Superman`s Tochter II Spiel des Lebens
von K Ehleyr
Kurzbeschreibung
Sanna Kent arbeitet weiterhin im Daily Planet und ermittelt mit ihrem Partner Max an einer brisanten Story. Als ihr Vater verschwindet und die Welt daraufhin droht in Chaos zu versinken, fasst sie einen folgenschweren Entschluss, der ihr Leben und das ihres Freundes Max auf den Kopf stellt.
GeschichteAbenteuer / P12 / Gen
Clark Kent
Lois Lane
15.07.2011
29.07.2012
4
58.817
4
Alle Kapitel
noch keine Reviews
noch keine Reviews
Dieses Kapitel
noch keine Reviews
noch keine Reviews
15.07.2011
14.399
Kapitel 1
Es war nicht so, dass Sanna ihren Urlaub nicht gerne bei ihren Eltern verbrachte. Im Grunde genommen war sie sogar gern in ihrer Heimatstadt Smallville. Aber nach einer gewissen Zeit wollte sie einfach wieder die Weizenfelder Kansas hinter sich lassen und dafür in ihr geliebtes Metropolis zurückkehren. Sanna liebte diese Stadt - den Trubel, die Menschen, die Atmosphäre. Außerdem hatte sie stets ein schlechtes Gewissen, wenn sie ihren Partner Max McColin alleine bei der Arbeit lassen musste. Er war zwar ein guter Reporter - der Beste im »Daily Planet« - aber die besten Storys schrieb er immer dann, wenn sie zusammen daran arbeiteten. Und eine so große Zeitung wie der »Planet« war auf gute Storys angewiesen, wenn er sich gegenüber dem Fernsehen behaupten wollte. Das war schon zu der Zeit so gewesen, als ihre Eltern an dem Blatt mitgewirkt hatten und das galt auch heute noch. In gewisser Weise lag der Druck der Aktualität und der Qualität sogar noch stärker auf den Reportern als vor knapp dreißig Jahren.
Sanna arbeitete erst seit zwei Jahren im »Planet«, doch auch sie hatte diesen Druck früh zu spüren bekommen. Obwohl sie ihre erste große Story als Erfolg verbuchen konnte, hatte sie noch viel dazulernen müssen. Ihr Partner Max war ihr dabei sowohl ein Lehrer wie auch ein Freund gewesen - wobei es gerade der Freund war, den Sanna mit der Zeit am meisten zu schätzen lernte. Zwischen ihnen hatte sich in den zurückliegenden Jahren etwas aufgebaut, das weit über berufliche Kollegialität hinausging. So verbrachten sie zum Teil ihrer Freizeit miteinander, gingen ins Kino oder in Konzerte. Sanna wollte Max in ihrem Leben nicht mehr missen. Nachdem er einmal seine chauvinistische Art abgelegt hatte, lernte sie seinen seinen Humor kennen, seine Fairness im Beruf. Sie mochte auch die Art und Weise, wie er sie immer wieder durchschaute, wenn sie ihn auszutricksen versuchte. Denn Max kannte sie gut. Manchmal mehr, als ihr lieb war. Es war, als hätte Max eine besondere Antenne entwickelt, wenn es um seine Partnerin ging. Er erspürte ihre Launen und Stimmungen, wofür Sanna ihm besonders dankbar war, da es ihr oft eine Erklärung ersparte. Im Gegenzug wusste Sanna viel von Max. Sie kannte seine Schwachstellen, seine Stärken und das, was ihn bewegte.
Und dann die gemeinsame Arbeit im »Planet«: Sanna hatte viel von ihm lernen können, genau wie ihr Vater es vorrausgesagt hatte. Aber die Zeit des Lernens war vorbei. Max und sie waren jetzt ebenbürtige Partner. Sie arbeiteten Hand in Hand. Keiner war richtig gut ohne den anderen. Fehlte einer von ihnen, vermissten die Leser an der Story das gewisse Etwas. Sie waren zu einer Symbiose geworden, die man besser nicht trennte. Schließlich waren es zum guten Teil ihre Storys, die dem »Planet« in der heutigen, durch visuelle Medien beherrschten Zeit, das Überleben sicherten.
Sannas erster Weg in Metropolis führte direkt in das Redaktionsgebäude. Die Zeitung lag ihr sehr am Herzen. Die Menschen, die dort lebten, waren ihr so etwas wie eine zweite Familie geworden. Vor allem Max. Ein blonder, gutaussehender, etwas jungenhaft wirkender Mann. Er war nicht viel älter als sie, doch weitaus erfahrener, was sie im ersten halben Jahr ihres Zusammenarbeitens widerstrebend hatte zugeben müssen.
Zu ihrem Freundeskreis zählte auch ihr Chefredakteur, James Olsen. Jimmy war ein alter Freund ihrer Eltern. Sie hatten in der Zeit vor ihrer Geburt im »Daily Planet« zusammengearbeitet und viel miteinander erlebt. Die Freundschaft ihrer Eltern wirkte sich deshalb auch auf sie aus: Wenn Sanna in irgendeiner Form Probleme hatte, ging sie zu ihm und sprach sich dort aus. Im Laufe der Zeit war er so eine Art väterlicher Freund geworden.
Ebenso der Bürobote Dave Potter. Er stand zwar in der Hierarchie des »Planet« ganz unten, war aber für alle unentbehrlich. Er war es, der Akten heranschaffte und sich für Stunden ans Telefon hängte, um irgendwelche Informationen aus irgendwelchen Quellen herauszuholen. Das tat er stets so geduldig und bescheiden, dass Sanna ihn einfach gern haben musste. Für Dave wäre sie jederzeit bereit gewesen, durchs Feuer zu gehen.
Allerdings hatte Sanna nicht nur Freunde im Planet. Ihre stärkste Gegnerin war eine Reporterin, die kurz nach ihr eingestellt worden war. Sie sollte eigentlich ein Ersatz für Justine Sanders, Sannas erste Partnerin, werden. Dieser Versuch Jimmys, Sanna eine weibliche Partnerin zuzuteilen, ging jedoch gründlich daneben. Anders als bei Justine, stimmte die Chemie zwischen Sanna und Elaine Carson von Anfang an nicht. Nicht nur, dass sie sich in Sannas Augen vor dem männlichen Geschlecht unmöglich benahm, sie hatte es auch vom ersten Tag an auf Max abgesehen. Sanna erhob zwar nicht selbst Anspruch auf Max, doch es widerstrebte ihrem weiblichen Gefühl, ihren Freund den Krallen eines Vamps zu überlassen. Selbst wenn es ein so schöner Vamp wie Elaine war. Denn das war sie, wie Sanna zugeben musste - niemand in der Redaktion konnte so elegant auf Highheels durch die Redaktion schweben wie Elaine. Zudem hatte sie pechschwarze, lockige Haare, die ihre helle Haut und die fast schwarzen Augen feenhaft zur Geltung brachten. Ein Schmollmund, den Elaine wirkungsvoll in Szene setzen konnte, vervollständigte die Schönheit. Eine Versuchung, der sich kaum ein Mann widersetzen konnte. Es sei denn, er stand auf Blond.
Elaine Carson war jedoch, auch das musste Sanna zugeben, eine wirklich gute Reporterin. Ihr Partner, Michael Forrest, war ihr völlig ergeben und arbeitete wie besessen für sie. Mehr als einmal lieferten sich Sanna und Elaine einen Wettstreit, wer die bessere Story in die Redaktion brachte. So arbeiteten beide Frauen voller Eifer an ihren Storys, immer darauf bedacht, die bessere Geschichte aufzutreiben und die Andere auszustechen. Was dem »Daily Planet« nur recht sein konnte: er galt immer noch als die beste Zeitung auf dem ganzen nordamerikanischen Kontinent.
Der Wettstreit war für Außenstehende jedoch nicht ersichtlich. Die Konkurrenz zwischen den beiden Frauen war nur für die Betroffenen spürbar. Selbst Max oder Michael waren sich der Rivalitäten nicht bewusst. Wenn sie doch etwas davon ahnten, dann taten sie so, als hätten sie nichts bemerkt. Zwischen die Fronten zweier mental starker Frauen zu kommen, konnte schließlich jeden Mann aufreiben - oder ihn in den Wahnsinn treiben...
Ein Exemplar des »Daily Planet« hielt Sanna in den Händen, als sie mit dem Fahrstuhl in die oberen Etagen fuhr, in denen die Redaktionsräume lagen. Elaine und Michael hatten es wieder einmal geschafft, gleich mit zwei ihrer Storys auf die erste Seite zu kommen. Der eine Artikel war ein Bericht über einen Kometen, der in der Atmosphäre der Erde verglüht war und der andere ein Artikel über die starke Zunahme der Kriminalität in großen Städten. Beide spannend und interessant geschrieben, das musste Sanna zugeben. Außerdem hatten Elaine beim zweiten Bericht ein selten gewordenes Interview mit Superman beisteuern können , was den Artikel zusätzlich aufwertete. Nachdenklich faltete Sanna die Zeitung nach dem Lesen zusammen. Sie konnte ihrem Vater nicht verbieten, Interviews zu geben. Aber er hätte ihr wenigstens Bescheid geben können, wenn er ihrer Konkurrentin Schützenhilfe leistete. Dann wäre sie auf diesen Tiefschlag wenigstens vorbereitet gewesen. Mit dem Vorsatz, Clark Kent deswegen zur Rede zu stellen, trat Sanna aus dem Fahrstuhl hinaus und ging an Jimmy Olsens Büro vorbei. Sie traf ihren Partner Max in ihrer beider Abteil an: über die Zeitung gebeugt und völlig vertieft in den Artikel über die Kriminalität.
Ihre langen, braunen Haare aus dem Gesicht streifend, ließ sich Sanna auf ihren Stuhl fallen. "Ich weiß nicht, wie Elaine das wieder geschafft hat!" sagte sie missmutig.
Max drehte sich grinsend zu ihr. "Hallo Sanna", begrüßte er sie erfreut. "Wie war Smallville?"
Ohne auf seine Frage einzugehen, zeigte sie auf den Artikel. "Sie hat ein Interview mit Superman bekommen. Elaine hat die Gelegenheit, ihn zu treffen, schamlos ausgenutzt und ihm ein Interview aufgedrängt!"
Max ließ einen vernehmlichen Seufzer hören. "Ein guter Reporter nutzt die sich ihm bietenden Möglichkeiten nun mal aus, Sanna. Ich mache es, Du machst es und Deine Eltern haben es ebenfalls gemacht. Warum sollte Elaine es nicht tun?"
"Ich bin mit Superman bestens befreundet. Aber ich habe nie die Unverschämtheit besessen, ihn mit Fragen zu quälen. Alle Welt weiß, dass er keine Interviews mehr gibt und in Ruhe gelassen werden will."
"Es wäre aber auch nicht fair, wenn ausgerechnet Du das Interview bekommen würdest. Jedem hier ist bekannt, wie nah Superman Dir steht."
"Anscheinend nicht nah genug. Es ist ihm wohl egal, wem er das erste Interview seit einem Jahr gibt."
Max lachte. Er kannte Superman inzwischen gut genug, um zu wissen, dass Sanna Kent ihm alles andere als egal war. Aber das behielt er wohlweislich für sich. Sanna konnte da sehr empfindlich reagieren. So sagte er, gespielt gleichgültig: "Superman ist auch nur ein Mann. Er wird gegenüber Elaines Reizen nicht unempfindlich gewesen sein!"
Gleich darauf bereute er jedoch seine Worte. Sanna warf ihm einen so giftigen Blick zu, dass er unwillkürlich die Schultern hochzog. "Superman sollte sich mehr für Frauen in seiner Altersklasse interessieren", antwortete Sanna bissig. "Elaine ist mindestens eine Generation zu jung."
"Ich behalte mir vor, nichts dazu zu sagen", entgegnete Max daraufhin trocken. "Nicht bevor Du Deinen Zorn abgelassen hast." Er schlug die Zeitung zusammen und stand auf. "Jimmy meinte heute morgen, dass wir zu ihm ins Büro kommen sollten. Anscheinend hat er etwas für uns!"
Sanna seufzte und stand ebenfalls auf. Sie war sich bewusst, dass sie ihre schlechte Laune wieder an Max abgelassen hatte. Es war ungerecht von ihr und es tat ihr leid. Aber wenn es um Elaine ging, konnte sie nicht anders als in die Luft zu gehen - sie musste in diesem Punkt unbedingt an sich arbeiten. "Entschuldige Max", sagte sie deshalb. "Es war nicht so gemeint."
Er zwinkerte ihr zu. "Ich weiß. Komm - Jimmy wartet nicht gerne."
Sanna seufzte ein weiteres Mal. "Ich suche mir meine Storys eigentlich lieber selbst aus. Dann weiß ich von vornherein, woran ich bin."
"Jimmy ist nun mal der Chefredakteur", versuchte Max sie zu beschwichtigen. "Und er vergibt die Storys. Ob es uns nun passt, oder nicht!"
Mit einem kurzen Achselzucken ging Sanna ihrem Partner hinterher. Max hatte natürlich Recht. Trotzdem nahm sie ihre Geschichten lieber selbst in die Hand. Sie war da ganz wie ihre Mutter. Lois Lane, die immer noch zu den besten Reportern zählte, die je im »Daily Planet« gearbeitet hatten, war es ähnlich gegangen. Mit ihrem Partner und späteren Ehemann Clark Kent hatte sie die besten Recherchen betrieben - meistens gerade dann, wenn sie ihrem eigenen Instinkt für gute Storys gefolgt war. Jimmy wusste das und trotzdem gab er ihnen immer wieder Storys, die ihr nicht lagen. Sannas einziger Trost dabei war, dass es Elaine nicht viel anders ging. Auch sie spürte regelmäßig Jimmys Kandare. Es war, als wollte Jimmy beiden Reporterinnen ab und an vor die Augen halten, wer in dieser Abteilung der Boss war.
Jimmy Olsen, der Chefredakteur des »Planet« saß hinter seinem breiten Schreibtisch und telefonierte. Wie Dave Potters hatte er ebenfalls einst als Bürobote in den Räumen dieses Gebäudes begonnen. Sein Weg bis an die Spitze war nicht einfach gewesen. Doch er hatte es geschafft und obwohl es Sanna nicht gefiel, ihre Storys von ihm zugeteilt zu bekommen, hielt sie ihn für einen der Besten.
Als Jimmy die beiden Reportern eintreten sah, beendete er sein Telefonat und stand auf. "Hallo Sanna", sagte er fröhlich. "Wie geht es Deinen Eltern?"
"Danke, es geht ihnen gut!" antwortete Sanna. "Auch wenn meine Mutter ihren sechzigsten Geburtstag mit Schrecken nahen sieht."
"Lois wird sechzig?" Max hob amüsiert eine Augenbraue. "Wann?"
"In ein paar Jahren. Eigentlich hat sie noch genug Zeit, um sich an den Gedanken zu gewöhnen."
"Lois hatte noch nie Zeit für irgend etwas", warf Jimmy ein. "Sie schien mir ständig auf dem Sprung zu sein." Er grinste. "Was mich auf mein eigentliches Anliegen bringt." Er schob Max und Sanna einige Fotos zu. "Kennt Ihr die Leute?"
Max nahm die Fotos an sich und besah sie sich. Leicht irritiert gab er sie anschließend an Sanna weiter. “Was soll das, Jimmy?“ fragte er erstaunt. “Was ist mit denen?“
Neugierig betrachtete Sanna die Bilder. Sie zeigten fünf bekannte Schauspieler. Drei Männer und zwei Frauen. Alle waren in den letzten Jahren sehr erfolgreich gewesen. "Wer kennt sie nicht?" fragte Sanna deshalb, während sie die Fotos zurück auf den Schreibtisch legte.
"Die fünf Leute haben außer ihrem Beruf noch etwas gemeinsam", erklärte Jimmy. "Sie sind seit drei Tagen verschwunden."
"Verschwunden?" echote Max. "Ich habe nichts davon gehört."
"Es ist bis jetzt geheim gehalten worden. Aber die Polizei sucht fieberhaft nach ihnen. Bis jetzt hat sie allerdings noch keine Spur gefunden."
"Vielleicht sind sie nur auf der Flucht vor ihren Fans?" versuchte Sanna zu erklären.
"Nicht jetzt. Wir stehen kurz vor der Oskarverleihung."
"Was sagt die Polizei?" fragte Max. "Gibt sie etwas preis?"
"Natürlich nicht. Ich habe es auch nur von einem Korrespondenten in L.A. erfahren. Anscheinend läuft die Gerüchteküche erst an."
"Was verlangen Sie jetzt von uns?" Sanna nahm die Fotos wieder in die Hand. "Sollen wir nach L.A. und dort nachhaken?"
"Du hast es erfasst." Jimmy blickte sie ernst an. "Ich traue Euch beiden zu, das Rätsel zu lösen. Sogar noch vor der Polizei."
"Sie trauen der Polizei immer noch nicht ganz, nicht wahr Chef?" Max grinste schief. Er spielte damit auf die Story an, in der Sanna und er zu ihrer partnerschaftlichen Zusammenarbeit gefunden hatten. Ein korrupter Teil der Polizei von Metropolis hatte damals an einem weltweiten Mädchenhändlerring partizipiert. Mit von der Partie war auch ein vertrauter Freund von ihnen gewesen.
"Ich denke, ich traue nur noch meinen eigenen Erfahrungen." Der Chefredakteur warf ihm einen strengen Blick zu. "Und meine Erfahrung sagt mir, dass ihr Zwei eine gute Story daraus machen könnt!"
"Natürlich Chef!" Max fasste Sanna am Arm. "Wir fliegen morgen schon nach L.A! Dort nehmen wir Kontakt mit dem Korrespondenten auf. Sonst noch etwas?"
"Ja." Er grinste. "Geht ruhig mal aus. Ich habe gehört, in L.A. soll es ganz romantische Plätzchen geben!"
"Versprochen, Jimmy." Bevor Sanna eine Bemerkung machen konnte, schob Max sie aus dem Büro. Er kannte Sannas Abneigung gegen romantische Stunden mit ihm. Zu seinem tiefsten Bedauern sah sie auch nach so langer Zeit nicht mehr als ein guter Freund in ihrem Partner. Dabei war er sich sicher, dass sie von Anfang an gewusste hatte, wie viel er für sie empfand.
Vor der Tür schnaubte Sanna verstimmt auf. Sie hasste es, wenn jemand auf so plumpe Art und Weise versuchte, sie mit Max zu verkuppeln. "Ich verstehe nicht, warum Jimmy sich mit seinen Andeutungen nicht zurückhalten kann. Er weiß doch, dass wir keine Beziehung haben."
"Jimmy bedauert das wahrscheinlich genauso wie ich", lachte Max. "Er sieht in uns ständig Deine Eltern."
Sie schwieg. Max konnte es nicht wissen, aber die Sache war komplizierter als er es dachte. Sie war mehr als die Tochter von Lois Lane und Clark Kent. Sie war auch die Tochter von Superman. Und was das bedeutete, konnte sich kein Mann vorstellen. Wenn Max von ihren Kräften wüsste, würde er sich wahrscheinlich sofort zurückziehen. Bis jetzt hatte sie noch von keinem Mann gehört, der beim Anblick einer Frau aus Stahl schwache Knie bekommen hatte. Es sei denn aus Angst.
"Du sagst ja gar nichts!" meinte Max trocken. "Ich habe eigentlich einen mittleren Wutanfall erwartet."
"Da siehst Du es: Es gibt noch so manche Seiten an mir, die Du nicht kennst."
"Ich weiß, Sanna. Deswegen bist Du ja so interessant für mich." Mit diesen Worten ging er zurück an seinen Arbeitsplatz und holte seinen Mantel. Es war Anfang März und immer noch kalt in Metropolis.
Sanna blickte ihn fragend an. "Wohin gehst du?"
"Eines von diesen neuen Videospielen kaufen. Es ist heute herausgekommen und Du hast bestimmt davon gehört: Das aus der Werbung!"
Sie nickte unmerklich. Selbst in Smallville war das Spiel bekannt. Ihre Mutter hatte in der "Smallville Press" einen kurzen Artikel darüber geschrieben, denn diese Videospiele waren neuartig und völlig anders als die bisherigen. Soweit Sanna wusste, schloss man sich mit Hilfe kleiner Elektroden an der Stirn an ein kleines Gerät an. Das Gerät sendete dann Impulse direkt in das Nervensystem. Dem Spieler wurde so eine Scheinwelt vorgegaukelt, in der er handeln und die er lenkend beeinflussen konnte. Der Reiz eines Abenteuerspiels bekam dadurch eine völlig andere Dimension. Der Spieler hatte das Gefühl, Teil dieser irrealen Welt zu sein. Er saß nicht mehr vor dem Bildschirm und ließ die Spielfigur handeln - er war die Figur selbst und agierte als solche. - "Willst Du als Indiana Jones auftreten?"
"Nein, ich wollte es nur mal kennen lernen. Damit ich fit darin bin, wenn das Spiel mit Superman in der Hauptrolle rauskommt."
"Ich wusste gar nicht, dass es das schon gibt."
"Tut es auch nicht. Ist aber, glaube ich, schon geplant."
Lächelnd wandte sich Sanna ab. Vielleicht sollte sie ihrer Mutter dieses Spiel schenken, damit sie auch einmal erleben konnte, was es heißt, Superkräfte zu haben.
Wenig später war Sanna so in ihre Arbeit vertieft, dass sie kaum bemerkte, wie sich jemand neben ihrem Platz niederließ. In der Annahme, es sei Max, sah sie nicht auf, als sie sagte: "Hast Du Dein Spiel bekommen?"
"Aus dem Spielalter bin ich schon lange raus", antwortete eine weibliche Stimme süffisant. "Aber mit Max würde ich mich wohl noch einmal auf ein Spiel einlassen."
Unwillig sah Sanna auf. Neben ihr saß Elaine. Die langen Beine übereinandergeschlagen, lächelte sie sie unter halb geschlossenen Augenlidern an.
"Was willst Du?" fragte Sanna. "Max ist nicht hier."
"Das sehe ich. Aber ich bin nicht wegen Max hier. Ich soll Dir etwas von Superman ausrichten!"
Erstaunt hob Sanna eine Augenbraue. "Was kannst Du mir schon von ihm erzählen?"
Elaine betrachtete interessiert ihre Fingernägel. "Ich habe ihn vor kurzem getroffen, weißt Du. Er hat mir ein Interview gegeben." Sie seufzte. "Was für ein Mann - und meines Wissens nach immer noch Single."
"Er wird kaum auf jemanden wie Dich warten."
"Warum nicht? Meinst Du, er steht auf Frauen wie Dich?"
Supermans Tochter lehnte sich zurück. "Ich weiß nur, dass er seine Prinzipien hat. Eins davon ist, dass er einen großen Bogen um alle weiblichen Fans macht."
"Superman ist auch nur ein Mann. Und alle Männer werfen ihre Prinzipien manchmal über Bord."
Schulterzuckend wandte Sanna sich ab. "Wenn Du meinst ..."
"Bist Du nicht neugierig, was er Dir ausrichten lässt?"
"Wenn es wirklich wichtig ist, wird er es mir persönlich sagen!"
Elaine lächelte wieder, wenn diesem Lächeln auch etwas saures anhaftete. "Er sagte, Du sollst Dir eines der neuen Videospiele kaufen und es ausprobieren." Als sie Sannas ungläubiges Gesicht sah, fügte sie hinzu: "Wahrscheinlich meinte er, Du könntest etwas Vergnügen gebrauchen. Sonst versauerst Du noch und endest als alte Jungfer." Sie stand auf. "Ach übrigens", meinte sie leichthin. "Ich fliege morgen mit nach L.A. Ich habe Exklusivinterviews mit einigen Preisträgern der Oskarverleihung. Deshalb habe ich auch eine V.I.P.- Karte für die Verleihung. Ich stehe somit in der ersten Reihe!"
Immer noch erstaunt blickte Sanna Elaine nach, wie sie zwischen den brusthohen Abteilungen verschwand. Sie fragte sich, warum ihr Vater ihr auftrug, das Spiel zu kaufen und was er damit bezwecken wollte. Während sie über die Worte Elaines nachdachte, kam Max zurück und ließ sich in seinen Stuhl fallen. Genüsslich sog er die Luft ein. "Elaine war hier, oder?"
"Du hast sie nur um wenige Sekunden verpasst!" sagte Sanna giftig.
"Das merke ich. Elaines Parfüm hängt hier immer noch in der Luft." Er schloss die Augen und atmete noch einmal tief ein.
Sanna spürte, wie Neid auf Elaine in ihr aufstieg: "Warum rennst Du ihr nicht hinterher, wenn Dir so viel an ihr liegt?"
"Und damit Deine Ächtung riskieren?" Er lachte. "Niemals!"
"Ich erhebe keinen Anspruch auf Dich," sagte Sanna mit hochgezogenen Augenbrauen. "Du kannst Dich treffen, mit wem Du willst!"
Max Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen. "Ich weiß!"
Etwas betroffen blickte Sanna auf ihrem Partner. Natürlich ahnte sie von Max Gefühlen für sie. Doch sie hätte nicht gedacht, dass es ihm wirklich ernst damit war. Sie war eher der Meinung, das seine Gefühle für sie mehr sportlicher Natur waren. Aber als sie darüber nachdachte, wurde ihr bewusst, dass ihr Partner schon länger keine Date mehr mit dem anderen Geschlecht gehabt hatte - sehr ungewöhnlich für einen Mann, der eine offensichtlich große Schwäche für Frauen hatte – und diese für ihn. Um das Thema zu wechseln, und um es vor allem nicht zu vertiefen und damit für sie unbekannte Gewässer zu treiben, fragte sie: "Hast Du das Spiel gefunden?"
