unsere Aufgabe ist es, General Shatterfield und seine Leute sowie die Ranger ins Zielgebiet zu bringen. Bis dahin aber will ich Ihre Marines in Belongo sehen, Aaron. Zwei Platoons."
Der große Schwarze nickte. "Wir bringen das Erste und das Zweite samt Ausrüstung mit drei Ospreys zuerst zum Honiton Air Field zum nachtanken, und von dort direkt nach Keounda City. Dabei erhalten wir Begleitschutz von der Belongo Mining in Form von zwei ihrer Mi-24."
Der Admiral nickte zufrieden. "Ein Glück, dass ausgerechnet dort eine Mine existiert. Und ein Glück, dass der Wachschutz dieser Mine so überaus gut bewaffnet ist."
"Diese Ironie ist mir auch schon aufgefallen, spätestens nachdem ZNN von der spektakulären Befreiungsaktion der Ärzte ohne Angst berichtet hat. Aber so wie es scheint, hat der ndongoische Minister für Bergbau ihnen nicht nur das Minengelände verpachtet, sondern ihnen eingeschärft, dass die Minengesellschaft für den Schutz ihrer Leute selbst verantwortlich ist. Und weder in Panadia, noch in Ndongo ist der Besitz von Kriegswaffen oder Kriegsgerät wirklich strafbar, Cedric." Die Stabschefin räusperte sich vernehmlich. "Ich habe es sicherheitshalber verifiziert. Die ndongoische Verfassung erlaubt tatsächlich Kriegswaffen in Privatbesitz."
"Wie praktisch für die Belongo Mining. Aber damit ist das Thema noch nicht beendet. Wenn es meine Zeit erlaubt, werde ich selbst rüberfliegen und mir ein Bild von der Lage machen. Sicher, die internationale Meinung hofiert die Herwig-Brüder für ihr Engagement und ihren Weitblick, und statt sich zu wundern was ihre Offiziere in dem fremden Land treiben, will die Bundeswehr wegen der gelungenen Kommandoaktion mit Orden um sich werfen. Aber ich wüsste schon gern, wer die Leute sind, für die anständige US-Soldaten sterben mussten. Aber das wird warten müssen, weil unser Maßnahmenkatalog damit noch nicht abgegolten ist. Aaron, Sie werden einen weiteren Osprey fertig machen und persönlich mit dem Dritten rausgehen."
"Sir, das dünnt unsere Personaldecke auf der Abe erheblich aus. Nicht, das ich glaube, dass wir Enterabwehr betreiben müssten, oder dass wir besondere polizeiliche Präsenz bei dieser hervorragenden, disziplinierten Mannschaft betreiben müssten. Aber ich würde meine Pflichten nur ungern teilweise vernachlässigen, wenn es um ausländische Interessen und ausländische Firmen geht."
"Dann wird es Sie freuen zu hören, was ich mit Ihnen vorhabe", sagte Philips. "Sie werden nach Ompala fliegen und das dortige US-Konsulat verstärken. Der Osprey wird auf dem Gelände verbleiben, falls die Evakuierung des Botschafters und seines Stabes notwendig sein sollte. Dies wird allerdings nur geschehen, wenn ein direkter Angriff zu befürchten ist."
"Sie würden nicht ein Platoon meiner Marines rüberschicken, wenn der Verdacht nicht bestehen würde, Sir." Michael sah ernst drein. "Befürchten die da oben weiteres Friendly Fire?"
"So in etwa. Wir haben den klaren Auftrag, die ganze Affäre aufzuklären. Zu diesem Zweck wird die Kampfgruppe vor der ndongoischen Küste kreuzen und Sie und die Einheiten in Keounda City mit dem Bordgeschwader unterstützen."
Captain Tomlin tippte sich mit Zeige-, und Mittelfinger der Rechten an die Stirn. "Wird mir und meinen Jungs und Mädels eine Freude sein, Sir."
"Gut zu wissen, Rudy. Damit das klar ist", sagte Philip, "es werden in Ndongo Köpfe rollen, und das nicht von Subalternen. Wenn wir Hinweise auf ein Kriegsverbrechen erhalten, werden wir im Namen unser toten Kameraden alles daransetzen, um die Drahtzieher in die Hände zu bekommen und vor ein ordentliches US-Gericht zu stellen. Dies schließt auch eine kriegerische Option ein."
"Sie meinen, Sir, dass wir Ndongo nötigenfalls den Krieg erklären werden?", fragte Captain Helmstad verblüfft. "Ist das nicht vollkommen übertrieben?"
"Sie meinen so übertrieben wie es war, dass die ndongoische Luftwaffe unsere Leute mit Napalm geröstet hat?", erwiderte der Admiral mit ärgerlicher Stimme. "Haben Sie keine Sorge, die Luftwaffe Ndongos ist bereits erheblich geschwächt. Es wird für unseren CAG keine Schwierigkeiten bedeuten, die Lufthoheit zu erringen und zu halten. Ein Eingreifen der Gemeinschaft Afrikanischer Staaten ist kurzfristig nicht zu erwarten, also werden wir, notfalls unterstützt von unseren panadianischen Verbündeten, die Lufthoheit eine lange Zeit behalten können."
"Sir", wandte Helmstad ein, "wird Ndongo die Sache nicht vor die Vereinten Nationen tragen?"
"Erstens ist das Politik, und das ist nicht unsere Aufgabe. Zweitens ist New York weit weg von hier. Und drittens sind wir im Recht, weil wir beweisen können, dass die Kampfjets ndongoische Maschinen waren. Viertens belegen die Satellitenaufnahmen sehr genau, dass die Jets die Landezone der Ranger anvisiert haben. Ihre Flugmuster sind eindeutig. Das dürfte ihrer Beschwerde ganz schön den Wind aus den Segeln nehmen. Und fünftens verlasse ich das Küstengewässer Ndongos erst dann, wenn Sie mir das schuldige Arschloch und seine Komplizen in Ketten in die Brig werfen, um es mal blumig auszudrücken."
"In die Brig. Aye, Sir", sagte Michael schmunzelnd.
"Eine Frage noch", sagte Commander Dentry. "Politik ist vielleicht hier nicht unsere Aufgabe. Und es dürfte feststehen, dass da in der Befehlsstruktur irgendjemand durchgeknallt ist, um aus unserer Rettungsoperation ein Schlachtfest zu machen. Die Schuld der ndongoischen Luftwaffe steht dabei auch fest. Wir sollten den Luftraum problemlos beherrschen, und das Wenige, was Ndongo unseres Wissen an SAM und Luftabwehr hat, stellt uns auch nicht vor Probleme. Aber zwei Dinge geben mir doch zu denken, Sir."
"Und diese wären?", fragte der Vice Admiral interessiert.
"Nun, Ndongo ist reich an Rohstoffen und Agrarflächen. Selbst in Belongo, das als unsicher und zerrüttet gilt, wird Erdöl gefördert und raffiniert. Und seit neuestem werden auch Diamanten abgebaut."
Leises Gelächter kommentierte ihre Worte, was Rebecca Dentry selbst kurz schmunzeln ließ. "Aber dennoch sind weder die Chinesen, noch die Russen vor Ort. Bei den Russen kann ich es verstehen. Sie haben selbst genügend Rohstoffe, und politisch haben sie in einem Bürgerkriegsland nichts zu gewinnen. Aber die Chinesen, Sir? Das gibt mir zu denken."
