Blindgänger
von Mirfineth
Kurzbeschreibung
Jeremy Stinger, 31 Jahre, ist die Hauptperson dieser Geschichte. Er hat von seinen verstorbenen Eltern reich geerbt und bewohnt ganz allein eine Villa am Rand irgendeiner Metropole in den USA. Er hat eine Abneigung gegenüber behinderten Menschen, weil er sich selbst, an Leib und Seele gesund, für etwas Besseres hält. Ohne für seinen Lebensunterhalt arbeiten zu müssen, lebt er sorglos in den Tag hinein und beschäftigt sich hauptsächlich mit Partys, Alkohol, Drogen und Sex... bis zu dieser einen bestimmten Nacht im Juni, als plötzlich ein seltsam grün funkelndes Objekt über Jeremys Vorgarten schwebt. Ein echtes UFO! ... ... ... Was ist dann passiert? Auf welche Art und Weise hat das Schicksal Jeremys bisheriges Leben zunichte gemacht? Wie lernte Jeremy seine große Liebe kennen? Und ist es wirklich zu spät, um noch einmal von vorne anzufangen? Das könnt ihr hier lesen. :-D (Jeremys Meinung über behinderte Menschen ist übrigens, das sei ganz deutlich gesagt, NICHT meine eigene Meinung.)
GeschichteRomance, Schmerz/Trost / P16 / Het
21.04.2011
11.01.2023
145
140.490
6
Alle Kapitel
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Dieses Kapitel
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05.08.2021
1.049
Dr Williac räusperte sich. Seine Stimme klang sehr behutsam, so als befürchtete er, Jeremy mit dem, was er zu sagen hatte, zu erschrecken.
„Mr Stinger, ich möchte Ihnen mitteilen, dass Sie morgen nach Hause entlassen werden können. Hier im Krankenhaus können wir nichts mehr für Sie tun. Die Rippenbrüche und die Gehirnerschütterung sind gut verheilt und deswegen brauchen Sie wirklich nicht noch länger hier zu bleiben. Und was Ihre Augen angeht…“
Dr Williac unterbrach sich, machte eine kurze Pause, dann sprach er weiter, ohne den begonnenen Satz zu Ende zu bringen.
„Sie sind noch jung. Sie haben die meiste Zeit Ihres Lebens noch vor sich. Sie werden es schaffen, Ihr Leben wieder selbstständig in die Hand zu nehmen. Es tut mir sehr leid, dass wir Ihr Augenlicht nicht retten konnten. Mit dem Sehen ist es für Sie vorbei. Aber das soll Sie nicht daran hindern, das Beste aus Ihrem Leben zu machen. Sie sind ein intelligenter und willensstarker junger Mann, dem ich durchaus zutraue, konstruktiv mit Schicksalsschlägen umzugehen. Ich wünsche Ihnen von Herzen alles Gute für Ihren weiteren Lebensweg.“
Jeremy hatte das Gefühl, als habe Dr Williac ihm ohne jegliche Vorwarnung einen Eimer mit eiskaltem Wasser über den Kopf geschüttet.
Es war so weit. Er würde aus dem Krankenhaus entlassen werden, nachdem er mittlerweile über vier Wochen hier verbracht hatte. Er hatte so viele Erinnerungen aus der Zeit seines Krankenhausaufenthalts, von der ersten Minute an, als er auf der Intensivstation aus seiner Bewusstlosigkeit erwacht war, bis zum heutigen Tag.
So viele niedergeschlagene, verzweifelte, freundschaftliche, lustige, bedrückende, erotische, hilfsbereite, finstere, aufregende Erinnerungen…
Das Krankenhaus war wie ein Schonraum gewesen, der ihn vor der anstrengenden, komplizierten, unsichtbaren Welt dort draußen beschützt hatte. Im Grunde genommen wollte er das Krankenhaus gar nicht wieder verlassen. Nach Hause zu gehen fühlte sich so endgültig an. Dann hatte er den Beweis dafür, dass seine Erblindung auch nach mehreren Wochen im Krankenhaus nicht rückgängig gemacht werden konnte. Es war schön gewesen, sich mit Damien ein Zimmer zu teilen, sich um nichts kümmern zu müssen, und versuchen zu können, sich ganz langsam an die schwarze Dunkelheit um ihn herum zu gewöhnen. Er hätte wirklich nichts dagegen gehabt, noch länger im Krankenhaus bleiben zu dürfen. Aber er wusste auch, dass er nicht für immer im Krankenhaus bleiben konnte. Er konnte unmöglich sein gesamtes weiteres Leben hier verbringen. Er musste sich der Entscheidung des Krankenhauspersonals fügen.
