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Der Friedhof der Unschuldigen

von LadyAthos
Kurzbeschreibung
GeschichteAbenteuer / P16 / Gen
06.06.2011
04.11.2011
15
34.198
 
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06.06.2011 3.256
 
OT: Den genannten Friedhof der Unschuldigen gab es in Paris tatsächlich, er existierte bis ungefähr 1780, als er geschlossen wurde, weil einige Bürger an den Ausdünstungen von Fäulnisgasen erstickt waren. Ich fand es interessant, den Friedhof einmal in eine FF einzubauen, weil es ihn eben zur Zeit unserer Helden noch gab. Lasst euch einfach mal überraschen, was ich in der FF noch so alles an Überraschungen bereithalte;)
Und dort trieben sich wirklich nachts Prostituierte, Taschendiebe, und andere zwielichtige Gestalten der damaligen Zeit herum.

Paris, Cimetière des Innocents, 1. November 1628

Kalt und diesig war es in der Stadt an diesem ersten Tag des Monats November, von der Seine her war dichter Nebel aufgezogen.
Trotz des trüben und eisig kalten Wetters füllten sich an diesem Tag die Straßen schon früh mit Menschen. Wie jedes Jahr am ersten November waren fast alle Paris Bürger unterwegs um sich an den Gräbern ihrer Angehörigen zu versammeln.
An diesem Tag traf man auf Paris größtem Friedhof Angehörige aller Gesellschaftsschichten:
Feine, altehrwürdige Herren in dunklen Samtanzügen mit runden weißen Kragen, ehrwürdige Matronen, ebenfalls in schwarz gekleidet, schritten gemessen nebeneinander her.
Ärzte mit breitkrempigen schwarzen Hüten, Kaufleute, Mägde, Knechte, Tagelöhner, Priester, Nonnen, Mönche, königliche Kammerdiener, und auch ein paar Musketiere, die Angehörige auf dem Friedhof liegen hatten, unter ihnen auch Treville, dessen Schwester hier begraben lag, sie alle bewegten sich in eine Richtung auf das rechte Seineufer zu.
Und je näher die Menschenmenge dem Cimetière des Innocents( Friedhof der Unschuldigen), wie er von allen Pariser Bürgern genannt wurde, näherte, umso größer wurde das Gedränge. Überall am Straßenrand hatten zerlumpte, oft bis auf die Knochen abgemagerte Bettler, Position bezogen, und streckten den Vorübergehenden bittend die dünnen Arme entgegen. Sie alle wussten, dass an diesem Tag die Almosen reichlicher fließen würden als sonst, weil fast jeder ein gutes Werk tun, und den armen einen Sou oder gar eine ganze Pistole spenden wollte, um seinen Angehörigen damit womöglich die Zeit im Fegefeuer zu verkürzen. Auch wenn am unmittelbar an den Friedhof angrenzenden Fischmarkt an diesem Feiertag kein Fisch verkauft wurde, und die Buden leer dastanden, wehte ein fischiger Geruch zum Friedhof hinüber, den auch die kalte Luft nicht ganz hinwegzutragen vermochte.

Treville ging zusammen mit d ártagnan und Athos,  die ihn an diesem Tag auf den Friedhof begleiteten, damit er diesen für ihn jedes Jahr aufs neue so traurigen Gang nicht alleine antreten musste, zum Grab seiner geliebten Schwester, die vor über zehn Jahren im Kindbett verstorben war, und hier zusammen mit ihrem tot geborenen Sohn begraben lag. Der Schmerz saß bei Treville noch immer tief, und er seufzte traurig, als er mit den beiden Musketiere, die für ihn wie eigene Söhne waren, auf das Grab zuschritt. Sie waren bei den ersten, die den Friedhof, auf dem die Nonnen des nahgelegenen Hospitals nun gerade damit begannen, überall Kerzen aufzustellen und anzuzünden, betraten, hinter ihnen folgte eine große Menschenmenge.