"Die Antwort liegt doch wohl auf der Hand, Commander", sagte der Admiral mit ernster Miene. "Wenn weder die Russen noch die Chinesen hier aktiv sind, in einer ehemaligen belgischen Kolonie, in der selbst in einer Unruheregion Erdöl gefördert, raffiniert und per Pipeline an die Küste gepumpt wird, was ist hier dann wohl los?"
"Nun, Sir, ich vermute messerscharf, dass wir dann hier vor Ort sind und das Sagen haben." Sie schnaubte kurz. "Und mit wir meine ich westliche Firmen, die die Regierung schmieren und die Rohstoffe für Almosen aufkaufen."
"Und das macht Ihnen Sorgen?", hakte der Admiral nach.
"Nun, Sir, es kann doch durchaus sein, dass wir mit dieser Aktion dem einen oder anderen Großkonzern die Bilanz versauen."
"Und wenn das so ist, Commander? Wenn wir Roxxon und Konsorten auf die Füße treten und ihnen ihre Milliarden-Auslandsgewinne verderben?"
"Nun, Admiral, mich persönlich würde das mehr als freuen. Ich bin keine Sozialistin, aber dem Turbokapitalismus auf Kosten der Dritten Welt kann ich auch nichts abgewinnen."
Der Admiral klopfte nachdenklich mit den Fingern der Rechten auf seiner Schreibtischplatte einen schnellen Stakkato. "Darum geht es aber nicht. Wie ich schon sagte, unsere Aktion ist in erster Linie militärisch. US-Soldaten mussten sterben, und wir wollen sie nach Hause bringen und wissen, wieso. Und wir wollen die Schuldigen vor unser Gericht stellen. Nicht irgendwelche Opferlämmer, sondern die ganz oben. Und wenn es der Staatspräsident ist, das ist mir egal! Selbst wenn ich dafür eine amphibische Division anfordern und dieses Land erobern muss!"
"Alles klar. Wir machen in keinster Weise Politik", spottete Tomlin.
"Richtig. Wir handeln nur gemäß der Weisungen des Präsidenten." Philip lächelte grimmig. "Commander Dentry, arbeiten Sie einen neuen Flightplan aus, um notfalls ein Flugverbot über Ndongo durchzusetzen." "Ja, Sir."
"Rudy, briefen Sie Ihre Kids darauf, notfalls die ndongoische Luftwaffe in der Luft und am Boden zu zerstören und die Luftabwehr des Landes auszulöschen." "Bin schon dabei, Admiral."
"Denise, ich möchte sowohl für die Einsätze in Keounda City als auch in Ompala City komplette Wege fürs rein und raus." "Liegen in einer Stunde auf deinem Schreibtisch, Cedric."
"Nicole, suchen Sie uns einen gemütlichen Platz vor der Ndongo-Küste knapp außerhalb ihrer Gewässer, so nahe an Ompala dran, wie es geht, aber möglichst weit weg von den Inseln vor der Küste. Ich möchte nicht anfällig für Artillerie oder Schnellbootattacken werden." "Ja, Sir."
"Und Aaron..." "Sir?" "Sie haben den schwersten Teil der Operation. Sehen Sie zu, dass die Ranger nicht besser aussehen werden als die Marines."
Der Major grinste. "Werde mich bemühen, Sir."
"Also dann, weggetreten."
Die Offiziere salutierten und verließen in hektischer Betriebsamkeit das Flaggbüro.
Vice Admiral Cedric Philip sah für einen Moment blicklos ins Leere. Er versuchte sich klarzumachen, was der Präsident mit dieser Entscheidung bezweckte. Beinahe schien es Philip, er wolle tatsächlich einen Krieg führen. Nur gegen wen? Gegen das schwache Ndongo doch eher nicht.
"Ab hier wird es interessanter", stellte der Admiral fest. "Es wird mir ein Vergnügen sein, Ihre Befehle auszuführen, Mr. President."
***
Es war ziemlich genau fünf Stunden her, seitdem das Napalm auf ein Platoon der Army Ranger gefallen war; das bedeutete für Washington D.C. zwei Uhr P.M. Ortszeit, eigentlich Zeit für eine anständige Mittagspause. Dazu war Präsident Salem Etranger heute aber nicht gekommen. Die Belongo-Krise hatte ihm nur Zeit für ein zugegeben hervorragend gemachtes Truthahnsandwich an seinem Schreibtisch gelassen, während die Affäre immer weitere Kreise zog. Schon hatte die erste undichte Stelle vage Informationen über den Vorfall an die Presse weitergegeben, sodass ZNN als eine der ersten Quellen verkündete, dass es wahrscheinlich einen kriegerischen Akt gegen die USA in Zentralafrika gegeben hätte. Noch konnte Cynthia Maybright, die Sprecherin des Pentagons, entsprechende Fragen mit kein Kommentar abwiegeln, aber in einer Demokratie, selbst einer so wackligen wie der ihren, war das nur so lange möglich, bis echte Fakten über den Vorfall durch die Presse gegangen war. Und der Präsident hatte keine Zweifel, dass die Morgenausgabe der Washington Post und der ehrwürdigen Grey Lady, der New York Times, in der Morgenausgabe mit einigen Details zum Geschehen aufwarten würden, wahren wie spekulativen. Aber auf jeden Fall würden die meisten berichtenden Zeitungen den Handlungsort eindeutig identifizieren: Belongo.
Im Moment hatte sein Stabschef alle anderen Termine abgesagt; neben General Landsdale entwickelten sich der Secretary of War, Staatsminister Willem van Fitz sowie der CNO, der Chief of Naval Operations, Admiral Jonas Blueberry, zu den Stammgästen seiner Kaffeepad-Maschine im Büro. Collien Holmes, SECNAV, der Secretary of the Navy, würde auch bald per Sonderflug aus Austin eintreffen.
Hinzu kamen seine engsten Berater, weitere Vertreter des Pentagons und die Außenministerin Maggie Hernandez. Was dazu führte, dass normaler Kaffee per Büro-Bypass ins Büro des Präsidenten geleitet werden musste, um den Bedarf an Koffein annähernd zu decken.
"Was also tun wir jetzt?", fragte Hernandez. "Erklären wir Ndongo den Krieg?"
Ihre Worte ließen die Männer und Frauen aufraunen. Einige zustimmend, andere ablehnend. Sie reagierte nicht darauf und fixierte weiterhin den Mann, den sie mit unendlicher Energie durch den Wahlkampf gegen seine Herausforderer getrieben hatte, von dem sie sich so viel versprach.
Der Präsident sah sie nachdenklich an. "Willem, würden Sie bitte noch einmal alles zusammenfassen, was wir bisher wissen?"
