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Eiskalt

Kurzbeschreibung
GeschichteKrimi / P16 / Gen
16.06.2011
08.09.2011
24
31.672
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16.06.2011 3.257
 
„Manchmal hasse ich meinen Beruf.“
„Ach was!“
„Du weißt ja, normalerweise habe ich kein Problem mit dem, was wir machen, aber bei so was…“
„Hättest du lieber den Job von Doktor Watkins?“
„Um Gottes Willen, nein!“ Detective Lupo Wellington lachte. Doch dann wurde er sofort wieder ernst. „Kann ihn jetzt mal jemand zudecken bis Watkins kommt? Die Leute gucken sich schon die Hälse krumm.“, rief er in die Menge an Polizisten.
Hinter den rot-weißen Absperrbändern hatte sich eine Horde Schaulustiger zusammengerottet, sie versuchten, einen Blick auf den Toten zu erhaschen, der im Licht der Polizeischeinwerfer auf dem Bürgersteig lag.
„Tja, die sind nicht so zimperlich wie du.“, feixte Detective Arnold Baker, Wellingtons Partner.
„Ha ha. Du bist ja heute wieder gut drauf.“
„Und du lässt dir deine Laune noch zusätzlich durch den Kerl hier vermiesen.“
„Ich mag nun mal nicht, wenn sich das Gehirn außerhalb des Kopfes befindet.“
„Ach komm, das bist du doch gewöhnt.“ Baker sah Wellington von der Seite an und grinste schief. Ein Officer deckte den Leichnam ab und die Menge der Gaffer lichtete sich.
„Ts!“, sagte Wellington abfällig. „Kaum ist die Leiche weg, wird´s uninteressant.“
„Du kennst doch die Leute.“, murmelte Baker, während er seinen Notizzettel aus der Manteltasche kramte. „Eine Leiche sieht man nicht jeden Tag.“
„Ich hätte Zivilist bleiben sollen.“, nuschelte Wellington. „Wenn die meinen Job hätten, würden die das ganz anders sehen.“
„Lupo, ich habe auch deinen Job. Und so schlimm find’ ich es gar nicht.“
„Du bist ja auch nicht normal.“
Baker grinste. „Sagst du das, weil ich schwarz bin? He? Sind Schwarze für dich etwa nicht normal?“ Er lachte herzhaft.
Wellington schlug ihm auf die Schulter und schmunzelte. Die Schwarzen-Witze machte Arnold, nicht er. Er hatte viel zu viel Respekt vor seinem Partner, um sich über seine Hautfarbe lustig zu machen, selbst, wenn es nicht ernst gemeint war. Aber Arnold J. Baker war sehr intelligent, ein großartiger Ermittler und zudem noch ein klasse Typ, immer gut drauf, selbst dann, wenn jemand mit zermatschtem Hirn auf der Straße lag.
„Du, ich werd’ jetzt mal mit den Officers reden, die zuerst hier am Tatort waren. Vielleicht sind ja noch ein paar Zeugen in der Nähe. Wenn einer am frühen Abend vom Himmel fällt, wird das ja wohl jemand gesehen haben.“, sagte Wellington.
„Willst du dir nicht lieber noch mal die Leiche angucken?“
„Nein, danke, das überlasse ich gern dir.“, rief Lupo Baker über die Schulter zu. Bloß weg von dem Toten. Er hatte sich noch nie an einem Tatort übergeben und er hatte auch nicht vor, in absehbarer Zeit damit anzufangen.
Zwei Officers von der Streife waren als erste am Tatort eingetroffen, noch bevor ein Notruf in der Zentrale eingegangen war. Sie hatten eine Menschenmenge bemerkt, berichtete ein junger Officer namens Petersen, und wollten nachsehen, was da los war. Gut zwei Dutzend Menschen hatten um den Toten herumgestanden und keiner war auf die Idee gekommen, die Polizei zu rufen.
Typisch!, dachte Wellington. Bloß nicht handeln, nur gucken. Wenn man die Polizei ruft, räumen sie die Leiche weg. Innerlich schüttelte er sich ob der Unmenschlichkeit, die im Allgemeinen herrschte.
„Sind noch Zeugen da? Hat jemand gesehen, wo er hergekommen ist?“, fragte Lupo.