Dann hielt eine der Nonnen plötzlich inne, und die Kerze, die sie gerade hatte anzünden wollen fiel ihr aus der Hand, als sie hinter einem Grabstein ein leises Wimmern vernahm, das beinahe wie das Weinen eines Säuglings klang. Der jungen Ordensschwester liefen eisig kalte Schauder über den Rücken, und sie ergriff zitternd die Hand einer zwanzig Jahre älteren Mitschwester.
"Schwester Mathilde, ich hab Angst, ich glaub hier spukt es..."
"Unsinn, mein Kind, hier gibt es keine Geister"; wies die ältere Nonne sie zurecht, "wie kommst du denn nur auf so einen Unsinn?"
"Ich habs doch gehört, ein ganz leises Wimmern, es hörte sich wirklich unheimlich an"; meinte die junge Nonne, die kaum älter als sechzehn oder siebzehn sein konnte, und blickte ängstlich in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war, "da, da ists schon wieder, hört Ihr das nicht, Schwester Mathilde?"
Nun hörte auch die ältere Nonne das leise, verängstigt klingende Wimmern, das nun zunehmend lauter wurde.
"Das ist kein Geist, Jeanne"; erklärte Schwester Mathilde der Jüngeren, und ging dann in die Richtung, aus der das Gewimmer kam. Auf dem Friedhofsgelände gab es eine kleine Kapelle, wo man die Verstorbenen bis zu ihrem Begräbnis hineinlegte, und gerade im Winter kam es häufig vor, dass man sie wegen des gefronen Bodens nicht sofort begraben konnte, und ein paar Tage, wenn nicht gar Wochen warten musste.