"Mitsamt Zubehör. Aber ich möchte es beim ersten Mal nicht alleine ausprobieren. Würdest Du mich begleiten?"
"Es ist Dir unheimlich, nicht wahr?"
Er nickte. Der Gedanke, ganz in eine andere Welt zu tauchen, machte ihm etwas Angst. Sollte etwas schief gehen - er wusste zwar selbst nicht, was - wollte er doch lieber jemanden dabei haben, der ihn notfalls wieder herausholen konnte. Er wollte nicht den Rest seines Lebens als Held im Dschungel umherirren und Banditen jagen. Max blickte auf seine Armbanduhr. Es war zwei Uhr nachmittags. Im Prinzip konnten sie jetzt schon Schluss machen - niemand würde bis morgen eine Story von ihnen verlangen.
Sanna dachte Ähnliches. "Warum gehen wir nicht zu Dir und schließen Dich an?"
Wenig später gingen die beiden Reporter zu Max Wohnung. Er hatte eines der wenigen Appartements in einem Wolkenkratzer, die ansonsten als Büros genutzt wurden. Der Vorteil dafür lag auf der Hand: In der Zeit, in der Max beim »Planet« war, herrschte hier Hochbetrieb. Erst, wenn die meisten Büros leer waren, kehrte er zurück. Nachts hatte er dann Ruhe. Keine schreienden Kinder, kein Ehestreit, keine Betrunkenen auf den Gängen. Max fand es ideal.
Auf dem Weg zu Max Appartement erzählte Sanna ihm von Elaines Besuch. Als er von Supermans Auftrag hörte, wurde er nachdenklich. "Warum sollte Dir Superman das Spiel verordnen?"
"Elaine meinte, er will mir damit nur etwas Vergnügen verschaffen"
"Das kann ich mir nicht so recht vorstellen. Superman hat sich weitgehend aus Deinem Leben zurückgezogen. Er hat keinen Grund, Dich mit einer solchen Belanglosigkeit zu behelligen."
"Er wird sich etwas bestimmtes dabei gedacht haben. Vielleicht wissen wir mehr nach Deinem Probelauf."
Beide schwiegen. Sanna dachte an ihren Vater. Es war so, wie Max es formuliert hatte: Superman hatte sich aus ihrem Leben zurückgezogen. Wenn ihr Vater sie besuchte, dann nur als Clark Kent. Er bemühte sich wirklich, sie so zu sehen, wie es auch ein menschlicher Vater tun würde: Freundlich und mit einer gewissen Distanz. Sie war nicht mehr das kleine Mädchen von früher. Sanna war eine junge Frau, die ihr eigenes Leben lebte und die ihre angeborenen Kräfte selten einsetzte. Das zu erkennen, war nicht leicht für ihn gewesen. Clark Kent wünschte sich zwar, dass seine Tochter sein Lebenswerk teilte. In seinen Augen sollte sie, wie er, mit ihren besonderen Fähigkeiten für das Gute in der Welt eintreten. Doch er hatte die Rechnung ohne seine Tochter gemacht. Sanna hegte in keiner Weise den Wunsch, in einem Kostüm umherzufliegen und Verbrecher jagen oder Katastrophen zu verhinden. Sie hatte es schon schwierig genug gefunden, ihre weibliche Seite zu finden und zu behalten. Jedem zu zeigen, dass sie eine Frau aus Stahl war, würde bedeuten, das bereits Erarbeitete wieder aufzugeben. So setzte Sanna ihre Kräfte nur für sich und in Notfällen ein. Wenn ihr Vater ihr nun dieses Spiel empfahl, dann musste ein stichfester Grund dahinter stecken.
Sie waren inzwischen an Max Appartement angekommen. Nachdenklich trat Sanna ein. "Wie lange wirst Du spielen wollen?" fragte sie.
Max legte das Gerät von der Größe eines Notebook mit dem Schriftzug: "Reality Games Production" auf einen kleinen Beistelltisch. "Ich dachte an eine halbe Stunde."
"Gut. Du spielst, ich koche derweil. Hast Du was im Kühlschrank für uns?" Wie selbstverständlich ging sie in Max Küche und sah sich um. Sie war nun schon so oft hier gewesen, dass sie sich gut auskannte. Und sie hatte Hunger. Etwas Essbares käme ihr gerade recht. Mit einem Apfel in der Hand ging sie zurück in Max Wohnzimmer. Er saß in einem Sessel und legte sich gerade die Elektroden an den Schläfen an. Sanna sah ihm zu, wie er die CD für das Spiel in den Kasten schob und die Laufzeit einprogrammierte.
Einige Sekunden später sank Max in den Sessel zurück. Völlig entspannt schloss er die Augen. Sein Atem wurde gleichmäßig und sein Kopf sank auf die Brust. Es sah aus, als würde er schlafen. Doch dieser Eindruck währte nur kurz. Plötzlich begann Max unter den Augenlider die Augen zu rollen und mit Armen und Beinen zu zucken. Neugierig nahm Sanna die Hülle der Spieldiskette vom Tisch und besah sie sich. Max hatte das Spiel zum neuesten James Bond Film gekauft. - Wahrscheinlich sprang er gerade von irgendwelchen Hochhäusern oder wich feindlichen Kugeln aus.
Sanna legte die Hülle zurück und sah Max eine Weile zu, wie er zuckend und augenrollend in seinem italienischen Designersessel saß. Eines war sicher: wenn sie je so ein Spiel spielen sollte, dann alleine und ohne Publikum. Man sah nämlich ziemlich blöde dabei aus.
Sie kehrte Max den Rücken zu und ging in die Küche. Während sie ein kleines Essen vorbereitete, ging sie immer wieder zurück zu ihrem Partner um ihn zu kontrollieren. Sie traf ihn jedes mal zuckend an, was ihr aber harmlos schien. Sanna musste zugeben, dass den Spieleherstellern mit diesem Gerät ein großer Coup gelungen war. Wenn es so unbedenklich blieb, wie es bei Max aussah, eröffnete diese Spielweise dem Spieler eine völlig andere Welt.
Genau eine halbe Stunde, nachdem er das Spiel angestellt hatte, wachte Max auf. Etwas verwirrt blickte er auf Sanna, die vor ihm stand und ihn leicht amüsiert anblickte. Es dauerte einige Sekunden, bis Max sich akklimatisiert hatte, doch dann stieß er ein begeistertes "Wow!" aus.
"Na?" fragte Sanna. "War`s schön?"
"Es war unglaublich! Ich war James Bond."
"Gratuliere!"
"Und ich bin gerade im letzten Moment noch ausgestiegen - ich war gerade im Begriff, erschossen zu werden."
Sanna hielt ihm eine Platte mit Sandwichs unter die Nase. "Erzähl mir mehr davon!"
Es war kurz vor acht Uhr abends. Sanna war inzwischen zu Hause und gerade dabei, ihren Koffer für den nächsten Tag zu packen. Gleichzeitig verfolgte sie die Abendnachrichten, als sie ein seltsames Gefühl beschlich - als wäre noch jemand mit ihr im Raum. Sie legte die Bluse, die sie in der Hand hielt, ab und lauschte. Als sie nichts ungewöhnliches vernehmen konnte, ging sie, unsicher geworden, in ihr Wohnzimmer. Es war leer. Mit einem Kopfschütteln kehrte sie zurück in ihr Schlafzimmer. Doch das Gefühl blieb. Sanna ertappte sich während des Packens mehrmals dabei, wie sie in die leere Wohnung hineinhorchte. Erst als die das Telefon klingeln hörte, schwand das Gefühl. Mit einem erleichterten Seufzen ließ sie das Kleid, das sie in der Hand hatte, fallen und nahm den Hörer auf. Es war ihre Mutter.
"Sanna?" Lois Lanes Stimme klang besorgt. "Ist Clark bei Dir?"
"Nein - sollte er das?"
"Ich habe es nur gehofft." Im Hörer erklang so etwas wie ein hohles Schlucken.
Überrascht setzte sich Sanna auf einen Stuhl. "Mom, was ist passiert?"
"Clark wollte gestern Abend zurück sein. Doch er ist bis jetzt noch nicht nach Hause gekommen."
"Superman?"
"Ja - er hatte einen Aufruf aus L.A. bekommen. Ein großes Erdbeben steht bevor."
"Ein Erdbeben? - davon weiß ich nichts."
"Man wollte die Bevölkerung nicht zu früh benachrichtigen. Du weißt schon. Wegen der zu erwarteten Panik."
"Mom, Dein Mann ist erwachsen und kann wirklich auf sich selbst aufpassen. Er wird schon zurückkommen!"
"Nein, ich weiß genau, ihm ist etwas zugestoßen. Ich spüre das."
"Bist Du Dir sicher?"
"Absolut!"
Ihre Tochter überlegte kurz. Keiner auf der Welt stand in so enger Verbindung mit Superman wie ihre Mutter. Es war, als verbände beide ein besonderes Bewusstsein für den anderen. Wenn Lois meinte, Clark stecke in Schwierigkeiten, dann musste man davon ausgehen, dass ihr Gefühl stimmte. "Was erwartest Du von mir, Mom?" fragte Sanna deshalb. "Soll ich ihn suchen gehen?"
"Noch nicht. Vielleicht reagiere ich auch zu panisch. Aber halte Verbindung mit mir!"
"Ich fliege morgen wegen einer Reportage nach L.A. Dort werde ich auf jeden Fall meine Augen offen halten."
"Danke, Sanna. Ich wusste, ich kann auf Dich zählen."
"Natürlich. Ich bin Deine Tochter und ich liebe Dich!"
Nachdenklich packte Sanna nach dem Gespräch ihren Koffer fertig. Heute hatte sie zwei rätselhafte Neuigkeiten von ihrem Vater bekommen: Erst die Nachricht von Elaine und dann Supermans Verschwinden. Sie fragte sich, ob da nicht ein Zusammenhang bestand.
Nach kurzer Überlegung griff Sanna erneut zum Telefon und wählte Max Nummer. Die Nachricht ihrer Mutter hatte sie mehr beunruhigt, als sie es vor ihrer Mutter zugegeben hatte. Sie brauchte jetzt jemanden, dem sie ihr Herz ausschütten konnte. Und niemand war dafür besser geeignet als Max. Außerdem standen sie in so enger Verbindung, dass sie ihm die neue Nachricht anvertrauen konnte. Schließlich wusste er, dass ihre Mutter immer noch Kontakt zu Superman hatte und über seine Verpflichtungen als solches Bescheid wusste.
In kurzen Worten berichtete sie ihm wenige Momente später von Lois Besorgnis. Max hörte ihr aufmerksam zu. Als sie geendet hatte, sagte er ihr jedoch in ähnliches Worten dasselbe, was sie auch zu ihrer Mutter gesagt hatte: Dass Superman ein selbständiger Mann sei und er deswegen bald zurückkehren werde. Er schaffte es, Sanna so zu beruhigen, dass sie sich anschließend selbst schalt, sich tatsächlich Sorgen um Superman gemacht zu haben. Am Ende meinte Max: "Ein Mann wie Superman geht nicht einfach verloren, Sanna. Ich weiß gar nicht, warum ihr Frauen euch immer solche Gedanken um ihn macht. Du wirst sehen, in ein paar Tagen taucht er wieder auf und es stellt sich heraus, dass er lediglich ständig beschäftigt war, allen möglichen Leuten zu Hilfe zu eilen!"
"Du hast ja Recht!" seufzte Sanna. "Ich habe mich von meiner Mutter einfach nur anstecken lassen."
"Deine Mutter täte gut daran, Deinem Vater zuzuhören. Ich bin sicher, er würde das Gleiche sagen."
"Dazu sage ich jetzt lieber nichts. Wir sehen uns morgen, Max. Bye!" Erleichtert durch Max beschwichtigende Worte und gleichzeitig amüsiert legte sie den Hörer auf. Max hatte mit seiner Aussage mal wieder den Nagel ins Schwarze getroffen. Aber es war nun mal so, dass Lois Lane nicht die Frau war, die die Worte eines Mannes für die ultimative Wahrheit hielt. Selbst dann nicht, wenn sie aus dem Munde Supermans kamen.
Sie trafen sich früh am Morgen am Flughafen von Metropolis. Als Sanna ankam, stand Max schon mit Elaine und ihrem Partner Michael zusammen und unterhielten sich. Max schien dabei gerade etwas amüsantes zu erzählen, denn Elaine warf ihre schwarzen Locken zurück und lachte. Mit einem gezwungenem Lächeln stellte sich Sanna dazu. Ein Grund, weshalb sie Elaine nicht leiden konnte, war, dass ihre Kollegin jedem Mann das Gefühl geben konnte, witzig und einzigartig zu sein. Sanna wusste, dass sie auf Elaine eifersüchtig war. Auf diese Gabe, völlig Frau und doch eine gute Reporterin zu sein. Ihre weiblichen Attribute setzte Elaine gezielt und völlig ungeniert ein wenn es ihr einen Vorteil bringen konnte. Sanna dagegen hatte sich nie in einen kurzen Rock gezwängt, um bei dem männlichen Geschlecht etwas zu erreichen. Sie setzte mehr auf Integrität und Überzeugungskraft. Aber sie konnte nicht verleugnen, dass Elaine mit ihrer Methode manchmal dort weiterkam, wo sie scheiterte.
"Guten Morgen, Sanna", begrüßte Elaine sie. "Max erzählte uns gerade, wie ihr zwei euch in die Mafiakreise habt einschleusen lassen. Wirklich, sehr lustig."
Sanna lachte kurz. Die Geschichte, auf die Elaine anspielte, war nun schon fast ein Jahr her. Bei einer Undercover Operation in der Mafia Szene hatte sich eine Mafioso-Braut unsterblich in Max verliebt, wobei diese Leidenschaft selbst dann noch andauerte, als sie im Gefängnis gelandet war.
"Aus der Story haben wir leider nicht viel rausschlagen können", gab Sanna zu. "Aber ich versuche seitdem Max dazu zu überreden, die Liebesbriefe, die ihm die Lady aus dem Gefängnis geschrieben hatte, anonym in den »Planet« zu setzten. Sie sind sehr erbaulich!"
"Wie käme ich dazu?" Entrüstet blickte Max in die kleine Runde. "Ich veröffentliche niemals die Liebesbriefe, die ich bekommen habe. Ein Gentleman tut so etwas nicht."
"Zier Dich nicht so", Michael stieß ihm den Ellenbogen in die Rippen. "Die Zeiten der Gentlemans sind vorbei. Aber ich würde sie auf einer Auktion versteigern lassen. Irgend ein kurioser Sammler wird sie Dir bestimmt abkaufen!"
Sie lachten. Dann unterhielten sie sich, bis ihr Flugzeug aufgerufen wurde. Als Sanna schließlich neben Max im Flugzeug saß, beugte sich dieser zu ihr hinüber. "Ich wollte Dich vorhin nicht fragen, aber gibt es etwas Neues von Superman?"
Kopfschüttelnd verneinte Sanna. Sie hatte am Morgen noch ihre Mutter angerufen, die die Frage ebenfalls mit einem Nein beantwortet hatte. "Er ist noch nicht wieder aufgetaucht. Bis jetzt scheint auch noch keiner sein Verschwinden bemerkt zu haben, aber in einigen Tagen wird man sich bestimmt fragen, wo er ist."
Max nickte leicht. Im Allgemeinen verging kein Tag, an dem man nicht von Superman hörte. Er war täglich irgendwo. Seine Gegenwart war so alltäglich geworden, dass die Menschen nicht mehr über ihn nachdachten. Superman existierte in jedem Bewusstsein. Sein Anblick war vertraut und man erwartete ihn bereits, wenn es irgendwo Probleme gab. War es nun ein Vulkanausbruch oder ein Zugunglück, Superman war am Ort und half. "Du machst Dir auch Sorgen, nicht wahr?" fragte er Sanna leise.
"Ich gebe zu, es ist ungewöhnlich, nichts von ihm zu hören." Sie schwieg. Normalerweise sagte ihr Vater entweder ihr oder Lois Bescheid, wenn er für einige Tage in den Untergrund ging. Das kam manchmal vor, wenn er einer Sache nachging, die er als Superman nicht so einfach lösen konnte. Doch sobald es irgendwo Probleme gab, konnte man mit ihm rechnen. Mit halb geschlossenen Augen sah sie aus dem kleinen Bullauge des Flugzeugs. Bis jetzt hatte sie weder Max noch ihrer Mutter etwas von dem Gefühl erzählt, dass sie gestern Abend beim Packen beschlichen hatte. Es war aber auch zu seltsam gewesen und sie fragte sich, ob es überhaupt wirklich gewesen war. Sanna schloss ihre Augen ganz. Vielleicht machte sie sich, wie Max es formuliert hatte, zuviel Gedanken. Es gab keine Geister, die sie in ihrer Wohnung heimsuchen konnten und ihr Vater war der zuverlässigste Mensch, den sie kannte. Er würde sich bald wieder melden.
Im Gegensatz zu Metropolis wirkte Los Angeles auf den ersten Blick friedlich und übersichtlich. Der Eindruck wurde durch die Touristenströmen und die warm scheinende Sonne noch vertieft. Zwar hörte man auch hier allenthalben eine Polizeisirene, doch irgendwie kam sie Sanna nicht so aufdringlich wie in Metropolis vor. Max schien es ähnlich zu gehen. Nachdem sie sich von Elaine und Michael getrennt hatten, waren sie zu ihrem Hotel gefahren und anschließend zu einem kurzen Erkundungsgang aufgebrochen. Nun spazierten sie zwischen Palmen einen Boulevardweg entlang und sahen sich um.
"Ich komme mir fast wie im Urlaub vor", lachte Max zufrieden. "Ich glaube, ich werde mich von Jimmy öfters nach Kalifornien schicken lassen."
"Vergiss nicht, wir müssen Jimmys Korrespondenten Joe Metzler aufsuchen. Er wird Dir Dein Urlaubsgefühl bestimmt austreiben."
"Sei kein Spielverderber. Einen Tag Urlaub können wir uns doch leisten. Es reicht, wenn wir uns heute Abend mit ihm treffen."
Sie zögerte. Aber dann gab sie Max recht. Außerdem hatte sie ihrer Mutter versprochen, sich nach Clark umzusehen. So konnte sie auch gleich die Stadt etwas kennen lernen. "Was würdest Du heute machen wollen?"
"Was wohl - ich leihe mir eines von diesen neuen Sportgeräten und düse damit durch die Stadt!" Max spielte damit auf die neueste Modeerscheinung unter den Jugendlichen an: ein rasantes Gefährt, dass nur noch im weitesten Sinn etwas mit einem Skateboard zu tun hatte. Es wurde mit Hilfe eines kleines Solarantriebes in Gang gesetzt und konnte die Geschwindigkeit eines sportlichen Fahrradfahrers erreichen. Nicht ungefährlich und deswegen ungemein beliebt.
Zweifelnd blickte Sanna auf ihrem Partner. "Bist Du dafür nicht ein wenig zu alt?"
"Was heißt hier zu alt? Solange ich noch nicht dreißig bin, will ich etwas erleben. Danach darfst Du mich gern als zu alt beschimpfen."
Sanna lachte. "Dann lebe Dich noch mal aus. Bevor Dich die Arthritis und der Alterstarrsinn packt."
"Was machst Du?"
"Ich gehe Verwandte besuchen."
Erstaunt blickte Max sie an. "Ich wusste gar nicht, dass Du Verwandte hier hast."
"Habe ich auch nicht - es ist nur eine Ausrede." Mit diesen ihm rätselhaft erscheinenden Worten verabschiedete sich Sanna von Max und schlug die Richtung ihres Hotels ein. Ihre Mutter hatte davon gesprochen, dass man Superman wegen dem befürchteten Erdbeben kontaktiert hatte. Sie würde deshalb zur zuständigen Stelle gehen und dort nachfragen. Irgend jemand musste dort mehr über ihren Vater wissen.
Sanna rief, nachdem sie sich im Hotel kurz umgezogen hatte, nach einem Taxi und ließ sich ins Seismologische Institut fahren. Es war ein moderner Bau, der ganz nach den neuesten Erdbebenkriterien gebaut worden war. Wie sicher er wirklich war, würde dann das nächste Beben zeigen.
Nach einer halben Stunde verließ Sanna das Gebäude jedoch wieder. Keiner der Beschäftigten wusste etwas von einem Aufruf an Superman. Was kein Wunder war, denn es wurde kein größeres Erdbeben erwartet. Die nächsten größeren Erschütterungen würde es frühestens in einem halben Jahr geben. Mit dem unbestimmten Gefühl, dass ihr Vater frech getäuscht worden war, schlenderte Sanna nachdenklich durch die Strassen. Ihr Blick blieb an einem Schaufenster hängen, dass Computerspiele vertrieb. Die meisten Spiele hängten sich dabei an die neuesten Actionfilme an. Merchandising war so selbstverständlich geworden, und die Erlöse daraus meist größer als die des Films. Erstaunt stellte Sanna dabei fest, dass das neue Spiel mit Superman schon herausgekommen war: eine große Pappfigur mit Superman stand im Schaufenster und lenkte die Blicke der Passanten auf den Laden. Mit wachsendem Zweifel betrachtete Sanna die Pappfigur. Weder ihr Vater noch ihre Mutter hatten ihr erzählt, dass Superman sein Einverständnis für dieses Spiel gegeben hatte. Sanna fiel ein, dass bisher auch keine Werbung dafür geschaltet worden war, wie es bei den anderen Versionen geschehen war. Außerdem hatte Max erst gestern davon gesprochen, dass er sich für die Spielversion mit Superman fit machen wollte. Das hieß, dass selbst ein informierter Mann wie er es nicht so schnell erwartet hatte, Superman virtuell vertreten zu können.
Da entdeckte Sanna ein kleines Schild im Schaufenster. Es gab darüber Auskunft, dass man die neue Art des Computerspielens auch im Laden ausprobieren konnte. Kurzentschlossen betrat Sanna das Geschäft und buchte eine der kleinen Kabinen, die sich im hinteren Teil des Gebäudes befanden.
Einige Minuten später beugte sich eine der Verkäuferinnen über Sanna, während sie ihr die Elektroden an die Stirn klebte. "Welches Spiel möchten Sie den gerne ausprobieren?" fragte sie beflissen.
"Das Spiel mit Superman."
"Und welchen Part wollen sie übernehmen? Superman selbst oder den des Gangsters?"
Sanna überlegte kurz. "Worum dreht es sich denn bei dem Spiel?"
"Um die Erringung der Weltherrschaft, die Superman verhindern muss."
"Wer sonst?" murmelte Sanna leise. Doch die Verkäuferin schien sie nicht gehört zu haben. Erwartungsvoll blickte sie Sanna an. "Ich nehme den Gegenpart - die Erringung der Weltherrschaft."
Die Verkäuferin nickte lächelnd und programmierte die entsprechende Daten. "Wie lange? Eine halbe Stunde oder länger?"
"Eine halbe Stunde. Wenn ich die Weltherrschaft nicht in dieser Zeit erringen kann, will ich sie überhaupt nicht." Sanna legte sich zurück und schloss die Augen. Sie bemerkte noch, wie die Verkäuferin einen Vorhang vorzog und dann legten sich andere Bilder über ihr Empfinden.
Sanna versank völlig in einer neuen Welt. Im Spiel befand sie sich in der Zukunft. Fliegende Autos und schwebende Strassen waren dort genauso selbstverständlich wie Wasserknappheit und Überbevölkerung. Sie als Bösewicht wollte besonders die letzten Wasserreservoirs in ihre Kontrolle bekommen und das Denken der Bevölkerung beeinflussen. Einziges Hindernis auf dem Weg zu diesem Ziel war Superman. Er stellte sich mit allen seinen besonderen Fähigkeiten ihr entgegen und versuchte ihre Pläne zu vereiteln. Das Szenario offenbarte außerdem einige Überraschungen, wie alte Feinde oder Freunde von Superman. Sanna musste versuchen, sie von ihrer eigenen Sache zu überzeugen, um mit ihrer Hilfe die Weltherrschaft erlangen zu können. Lex Luthor war dabei genauso vertreten wie bekannte Comicfiguren oder einige Leute aus der Belegschaft des »Daily Planet«. Besonders amüsant fand Sanna die Gegenwart ihrer Eltern. Clark Kent und Lois Lane, beide bekannt als enge Freunde von Superman, agierten besonders hartnäckig gegen sie.
In diesem Spiel konnte Sanna uneingeschränkt planen und agieren. Doch trotz aller Tricks, die sie sich einfallen ließ, um Superman auszuschalten, gelang es ihr nicht, ihn zu überlisten. Für die Menschheit war Superman einfach zu schnell, zu stark und zu einfallsreich. Und da sie aber virtuell ein normaler Mensch war, konnte sie von ihren eigenen Fähigkeiten kein Gebrauch machen. Gerade diese Eingeschränktheit bedeutete eine ganz neue Erfahrung für sie. Keine angenehme, wie sich Sanna eingestehen musste.
Nach genau einer halben Stunde wurde das Spiel jäh unterbrochen. Gerade als Sanna dabei war, einen Comichelden auf Superman zu hetzen, klingelte eine leise Glocke und das Bild verschwand. Wie Max am Vortag öffnete Sanna verwirrt die Augen und sah sich um. Sie saß immer noch in der Kabine, die nur von dem einfallenden, gedämpften Licht unter dem Vorhang erhellt wurde. Sanna blieb noch einige Minuten sitzen, stand dann auf und ging zurück zur Ladenebene.
