Blindgänger
von Mirfineth
Kurzbeschreibung
Jeremy Stinger, 31 Jahre, ist die Hauptperson dieser Geschichte. Er hat von seinen verstorbenen Eltern reich geerbt und bewohnt ganz allein eine Villa am Rand irgendeiner Metropole in den USA. Er hat eine Abneigung gegenüber behinderten Menschen, weil er sich selbst, an Leib und Seele gesund, für etwas Besseres hält. Ohne für seinen Lebensunterhalt arbeiten zu müssen, lebt er sorglos in den Tag hinein und beschäftigt sich hauptsächlich mit Partys, Alkohol, Drogen und Sex... bis zu dieser einen bestimmten Nacht im Juni, als plötzlich ein seltsam grün funkelndes Objekt über Jeremys Vorgarten schwebt. Ein echtes UFO! ... ... ... Was ist dann passiert? Auf welche Art und Weise hat das Schicksal Jeremys bisheriges Leben zunichte gemacht? Wie lernte Jeremy seine große Liebe kennen? Und ist es wirklich zu spät, um noch einmal von vorne anzufangen? Das könnt ihr hier lesen. :-D (Jeremys Meinung über behinderte Menschen ist übrigens, das sei ganz deutlich gesagt, NICHT meine eigene Meinung.)
GeschichteRomance, Schmerz/Trost / P16 / Het
21.04.2011
11.01.2023
145
140.490
6
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Dieses Kapitel
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03.12.2022
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Nachdem Jeremy die Notiz „TAB 14 Uhr“ in die Terminkalenderfunktion seines Handys eingetragen hatte, schrieb er Nicolas eine SMS, berichtete ihm von dem Gespräch mit Mrs Lomsdearn und bat ihn, morgen um kurz vor halb zwei zu kommen, um ihn, Jeremy, abzuholen und in die Innenstadt zu fahren, damit er seinen Termin bei der TAB wahrnehmen konnte. Natürlich hätte sich Jeremy auch ein Taxi bestellen können, aber irgendwie fühlte er sich unwohl bei dem Gedanken, die Räumlichkeiten der TAB ganz auf sich allein gestellt und ohne Begleitperson zu betreten, und außerdem wäre eine Taxifahrt nur eine überflüssige Geldausgabe. Dadurch, dass Mrs Lomsdearn ihn nach seinem Beruf gefragt hatte, war Jeremy nämlich mit einem Mal schmerzhaft daran erinnert worden, dass er sich im Krankenhaus enorme Sorgen über seine finanziellen Verhältnisse gemacht und wegen dieser Problematik sogar einen Albtraum gehabt hatte. Warum sollte er nicht jetzt sofort und auf der Stelle damit anfangen, verantwortungsbewusster mit seinem Geld umzugehen?
Anschließend tastete sich Jeremy durch den Korridor ins Wohnzimmer, machte es sich in einem Sessel bequem und schaltete den Fernseher ein. Eigentlich hatte er überhaupt keine Lust, Fernsehen zu gucken, ohne den Bildschirm sehen zu können, ohne das Programm mithilfe seiner Augen verfolgen zu können, aber ihm war langweilig, und er wusste nicht, was er mit dem angefangenen Tag machen sollte, und die ewige dunkle Finsternis um ihn herum drückte immer stärker auf sein Gemüt.
Zuerst zappte Jeremy wahllos durch die Fernsehsender und ließ sich von einer Geräuschkulisse berieseln, die ohne bunte Bilder wenig bis gar keinen Sinn machte, doch dann fand er zufällig eine Quizsendung, bei der die Fragen und die Antwortmöglichkeiten vom Moderator vorgelesen wurden, sodass es möglich war, auch als blinder Mensch nachzuvollziehen, was gerade auf dem Bildschirm passierte.
„John Tyler, der zehnte Präsident der Vereinigten Staaten, der von 1790 bis 1862 lebte, hat…
a) einen Doktortitel in Physik
b) heute noch lebende Enkelkinder
c) seine Cousine geheiratet
d) Kenntnisse in sechs Fremdsprachen.“
Als richtige Antwort stellte sich, zum größten Erstaunen der befragten Kandidatin, die Antwort b) heraus.