Nun drängelte sich bereits eine dichte Menschenmenge auf den Friedhof, und sie musste sich mühsam einen Weg an den Gräbern vorbei an den trauernden Angehörigen bis zur Kapelle bahnen. Das Wimmern wurde indes immer lauter, klang nun beinahe wie das Heulen eines verängstigten Tieres.
Die Nonne lief an der Friedhofsmauer den Pfad zu der Kapelle entlang, und erschauderte, als ihr Blick auf ein Wandgemälde an der Mauer fiel, das Menschen aller Gesellschaftschichten mit dem als Skeletten dargestellten Tod tanzend zeigte. Sie hatte dieses Gemälde zwar schon öfters im Vorbeigehen angeschaut, doch jetzt, im Schein der auf dem Friedhof entzündeten Kerzen und von dichtem Nebel umhüllt, wirkte es besonders unheimlich.
Ein wenig mulmig war Schwester Mathilde schon zumute, als sie die kleine Kapelle betrat. Es dauerte eine Weile, bis ihre Augen sich an die Dunkelheit, die in dem fast zweihundert Jahre alten Gemäuer herrschte, gewöhnt hatte. Dann sah sie einen Körper auf dem harten Boden der Kapelle liegen, den Körper einer jungen Frau. Sie hatte sich in Embryonalstellung zusammengerollt, und das lange braune Haar hing ihr wirr ins Gesicht.
Als die Nonne näherkam, registrierte sie mit Entsetzen, dass das blaue Seidenkleid der jungen Frau, die kaum älter als einundzwanzig oder zweiundzwanzig sein konnte, mit Blut beschmiert und stellenweise grob auseinandergerissen war.
Das bedauernswerte junge Ding hielt die Arme über ihren entblössten Brüsten verschränkt, und zitterte am ganzen Leib.  Schwester Mathilde erkannte sofort, was diesem armen Ding zugestoßen sein musste, und sie empfand tiefes Mitleid mit ihr.
Dieses kostbare, ganz offensichtlich sehr teure Kleid, das die Dame da trug, wies sie womöglich eine der zahlreichen Prostituierten aus, die sich hier auf dem Friedhof in den Nächten, wenn sich sonst niemand herwagte, hier herumtrieben und nach Freiern suchten.
Der Friedhof der Unschuldigen wurde meistens von Bettlern, Prostituierten, und anderem Gelichter bevölkert, die hier nachts ungestört ihren Geschäften nachgehen konnten. Denn wer ausser ihnen wäre schon so verrückt, nachts freiwillig einen Friedhof aufzusuchen?
Schwester Mathilde beugte sich zu der Frau hinab, und nahm sie ganz vorsichtig in den Arm.
"Ist ja gut, jetzt kann dir nichts mehr passieren, du bist in Sicherheit..wer auch immer dir das angetan hat, er ist jetzt fort..."
Die Nonne spürte, dass der Körper der Frau sich eiskalt anfühlte, sie schien also schon lange hier auf dem kalten Boden gelegen zu haben. Womöglich schon seit der Nacht?
"Kommt, steht auf, ich bringe Euch ins Hotel Dieu, dort könnt Ihr Euch ausruhen und bekommt eine warme Suppe. Habt keine Angst, ich tue dir nichts, dir kann jetzt nichts mehr geschehen...."
Ganz behutsam strich sie der junge Frau über das wirre, braune Haar. Es war nicht das erste Mal, dass sie hier auf dem Friedhof eine Frau fanden, der Gewalt angetan worden war, und es erschütterte sie jedes Mal aufs Neue. Und die meisten Prostituierten wagten sich trotz der Gefahr immer wieder nachts alleine hierher, um ihrem Geschäft ungestört nachgehen zu können, und nicht selten endete das für diese armen Frauen böse.
"Armes kleines Ding...wer hat dir das nur angetan?"; meinte sie traurig, "eine Schande ist das..."
In ihren Augen war ein Mensch, der so etwas tat, kein Mensch mehr.
Da weiteten die sanften grünen Augen der jungen Frau sich, und ein Zittern durchzuckte ihren ganzen Körper. Sie klammerte sich an die Nonne und schluchzte hemmungslos, schniefte leise.
Es dauerte lange, bis sie sich wieder aus der Umarmung der Nonne löste.
"M...M...M..u..Muske...Musk..", stammelte die Frau, und in ihren Augen stand die blanke Angst.
"Schon gut, Kleines, du kannst ruhig reden, wer auch immer das war, er kann dir nichts mehr tun.."
"Musket...Musk...", stammelte die junge Frau erneut, und barg ihren Kopf dann schluchzend an der Brust der Nonne, "es..es war ein M..M..ein Musketier..."
Entsetzt starrte Schwester Mathilda die so übel zugerichtete junge Frau an. Ein Musketier des Königs sollte das getan haben? Im Allgemeinen hatten diese Männer ein großes Ehrgefühl und vergewaltigten auch keine Frauen, was Frauen betraf waren diese Männer in den meisten Fällen wahre Kavaliere, galant, höflich und stets von einem besonderen Charme.
Doch natürlich konnte man nie ausschliessen, dass einer dieser Männer aus der Reihe fiel und im Alkoholrausch oder im Zorn eine so schlimme Tat begangen hatte.
"Würdest du diesen Musketier wiedererkennen?"; wollte die Nonne von der noch immer verstört wirkenden jungen Frau wissen.
Tränen standen in den leuchtend grünen Augen, als sie zu der Nonne aufblickte.
"er...er...war von mittlerer, aber stattlich gebauter Gestalt...hatte ein edles Gesicht eine Adlernase und ein Brutuskinn...betrunken war er, richtig betrunken.."; brachte die Frau nun fast ohne Stammeln hervor.
Schwester Mathilda legte schützend ihre Arme um die noch immer zitternde Frau, und wiegte sie sanft hin und her, wie eine Mutter es mit ihrem Kleinkind macht.
"Wir werden zu Treville gehen, dem Hauptmann der Musketiere"; erklärte die Nonne ihr, "und er wird alle Musketiere antreten lassen, und falls derjenige, der dir das angetan hat, unter ihnen ist, dann Gnade ihm Gott...dann wird er seine gerechte Strafe erhalten.."
"Danke"; flüsterte die Frau und schmiegte sich schutzsuchend an die Nonne, und schluchzte laut, "wisst Ihr, ich hatte solche Angst...ich habe geschrien und geschrien, und er sagte, wenn ich den Mund nicht halte, dann hängt er mich auf....es war so schrecklich...und es tat so weh..."
"Ist ja gut, Kleines...er kann dir nichts mehr tun, und sei dir sicher, wir finden ihn, und dann bekommt er was er verdient, Gott wird für Gerechtigkeit sorgen."