Die Verkäuferin lächelte, als sie Sanna erblickte. "Wie hat es Ihnen gefallen?" fragte sie.
"Sehr realistisch", antwortete Sanna wahrheitsgemäß. "Nur der Ausstieg nach Ablauf der Spielzeit kommt etwas plötzlich."
"Möchten Sie ihr Spiel fortsetzen?"
"Nein, danke. Aber ich werde mich hier noch einmal umsehen." Sie nickte der Verkäuferin zu und stellte sich zu dem Regal, an dem die neuen Virtual Reality Spiele aufgestellt waren. Es gab noch nicht all zu viel Szenarien. Die Spielauswahl beschränkte sich auf knapp zwanzig Stück, was jedoch für ein völlig neu erschienenes Spielsystem ganz ansehnlich war. Die meisten von ihnen waren Adaptionen der bekanntesten Adventure- und Strategiespiele: Weltraumschlachten, mittelalterliche Eroberungszüge und sogar ein Jump and Run - Spiel. Themen aus der Filmbranche waren es bisher nur sieben. Plötzlich stutzte Sanna. Sie nahm den Zettel, auf den sie die Namen der verschwundenen Schauspieler geschrieben hatte, aus ihrer Tasche und verglich sie mit den Spielen. Sie stimmten überein. Nachdenklich starrte Sanna auf ihren Zettel. Dann schüttelte sie den Kopf und wollte den Laden verlassen. Doch kaum hatte sie die ersten Schritte getan, als sie wieder das Gefühl vom Vorabend überfiel. Rasch drehte sich Sanna um. Außer der Verkäuferin waren nur noch einige Jugendliche im Raum. Die wenigen Menschen waren aber nicht für dieses plötzlich aufgetretene Gefühl verantwortlich. Sanna spürte, dass noch andere in dem Laden sein mussten. Sie wusste nur nicht zu sagen wer.
Sanna traf Max erst am späten Nachmittag im Hotel an. In der Zwischenzeit informierte sie ihre Mutter über das, was sie herausgefunden hatte. Lois Lane konnte Sannas Entdeckung zuerst nicht glauben, erst als Sanna ihr von dem Spiel und den verschwundenen Schauspielern erzählte, begann sie zu begreifen.
"Es besteht eindeutig ein Zusammenhang. Doch wo ist der Schnittpunkt?", meinte sie nachdenklich.
"Das sehe ich auch so." Sanna starrte zur Decke. Das Gefühl, nicht allein zu sein und von jemanden beobachtet zu werden, war immer noch nicht verschwunden. Trotzdem versuchte sie es zu ignorieren. So gelassen wie möglich sagte sie: "Aber ich kann mir auch nicht erklären, in wie weit die Spiele mit dem Verschwinden Dads oder das der anderen Menschen zusammenhängen."
"Es wäre bestimmt interessant zu wissen, unter welchen Umständen die Schauspieler verschwunden sind."
"Um das zu erfahren, sind wir hier. Ich werde morgen mit Max zu den Familien der Schauspieler gehen. Vielleicht sehe ich dann klarer."
"Gut. Ruf mich an, sobald Du etwas erfahren hast. Ich werde von Smallville aus meine Kontakte spielen lassen."
Beide legten auf. Kurze Zeit später klopfte es an Sannas Hotelzimmertür und Max trat ein. Sein Gesicht war schmerzverzerrt und er humpelte. Sanna konnte sich bei seinem Anblick ein Grinsen nicht verkneifen. "Das kommt davon, wenn man meint, alles ausprobieren zu müssen", meinte sie feixend.
"Es ging gut, bis ich auf einen Stein gestoßen bin."
"Wie groß war denn der Stein?"
"Ungefähr zwei Meter."
Unwillkürlich zuckte Sanna zusammen. "Autsch!"
"Das sagte ich auch." Mit einem lauten Stöhnen ließ Max sich auf Sannas Bett fallen. "Hast Du Deine Verwandten gefunden?"
"Wie man es nimmt." Sie erzählte ihm von ihrer Entdeckung im Laden.
Max blickte schweigend an die Decke. "Für die Verschwundenen klingt das nicht gut", sagte er schließlich. "Aber fantastisch für eine Story."
Widerstrebend stimmte Sanna ihm zu. Innerlich war sie zerrissen von dem Wunsch, ihren Vater zu finden, bevor die Bevölkerung sein Fehlen bemerkte, und von der Gier eines jeden Reporters nach einer guten Story. Denn das wäre es. Sie sah die Schlagzeile förmlich vor sich: "Superman im Spiel gefangen?".
"Wollen wir die Polizei benachrichtigen?" fragte Max.
Sie schüttelte den Kopf "Erst wenn es nötig ist. Da sie bis jetzt wohl noch im Dunkeln stolpert, käme sie uns nur in die Quere."
Max blickte sie unter halb geschlossenen Lidern an. "Du bist im Zwiespalt, nicht wahr?"
"So gut kennst Du mich?"
"Habe ich nun Recht, oder nicht?"
"Es stimmt. Meine Familie steht loyal zu Superman. Das stand sie schon immer. Und deshalb weiß ich nicht, ob ich aus seiner hilflosen Lage Kapital schlagen darf."
"Du wirst dafür bezahlt, aus den Lagen anderer Leute Kapital zu schlagen. Egal, ob es ein Krieg, ein Unfall oder eine Hochzeit ist. Du bist Reporter, Sanna. Wir können es uns nicht erlauben, parteiisch zu sein."
"Das macht es nicht leichter. Im Gegensatz zu Dir trete ich Superman an Weihnachten gegenüber."
Er lachte. "So wie ich Superman kenne, macht er Dir trotzdem ein Geschenk. Dazu mag er Dich viel zu sehr!"
Sanna stimmte in Max Lachen ein. Dann sagte sie, wieder ernst werdend: "Lass mich noch eine Nacht darüber schlafen. Ich gebe Dir dann morgen Bescheid."
"Einverstanden!" Mit einer raschen Bewegung stand Max auf. "Aber egal, wie Deine Entscheidung auch ausfallen wird - wir haben heute Abend ein Treffen mit Joe Metzler. Jimmy verlangt, dass wir uns mit ihm unterhalten."
"Ich habe nichts dagegen."
Nickend verabschiedete sich Max. "Wir treffen uns in einer Stunde im Foyer des Hotels. Metzler hat ein Haus direkt am Meer. Jimmy meinte, es würde uns dort gefallen."
Joe Metzler war ein unangenehmer Mensch - fand Sanna. Er war laut und ein Angeber. Und er hielt viel auf sich. Das allein fand Sanna schon abstoßend. Sie mochte keine Menschen, die, ohne danach gefragt zu werden, ihre Auszeichnungen und all die vermeintlichen Freundschaften mit berühmten Bekanntschaften zum Besten gaben. Trotzdem war er für Max und Sanna eine wertvolle Hilfe. Er lud beide auf die zum Meer gewandte Terrasse ein und erzählte ihnen aus dem Insiderwissen Hollywoods. So wusste Sanna schon nach kurzer Zeit, dass alle Schauspieler kurz nach der Premiere ihres neuesten Filmes verschwunden waren. All das war im Zeitraum der letzten Woche passiert. Dass diese Begebenheiten bisher noch nicht publik geworden waren, verdankte man vor allem der Abgeschirmtheit, in der diese Menschen lebten. Nur ihre Familien, engste Freunde und die Polizei wussten davon. Und natürlich der stets informierte Joe Metzler.
Max nutze ein kurze Abwesenheit des Korrespondenten, um sich leise mit Sanna zu unterhalten: "Was hältst Du von ihm?"
"Ein Schleimer", antwortete sie knapp. "Metzler würde sogar seine Großmutter verkaufen, wenn es ihm Vorteil bringen würde."
"Das sehe ich auch so. Aber er kann uns von Nutzen sein. Mit seinen Beziehungen kann er uns vielleicht ein Interview mit einem aus dem Kreis der Betroffenen verhelfen."
Sie nickte. Anschließend stand sie auf und lehnte sich auf die Terrassenbrüstung. Die Sonne, die in diesem Moment unterging, glühte blutrot über dem Meer. Es sah traumhaft aus. Max stellte sich neben sie und legte freundschaftlich einen Arm um ihre Schultern. "Irgend etwas bedrückt dich. Willst Du es mir nicht sagen?"
"Nein." Sanna schüttelte den Kopf. Dann legte sie ihn für einen Moment auf Max Schulter. Ein trauriges Gefühl überkam sie. Max war immer so fürsorglich. Er wollte ihr helfen und ihren Kummer mittragen. Sanna fand es bedauerlich, das sie gerade Max niemals von ihren größten Problemen erzählen konnte. Aber sie hatte ein Geheimnis zu bewahren. Allein diese Tatsache verbot für sie mehr, als nur Freundschaft.
Seufzend nahm Max seinen Arm fort. "Ich dachte, ich wäre dein Freund. Aber manchmal habe ich das Gefühl, dass ich Dich überhaupt nicht kenne. Ich bin mir sicher - schon seit dem Anfang unserer Partnerschaft verheimlichst Du mir etwas. Ich bin deswegen nie in Dich gedrungen, weil ich denke, dass es Gründe dafür geben wird. Aber es gibt auch Zeiten ..."
"Ich weiß", unterbrach Sanna ihn. "Es gibt Zeiten, da ist es mit mir nicht leicht."
"So kann man das auch nennen."
In diesem Moment kam Joe Metzler zurück. In seiner Hand hielt er eine kleine Visitenkarte. "Versuchen Sie es damit. Diese Karte öffnet ihnen so manche Tür. Selbst die eines Filmstars."
Dankend nahm Max die Karte an sich. Dann verabschiedeten sie sich. Doch als Max zum Mietauto gehen wollte, hielt Sanna ihn zurück. "Es ist so ein schöner Abend. Lass uns noch ein wenig am Strand spazieren gehen."
"Ist es dafür nicht ein wenig zu kalt? - Ich meine, es ist immerhin erst Anfang März."
"Keiner verlangt von dir, dass Du ins Wasser springen sollst. Ich will nur Spazieren gehen."
"Also schön." Er nahm Sannas Hand und führte sie unter seinen Arm. "Jimmy befahl uns sowieso, wir sollten etwas Romantisches unternehmen. Warum nicht also an einem Strand?"
Sanna schwieg. Doch sie ließ ihren Arm in dem von Max. Langsam schlenderten sie zum Wasser. Vom Meer her wehte ein kühler Wind, der ihnen in das Gesicht blies. Trotzdem war die Luft noch mild von der Wärme des Tages. Als Sanna zum Himmel blickte, sah sie die ersten Sterne. Es war schön.
Sie liefen eine ganze Stunde. Während der ganzen Zeit sagte Sanna kein Wort. Ihre Gedanken kreisten um das, was sie empfand. Über das Gefühl des Beobachtetwerdens, welches immer noch in ihr wohnte und nicht weichen wollte. Doch vor allem dachte sie an ihren Vater - und an ihre Mutter, die sich Sorgen um ihn machte. Max, der ihren inneren Konflikt spürte, schwieg ebenfalls. Er wusste, dass Sanna über die neue Story nachdachte. Dass sie ganz alleine diese Entscheidung treffen musste. Denn er wäre er in dieser Beziehung ein schlechter Ratgeber. Dazu liebte er sie viel zu sehr.
Das erste, was Sanna am nächsten Morgen tat, war ihre Mutter anzurufen und ihr zu schildern, welche Entscheidung sie getroffen hatte. So erzählte sie knapp mit gespannter Stimme, dass sie die Interessen des »Daily Planet« vor die ihrer Familie stellen werde. Danach schwieg sie.
Lois Lane schwieg ebenfalls. Dann, nach etwa einer Minute, fragte sie: "Wie lange hast Du für diesen Entschluss gebraucht?"
"Einen ganzen Abend und eine ganze Nacht."
Am anderen Ende des Kabels seufzte Lois auf. "Du hast es Dir nicht leicht gemacht, Sanna. Aber ich verstehe Dich. Wir Reporter sind der Wahrheit verpflichtet. Auch wenn es uns manchmal schwer fällt. Ich bin sicher, Dein Vater würde Ähnliches sagen."
"Ich hoffe, ich habe noch einen Vater."
"So etwas darfst Du nicht einmal denken! Vertraue Clark. Ich habe es immer getan und er hat mich noch nie getäuscht. Ich wollte, ich könnte Licht in die Sache bringen."
"Du tust es auf Deine Weise. Und Du hast Vater mehr als einmal aus verzwickten Situationen herausgeboxt. Jetzt ist für mich die Zeit gekommen, es zu tun!"
Lois lachte trocken. Es klang wie eine Mischung aus Verzweiflung und Sarkasmus. "Wenn ich bedenke, dass wir extra nach Smallville gezogen sind, damit Du nicht mit in den Sumpf der Kriminalität gezogen wirst ..."
"Wenn man Supermans Tochter ist, lässt sich das wohl nicht ganz vermeiden."
"Aber ich hätte es Dir gerne erspart."
"Mom, Du wärst nicht die beste Mutter aller Zeiten, wenn Du es Dir nicht wünschen würdest." Sanna verstummte und einen kurzen Augenblick lang überlegte sie, ob sie ihrer Mutter etwas von dem seltsamen Gefühl in ihr erzählen sollte. Doch dann entschied sie, es für sich zu behalten. Lois war besorgt genug. Sanna wollte sie nicht noch mehr dadurch beunruhigen, dass sie ihr von ihren schizophrenen Empfinden berichtete.
Von der Zimmertür her erklang ein Klopfen. Bevor Lois noch etwas sagen konnte, verabschiedete sich Sanna von ihr und legte auf. Dann ging sie zur Tür und öffnete sie. Doch wider ihrer Erwartung stand nicht Max auf dem Gang, sondern Elaine. Erstaunt ließ Sanna sie ein. "Was willst Du hier?" fragte sie nicht gerade höflich.
"Ich wollte sehen, in was für ein Loch euch Jimmy gesteckt hat", gab Elaine unfreundlich zurück. Sie schleuderte ihr Handtäschchen auf den kleinen Tisch und ließ sich auf einen Sessel fallen. Mit einer hochgezogenen Augebraue sah sie sich um.
Sanna kreuzte ihre Arme vor ihrer Brust und blickte Elaine stirnrunzelnd an. Ihre Kollegin trug ein zart rosafarbenes Kostüm, das perfekt mit ihrem Makeup harmonierte. Die schwarze Locken hatte sie hochgebunden und nur eine Strähne kringelte sich wie zufällig in ihrem Nacken. Aber Sanna wusste, dass Elaine an ihrem Outfit rein gar nichts dem Zufall überließ. Die Locke war genau dort, wo ihre Besitzerin sie haben wollte. Plötzlich überkam Sanna bei Elaines Anblick das Gefühl, nur wenig besser als ein Bauerntrampel zu sein. "Was willst Du hier?" wiederholte sie ihre Frage deshalb unwirscher, als sie es eigentlich beabsichtigt hatte.
"Dir helfen", gab Elaine großmütig zurück
"Was kannst Du mir schon helfen?"
"Vielleicht mehr, als Dir bewusst ist." Mit einem süffisanten Lächeln stand Elaine auf. "Ich war gestern mit Michael bei einigen sehr wichtigen Leuten. Du weißt doch - wir dürfen bei der Oskarverleihung dabei sein."
"Wenn Du das wichtig nennst ..."
Elaine blickte sie erstaunt an. "Natürlich ist das wichtig. Das dürfte selbst Dir klar sein, dass das dieses Jahr der Knüller sein wird. Vor allem, wenn die Anwärter auf den Oskar scheinbar wie vom Boden verschluckt worden sind."
"Bis jetzt ist diese Information noch nicht in der Öffentlichkeit."
"Sanna, stell Dich nicht so dumm. Jeder, der nur im entferntesten etwas mit Hollywood zu tun hat, weiß es. Angefangen bei der Requisite bis hin zum Regisseur. Sie halten nur dicht, das ist alles. - Bis jetzt", fügte sie lakonisch hinzu.
"Was weißt Du noch?" fragte Sanna misstrauisch.
"Oh, ich weiß zum Beispiel, dass alle Verschwundenen kurz vor ihrem Verschwinden eine Menge Geld verdient haben."
"Das dürfte für einen bekannten Schauspieler nichts ungewöhnliches sein."
Elaine winkte ab. "Ich meine nicht das übliche Honorar. Ich rede von einem Geschäft, das etwas außerhalb der Norm liegt." Sie nannte eine horrend hohe Zahl.
Für einen Moment hielt Sanna die Luft an. Dann schluckte sie. "Weißt du, woher sie das Geld bekommen haben?"
"Nein. Aber ich bin sicher, wenn Du bei den Familien der Schauspieler vorbeigehst, erzählen sie es Dir vielleicht."
"Woher hast Du die Information?"
"Aber Sanna." Elaine warf ihr einen spöttischen Blick zu. "Du wirst doch nicht denken, dass ich Dir meine Quellen preisgebe." Doch nach einem abschätzenden Blick auf Sannas einfaches Kleid sagte sie: "Ich sage Dir nur eines: Du solltest aufhören, von der Stange zu kaufen. Wenn Du herumläufst wie Tienchen Stinknormal, wirst Du nie die richtigen Leute für diesen Job kennen lernen."
"Bis jetzt bin ich immer an meine Informationen gekommen, selbst wenn ich wie Tienchen Stinknormal aussehe."
"Sicher, das gilt für Metropolis. Aber hier sind wir in L.A. Hier ist alles anders."
Mit dem Gefühl, Elaine gleich Ohrfeigen zu müssen, ging Sanna zur Tür und öffnete sie. "Bitte gehe Elaine!" befahl sie. "Wenn Du noch länger in meinem Zimmer sitzt, kann ich nicht dafür garantieren, dass Du an einem Stück zu Deiner Oskarverleihung gehen kannst."
"Du bist aber gewalttätig. Aber ich beuge mich - ich gehe. Und nimm Dir meinen Rat zu Herzen!" Sie lächelte Max zu, der gerade in diesem Moment das Zimmer betrat. "Hallo Max, wie geht es Dir heute Morgen?"
"Danke Elaine." Er lächelte zurück. "Hübsches Kostüm", sagte er anschließend anerkennend. "Es steht dir."
"Ich weiß, mein Lieber. Aber Du solltest erst mein Abendkleid sehen, dass ich übermorgen anziehen werde."
"Ein andermal." Max wartete, bis Elaine auf dem Gang war und verschloss dann die Tür hinter ihr.
Sanna warf ihm einen wütenden Blick zu. "Warum fragst Du nicht Jimmy, ob Du nicht mit Elaine zusammenarbeiten kannst?" fauchte sie ihn an. "Dann kannst Du ihr jeden Tag sagen, dass ihre Kleider ihr stehen."
Ihr Partner blinzelte leicht. "Erzähl mir nicht, dass Du eifersüchtig bist", fragte er amüsiert. "Doch wohl nicht auf Elaine."
"Das habe ich nicht nötig," gab Sanna zurück. Sie blinzelte. Eigentlich hatte Max den Nagel auf den Kopf getroffen: Sie war eifersüchtig auf Elaine.
"Nein, wirklich nicht", meinte Max. "Sie kann Dir lange nicht das Wasser reichen." Er grinste. "Außerdem erinnert mich Elaine immer an ein Bonbon. Süß beim Lutschen, aber schlecht für die Gesundheit."
Sanna musste lachen. "Du weißt auch immer, wann Du was sagen musst, nicht wahr Max?"
"Das lernt man automatisch, wenn man mit dem weiblichen Geschlecht zu tun hat. Es ist quasi eine Garantie fürs Überleben."
"Ach komm", sie hakte sich bei ihm unter. "So schlimm sind wir nun auch wieder nicht."
"Das kommt auf die Konstellation der Frauen an." Er öffnete wieder die Tür und führte Sanna hinaus. "Doch lassen wir Elaine mal beiseite", meinte er anschließend. "Ich habe hier nämlich immer noch die Karte, die uns laut Metzler in der High Society Tür und Tor öffne kann." Max stockte. "Wie ist Deine Entscheidung? Hast Du einen Entschluss gefasst?"
Nickend verschloss Sanna ihre Tür. "Ich werde an der Story mitarbeiten. Selbst wenn ich Superman dabei bloßstelle und somit seine Schwäche verrate."
"Bravo, Sanna. Das nenne ich Reportergeist. Nur nicht vor irgendetwas Halt machen."
"Hoffen wir nur, dass ich das nicht eines Tages bereuen werde", sagte Sanna leise. "Wir wissen schließlich noch nicht, in welches Wespennest wir stoßen werden."
"Das weiß man am Anfang nie so recht. Doch unsere Pflicht ist nun mal, die Welt mit Informationen zu versorgen. Sonst blieben sämtliche Wespennester unzerstört und wir Menschen würden andauernd von ihnen gestochen werden."
"Weißt du, was ich überhaupt nicht an Dir mag?" fragte Sanna ärgerlich. "Manchmal sprichst Du genauso moralisch wie Superman. Ihr zwei mögt ja Recht haben, aber müsst ihr das immer so hochtrabend ausdrücken?"
Lachend führte Max sie zum Hotelfahrstuhl. "Ich hätte nicht gedacht, dass ausgerechnet der Welt größter Superheld etwas mit mir gemeinsam hat. Deshalb fasse ich es einfach mal als ein Kompliment auf - selbst wenn ich mir einbilde, dass Du mich ein klein wenig lieber hast als den Stählernen."
Auf dem Weg zum Taxi erzählte Sanna ihrem Partner, was sie von Elaine erfahren hatte. Nachdenklich blinzelte Max in die Sonne. "Nach dem, was wir von den Verschwundenen - einschließlich Superman - wissen, würde mich nichts mehr verwundern. Aber ich verstehe nicht ganz, warum die Polizei nicht auf den Gedanken gekommen ist, dass diese Tatsachen zusammenhängen."
"Vielleicht weiß sie noch nichts von den Spielen", versuchte Sanna zu erklären. Es klingt schließlich ziemlich nach Science-Fiction: Menschen verschwinden, nachdem ein Spiel auf dem Markt kommt. Man fragt sich unwillkürlich, ob sie nicht in dem Spiel gefangengehalten werden."
"Das ist wirklich Science-Fiction. Zu fantastisch für die Polizei."
Beide stiegen in ein wartendes Taxi und Max nannte eine der Adressen, die Metzler ihnen gegeben hat. Während der Fahrt schwiegen sie. Eine Angewohnheit, die sie sich in Metropolis zu eigen gemacht hatten - zu viele arbeitslose Reporter verdingten sich dort als Taxifahrer. Statt dessen blickten sie aus dem Fenster und betrachteten sich die Stadt aus dem fahrenden Auto heraus. Erst als das Taxi sie vor einer hohen Mauer abgesetzt hatte und fortfuhr, spann Sanna ihre Gedanken laut weiter. "Vorausgesetzt, das Verschwinden der Menschen hängt tatsächlich mit den Spielen zusammen, wo sollte man dann weitersuchen? Ich nehme nicht an, dass die Produktionsfirma dieser Reality Spiele die Schauspieler einfach im Keller versteckt hält. Denn alleine um Superman festhalten zu können, braucht es mehr als das."
"Der Zufall wird uns weiterhelfen." Als Max Sannas zweifelnden Blick sah, fügte er hinzu: "Weißt Du das nicht? Der Zufall ist des Reporters beste Fee!"
"Dann hoffe ich, dass uns Deine Fee nicht in Stich lässt. Wie heißt sie denn?"
Max lächelte geheimnisvoll. "Man darf den Namen nicht laut aussprechen - sonst verschwindet die Fee wieder."
"Du bist verrückt!", sagte Sanna lachend. Dann drückte sie auf einen kleinen Klingelknopf, der unscheinbar hinter einer herabfallenden Efeuhecke lag. Sie hatten schon einige Zeit gewartet, als eine mürrische Stimme im Lautsprecher nach ihrem Wunsch fragte. Mit knappen Worten erklärte Sanna ihr Anliegen und nachdem sie den Namen Joe Metzlers erwähnt hatte, wurden sie durch ein schmales Tor seitlich der Mauer hereingelassen. Kurz darauf saßen sie in einem hellen Wohnzimmer, ihnen gegenüber eine junge Frau, die sichtlich nervös an einer Zigarette sog.
"Sie müssen entschuldigen", sagte sie leise. "Aber ich weiß inzwischen nicht mehr, was ich machen soll. Joe Metzler hat gestern bei mir angerufen und mir versichert, dass Sie alles in ihrer Macht stehende tun würde, um meinem Mann zu helfen. Die Polizei weiß einfach nicht mehr weiter. Sie hat keine Ahnung, wo sie suchen soll. Sämtliche Wege führen ins Nichts ..."
Sanna und Max wechselten einen kurzen Blick miteinander. Dann fragte Sanna: "Erzählen Sie uns einfach, wie alles begonnen hat. Seit wann ihr Mann verschwunden ist, wo er zuletzt gewesen ist und welche Leute er vor seinem Verschwinden getroffen hat."