Jeremy lachte. Vielleicht war es gerade dieser John Tyler gewesen, mit dessen politischen Aktivitäten sich Nicolas und er selbst hatten beschäftigen sollen, damals während der Partnerarbeit vor vielen Jahren auf der Highschool, als sie miteinander Freundschaft geschlossen hatten…
Hoffentlich würde Nicolas Zeit haben, ihn, Jeremy, morgen um halb zwei zu seinem Termin bei der TAB zu bringen. Und hoffentlich würde sich der Termin bei der TAB als große Bereicherung für Jeremys Leben und nicht als totales Fiasko herausstellen. Hoffentlich war diese Miss Alice Moorcer ihm sympathisch, hoffentlich würde es ihm Freude bereiten, wochenlang mit dieser Frau zusammenarbeiten zu müssen, hoffentlich war sie genauso ein Goldstück des weiblichen Geschlechts wie Xerenade…
„Master Jeremy? Sind Sie zu Hause? Geht es Ihnen gut?“
Jeremy zuckte heftig zusammen und schreckte hoch. Der Fernseher lief immer noch, doch nun kam eine ganz andere Sendung, irgendeine Dokumentation über eine missglückte Expedition zum Nordpol, die Quizsendung war vorbei. Jeremy musste im Sessel eingeschlafen sein und war nun dadurch geweckt worden, dass Mrs Courteney das Haus betreten und nach ihm gerufen hatte.
Er holte tief Luft.
„Ich bin im Wohnzimmer!“, antwortete er mit lauter Stimme und schaltete den Fernseher aus. „Mir geht es gut.“
Ein paar Sekunden später streckte Mrs Courteney ihren Kopf durch die halb geöffnete Tür in den Raum hinein.
„Es freut mich sehr, dass bei Ihnen alles in Ordnung ist“, sagte sie liebevoll. „Zum Mittagessen gibt es ein Rumpsteak mit Kartoffelecken und grünen Bohnen, und zum Nachtisch Mousse au chocolat. Was halten Sie davon?“
„Phänomenal!“, erwiderte Jeremy. „Sie verwöhnen mich wirklich so sehr, dass ich davon überzeugt bin, das gar nicht verdient zu haben… Aber wissen Sie was? Sie dürfen mir gerne dabei behilflich sein, mich in meinen Online-Banking-Account einzuloggen und den Dauerauftrag für Ihr Gehalt zu ändern, damit Sie endlich die versprochene Gehaltserhöhung bekommen.“
Er erhob sich aus dem Sessel und ging langsam auf die Wohnzimmertür zu, bis er spürte, wie Mrs Courteney seinen rechten Oberarm ergriff und ihn über den Korridor hinüber zu seinem Arbeitszimmer lotste. Dort angekommen, setzten sich Jeremy und Mrs Courteney vor Jeremys Laptop, und Jeremy gab Mrs Courteney Anweisungen, wobei er geschickt vor ihr verbarg, dass er mit seinen Fingerspitzen sowohl die Buchstaben auf der Laptoptastatur lesen als auch den farbigen Inhalt des Bildschirms erkennen konnte. Nur beim Umgang mit der Computermaus würde er, ohne etwas sehen zu können, wohl Schwierigkeiten bekommen, aber dafür gab es schließlich diese Miss Alice Moorcer, die ihm mit Sicherheit beibringen würde, wie man als blinder Mensch nahezu mühelos einen Computer bedienen konnte…
Jeremy zeigte sich enorm großzügig und gewährte Mrs Courteney eine monatliche Gehaltserhöhung von fünfundsiebzig Dollar, und während Mrs Courteney in Jeremys Online-Banking-Account den Dauerauftrag änderte, bedankte sie sich überschwänglich und unter Tränen.
„Ich würde das zusätzliche Geld so gerne dazu verwenden, im Sommer nächsten Jahres nach Brasilien zu fliegen und meinen Jonathan zu besuchen!“, sagte sie. „Wir haben nämlich vor einigen Tagen wieder miteinander telefoniert, und er hat mir erzählt, dass er sich mit einer neunundzwanzigjährigen Modejournalistin aus Rio de Janeiro verlobt hat. Ich würde dieses Mädchen so gerne kennenlernen. Außerdem feiert Jonathan nächstes Jahr im Juni seinen fünfunddreißigsten Geburtstag, und sein verstorbener Vater hat immer gesagt, dass man es bei allen Geburtstagen so richtig krachen lassen muss, die auf eine Fünf oder eine Null enden.“
Jeremy schmunzelte. Er wusste, dass sich Mrs Courteney in ihrem tiefsten Herzensgrunde sehr gerne Enkelkinder wünschte, auch wenn sie dies nie laut aussprechen würde – vor ihm, Jeremy, nicht, und vor ihrem eigenen Sohn Jonathan erst recht nicht. Doch vielleicht würde sich dieser Wunsch nun in absehbarer Zukunft erfüllen. Das würde Jeremy Mrs Courteney zumindest gönnen, und Jonathan im Grunde genommen auch, denn obwohl Jeremy schon seit etlichen Jahren keinen Kontakt mehr zu Jonathan gehabt hatte, so hatte ihm Jonathan doch einige sehr schöne Kindheitserinnerungen beschert.