„Ja“, antwortete Officer Petersen. „Eine Frau, die gegenüber wohnt, will gesehen haben, dass er aus einem Fenster dieses Hotels gefallen ist. Alle anderen haben ihn erst bemerkt, als er auf den Asphalt geknallt ist.“
„Danke… Wo ist diese Zeugin?“
Officer Petersen deutete auf eine Dame um die Sechzig, sie im Bademantel an einem Streifenwagen stand und sich mit einer jungen Polizistin unterhielt, wahrscheinlich war es eine der Polizeipsychologinnen. Wenn das mit seinem Job so weiterging, dachte Lupo, würde er auch bald bei ihr landen.
Die Zeugin berichtete, dass der Tote aus einem der Zimmer des Hotels gesprungen war.
„Gesprungen? Sind Sie da sicher?“
„Aber ja!“, antwortete die Lady. „Er ist auf das Fensterbrett gestiegen und heruntergesprungen.“
Lupo Wellington sah an der Fassade des Hotels hinauf. Wer aus dem Fenster springt, will meistens seinem Leben ein Ende setzen, dachte er. Selbstmord wäre also eine Möglichkeit. Ungewöhnlich war jedoch, dass es ein Fenster im dritten Stock war. Mit Glück konnte man so was überleben, und da Selbstmörder diese Möglichkeit normalerweise zu umgehen versuchten, sprangen sie eher aus Fenstern, die weitaus höher lagen, oder gleich vom Dach.
Lupo wandte sich noch einmal an die Zeugin.
„Haben Sie danach noch etwas beobachtet?“
Die Zeugin schüttelte entschuldigend den Kopf. „Nein, ich bin gleich hinuntergegangen auf die Straße.“
„Vielen Dank für ihre Mithilfe. Gleich wird ein Officer zu ihnen kommen…“. Er winkte Petersen zu sich. „… der wird ihre Daten aufnehmen, falls wir noch Fragen haben sollten.“ Die Dame nickte freundlich.
Doktor Watkins war mittlerweile bei Arnold eingetroffen und untersuchte den Toten, einen Mann mittleren Alters, von dessen Gesicht nicht mehr viel zu erkennen war. Er trug lediglich Socken und eine Unterhose. Ansonsten war er zur genüge von Blut bedeckt.
Doktor Jacques Watkins erhob sich gerade und erblickte Lupo.
„Na, Wellington, Sie trauen sich hierher?“ Die beiden trafen sich nicht oft, weil Lupo nie in die Gewölbe der Gerichtsmedizin hinunterging. Einmal war er dagewesen. Zu viele Gerüche, geöffnete Leichen… Er hatte einfach einen empfindlichen Magen. Selbst wenn Watkins am Tatort die erste Leichenschau durchführte, war Wellington nicht gern dabei. Zum einen, weil er nicht gern Blut sah, und meistens gab es an Tatorten viel davon, und zum anderen weil er den Gerichtsmediziner nicht besonders gut leiden konnte. Watkins war ein schmieriger Typ und unglaublich zynisch. Am liebsten machte er sich über Lupo lustig, aus den gegebenen Gründen.
Arschloch!, dachte Wellington.
Er wusste, was gleich kommen würde, deshalb steckte er schon jetzt auf dem Weg zu Watkins und Baker die Hände in die Hosentaschen.
Wie erwartet streckte Doktor Watkins ihm die Hand entgegen, die in einem Blutverschmierten Gummihandschuh steckte. Lupo sah erst auf die Hand, dann auf den grauen Schnurrbart des Doktors.
„Hallo, Doc.“
„Ach ja!“, rief Watkins gespielt überrascht. „Verzeihen Sie, Wellington.“, sagte er und zog sich die Handschuhe aus. „Ich hatte glatt vergessen, dass Sie Angst vor Blut haben.“
Arschloch!, dachte Wellington wieder. Er sah zu Arnold herüber, der ihm einen mahnenden Blick zuwarf. Jeder wusste von den Disparitäten zwischen dem Detective und dem Gerichtsmediziner, denn als der Doktor den Trick mit dem Handschuh zum ersten Mal an Wellington ausprobiert hatte, war der noch darauf reingefallen. Arglos hatte er den von Watkins angebotenen Handschlag erwidert und die ganze Hand voll Blut gehabt. Wenn Arnold ihn damals nicht zurückgehalten hätte, wäre Lupo auf den Gerichtsmediziner losgegangen. Der „hysterische Anfall“, wie das halbe Präsidium Wellingtons Reaktion auf das Blut betitelte, gab immer wieder Anlass, sich über ihn lustig zu machen. Gut, er hatte zwar geschrieen wie ein kleines Kind, aber eigentlich stand er darüber. Nur bei Watkins musste er sich zusammenreißen.