"Gerne, Mr. President. Vorgestern Nacht gelang es einer privaten Werksschutzeinheit, der aktive und ehemalige Soldaten der Bundeswehr, der US Army, der französischen Armee und weiteren Nationalarmeen angehören, die Ärzte ohne Angst zu befreien, die im Nachbarbezirk Belongos, Burutu, von Rebellen entführt worden waren, um Lösegeld zu fordern. Die Entführer gingen dabei mit äußerster Brutalität vor. Nach unseren Informationen zu brutal, denn als sie von den Deutschen dezimiert worden waren, wurden die Überlebenden von den Dorfbewohnern des Dorfes, in dem sie sich eingeigelt hatten, gelyncht. Diese Werksschutzeinheit, die mit deutschem und russischem Gerät ausgerüstet ist, gehört zur First Belongo Diamond Mining Company. Diese hat eine beeindruckende Leistung vollbracht. In nur einer Woche gelang es ihr nicht nur, tatsächlich eine Diamantenmine zu finden und erste Funde zu vermarkten, sie zog auch ein funktionierendes Feldlazarett für die Bevölkerung auf, das Kranke aus ganz Belongo anzieht. Ruhig, Maggie, ich erwähne das nur, damit Sie verstehen, mit wem wir es zu tun haben. Tatsächlich hat die Belongo Mining zwei sogenannte Minenwölfe angeschafft, die derzeit in der Region um die Mine an der Entminung von Feldern und Wiesen von Personenminen arbeiten. Mittelfristig will Belongo Mining ganz Belongo entminen, Straßen bauen, einen Flugplatz einrichten, Schulen bauen und fördern. Also alles tun, um in der Weltpresse als die Guten dazustehen. Nach meinen Informationen tut Belongo Mining das nicht aus Berechnung, sondern weil dies wirklich ihre Ziele sind. Zu diesen Maßnahmen gehört es, dass sich die Company mit den Warlords arrangiert oder einfach alle über den Haufen ballert. Axel Herwig, der Senior-Direktor des Unternehmens, entschied sich für Verhandlungen. Zu diesen Maßnahmen gehört es auch, sich um Keounda City zu kümmern, einem Ort, der von einer bewaffneten Truppe unbekannter Größe beherrscht wird. Diese Truppe, von Captain Jason Scott, dem Kompanieführer der Ranger, lunatische Irre genannt, terrorisiert das Umland und fordert Tribut, doch dazu später mehr.
Tatsache ist, wir hatten eine voll ausgerüstete Kompanie Ranger da unten, genauer gesagt in der Base de l'Air, dem einzigen Militärstützpunkt, den Ndongo noch in seiner neunzehnten Provinz unterhält. Von dort sollten sie nach der Lokalisierung der gefangenen Ärzte ausrücken, und je nach Situation reagieren können. Dazu kam es aber nicht mehr. Die Deutschen waren etwas schneller als wir."
Der Secretary of War wartete, bis das teils amüsierte, teils ironische Gelächter wieder abgeebbt war, dann nahm er den Faden wieder auf.
"Nach einer Verhandlung mit dem Kriegsherrn Ldunga Kamebesi, der die südliche Grenze der Belongo Mining bildet, wurde Axel Herwig nahe an Keounda City herangelockt, wo sein Hubschrauber mit Hilfe von MANPAD abgeschossen wurde. MANPAD, das sind, für alle, die es nicht wissen, tragbare Granat-, oder Raketenwerfer, die auf Panzer oder Flugeinheiten abgefeuert werden. Wir wissen nicht, was Herwig vom Himmel geholt hat, tippen aber auf eine Panzerfaust russischer Produktion. Jedenfalls schmierte ihre Maschine mitten im Westen der alten Distrikthauptstadt ab. Herwig und sein Pilot überlebten den Absturz und zogen sich unter schwerem Feuer an den einzigen sicheren Ort zurück, das war das Minarett der Moschee, die den Westen der Stadt beherrscht. Von hier riefen sie nach Hilfe und hatten Glück. Captain Scott hatte sich derweil entschlossen, der Belongo Mining mit einem seiner Platoons einen Anstandsbesuch zu machen und kam rechtzeitig, um den Hilferuf zu vernehmen. Scott handelte vollkommen im Sinne der Truppe, als er dem Wahlspruch sua sponte folgte, aus eigenem Antrieb. Er setzte sein gut organsiertes, bestens ausgerüstetes und hervorragendes Elite-Platoon gegen eine ganze Stadt voller lunatischer Irrer, führte eine Landeoperation durch und gelangte mit Unterstützung der Hubschrauber der Belongo Mining im Handstreich ebenfalls bis zur Moschee, wo er sich einigelte. Derweil rief er ein weiteres seiner Platoons zu Hilfe, welches auf der gleichen Landezone aufsetzen sollte, die er bereits benutzt hatte. Zu diesem Zeitpunkt hatte aber bereits der Kriegsherr Ldunga eingegriffen und seine Leute die Wälder rund um den Westteil der Stadt von Bewaffneten säubern lassen. Dabei fielen ihm russische Panzerfäuste und Luftfäuste in großer Zahl in die Hände.
Als jedoch First Lieutenant Austin mit dem schwere Waffen-Platoon landete, um Herwig, seinem Piloten und Scotts Erstem Platoon die Tür für die Evakuierung offenzuhalten, geschah das Unfassbare: Einheiten der ndongoischen Luftwaffe griffen die Landezone mit Waffenfeuer und Napalmbomben an. Zu diesem Zeitpunkt verzeichnen wir gesichert achtzehn Tote. Und es kann durchaus sein, dass es nicht alle Schwerverletzten schaffen, die derzeit im Lazarett der Belongo Mining versorgt werden."
Der Secretary of War ließ seine Worte einen Moment ins Bewusstsein der Männer und Frauen sacken, bevor er weitersprach. "Dank General Landsdale und seiner Intervention bei unseren Freunden in Panadia konnte ein zweiter Luftschlag der ndongoischen Luftwaffe vereitelt werden. Als weitere Kampfjets den Luftraum über Belongo betraten und Kurs auf unsere Landezone hielten, hat sie eine Staffel panadischer Jagdflieger nachdrücklich vertrieben.
Scott hat danach beschlossen, zusammen mit Ldungas Männern, den Überlebenden des dritten Platoons und seines ersten Platoons sowie den Deutschen, die Stadt zu nehmen, was, wie ich anmerken möchte, natürlich die richtige Entscheidung war, damit er Luft bekam, um die Verletzten und Toten bergen zu können.
Tja, was soll ich sagen? Die Aktion verlief nicht gerade wie im Bilderbuch, und die lunatischen Irren hatten noch ein paar Tricks in der Hinterhand, aber dank weiterer fliegender Einheiten der Belongo Mining konnte das Schlimmste verhindert werden. Wir zählen im Moment fünfhunderteinunddreißig Tote bei den Verteidigern Keounda Citys."
"Ist es angemessen, die Verteidiger Keounda Citys permanent als lunatische Irre zu bezeichnen?", fragte Hernandez verstimmt. "Wer weiß, ob sich die Situation nicht letztendlich als Schuld der Deutschen herausstellt, und wir kriegen dann die ganze schlechte Presse."
Van Fits zog ein paar Fotos aus seiner Jackentasche. "Urteilen Sie selbst. Wir haben hier ein paar Aufnahmen ausgedruckt, die wir mit Hilfe einer Helmkamera machen konnten. Sie zeigen einige der toten Verteidiger und eines ihrer speziellen Häuser von innen." Er verteilte die Fotos großzügig.
Es dauerte etwa fünf Sekunden, bis sich Staatssekretärin Gerald zusamenkrümmte und auf den guten Teppich im Oval Office übergab.
Der Präsident konnte sie gut verstehen. Die Bilder waren dazu angetan, sogar ihm den Magen umzudrehen, und er hatte vieles gesehen, vor allem in seinen Tagen als freiwilliger Helfer in Krisengebieten. "Interessant", sagte er mit tonloser Stimme. "Sie tragen also Körperteile als Fetische. Und sie stellen diesen Schmuck auch noch selbst her, wie es scheint."