Jeremy bat Mrs Courteney, den Laptop herunterzufahren und auszuschalten. Während Mrs Courteney nun in die Küche ging, um das Mittagessen zuzubereiten, blieb Jeremy in seinem Arbeitszimmer zurück und stöberte in den Büchern herum, die dort in den Regalen standen und die er sich für sein Studium gekauft hatte. Jede Menge Literatur, die sich mit BWL und Wirtschaftsmathematik und damit nahe verwandten Themengebieten beschäftigte…
Damals, als ich studiert habe, war die Welt noch in Ordnung, dachte Jeremy wehmütig. Damals konnte ich noch sehen…
Doch wer weiß, was mich morgen bei der TAB erwartet. Mrs Lomsdearn hat mir versprochen, dass alles gut werden wird. Auch wenn ich für immer blind bleiben werde.
Anschließend tastete sich Jeremy durch den Korridor ins Wohnzimmer, machte es sich in einem Sessel bequem und schaltete den Fernseher ein. Eigentlich hatte er überhaupt keine Lust, Fernsehen zu gucken, ohne den Bildschirm sehen zu können, ohne das Programm mithilfe seiner Augen verfolgen zu können, aber ihm war langweilig, und er wusste nicht, was er mit dem angefangenen Tag machen sollte, und die ewige dunkle Finsternis um ihn herum drückte immer stärker auf sein Gemüt.
Zuerst zappte Jeremy wahllos durch die Fernsehsender und ließ sich von einer Geräuschkulisse berieseln, die ohne bunte Bilder wenig bis gar keinen Sinn machte, doch dann fand er zufällig eine Quizsendung, bei der die Fragen und die Antwortmöglichkeiten vom Moderator vorgelesen wurden, sodass es möglich war, auch als blinder Mensch nachzuvollziehen, was gerade auf dem Bildschirm passierte.
„John Tyler, der zehnte Präsident der Vereinigten Staaten, der von 1790 bis 1862 lebte, hat…
a) einen Doktortitel in Physik
b) heute noch lebende Enkelkinder
c) seine Cousine geheiratet
d) Kenntnisse in sechs Fremdsprachen.“
Als richtige Antwort stellte sich, zum größten Erstaunen der befragten Kandidatin, die Antwort b) heraus.
Jeremy lachte. Vielleicht war es gerade dieser John Tyler gewesen, mit dessen politischen Aktivitäten sich Nicolas und er selbst hatten beschäftigen sollen, damals während der Partnerarbeit vor vielen Jahren auf der Highschool, als sie miteinander Freundschaft geschlossen hatten…
Hoffentlich würde Nicolas Zeit haben, ihn, Jeremy, morgen um halb zwei zu seinem Termin bei der TAB zu bringen. Und hoffentlich würde sich der Termin bei der TAB als große Bereicherung für Jeremys Leben und nicht als totales Fiasko herausstellen. Hoffentlich war diese Miss Alice Moorcer ihm sympathisch, hoffentlich würde es ihm Freude bereiten, wochenlang mit dieser Frau zusammenarbeiten zu müssen, hoffentlich war sie genauso ein Goldstück des weiblichen Geschlechts wie Xerenade…
„Master Jeremy? Sind Sie zu Hause? Geht es Ihnen gut?“
Jeremy zuckte heftig zusammen und schreckte hoch. Der Fernseher lief immer noch, doch nun kam eine ganz andere Sendung, irgendeine Dokumentation über eine missglückte Expedition zum Nordpol, die Quizsendung war vorbei. Jeremy musste im Sessel eingeschlafen sein und war nun dadurch geweckt worden, dass Mrs Courteney das Haus betreten und nach ihm gerufen hatte.
Er holte tief Luft.
„Ich bin im Wohnzimmer!“, antwortete er mit lauter Stimme und schaltete den Fernseher aus. „Mir geht es gut.“
Ein paar Sekunden später streckte Mrs Courteney ihren Kopf durch die halb geöffnete Tür in den Raum hinein.