„Können Sie uns schon was zu dem Toten sagen?“, fragte Lupo beherrscht.
„Er ist tot. Aber das haben Sie sicher auch schon festgestellt. Wer so viel Blut verliert…“
„Doc!“, mahnte Baker.
Beschwichtigend hob der Arzt die Hände und grinste Wellington an.
„Schon gut, ich hör’ ja schon auf. Ich denke, er ist durch den Aufprall gestorben, er ist seitlich auf das Gesicht gefallen.“
Er deutete auf den Kopf des Toten, an eine Stelle, an der wohl einmal ein Auge gewesen war. Das Auge lag neben ihm auf der Erde. Angewidert wendete Lupo sich ab.
„Er war also noch am Leben, als er aufgeschlagen ist?“, fragte Baker und sah Wellington besorgt an. Lupo hob die Hand. Alles okay!
„Ich gehe davon aus.“, erklärte Doktor Watkins. Er fing an, an den Händen und Unterarmen herumzudrücken. „Er hat zahlreiche Knochenbrüche an den Armen. Hören Sie das?“ Es knackte, als er die Hände drückte. Lupo wurde schlecht.
„Er hat versucht, den Sturz abzufedern und sich dabei die Arme gebrochen. Wer sich noch schützen will, wenn er zu fallen droht, lebt im Allgemeinen noch. Genaueres kann ich ihnen nach der Obduktion sagen.“
„Danke.“, sagte Arnold und klopfte dem Doktor anerkennend auf die Schulter. „Sie können ihn dann mitnehmen.“
„Ab morgen Mittag bin ich für sie ansprechbar, was den Kerl angeht. In den letzten Tagen gab’s nicht besonders viel zu tun.“ Doktor Watkins winkte zwei junge Assistenten, wahrscheinlich Studenten, herbei und sie machten die Leiche zum Abtransport bereit.
„Ich hasse diesen Schleimbeutel.“, murrte Lupo, als Watkins außer Hörweite war.
Baker sog scharf Luft ein. „Lupo, du bist ein guter Polizist. Ich weiß das, du weißt das, und ich denke, Doc Watkins weiß das auch.“
„Hm-hm…“
Die beiden liefen zum Eingang des Hotels.
„Die Zeugin sagt, er sei aus einem der Fenster hier gesprungen.“, erklärte Wellington. „Aus dem dritten Stock, sagte sie. Und sie war sich sicher, dass er gesprungen und nicht gefallen ist.“
„Selbstmord?“, fragte Arnold. Dann fiel ihm etwas ins Auge. „Lupo, siehst du das Fenster da? Im dritten Stock, das zweite von rechts?“
„Ja… Die Vorhänge wehen heraus. Sieht so aus, als hätten wir sein Zimmer gefunden.“
Es war in diesem Oktober bisher noch ungewöhnlich warm gewesen, doch jetzt kam ein rauer, kühler Wind auf, der von der baldigen Ankunft des Herbstes zeugte. Weinrote Vorhänge, schwere Vorhänge, wehten durch das geöffnete Fenster.
„Dann lass uns mal hochgehen.“, schlug Baker vor. „Vielleicht finden wir ja da oben einen Abschiedsbrief oder so was.“
„Abschiedsbrief?“
„Na klar. Sieht doch nach Selbstmord aus.“
Wellington verzog das Gesicht. „Schon… Aber irgendwas passt nicht an der Sache. Warum springt er „nur“ aus dem dritten Stock, wenn er sich umbringen will? Und wer zieht sich dafür bitte bis auf die Unterwäsche aus?“
Arnold nickte bedächtig. „Du hast Recht, das ist schon seltsam. Aber vielleicht finden wir ja dort oben ein paar Hinweise.“
Beide betrachteten das Hotel.
