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Musenstreik

von Maline
Kurzbeschreibung
GeschichteHumor / P12 / Gen
19.01.2011
19.01.2011
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Kleines Vorwort meinerseits: dieser kleiner OS ist mein Beitrag zum Projekt „Unsere Musen“, hier im Forum
=>  http://forum.fanfiktion.de/t/8986/1/#jump715278
Also, wer Lust hat, seine Muse auch mal so richtig rund laufen zu lassen, ist herzlich eingeladen :)
Ansonsten: genau so stelle ich mir den alltäglichen Wahnsinn vor, wenn meine Muse mal wieder einfach keine Lust auf Arbeit hat.
Viel Spaß damit und liebe Grüße
Maline


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Sich träge rekelnd, öffnet sie ihre Augen. Aber nur einen Spalt breit, immerhin will sie diese wunderbare Schwebe des Dämmerzustands nicht verlieren.
Sie hätte sich eigentlich gar nicht geregt, aber ihre sündhaftteure Designersonnenbrille muss irgendwie verrutscht sein, denn die strahlende Sonne über dem Pazifik blendet sie unangenehm bei ihrem Mittagsschläfchen.

Aber da sie ja ohnehin schon mal wach ist, kann sie sich auch gleich um Nachschub kümmern. Beziehungsweise andere können sich kümmern. Ihre Kokosnussschale mit dem hellroten Schirmchen, in der zuvor noch ein eiskaltes Getränk vor sich hin schwappte, ist immerhin schon seit geraumer Zeit gänzlich leer.

„Alejandro… beschaff mir noch einen dieser leckeren Schirmchendrinks. Aber dieses Mal gefälligst nicht so viel Eis, hörst du? Wenn da noch mal so viel Eis drin ist, dann schieb ich es dir in den Hintern!“

Der eigens für die eitle Muse eingeflogene braungebrannte Spanier, Marke Surfertyp mit sonnengebleichtem Haar und Waschbrettbauch, nickt ergeben und trollt sich.

„Du da…ähm Erik, oder Sven? Ach egal, ja dich meine ich! Bist du eingeschlafen oder was? Nur weil Alejandro geht, heißt das nicht, dass du Pause hast!“ Die Muse wirft dem strohblonden Schweden mit dem Palmenfächer einen finsteren Blick durch ihre getönten Brillengläser zu. Beschämt senkt der durchaus modelltaugliche Mann den Blick, wie ein gescholtener Schuljunge, und beginnt abermals voller Elan mit dem Palmenfächer der Muse eine kühle Brise zu bringen.

Soll sie etwa hier liegen und bei 30 Grad am Strand von Bora Bora ins Schwitzen geraten? Nein, nein. Wozu hat sie diese gutaussehenden Männer um sich geschart?
Doch nicht nur zum dumm Rumstehen.

Mit einem genüsslichen Seufzen lässt sie sich abermals in ihren Liegestuhl zurück sinken und schließt die Augen.
Ein wunderbares Leben, das sie hier führt. Nichts tun. Herumliegen. Von vorn bis hinten bedient werden. Hier, am Strand von Bora Bora bei herrlichstem Sonnenschein, während sich daheim in Deutschland Regen, Schnee, Kälte und Sturm die Klinke in die Hand geben.
Wieso soll sie zurück, wo nur Arbeit, schlechtes Wetter und miese Stimmung auf sie wartet?

„Hab ich dich!“

Die Muse fährt so abrupt auf, dass ihre kunstvoll zurechtgesteckten Locken total durcheinander geraten. Sie hat Stunden für diese Frisur gebraucht, aber das ist momentan ihr kleinstes Problem.

Die Gestalt, deren wirren Haaren man den Flugmarathon nur zu deutlich ansieht, taucht so plötzlich aus dem Gebüsch auf, dass der Muse tatsächlich vor Schreck beinahe die Sonnenbrille verrutscht. Im ersten Moment glaubt sie noch an eine optische Täuschung, doch die Gestalt, die eindeutig zu warm für Bora Boras Sonnenstrahlen angezogen ist, ist keine Täuschung. Sie ist echt. Aus Fleisch und Blut. Und verdammt wütend.

Scheiße.


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Oh ja, ich sehe der dummen Kuh an, dass ihr der Arsch gehörig auf Grundeis geht. Und das ist mir gerade Recht! Wenn es nach mir ginge, dann würde dieses untreue Stück ganz andere Qualen erwarten.