Mittlerweile hatte das zunehmend lautere Schluchzen der jungen Frau weitere Friedhofsbesucher in Richtung Kapelle gelockt, die meisten waren neugierig und wollten sehen, woher dieses Wimmern kam.
Auch Treville, Athos und d ártagnan näherten sich nun der Kapelle, um zu sehen, ob vielleicht jemand ihre Hilfe brauchte, denn das Wimmern klang nach einer Frau, die Hilfe brauchte. Da das Grab von Trevilles Schwester nicht weit von der Kapelle entfernt lag, gehörten sie zu den ersten Neugierigen die dort ankamen.

Und dann sahen sie eine junge Frau mit wirrem Haar in einem zerissenen, blutverschmierten Kleid, die sich laut schluchzend und am ganzen Körper zitternd an eine Nonne mittleren Alters schmiegte.
Man sah sofort, was der armen Frau Schlimmes wiederfahren sein musste...
"Eine Schande ist das"; meinte Athos kopfschüttelnd, "die arme Frau...wer tut nur so etwas? Einen Mann, der einer Frau so etwas antut, sollte man sofort aufhängen lassen..."
"Da stimme ich dir voll und ganz zu, mein Freund"; meinte Dartagnan mit finsterer Miene, wie kann jemand nur so etwas tun? Die arme Frau, was hat sie alles durchmachen müssen.."

Immer mehr Menschen strömten zur Kapelle, um zu sehen was dort los war, und so war die arme Frau nun auch noch den neugierigen Blicken der Schaulustigen preisgegeben."
"Macht dass ihr wegkommt"; sagte Athos verärgert zu den Leuten, "hier gibt es nichts zu glotzen, die arme Frau hat genug gelitten...geht nach Hause..."
Da blickte die Nonne zu ihnen auf, noch immer hatte sie beide Arme schützend um die schluchzende, zitternde Frau gelegt.
Sie kannte Treville flüchtig vom Sehen her, wusste dass er jedes Jahr das Grab seiner Schwester besuchte.
"Hauptmann Treville, die Frau sagt, das hätte einer von Euren Musketieren ihr angetan..."
Als Treville das hörte, schüttelte er energisch den Kopf.
"Von meinen Musketieren würde niemand so etwas tun, Schwester, da bin ich mir sicher, ich würde für meine Männer die Hand ins Feuer legen. Da muss die Frau sich geirrt haben...oder irgendjemand hat eine Musketieruniform gestohlen..."
Unbeirrt blickte Schwester Mathilda dem Hauptmann in die Augen.
"Sie konnte den Mann sogar genau beschreiben..er war von mittlerer, aber stattlich gebauter Gestalt, edles Gesicht mit Adlernase und Brutuskinn, dunkles Haar."
Dann fiel der Blick der Ordensschwester auf  den neben Treville stehenden Athos, und sie runzelte leicht die Stirn, sagte aber nichts. Schwester Mathilde war sofort die Ähnlichkeit dieses Mannes mit der Beschreibung, die die Frau von ihrem Peiniger abgegeben hatte, aufgefallen.
Genau in diesem Moment hob die junge Frau den Blick und als sie den Musketier Athos sah, schrie sie gellend auf und klammerte sich wieder an Schwester Mathilde.
"Der da..der da...der wars, der hat mir das angetan"; schluchzte sie, "bitte beschützt mich vor ihm, ich habe solche Angst..er hat mir so weh getan..bis ich blutete..und vorher hat er mein Kleid zerrissen..."