„’Roaring Twenties’“, las Wellington vor. „Was ist das für ein Laden?“
„Hast du da noch nie was von gehört?“
„Nein, du?“
„Klar.“, sagte Baker und nickte. „Das ist so ´ne Art Nostalgie-Hotel. Da ist alles wie in den Zwanzigern. Steht in jedem guten New York City-Reiseführer. Das ist die reinste Attraktion, vor allem für Vereine und so was.“
„Und woher kennst du das?“
„Meine Schwägerin ist in so ’nem Liebhaberverein.“, antwortete Arnold und zog eine Grimasse. Dann machte er sich auf den Weg über einige Stufen ins Foyer. Mit seinen langen Stelzenbeinen sieht er immer ein bisschen aus wie ein Storch im Blumenbeet, dachte Lupo und grinste. Arnold drehte sich auf dem Treppenabsatz um.
„Was grinst du denn so?“
„Ach, nichts.“, antwortete Wellington und eilte die Stufen hinauf hinter seinem Kollegen her. Links und rechts des Eingangs befanden sich zwei große, gusseiserne Käfige, in denen jeweils ein Pfau saß. Der Raum war schummrig, die Decken hoch, die Türen, die aus dem Foyer herausführten, waren dunkel und klobig. Der Duft eines schweren, herben Parfums lag in der Luft. Ein junger Mann stand an der Rezeption. Ein Pinguin mit Mittelscheitel!, dachte Lupo.
„Kann ich ihnen helfen, Gentlemen?“
Arnold und Lupo warfen sich amüsierte Blicke zu.
„Wir würden gern mit dem Chef sprechen.“, sagte Arnold höflich.
„Die Chefin ist leider gerade verhindert.“, antwortete der Rezeptionist und fing an, Papiere zu ordnen. Lupo hielt ihm seine Dienstmarke unter die Nase.
„Ein Mann ist aus einem Fenster dieses Hotels in den Tod gesprungen. Wir wollen jetzt mit der Chefin reden.“
Der Mann schien beeindruckt und rief über ein Telfon mit Wählscheibe seine Chefin an.
„Sie wird gleich bei Ihnen sein.“, sagte er mit zittriger Stimme. Lupo zog die Augenbrauen hoch. „Geht doch.“
Nach kurzer Zeit erschien eine ältere Dame bei den Detectives.
„Mein Name ist Edith Mortell, ich betreibe dieses Hotel. Wenn Sie mir bitte in mein Büro folgen wollen.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, ging sie Lupo und Arnold voran in ein geräumiges Büro. Sie bedeutete den beiden, sich zu setzen, und Baker kam der Aufforderung gern nach. Wellington hingegen blieb lieber stehen und sah sich erst einmal im Raum um.
„Was kann ich für Sie tun, Detectives?“, fragte Edith Mortell, während sie hinter ihrem Schreibtisch Platz nahm.
„Vielleicht haben Sie mitbekommen, dass vor ihrem Hotel ein toter Mann liegt.“, erklärte Baker mit leicht vorwurfsvollem Tonfall. „Eine Zeugin sagte, er sei aus einem ihrer Fenster gesprungen.“
„Halten Sie das für möglich?“, fragte die Hotelchefin neugierig. Selbst ein Taubstummer hätte gemerkt, dass sie schauspielerte. Wellington, der gerade einige alte Fotografien des Hotels an der Wand betrachtete, verdrehte die Augen.
„Wir nehmen an, dass es einer ihrer Gäste ist, ja.“, antwortete Baker höflich. Lupo hörte, wie schwer es seinem Partner fiel, cool zu bleiben. „Wir würden gern das Zimmer des Gastes sehen.“
„Um welchen Gast handelt es sich denn?“, fragte Miss Mortell und zupfte einen Flusen von ihrem altrosa Kostüm.
„Das wissen wir nicht, er hatte keine Papiere bei sich, er war fast nackt. Und sein Gesicht ist zerfetzt.“, sagte Lupo ohne sich von der Büste eines ihm unbekannten Mannes abzuwenden.
„Oh.“, sagte die Chefin schnell. „Wie kann ich Ihnen dann helfen?“
„Das Zimmer des Gastes ist wahrscheinlich im dritten Stock und das Fenster ist von vorne das zweite von rechts.“, warf Arnold ein.