„Es freut mich sehr, dass bei Ihnen alles in Ordnung ist“, sagte sie liebevoll. „Zum Mittagessen gibt es ein Rumpsteak mit Kartoffelecken und grünen Bohnen, und zum Nachtisch Mousse au chocolat. Was halten Sie davon?“
„Phänomenal!“, erwiderte Jeremy. „Sie verwöhnen mich wirklich so sehr, dass ich davon überzeugt bin, das gar nicht verdient zu haben… Aber wissen Sie was? Sie dürfen mir gerne dabei behilflich sein, mich in meinen Online-Banking-Account einzuloggen und den Dauerauftrag für Ihr Gehalt zu ändern, damit Sie endlich die versprochene Gehaltserhöhung bekommen.“
Er erhob sich aus dem Sessel und ging langsam auf die Wohnzimmertür zu, bis er spürte, wie Mrs Courteney seinen rechten Oberarm ergriff und ihn über den Korridor hinüber zu seinem Arbeitszimmer lotste. Dort angekommen, setzten sich Jeremy und Mrs Courteney vor Jeremys Laptop, und Jeremy gab Mrs Courteney Anweisungen, wobei er geschickt vor ihr verbarg, dass er mit seinen Fingerspitzen sowohl die Buchstaben auf der Laptoptastatur lesen als auch den farbigen Inhalt des Bildschirms erkennen konnte. Nur beim Umgang mit der Computermaus würde er, ohne etwas sehen zu können, wohl Schwierigkeiten bekommen, aber dafür gab es schließlich diese Miss Alice Moorcer, die ihm mit Sicherheit beibringen würde, wie man als blinder Mensch nahezu mühelos einen Computer bedienen konnte…
Jeremy zeigte sich enorm großzügig und gewährte Mrs Courteney eine monatliche Gehaltserhöhung von fünfundsiebzig Dollar, und während Mrs Courteney in Jeremys Online-Banking-Account den Dauerauftrag änderte, bedankte sie sich überschwänglich und unter Tränen.
„Ich würde das zusätzliche Geld so gerne dazu verwenden, im Sommer nächsten Jahres nach Brasilien zu fliegen und meinen Jonathan zu besuchen!“, sagte sie. „Wir haben nämlich vor einigen Tagen wieder miteinander telefoniert, und er hat mir erzählt, dass er sich mit einer neunundzwanzigjährigen Modejournalistin aus Rio de Janeiro verlobt hat. Ich würde dieses Mädchen so gerne kennenlernen. Außerdem feiert Jonathan nächstes Jahr im Juni seinen fünfunddreißigsten Geburtstag, und sein verstorbener Vater hat immer gesagt, dass man es bei allen Geburtstagen so richtig krachen lassen muss, die auf eine Fünf oder eine Null enden.“
Jeremy schmunzelte. Er wusste, dass sich Mrs Courteney in ihrem tiefsten Herzensgrunde sehr gerne Enkelkinder wünschte, auch wenn sie dies nie laut aussprechen würde – vor ihm, Jeremy, nicht, und vor ihrem eigenen Sohn Jonathan erst recht nicht. Doch vielleicht würde sich dieser Wunsch nun in absehbarer Zukunft erfüllen. Das würde Jeremy Mrs Courteney zumindest gönnen, und Jonathan im Grunde genommen auch, denn obwohl Jeremy schon seit etlichen Jahren keinen Kontakt mehr zu Jonathan gehabt hatte, so hatte ihm Jonathan doch einige sehr schöne Kindheitserinnerungen beschert.
Jeremy bat Mrs Courteney, den Laptop herunterzufahren und auszuschalten. Während Mrs Courteney nun in die Küche ging, um das Mittagessen zuzubereiten, blieb Jeremy in seinem Arbeitszimmer zurück und stöberte in den Büchern herum, die dort in den Regalen standen und die er sich für sein Studium gekauft hatte. Jede Menge Literatur, die sich mit BWL und Wirtschaftsmathematik und damit nahe verwandten Themengebieten beschäftigte…
Damals, als ich studiert habe, war die Welt noch in Ordnung, dachte Jeremy wehmütig. Damals konnte ich noch sehen…
Doch wer weiß, was mich morgen bei der TAB erwartet. Mrs Lomsdearn hat mir versprochen, dass alles gut werden wird. Auch wenn ich für immer blind bleiben werde.