„Was zur Hölle fällt dir eigentlich ein? Hast du nen Knall?“

Das idyllische Palmenrauschen kann ebenso gut ein tinituserregendes Holzsägewerk sein. Mir ist es momentan egal.
Hallo? Ich stehe hier am Strand von Bora Bora in meinen Turnschuhen und dicken Winterstricksocken, nur ein paar Schritte vor mir der türkisblaue Pazifik. Unter meiner Jeans bade ich schon im Schweiß, obwohl ich die Fußenden provisorisch hochgeschlagen habe. Meine käsebleichen Winterwaden und die Schweißränder an meinem viel zu warmen Pulli sind nicht unbedingt ein Anblick, der Männerherzen höher schlagen lässt, aber mir ist momentan wirklich alles egal.
Ich kann nur an dieses untreue Miststück denken, dass wenigstens so viel Anstand hat, sich in ihrem Sonnenstuhl aufzurichten, während ich sie zur Minna machen will.

Wenn sie mir jetzt auch noch die kalte Schulter zeigen würde, könnte ich wohl für nichts mehr garantieren. Dann würde es hier einen ziemlich blutigen Mord geben und ich wäre für immer meine Muse los. Endgültig.

„Also… ja also weißt du…“ Ihre Gesichtszüge sind vor Schock geradezu erstarrt. Hinter der riesengroßen Sonnenbrille erkenne ich deutlich, dass es in ihrem Kopf arbeitet.

„Was weiß ich?! Ich weiß, dass du sie nicht mehr alle hast! Du liegst hier im Bikini rum und lässt dich von so einem…“ Mein Blick gleitet kurz zu dem hochgewachsenen strohblonden Kerl, der tatsächlich keine Sekunde im Fächerwedeln inne gehalten hat. Oh, also dieser Anblick bringt mich wirklich kurz aus dem Konzept. Aber wirklich nur kurz. Ich bin gerade viel zu wütend, um mich jetzt mit diesem Waschbrettbauch beschäftigen zu können. Oder diesen verdammt blauen Augen und…

Reiß dich zusammen!

Schnaubend reiße ich meinen Blick gewaltsam von diesem fächerschwingenden Adonis los und blicke wieder meine abtrünnige Muse an:  „…du lässt dir alles an den Arsch hintragen, während ich daheim sitze und… und nicht schreiben kann! Hast du eigentlich ne Idee, wie das ist? Ich habe seit zwei Wochen kein Wort mehr geschrieben! KEIN EINZIGES WORT!“

Der feinkörnige Sand gibt unter meinem Schritt nach, als ich einen drohenden Schritt auf sie zu gehe. Unweigerlich richtet sie sich noch weiter auf und zieht das Handtuch um sich.
Pah! Als könne dieses Handtuch sie irgendwie vor mir beschützen!

Plötzlich kommt ihr Gegenangriff. So unerwartet, dass ich tatsächlich aus dem Konzept gerate.

„Ich will auch mal meinen Spaß und Urlaub haben!“ Wütend schiebt sie die Unterlippe vor und verschränkt die Arme vor der spärlich bekleideten Brust, als wäre sie hier das alleinige Opfer. „Immer muss ich bei dir daheim rumhocken und dir in den Arsch treten, weil du zu doof bist, irgendwas einigermaßen Sinnvolles zusammen zu schreiben. Du bist so was von unselbstständig und unkreativ, dass du eigentlich keine Muse, sondern gleich nen Ghostwriter bräuchtest, der unter seinem Namen mal was Anständiges raus bringt.“

Überrumpelt schnappe ich nach Luft. Was bildet sich diese dumme Nuss eigentlich ein? Was denkt die denn, wo sie hier ist? Auf dem scheiß Traumschiff oder was?

„Ähm, ich kann mich nicht erinnern, dass in deinem Vertrag irgendwas von Pflichturlaub stand!“ erwidere ich hitzig. Und das liegt nicht nur daran, dass mir mittlerweile auch die Füße kochen.

„Den Vertrag hab ich nicht geschrieben!“ begehrt sie auf. „Da ist alleine die Gewerkschaft dran schuld. Wenn ich den Vertrag geschrieben hätte, dann wäre für jede Muse ein Pflichturlaub von mindestens 150 Tagen im Jahr drin. Mindestens!“

„Aber es geht nicht nach dir! Es kann nicht immer nur nach dir gehen. Du hängst doch ohnehin nur bei mir daheim rum, ohne einen Finger zu krümmen. Was willst du denn da noch mit Urlaub? Dein ganzes Leben ist ein riesiger Urlaub!“

„Aber… aber schau dich doch mal um!“ Mit einer einladenden Armbewegung deutete sie auf das idyllische Paradies, das uns umgibt.