Edith Mortell dachte kurz nach. „Zimmer 38. Ich werde Ihnen den Weg zeigen.“
Sie führte die Detectives zurück zur Rezeption. Bevor er das Büro verließ, fiel Lupos Blick auf ein riesiges Gemälde über der Tür. Viel verstand er nicht von Kunst, aber seine Exfreundin war Kunsthistorikerin gewesen. Drei Monate Beziehung hatten genügt, um Lupo einen Monet erkennen zu lassen. Dies hier war eindeutig einer. Ob er echt war, konnte Wellington natürlich nicht erkennen, selbst wenn er alle Zeit der Welt gehabt hätte, um das Bild zu betrachten. Aber falls es ein echter Monet war, war dieses Gemälde unbezahlbar.
An der Rezeption ließ sich die Chefin den Schlüssel zu Zimmer 38 aushändigen und führte die Detectives dorthin. Sie fuhren mit einem furchtbar engen Fahrstuhl und standen bald vor dem Zimmer.
„Hier wohnt im Moment ein gewisser Paul Meyner.“, sagte Edith Mortell und klopfte. „Mister Meyner! Öffnen Sie bitte die Tür!“
Es geschah nichts.
„Na los.“, drängte Arnold.
„Ich möchte die Privatsphäre meines Gastes nicht verletzen.“
Lupo schob die Chefin ungeduldig zur Seite und bollerte gegen die Tür. „Mister Paul Mayner, NYPD, öffnen Sie sofort die Tür!“
„Wer jetzt nicht öffnet, ist nicht da.“, erklärte Baker der entrüsteten Miss Mortell.
„Ja.“, bestätigte Wellington. „Oder tot.“
Arnold deutete auf den Schlüssel in den Händen der Chefin. „Jetzt machen Sie endlich auf. Mein Kollege tritt sonst die Tür ein. Das kostet sie dann die Reparatur.“
Miss Mortell blickte erst Arnold giftig an, dann Lupo. Der schenkte ihr das schönste, schleimigste Lächeln, das er aus sich herauszaubern konnte.
Widerwillig öffnete die Hotelchefin die Tür.
„Danke, Sie können jetzt gehen.“, sagte Arnold, als Lupo schon ins Zimmer rauschte. Das Fenster war weit geöffnet, die dunklen Gardinen wehten heraus. Das Bett war gemacht, auf der Decke lagen Hose, Hemd und Gürtel, vor dem Bett standen ein paar Schuhe.
„Belmondo.“, erkannte Lupo. Er und Arnold zogen sich Gummihandschuhe über und fingen an, das Zimmer zu untersuchen. Baker sah sich das Fensterbrett und die Gardinen an. Eine der Gardinen war an der Aufhängung teilweise aus den Gardinenringen gerissen.
Lupo untersuchte die Kleidung, die auf dem Bett lag, konnte jedoch keine Hinweise auf die Identität des Toten finden. Im Kleiderschrank fand er einen Koffer, in dem eine Brieftasche lag.
„Arnold! Komm’ mal her!“
Baker kam aus dem Badezimmer. „Was gefunden?“ Lupo hielt die Geldbörse in die Höhe.
„Laut Ausweis Paul Meyner, geboren 21. Februar 1969. Nettes Lichtbild, aber im Moment hilft es uns nicht weiter.“, sagte Wellington.
„Irgendwelche Medikamente im Koffer?“, fragte Baker.
Lupo schüttelte den Kopf.
„Im Bad auch nicht. Einen Abschiedsbrief oder so gibt es auch nicht. Wir schicken am besten die Spurensicherung mal her, damit die hier mal alles richtig auf den Kopf stellen.“
„Und wir fahren aufs Revier und versuchen, rauszufinden, wer Paul Meyner ist.“
Arnold nickte. „Watkins soll einen Zahnabdruck machen und überprüfen, ob er’s wirklich ist.“
Lupo bestellte die Spurensicherung her und die beiden Detectives warteten, bis die Kollegen eintrafen. Die Männer in den weißen Anzügen machten sich gleich ans Werk.
„Untersucht bitte zuerst das Fenster auf Fingerabdrücke oder Fußabdrücke.“, wies Arnold sie an. „Wir müssen wissen, wie er aus diesem Zimmer herausgekommen ist.“
Wellington stand schon in der Tür. „Los jetzt, Arnold.“
„Ja ja…“, rief Baker und lief mit seinem Partner den Gang entlang.
„Was hältst du von dieser Chefin?“, fragte er, als sie auf der Treppe waren.
„Hm?“, Lupo zog eine Augenbraue hoch.