Die junge Frau nickte. Anschließend umriss sie das, was sie schon der Polizei bereits erzählt hatte: Ihr Mann war, einen Tag nachdem sein letzter Premiere hatte, zu einem Treffen mit seinem Manager eingeladen worden. Von dort war er nie zurückgekehrt. Auf Anfragen der Polizei hatte der Manager jedoch bestritten, irgend ein Treffen anberaumt zu haben, und konnte ein hieb- und stichfestes Alibi für diesen Zeitpunkt vorweisen: Er hatte sich zu dieser Zeit auf dem Golfplatz befunden. "Und ich glaube ihm", beendete die junge Frau ihren Bericht. "Ich kenne ihn schon lange. Er ist ein enger Freund. Niemals würde er meinem Mann etwas antun."
"In welche Richtungen hat die Polizei recherchiert?" fragte Max.
"Alles, was man für möglich halten muss: Erpressung durch Entführung, verrückt gewordene Fans, sogar Mord."
"Aber nichts hatte zugetroffen?"
Schluchzend schüttelte ihr Gegenüber den Kopf. Nach einer kurzen Pause fragte Sanna: "Was können Sie mir zu der Firma "Reality Game Productions" sagen?"
"Was soll mit ihr sein?"
"Sie wissen doch, dass ihr Mann sein Einverständniserklärung für diese Art Spiel gegeben hat?"
"Sicher hat er das. Merchandising ist ein großer Markt. Spielfiguren, T-Shirts, Computerspiele. Warum sollte er sein Einverständnis dort verweigern?"
"Darf man fragen, wie viel vom Spielhersteller bezahlt worden ist?"
"Nicht viel mehr als sonst auch. Warum?"
"Nur so, entschuldigen Sie meine Neugier." Mit einem zufriedenen Lächeln lehnte sich Sanna zurück. Sie würde Elaine bei nächster Gelegenheit unter die Nase reiben, dass sie ihre Quelle nicht alles glauben sollte.
Doch plötzlich sagte ihre Gastgeberin: "Jetzt, wo sie es erwähnen, fällt mir etwas ein: Die "Reality Game Productions" bat meinen Mann zu ihnen in das Büro. Das ist ungewöhnlich. Normalerweise läuft alles über den Manager. Aber dort meinten sie, mein Mann müsste persönlich kommen. Sie meinten, wegen der neuen Art des Spiels bräuchten sie die genauen Maße. Oder so etwas ähnliches."
"Wissen Sie zufällig die Adresse, wohin er geladen worden ist?" fragte Max neugierig.
Die junge Frau stand auf. "Einen Moment, ich hole die Karte." Eilig ging sie aus dem Raum.
Sanna beugte sich zu Max. "Was meinst Du dazu?"
"Ich meine, dass unsere Polizei nicht mit Klugheit gesegnet ist. Wo sind nur all die schlauen Kommissare hin?"
"Die gibt es nur in den Fernsehserien. Deshalb sollten wir unsere Chance nutzen und dort nachsehen, wo die Polizei anscheinend übersehen hat: Bei den Spieleherstellern."
"Meine Rede."
In diesem Augenblick kam die Frau des Schauspielers wieder zurück. In ihrer Hand hielt sie eine kleine Karte. "Da ist sie! Aber ich muss Ihnen aber mitteilen, dass mein Mann schon vor Monaten dort war. Er hatte deswegen sogar seine Dreharbeiten unterbrechen müssen. Das ist schon so lange her, dass ich deswegen nichts der Polizei gesagt habe - ich habe es glatt vergessen." Sie machte eine kurze Pause. "Meinen Sie wirklich, dass es ihnen weiterhilft?"
Fast gleichzeitig standen Max und Sanna auf. "Absolut!" sagte Max bestimmt. "Sie müssen wissen, dass wir Reporter einfach anders denken als die Polizei. Was für sie undenkbar ist, ist für uns möglich."
"Ich hoffe wirklich, sie behalten Recht."
Mit einem leichten Lächeln verabschiedete sich Max von ihr. Dann nahm er Sanna am Ellebogen und führte sie rasch aus dem Haus. Erst nachdem sie wieder auf der Strasse standen, ließ er sie los.
"Was sollte das?" fragte Sanna belustigt. "Warum hattest Du es auf einmal so eilig?"
"Weil ich unbedingt heute noch zu dieser Spiel Productions will." Er blickte auf die Karte. "Es ist am anderen Ende der Stadt - dieses Mal zahlst Du das Taxi.
Das Büro der "Reality Game Productions" war in einem erst wenige Monate alten Bürohaus untergebracht. Kaum hatte Sanna das Gebäude betreten, verstärkte sich das seltsame Gefühl in ihr. Mit einem gequälten Gesichtsaudruck verschloss Sanna für einen Moment die Augen. Die letzten Stunden hatte sie dieses Gefühl fast verdrängen können, obwohl es sich wie ein Tinnitus in ihr festgesetzt hatte. Diese plötzliche Verstärkung brachte es ihr jedoch wieder unangenehm in Erinnerung. Max, der von Sannas innerer Qual nichts mitbekam, legte seinen Presseausweis vor. Sogleich wurden sie ins Foyer hereingebeten und von einer Sekretärin zu einer brünetten Frau mit einem ansprechenden Gesicht geführt, die sich ihnen als Mrs. Ciancola vorstellte.
"Guten Tag", sagte sie erfreut, während sie die beiden in ein großes, mit dunklen Möbeln ausgestelltes Büro führte. "Es freut mich, zwei Reporter des berühmten »Daily Planet« kennenzulernen."
Sanna setzte sich auf den angebotenen Stuhl. "Sie kennen unsere Zeitung?"
"Natürlich. Ich bin regelmäßig in Metropolis."
"Dann können Sie sich auch vorstellen, was wir von ihnen wollen?" fragte Max vorsichtig, während er sich auf den zweiten Stuhl neben Sanna setzte.
Mrs. Ciancola setzte sich hinter einen breiten Schreibtisch, stützte ihre Hände darauf und legte die Handflächen aneinander. "Nun, ich nehme an, Sie möchten gern mehr über unser neues Produkt erfahren."
"Erzählen Sie uns davon", forderte Sanna sie auf. "Seit wann läuft die Produktion?"
Die nächste halbe Stunde erklärte ihnen Mrs. Ciancola den Werdegang des Reality Spieles. Sie begann bei der Idee für das Spiel, erläuterte die Schwierigkeiten bei der Umsetzung in Hard- und Software, und nannte abschließend auch einige Details der Markteinführung. Als sie geendet hatte, blickte sie die Reporter freundlich an. "Haben Sie noch irgendwelche Fragen?"
Sanna nickte. "Wo genau wurde das Spiel erfunden? Hier in L.A.?"
"Ja. Und ich darf mich stolz dabei preisen, dass ich ein Mitbegründer der "Reality Game Productions" bin."
"Wird das Spiel ebenfalls in L.A. gefertigt?"
"Nein. Ich kann ihnen aus Sicherheitsgründen leider nicht verraten, wo unsere Produktionsorte liegen. Sie verstehen - Industriespionage."
"Aber sie haben doch bestimmt ein Patent auf das Spiel!" sagte Max lächelnd.
"Natürlich. Trotzdem kann man nie sicher sein."
Max nickte verständnisvoll. Dann fragte er: "Gibt es noch Pläne für die Erweiterung des Spielangebots? Bis jetzt gibt es ja noch nicht all zu viele Szenarien."
"Das wird die Zeit zeigen." Mrs. Ciancola lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und starrte auf eine künstliche Topfpflanze, die in der Ecke des Zimmers stand. "Ich muss zugeben, wir sind immer noch in der Erprobungsphase. Gerade die Spiele, die sich wirkliche Personen zum Vorbild nehmen - hauptsächlich Merchandising der Filmproduktionen - stellen uns vor so manche Probleme."
"Zum Beispiel?" Sannas Stimme klang unwillkürlich schärfer, als sie es wollte.
"Das liegt klar auf der Hand." In Mrs. Ciancolas Augen stahl sich Misstrauen. "Es ist leichter für uns, eine Lara Croft zum Leben erwecken, als einen Mensch aus Fleisch und Blut. Schließlich wollen wir so real wie möglich sein. Das ist einfach ein Qualitätsstandart!"
Max beugte sich leicht vor. "Darf man fragen, wie sie einen realen Menschen imitieren?"
"Wir Scannen ihn. Und zwar von allen Seiten."
"Ich weiß, dass es seit gestern auch ein Spiel mit Superman gibt", sagte Sanna mit einem provozierend Unterton in ihrer Stimme. "Haben Sie ihn ebenfalls diesen Scans unterzogen?"
"Natürlich. Superman war sehr entgegenkommend." Sie lächelte.
Sanna atmete tief ein und stellte dann die Frage, die ihr schon lange auf der Zunge brannte: "Wussten Sie auch, dass alle bisher in ihrem Spiel imitierten Menschen spurlos verschwunden sind?"
"Nein, das wusste ich nicht. Aber es kann schwerlich etwas mit unserem Spiel zu tun haben - wir haben die erforderlichen Recherchen und Scans schon vor Monaten erledigt. Es dauert einige Zeit, bis wir die Daten für das Spiel umwandeln können."
Max warf ihr einen scharfen Blick zu. "Aber kommt Ihnen das denn nicht seltsam vor?"
"Wollen Sie uns etwa vorwerfen, wir hätten die Leute gekidnappt?"
"Und wenn dem so wäre?" fragte Sanna provokativ.
Abrupt stand Mrs. Ciancola auf. "Das muss ich mir nicht bieten lassen. Verlassen Sie augenblicklich mein Büro!"
"Eine letzte Frage noch", sagte Max. "Könnten Sie mich nicht auch in einem ihrer Spiele unterbringen? Zum Beispiel als Held, der die Welt vor dem Untergang rettet?"
"Nein!" Mrs. Ciancola warf ihm einen giftigen Blick zu. "Dazu sind Sie nicht prominent genug. Kein Mensch würde es reizen, ausgerechnet Sie zu einem Helden zu machen." Mit einer herrischen Bewegung führte Sie die Reporter hinaus. Die Tür zum Büro ließ sie anschließend krachend ins Schloss fallen.
Als Sanna das Gebäude verließ, fiel auch das seltsame Gefühl von ihr ab. Froh, die Gespenster wieder los zu sein, ließ sie ihrer Belustigung über Max freien Lauf. Lachend meinte sie: "Jetzt hast Du es von qualifizierter Stelle - Du taugst einfach nicht zum Weltenretter."
Lächelnd stimmte ihr Max zu. Doch dann sagte er ernst: "Sie wurde richtig böse, als wir sie nach den verschwundenen Schauspieler fragten. Ich bin der Meinung, sie weiß etwas."
"Aber was sie sagte, stimmt mit unseren Informationen überein: sie haben mit den Schauspielern schon vor vielen Monaten Kontakt aufgenommen. Wenn damals bereits die Spiele vorbereitet wurden, warum verschwanden die Menschen erst jetzt?"
"Ich weiß es nicht." Er wurde nachdenklich. "Was meinst Du - wie lange bleiben die Spiele in Mode?"
"Zwei, drei Monate nehme ich an. Dann werden sie vom Markt genommen und durch andere ersetzt werden."
"Genau. Ich bin gespannt, wie lange die Schauspieler verschwunden sein werden."
Sanna schüttelte energisch den Kopf. "Wir können nicht ein Vierteljahr warten, bis das Spiel aus der Mode kommt. Denk nur an Superman!"
"Das stimmt. Außerdem würde das auf die Dauer doch ziemlich auffallen: Jedes Mal, wenn ein neues Spiel erscheint, verschwindet der dazugehörige Mensch. Da würde sogar unsere Polizei dahinterkommen."
Bekümmert blickte Sanna auf ihren Partner. "Befinden wir uns also auf dem völlig falschen Weg?"
Max biss sich auf die Unterlippe. Es erschien alles so offensichtlich. Ein Spiel erscheint - ein Mensch verschwindet. War das Zufall oder steckte etwas anderes dahinter? Doch wozu sollte die "Reality Game Productions" die Schauspieler noch brauchen, wenn sie doch die Scans schon vor Monaten durchgeführt hatten? "Gehen wir zuerst zu den anderen Betroffenen!" schlug er nach kurzem Nachdenken vor. "Lassen wir uns ihre Version der Geschichte erzählen."
Den Rest des Tages verbrachten Sanna und Max damit, bei den anderen Familien zu klingeln und dort zu recherchieren. Es stellte sich dabei heraus, dass es überall ähnlich abgelaufen war. Alle Schauspieler waren zu einem wichtigen Treffen beordert worden und von dort nicht zurückgekehrt. Egal, ob es sich dabei um einen Termin bei einer Vigasistin oder einen Arztbesuch handelte. Es waren allesamt fiktive Treffen. Ziel war es anscheinend nur gewesen, den Betroffenen von seiner Familie wegzuholen, um ihn anschließend verschwinden zu lassen. Von keinem der Verschwundenen gab es irgendeine Spur. Es war, als hätte sich der Erdboden aufgetan und sie verschluckt.
Als sie am Abend zu einem gemeinsamen Essen zusammensaßen, rekapitulierten Sanna und Max die am Tag zusammengetragenen Fakten. Doch sie mussten erkennen, dass das Puzzle kein Bild ergab. Sanna lehnte sich schließlich mit einem Seufzen in ihren Stuhl zurück. "Es ist zum Verrücktwerden", sagte sie und legte ihre Hände auf ihre Augen. "Es passt nicht zusammen - auch wenn wir es uns noch so sehr wünschen."
"Ich muss Dir leider Recht geben", stimmte Max ihr zu. "Am Anfang sah es so einfach aus: Die "Reality Game Production" kidnappt die Schauspieler, um damit in irgendeiner Form ihr Spiel in Gang zu bringen. Aber so wie es jetzt aussieht, hat sie nicht das geringste damit zu tun."
"Wir könnten genauso gut die berühmte Nadel im Heuhaufen suchen."
"Also fliegen wir nach Metropolis zurück und schreiben, dass fünf berühmte Schauspieler verschwunden sind, von denen aber leider keiner weiß, wo sie geblieben sind."
"Nicht unbedingt ein befriedigender Schluss."
"Wir haben noch das Verschwinden von Superman!" sagte Sanna knapp.
"Das wäre das richtige Fressen für die Unterwelt - endlich hätte sie freie Bahn."
Sanna nickte. Dann, nach kurzer Überlegung, fügte sie hinzu: "Vielleicht sollten wir uns mehr auf Superman konzentrieren. Es ist doch gut möglich, dass wir, wenn wir ihn finden, auch auf die Schauspieler stoßen werden!"
"Und wo willst Du anfangen zu suchen?"
"Einen Moment." Sanna nahm ihr Funktelefon aus ihrer Handtasche. "Ich muss mal dringend telefonieren." Sie wählte die Nummer ihrer Mutter in Smallville. Nach einigen, für sie äußerst aufschlussreichen Minuten, legte sie das Telefon aus der Hand. "Superman hat nie irgendwelche Scans von sich machen lassen", erklärte sie ihrem wartenden Partner. "Weder vor ein paar Monaten noch sonst irgendwann."
Kopfschüttelnd blickte Max auf Sannas Telefon. "Man könnte meinen, Deine Familie ist mit Superman verwandt. So viel wie ihr weiß keiner über ihn."
Sanna lachte auf. "Ich könnte ein ganzes Buch über ihn schreiben - wenn ich wollte."
"Es wäre bestimmt ein Bestseller", grinste Max.
"Dank meiner Verbindung wissen wir jetzt aber, dass Superman nicht gescannt worden ist. Trotzdem gibt es ein Spiel mit ihm."
"Und er ist verschwunden."
"Ich gebe zu, dass ich mir ziemliche Sorgen um ihn mache", sagte Sanna leise. Sie schwieg. Die Stimme ihrer Mutter hatte am Telefon seltsam geklungen - als hätte sie viele schlaflose Nächte hinter sich. Ihr Mann war jetzt aber auch seit fast einer Woche fort, ohne dass sie das geringste Lebenszeichen von ihm gehört hatte. Das war absolut ungewöhnlich für einen Mann wie Clark Kent. Doch gerade als Sanna Max vorschlagen wollte, ins Bett zu gehen, klingelte ihr Telefon. Mit einem entschuldigenden Lächeln nahm Sanna ihr Telefon wieder auf und nahm ab. Es war Lois.
"Mom?" fragte Sanna erstaunt. "Was gibt es noch?"
"Ich habe vorhin vergessen zu sagen, dass ich herausgefunden habe, wo diese neuen Spiele hergestellt werden. Du weißt schon - die, welche die Reality Spiele herausgebracht haben."
"Du kennst den Ort?" rief Sanna erfreut. "Warum hast Du es nicht gleich gesagt?"
"Ich sagte doch, dass ich es vergessen habe. Schließlich werde ich nun mal nicht jünger."
"Du bist vom Alter noch weit entfernt, Mom", lachte Sanna. "Also, wo ist es?"
"In Metropolis."
"Metropolis!" wiederholte Sanna fassungslos.
"Leider konnte ich nicht die genaue Adresse erfahren."
"Wenn die Produktion wirklich in Metropolis, dann wird Dave es herausfinden. Danke Mom!" Bestimmt legte Sanna auf. Dann wandte sie sich an Max. "Wir müssen zurück nach Metropolis!"
"Und warum?"
"Meine Mutter hat herausgefunden, dass die Spiele dort hergestellt werden."
Er sah sie nachdenklich an. "Dann wollen wir dieser Spur nachgehen?"
"Hast Du einen besseren Vorschlag?"
"Momentan nicht!"
"Dann also los!" Durch Sanna ging ein energischer Ruck. "Morgen fliegen wir zurück. Ich bin gespannt, was Jimmy dazu sagt!"
Noch am Flughafen kaufte sich Sanna eine Ausgabe des »Daily Planet«. Als sie jedoch die Schlagzeile des Tages las, blieb sie wie erstarrt stehen. Rasch überflog sie den Artikel, der mit der Überschrift "Wo ist Superman?" betituliert worden war. Er warf die anklagende Frage auf, wo Superman in den letzten Tagen gewesen sei. Es wurden mehrere, vermeidbare Katastrophen aufgeführt, die durch Supermans Fehlen Hunderte von Toten gekostet hatten.
Auf Max fragenden Blick hin reichte Sanna ihrem Partner wortlos die Zeitung, der sie mit einem Stirnrunzeln durchlas. "Das ist schlimm!", meinte er anschließend. "Ich hätte nicht gedacht, dass das so schnell auffällt."
"Es musste herauskommen", antwortete Sanna bitter. "Die Menschheit hat sich so daran gewöhnt, einen Superman zu haben, der ihnen die Kohlen aus dem Feuer holt, dass sie ohne ihn nicht mehr leben kann."
"Wir kamen auch vorher ohne ihn zurecht."
"Aber es ist leichter, sich an angenehme Dinge zu gewöhnen, als wieder auf sie zu verzichten." Sie atmete tief durch. "Das Chaos wird ausbrechen!"
Kaum hatte Sanna das ausgesprochen, als sie mit ihrem Supergehör mehrere Alarmanlagen aus der Stadt hörte. Gleich darauf schrillten Polizeisirenen. Schüsse fielen und Menschen riefen um Hilfe. Kopfschüttelnd wandte Sanna sich ab. "Gehen wir zurück zum »Planet«. Falls wir überhaupt dorthin gelangen können."
Max sah sie erstaunt an. "Warum sollten wir nicht?"
"Weil ich denke, dass in der Stadt die Hölle los ist." Mit diesen Worten verließ sie das Flughafengebäude.
Sanna sollte Recht behalten. Die Strassen waren voll von Autos. Durch die Überfälle waren mehrere Autofahrer in Panik geraten und hatten Unfälle verursacht. Menschen rannten die Strassen entlang auf der Suche nach einem sicheren Unterschlupf. Es war, als wäre ein Krieg eingeläutet worden.
Fassungslos sah Max aus dem Fenster des Taxis. "Was ist denn hier passiert?" fragte er den Fahrer.
Der drehte sich erstaunt um. "Wissen Sie das nicht? Das geht jetzt schon seit zehn Stunden so. Seitdem heraus ist, dass Superman nicht mehr hier ist, ist in Metropolis die Hölle los. Und ich wette", unkte er, "in New York und auf der ganzen Welt ist es ebenso."
Sanna öffnete bei der nächsten roten Ampel die Autotür und stieg aus. "Komm mit", forderte sie Max auf. "Wir laufen. Zu Fuß sind wir auf jeden Fall schneller."
Wortlos folgte ihr Max. Als sie auf der Strasse standen, sagte er: "Du hast es gewusst!"
"Es war zu erwarten. Die Unterwelt hat doch nur darauf gewartet."
"Und jetzt holt sie das nach, was Superman stets verhindert hat. Es ist zum Kotzen." Er nahm Sanna am Arm und führte sie die Strasse entlang. "Ich will nicht, dass Du mitten am helllichten Tag erschossen wirst", erklärte er ihr. "Je eher wir im »Planet« sind, desto besser."
Sanna nickte. Max hatte mit seiner Befürchtung nicht Unrecht. Sie war jedoch eher um Max Leben besorgt als um ihres. Schließlich konnten ihr die Kugeln nichts anhaben. Unverwundbarkeit konnte äußerst praktisch sein.
Eine knappe Stunde später erreichten die beiden Reporter das Redaktionsgebäude. Zu Sannas Erleichterung waren sie auf dem Weg dorthin weder von einem Verrückten als Geiseln festgenommen worden noch mussten sie irgendwelchen Kugeln ausweichen. Aber sie hatten mehrere Umwege in Kauf nehmen müssen, weil die Polizei etliche Straßensperren errichtet hatte. Es war so, wie Max es gesagt hatte: Kaum hatten die kriminellen Subjekte erfahren, dass Superman nicht eingreifen würde, waren sie wie die Ratten aus ihren Löchern geschlüpft.
Jimmy begrüßte sie sichtlich nervös in seinem Büro. "Wenn ich gewusst hätte, was auf den Artikel hin passiert, hätte ich ihn nicht freigegeben", erklärte er seinen beiden Reporter, als sie vor ihm standen.
"Wenn der »Planet« es nicht getan hätte, dann jemand anderes", versuchte Max ihn zu beruhigen. "Sie hätten nicht anders handeln können - schließlich versuchen Sie nur eine Zeitung zu machen."
"Es ist doch sowieso egal, wer die Nachricht bringt." Sanna sah aus Jimmys Bürofenster. Sie fühlte sich müde. Das Gefühl, von versteckten Geistern beobachtet zu werden, wurde immer stärker. Und die jüngsten Entwicklungen waren auch nicht gerade geeignet, sie zu beruhigen. Seufzend blickte sie einigen Polizeiautos nach, die mit eingeschalteten Sirenen am Gebäude vorbeifuhren. "Die ganze Welt weiß, dass Superman fort ist."
Der Chefredakteur stellte sich neben sie. "Aber wo ist er?"
"Das ist unser Stichwort, Chef", sagte Max. Abwechselnd mit Sanna erklärte er Jimmy Olsen, was sie bis jetzt erfahren hatten. "Mir ist nur unbegreiflich, wie die Schuldigen es geschafft hatten, Superman aus dem Verkehr zu ziehen", schloss Max seinen Bericht.
"Kryptonit?" fragte Jimmy nachdenklich.
Über Sannas Rücken ging eine Schauer. Sie kannte die verheerende Wirkung des Kryptonits nur zu gut. Das Gefühl der Schwäche und des Schmerzes verfolgte sie noch immer - dabei war es schon fast zwei Jahre her, dass jemand versucht hatte, sie damit umzubringen. Nicht auszudenken, wenn ihr Vater damit aus dem Weg geräumt worden war.
Max schien Ähnliches zu denken. "Malen Sie den Teufel nicht gleich an die Wand", sagte er trocken. "Man muss ja nicht gleich an das Schlimmste denken." Er warf Sanna einen kurzen Blick zu. Als sie schwieg, fügt er hinzu: "Wir müssen Superman finden. Koste es was es wolle."
"Das wird nicht leicht sein." Mit einer ausschweifenden Handbewegung zeigte er auf die stillen Redaktionsräume. "Es tritt demnächst eine Ausgehverbot in Kraft. Wie Ihr seht, ist keiner mehr hier." Er lachte trocken auf. "Auf Anordnung der Bürgermeisterin. Wenn ab heute Abend jemand auf der Strasse aufgegriffen wird, kommt er in Polizeigewahrsam. Ausnahmen gelten nur für Krankenwagen."
"Wie lange gilt das Verbot?" fragte Sanna.
"Bis die Situation unter Kontrolle ist. Wenn ich jedoch sehe, wie hilflos die Polizei ist, sehe ich schwarz für die nächsten Tage. Bis dahin wird kein Tag vergehen, an dem nicht Gewalt und Verbrechen die Oberhand behält"
Versonnen blickte Sanna in den Himmel. "Es sei denn, Superman taucht plötzlich wieder auf und schafft Ordnung!" sagte sie langsam.
"Sicher - aber dann brauchst du die Story auch nicht zu schreiben."
Max warf Sanna einen langen und nachdenklichen Blick zu. Er meinte, Sanna lange genug zu kennen. Und so, wie sie jetzt aussah, hatte sie etwas vor. "Du hast eine Idee." Es war eine Feststellung, die keinen Widerspruch duldete.
"Nein - Ja!" Sanna drehte sich zu ihm um. "Ich muss darüber nachdenken."
"Erzählst Du es mir?"
"Auf keinen Fall." Energisch schüttelte sie den Kopf. "Das ist etwas, was ich keinem anvertrauen kann."
"Auch nicht Deinem Partner?" fragte er scharf.