Athos wusste nicht wie ihm geschah, als er plötzlich mit diesem Vorwurf konfrontiert wurde. Er hatte diese Frau noch nie gesehen, und ihr das bestimmt nicht angetan, zu so etwas war er gar nicht fähig. Nur einmal in seinem Leben hatte er einer Frau gegenüber die Beherrschung verloren, damals, als er Mylady, nachdem er die eingebrannte Lilie in ihrer Schulter entdeckt hatte, aufgehangen hatte.
Aber eine Frau vergewaltigen? Nein, so etwas hätte er niemals getan...
Seit der Sache mit Mylady mied er die Nähe von Frauen, weil er ihnen zutiefst misstraute, aber dennoch behandelte er sie mit Respekt, wenn sich eine Begegnung nicht vermeiden liess.
"Ich..ich war das nicht, da muss ein Irrtum vorliegen"; erklärte er der Nonne, "ich könnte niemals einer Frau so etwas antun."
"Athos würde niemals so etwas tun", kam d ártagan seinem Freund zu Hilfe, "dafür lege ich meine Hand ins Feuer. Dabei kann es sich wirklich nur um eine Verwechslung handeln..."
"Athos? Nein, niemals, Schwester, so etwas würde er niemals tun"; erklärte Treville der Nonne, "er ist ein Mann von Ehre, wie man ihn nur noch selten findet, meiner Meinung nach ist seine Redlichkeit unantastbar, er würde niemals..."
"Er wars, er wars!"; schrie die junge Frau so laut, dass man es über den ganzen Friedhof hören konnte, "er war betrunken...so betrunken dass er kaum noch laufen konnte...vielleicht erinnert er sich ja einfach nicht daran..."
Dartagnan blickte die Frau scharf an.
"Wenn er so betrunken war, dass er kaum noch laufen konnte, wie kommt es dann, dass Ihr ihm nicht entkommen konntet? Normalerweise ist das Reaktionsvermögen bei Betrunkenen doch sehr schlecht, und man kann ihnen leicht entkommen..."
Diese Frau log, dessen war er sich sicher. Doch warum tat sie das? Wieso bezichtigte sie Athos der Vergewaltigung?
"Er war so stark, er hat mich gepackt, sein Griff war so fest, dass ich mich nicht befreien konnte, und dann hat er sich auf mich gelegt...mein Kleid zerrissen und mich fest auf den Boden gedrückt"; schniefte die Frau, "ich bin so zierlich und er groß und stark, da hatte ich doch keine Chance."
"Schämt Ihr Euch denn gar nicht?"; fuhr Schwester Mathilde d ártagnan an, "die arme Frau hat Schlimmes durchgemacht, und Ihr stellt ihr solche Fragen...ich bin jedenfalls der Meinung, dass man durchaus auch bei einem Betrunkenen keine Chance hat zu entkommen, wenn er fest zupackt."

Nun liefen der jungen Frau die Tränen in Strömen über die Wangen, und sie schmiegte sich wieder an die Nonne.
"Immer wieder ist er brutal in mich hineingestoßen, und die ganze Zeit nannte er mich Mylady, und sagte, dass ich jetzt meine gerechte Strafe kriege...aber ich wusste gar nicht was er meinte...er muss mich mit irgendjemandem verwechselt haben..."
Mylady...als Athos das hörte, begannen in ihm erste Zweifel aufzukommen.  Wer ausser ihm selbst könnte so mit dieser verstörten, verängstigten Frau geredet haben, wer ausser ihm könnte im Alkoholrausch eine Fremde Mylady nennen und vergewaltigen?
Seit Myladys Hinrichtung vor knapp zwei Monaten war sein Leben völlig aus der Bahn geraten, ohne dass er sagen konnte warum. Er hatte sie schon lange nicht mehr geliebt, und ihr ihren Betrug niemals verzeihen können, und doch trauerte er jetzt..nicht um sie, sondern um das, was hätte sein könnnen..um das Leben, das sie einst zusammen als Graf und Gräfin de La Fére geführt hatten. Damals, bevor er das verräterische Lilienzeichen auf ihrer Schultern entdeckt hatte, in jenen drei Monaten an ihrer Seite war er sehr glücklich gewesen. Die alte Wunde die seit Jahren auf seiner Seele lag, war durch die Begegnung mit Mylady und durch ihre Hinrichtung wieder aufgebrochen. Jahrelang hatte er geglaubt, dass sie tot wäre, und für ihn war es schlimm gewesen, ihr plötzlich wieder gegenüberzustehen und zu sehen, was aus ihr geworden war. Er litt noch immer sehr, und nicht einmal seine Freunde konnten ihm über den Schmerz hinweghelfen.