Eine andere Wahl hatte er nicht.
Jeremy wusste es sehr zu schätzen, dass Dr Williac ihm offenbar mit seinen Worten Mut machen wollte. Und den brauchte er auch, damit es ihm gelingen würde, als Blinder in einer Welt zurechtzukommen, die für Sehende gemacht war.
Er konnte sich noch gut daran erinnern, dass er im allerersten Moment, als er erfahren hatte, dass er sich in einem Krankenhaus befand, nichts lieber gewollt hatte, als dieses Krankenhaus sofort und auf der Stelle wieder verlassen zu dürfen. Doch in seiner jetzigen Befindlichkeit schob er diesen Wunsch mit beiden Händen von sich.
Was mochte ihn als blinden Menschen außerhalb des Krankenhauses erwarten? Wie würde er die schwierige Aufgabe meistern, sein normales Alltagsleben ohne Augenlicht zu bewältigen?
„Ich weiß, dass ich dieses Krankenhaus wieder verlassen muss, wenn ich gesundheitlich dazu in der Lage bin“, sagte Jeremy leise. „Aber wenn ich ehrlich sein soll, dann habe ich Angst davor. Und ich schäme mich, weil ich Angst davor habe.“
„Dafür brauchen Sie sich nicht zu schämen“, erwiderte Dr Williac. „Ich kann nachvollziehen, dass Ihnen mulmig zumute wird bei der Vorstellung, als blinder Mensch wieder in die Welt außerhalb des Krankenhauses und in den sogenannten ‚Ernst des Lebens‘ zurückkehren zu müssen. Damit Ihnen dies nicht so schwerfällt, gebe ich Ihnen einen guten Rat.“
Jeremy spürte, wie Dr Williac ihm ein kleines, rechteckiges Stück Papier in die linke Hand schob.
„Das ist die Visitenkarte der ‚Travis Association for the Blind‘, abgekürzt TAB“, erklärte Dr Williac. „Dabei handelt es sich um eine Organisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, blinden und sehbehinderten Menschen das Leben zu erleichtern, egal ob es um die Orientierung mit dem Blindenstock in der Öffentlichkeit, um die hauswirtschaftliche Versorgung innerhalb der eigenen vier Wände oder um eine eventuelle Berufstätigkeit geht. Die dortigen Mitarbeiter können Ihnen alles beibringen, was Sie brauchen, um wieder ein glückliches und erfülltes Leben führen zu können, auch ohne Augenlicht. Ich persönlich habe bisher nur Gutes über diese Organisation gehört. Diese Organisation, die auch unter dem Namen ‚Austin Lighthouse‘ bekannt ist, unterhält ihre Hauptgeschäftsstelle hier in der Innenstadt, nicht weit von diesem Krankenhaus entfernt. Rufen Sie dort an, Mr Stinger, und lassen Sie sich einen Termin geben. Das würde ich Ihnen jedenfalls wärmstens empfehlen. Auch wenn es Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt noch relativ unwahrscheinlich vorkommt, kann ich Ihnen versichern: Das Leben ist nicht vorbei, auch wenn Sie blind geworden sind.“
„Mir wird jedes Mal schlecht, wenn ich dieses Wort höre…“, murmelte Jeremy.
„Das ist ganz normal“, sagte Dr Williac. „Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, würde es mir genauso ergehen. Die Wunde, die dieser Schicksalsschlag in Ihre Seele gerissen hat, ist noch sehr frisch. Aber wie ich gerade gesagt habe, bin ich davon überzeugt, dass Sie bald wieder die vollständige Kontrolle über Ihr Leben erlangt haben werden.“
Dr Williac holte tief Luft.
„Kontaktieren Sie Ihren Kollegen Mr Coleshaw und bitten Sie ihn darum, dass er Sie morgen Vormittag gegen elf Uhr abholen kommt. Und wenn Sie wieder zu Hause sind, suchen Sie so schnell wie möglich die TAB auf. Damit tun Sie sich selbst einen Gefallen. Wenn Sie Ihre Situation so annehmen, wie sie nun ist, dann wird das Schicksal in Kürze wieder gut zu Ihnen sein.“
Jeremy nickte zaghaft und legte die Visitenkarte der TAB auf sein Nachtschränkchen.