"So sieht es aus, Mr. President", sagte der SECNAV. "Ich frage mich, ob wir diese Information überhaupt an die Öffentlichkeit weitergeben können."
"Das ist hier doch gar nicht der springende Punkt", sagte Landsdale. "Ich informiere Sie hiermit darüber, dass vor drei Stunden drei ranghohe Offiziere der Ranger und ein Untersuchungsteam der CID sowie eine weitere Kompanie Ranger per Langstreckenflug unterwegs nach Panadia sind. Bis zum Ende dieser Untersuchungen werden wir West-Keounda halten. Der Anführer der Truppe ist Colonel Blight Ryley."
"Und was versprechen Sie sich von den Untersuchungen, abgesehen davon, dass Ryley eine verlässliche Größe ist?", fragte der CNO. "Wir haben Aufnahmen des Luftverkehrs per Satellit, wir haben Aufnahmen ihres Funkverkehrs, und wir haben die militärische Überlegenheit in der Region. Glauben Sie ernsthaft, Ndongo wird uns die Herausgabe der Verantwortlichen verweigern?"
"Ja, das glaube ich", erwiderte Landsdale. "Schauen Sie sich doch mal die Situation an. Wer immer den Befehl gegeben hat, dass die Jäger aufsteigen, wer immer den Befehl gegeben hat, unsere Ranger zu bombardieren, der war sich im Klaren darüber, das er sich mit der mächtigsten Armee der Welt anlegt. Und schauen Sie sich die Aufstellung Ndongos an, Admiral. Sie haben nichts, was einer Division Marines länger als eine Woche standhalten könnte. Alleine die Abraham Lincoln könnte mit ihren Fliegern und den Marines von Bord und den Begleitschiffen Ompala City erobern."
"Erobern, aber nicht halten", warf van Fitz ein. "Zumindest nicht sehr lange."
"Richtig, Willem. Und darin liegt wohl unser Problem bei der Geschichte. Ndongo ist ein autarker Staat, der Mitglied in der Gemeinschaft Afrikanischer Staaten ist. Was, wenn es Ndongo gelingt, seine Nachbarn dazu zu bringen, zu seinen Gunsten einzugreifen?"
"Ich bitte Sie. Das setzt doch einen Angriff unsererseits voraus."
"Den wir bereits geschlagen haben, als wir die Panadianer um Hilfe gebeten haben, Jonas."
"Ich verstehe immer noch nicht, was hier überhaupt passiert ist", sagte Hernandez nachdrücklich. "Dieser Staat hat keine große Armee, keine bemerkenswerte Luftwaffe und nicht mal eine anständige Küstenwache. Zudem ist eines seiner Bundesländer ein permanenter Krisenherd. Ndongo kann es sich nicht mal träumen lassen, uns herauszufordern! Warum aber haben unsere Ranger von Ndongo eine Basis bekommen, von der aus sie operieren konnten, und einen Tag später schmeißt man ihnen Napalm auf den Kopf? Wie können sie nur glauben, wir lassen das ungesühnt?"
"Eventuell meinen sie, mit ein paar Bauernopfern davonzukommen. Ein missverstandener Befehl, ein paar durchgedrehte Piloten", murmelte Bixby, der militärische Berater des Präsidenten.
"Ja, Henrik, in Ordnung. Aber was wollten sie damit gewinnen?", fragte die Außenministerin scharf.
"Unordnung", erwiderte Landsdale.
"Unordnung? Erklären Sie das, General."
"Nun, als die Ranger in Keounda City ankamen, hatten sie die Verteidiger Keounda Citys erstaunlich gut im Griff. Als Captain Scott ein weiteres Platoon nachzog, muss irgendjemand in der Befehlshierarchie beim Gedanken, die Ranger könnten die ganze Stadt erobern wollen, in Panik geraten sein und hat diese Wahnsinnstat befohlen. Anstatt aber Scotts Kommando ins Chaos zu stürzen, trat die gegenteilige Wirkung ein. Jetzt, in diesem Moment beherrschen wir den westlichen Teil der alten Distrikthauptstadt und das westliche Ufer des Lagabandas, der die Stadt durchfließt."
"Ich verstehe immer noch nicht."
"Ich will es Ihnen erklären, Frau Außenministerin. Wussten Sie, dass es genau einen Stützpunkt des ndongoischen Militärs in Belongo gibt?"
"Ja, die Base de l'Air, von der auch die Ranger operiert haben."
"Richtig. Wussten Sie, dass dieser Stützpunkt ein Erdölfeld, eine Raffinerie und eine Pipeline beschützt, die auf belongoischem Gebiet liegen?"
"Was hat das bitte mit der jetzigen Situation zu tun?", fragte sie irritiert.
"Viel, Ma'am. Ich gehe davon aus, dass Sie das nicht wussten." Landsdale räusperte sich. "Vor zwanzig Jahren begann der Bürgerkrieg in Belongo, der das Land in Unruhen und Chaos gestürzt hat. Seither ist der achtzehnte Bezirk Ndongos nicht mehr zur Ruhe gekommen. Die Hauptstadt ist in der Hand einer militanten, fanatischen Sekte, die eine Befriedung und Wiederbesiedlung verhindert, und sie blockiert eine der wichtigsten kontinentalen Straßen Afrikas. Bevor dieser Bürgerkrieg aber begann, wurden die Öfelder entdeckt und als sehr ergiebig klassifiziert. Mir liegen Informationen vor, dass man in der Bundesregierung befürchtete, Belongo könnte sich mit seinem neuen Reichtum vom Rest des Landes lossagen. Eine Welle weiterer Sezessionen hätte die Folge sein können, und vom Öl hätte man nie etwas gesehen."
"Aha. Ndongo hat also seinen Bundesstaat, der anscheinend abtrünnig werden wollte, ins Chaos gestürzt, um die Hand auf das Öl zu legen", folgerte Hernandez. "Und um das Chaos permanent zu halten, wurde die Hauptstadt unbesiedelbar gemacht. Ohne die Verkehrstrasse, die Schlagader des Landes, konnte es sicher keine Revitalisierung geben. Haben Sie sich das in etwa so gedacht, General?"
"Brillant geschlussfolgert, Frau Außenministerin."
"Gut, dann erklären Sie jetzt doch mir und allen Anwesenden, warum Ndongo unsere Operation nicht einfach ausgesessen hat, anstatt uns zu provozieren."
"Ich glaube, ich kann Ihnen diese Frage besser beantworten, Maggie", sagte der Präsident. Er atmete heftig aus. "Vor gut drei Stunden bekam ich einen Anruf von Alexander Dexter."
"Alexander Dexter? Dem Vorstandschef von Roxxon?"
"Ja. Er wies mich ausdrücklich auf die Interessen seines amerikanischen Konzerns in Ndongo und im Speziellen in Belongo hin und bat mich, alles in meiner Macht stehende zu tun, um die Werte und Investitionen des Konzerns nachhaltig zu stützen."
Hernandez runzelte die Stirn. "Jetzt sagen Sie bloß, Roxxon hat die Förderlizenz in Belongo."
"Richtig geraten, Maggie", sagte Blueberry.
"Was will Dexter also? Dass wir das Land erobern und die Einkünfte von Roxxon sichern helfen?"
"Etwa eine Stunde zuvor bekam ich einen anderen Anruf. Es war Mr. Red, derzeit tätig als Auslandsmanager von Roxxon in Ndongo."