Seit der Hinrichtung vor zwei Monaten betrank er sich oft bis zur Besinnungslosigkeit in irgendeiner Schenke oder in seiner Wohnung in der Rue Ferou, und konnte sich am nächsten Morgen meist nicht mehr daran erinnern, wo er am Abend zuvor gewesen war, und ob er den Abend alleine oder in Gesellschaft seiner drei Freunde verbracht hatte.
"Ihr müsst diesen Mann verhaften"; sagte die Nonne empört zu Treville, der sich hartnäckig weigerte Athos festzunehmen, "er hat dieser Frau schlimmes Leid angetan und bis seine Schuld oder Unschuld geklärt ist, sollte er auf jeden Fall in Haft  bleiben."
"Athos ist unschuldig. Ich kenne meine Musketiere, sie sind wie Söhne für mich, und ich würde für Athos meine Hand ins Feuer legen, er könnte so etwas niemals tun"; meinte der Hauptmann.
"Soso, sie sind also wie Söhne für Euch"; fuhr die Nonne den Hauptmann zunehmend gereizter an, "und sagt, welcher Vater zeigt sich nicht blind gegenüber den Fehlern und Verfehlungen seiner Söhne?"
Da trat Athos hocherhobenen Hauptes vor seinen Hauptmann.
"Verhaftet mich ruhig, bis meine Schuld oder Unschuld geklärt ist. Falls ich es wirklich gewesen sein sollte, muss ich meine gerechte Strafe erhalten.."
Erschrocken blickte d ártagnan seinen besten Freund an.
"Athos..das ist doch absurd..du hast damit nichts zu tun, du warst das nicht...irgendetwas stimmt mit dieser Frau nicht, das ist ein abgekartetes Spiel."
Athos schüttelte traurig den Kopf.
"Seit Myladys Tod habe ich immer zu viel getrunken, oft bis zur Besinnungslosigkeit, und ich erinnere mich oft nicht mehr daran, was ich in der letzten Nacht getan habe, so weiss ich auch nicht mehr wo ich gestern nacht gewesen bin...ob ich in meiner Wohnung oder auswärts getrunken habe...wenn ich es wirklich gewesen bin, dann verdiene ich eine harte Strafe, denn es ist ein wahrhaft schändliches Tun..."
Alles in d ártagnan sträubte sich dagegen.
Athos großartige Eigenschaften wie diese Blitze von Grösse, die von Zeit zu Zeit aus den Schatten seines Gemüts hervorsprangen, die unveränderliche Gleichheit seiner Gemütsart, die ihn zum angenehmsten Kameraden der Welt machte, seine beißende Heiterkeit und sein Mut nötigten ihm mehr Achtung als Freundschaft, ja, sie nötigten ihm volle Bewunderung ab. Nein, er glaubte nicht, dass Athos, der für ihn längst ein väterlicher Freund geworden war, sich dieser Schandtat wirklich schuldig gemacht hatte.
Und er schwor sich, herauszufinden, was wirklich dahinter steckte, was es mit dieser Frau auf sich hatte. Wieso beschuldigte sie Athos einer solch schändlichen Tat? Wer war diese Fremde? Und woher wusste sie von Mylady? Außer ihm, Porthos, Aramis und Treville wusste niemand von Athos unglücklicher Ehe mit Mylady.
 
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