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Weide und Sturm

von ashtrails
Kurzbeschreibung
GeschichteAbenteuer / P16 / Gen
13.09.2010
13.09.2010
9
23.697
 
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Fünf

Spinne



Still, vorsichtig, dann im rechten Moment mit aller Kraft.
Sieh sie dir an.
Flink, stark und klug. Wenn sie gewinnt, erholt sie sich schnell von ihren Verletzungen, und doch kann jeder Kampf ihr letzter sein, wenn sie unbedacht vorgeht. Sie achtet sehr genau darauf, die Umgebung die sie kennt zu ihrem Vorteil zu nutzen. Siehst du wie sie den Skorpion lockt, damit er sich verfängt?
Mit ihrem Kampfgeschick allein würde sie auf Dauer den Kürzeren ziehen.
Doch sie verbindet Stärke mit List, Kraft mit dem rechten Augenblick und nimmt ihrer Beute die Vorteile, die sie selbst unterlegen machen würden.
Sie kennt ihren Gegner, hat ihr Aufeinandertreffen schon lange sorgfältig geplant, seit sie die erste Schwingung in ihren Netzen gespürt hat.
Von der Spinne kannst du viel lernen, mein Sohn.
-Maraskanischer Jäger im Gespräch mit seinem Sohn


Und wieso sollte ich das glauben?“
„Du glaubst es bereits, Schlange. Dein Herz sagt es dir schon die ganze Zeit. Nur dein Geist muss es noch akzeptieren. Ich bin mir so sicher, weil ich deine Kämpfe beobachtet habe.“ Beschloss Spinne.
Noch immer stand der dunkelhäutige Mann im Eingang der Kammer und sah Jin aus fremdartigen Augen an.
„Etwas entfachen, das besser gelöscht bliebe. Was ich glaube ist, dass das keine gute Idee wäre.“ Setzte der junge Maraskaner dem entgegen.
„Du hättest recht, wenn du den Wunsch deinem Kriegerherz nachzugeben nicht deswegen ablehnen würdest, weil dein Geist es mit falschen Gründen schwer macht.“
Jin strich sich müde übers Gesicht und die langen verfilzten Haare auf seinem Kopf. „Und du glaubst wirklich mir neue, bessere Gründe geben zu können, obwohl du mich nichtmal kennst?“ Er lachte humorlos.
„Kennst du dich denn besser, Schlange?.“  Der Waldmensch wandte sich zum gehen. „Schlaf darüber und sage mir, wenn du dich entschieden hast, ob du wissen willst, wofür du wieder mit Körper und Geist kämpfst.“ Spinne zog den grauen Vorhang zu und ließ Jin mit seinen Gedanken allein.
Warum du kämpfst…


„Warum man kämpft fragst du mich?“  Die Heilerin hockte sich im Schneidersitz auf den groben Teppich vor ihrem flachen Holztisch, nachdem sie die Kanne mit Tee abgestellt und sich und Jin etwas in ihre Schüsseln gegossen hatte.
Der Geruch von Kräutern füllte die Kammer aus. „Eines der ältesten Rätsel, das so schwierig ist, weil es keines sein sollte.“
„Ich finde es schwierig, weil die Antwort so vielfältig sein kann und einen damit leicht zu einem Fehler verleiten könnte.“ Gab Jin zu.
„Um zu begreifen, warum man kämpft, muss man erst begreifen, warum man nicht kämpft, Jin. Wenn man die Ursachen kennt, warum man nicht  bereit ist, die Hand gegen andere zu erheben, macht man den ersten Schritt zur Einsicht, dass es auch einen Grund zum Kämpfen geben muss, denn alles hat zwei Seiten.“
Sie trank einen Schluck dampfenden Tee und gab dem Grubenkämpfer Zeit zu verstehen, was sie ihm sagen wollte.
„Wenn ich also vor einem Kampf nicht die Gründe sehe, die mich abhalten würden, dann ist das schon Grund genug?“
Nothilf nickte. „Zumindest ist das der erste Schritt.“
„Was ist mit dir? Du bist eine Heilerin. Verweigerst du den Kampf nicht von vorn herein?“ Etwas, das Jin schon seit längerem beschäftigte. Er wusste von Ghorio, dass Nothilf Tsa sehr verbunden war, was in der Regel hieß, dass sie Gewalt um jeden Preis vermied, aber es gab auch Gerüchte, dass sie so ein Leben nicht immer geführt hatte.
„Das Versprechen, das ich Schwester Tsa einst gegeben habe, ändert nichts daran, dass man bereit sein muss zu kämpfen. Und sie und ich wissen, wann die Zeit wäre, das zu verstehen. Wenn man erst versteht, wobei es beim Kämpfen geht, dann versteht man auch, wann der seltene Zeitpunkt für einen Notwendigen Kampf gekommen ist.“
Jin leerte seinen Tee. Wie üblich wartete die Heilerin geduldig ab, bis er seine Gedanken sortiert hatte. Sie verzog ihren Mund dabei zu dem breiten Lächeln, das er so mochte.
„Und um was geht es?“ Fragte er schließlich.
„Einen Schritt nach dem anderen, Jin.“ Beschwichtigte sie ihn und schenkte Tee nach. „Und ja, du solltest dir von Spinne helfen lassen. Er mag seltsam erscheinen, denn er spricht oft mit seinen Abwesenden, aber er ist ein guter Mann. Du kannst sicher etwas von ihm lernen.