"Reden wir hier von Amadeus Red?", fragte die Außenministerin misstrauisch.
"Richtig. Amadeus Red, dem Urbild des Öllobbyisten", bestätigte der Präsident.
"Ich ahne Schlimmes."
"Zu Recht. Mr. Red sagte mir während unseres Gesprächs, er wäre von der Regierung Ndongos gebeten worden, für sie zu vermitteln. Demnach sollten wir den Vorfall so gut wir können unter den Teppich kehren, und Ndongo würde sich zu jeder Form von Reparationen bereiterklären."
"Was ich für eine vernünftige Bitte halte, auch wenn wir sie angesichts von achtzehn toten Army Ranger unmöglich erfüllen können", sagte Hernandez. "Aber wie passt das mit den Worten von Dexter zusammen?"
"Das ist relativ einfach erklärt", sagte der Präsident. "Roxxon beherrscht das Ölgeschäft in Belongo und führt die raffinierten Produkte mit einer eigenen Pipeline bis zum eigenen Verladehafen am Atlantik. Ein stabiles Belongo würde eventuell fragen, wo denn die Gewinne aus den Ölverkäufen hingehen, deshalb können sie einen stabilen Bezirk nicht gebrauchen. Deshalb hat Mr. Red mit der weißen Fahne gewedelt, nachdem augenscheinlich die Firmeninteressen mit Waffengewalt durchgesetzt wurden. Und Mr. Dexter hat angerufen, weil er eine noch viel bessere Idee hatte, um die Interessen seiner Firma zu schützen, nämlich das ganze Land einfach erobern zu lassen."
"Aber das ist monströser Wahnsinn! Das kann Dexter doch nicht ernst meinen", sagte die Außenministerin aufgebracht.
"Maggie, hier in diesem Büro müssen wir auch das aussprechen, was mancher von uns als unmöglich empfindet. Oder als Wahnsinn", mahnte der Präsident. "Und bedenken Sie, wir haben nur aufgrund einer Meldung über den Beschuss mit Napalm eine Trägerkampfgruppe umgeleitet, um unsere Untersuchungen notfalls mit Waffengewalt durchzusetzen. Was, meinen Sie, wird passieren, wenn unsere Botschaft überfallen wird?"
Bigsby räusperte sich. "Wir haben festgestellt, dass Ndongo militärisch recht schwach ist, dafür aber reich an Bodenschätzen. Zudem könnten wir uns sicher sein, dass ein Großteil der Bevölkerung, vor allem jene, die nicht an der Küste siedeln, uns wenn schon nicht mit offenen Armen, so doch freundschaftlich oder neutral empfangen würden. Wir hätten keine Schwierigkeiten, uns auf Jahre oder gar Jahrzehnte festzusetzen. Und entschuldigen Sie, wenn ich das sage, Mr. President, aber die letzten beiden Kriege, die Ihr Vorgänger geführt hat, haben sich nur darum gedreht, Erdöl und Erdgas in amerikanische Hände zu bekommen. Ndongo ist relativ leicht militärisch zu besiegen. Und wenn wir einen völkerrechtlich relevanten Grund hätten, würde die Welt uns auch noch beglückwünschen, wenn wir es tun. Anschließend setzen wir eine Marionettenregierung ein, und ein neuer US-Vasall ist geboren."
"Um es kurz zu machen", sagte der Präsident, "hat Dexter uns in eine echte Zwangslage gebracht, in der wir auf rohen Eiern tanzen. Ein falscher Schritt von uns, und wir sind sogar gezwungen, Ndongo anzugreifen. Und wie wir wissen, gibt es in Ndongo nicht erst seit gestern Diamanten. Wirtschaftliche Anreize sind genügend vorhanden. Allerdings möchte ich nicht als Präsident in die Geschichte eingehen, der ein armes afrikanisches Land wegen Rohstoffen niedergeknüppelt hat."
"Wir könnten... Das Land besetzen. Die Strukturen ordnen. Freie Wahlen abhalten. Den Einfluss der US-Konzerne, die bereits vor Ort sind, einschränken oder zumindest einfrieren", sagte Hernandez.
"Mir wäre es lieber, es würde nicht so weit kommen. Es geht mir vor allem um unsere Leute, die da unten in der Zwickmühle stecken. Und um die Schuldigen am Tod unserer Army Ranger", sagte der Präsident.
"Was, Sir, wenn wir diese Schuldigen letztendlich in Roxxons Vorstandsetage suchen müssen?", fragte Bigsby leise.
"Das steht wohl außer Frage", sagte Landsdale. "Die richtige Frage lautet: Wie schaffen wir das, ohne unsere Wirtschaft und unsere Nation in eine Krise zu stürzen?"
Auf diese Frage konnte ihm niemand antworten.
***
Die Nacht legte sich wie ein samtiger Schatten über die ehemalige Distrikthauptstadt Belongos. Sie befand sich wie ein großer Teil des Landes auf einem Hochplateau und war dem Himmel tausend Meter näher als der Rest des Landes. Ursache hierfür waren zweifellos die erloschenen Vulkane im Norden, die in ihrer aktiven Zeit für allerlei tektonische Aktivität gesorgt hatten, sodass sich das Land vor gut zwanzig Millionen Jahren komplett gewendet und aufgeworfen hatte. Das nächste derartige Ereignis war glücklicherweise nicht vor weiteren zwanzig Millionen Jahren zu erwarten. Das gab der Belongo Mining theoretisch genug Zeit, um das Gros der Diamanten in ihrer Mine abzubauen.
Über den Verteidigern der eroberten Westhälfte der Stadt glomm der Sternenhimmel Zentralafrikas, kaum durch ein Licht getrübt. Lediglich eine Neumondsichel, bedingt durch die Nähe zu Äquator natürlich riesig, schickte sich an, im Osten aufzugehen. Ansonsten trübten nur eine Handvoll Lagerfeuer und Lampen im hinteren Teil der Stadt das natürliche Sternenlicht; die Ranger und die Mitarbeiter der Mine hatten sich jedoch einiges an Mühe gegeben, um die Männer und Frauen an der Frontlinie, also dem Flussufer, möglichst von Streulicht zu verschonen. Jeder Anfänger lernte in seiner ersten Einweisung, was eine zu starke Lichtquelle mit einem Nachtsichtgerät machte. Und eine gute Nachtsicht war in dieser Nacht der große Trumpf der Army Ranger und ihrer deutschen Verbündeten. Lediglich die schlechter ausgerüsteten Speere Ldungas konnten nicht helfen; bis auf eine kleine Abordnung waren sie mit ihren Toten und Verwundeten auf Ldunga Abesimis Farm zurückgekehrt.
Die Hubschrauber flogen nicht, um Sprit zu sparen. Es befanden sich im Moment auch nur zwei Black Hawks, eine Mi-24 und ein Tandemcockpit in der Stadt; die anderen Rangereinheiten standen abgesichert auf Ldungas Farm, die restlichen deutschen Mi-24 waren zur Mine zurückgekehrt. Lediglich die Mi-8MT waren nach Panadia zurückgekehrt, um Kerosin und Diesel aufzunehmen. Während der Schlacht war ein Großteil des Vorrats, den die Deutschen nach und nach zur Mine geschafft hatten, aufgebraucht worden. Es war dringend notwendig, die Kampfhubschrauber entweder auf dem Honiton Air Field tanken zu lassen, oder große Mengen Sprit zur Mine zu schaffen. Axel hatte sich in Absprache mit Boxie für Letzteres entschieden. Die Mi-24D, die dort gerade gewartet wurde, konnte die Maschinen mit ein wenig Glück auf ihrem Rückweg eskortieren, wenn sie rechtzeitig genug wieder zusammengebaut werden konnte.