Baker schnalzte mit der Zunge. „Sie kommt mir spanisch vor. Ich traue ihr nicht über den Weg. Die war so unkooperativ.“
„Ach, sag bloß, das ist dir auch aufgefallen.“ Grinsend ging Lupo an dem Rezeptionisten vorbei. Draußen auf der Straße fiel ihm plötzlich etwas ein.
„Was hältst du davon, wenn ich dieses Etablissement…“, er deutete auf das Hotel. „… mal unter die Lupe nehme?“
„Du hast keinen Durchsuchungsbefehl.“, erwiderte Arnold und schnippte mit dem Finger.
Wellington blickte auf die dunkle Stelle auf dem Bürgersteig, an der vorhin noch die mutmaßliche Leiche von Paul Meyner gelegen hatte. Auf dem Asphalt erkannte er immer noch Gehirnmasse. „Na und?“, fragte Lupo und atmete tief durch. „Ich brauch’ doch keinen Durchsuchungsbefehl, um mir ein Hotel anzusehen.“
„Denk dran.“, mahnte Arnold. „Die Chefin war nicht besonders begeistert von unserem Besuch. Die wird dich nicht mit offenen Armen empfangen.“ Sie gingen zum Auto, um aufs Revier zurückzukehren.
„Zahlende Kundschaft wird überall gern gesehen.“, sagte Wellington und zog seinen Mantel zu. Es war kalt und dunkel geworden an diesem bisher so freundlichen Oktobertag.
„Du willst dich da einquartieren?“, fragte Baker und setzte sich in den Wagen.
Sein Partner zog die Tür zu und drückte auf den Knopf der Klimaanlage. „Klar. Bei mir wird grad renoviert. Eigentlich wollte ich in dem kleinen Motel um die Ecke absteigen, aber bis hierhin ist es auch nicht sehr viel weiter.“
„Ach ja!“, erinnerte sich Arnold. „Zwei Blocks von hier ist deine Bude, richtig?“
„Exakt. Und mir werden grad alle Fenster erneuert von wegen Energieeffizienz und so.“
Baker lachte. „Ich wünsch’ dir viel Spaß mit der bärbeißigen Chefin von dem Laden.“

Als Lupo und Arnold aufs Revier zurückkehrten, wurden sie schon von ihrem Chef, Lieutenant Jackson McCormack, empfangen.
„Polytrauma-Leiche, wie war’s?“
„Ganz gut.“, antwortete Arnold und nahm an seinem Schreibtisch Platz. Lupo holte sich einen Kaffee, der zwar nicht schmecken, aber wenigstens warm sein würde.
„Wir haben einige Hinweise auf die Identität des Toten.“, fuhr Arnold fort.
„Ach, das meine ich doch gar nicht.“, erwiderte McCormack und grinste. „Ich meine, wie haben Sie das überlebt, Wellington?“ Er lachte herzhaft und hielt sich den etwas zu umfangreichen Bauch.
Lupo verschluckte sich an seinem Kaffee und verbrannte sich die Zunge. „Heiß!“
Arnold unterdrückte ein Grinsen und klärte seinen Vorgesetzten weiter über die bisherigen Ermittlungsergebnisse auf.
„Wir denken, dass es sich um einen gewissen Paul Meyner handelt. Das können wir aber erst mit Sicherheit sagen, wenn wir die Zahnunterlagen verglichen haben, vorausgesetzt, davon ist noch genug übrig in seinem zerstörten Gesicht.“
„Dann werde ich mal die zahnärztlichen Unterlagen von diesem Meyner anfordern.“ McCormack machte sich eine Notiz.
„Was hat Doc Watkins gesagt, wann er fertig sein wird mit der Obduktion?“
„Morgen irgendwann.“, sagte Arnold, während Lupo seinen Kaffee in seine alte Zimmerpflanze schüttete.
„Dann machen wir morgen weiter. Heute können wir nichts mehr erreichen. Wir setzen erst die Angehörigen des Toten in Kenntnis, wenn wir sicher sein können, wer er ist.“ McCormack ging zurück in sein Büro.
„Sie haben sich Ihren Feierabend verdient.“, rief er über die Schulter zurück und blieb dann in der Tür stehen. „Besonders Sie, Wellington. Ich bin stolz auf Sie!“
„Ich auch.“, gab Lupo zurück. „Ich hab auch nur drei Minuten geheult, fragen Sie Baker, der kann Ihnen das bestätigen.“
Arnold und McCormack lachten.
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