Die Heilerin hatte ihm noch erzählt, dass der Mann aus dem tiefen Süden, der Spinne genannt wurde, nach Jin gefragt hatte und sie daher wusste, dass der Waldmensch ihm helfen wollte.
Seine Kammer war fast identisch mit der von Jin, in seiner befand sich allerdings noch eine irdene Schale in der er des Öfteren Räucherwerk verbrannte, dessen Geruch noch schwer in der Luft des kleinen Raumes lag.
„Warum kämpfst du?“ Fragte Jin, nachdem der im Schneidersitz auf ihn wartende Waldmensch seiner gewahr wurde.
Er lächelte mit blanken, weißen Zähnen. „Weil ich und mein Tapam dazu bestimmt sind. Meine Ahnen und Takehe haben mich auserwählt um zu kämpfen.“ Er bedeutete Jin, sich zu setzen und der kam der Aufforderung nach. „Aber das ist nur ein Teil. Unser beider Tapam und Seelen sind Kämpfer. Für sie sind die Gründe nicht so wichtig wie für Menschen. Deinem Tapam und deinem Herz ist es wichtig, dass du kämpfst, Schlange!“ Take-Imaro beugte sich vor, im Zwielicht der Kammer schien die Spinnentätowierung in seinem Gesicht zu leuchten. „Eine gerechte Sache, der Kampf gegen ein großes Übel, Jagen, Essen, Überleben und selbst diese blinkenden Metallscheiben, die ihr blassen Leute so liebt. All das sind Gründe, aber solange sie in deinem Kopf sind, machen sie Kämpfen nur zu einem Werkzeug, genau wie ein Messer, Speer oder Schwert nur ein Werkzeug sein können, wenn der Wille zu kämpfen eine Entscheidung nur in deinem Verstand ist. Wer so kämpft, kämpft ohne sein Nipakau, unterdrückt sein Kämpferherz vielleicht sogar, so wie du es tust. Hörst du nur auf dein Nipakau, wird es außer Acht lassen, was für dich wichtig ist, weil es solche Dinge allein nicht ahnen kann. Dein Volk, anders als die andern Blassen, hat Verständnis dafür, dass es eine Gegenseite zu Allem gibt, und damit auch Einklang. Wenn ich kämpfe, kämpfe ich mit Geist und Herz. Meine Waffe oder mein Körper sind keine Werkzeuge. Ich lasse meine Gründe mir Kraft geben, aber kämpfe nicht nur um des Zweckes willen. Die Kunst und Fähigkeit zu kämpfen bedeutet mehr als ein Ziel zu haben und es zu erreichen. Es bedeutet Wachsen, es bedeutet Lernen auf dem Weg zu diesen Zielen, die es deinem Herz ermöglichen zu verstehen, wohin es seine Kraft lenken soll. Ich kämpfe um des Kämpfens Willen, damit meine Gründe nie meine Grenzen sind.“  Der Waldmensch beherrschte die maraskanische Sprache, bis auf seinen eigenwilligen Akzent sehr gut, er musste schon eine ganze Weile fern seiner Heimat sein, schloss Jin.
Was er hörte, hätte er eher von Nothilf erwartet, als von einem wilden vom Festland, aber dennoch ergab das was Spinne sagte Sinn. Auch wenn dem jungen Grubenkämpfer noch die Brücke um für sich diese Art die Dinge zu sehen fehlte. Immerhin glaubte er verstanden zu haben was dieses ‚Nipakau ‘ war, von dem Spinne so oft redete.
„Ich verstehe was du sagst, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ich es so einfach selbst kann.“ Sagte er schließlich
Spinne grinste und zeigte wieder seine weißen Zähne. „Dann werde ich es dir zeigen und du wirst es lernen, Schlange.“