Zudem hatten sich für den frühen Nachmittag die US Marines angekündigt. Mit Hilfe von drei Osprey-Langstreckenmaschinen würde die Abraham Lincoln ein Platoon ihrer Bordtruppen einfliegen, um die Ranger zu entlasten. Trotz der gesunden Rivalität zwischen dem selbstständigen Marine Corps und der Spezialeinheit der Army Ranger war Scott mehr als froh, als er die Nachricht von der Verstärkung erhalten hatte. Allerdings hatte ihn der Zusatz, das auch die US-Botschaft in Ompala mit einem Osprey voller Marines verstärkt werden würde, deutlich nervös gemacht.
"Wissen Sie, Axel, bis jetzt hätten sich alle noch irgendwie rausreden können. Es hätte Reparationszahlungen gegeben, ein paar Offiziere wären degradiert worden, man hätte einen oder zwei Generäle, ob schuldig oder nicht, als Kriegsverbrecher an die USA ausgeliefert, und wir hätten Keounda City irgendwann wieder verlassen. Aber jetzt, mit einer Verstärkung der Botschaft befürchte ich, dass sich niemand mehr rausreden werden kann." Der Army Ranger-Offizier war seit seiner Stippvisite bei Doktor Herryhaus zunehmend nachdenklicher geworden, hatte sich aber Axel, der ihn begleitet hatte, nicht weiter geöffnet. Damit hatte er den Deutschen mit seinen Gedanken und Sorgen allein gelassen.
Ein Großteil der Männer und Frauen befand sich in der Moschee, wo sie ihre Schlafstatt gebaut hatten. Es war sogar gelungen, den Gefangenen etwas annähernd Ähnliches zu schaffen, indem die Ranger Decken und Iso-Folien aus ihrer Ausrüstung zur Verfügung gestellt hatten. Auch Axel hatte hier seine kleine Ecke aufgestellt, genau zwischen den Lagern von Hannes und Niklas. Hannes lag links von ihm und grunzte leise im Schlaf; Niklas war draußen bei seinen Leuten im Einsatz und würde sich gegen ein Uhr nachts vom KSK-Offizier ablösen lassen.
Axel betrachtete den scheinbar sorglos schlummernden Mann. Es war noch keine zwei Tage her, da hatte er sich auf eine scharfe Handgranate geworfen, um Zivilisten zu beschützen. Nur weil der Stift nicht gezogen worden war, lebte er noch. Bei der Ankunft draußen in der Landezone war der Höllenatem einer Napalmbombe nahe genug an ihm vorbei geweht, um ihm die Gesichtshaut wie bei einem Sonnenbrand tüchtig zu verbrühen, ein Schritt weiter hätte seinen sicheren Tod bedeutet. Und beim Angriff des frechen kleinen Panzerwagens hatte es nicht ihn, sondern seinen Nebenmann erwischt, er selbst hatte nur einen Streifschuss davon getragen. Machte es ihm überhaupt nichts aus, dass er in nicht einmal zwei Tagen dreimal wiedergeboren worden war? Anscheinend nicht, so wie er dalag, als könne ihn kein Wässerchen trüben. Vielleicht lag darin auch das Geheimnis eines guten Soldaten. Schlaf, wenn du schlafen kannst. Axel hatte das in der Grundausbildung immer beherzigt. Also, wenn sie auf Übung gewesen waren und dergleichen. Hier aber, im realen Gefechtseinsatz, nach einem anstrengenden Tag, jetzt wo ihm jeder Muskel wehzutun schien und die Müdigkeit in seinen Knochen irreal groß erschien, da konnte er nicht schlafen. Es ging einfach nicht.
Also kroch er unter seiner Isofolie hervor und stand auf. Das heißt, er versuchte es, schaffte es aber erst im dritten Anlauf, verbunden mit einigen sehr leisen, aber auch sehr markanten Flüchen über seine Schmerzen. Erst Sergeant Rybacks Hilfe, die gerade hereingekommen war, brachte ihn auf die Beine. Sie war es auch, die ihn vor die Moschee begleitete und seine Beine überstreckte, bis die Schmerzen nachließen.
"Vollkommen übersäuert, Sir. Kein Wunder bei dem Programm, das Sie heute mitgemacht haben. Zuerst Androweit das ganze Minarett raufgeschleppt, dann den Rest des Tages den Captain gestützt, und dazu noch der Absturz... Sie hätten auf Ldungas Farm bleiben sollen. Dort gibt es weiche Betten, hat man mir gesagt."
"Ja, mir auch", erwiderte Axel seufzend. "Sie brauchen mich nicht Sir zu nennen, Sergeant. Ich war nur Stabsgefreiter bei der Bundeswehr. Sie sind ein Sergeant."
"So? Ich denke, ich bleibe beim Sir. Einerseits aus Höflichkeit, andererseits, weil ich Ihre Spur der Verwüstung gesehen habe, die sich vom abgestürzten Hind bis zur Moschee gezogen hat. Das hätte ein Ranger nicht besser machen können."
"Ich hatte Glück", erwiderte er, und fügte ein leises "Autsch!" an, als Ryback ihm ein Knie in den Rücken setzte und seine Schultern nach hinten drückte. "Teufel auch, sind alle Army Ranger Chiropraktiker?"
"Nein, Sir. Nur die, die es im Zivilleben gelernt haben. Und was Ihr Glück angeht, ein Army Ranger hätte es nicht besser machen können." Sie lächelte. "Und darunter wird nicht verhandelt."
"Also gut", seufzte er und begann damit, seine Arme zu strecken. "Danke, dass Sie Ihre Zeit für mich opfern. Immerhin bin ich für die ganze Scheiße verantwortlich, die Ihren Leuten und dem Cap passiert ist."
"Sicher sind Sie das, Sir. Aber soll ich Ihnen was verraten? Es ist immer irgendwie irgendwer für irgendwas verantwortlich. Das ist nun mal so. Man kann auf der Welt keinen Stein bewegen, wenn nicht ein Mensch den Entschluss gefasst hat, dass der Stein bewegt werden soll. Es ist halt so. Sie haben sich zu nahe an die Stadt gewagt und sind abgeschossen worden. Sie haben um Hilfe gerufen, und die Army Ranger haben geantwortet. Ja, und dann hat uns Ndongo den Stinkefinger gezeigt." Sie sah ihn ernst an. "Aber, und das ist der wichtigste Punkt an der ganzen Geschichte, Sir, es war nie Ihre Absicht, über Keounda City abgeschossen zu werden und uns Army Ranger in eine Napalm-Falle zu locken. Im Gegenteil, irgendwo in der Militärhierarchie gibt es jemanden, der entschieden hat, genau das mit Lieutenant Austins Platoon zu tun, und genau dieser Jemand ist Schuld daran, dass das Napalm abgeworfen wurde. Wir sind also wegen Ihnen hier, Sir, aber wir wurden nicht wegen Ihnen bombardiert. Es war nicht Ihre rationale Entscheidung. Und was den Cap angeht, wir hatten als nominelle Verbündete Ndongos jedes Recht, hier zu sein und eine Rettungsmission durchzuführen. Eine Aufhebung unserer freien Bewegung hat uns nie erreicht. Sie sind nicht Schuld daran, dass meine Kameraden gebraten wurden, und das werde ich auch so vor dem Untersuchungsausschuss aussagen."