„Ja und?“

„Bist du blind oder was? Wir sind hier auf Bora Bora. Bora Bora!“

Schneller als sie erwartet, stehe ich plötzlich neben ihr und halte ihr meinen Zeigefinger direkt vor die Nase. Ich weiß, dass ich mit Worten nicht bei ihr weiter komme. Das bin ich noch nie.
Und wieder einmal verfluche ich diese verdammte Musenvermittlungsbehörde, die mir diese Oberziege zugeteilt hat. Anstatt mir in all meinen Schreibuntiefen beizustehen, verzieht sie sich einfach in die Sonne.
Ob ich sie vielleicht irgendwie doch noch umtauschen kann?

„Wir gehen jetzt heim. Alle beide, kapiert? Meine Leser warten sehnsüchtig auf ein neues Kapitel. Wenn ich denen erzähle, dass meine Muse auf Urlaub auf Bora Bora war, dann zeigen die mir den Vogel. Die anderen Musen leisten sich nie so ne Scheiße wie du hier.“

Sie schenkt mir einen Blick, der wohl sagen will Das denkst aber auch nur du. Lieber nicht darauf eingehen.

„Aber mein Schirmchendrink!“ begehrt sie stattdessen auf und schiebt trotzig das Kinn vor.

„Ich mach dir daheim zur Entschädigung nen schön heißen Tee. Da ist für die nächsten Tage übrigens Schnee angekündigt.“

„Und Alejandro und… ähmm…“ Ihr Blick huscht zum Luftzufächler hinüber. „Ja also der Luftzufächler da drüben?“

Unweigerlich folgt ihr mein Blick und mit einem Mal schäme ich mich unheimlich für mein derangiertes Aussehen und meine käsebleichen Waden. Doch der Luftzufächler lässt sich rein gar nichts anmerken. Mit geheuchelter Demut steht er da und sagt kein Wort.

„Ja, also die…“ Nur mühsam reiße ich mich vom gutbestückten Blondschopf los. „Die können dich besuchen kommen.“

Oder mich.

Noch immer sieht sie mich an, als wäre ich eine böse garstige Tante, die ihr den Lutscher weggenommen hat. Aber selbst meine Muse besitzt ein Mindestmaß an schlechtem Gewissen, das man nur mal gehörig wecken muss.
Sie mag zwar die faulste Muse sein, die noch irgendwo in der Vermittlungsbehörde rum hing, aber ich kenne sie mittlerweile ziemlich gut. Und ich weiß ebenso gut, wie man ihr schlechtes Gewissen in Gang bringt. Ohne den Trick hätte ich das Schreiben schon vor Jahren in die Tonne kicken können.
Ich frage mich ja immer noch, ob ich der Musenvermittlung irgendjemand arbeitet, der mich hasst und mir aus reiner Bosheit diese Muse zugeteilt hat. Vielleicht Martina, diese blöde Kuh…
Hm, muss ich mal nachforschen gehen.

Aber jetzt muss ich meine Muse erst mal zum Flugzeug bringen. Zur Not auch zerren. Das ist mir echt egal.

„Also?“ Ich halte ihr einladend die Hand entgegen. Für eine Sekunde ringt sie noch mit sich. Oder aber sie will schlichtweg zeigen, dass sie nicht gleich auf jedes meiner Kommandos springt. Aber das muss sie mir nicht mehr beweisen.
Das ist mir schon längst aufgefallen…

„Okay.“ Sie erhebt sich abrupt ohne meine Hand zu akzeptieren und stapft hocherhobenen Hauptes über den Strand davon. „Aber nur, dass du’s weißt: hierfür bist du mir was schuldig.“

Ich werds auf die Liste setzen…


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Draußen vor meinem Fenster fällt der Schnee in dicken Flocken. Die hauchzarte Schneeschicht, die bereits die Straße, die Nachbardächer und den Rasen bedeckt, lassen die wolkenverhangene Nacht heller wirken, als sie eigentlich ist.
Die Muse hockt auf meiner Bettkante, dick eingepackt in eine Strickjacke, mit der man wohl auch jede Polarnacht schadlos überstanden hätte, und einem Schal, den sie sich trotzig so oft um den Hals geschlungen hat, dass ich bezweifle, dass sie irgendwie noch den Kopf zur Seite drehen kann.
Aber wenn sie so schmollen will. Von mir aus…

Obwohl es mein Zimmer bereits mit jeder finnischen Sauna aufnehmen kann, klammert sie sich ebenso trotzig an die Teetasse, die ich ihr vorhin gebracht habe. Ich könnte momentan eher ein Eis vertragen, aber ich bin still.
Immerhin ist sie mit mir mitgekommen ohne am Flughafen noch ne Schlägerei anzufangen oder sich heulend auf den Boden zu werfen. Da will ich diesen wackeligen Frieden nicht weiter torpedieren.