Vielleicht hatte Dr Williac tatsächlich Recht. Vielleicht würden die Mitarbeiter dieser Organisation ihm helfen können. Vielleicht war das eine Möglichkeit, wenigstens im übertragenen Sinne wieder Licht am Ende des Tunnels zu sehen, auch wenn es um ihn, Jeremy, herum immer gleichermaßen finster und schwarz bleiben würde.
DISCLAIMER
Die Organisation „Travis Association for the Blind“ bzw. „Austin Lighthouse“ existiert wirklich und wurde im Jahr 1934 von Dr Henry L. Hilgartner in Austin (Hauptstadt von Texas) gegründet. Bis heute verfolgt die Organisation das Ziel, blinden und sehbehinderten Menschen ein selbstständiges Leben zu ermöglichen, ihnen zu einem gesicherten Arbeitsplatz zu verhelfen und ihnen blindenspezifischen Unterricht zur Alltagsbewältigung zu erteilen.
„Mr Stinger, ich möchte Ihnen mitteilen, dass Sie morgen nach Hause entlassen werden können. Hier im Krankenhaus können wir nichts mehr für Sie tun. Die Rippenbrüche und die Gehirnerschütterung sind gut verheilt und deswegen brauchen Sie wirklich nicht noch länger hier zu bleiben. Und was Ihre Augen angeht…“
Dr Williac unterbrach sich, machte eine kurze Pause, dann sprach er weiter, ohne den begonnenen Satz zu Ende zu bringen.
„Sie sind noch jung. Sie haben die meiste Zeit Ihres Lebens noch vor sich. Sie werden es schaffen, Ihr Leben wieder selbstständig in die Hand zu nehmen. Es tut mir sehr leid, dass wir Ihr Augenlicht nicht retten konnten. Mit dem Sehen ist es für Sie vorbei. Aber das soll Sie nicht daran hindern, das Beste aus Ihrem Leben zu machen. Sie sind ein intelligenter und willensstarker junger Mann, dem ich durchaus zutraue, konstruktiv mit Schicksalsschlägen umzugehen. Ich wünsche Ihnen von Herzen alles Gute für Ihren weiteren Lebensweg.“
Jeremy hatte das Gefühl, als habe Dr Williac ihm ohne jegliche Vorwarnung einen Eimer mit eiskaltem Wasser über den Kopf geschüttet.
Es war so weit. Er würde aus dem Krankenhaus entlassen werden, nachdem er mittlerweile über vier Wochen hier verbracht hatte. Er hatte so viele Erinnerungen aus der Zeit seines Krankenhausaufenthalts, von der ersten Minute an, als er auf der Intensivstation aus seiner Bewusstlosigkeit erwacht war, bis zum heutigen Tag.
So viele niedergeschlagene, verzweifelte, freundschaftliche, lustige, bedrückende, erotische, hilfsbereite, finstere, aufregende Erinnerungen…
Das Krankenhaus war wie ein Schonraum gewesen, der ihn vor der anstrengenden, komplizierten, unsichtbaren Welt dort draußen beschützt hatte. Im Grunde genommen wollte er das Krankenhaus gar nicht wieder verlassen. Nach Hause zu gehen fühlte sich so endgültig an. Dann hatte er den Beweis dafür, dass seine Erblindung auch nach mehreren Wochen im Krankenhaus nicht rückgängig gemacht werden konnte. Es war schön gewesen, sich mit Damien ein Zimmer zu teilen, sich um nichts kümmern zu müssen, und versuchen zu können, sich ganz langsam an die schwarze Dunkelheit um ihn herum zu gewöhnen. Er hätte wirklich nichts dagegen gehabt, noch länger im Krankenhaus bleiben zu dürfen. Aber er wusste auch, dass er nicht für immer im Krankenhaus bleiben konnte. Er konnte unmöglich sein gesamtes weiteres Leben hier verbringen. Er musste sich der Entscheidung des Krankenhauspersonals fügen.
Eine andere Wahl hatte er nicht.
Jeremy wusste es sehr zu schätzen, dass Dr Williac ihm offenbar mit seinen Worten Mut machen wollte. Und den brauchte er auch, damit es ihm gelingen würde, als Blinder in einer Welt zurechtzukommen, die für Sehende gemacht war.
Er konnte sich noch gut daran erinnern, dass er im allerersten Moment, als er erfahren hatte, dass er sich in einem Krankenhaus befand, nichts lieber gewollt hatte, als dieses Krankenhaus sofort und auf der Stelle wieder verlassen zu dürfen. Doch in seiner jetzigen Befindlichkeit schob er diesen Wunsch mit beiden Händen von sich.