"Nein." Sie wandte sich an den Chefredakteur. "Ich gehe jetzt nach Hause. Morgen melde ich mich wieder." Die Männer - den einen verdutzt, den anderen wütend - zurücklassend, verließ Sanna das Büro. Auf dem kürzesten Wege ging sie zurück in ihre Wohnung und schloss sich dort ein. Sie hatte etwas gründlich zu überdenken.
Es war nicht so, dass Sanna ihren Urlaub nicht gerne bei ihren Eltern verbrachte. Im Grunde genommen war sie sogar gern in ihrer Heimatstadt Smallville. Aber nach einer gewissen Zeit wollte sie einfach wieder die Weizenfelder Kansas hinter sich lassen und dafür in ihr geliebtes Metropolis zurückkehren. Sanna liebte diese Stadt - den Trubel, die Menschen, die Atmosphäre. Außerdem hatte sie stets ein schlechtes Gewissen, wenn sie ihren Partner Max McColin alleine bei der Arbeit lassen musste. Er war zwar ein guter Reporter - der Beste im »Daily Planet« - aber die besten Storys schrieb er immer dann, wenn sie zusammen daran arbeiteten. Und eine so große Zeitung wie der »Planet« war auf gute Storys angewiesen, wenn er sich gegenüber dem Fernsehen behaupten wollte. Das war schon zu der Zeit so gewesen, als ihre Eltern an dem Blatt mitgewirkt hatten und das galt auch heute noch. In gewisser Weise lag der Druck der Aktualität und der Qualität sogar noch stärker auf den Reportern als vor knapp dreißig Jahren.
Sanna arbeitete erst seit zwei Jahren im »Planet«, doch auch sie hatte diesen Druck früh zu spüren bekommen. Obwohl sie ihre erste große Story als Erfolg verbuchen konnte, hatte sie noch viel dazulernen müssen. Ihr Partner Max war ihr dabei sowohl ein Lehrer wie auch ein Freund gewesen - wobei es gerade der Freund war, den Sanna mit der Zeit am meisten zu schätzen lernte. Zwischen ihnen hatte sich in den zurückliegenden Jahren etwas aufgebaut, das weit über berufliche Kollegialität hinausging. So verbrachten sie zum Teil ihrer Freizeit miteinander, gingen ins Kino oder in Konzerte. Sanna wollte Max in ihrem Leben nicht mehr missen. Nachdem er einmal seine chauvinistische Art abgelegt hatte, lernte sie seinen seinen Humor kennen, seine Fairness im Beruf. Sie mochte auch die Art und Weise, wie er sie immer wieder durchschaute, wenn sie ihn auszutricksen versuchte. Denn Max kannte sie gut. Manchmal mehr, als ihr lieb war. Es war, als hätte Max eine besondere Antenne entwickelt, wenn es um seine Partnerin ging. Er erspürte ihre Launen und Stimmungen, wofür Sanna ihm besonders dankbar war, da es ihr oft eine Erklärung ersparte. Im Gegenzug wusste Sanna viel von Max. Sie kannte seine Schwachstellen, seine Stärken und das, was ihn bewegte.
Und dann die gemeinsame Arbeit im »Planet«: Sanna hatte viel von ihm lernen können, genau wie ihr Vater es vorrausgesagt hatte. Aber die Zeit des Lernens war vorbei. Max und sie waren jetzt ebenbürtige Partner. Sie arbeiteten Hand in Hand. Keiner war richtig gut ohne den anderen. Fehlte einer von ihnen, vermissten die Leser an der Story das gewisse Etwas. Sie waren zu einer Symbiose geworden, die man besser nicht trennte. Schließlich waren es zum guten Teil ihre Storys, die dem »Planet« in der heutigen, durch visuelle Medien beherrschten Zeit, das Überleben sicherten.
Sannas erster Weg in Metropolis führte direkt in das Redaktionsgebäude. Die Zeitung lag ihr sehr am Herzen. Die Menschen, die dort lebten, waren ihr so etwas wie eine zweite Familie geworden. Vor allem Max. Ein blonder, gutaussehender, etwas jungenhaft wirkender Mann. Er war nicht viel älter als sie, doch weitaus erfahrener, was sie im ersten halben Jahr ihres Zusammenarbeitens widerstrebend hatte zugeben müssen.
Zu ihrem Freundeskreis zählte auch ihr Chefredakteur, James Olsen. Jimmy war ein alter Freund ihrer Eltern. Sie hatten in der Zeit vor ihrer Geburt im »Daily Planet« zusammengearbeitet und viel miteinander erlebt. Die Freundschaft ihrer Eltern wirkte sich deshalb auch auf sie aus: Wenn Sanna in irgendeiner Form Probleme hatte, ging sie zu ihm und sprach sich dort aus. Im Laufe der Zeit war er so eine Art väterlicher Freund geworden.
Ebenso der Bürobote Dave Potter. Er stand zwar in der Hierarchie des »Planet« ganz unten, war aber für alle unentbehrlich. Er war es, der Akten heranschaffte und sich für Stunden ans Telefon hängte, um irgendwelche Informationen aus irgendwelchen Quellen herauszuholen. Das tat er stets so geduldig und bescheiden, dass Sanna ihn einfach gern haben musste. Für Dave wäre sie jederzeit bereit gewesen, durchs Feuer zu gehen.
Allerdings hatte Sanna nicht nur Freunde im Planet. Ihre stärkste Gegnerin war eine Reporterin, die kurz nach ihr eingestellt worden war. Sie sollte eigentlich ein Ersatz für Justine Sanders, Sannas erste Partnerin, werden. Dieser Versuch Jimmys, Sanna eine weibliche Partnerin zuzuteilen, ging jedoch gründlich daneben. Anders als bei Justine, stimmte die Chemie zwischen Sanna und Elaine Carson von Anfang an nicht. Nicht nur, dass sie sich in Sannas Augen vor dem männlichen Geschlecht unmöglich benahm, sie hatte es auch vom ersten Tag an auf Max abgesehen. Sanna erhob zwar nicht selbst Anspruch auf Max, doch es widerstrebte ihrem weiblichen Gefühl, ihren Freund den Krallen eines Vamps zu überlassen. Selbst wenn es ein so schöner Vamp wie Elaine war. Denn das war sie, wie Sanna zugeben musste - niemand in der Redaktion konnte so elegant auf Highheels durch die Redaktion schweben wie Elaine. Zudem hatte sie pechschwarze, lockige Haare, die ihre helle Haut und die fast schwarzen Augen feenhaft zur Geltung brachten. Ein Schmollmund, den Elaine wirkungsvoll in Szene setzen konnte, vervollständigte die Schönheit. Eine Versuchung, der sich kaum ein Mann widersetzen konnte. Es sei denn, er stand auf Blond.
Elaine Carson war jedoch, auch das musste Sanna zugeben, eine wirklich gute Reporterin. Ihr Partner, Michael Forrest, war ihr völlig ergeben und arbeitete wie besessen für sie. Mehr als einmal lieferten sich Sanna und Elaine einen Wettstreit, wer die bessere Story in die Redaktion brachte. So arbeiteten beide Frauen voller Eifer an ihren Storys, immer darauf bedacht, die bessere Geschichte aufzutreiben und die Andere auszustechen. Was dem »Daily Planet« nur recht sein konnte: er galt immer noch als die beste Zeitung auf dem ganzen nordamerikanischen Kontinent.
Der Wettstreit war für Außenstehende jedoch nicht ersichtlich. Die Konkurrenz zwischen den beiden Frauen war nur für die Betroffenen spürbar. Selbst Max oder Michael waren sich der Rivalitäten nicht bewusst. Wenn sie doch etwas davon ahnten, dann taten sie so, als hätten sie nichts bemerkt. Zwischen die Fronten zweier mental starker Frauen zu kommen, konnte schließlich jeden Mann aufreiben - oder ihn in den Wahnsinn treiben...
Ein Exemplar des »Daily Planet« hielt Sanna in den Händen, als sie mit dem Fahrstuhl in die oberen Etagen fuhr, in denen die Redaktionsräume lagen. Elaine und Michael hatten es wieder einmal geschafft, gleich mit zwei ihrer Storys auf die erste Seite zu kommen. Der eine Artikel war ein Bericht über einen Kometen, der in der Atmosphäre der Erde verglüht war und der andere ein Artikel über die starke Zunahme der Kriminalität in großen Städten. Beide spannend und interessant geschrieben, das musste Sanna zugeben. Außerdem hatten Elaine beim zweiten Bericht ein selten gewordenes Interview mit Superman beisteuern können , was den Artikel zusätzlich aufwertete. Nachdenklich faltete Sanna die Zeitung nach dem Lesen zusammen. Sie konnte ihrem Vater nicht verbieten, Interviews zu geben. Aber er hätte ihr wenigstens Bescheid geben können, wenn er ihrer Konkurrentin Schützenhilfe leistete. Dann wäre sie auf diesen Tiefschlag wenigstens vorbereitet gewesen. Mit dem Vorsatz, Clark Kent deswegen zur Rede zu stellen, trat Sanna aus dem Fahrstuhl hinaus und ging an Jimmy Olsens Büro vorbei. Sie traf ihren Partner Max in ihrer beider Abteil an: über die Zeitung gebeugt und völlig vertieft in den Artikel über die Kriminalität.
Ihre langen, braunen Haare aus dem Gesicht streifend, ließ sich Sanna auf ihren Stuhl fallen. "Ich weiß nicht, wie Elaine das wieder geschafft hat!" sagte sie missmutig.
Max drehte sich grinsend zu ihr. "Hallo Sanna", begrüßte er sie erfreut. "Wie war Smallville?"
Ohne auf seine Frage einzugehen, zeigte sie auf den Artikel. "Sie hat ein Interview mit Superman bekommen. Elaine hat die Gelegenheit, ihn zu treffen, schamlos ausgenutzt und ihm ein Interview aufgedrängt!"
Max ließ einen vernehmlichen Seufzer hören. "Ein guter Reporter nutzt die sich ihm bietenden Möglichkeiten nun mal aus, Sanna. Ich mache es, Du machst es und Deine Eltern haben es ebenfalls gemacht. Warum sollte Elaine es nicht tun?"
"Ich bin mit Superman bestens befreundet. Aber ich habe nie die Unverschämtheit besessen, ihn mit Fragen zu quälen. Alle Welt weiß, dass er keine Interviews mehr gibt und in Ruhe gelassen werden will."
"Es wäre aber auch nicht fair, wenn ausgerechnet Du das Interview bekommen würdest. Jedem hier ist bekannt, wie nah Superman Dir steht."
"Anscheinend nicht nah genug. Es ist ihm wohl egal, wem er das erste Interview seit einem Jahr gibt."
Max lachte. Er kannte Superman inzwischen gut genug, um zu wissen, dass Sanna Kent ihm alles andere als egal war. Aber das behielt er wohlweislich für sich. Sanna konnte da sehr empfindlich reagieren. So sagte er, gespielt gleichgültig: "Superman ist auch nur ein Mann. Er wird gegenüber Elaines Reizen nicht unempfindlich gewesen sein!"
Gleich darauf bereute er jedoch seine Worte. Sanna warf ihm einen so giftigen Blick zu, dass er unwillkürlich die Schultern hochzog. "Superman sollte sich mehr für Frauen in seiner Altersklasse interessieren", antwortete Sanna bissig. "Elaine ist mindestens eine Generation zu jung."
"Ich behalte mir vor, nichts dazu zu sagen", entgegnete Max daraufhin trocken. "Nicht bevor Du Deinen Zorn abgelassen hast." Er schlug die Zeitung zusammen und stand auf. "Jimmy meinte heute morgen, dass wir zu ihm ins Büro kommen sollten. Anscheinend hat er etwas für uns!"
Sanna seufzte und stand ebenfalls auf. Sie war sich bewusst, dass sie ihre schlechte Laune wieder an Max abgelassen hatte. Es war ungerecht von ihr und es tat ihr leid. Aber wenn es um Elaine ging, konnte sie nicht anders als in die Luft zu gehen - sie musste in diesem Punkt unbedingt an sich arbeiten. "Entschuldige Max", sagte sie deshalb. "Es war nicht so gemeint."
Er zwinkerte ihr zu. "Ich weiß. Komm - Jimmy wartet nicht gerne."
Sanna seufzte ein weiteres Mal. "Ich suche mir meine Storys eigentlich lieber selbst aus. Dann weiß ich von vornherein, woran ich bin."
"Jimmy ist nun mal der Chefredakteur", versuchte Max sie zu beschwichtigen. "Und er vergibt die Storys. Ob es uns nun passt, oder nicht!"
Mit einem kurzen Achselzucken ging Sanna ihrem Partner hinterher. Max hatte natürlich Recht. Trotzdem nahm sie ihre Geschichten lieber selbst in die Hand. Sie war da ganz wie ihre Mutter. Lois Lane, die immer noch zu den besten Reportern zählte, die je im »Daily Planet« gearbeitet hatten, war es ähnlich gegangen. Mit ihrem Partner und späteren Ehemann Clark Kent hatte sie die besten Recherchen betrieben - meistens gerade dann, wenn sie ihrem eigenen Instinkt für gute Storys gefolgt war. Jimmy wusste das und trotzdem gab er ihnen immer wieder Storys, die ihr nicht lagen. Sannas einziger Trost dabei war, dass es Elaine nicht viel anders ging. Auch sie spürte regelmäßig Jimmys Kandare. Es war, als wollte Jimmy beiden Reporterinnen ab und an vor die Augen halten, wer in dieser Abteilung der Boss war.
Jimmy Olsen, der Chefredakteur des »Planet« saß hinter seinem breiten Schreibtisch und telefonierte. Wie Dave Potters hatte er ebenfalls einst als Bürobote in den Räumen dieses Gebäudes begonnen. Sein Weg bis an die Spitze war nicht einfach gewesen. Doch er hatte es geschafft und obwohl es Sanna nicht gefiel, ihre Storys von ihm zugeteilt zu bekommen, hielt sie ihn für einen der Besten.
Als Jimmy die beiden Reportern eintreten sah, beendete er sein Telefonat und stand auf. "Hallo Sanna", sagte er fröhlich. "Wie geht es Deinen Eltern?"
"Danke, es geht ihnen gut!" antwortete Sanna. "Auch wenn meine Mutter ihren sechzigsten Geburtstag mit Schrecken nahen sieht."
"Lois wird sechzig?" Max hob amüsiert eine Augenbraue. "Wann?"
"In ein paar Jahren. Eigentlich hat sie noch genug Zeit, um sich an den Gedanken zu gewöhnen."
"Lois hatte noch nie Zeit für irgend etwas", warf Jimmy ein. "Sie schien mir ständig auf dem Sprung zu sein." Er grinste. "Was mich auf mein eigentliches Anliegen bringt." Er schob Max und Sanna einige Fotos zu. "Kennt Ihr die Leute?"
Max nahm die Fotos an sich und besah sie sich. Leicht irritiert gab er sie anschließend an Sanna weiter. “Was soll das, Jimmy?“ fragte er erstaunt. “Was ist mit denen?“
Neugierig betrachtete Sanna die Bilder. Sie zeigten fünf bekannte Schauspieler. Drei Männer und zwei Frauen. Alle waren in den letzten Jahren sehr erfolgreich gewesen. "Wer kennt sie nicht?" fragte Sanna deshalb, während sie die Fotos zurück auf den Schreibtisch legte.
"Die fünf Leute haben außer ihrem Beruf noch etwas gemeinsam", erklärte Jimmy. "Sie sind seit drei Tagen verschwunden."
"Verschwunden?" echote Max. "Ich habe nichts davon gehört."
"Es ist bis jetzt geheim gehalten worden. Aber die Polizei sucht fieberhaft nach ihnen. Bis jetzt hat sie allerdings noch keine Spur gefunden."
"Vielleicht sind sie nur auf der Flucht vor ihren Fans?" versuchte Sanna zu erklären.
"Nicht jetzt. Wir stehen kurz vor der Oskarverleihung."
"Was sagt die Polizei?" fragte Max. "Gibt sie etwas preis?"
"Natürlich nicht. Ich habe es auch nur von einem Korrespondenten in L.A. erfahren. Anscheinend läuft die Gerüchteküche erst an."
"Was verlangen Sie jetzt von uns?" Sanna nahm die Fotos wieder in die Hand. "Sollen wir nach L.A. und dort nachhaken?"
"Du hast es erfasst." Jimmy blickte sie ernst an. "Ich traue Euch beiden zu, das Rätsel zu lösen. Sogar noch vor der Polizei."
"Sie trauen der Polizei immer noch nicht ganz, nicht wahr Chef?" Max grinste schief. Er spielte damit auf die Story an, in der Sanna und er zu ihrer partnerschaftlichen Zusammenarbeit gefunden hatten. Ein korrupter Teil der Polizei von Metropolis hatte damals an einem weltweiten Mädchenhändlerring partizipiert. Mit von der Partie war auch ein vertrauter Freund von ihnen gewesen.
"Ich denke, ich traue nur noch meinen eigenen Erfahrungen." Der Chefredakteur warf ihm einen strengen Blick zu. "Und meine Erfahrung sagt mir, dass ihr Zwei eine gute Story daraus machen könnt!"
"Natürlich Chef!" Max fasste Sanna am Arm. "Wir fliegen morgen schon nach L.A! Dort nehmen wir Kontakt mit dem Korrespondenten auf. Sonst noch etwas?"
"Ja." Er grinste. "Geht ruhig mal aus. Ich habe gehört, in L.A. soll es ganz romantische Plätzchen geben!"
"Versprochen, Jimmy." Bevor Sanna eine Bemerkung machen konnte, schob Max sie aus dem Büro. Er kannte Sannas Abneigung gegen romantische Stunden mit ihm. Zu seinem tiefsten Bedauern sah sie auch nach so langer Zeit nicht mehr als ein guter Freund in ihrem Partner. Dabei war er sich sicher, dass sie von Anfang an gewusste hatte, wie viel er für sie empfand.
Vor der Tür schnaubte Sanna verstimmt auf. Sie hasste es, wenn jemand auf so plumpe Art und Weise versuchte, sie mit Max zu verkuppeln. "Ich verstehe nicht, warum Jimmy sich mit seinen Andeutungen nicht zurückhalten kann. Er weiß doch, dass wir keine Beziehung haben."
"Jimmy bedauert das wahrscheinlich genauso wie ich", lachte Max. "Er sieht in uns ständig Deine Eltern."
Sie schwieg. Max konnte es nicht wissen, aber die Sache war komplizierter als er es dachte. Sie war mehr als die Tochter von Lois Lane und Clark Kent. Sie war auch die Tochter von Superman. Und was das bedeutete, konnte sich kein Mann vorstellen. Wenn Max von ihren Kräften wüsste, würde er sich wahrscheinlich sofort zurückziehen. Bis jetzt hatte sie noch von keinem Mann gehört, der beim Anblick einer Frau aus Stahl schwache Knie bekommen hatte. Es sei denn aus Angst.
"Du sagst ja gar nichts!" meinte Max trocken. "Ich habe eigentlich einen mittleren Wutanfall erwartet."
"Da siehst Du es: Es gibt noch so manche Seiten an mir, die Du nicht kennst."
"Ich weiß, Sanna. Deswegen bist Du ja so interessant für mich." Mit diesen Worten ging er zurück an seinen Arbeitsplatz und holte seinen Mantel. Es war Anfang März und immer noch kalt in Metropolis.
Sanna blickte ihn fragend an. "Wohin gehst du?"
"Eines von diesen neuen Videospielen kaufen. Es ist heute herausgekommen und Du hast bestimmt davon gehört: Das aus der Werbung!"
Sie nickte unmerklich. Selbst in Smallville war das Spiel bekannt. Ihre Mutter hatte in der "Smallville Press" einen kurzen Artikel darüber geschrieben, denn diese Videospiele waren neuartig und völlig anders als die bisherigen. Soweit Sanna wusste, schloss man sich mit Hilfe kleiner Elektroden an der Stirn an ein kleines Gerät an. Das Gerät sendete dann Impulse direkt in das Nervensystem. Dem Spieler wurde so eine Scheinwelt vorgegaukelt, in der er handeln und die er lenkend beeinflussen konnte. Der Reiz eines Abenteuerspiels bekam dadurch eine völlig andere Dimension. Der Spieler hatte das Gefühl, Teil dieser irrealen Welt zu sein. Er saß nicht mehr vor dem Bildschirm und ließ die Spielfigur handeln - er war die Figur selbst und agierte als solche. - "Willst Du als Indiana Jones auftreten?"
"Nein, ich wollte es nur mal kennen lernen. Damit ich fit darin bin, wenn das Spiel mit Superman in der Hauptrolle rauskommt."
"Ich wusste gar nicht, dass es das schon gibt."
"Tut es auch nicht. Ist aber, glaube ich, schon geplant."
Lächelnd wandte sich Sanna ab. Vielleicht sollte sie ihrer Mutter dieses Spiel schenken, damit sie auch einmal erleben konnte, was es heißt, Superkräfte zu haben.
Wenig später war Sanna so in ihre Arbeit vertieft, dass sie kaum bemerkte, wie sich jemand neben ihrem Platz niederließ. In der Annahme, es sei Max, sah sie nicht auf, als sie sagte: "Hast Du Dein Spiel bekommen?"
"Aus dem Spielalter bin ich schon lange raus", antwortete eine weibliche Stimme süffisant. "Aber mit Max würde ich mich wohl noch einmal auf ein Spiel einlassen."
Unwillig sah Sanna auf. Neben ihr saß Elaine. Die langen Beine übereinandergeschlagen, lächelte sie sie unter halb geschlossenen Augenlidern an.
"Was willst Du?" fragte Sanna. "Max ist nicht hier."
"Das sehe ich. Aber ich bin nicht wegen Max hier. Ich soll Dir etwas von Superman ausrichten!"
Erstaunt hob Sanna eine Augenbraue. "Was kannst Du mir schon von ihm erzählen?"
Elaine betrachtete interessiert ihre Fingernägel. "Ich habe ihn vor kurzem getroffen, weißt Du. Er hat mir ein Interview gegeben." Sie seufzte. "Was für ein Mann - und meines Wissens nach immer noch Single."
"Er wird kaum auf jemanden wie Dich warten."
"Warum nicht? Meinst Du, er steht auf Frauen wie Dich?"
Supermans Tochter lehnte sich zurück. "Ich weiß nur, dass er seine Prinzipien hat. Eins davon ist, dass er einen großen Bogen um alle weiblichen Fans macht."
"Superman ist auch nur ein Mann. Und alle Männer werfen ihre Prinzipien manchmal über Bord."
Schulterzuckend wandte Sanna sich ab. "Wenn Du meinst ..."
"Bist Du nicht neugierig, was er Dir ausrichten lässt?"
"Wenn es wirklich wichtig ist, wird er es mir persönlich sagen!"
Elaine lächelte wieder, wenn diesem Lächeln auch etwas saures anhaftete. "Er sagte, Du sollst Dir eines der neuen Videospiele kaufen und es ausprobieren." Als sie Sannas ungläubiges Gesicht sah, fügte sie hinzu: "Wahrscheinlich meinte er, Du könntest etwas Vergnügen gebrauchen. Sonst versauerst Du noch und endest als alte Jungfer." Sie stand auf. "Ach übrigens", meinte sie leichthin. "Ich fliege morgen mit nach L.A. Ich habe Exklusivinterviews mit einigen Preisträgern der Oskarverleihung. Deshalb habe ich auch eine V.I.P.- Karte für die Verleihung. Ich stehe somit in der ersten Reihe!"
Immer noch erstaunt blickte Sanna Elaine nach, wie sie zwischen den brusthohen Abteilungen verschwand. Sie fragte sich, warum ihr Vater ihr auftrug, das Spiel zu kaufen und was er damit bezwecken wollte. Während sie über die Worte Elaines nachdachte, kam Max zurück und ließ sich in seinen Stuhl fallen. Genüsslich sog er die Luft ein. "Elaine war hier, oder?"
"Du hast sie nur um wenige Sekunden verpasst!" sagte Sanna giftig.
"Das merke ich. Elaines Parfüm hängt hier immer noch in der Luft." Er schloss die Augen und atmete noch einmal tief ein.
Sanna spürte, wie Neid auf Elaine in ihr aufstieg: "Warum rennst Du ihr nicht hinterher, wenn Dir so viel an ihr liegt?"
"Und damit Deine Ächtung riskieren?" Er lachte. "Niemals!"
"Ich erhebe keinen Anspruch auf Dich," sagte Sanna mit hochgezogenen Augenbrauen. "Du kannst Dich treffen, mit wem Du willst!"
Max Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen. "Ich weiß!"
Etwas betroffen blickte Sanna auf ihrem Partner. Natürlich ahnte sie von Max Gefühlen für sie. Doch sie hätte nicht gedacht, dass es ihm wirklich ernst damit war. Sie war eher der Meinung, das seine Gefühle für sie mehr sportlicher Natur waren. Aber als sie darüber nachdachte, wurde ihr bewusst, dass ihr Partner schon länger keine Date mehr mit dem anderen Geschlecht gehabt hatte - sehr ungewöhnlich für einen Mann, der eine offensichtlich große Schwäche für Frauen hatte – und diese für ihn. Um das Thema zu wechseln, und um es vor allem nicht zu vertiefen und damit für sie unbekannte Gewässer zu treiben, fragte sie: "Hast Du das Spiel gefunden?"
"Mitsamt Zubehör. Aber ich möchte es beim ersten Mal nicht alleine ausprobieren. Würdest Du mich begleiten?"
"Es ist Dir unheimlich, nicht wahr?"