„Also…“ Ich drehe ihr den Laptop so hin, dass sie von der Bettkante aus eine gute Sicht darauf hat. „Ich häng hier an dem Kapitelende. Wenn du also…“

Ihr Blick gleitet kurz über mein Geschriebenes, ehe sie prustend auflacht. „Das ist totaler Stuss. Das kannst du gleich alles wieder löschen.“

„Was?!“ Ich bin stundenlang an dem Ende gesessen! Ich habe mein Herzblut da rein gesteckt und mindestens ¾ meiner Nerven dabei verbraten!

„Stuss. Kompletter Stuss. Das muss alles weg. Alles.“ Sie nickt bestätigend. Wie sie das mit diesem dicken Schal wohl hinbekommt?

„Aber ich finde das gut!“

„Pah! Gut? Ich bin hier her gekommen, in diese Eishölle, um dir zu helfen und jetzt tust du nicht mal, was ich dir sage. Wozu bin ich dann überhaupt gekommen?“ Sie funkelt mich auffordernd an und alles was ich tun kann, ist knallrot anlaufen. Und daran sind nicht alleine die vollaufgedrehten Heizkörper in meinem Zimmer schuld.

„Shakespeare hat sich auch nie beklagt!“

Ich glaube, ich hab mich grade verhört. „Shakespeare?“

„Tja, woher sollst du den auch kennen, was?“ Beleidigt verschränkt sie die Arme vor der Brust. „Aber der hätte mir das niemals angetan, was du hier veranstaltest.“

Ungläubig starre ich sie an, ehe ich in einen Lachanfall ausbreche, dass mir das Zwerchfell zu schmerzen beginnt. „Du willst die Muse von Shakespeare gewesen sein? Wenn das wirklich stimmen würde, dann hätte der niemals auch nur ein Sonett fertig bekommen und Julia wäre auf ihrem Balkon versauert! Wirklich, das war der beste Witz, den ich seit langem gehört hab. Du … und Shakespeare… nein, nein der war zu gut.“

„Du glaubst mir also nicht?“ Sie sieht tatsächlich gekränkt aus, wie ich durch meinen Lachtränenschleier erkenne. Nach Luft schnappend versuche ich mich zu fangen.

„Nein, nein. Nicht wirklich. Sollte ich?“

„Pah.“ Ist ihre einzige Antwort darauf, ehe sie sich abwendet und aus dem Fenster starrt. Fast so, als könne ihr hitziger Blick alleine den Schnee draußen zum Schmelzen bringen.

„In Ordnung…“ Ich raffe mich halb auf meinem Stuhl auf und breite entschuldigend die Arme aus. „Tut mir leid, okay? Ich hab’s nicht so gemeint. Echt nicht. Komm schon, sei nicht sauer. Ich mach auch, was du mir sagst.“

Ich erkenne ihren abschätzenden Blick, mit dem sie mich aus den Augenwinkeln heraus mustert. „Versprochen?“

„Versprochen.“

„Ohne Widerworte?“

Seufzend nicke ich. „Ohne Widerworte.“

„Okay…“ Sie wendet sich wieder mir und dem alten Laptop und deutet mit dem Finger auf den Textabschnitt, den ich ihr gezeigt habe. „Das muss alles weg.“

Seufzend markiere ich den gesamten Textabschnitt und drücke auf löschen. Wenn es zwischen Musen und Autoren den Spruch gäbe „In guten wie in schlechten Tagen“, dann würden bei uns die schlechten ganz klar überwiegen, aber was soll ich tun?
Sie hat meistens ja doch recht. Nicht immer, aber meistens und wenn sie mir dann mal einen schmerzhaften Stoß in die richtige Richtung gibt, kommt ja auch meistens was Brauchbares dabei raus.
Eigentlich ist sie ja auch manchmal wirklich verträglich. Wenn nicht gerade Schnee fällt, es regnet, schönes Wetter ist, sie sich die Nägel feilen oder lackieren muss, sie gerade wahnsinnige Kopfschmerzen vor lauter Denken hat oder aber der Nachbarsjunge wieder viel zu viel Lärm im Garten macht.

Schon wieder seufze ich und werfe einen Blick auf meine Muse. „Also? Wie soll’s weiter gehen?“

Ein verschlagenes Grinsen breitet sich auf ihrem Gesicht aus, ehe sie einen Schluck Tee nimmt und sich räuspert. „Okay, also wir fangen so an…“

Mit einem schmalen Lächeln wende ich mich dem Laptop zu und lasse die Finger über die Tasten fliegen.
Ich bin trotzdem immer noch der Meinung, dass meine Muse einfach das faulste Exemplar war, das unvermittelbar noch irgendwo in der Vermittlungsbehörde rum hing.


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