Was mochte ihn als blinden Menschen außerhalb des Krankenhauses erwarten? Wie würde er die schwierige Aufgabe meistern, sein normales Alltagsleben ohne Augenlicht zu bewältigen?
„Ich weiß, dass ich dieses Krankenhaus wieder verlassen muss, wenn ich gesundheitlich dazu in der Lage bin“, sagte Jeremy leise. „Aber wenn ich ehrlich sein soll, dann habe ich Angst davor. Und ich schäme mich, weil ich Angst davor habe.“
„Dafür brauchen Sie sich nicht zu schämen“, erwiderte Dr Williac. „Ich kann nachvollziehen, dass Ihnen mulmig zumute wird bei der Vorstellung, als blinder Mensch wieder in die Welt außerhalb des Krankenhauses und in den sogenannten ‚Ernst des Lebens‘ zurückkehren zu müssen. Damit Ihnen dies nicht so schwerfällt, gebe ich Ihnen einen guten Rat.“
Jeremy spürte, wie Dr Williac ihm ein kleines, rechteckiges Stück Papier in die linke Hand schob.
„Das ist die Visitenkarte der ‚Travis Association for the Blind‘, abgekürzt TAB“, erklärte Dr Williac. „Dabei handelt es sich um eine Organisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, blinden und sehbehinderten Menschen das Leben zu erleichtern, egal ob es um die Orientierung mit dem Blindenstock in der Öffentlichkeit, um die hauswirtschaftliche Versorgung innerhalb der eigenen vier Wände oder um eine eventuelle Berufstätigkeit geht. Die dortigen Mitarbeiter können Ihnen alles beibringen, was Sie brauchen, um wieder ein glückliches und erfülltes Leben führen zu können, auch ohne Augenlicht. Ich persönlich habe bisher nur Gutes über diese Organisation gehört. Diese Organisation, die auch unter dem Namen ‚Austin Lighthouse‘ bekannt ist, unterhält ihre Hauptgeschäftsstelle hier in der Innenstadt, nicht weit von diesem Krankenhaus entfernt. Rufen Sie dort an, Mr Stinger, und lassen Sie sich einen Termin geben. Das würde ich Ihnen jedenfalls wärmstens empfehlen. Auch wenn es Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt noch relativ unwahrscheinlich vorkommt, kann ich Ihnen versichern: Das Leben ist nicht vorbei, auch wenn Sie blind geworden sind.“
„Mir wird jedes Mal schlecht, wenn ich dieses Wort höre…“, murmelte Jeremy.
„Das ist ganz normal“, sagte Dr Williac. „Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, würde es mir genauso ergehen. Die Wunde, die dieser Schicksalsschlag in Ihre Seele gerissen hat, ist noch sehr frisch. Aber wie ich gerade gesagt habe, bin ich davon überzeugt, dass Sie bald wieder die vollständige Kontrolle über Ihr Leben erlangt haben werden.“
Dr Williac holte tief Luft.
„Kontaktieren Sie Ihren Kollegen Mr Coleshaw und bitten Sie ihn darum, dass er Sie morgen Vormittag gegen elf Uhr abholen kommt. Und wenn Sie wieder zu Hause sind, suchen Sie so schnell wie möglich die TAB auf. Damit tun Sie sich selbst einen Gefallen. Wenn Sie Ihre Situation so annehmen, wie sie nun ist, dann wird das Schicksal in Kürze wieder gut zu Ihnen sein.“
Jeremy nickte zaghaft und legte die Visitenkarte der TAB auf sein Nachtschränkchen.
Vielleicht hatte Dr Williac tatsächlich Recht. Vielleicht würden die Mitarbeiter dieser Organisation ihm helfen können. Vielleicht war das eine Möglichkeit, wenigstens im übertragenen Sinne wieder Licht am Ende des Tunnels zu sehen, auch wenn es um ihn, Jeremy, herum immer gleichermaßen finster und schwarz bleiben würde.
DISCLAIMER
Die Organisation „Travis Association for the Blind“ bzw. „Austin Lighthouse“ existiert wirklich und wurde im Jahr 1934 von Dr Henry L. Hilgartner in Austin (Hauptstadt von Texas) gegründet. Bis heute verfolgt die Organisation das Ziel, blinden und sehbehinderten Menschen ein selbstständiges Leben zu ermöglichen, ihnen zu einem gesicherten Arbeitsplatz zu verhelfen und ihnen blindenspezifischen Unterricht zur Alltagsbewältigung zu erteilen.