Er nickte. Der Gedanke, ganz in eine andere Welt zu tauchen, machte ihm etwas Angst. Sollte etwas schief gehen - er wusste zwar selbst nicht, was - wollte er doch lieber jemanden dabei haben, der ihn notfalls wieder herausholen konnte. Er wollte nicht den Rest seines Lebens als Held im Dschungel umherirren und Banditen jagen. Max blickte auf seine Armbanduhr. Es war zwei Uhr nachmittags. Im Prinzip konnten sie jetzt schon Schluss machen - niemand würde bis morgen eine Story von ihnen verlangen.
Sanna dachte Ähnliches. "Warum gehen wir nicht zu Dir und schließen Dich an?"
Wenig später gingen die beiden Reporter zu Max Wohnung. Er hatte eines der wenigen Appartements in einem Wolkenkratzer, die ansonsten als Büros genutzt wurden. Der Vorteil dafür lag auf der Hand: In der Zeit, in der Max beim »Planet« war, herrschte hier Hochbetrieb. Erst, wenn die meisten Büros leer waren, kehrte er zurück. Nachts hatte er dann Ruhe. Keine schreienden Kinder, kein Ehestreit, keine Betrunkenen auf den Gängen. Max fand es ideal.
Auf dem Weg zu Max Appartement erzählte Sanna ihm von Elaines Besuch. Als er von Supermans Auftrag hörte, wurde er nachdenklich. "Warum sollte Dir Superman das Spiel verordnen?"
"Elaine meinte, er will mir damit nur etwas Vergnügen verschaffen"
"Das kann ich mir nicht so recht vorstellen. Superman hat sich weitgehend aus Deinem Leben zurückgezogen. Er hat keinen Grund, Dich mit einer solchen Belanglosigkeit zu behelligen."
"Er wird sich etwas bestimmtes dabei gedacht haben. Vielleicht wissen wir mehr nach Deinem Probelauf."
Beide schwiegen. Sanna dachte an ihren Vater. Es war so, wie Max es formuliert hatte: Superman hatte sich aus ihrem Leben zurückgezogen. Wenn ihr Vater sie besuchte, dann nur als Clark Kent. Er bemühte sich wirklich, sie so zu sehen, wie es auch ein menschlicher Vater tun würde: Freundlich und mit einer gewissen Distanz. Sie war nicht mehr das kleine Mädchen von früher. Sanna war eine junge Frau, die ihr eigenes Leben lebte und die ihre angeborenen Kräfte selten einsetzte. Das zu erkennen, war nicht leicht für ihn gewesen. Clark Kent wünschte sich zwar, dass seine Tochter sein Lebenswerk teilte. In seinen Augen sollte sie, wie er, mit ihren besonderen Fähigkeiten für das Gute in der Welt eintreten. Doch er hatte die Rechnung ohne seine Tochter gemacht. Sanna hegte in keiner Weise den Wunsch, in einem Kostüm umherzufliegen und Verbrecher jagen oder Katastrophen zu verhinden. Sie hatte es schon schwierig genug gefunden, ihre weibliche Seite zu finden und zu behalten. Jedem zu zeigen, dass sie eine Frau aus Stahl war, würde bedeuten, das bereits Erarbeitete wieder aufzugeben. So setzte Sanna ihre Kräfte nur für sich und in Notfällen ein. Wenn ihr Vater ihr nun dieses Spiel empfahl, dann musste ein stichfester Grund dahinter stecken.
Sie waren inzwischen an Max Appartement angekommen. Nachdenklich trat Sanna ein. "Wie lange wirst Du spielen wollen?" fragte sie.
Max legte das Gerät von der Größe eines Notebook mit dem Schriftzug: "Reality Games Production" auf einen kleinen Beistelltisch. "Ich dachte an eine halbe Stunde."
"Gut. Du spielst, ich koche derweil. Hast Du was im Kühlschrank für uns?" Wie selbstverständlich ging sie in Max Küche und sah sich um. Sie war nun schon so oft hier gewesen, dass sie sich gut auskannte. Und sie hatte Hunger. Etwas Essbares käme ihr gerade recht. Mit einem Apfel in der Hand ging sie zurück in Max Wohnzimmer. Er saß in einem Sessel und legte sich gerade die Elektroden an den Schläfen an. Sanna sah ihm zu, wie er die CD für das Spiel in den Kasten schob und die Laufzeit einprogrammierte.
Einige Sekunden später sank Max in den Sessel zurück. Völlig entspannt schloss er die Augen. Sein Atem wurde gleichmäßig und sein Kopf sank auf die Brust. Es sah aus, als würde er schlafen. Doch dieser Eindruck währte nur kurz. Plötzlich begann Max unter den Augenlider die Augen zu rollen und mit Armen und Beinen zu zucken. Neugierig nahm Sanna die Hülle der Spieldiskette vom Tisch und besah sie sich. Max hatte das Spiel zum neuesten James Bond Film gekauft. - Wahrscheinlich sprang er gerade von irgendwelchen Hochhäusern oder wich feindlichen Kugeln aus.
Sanna legte die Hülle zurück und sah Max eine Weile zu, wie er zuckend und augenrollend in seinem italienischen Designersessel saß. Eines war sicher: wenn sie je so ein Spiel spielen sollte, dann alleine und ohne Publikum. Man sah nämlich ziemlich blöde dabei aus.
Sie kehrte Max den Rücken zu und ging in die Küche. Während sie ein kleines Essen vorbereitete, ging sie immer wieder zurück zu ihrem Partner um ihn zu kontrollieren. Sie traf ihn jedes mal zuckend an, was ihr aber harmlos schien. Sanna musste zugeben, dass den Spieleherstellern mit diesem Gerät ein großer Coup gelungen war. Wenn es so unbedenklich blieb, wie es bei Max aussah, eröffnete diese Spielweise dem Spieler eine völlig andere Welt.
Genau eine halbe Stunde, nachdem er das Spiel angestellt hatte, wachte Max auf. Etwas verwirrt blickte er auf Sanna, die vor ihm stand und ihn leicht amüsiert anblickte. Es dauerte einige Sekunden, bis Max sich akklimatisiert hatte, doch dann stieß er ein begeistertes "Wow!" aus.
"Na?" fragte Sanna. "War`s schön?"
"Es war unglaublich! Ich war James Bond."
"Gratuliere!"
"Und ich bin gerade im letzten Moment noch ausgestiegen - ich war gerade im Begriff, erschossen zu werden."
Sanna hielt ihm eine Platte mit Sandwichs unter die Nase. "Erzähl mir mehr davon!"
Es war kurz vor acht Uhr abends. Sanna war inzwischen zu Hause und gerade dabei, ihren Koffer für den nächsten Tag zu packen. Gleichzeitig verfolgte sie die Abendnachrichten, als sie ein seltsames Gefühl beschlich - als wäre noch jemand mit ihr im Raum. Sie legte die Bluse, die sie in der Hand hielt, ab und lauschte. Als sie nichts ungewöhnliches vernehmen konnte, ging sie, unsicher geworden, in ihr Wohnzimmer. Es war leer. Mit einem Kopfschütteln kehrte sie zurück in ihr Schlafzimmer. Doch das Gefühl blieb. Sanna ertappte sich während des Packens mehrmals dabei, wie sie in die leere Wohnung hineinhorchte. Erst als die das Telefon klingeln hörte, schwand das Gefühl. Mit einem erleichterten Seufzen ließ sie das Kleid, das sie in der Hand hatte, fallen und nahm den Hörer auf. Es war ihre Mutter.
"Sanna?" Lois Lanes Stimme klang besorgt. "Ist Clark bei Dir?"
"Nein - sollte er das?"
"Ich habe es nur gehofft." Im Hörer erklang so etwas wie ein hohles Schlucken.
Überrascht setzte sich Sanna auf einen Stuhl. "Mom, was ist passiert?"
"Clark wollte gestern Abend zurück sein. Doch er ist bis jetzt noch nicht nach Hause gekommen."
"Superman?"
"Ja - er hatte einen Aufruf aus L.A. bekommen. Ein großes Erdbeben steht bevor."
"Ein Erdbeben? - davon weiß ich nichts."
"Man wollte die Bevölkerung nicht zu früh benachrichtigen. Du weißt schon. Wegen der zu erwarteten Panik."
"Mom, Dein Mann ist erwachsen und kann wirklich auf sich selbst aufpassen. Er wird schon zurückkommen!"
"Nein, ich weiß genau, ihm ist etwas zugestoßen. Ich spüre das."
"Bist Du Dir sicher?"
"Absolut!"
Ihre Tochter überlegte kurz. Keiner auf der Welt stand in so enger Verbindung mit Superman wie ihre Mutter. Es war, als verbände beide ein besonderes Bewusstsein für den anderen. Wenn Lois meinte, Clark stecke in Schwierigkeiten, dann musste man davon ausgehen, dass ihr Gefühl stimmte. "Was erwartest Du von mir, Mom?" fragte Sanna deshalb. "Soll ich ihn suchen gehen?"
"Noch nicht. Vielleicht reagiere ich auch zu panisch. Aber halte Verbindung mit mir!"
"Ich fliege morgen wegen einer Reportage nach L.A. Dort werde ich auf jeden Fall meine Augen offen halten."
"Danke, Sanna. Ich wusste, ich kann auf Dich zählen."
"Natürlich. Ich bin Deine Tochter und ich liebe Dich!"
Nachdenklich packte Sanna nach dem Gespräch ihren Koffer fertig. Heute hatte sie zwei rätselhafte Neuigkeiten von ihrem Vater bekommen: Erst die Nachricht von Elaine und dann Supermans Verschwinden. Sie fragte sich, ob da nicht ein Zusammenhang bestand.
Nach kurzer Überlegung griff Sanna erneut zum Telefon und wählte Max Nummer. Die Nachricht ihrer Mutter hatte sie mehr beunruhigt, als sie es vor ihrer Mutter zugegeben hatte. Sie brauchte jetzt jemanden, dem sie ihr Herz ausschütten konnte. Und niemand war dafür besser geeignet als Max. Außerdem standen sie in so enger Verbindung, dass sie ihm die neue Nachricht anvertrauen konnte. Schließlich wusste er, dass ihre Mutter immer noch Kontakt zu Superman hatte und über seine Verpflichtungen als solches Bescheid wusste.
In kurzen Worten berichtete sie ihm wenige Momente später von Lois Besorgnis. Max hörte ihr aufmerksam zu. Als sie geendet hatte, sagte er ihr jedoch in ähnliches Worten dasselbe, was sie auch zu ihrer Mutter gesagt hatte: Dass Superman ein selbständiger Mann sei und er deswegen bald zurückkehren werde. Er schaffte es, Sanna so zu beruhigen, dass sie sich anschließend selbst schalt, sich tatsächlich Sorgen um Superman gemacht zu haben. Am Ende meinte Max: "Ein Mann wie Superman geht nicht einfach verloren, Sanna. Ich weiß gar nicht, warum ihr Frauen euch immer solche Gedanken um ihn macht. Du wirst sehen, in ein paar Tagen taucht er wieder auf und es stellt sich heraus, dass er lediglich ständig beschäftigt war, allen möglichen Leuten zu Hilfe zu eilen!"
"Du hast ja Recht!" seufzte Sanna. "Ich habe mich von meiner Mutter einfach nur anstecken lassen."
"Deine Mutter täte gut daran, Deinem Vater zuzuhören. Ich bin sicher, er würde das Gleiche sagen."
"Dazu sage ich jetzt lieber nichts. Wir sehen uns morgen, Max. Bye!" Erleichtert durch Max beschwichtigende Worte und gleichzeitig amüsiert legte sie den Hörer auf. Max hatte mit seiner Aussage mal wieder den Nagel ins Schwarze getroffen. Aber es war nun mal so, dass Lois Lane nicht die Frau war, die die Worte eines Mannes für die ultimative Wahrheit hielt. Selbst dann nicht, wenn sie aus dem Munde Supermans kamen.
Sie trafen sich früh am Morgen am Flughafen von Metropolis. Als Sanna ankam, stand Max schon mit Elaine und ihrem Partner Michael zusammen und unterhielten sich. Max schien dabei gerade etwas amüsantes zu erzählen, denn Elaine warf ihre schwarzen Locken zurück und lachte. Mit einem gezwungenem Lächeln stellte sich Sanna dazu. Ein Grund, weshalb sie Elaine nicht leiden konnte, war, dass ihre Kollegin jedem Mann das Gefühl geben konnte, witzig und einzigartig zu sein. Sanna wusste, dass sie auf Elaine eifersüchtig war. Auf diese Gabe, völlig Frau und doch eine gute Reporterin zu sein. Ihre weiblichen Attribute setzte Elaine gezielt und völlig ungeniert ein wenn es ihr einen Vorteil bringen konnte. Sanna dagegen hatte sich nie in einen kurzen Rock gezwängt, um bei dem männlichen Geschlecht etwas zu erreichen. Sie setzte mehr auf Integrität und Überzeugungskraft. Aber sie konnte nicht verleugnen, dass Elaine mit ihrer Methode manchmal dort weiterkam, wo sie scheiterte.
"Guten Morgen, Sanna", begrüßte Elaine sie. "Max erzählte uns gerade, wie ihr zwei euch in die Mafiakreise habt einschleusen lassen. Wirklich, sehr lustig."
Sanna lachte kurz. Die Geschichte, auf die Elaine anspielte, war nun schon fast ein Jahr her. Bei einer Undercover Operation in der Mafia Szene hatte sich eine Mafioso-Braut unsterblich in Max verliebt, wobei diese Leidenschaft selbst dann noch andauerte, als sie im Gefängnis gelandet war.
"Aus der Story haben wir leider nicht viel rausschlagen können", gab Sanna zu. "Aber ich versuche seitdem Max dazu zu überreden, die Liebesbriefe, die ihm die Lady aus dem Gefängnis geschrieben hatte, anonym in den »Planet« zu setzten. Sie sind sehr erbaulich!"
"Wie käme ich dazu?" Entrüstet blickte Max in die kleine Runde. "Ich veröffentliche niemals die Liebesbriefe, die ich bekommen habe. Ein Gentleman tut so etwas nicht."
"Zier Dich nicht so", Michael stieß ihm den Ellenbogen in die Rippen. "Die Zeiten der Gentlemans sind vorbei. Aber ich würde sie auf einer Auktion versteigern lassen. Irgend ein kurioser Sammler wird sie Dir bestimmt abkaufen!"
Sie lachten. Dann unterhielten sie sich, bis ihr Flugzeug aufgerufen wurde. Als Sanna schließlich neben Max im Flugzeug saß, beugte sich dieser zu ihr hinüber. "Ich wollte Dich vorhin nicht fragen, aber gibt es etwas Neues von Superman?"
Kopfschüttelnd verneinte Sanna. Sie hatte am Morgen noch ihre Mutter angerufen, die die Frage ebenfalls mit einem Nein beantwortet hatte. "Er ist noch nicht wieder aufgetaucht. Bis jetzt scheint auch noch keiner sein Verschwinden bemerkt zu haben, aber in einigen Tagen wird man sich bestimmt fragen, wo er ist."
Max nickte leicht. Im Allgemeinen verging kein Tag, an dem man nicht von Superman hörte. Er war täglich irgendwo. Seine Gegenwart war so alltäglich geworden, dass die Menschen nicht mehr über ihn nachdachten. Superman existierte in jedem Bewusstsein. Sein Anblick war vertraut und man erwartete ihn bereits, wenn es irgendwo Probleme gab. War es nun ein Vulkanausbruch oder ein Zugunglück, Superman war am Ort und half. "Du machst Dir auch Sorgen, nicht wahr?" fragte er Sanna leise.
"Ich gebe zu, es ist ungewöhnlich, nichts von ihm zu hören." Sie schwieg. Normalerweise sagte ihr Vater entweder ihr oder Lois Bescheid, wenn er für einige Tage in den Untergrund ging. Das kam manchmal vor, wenn er einer Sache nachging, die er als Superman nicht so einfach lösen konnte. Doch sobald es irgendwo Probleme gab, konnte man mit ihm rechnen. Mit halb geschlossenen Augen sah sie aus dem kleinen Bullauge des Flugzeugs. Bis jetzt hatte sie weder Max noch ihrer Mutter etwas von dem Gefühl erzählt, dass sie gestern Abend beim Packen beschlichen hatte. Es war aber auch zu seltsam gewesen und sie fragte sich, ob es überhaupt wirklich gewesen war. Sanna schloss ihre Augen ganz. Vielleicht machte sie sich, wie Max es formuliert hatte, zuviel Gedanken. Es gab keine Geister, die sie in ihrer Wohnung heimsuchen konnten und ihr Vater war der zuverlässigste Mensch, den sie kannte. Er würde sich bald wieder melden.
Im Gegensatz zu Metropolis wirkte Los Angeles auf den ersten Blick friedlich und übersichtlich. Der Eindruck wurde durch die Touristenströmen und die warm scheinende Sonne noch vertieft. Zwar hörte man auch hier allenthalben eine Polizeisirene, doch irgendwie kam sie Sanna nicht so aufdringlich wie in Metropolis vor. Max schien es ähnlich zu gehen. Nachdem sie sich von Elaine und Michael getrennt hatten, waren sie zu ihrem Hotel gefahren und anschließend zu einem kurzen Erkundungsgang aufgebrochen. Nun spazierten sie zwischen Palmen einen Boulevardweg entlang und sahen sich um.
"Ich komme mir fast wie im Urlaub vor", lachte Max zufrieden. "Ich glaube, ich werde mich von Jimmy öfters nach Kalifornien schicken lassen."
"Vergiss nicht, wir müssen Jimmys Korrespondenten Joe Metzler aufsuchen. Er wird Dir Dein Urlaubsgefühl bestimmt austreiben."
"Sei kein Spielverderber. Einen Tag Urlaub können wir uns doch leisten. Es reicht, wenn wir uns heute Abend mit ihm treffen."
Sie zögerte. Aber dann gab sie Max recht. Außerdem hatte sie ihrer Mutter versprochen, sich nach Clark umzusehen. So konnte sie auch gleich die Stadt etwas kennen lernen. "Was würdest Du heute machen wollen?"
"Was wohl - ich leihe mir eines von diesen neuen Sportgeräten und düse damit durch die Stadt!" Max spielte damit auf die neueste Modeerscheinung unter den Jugendlichen an: ein rasantes Gefährt, dass nur noch im weitesten Sinn etwas mit einem Skateboard zu tun hatte. Es wurde mit Hilfe eines kleines Solarantriebes in Gang gesetzt und konnte die Geschwindigkeit eines sportlichen Fahrradfahrers erreichen. Nicht ungefährlich und deswegen ungemein beliebt.
Zweifelnd blickte Sanna auf ihrem Partner. "Bist Du dafür nicht ein wenig zu alt?"
"Was heißt hier zu alt? Solange ich noch nicht dreißig bin, will ich etwas erleben. Danach darfst Du mich gern als zu alt beschimpfen."
Sanna lachte. "Dann lebe Dich noch mal aus. Bevor Dich die Arthritis und der Alterstarrsinn packt."
"Was machst Du?"
"Ich gehe Verwandte besuchen."
Erstaunt blickte Max sie an. "Ich wusste gar nicht, dass Du Verwandte hier hast."
"Habe ich auch nicht - es ist nur eine Ausrede." Mit diesen ihm rätselhaft erscheinenden Worten verabschiedete sich Sanna von Max und schlug die Richtung ihres Hotels ein. Ihre Mutter hatte davon gesprochen, dass man Superman wegen dem befürchteten Erdbeben kontaktiert hatte. Sie würde deshalb zur zuständigen Stelle gehen und dort nachfragen. Irgend jemand musste dort mehr über ihren Vater wissen.
Sanna rief, nachdem sie sich im Hotel kurz umgezogen hatte, nach einem Taxi und ließ sich ins Seismologische Institut fahren. Es war ein moderner Bau, der ganz nach den neuesten Erdbebenkriterien gebaut worden war. Wie sicher er wirklich war, würde dann das nächste Beben zeigen.
Nach einer halben Stunde verließ Sanna das Gebäude jedoch wieder. Keiner der Beschäftigten wusste etwas von einem Aufruf an Superman. Was kein Wunder war, denn es wurde kein größeres Erdbeben erwartet. Die nächsten größeren Erschütterungen würde es frühestens in einem halben Jahr geben. Mit dem unbestimmten Gefühl, dass ihr Vater frech getäuscht worden war, schlenderte Sanna nachdenklich durch die Strassen. Ihr Blick blieb an einem Schaufenster hängen, dass Computerspiele vertrieb. Die meisten Spiele hängten sich dabei an die neuesten Actionfilme an. Merchandising war so selbstverständlich geworden, und die Erlöse daraus meist größer als die des Films. Erstaunt stellte Sanna dabei fest, dass das neue Spiel mit Superman schon herausgekommen war: eine große Pappfigur mit Superman stand im Schaufenster und lenkte die Blicke der Passanten auf den Laden. Mit wachsendem Zweifel betrachtete Sanna die Pappfigur. Weder ihr Vater noch ihre Mutter hatten ihr erzählt, dass Superman sein Einverständnis für dieses Spiel gegeben hatte. Sanna fiel ein, dass bisher auch keine Werbung dafür geschaltet worden war, wie es bei den anderen Versionen geschehen war. Außerdem hatte Max erst gestern davon gesprochen, dass er sich für die Spielversion mit Superman fit machen wollte. Das hieß, dass selbst ein informierter Mann wie er es nicht so schnell erwartet hatte, Superman virtuell vertreten zu können.
Da entdeckte Sanna ein kleines Schild im Schaufenster. Es gab darüber Auskunft, dass man die neue Art des Computerspielens auch im Laden ausprobieren konnte. Kurzentschlossen betrat Sanna das Geschäft und buchte eine der kleinen Kabinen, die sich im hinteren Teil des Gebäudes befanden.
Einige Minuten später beugte sich eine der Verkäuferinnen über Sanna, während sie ihr die Elektroden an die Stirn klebte. "Welches Spiel möchten Sie den gerne ausprobieren?" fragte sie beflissen.
"Das Spiel mit Superman."
"Und welchen Part wollen sie übernehmen? Superman selbst oder den des Gangsters?"
Sanna überlegte kurz. "Worum dreht es sich denn bei dem Spiel?"
"Um die Erringung der Weltherrschaft, die Superman verhindern muss."
"Wer sonst?" murmelte Sanna leise. Doch die Verkäuferin schien sie nicht gehört zu haben. Erwartungsvoll blickte sie Sanna an. "Ich nehme den Gegenpart - die Erringung der Weltherrschaft."
Die Verkäuferin nickte lächelnd und programmierte die entsprechende Daten. "Wie lange? Eine halbe Stunde oder länger?"
"Eine halbe Stunde. Wenn ich die Weltherrschaft nicht in dieser Zeit erringen kann, will ich sie überhaupt nicht." Sanna legte sich zurück und schloss die Augen. Sie bemerkte noch, wie die Verkäuferin einen Vorhang vorzog und dann legten sich andere Bilder über ihr Empfinden.
Sanna versank völlig in einer neuen Welt. Im Spiel befand sie sich in der Zukunft. Fliegende Autos und schwebende Strassen waren dort genauso selbstverständlich wie Wasserknappheit und Überbevölkerung. Sie als Bösewicht wollte besonders die letzten Wasserreservoirs in ihre Kontrolle bekommen und das Denken der Bevölkerung beeinflussen. Einziges Hindernis auf dem Weg zu diesem Ziel war Superman. Er stellte sich mit allen seinen besonderen Fähigkeiten ihr entgegen und versuchte ihre Pläne zu vereiteln. Das Szenario offenbarte außerdem einige Überraschungen, wie alte Feinde oder Freunde von Superman. Sanna musste versuchen, sie von ihrer eigenen Sache zu überzeugen, um mit ihrer Hilfe die Weltherrschaft erlangen zu können. Lex Luthor war dabei genauso vertreten wie bekannte Comicfiguren oder einige Leute aus der Belegschaft des »Daily Planet«. Besonders amüsant fand Sanna die Gegenwart ihrer Eltern. Clark Kent und Lois Lane, beide bekannt als enge Freunde von Superman, agierten besonders hartnäckig gegen sie.
In diesem Spiel konnte Sanna uneingeschränkt planen und agieren. Doch trotz aller Tricks, die sie sich einfallen ließ, um Superman auszuschalten, gelang es ihr nicht, ihn zu überlisten. Für die Menschheit war Superman einfach zu schnell, zu stark und zu einfallsreich. Und da sie aber virtuell ein normaler Mensch war, konnte sie von ihren eigenen Fähigkeiten kein Gebrauch machen. Gerade diese Eingeschränktheit bedeutete eine ganz neue Erfahrung für sie. Keine angenehme, wie sich Sanna eingestehen musste.
Nach genau einer halben Stunde wurde das Spiel jäh unterbrochen. Gerade als Sanna dabei war, einen Comichelden auf Superman zu hetzen, klingelte eine leise Glocke und das Bild verschwand. Wie Max am Vortag öffnete Sanna verwirrt die Augen und sah sich um. Sie saß immer noch in der Kabine, die nur von dem einfallenden, gedämpften Licht unter dem Vorhang erhellt wurde. Sanna blieb noch einige Minuten sitzen, stand dann auf und ging zurück zur Ladenebene.
Die Verkäuferin lächelte, als sie Sanna erblickte. "Wie hat es Ihnen gefallen?" fragte sie.