"Danke. Ich nehme an, ich werde ebenfalls vor diesem Ausschuss aussagen müssen."
"Eventuell. Falls die Aussagen der Militärangehörigen nicht ausreichen, um dem Ausschuss ein ausreichend umfassendes Bild des Geschehens zu vermitteln", sagte sie.
"Gut. Ich weiß nämlich nicht, wie eine Abordnung US-Offiziere auf die Konfrontation mit einem Ausbeuter wie mir reagieren wird."
"Ausbeuter?" Ryback runzelte die Stirn. "Ich habe gehört, Sie haben ein Feldlazarett für die Zivilbevölkerung eingerichtet und lassen in einem der Orte bereits die Weiden von Minen räumen. Außerdem wollen Sie Schulen und Straßen bauen. War das falsch?"
"Das stimmt schon alles, und das Gerät für den Straßenbau wird mit der ersten Transall, die bei der Mine landen kann, eingeflogen werden. Schotter haben wir ja zum Glück genug da oben." Axel lachte bei der Ironie seiner Worte. Wahrscheinlich würden sie etliche tausend Karat an Diamanten im Schotter mitverbauen, und damit die teuerste Landebahn und das teuerste Straßennetz der Welt erschaffen. "Aber glauben Sie mir, Sergeant Ryback, es bleibt mehr als genügend für die weißen Ausbeuter übrig. Tatsächlich werden wir alle in ein paar Monaten Millionäre sein. Und was wird dann aus den Menschen in Belongo?"
"Eleonore", sagte Ryback bestimmt.
"Was?"
"Nennen Sie mich Eleonore, Sir. Sie sind kein Militär, also brauchen wir nicht förmlicher zu sein als Marines auf einem Festakt."
"Eleonore? Ein schöner Name für eine tödliche Frau wie Sie. Sagen Sie Axel zu mir."
Sie lachte leise. "Schmeicheleien bringen bei mir nichts. Ich bin eine Army Ranger."
"Natürlich", schmunzelte Axel und ließ sich von ihr auf die Beine ziehen. Die Schmerzen waren tatsächlich besser, noch vorhanden, aber nur noch irgendwo im Hintergrund, weit entfernt. Das war besser als noch vor zehn Minuten.
"Ich denke, es wird ihnen sehr viel besser gehen", sagte Eleonore.
"Was? Wem?"
"Na, den Menschen aus Belongo. Wenn Sie tatsächlich noch ein paar Monate hierbleiben und dann Millionäre geworden sind, bedeutet das, dass Sie wie viele Schulen und Straßenkilometer gebaut haben? Wievielen Menschen Impfungen und medizinische Hilfe haben zukommen lassen?"
"Schulen? Vielleicht ein Dutzend. Straßenkilometer? Wir werden sehen, wie fix unsere Pioniere sind. Impfungen und medizinische Hilfe? Wir schleusen im Moment fünfhundert Menschen am Tag durch das Lazarett. Den Meisten können wir helfen. Einige mussten für dringende Operationen nach Panadia ausgeflogen werden, aber die Zahl ist überschaubar."
"Hören Sie sich eigentlich nicht selbst reden?", fragte Eleonore amüsiert. "Mag ja sein, dass Sie reich werden, Axel. Aber auf dem Weg dahin ziehen Sie eine große Schleppe an guten Taten hinter sich her. Belongo wird schon bald nicht mehr das sein, was es seit zwanzig Jahren ist, glaube ich." Sie runzelte die Stirn. "Wir Army Ranger werden hier schon bald wieder weg sein, zurück in den guten alten USA und regruppieren, unsere Verluste ausgleichen und für den nächsten Einsatz trainieren. Sie aber sind dann noch hier und bewirken Gutes. Dann sollen Sie meinetwegen verdammt noch mal reich werden, Axel. Es trifft dann ja keinen Falschen."
Für einen Moment musste Herwig mit einem dicken Kloß im Hals kämpfen. "Danke, Eleonore. Ich weiß nicht, was ich sagen soll."
"Machen Sie sich keine Sorgen, das ist alles. Ich bin sicher, der eine oder andere Ranger wird Sie insgeheim verdammen, weil er nicht weit genug sieht und Sie für den Tod unserer Kameraden verantwortlich macht. Aber ich sage Ihnen was: Der Cap, die Lieutenants und die Unteroffiziere - und da stecke ich mit drin - sehen das nicht so."
"Bitte immer nur eine Heiligsprechung zur gleichen Zeit", erwiderte Axel schmunzelnd.
"Gern geschehen, Axel", erwiderte die Army Ranger. "So, wenn Sie nichts dagegen haben, werde ich mich jetzt hinlegen. Der Tag war lang, und nicht jeder von uns hat die Stamina vom Captain, der schon wieder am Ufer sitzt und den Osten beobachtet."
"Ich schätze, ich werde mich ihm anschließen, Eleonore. Haben Sie vielen Dank für die Hilfe."
"Kein Problem, Axel. Wenn Sie zum Cap gehen, er hat direkt neben der großen Brücke Position bezogen. Sie beobachten das Ufer und warten auf Schwimmer, die versuchen, den Fluss zu durchqueren. Außerdem helfen sie den Booten, die Brücken zu passieren. Es sind erstaunlich viele unterwegs. Ich denke, das liegt nicht zuletzt daran, dass der Westteil der Stadt nun uns gehört."
"Ja, scheint sich schnell herumgesprochen zu haben", murmelte der Deutsche.
"Noch etwas, Axel. Lima."
"Lima?"
"Lima ist bis um Mitternacht das Losungswort. Die Antwort ist Bananarama. Der Cap hat es ausgesucht, weil unsere Gefangenen es nicht aussprechen können. Ab Mitternacht sind es Copperfield und Dexterity."
"Lassen Sie mich raten: Dexterity können unsere Deserteure auch nicht aussprechen."
"Eigentlich haspeln sie eher bei Copperfield", scherzte Eleonore. "Also dann, gute Nacht."
"Schlafen Sie gut. Die Nacht wird kurz genug für Sie sein."
"Ich weiß." Sie nickte dem Deutschen zu und verschwand im Innern der Moschee.
Axel, derart alleingelassen, überlegte einen Moment, dann ging er selbst wieder rein, nahm seine Waffen auf und ging zum Fluss runter.
"Lima", erklang es leise aus der Dunkelheit.
"Bananarama."
"Kommen", sagte die gleiche Stimme.
Axel trat an den Schemen heran, der sich vom Flussufer kaum abhob. Es war Austin.
"Können Sie auch nicht schlafen, Mr. Herwig?", fragte der stellvertretende Chef der Ranger. Er deutete neben sich. Dort hockten zwei Ranger im Ufergras. Der eine trug ein Scharfschützengewehr in der Hand, während der andere mit einem Nachtsichtglas das andere Ufer absuchte. Rechts daneben hockte Scott, den Rücken zum Ufer gerichtet, und studierte mit Hilfe einer Rotlichttaschenlampe einen topographischen Plan der ehemaligen Distrikthauptstadt.
"Ich bin totmüde. Aber ich finde keine Ruhe."