"Sehr realistisch", antwortete Sanna wahrheitsgemäß. "Nur der Ausstieg nach Ablauf der Spielzeit kommt etwas plötzlich."
"Möchten Sie ihr Spiel fortsetzen?"
"Nein, danke. Aber ich werde mich hier noch einmal umsehen." Sie nickte der Verkäuferin zu und stellte sich zu dem Regal, an dem die neuen Virtual Reality Spiele aufgestellt waren. Es gab noch nicht all zu viel Szenarien. Die Spielauswahl beschränkte sich auf knapp zwanzig Stück, was jedoch für ein völlig neu erschienenes Spielsystem ganz ansehnlich war. Die meisten von ihnen waren Adaptionen der bekanntesten Adventure- und Strategiespiele: Weltraumschlachten, mittelalterliche Eroberungszüge und sogar ein Jump and Run - Spiel. Themen aus der Filmbranche waren es bisher nur sieben. Plötzlich stutzte Sanna. Sie nahm den Zettel, auf den sie die Namen der verschwundenen Schauspieler geschrieben hatte, aus ihrer Tasche und verglich sie mit den Spielen. Sie stimmten überein. Nachdenklich starrte Sanna auf ihren Zettel. Dann schüttelte sie den Kopf und wollte den Laden verlassen. Doch kaum hatte sie die ersten Schritte getan, als sie wieder das Gefühl vom Vorabend überfiel. Rasch drehte sich Sanna um. Außer der Verkäuferin waren nur noch einige Jugendliche im Raum. Die wenigen Menschen waren aber nicht für dieses plötzlich aufgetretene Gefühl verantwortlich. Sanna spürte, dass noch andere in dem Laden sein mussten. Sie wusste nur nicht zu sagen wer.
Sanna traf Max erst am späten Nachmittag im Hotel an. In der Zwischenzeit informierte sie ihre Mutter über das, was sie herausgefunden hatte. Lois Lane konnte Sannas Entdeckung zuerst nicht glauben, erst als Sanna ihr von dem Spiel und den verschwundenen Schauspielern erzählte, begann sie zu begreifen.
"Es besteht eindeutig ein Zusammenhang. Doch wo ist der Schnittpunkt?", meinte sie nachdenklich.
"Das sehe ich auch so." Sanna starrte zur Decke. Das Gefühl, nicht allein zu sein und von jemanden beobachtet zu werden, war immer noch nicht verschwunden. Trotzdem versuchte sie es zu ignorieren. So gelassen wie möglich sagte sie: "Aber ich kann mir auch nicht erklären, in wie weit die Spiele mit dem Verschwinden Dads oder das der anderen Menschen zusammenhängen."
"Es wäre bestimmt interessant zu wissen, unter welchen Umständen die Schauspieler verschwunden sind."
"Um das zu erfahren, sind wir hier. Ich werde morgen mit Max zu den Familien der Schauspieler gehen. Vielleicht sehe ich dann klarer."
"Gut. Ruf mich an, sobald Du etwas erfahren hast. Ich werde von Smallville aus meine Kontakte spielen lassen."
Beide legten auf. Kurze Zeit später klopfte es an Sannas Hotelzimmertür und Max trat ein. Sein Gesicht war schmerzverzerrt und er humpelte. Sanna konnte sich bei seinem Anblick ein Grinsen nicht verkneifen. "Das kommt davon, wenn man meint, alles ausprobieren zu müssen", meinte sie feixend.
"Es ging gut, bis ich auf einen Stein gestoßen bin."
"Wie groß war denn der Stein?"
"Ungefähr zwei Meter."
Unwillkürlich zuckte Sanna zusammen. "Autsch!"
"Das sagte ich auch." Mit einem lauten Stöhnen ließ Max sich auf Sannas Bett fallen. "Hast Du Deine Verwandten gefunden?"
"Wie man es nimmt." Sie erzählte ihm von ihrer Entdeckung im Laden.
Max blickte schweigend an die Decke. "Für die Verschwundenen klingt das nicht gut", sagte er schließlich. "Aber fantastisch für eine Story."
Widerstrebend stimmte Sanna ihm zu. Innerlich war sie zerrissen von dem Wunsch, ihren Vater zu finden, bevor die Bevölkerung sein Fehlen bemerkte, und von der Gier eines jeden Reporters nach einer guten Story. Denn das wäre es. Sie sah die Schlagzeile förmlich vor sich: "Superman im Spiel gefangen?".
"Wollen wir die Polizei benachrichtigen?" fragte Max.
Sie schüttelte den Kopf "Erst wenn es nötig ist. Da sie bis jetzt wohl noch im Dunkeln stolpert, käme sie uns nur in die Quere."
Max blickte sie unter halb geschlossenen Lidern an. "Du bist im Zwiespalt, nicht wahr?"
"So gut kennst Du mich?"
"Habe ich nun Recht, oder nicht?"
"Es stimmt. Meine Familie steht loyal zu Superman. Das stand sie schon immer. Und deshalb weiß ich nicht, ob ich aus seiner hilflosen Lage Kapital schlagen darf."
"Du wirst dafür bezahlt, aus den Lagen anderer Leute Kapital zu schlagen. Egal, ob es ein Krieg, ein Unfall oder eine Hochzeit ist. Du bist Reporter, Sanna. Wir können es uns nicht erlauben, parteiisch zu sein."
"Das macht es nicht leichter. Im Gegensatz zu Dir trete ich Superman an Weihnachten gegenüber."
Er lachte. "So wie ich Superman kenne, macht er Dir trotzdem ein Geschenk. Dazu mag er Dich viel zu sehr!"
Sanna stimmte in Max Lachen ein. Dann sagte sie, wieder ernst werdend: "Lass mich noch eine Nacht darüber schlafen. Ich gebe Dir dann morgen Bescheid."
"Einverstanden!" Mit einer raschen Bewegung stand Max auf. "Aber egal, wie Deine Entscheidung auch ausfallen wird - wir haben heute Abend ein Treffen mit Joe Metzler. Jimmy verlangt, dass wir uns mit ihm unterhalten."
"Ich habe nichts dagegen."
Nickend verabschiedete sich Max. "Wir treffen uns in einer Stunde im Foyer des Hotels. Metzler hat ein Haus direkt am Meer. Jimmy meinte, es würde uns dort gefallen."
Joe Metzler war ein unangenehmer Mensch - fand Sanna. Er war laut und ein Angeber. Und er hielt viel auf sich. Das allein fand Sanna schon abstoßend. Sie mochte keine Menschen, die, ohne danach gefragt zu werden, ihre Auszeichnungen und all die vermeintlichen Freundschaften mit berühmten Bekanntschaften zum Besten gaben. Trotzdem war er für Max und Sanna eine wertvolle Hilfe. Er lud beide auf die zum Meer gewandte Terrasse ein und erzählte ihnen aus dem Insiderwissen Hollywoods. So wusste Sanna schon nach kurzer Zeit, dass alle Schauspieler kurz nach der Premiere ihres neuesten Filmes verschwunden waren. All das war im Zeitraum der letzten Woche passiert. Dass diese Begebenheiten bisher noch nicht publik geworden waren, verdankte man vor allem der Abgeschirmtheit, in der diese Menschen lebten. Nur ihre Familien, engste Freunde und die Polizei wussten davon. Und natürlich der stets informierte Joe Metzler.
Max nutze ein kurze Abwesenheit des Korrespondenten, um sich leise mit Sanna zu unterhalten: "Was hältst Du von ihm?"
"Ein Schleimer", antwortete sie knapp. "Metzler würde sogar seine Großmutter verkaufen, wenn es ihm Vorteil bringen würde."
"Das sehe ich auch so. Aber er kann uns von Nutzen sein. Mit seinen Beziehungen kann er uns vielleicht ein Interview mit einem aus dem Kreis der Betroffenen verhelfen."
Sie nickte. Anschließend stand sie auf und lehnte sich auf die Terrassenbrüstung. Die Sonne, die in diesem Moment unterging, glühte blutrot über dem Meer. Es sah traumhaft aus. Max stellte sich neben sie und legte freundschaftlich einen Arm um ihre Schultern. "Irgend etwas bedrückt dich. Willst Du es mir nicht sagen?"
"Nein." Sanna schüttelte den Kopf. Dann legte sie ihn für einen Moment auf Max Schulter. Ein trauriges Gefühl überkam sie. Max war immer so fürsorglich. Er wollte ihr helfen und ihren Kummer mittragen. Sanna fand es bedauerlich, das sie gerade Max niemals von ihren größten Problemen erzählen konnte. Aber sie hatte ein Geheimnis zu bewahren. Allein diese Tatsache verbot für sie mehr, als nur Freundschaft.
Seufzend nahm Max seinen Arm fort. "Ich dachte, ich wäre dein Freund. Aber manchmal habe ich das Gefühl, dass ich Dich überhaupt nicht kenne. Ich bin mir sicher - schon seit dem Anfang unserer Partnerschaft verheimlichst Du mir etwas. Ich bin deswegen nie in Dich gedrungen, weil ich denke, dass es Gründe dafür geben wird. Aber es gibt auch Zeiten ..."
"Ich weiß", unterbrach Sanna ihn. "Es gibt Zeiten, da ist es mit mir nicht leicht."
"So kann man das auch nennen."
In diesem Moment kam Joe Metzler zurück. In seiner Hand hielt er eine kleine Visitenkarte. "Versuchen Sie es damit. Diese Karte öffnet ihnen so manche Tür. Selbst die eines Filmstars."
Dankend nahm Max die Karte an sich. Dann verabschiedeten sie sich. Doch als Max zum Mietauto gehen wollte, hielt Sanna ihn zurück. "Es ist so ein schöner Abend. Lass uns noch ein wenig am Strand spazieren gehen."
"Ist es dafür nicht ein wenig zu kalt? - Ich meine, es ist immerhin erst Anfang März."
"Keiner verlangt von dir, dass Du ins Wasser springen sollst. Ich will nur Spazieren gehen."
"Also schön." Er nahm Sannas Hand und führte sie unter seinen Arm. "Jimmy befahl uns sowieso, wir sollten etwas Romantisches unternehmen. Warum nicht also an einem Strand?"
Sanna schwieg. Doch sie ließ ihren Arm in dem von Max. Langsam schlenderten sie zum Wasser. Vom Meer her wehte ein kühler Wind, der ihnen in das Gesicht blies. Trotzdem war die Luft noch mild von der Wärme des Tages. Als Sanna zum Himmel blickte, sah sie die ersten Sterne. Es war schön.
Sie liefen eine ganze Stunde. Während der ganzen Zeit sagte Sanna kein Wort. Ihre Gedanken kreisten um das, was sie empfand. Über das Gefühl des Beobachtetwerdens, welches immer noch in ihr wohnte und nicht weichen wollte. Doch vor allem dachte sie an ihren Vater - und an ihre Mutter, die sich Sorgen um ihn machte. Max, der ihren inneren Konflikt spürte, schwieg ebenfalls. Er wusste, dass Sanna über die neue Story nachdachte. Dass sie ganz alleine diese Entscheidung treffen musste. Denn er wäre er in dieser Beziehung ein schlechter Ratgeber. Dazu liebte er sie viel zu sehr.
Das erste, was Sanna am nächsten Morgen tat, war ihre Mutter anzurufen und ihr zu schildern, welche Entscheidung sie getroffen hatte. So erzählte sie knapp mit gespannter Stimme, dass sie die Interessen des »Daily Planet« vor die ihrer Familie stellen werde. Danach schwieg sie.
Lois Lane schwieg ebenfalls. Dann, nach etwa einer Minute, fragte sie: "Wie lange hast Du für diesen Entschluss gebraucht?"
"Einen ganzen Abend und eine ganze Nacht."
Am anderen Ende des Kabels seufzte Lois auf. "Du hast es Dir nicht leicht gemacht, Sanna. Aber ich verstehe Dich. Wir Reporter sind der Wahrheit verpflichtet. Auch wenn es uns manchmal schwer fällt. Ich bin sicher, Dein Vater würde Ähnliches sagen."
"Ich hoffe, ich habe noch einen Vater."
"So etwas darfst Du nicht einmal denken! Vertraue Clark. Ich habe es immer getan und er hat mich noch nie getäuscht. Ich wollte, ich könnte Licht in die Sache bringen."
"Du tust es auf Deine Weise. Und Du hast Vater mehr als einmal aus verzwickten Situationen herausgeboxt. Jetzt ist für mich die Zeit gekommen, es zu tun!"
Lois lachte trocken. Es klang wie eine Mischung aus Verzweiflung und Sarkasmus. "Wenn ich bedenke, dass wir extra nach Smallville gezogen sind, damit Du nicht mit in den Sumpf der Kriminalität gezogen wirst ..."
"Wenn man Supermans Tochter ist, lässt sich das wohl nicht ganz vermeiden."
"Aber ich hätte es Dir gerne erspart."
"Mom, Du wärst nicht die beste Mutter aller Zeiten, wenn Du es Dir nicht wünschen würdest." Sanna verstummte und einen kurzen Augenblick lang überlegte sie, ob sie ihrer Mutter etwas von dem seltsamen Gefühl in ihr erzählen sollte. Doch dann entschied sie, es für sich zu behalten. Lois war besorgt genug. Sanna wollte sie nicht noch mehr dadurch beunruhigen, dass sie ihr von ihren schizophrenen Empfinden berichtete.
Von der Zimmertür her erklang ein Klopfen. Bevor Lois noch etwas sagen konnte, verabschiedete sich Sanna von ihr und legte auf. Dann ging sie zur Tür und öffnete sie. Doch wider ihrer Erwartung stand nicht Max auf dem Gang, sondern Elaine. Erstaunt ließ Sanna sie ein. "Was willst Du hier?" fragte sie nicht gerade höflich.
"Ich wollte sehen, in was für ein Loch euch Jimmy gesteckt hat", gab Elaine unfreundlich zurück. Sie schleuderte ihr Handtäschchen auf den kleinen Tisch und ließ sich auf einen Sessel fallen. Mit einer hochgezogenen Augebraue sah sie sich um.
Sanna kreuzte ihre Arme vor ihrer Brust und blickte Elaine stirnrunzelnd an. Ihre Kollegin trug ein zart rosafarbenes Kostüm, das perfekt mit ihrem Makeup harmonierte. Die schwarze Locken hatte sie hochgebunden und nur eine Strähne kringelte sich wie zufällig in ihrem Nacken. Aber Sanna wusste, dass Elaine an ihrem Outfit rein gar nichts dem Zufall überließ. Die Locke war genau dort, wo ihre Besitzerin sie haben wollte. Plötzlich überkam Sanna bei Elaines Anblick das Gefühl, nur wenig besser als ein Bauerntrampel zu sein. "Was willst Du hier?" wiederholte sie ihre Frage deshalb unwirscher, als sie es eigentlich beabsichtigt hatte.
"Dir helfen", gab Elaine großmütig zurück
"Was kannst Du mir schon helfen?"
"Vielleicht mehr, als Dir bewusst ist." Mit einem süffisanten Lächeln stand Elaine auf. "Ich war gestern mit Michael bei einigen sehr wichtigen Leuten. Du weißt doch - wir dürfen bei der Oskarverleihung dabei sein."
"Wenn Du das wichtig nennst ..."
Elaine blickte sie erstaunt an. "Natürlich ist das wichtig. Das dürfte selbst Dir klar sein, dass das dieses Jahr der Knüller sein wird. Vor allem, wenn die Anwärter auf den Oskar scheinbar wie vom Boden verschluckt worden sind."
"Bis jetzt ist diese Information noch nicht in der Öffentlichkeit."
"Sanna, stell Dich nicht so dumm. Jeder, der nur im entferntesten etwas mit Hollywood zu tun hat, weiß es. Angefangen bei der Requisite bis hin zum Regisseur. Sie halten nur dicht, das ist alles. - Bis jetzt", fügte sie lakonisch hinzu.
"Was weißt Du noch?" fragte Sanna misstrauisch.
"Oh, ich weiß zum Beispiel, dass alle Verschwundenen kurz vor ihrem Verschwinden eine Menge Geld verdient haben."
"Das dürfte für einen bekannten Schauspieler nichts ungewöhnliches sein."
Elaine winkte ab. "Ich meine nicht das übliche Honorar. Ich rede von einem Geschäft, das etwas außerhalb der Norm liegt." Sie nannte eine horrend hohe Zahl.
Für einen Moment hielt Sanna die Luft an. Dann schluckte sie. "Weißt du, woher sie das Geld bekommen haben?"
"Nein. Aber ich bin sicher, wenn Du bei den Familien der Schauspieler vorbeigehst, erzählen sie es Dir vielleicht."
"Woher hast Du die Information?"
"Aber Sanna." Elaine warf ihr einen spöttischen Blick zu. "Du wirst doch nicht denken, dass ich Dir meine Quellen preisgebe." Doch nach einem abschätzenden Blick auf Sannas einfaches Kleid sagte sie: "Ich sage Dir nur eines: Du solltest aufhören, von der Stange zu kaufen. Wenn Du herumläufst wie Tienchen Stinknormal, wirst Du nie die richtigen Leute für diesen Job kennen lernen."
"Bis jetzt bin ich immer an meine Informationen gekommen, selbst wenn ich wie Tienchen Stinknormal aussehe."
"Sicher, das gilt für Metropolis. Aber hier sind wir in L.A. Hier ist alles anders."
Mit dem Gefühl, Elaine gleich Ohrfeigen zu müssen, ging Sanna zur Tür und öffnete sie. "Bitte gehe Elaine!" befahl sie. "Wenn Du noch länger in meinem Zimmer sitzt, kann ich nicht dafür garantieren, dass Du an einem Stück zu Deiner Oskarverleihung gehen kannst."
"Du bist aber gewalttätig. Aber ich beuge mich - ich gehe. Und nimm Dir meinen Rat zu Herzen!" Sie lächelte Max zu, der gerade in diesem Moment das Zimmer betrat. "Hallo Max, wie geht es Dir heute Morgen?"
"Danke Elaine." Er lächelte zurück. "Hübsches Kostüm", sagte er anschließend anerkennend. "Es steht dir."
"Ich weiß, mein Lieber. Aber Du solltest erst mein Abendkleid sehen, dass ich übermorgen anziehen werde."
"Ein andermal." Max wartete, bis Elaine auf dem Gang war und verschloss dann die Tür hinter ihr.
Sanna warf ihm einen wütenden Blick zu. "Warum fragst Du nicht Jimmy, ob Du nicht mit Elaine zusammenarbeiten kannst?" fauchte sie ihn an. "Dann kannst Du ihr jeden Tag sagen, dass ihre Kleider ihr stehen."
Ihr Partner blinzelte leicht. "Erzähl mir nicht, dass Du eifersüchtig bist", fragte er amüsiert. "Doch wohl nicht auf Elaine."
"Das habe ich nicht nötig," gab Sanna zurück. Sie blinzelte. Eigentlich hatte Max den Nagel auf den Kopf getroffen: Sie war eifersüchtig auf Elaine.
"Nein, wirklich nicht", meinte Max. "Sie kann Dir lange nicht das Wasser reichen." Er grinste. "Außerdem erinnert mich Elaine immer an ein Bonbon. Süß beim Lutschen, aber schlecht für die Gesundheit."
Sanna musste lachen. "Du weißt auch immer, wann Du was sagen musst, nicht wahr Max?"
"Das lernt man automatisch, wenn man mit dem weiblichen Geschlecht zu tun hat. Es ist quasi eine Garantie fürs Überleben."
"Ach komm", sie hakte sich bei ihm unter. "So schlimm sind wir nun auch wieder nicht."
"Das kommt auf die Konstellation der Frauen an." Er öffnete wieder die Tür und führte Sanna hinaus. "Doch lassen wir Elaine mal beiseite", meinte er anschließend. "Ich habe hier nämlich immer noch die Karte, die uns laut Metzler in der High Society Tür und Tor öffne kann." Max stockte. "Wie ist Deine Entscheidung? Hast Du einen Entschluss gefasst?"
Nickend verschloss Sanna ihre Tür. "Ich werde an der Story mitarbeiten. Selbst wenn ich Superman dabei bloßstelle und somit seine Schwäche verrate."
"Bravo, Sanna. Das nenne ich Reportergeist. Nur nicht vor irgendetwas Halt machen."
"Hoffen wir nur, dass ich das nicht eines Tages bereuen werde", sagte Sanna leise. "Wir wissen schließlich noch nicht, in welches Wespennest wir stoßen werden."
"Das weiß man am Anfang nie so recht. Doch unsere Pflicht ist nun mal, die Welt mit Informationen zu versorgen. Sonst blieben sämtliche Wespennester unzerstört und wir Menschen würden andauernd von ihnen gestochen werden."
"Weißt du, was ich überhaupt nicht an Dir mag?" fragte Sanna ärgerlich. "Manchmal sprichst Du genauso moralisch wie Superman. Ihr zwei mögt ja Recht haben, aber müsst ihr das immer so hochtrabend ausdrücken?"
Lachend führte Max sie zum Hotelfahrstuhl. "Ich hätte nicht gedacht, dass ausgerechnet der Welt größter Superheld etwas mit mir gemeinsam hat. Deshalb fasse ich es einfach mal als ein Kompliment auf - selbst wenn ich mir einbilde, dass Du mich ein klein wenig lieber hast als den Stählernen."
Auf dem Weg zum Taxi erzählte Sanna ihrem Partner, was sie von Elaine erfahren hatte. Nachdenklich blinzelte Max in die Sonne. "Nach dem, was wir von den Verschwundenen - einschließlich Superman - wissen, würde mich nichts mehr verwundern. Aber ich verstehe nicht ganz, warum die Polizei nicht auf den Gedanken gekommen ist, dass diese Tatsachen zusammenhängen."
"Vielleicht weiß sie noch nichts von den Spielen", versuchte Sanna zu erklären. Es klingt schließlich ziemlich nach Science-Fiction: Menschen verschwinden, nachdem ein Spiel auf dem Markt kommt. Man fragt sich unwillkürlich, ob sie nicht in dem Spiel gefangengehalten werden."
"Das ist wirklich Science-Fiction. Zu fantastisch für die Polizei."
Beide stiegen in ein wartendes Taxi und Max nannte eine der Adressen, die Metzler ihnen gegeben hat. Während der Fahrt schwiegen sie. Eine Angewohnheit, die sie sich in Metropolis zu eigen gemacht hatten - zu viele arbeitslose Reporter verdingten sich dort als Taxifahrer. Statt dessen blickten sie aus dem Fenster und betrachteten sich die Stadt aus dem fahrenden Auto heraus. Erst als das Taxi sie vor einer hohen Mauer abgesetzt hatte und fortfuhr, spann Sanna ihre Gedanken laut weiter. "Vorausgesetzt, das Verschwinden der Menschen hängt tatsächlich mit den Spielen zusammen, wo sollte man dann weitersuchen? Ich nehme nicht an, dass die Produktionsfirma dieser Reality Spiele die Schauspieler einfach im Keller versteckt hält. Denn alleine um Superman festhalten zu können, braucht es mehr als das."
"Der Zufall wird uns weiterhelfen." Als Max Sannas zweifelnden Blick sah, fügte er hinzu: "Weißt Du das nicht? Der Zufall ist des Reporters beste Fee!"
"Dann hoffe ich, dass uns Deine Fee nicht in Stich lässt. Wie heißt sie denn?"
Max lächelte geheimnisvoll. "Man darf den Namen nicht laut aussprechen - sonst verschwindet die Fee wieder."
"Du bist verrückt!", sagte Sanna lachend. Dann drückte sie auf einen kleinen Klingelknopf, der unscheinbar hinter einer herabfallenden Efeuhecke lag. Sie hatten schon einige Zeit gewartet, als eine mürrische Stimme im Lautsprecher nach ihrem Wunsch fragte. Mit knappen Worten erklärte Sanna ihr Anliegen und nachdem sie den Namen Joe Metzlers erwähnt hatte, wurden sie durch ein schmales Tor seitlich der Mauer hereingelassen. Kurz darauf saßen sie in einem hellen Wohnzimmer, ihnen gegenüber eine junge Frau, die sichtlich nervös an einer Zigarette sog.
"Sie müssen entschuldigen", sagte sie leise. "Aber ich weiß inzwischen nicht mehr, was ich machen soll. Joe Metzler hat gestern bei mir angerufen und mir versichert, dass Sie alles in ihrer Macht stehende tun würde, um meinem Mann zu helfen. Die Polizei weiß einfach nicht mehr weiter. Sie hat keine Ahnung, wo sie suchen soll. Sämtliche Wege führen ins Nichts ..."
Sanna und Max wechselten einen kurzen Blick miteinander. Dann fragte Sanna: "Erzählen Sie uns einfach, wie alles begonnen hat. Seit wann ihr Mann verschwunden ist, wo er zuletzt gewesen ist und welche Leute er vor seinem Verschwinden getroffen hat."
Die junge Frau nickte. Anschließend umriss sie das, was sie schon der Polizei bereits erzählt hatte: Ihr Mann war, einen Tag nachdem sein letzter Premiere hatte, zu einem Treffen mit seinem Manager eingeladen worden. Von dort war er nie zurückgekehrt. Auf Anfragen der Polizei hatte der Manager jedoch bestritten, irgend ein Treffen anberaumt zu haben, und konnte ein hieb- und stichfestes Alibi für diesen Zeitpunkt vorweisen: Er hatte sich zu dieser Zeit auf dem Golfplatz befunden. "Und ich glaube ihm", beendete die junge Frau ihren Bericht. "Ich kenne ihn schon lange. Er ist ein enger Freund. Niemals würde er meinem Mann etwas antun."