"Setzen Sie sich zu mir, Axel", sagte Scott gerade laut genug, um gehört zu werden. "Es gibt Literweise Kaffee."
Axel setzte sich im Schneidersitz neben den Offizier, tunlichst darauf bedacht, den Scharfschützen und seinen Spotter nicht zu stören.
Austin seufzte. "Also nehme ich nicht an, dass ich Sie dazu bewegen kann, den Captain zu überreden, wenigstens während meiner Wachschicht schlafen zu gehen?"
"Dafür bin ich wohl der Falsche", erwiderte Axel entschuldigend. "Zumindest solange mir selbst der Kopf schwirrt."
"Ziel auf ein Uhr", sagte der Spotter. "Zwei Mann, bewaffnet, AK47, steigen ins Wasser."
"Ziele erfasst. Freigabe?"
"Freigabe", raunte der Spotter.
Die Waffe des Ranges ruckte heftig, als er sie abschoss. Axels Ohren protestierten beim Knall jedoch nicht. Er hatte mehr als genug Lärm an diesem Tag gehabt. So ein popeliger Gewehrschuss fiel da nicht mehr ins Gewicht. Oder besser gesagt zwei.
Der Scharfschütze suchte nach seinem zweiten Ziel und drückte erneut ab. "Ziele eliminiert."
Der Spotter machte sich eine Notiz in seinem Log. "Das macht dann Nummer vier und Nummer fünf. Werden die heute noch mal schlau?"
Von Norden klang ebenfalls Einzelfeuer zu ihnen herüber.
"Sie versuchen es schon den ganzen Abend", kommentierte Austin. "Immer alleine oder in Zweiergruppen. Es wundert mich, dass sie meinen, gut genug schwimmen zu können, um nicht nur ans Ufer zu kommen, sondern auch ihre Gewehre trocken rüber zu bringen."
"Ich habe ihre Tikalaks gesehen", murmelte der Spotter. "Sie tragen Hauptsächlich Ohren und Nasen, manche auch einen Penis. Ich schätze mal, die sind alle auf Omonek. Sonst könnte der Riki sie uns nicht so einfach zum Fraß vorwerfen."
"Gute Analyse, Polonsky. Mehr von diesen Weisheiten, und ich schlage Sie noch für den Offizierslehrgang vor", sagte Scott mit guter Laune. Zumindest der besten Laune, seit Meike ohne örtliche Betäubung seine Beinwunde ausgeschabt und vernäht hatte.
"Danke, Sir, nicht mein Ding. Man sieht ja, dass Offiziere die bevorzugte Zielscheibe unserer Gegner sind."
"Und er hat keine guten Manieren, Sir. Sie sollten ihn mal bei McDonalds essen sehen", scherzte Leod, der Scharfschütze.
"Äh", begann Axel unsicher, "Jason, ich weiß nicht, ob es mir zusteht, Ihnen Tipps zu geben, aber..."
"Nur zu, Axel. Sie brauchen sich nicht schüchtern zu geben. Ihre Tipps waren heute immer sehr wertvoll", erwiderte der Captain.
"Nun gut. Haben Sie die Möglichkeit bedacht, dass die armen Teufel, die über den Fluss kommen, nur ein Ablenkungsmanöver sind, damit die Truppen des Riki an anderer Stelle übersetzen können?"
"Natürlich. Wir unterhalten im Süden und im Norden weitere Posten, die das gegenüberliegende Ufer und den Wald auf Truppenbewegungen absuchen. Ldunga übernimmt weiter nördlich mit seinen Leuten ebenfalls die Wacht am Fluss. Dafür haben wir ihm ein paar Nachtsichtgeräte überlassen und seine Leute in die Technik eingewiesen. Außerdem überwachen wir die Region mit dem Satellit, Infrarot. Darüber hinaus kontrollieren wir jedes Flussboot darauf, ob es auch ist, was es zu sein vorgibt, oder ob es womöglich ein trojanisches Boot ist, vollgestopft mit den Kämpfern des Riki."
"Jetzt ist es mir peinlich, dass ich gefragt habe, Jason. Sie haben noch weiter gedacht als ich", sagte Axel verlegen.
"Die Tatsache, dass Sie nicht gezögert haben, mich darauf anzusprechen beweist, dass Ihnen nichts peinlich sein muss. Sie handeln so, wie Sie es für richtig halten. Sie würden einen wunderbaren Ranger abgeben."
"Danke, Jason."
Der Captain reichte dem Deutschen einen Metallbecher. "Kaffee?"
"Danke, gerne. Ich kann eh nicht schlafen."
Der Funk von Scott erwachte zum Leben, gerade als Axel nach der Tasse griff. "Ranger 1 von Ranger 3-3-2, kommen."
"Sprechen Sie, Ranger 3-3-2."
"Sir, die Truppe, die wir mit dem Satelliten verfolgen, kommt nun auf meiner Höhe zum Ufer. Die Russenschüssel ist dabei."
"Armstrong..."
"Sorry, Sir. Der BRDM-2-Amphibienpanzerwagen wird mitgeführt und will über den Fluss setzen."
"Schon besser. Halten Sie die Stellung und gehen Sie notfalls leise stiften, wenn der Feind Ihnen zu nahe kommt. Die Kavallerie ist unterwegs. Ranger 1 Ende und aus."
"Welche Kavallerie?", fragte Axel verdutzt.
"Nun, wir beobachten den Trupp schon einige Zeit, per Satellit, mit Nachtsichtgeräten und mit den Infrarotscannern der Hubschrauber. Wir haben nur darauf gewartet, dass sie über das Ufer setzen will. Bei der Gelegenheit erwischen wir auch gleich den nervenden Panzerwagen. Ich korrigiere mich: Sie erwischen den nervenden Panzerwagen. Ich habe mir erlaubt, für diese Operation Boxies Hilfe einzuholen. Wenn er mitgehört hat, dann..." Hinter ihnen, in Richtung Moschee, lief der Rotor eines Helikopters an. "Dann wird er sich der Sache gleich persönlich annehmen."
"Genau das Richtige für eine ruhige Nacht", kommentierte Axel sarkastisch. Wobei er keine Ahnung hatte, wo er den Sarkasmus hernahm. Allerdings wusste er, dass auf eine ruhige Nacht nicht unbedingt ein ruhiger Tag folgen würde.
Die Mi-24D zog hinter der Moschee hoch, erreichte Wipfelhöhe und flog nach Norden ab. Sie sahen es in gut vier Kilometern Entfernung am Flussufer blitzen, und es kam zu einer Sekundärexplosion, als der Amphibienpanzerwagen in die Luft ging - vermutlich - danach herrschte wirklich Ruhe. Einige Zeit später trieb der Fluss die Toten der Aktion an ihnen vorbei.
In Axels Brust rangen zwei Seelen miteinander. Einerseits verabscheute er das Töten. Er konnte, er wollte, er musste gut sein, Gutes tun, die Leben der Menschen verbessern, helfen, wo immer er nur konnte. Andererseits wusste er, dass diesen Menschen, den Dienern des Riki, nicht zu helfen war. Sie mussten sich selbst helfen, so wie die Männer, die sich ihnen ergeben hatten. Dafür mussten sie selbst die Voraussetzungen schaffen.
Axel hoffte inbrünstig, dass der Riki mittlerweile bitter bereute, dass er sich ausgerechnet seinen Penis als Trophäe hatte holen wollen.
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