"In welche Richtungen hat die Polizei recherchiert?" fragte Max.
"Alles, was man für möglich halten muss: Erpressung durch Entführung, verrückt gewordene Fans, sogar Mord."
"Aber nichts hatte zugetroffen?"
Schluchzend schüttelte ihr Gegenüber den Kopf. Nach einer kurzen Pause fragte Sanna: "Was können Sie mir zu der Firma "Reality Game Productions" sagen?"
"Was soll mit ihr sein?"
"Sie wissen doch, dass ihr Mann sein Einverständniserklärung für diese Art Spiel gegeben hat?"
"Sicher hat er das. Merchandising ist ein großer Markt. Spielfiguren, T-Shirts, Computerspiele. Warum sollte er sein Einverständnis dort verweigern?"
"Darf man fragen, wie viel vom Spielhersteller bezahlt worden ist?"
"Nicht viel mehr als sonst auch. Warum?"
"Nur so, entschuldigen Sie meine Neugier." Mit einem zufriedenen Lächeln lehnte sich Sanna zurück. Sie würde Elaine bei nächster Gelegenheit unter die Nase reiben, dass sie ihre Quelle nicht alles glauben sollte.
Doch plötzlich sagte ihre Gastgeberin: "Jetzt, wo sie es erwähnen, fällt mir etwas ein: Die "Reality Game Productions" bat meinen Mann zu ihnen in das Büro. Das ist ungewöhnlich. Normalerweise läuft alles über den Manager. Aber dort meinten sie, mein Mann müsste persönlich kommen. Sie meinten, wegen der neuen Art des Spiels bräuchten sie die genauen Maße. Oder so etwas ähnliches."
"Wissen Sie zufällig die Adresse, wohin er geladen worden ist?" fragte Max neugierig.
Die junge Frau stand auf. "Einen Moment, ich hole die Karte." Eilig ging sie aus dem Raum.
Sanna beugte sich zu Max. "Was meinst Du dazu?"
"Ich meine, dass unsere Polizei nicht mit Klugheit gesegnet ist. Wo sind nur all die schlauen Kommissare hin?"
"Die gibt es nur in den Fernsehserien. Deshalb sollten wir unsere Chance nutzen und dort nachsehen, wo die Polizei anscheinend übersehen hat: Bei den Spieleherstellern."
"Meine Rede."
In diesem Augenblick kam die Frau des Schauspielers wieder zurück. In ihrer Hand hielt sie eine kleine Karte. "Da ist sie! Aber ich muss Ihnen aber mitteilen, dass mein Mann schon vor Monaten dort war. Er hatte deswegen sogar seine Dreharbeiten unterbrechen müssen. Das ist schon so lange her, dass ich deswegen nichts der Polizei gesagt habe - ich habe es glatt vergessen." Sie machte eine kurze Pause. "Meinen Sie wirklich, dass es ihnen weiterhilft?"
Fast gleichzeitig standen Max und Sanna auf. "Absolut!" sagte Max bestimmt. "Sie müssen wissen, dass wir Reporter einfach anders denken als die Polizei. Was für sie undenkbar ist, ist für uns möglich."
"Ich hoffe wirklich, sie behalten Recht."
Mit einem leichten Lächeln verabschiedete sich Max von ihr. Dann nahm er Sanna am Ellebogen und führte sie rasch aus dem Haus. Erst nachdem sie wieder auf der Strasse standen, ließ er sie los.
"Was sollte das?" fragte Sanna belustigt. "Warum hattest Du es auf einmal so eilig?"
"Weil ich unbedingt heute noch zu dieser Spiel Productions will." Er blickte auf die Karte. "Es ist am anderen Ende der Stadt - dieses Mal zahlst Du das Taxi.
Das Büro der "Reality Game Productions" war in einem erst wenige Monate alten Bürohaus untergebracht. Kaum hatte Sanna das Gebäude betreten, verstärkte sich das seltsame Gefühl in ihr. Mit einem gequälten Gesichtsaudruck verschloss Sanna für einen Moment die Augen. Die letzten Stunden hatte sie dieses Gefühl fast verdrängen können, obwohl es sich wie ein Tinnitus in ihr festgesetzt hatte. Diese plötzliche Verstärkung brachte es ihr jedoch wieder unangenehm in Erinnerung. Max, der von Sannas innerer Qual nichts mitbekam, legte seinen Presseausweis vor. Sogleich wurden sie ins Foyer hereingebeten und von einer Sekretärin zu einer brünetten Frau mit einem ansprechenden Gesicht geführt, die sich ihnen als Mrs. Ciancola vorstellte.
"Guten Tag", sagte sie erfreut, während sie die beiden in ein großes, mit dunklen Möbeln ausgestelltes Büro führte. "Es freut mich, zwei Reporter des berühmten »Daily Planet« kennenzulernen."
Sanna setzte sich auf den angebotenen Stuhl. "Sie kennen unsere Zeitung?"
"Natürlich. Ich bin regelmäßig in Metropolis."
"Dann können Sie sich auch vorstellen, was wir von ihnen wollen?" fragte Max vorsichtig, während er sich auf den zweiten Stuhl neben Sanna setzte.
Mrs. Ciancola setzte sich hinter einen breiten Schreibtisch, stützte ihre Hände darauf und legte die Handflächen aneinander. "Nun, ich nehme an, Sie möchten gern mehr über unser neues Produkt erfahren."
"Erzählen Sie uns davon", forderte Sanna sie auf. "Seit wann läuft die Produktion?"
Die nächste halbe Stunde erklärte ihnen Mrs. Ciancola den Werdegang des Reality Spieles. Sie begann bei der Idee für das Spiel, erläuterte die Schwierigkeiten bei der Umsetzung in Hard- und Software, und nannte abschließend auch einige Details der Markteinführung. Als sie geendet hatte, blickte sie die Reporter freundlich an. "Haben Sie noch irgendwelche Fragen?"
Sanna nickte. "Wo genau wurde das Spiel erfunden? Hier in L.A.?"
"Ja. Und ich darf mich stolz dabei preisen, dass ich ein Mitbegründer der "Reality Game Productions" bin."
"Wird das Spiel ebenfalls in L.A. gefertigt?"
"Nein. Ich kann ihnen aus Sicherheitsgründen leider nicht verraten, wo unsere Produktionsorte liegen. Sie verstehen - Industriespionage."
"Aber sie haben doch bestimmt ein Patent auf das Spiel!" sagte Max lächelnd.
"Natürlich. Trotzdem kann man nie sicher sein."
Max nickte verständnisvoll. Dann fragte er: "Gibt es noch Pläne für die Erweiterung des Spielangebots? Bis jetzt gibt es ja noch nicht all zu viele Szenarien."
"Das wird die Zeit zeigen." Mrs. Ciancola lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und starrte auf eine künstliche Topfpflanze, die in der Ecke des Zimmers stand. "Ich muss zugeben, wir sind immer noch in der Erprobungsphase. Gerade die Spiele, die sich wirkliche Personen zum Vorbild nehmen - hauptsächlich Merchandising der Filmproduktionen - stellen uns vor so manche Probleme."
"Zum Beispiel?" Sannas Stimme klang unwillkürlich schärfer, als sie es wollte.
"Das liegt klar auf der Hand." In Mrs. Ciancolas Augen stahl sich Misstrauen. "Es ist leichter für uns, eine Lara Croft zum Leben erwecken, als einen Mensch aus Fleisch und Blut. Schließlich wollen wir so real wie möglich sein. Das ist einfach ein Qualitätsstandart!"
Max beugte sich leicht vor. "Darf man fragen, wie sie einen realen Menschen imitieren?"
"Wir Scannen ihn. Und zwar von allen Seiten."
"Ich weiß, dass es seit gestern auch ein Spiel mit Superman gibt", sagte Sanna mit einem provozierend Unterton in ihrer Stimme. "Haben Sie ihn ebenfalls diesen Scans unterzogen?"
"Natürlich. Superman war sehr entgegenkommend." Sie lächelte.
Sanna atmete tief ein und stellte dann die Frage, die ihr schon lange auf der Zunge brannte: "Wussten Sie auch, dass alle bisher in ihrem Spiel imitierten Menschen spurlos verschwunden sind?"
"Nein, das wusste ich nicht. Aber es kann schwerlich etwas mit unserem Spiel zu tun haben - wir haben die erforderlichen Recherchen und Scans schon vor Monaten erledigt. Es dauert einige Zeit, bis wir die Daten für das Spiel umwandeln können."
Max warf ihr einen scharfen Blick zu. "Aber kommt Ihnen das denn nicht seltsam vor?"
"Wollen Sie uns etwa vorwerfen, wir hätten die Leute gekidnappt?"
"Und wenn dem so wäre?" fragte Sanna provokativ.
Abrupt stand Mrs. Ciancola auf. "Das muss ich mir nicht bieten lassen. Verlassen Sie augenblicklich mein Büro!"
"Eine letzte Frage noch", sagte Max. "Könnten Sie mich nicht auch in einem ihrer Spiele unterbringen? Zum Beispiel als Held, der die Welt vor dem Untergang rettet?"
"Nein!" Mrs. Ciancola warf ihm einen giftigen Blick zu. "Dazu sind Sie nicht prominent genug. Kein Mensch würde es reizen, ausgerechnet Sie zu einem Helden zu machen." Mit einer herrischen Bewegung führte Sie die Reporter hinaus. Die Tür zum Büro ließ sie anschließend krachend ins Schloss fallen.
Als Sanna das Gebäude verließ, fiel auch das seltsame Gefühl von ihr ab. Froh, die Gespenster wieder los zu sein, ließ sie ihrer Belustigung über Max freien Lauf. Lachend meinte sie: "Jetzt hast Du es von qualifizierter Stelle - Du taugst einfach nicht zum Weltenretter."
Lächelnd stimmte ihr Max zu. Doch dann sagte er ernst: "Sie wurde richtig böse, als wir sie nach den verschwundenen Schauspieler fragten. Ich bin der Meinung, sie weiß etwas."
"Aber was sie sagte, stimmt mit unseren Informationen überein: sie haben mit den Schauspielern schon vor vielen Monaten Kontakt aufgenommen. Wenn damals bereits die Spiele vorbereitet wurden, warum verschwanden die Menschen erst jetzt?"
"Ich weiß es nicht." Er wurde nachdenklich. "Was meinst Du - wie lange bleiben die Spiele in Mode?"
"Zwei, drei Monate nehme ich an. Dann werden sie vom Markt genommen und durch andere ersetzt werden."
"Genau. Ich bin gespannt, wie lange die Schauspieler verschwunden sein werden."
Sanna schüttelte energisch den Kopf. "Wir können nicht ein Vierteljahr warten, bis das Spiel aus der Mode kommt. Denk nur an Superman!"
"Das stimmt. Außerdem würde das auf die Dauer doch ziemlich auffallen: Jedes Mal, wenn ein neues Spiel erscheint, verschwindet der dazugehörige Mensch. Da würde sogar unsere Polizei dahinterkommen."
Bekümmert blickte Sanna auf ihren Partner. "Befinden wir uns also auf dem völlig falschen Weg?"
Max biss sich auf die Unterlippe. Es erschien alles so offensichtlich. Ein Spiel erscheint - ein Mensch verschwindet. War das Zufall oder steckte etwas anderes dahinter? Doch wozu sollte die "Reality Game Productions" die Schauspieler noch brauchen, wenn sie doch die Scans schon vor Monaten durchgeführt hatten? "Gehen wir zuerst zu den anderen Betroffenen!" schlug er nach kurzem Nachdenken vor. "Lassen wir uns ihre Version der Geschichte erzählen."
Den Rest des Tages verbrachten Sanna und Max damit, bei den anderen Familien zu klingeln und dort zu recherchieren. Es stellte sich dabei heraus, dass es überall ähnlich abgelaufen war. Alle Schauspieler waren zu einem wichtigen Treffen beordert worden und von dort nicht zurückgekehrt. Egal, ob es sich dabei um einen Termin bei einer Vigasistin oder einen Arztbesuch handelte. Es waren allesamt fiktive Treffen. Ziel war es anscheinend nur gewesen, den Betroffenen von seiner Familie wegzuholen, um ihn anschließend verschwinden zu lassen. Von keinem der Verschwundenen gab es irgendeine Spur. Es war, als hätte sich der Erdboden aufgetan und sie verschluckt.
Als sie am Abend zu einem gemeinsamen Essen zusammensaßen, rekapitulierten Sanna und Max die am Tag zusammengetragenen Fakten. Doch sie mussten erkennen, dass das Puzzle kein Bild ergab. Sanna lehnte sich schließlich mit einem Seufzen in ihren Stuhl zurück. "Es ist zum Verrücktwerden", sagte sie und legte ihre Hände auf ihre Augen. "Es passt nicht zusammen - auch wenn wir es uns noch so sehr wünschen."
"Ich muss Dir leider Recht geben", stimmte Max ihr zu. "Am Anfang sah es so einfach aus: Die "Reality Game Production" kidnappt die Schauspieler, um damit in irgendeiner Form ihr Spiel in Gang zu bringen. Aber so wie es jetzt aussieht, hat sie nicht das geringste damit zu tun."
"Wir könnten genauso gut die berühmte Nadel im Heuhaufen suchen."
"Also fliegen wir nach Metropolis zurück und schreiben, dass fünf berühmte Schauspieler verschwunden sind, von denen aber leider keiner weiß, wo sie geblieben sind."
"Nicht unbedingt ein befriedigender Schluss."
"Wir haben noch das Verschwinden von Superman!" sagte Sanna knapp.
"Das wäre das richtige Fressen für die Unterwelt - endlich hätte sie freie Bahn."
Sanna nickte. Dann, nach kurzer Überlegung, fügte sie hinzu: "Vielleicht sollten wir uns mehr auf Superman konzentrieren. Es ist doch gut möglich, dass wir, wenn wir ihn finden, auch auf die Schauspieler stoßen werden!"
"Und wo willst Du anfangen zu suchen?"
"Einen Moment." Sanna nahm ihr Funktelefon aus ihrer Handtasche. "Ich muss mal dringend telefonieren." Sie wählte die Nummer ihrer Mutter in Smallville. Nach einigen, für sie äußerst aufschlussreichen Minuten, legte sie das Telefon aus der Hand. "Superman hat nie irgendwelche Scans von sich machen lassen", erklärte sie ihrem wartenden Partner. "Weder vor ein paar Monaten noch sonst irgendwann."
Kopfschüttelnd blickte Max auf Sannas Telefon. "Man könnte meinen, Deine Familie ist mit Superman verwandt. So viel wie ihr weiß keiner über ihn."
Sanna lachte auf. "Ich könnte ein ganzes Buch über ihn schreiben - wenn ich wollte."
"Es wäre bestimmt ein Bestseller", grinste Max.
"Dank meiner Verbindung wissen wir jetzt aber, dass Superman nicht gescannt worden ist. Trotzdem gibt es ein Spiel mit ihm."
"Und er ist verschwunden."
"Ich gebe zu, dass ich mir ziemliche Sorgen um ihn mache", sagte Sanna leise. Sie schwieg. Die Stimme ihrer Mutter hatte am Telefon seltsam geklungen - als hätte sie viele schlaflose Nächte hinter sich. Ihr Mann war jetzt aber auch seit fast einer Woche fort, ohne dass sie das geringste Lebenszeichen von ihm gehört hatte. Das war absolut ungewöhnlich für einen Mann wie Clark Kent. Doch gerade als Sanna Max vorschlagen wollte, ins Bett zu gehen, klingelte ihr Telefon. Mit einem entschuldigenden Lächeln nahm Sanna ihr Telefon wieder auf und nahm ab. Es war Lois.
"Mom?" fragte Sanna erstaunt. "Was gibt es noch?"
"Ich habe vorhin vergessen zu sagen, dass ich herausgefunden habe, wo diese neuen Spiele hergestellt werden. Du weißt schon - die, welche die Reality Spiele herausgebracht haben."
"Du kennst den Ort?" rief Sanna erfreut. "Warum hast Du es nicht gleich gesagt?"
"Ich sagte doch, dass ich es vergessen habe. Schließlich werde ich nun mal nicht jünger."
"Du bist vom Alter noch weit entfernt, Mom", lachte Sanna. "Also, wo ist es?"
"In Metropolis."
"Metropolis!" wiederholte Sanna fassungslos.
"Leider konnte ich nicht die genaue Adresse erfahren."
"Wenn die Produktion wirklich in Metropolis, dann wird Dave es herausfinden. Danke Mom!" Bestimmt legte Sanna auf. Dann wandte sie sich an Max. "Wir müssen zurück nach Metropolis!"
"Und warum?"
"Meine Mutter hat herausgefunden, dass die Spiele dort hergestellt werden."
Er sah sie nachdenklich an. "Dann wollen wir dieser Spur nachgehen?"
"Hast Du einen besseren Vorschlag?"
"Momentan nicht!"
"Dann also los!" Durch Sanna ging ein energischer Ruck. "Morgen fliegen wir zurück. Ich bin gespannt, was Jimmy dazu sagt!"
Noch am Flughafen kaufte sich Sanna eine Ausgabe des »Daily Planet«. Als sie jedoch die Schlagzeile des Tages las, blieb sie wie erstarrt stehen. Rasch überflog sie den Artikel, der mit der Überschrift "Wo ist Superman?" betituliert worden war. Er warf die anklagende Frage auf, wo Superman in den letzten Tagen gewesen sei. Es wurden mehrere, vermeidbare Katastrophen aufgeführt, die durch Supermans Fehlen Hunderte von Toten gekostet hatten.
Auf Max fragenden Blick hin reichte Sanna ihrem Partner wortlos die Zeitung, der sie mit einem Stirnrunzeln durchlas. "Das ist schlimm!", meinte er anschließend. "Ich hätte nicht gedacht, dass das so schnell auffällt."
"Es musste herauskommen", antwortete Sanna bitter. "Die Menschheit hat sich so daran gewöhnt, einen Superman zu haben, der ihnen die Kohlen aus dem Feuer holt, dass sie ohne ihn nicht mehr leben kann."
"Wir kamen auch vorher ohne ihn zurecht."
"Aber es ist leichter, sich an angenehme Dinge zu gewöhnen, als wieder auf sie zu verzichten." Sie atmete tief durch. "Das Chaos wird ausbrechen!"
Kaum hatte Sanna das ausgesprochen, als sie mit ihrem Supergehör mehrere Alarmanlagen aus der Stadt hörte. Gleich darauf schrillten Polizeisirenen. Schüsse fielen und Menschen riefen um Hilfe. Kopfschüttelnd wandte Sanna sich ab. "Gehen wir zurück zum »Planet«. Falls wir überhaupt dorthin gelangen können."
Max sah sie erstaunt an. "Warum sollten wir nicht?"
"Weil ich denke, dass in der Stadt die Hölle los ist." Mit diesen Worten verließ sie das Flughafengebäude.
Sanna sollte Recht behalten. Die Strassen waren voll von Autos. Durch die Überfälle waren mehrere Autofahrer in Panik geraten und hatten Unfälle verursacht. Menschen rannten die Strassen entlang auf der Suche nach einem sicheren Unterschlupf. Es war, als wäre ein Krieg eingeläutet worden.
Fassungslos sah Max aus dem Fenster des Taxis. "Was ist denn hier passiert?" fragte er den Fahrer.
Der drehte sich erstaunt um. "Wissen Sie das nicht? Das geht jetzt schon seit zehn Stunden so. Seitdem heraus ist, dass Superman nicht mehr hier ist, ist in Metropolis die Hölle los. Und ich wette", unkte er, "in New York und auf der ganzen Welt ist es ebenso."
Sanna öffnete bei der nächsten roten Ampel die Autotür und stieg aus. "Komm mit", forderte sie Max auf. "Wir laufen. Zu Fuß sind wir auf jeden Fall schneller."
Wortlos folgte ihr Max. Als sie auf der Strasse standen, sagte er: "Du hast es gewusst!"
"Es war zu erwarten. Die Unterwelt hat doch nur darauf gewartet."
"Und jetzt holt sie das nach, was Superman stets verhindert hat. Es ist zum Kotzen." Er nahm Sanna am Arm und führte sie die Strasse entlang. "Ich will nicht, dass Du mitten am helllichten Tag erschossen wirst", erklärte er ihr. "Je eher wir im »Planet« sind, desto besser."
Sanna nickte. Max hatte mit seiner Befürchtung nicht Unrecht. Sie war jedoch eher um Max Leben besorgt als um ihres. Schließlich konnten ihr die Kugeln nichts anhaben. Unverwundbarkeit konnte äußerst praktisch sein.
Eine knappe Stunde später erreichten die beiden Reporter das Redaktionsgebäude. Zu Sannas Erleichterung waren sie auf dem Weg dorthin weder von einem Verrückten als Geiseln festgenommen worden noch mussten sie irgendwelchen Kugeln ausweichen. Aber sie hatten mehrere Umwege in Kauf nehmen müssen, weil die Polizei etliche Straßensperren errichtet hatte. Es war so, wie Max es gesagt hatte: Kaum hatten die kriminellen Subjekte erfahren, dass Superman nicht eingreifen würde, waren sie wie die Ratten aus ihren Löchern geschlüpft.
Jimmy begrüßte sie sichtlich nervös in seinem Büro. "Wenn ich gewusst hätte, was auf den Artikel hin passiert, hätte ich ihn nicht freigegeben", erklärte er seinen beiden Reporter, als sie vor ihm standen.
"Wenn der »Planet« es nicht getan hätte, dann jemand anderes", versuchte Max ihn zu beruhigen. "Sie hätten nicht anders handeln können - schließlich versuchen Sie nur eine Zeitung zu machen."
"Es ist doch sowieso egal, wer die Nachricht bringt." Sanna sah aus Jimmys Bürofenster. Sie fühlte sich müde. Das Gefühl, von versteckten Geistern beobachtet zu werden, wurde immer stärker. Und die jüngsten Entwicklungen waren auch nicht gerade geeignet, sie zu beruhigen. Seufzend blickte sie einigen Polizeiautos nach, die mit eingeschalteten Sirenen am Gebäude vorbeifuhren. "Die ganze Welt weiß, dass Superman fort ist."
Der Chefredakteur stellte sich neben sie. "Aber wo ist er?"
"Das ist unser Stichwort, Chef", sagte Max. Abwechselnd mit Sanna erklärte er Jimmy Olsen, was sie bis jetzt erfahren hatten. "Mir ist nur unbegreiflich, wie die Schuldigen es geschafft hatten, Superman aus dem Verkehr zu ziehen", schloss Max seinen Bericht.
"Kryptonit?" fragte Jimmy nachdenklich.
Über Sannas Rücken ging eine Schauer. Sie kannte die verheerende Wirkung des Kryptonits nur zu gut. Das Gefühl der Schwäche und des Schmerzes verfolgte sie noch immer - dabei war es schon fast zwei Jahre her, dass jemand versucht hatte, sie damit umzubringen. Nicht auszudenken, wenn ihr Vater damit aus dem Weg geräumt worden war.
Max schien Ähnliches zu denken. "Malen Sie den Teufel nicht gleich an die Wand", sagte er trocken. "Man muss ja nicht gleich an das Schlimmste denken." Er warf Sanna einen kurzen Blick zu. Als sie schwieg, fügt er hinzu: "Wir müssen Superman finden. Koste es was es wolle."
"Das wird nicht leicht sein." Mit einer ausschweifenden Handbewegung zeigte er auf die stillen Redaktionsräume. "Es tritt demnächst eine Ausgehverbot in Kraft. Wie Ihr seht, ist keiner mehr hier." Er lachte trocken auf. "Auf Anordnung der Bürgermeisterin. Wenn ab heute Abend jemand auf der Strasse aufgegriffen wird, kommt er in Polizeigewahrsam. Ausnahmen gelten nur für Krankenwagen."
"Wie lange gilt das Verbot?" fragte Sanna.
"Bis die Situation unter Kontrolle ist. Wenn ich jedoch sehe, wie hilflos die Polizei ist, sehe ich schwarz für die nächsten Tage. Bis dahin wird kein Tag vergehen, an dem nicht Gewalt und Verbrechen die Oberhand behält"
Versonnen blickte Sanna in den Himmel. "Es sei denn, Superman taucht plötzlich wieder auf und schafft Ordnung!" sagte sie langsam.
"Sicher - aber dann brauchst du die Story auch nicht zu schreiben."
Max warf Sanna einen langen und nachdenklichen Blick zu. Er meinte, Sanna lange genug zu kennen. Und so, wie sie jetzt aussah, hatte sie etwas vor. "Du hast eine Idee." Es war eine Feststellung, die keinen Widerspruch duldete.
"Nein - Ja!" Sanna drehte sich zu ihm um. "Ich muss darüber nachdenken."
"Erzählst Du es mir?"
"Auf keinen Fall." Energisch schüttelte sie den Kopf. "Das ist etwas, was ich keinem anvertrauen kann."
"Auch nicht Deinem Partner?" fragte er scharf.
"Nein." Sie wandte sich an den Chefredakteur. "Ich gehe jetzt nach Hause. Morgen melde ich mich wieder." Die Männer - den einen verdutzt, den anderen wütend - zurücklassend, verließ Sanna das Büro. Auf dem kürzesten Wege ging sie zurück in ihre Wohnung und schloss sich dort ein. Sie hatte etwas gründlich zu überdenken.
Dieser Autor möchte Reviews nur von registrierten Nutzern erhalten. Bitte melde dich an, um einen Review für diese Geschichte zu schreiben.