Eine der Manegen in den unteren Gruben war deutlich größer als die anderen. Hier fanden sich Puppen aus Stroh und Holz, mit Sägemehl gefüllte Ledersäcke, die von der Decke hingen und hölzerne Übungswaffen. Der Dielenboden war durch die starke Benutzung ausgelatscht, an manchen Stellen waren die Bretter sogar gebrochen und nur notdürftig geleimt oder anderweitig befestigt worden. Einige Grubenkämpfer machten hier ihre Übungen, kämpften mit ihrem Schatten oder mit anderen, Schlugen die Holzpuppen oder kümmerten sich darum, dass verletzte Körperteile die sie lange schonen mussten wieder in Form kamen.
Spinne forderte Jin auf, ihm zu zeigen wie er kämpfte und dieser führte eine schnelle Folge von geraden gegen einen Übungssack aus. Nachdem die Schlagserie beendet war, drehte er sich zu Spinne sah ihn fragend an und zuckte mit den Schultern.
„Jetzt zeig es mir, nicht dem Sack. Versuch mich hier zu treffen, Schlange.“ Der Waldmensch tippte sich auf seine rechte Schulter. „Du hast nun ein Ziel.“
Jin nickte. „Aber nicht für das Ziel kämpfen?“
„Nicht nur wiederholen. Verstehen.“
Den ersten Schlag blockte der Waldmensch mit Leichtigkeit ab, unter dem direkt folgenden zweiten duckte er sich weg. Er hielt seine Arme vor einem bevorstehenden Angriff stets in schrägem Winkel von seinem Körper entfernt, in leicht versetzter Höhe. Egal wie schnell Jin versuchte die Verteidigung des Waldmenschen zu durchbrechen, seine Unterarme oder Hände waren stets im Weg und setzten entweder ihre eigene Kraft direkt gegen die von Jins Schlägen, oder lenkten diese zur Seite ab, nur um dann wieder in die Ausgangsstellung zu gehen.
„Dein Kopf kämpft allein, Schlange.“ Merkte Spinne zwischendurch an.
Der junge Maraskaner versuchte es mit allen Tricks die er kannte, aber die Abwehr des Waldmenschen war perfekt, zudem wusste er doch, wo Jin ihn treffen wollte.
Welchen Sinn hatte das hier?
„Soll dein Grund allein den Kampf bestimmen?“ Fragte Spinne, drehte sich zur Seite und blockte direkt danach einen Schwinger der auf seine Schulter zielte mit dem Unterarm.
„Ist das was Schlange gerade tut kämpfen?“ Der Waldmensch duckte sich unter einer geraden weg, schnellte wieder hoch und lenkte den folgenden Schlag mit seiner Linken ab. „Oder versuchst du nur meine Schulter zu berühren damit der Kampf endet?“
Er machte einen unerwartet weiten Satz nach hinten und brachte sich damit außerhalb der Reichweite von Jin, der sich daraufhin entspannte.
„Meine Schläge hatten den Zweck, deine Schulter zu berühren um den Kampf zu beenden, ja, was ist daran falsch?“
Spinne schüttelte den Kopf. „Sieh nicht das Ziel, sieh den Kampf.“
Jin nickte und Spinne kam wieder auf ihn zu.
„Nochmal.“ Sagte er und ließ den Maraskaner angreifen.
Wieder wurde er mit den unglaublich schnellen Blocks den Waldmenschen konfrontiert, die jeden seiner Angriffe zunichte machten. Und wieder versuchte er zu begreifen, was er tun sollte. Noch nie hatte er kämpfen als etwas anderes als eine Notwendigkeit oder ein Mittel zum Zweck gesehen. Es war für ihn kein Zeitvertreib, kein Beruf, bei dem er Zeit hatte Ästhetik oder viel Philosophie dahinter zu verstehen.
Doch er war zu der Erkenntnis gekommen, dass die Art wie er zu kämpfen pflegte, an einem Punkt angelangt war, an dem er diesen Weg aufgeben, oder ändern musste. Denn Stillstand, dessen war er sich als Maraskaner sehr wohl bewusst, führte nie zu etwas gutem. Aufgeben kam nicht mehr in Frage, diese Frage hatte Jin schon lange für sich beantwortet.
Durch Nothilf und Spinne hatte er die Chance auf Veränderung bekommen. Nun musste er bloß begreifen, wie er umsetzen konnte, was der Waldmensch ihm versuchte zu erklären.
Während Spinne seine Attacken weiterhin parierte, dachte Jin an den Moment zurück, an dem er erkannte, dass die Klingen Ikanaris nur Trug waren. Nach diesem Augenblick innerer Stärke hatte er sich so klar wie selten zuvor gefühlt. Bis zu dem verheerenden Augenblick des Siegesrausches und dem fatalen Schlag, waren der Ring, die Zuschauer, die ganze Welt ausgeblendet und nur er und sein Gegner waren noch über.
Aber wie konnte man so einen Zustand willentlich heraufbeschwören?
Jin versuchte trotz der Anstrengung ruhig zu atmen. Da er keinen Gegenangriff zu fürchten hatte, gab er seinen Angriffen ein einfacheres Muster und konzentrierte sich ganz darauf. Die einzelnen Schläge, die Bewegungen seiner Arme, wie sich seine Muskeln zusammenzogen, die Erschütterung, wenn seine Faust auf die Blocks von Spinne prallte und der Übungsraum in verschwommenen Konturen verschwand, bis seine Wahrnehmung auf ihn und seinen Gegner zusammenschrumpfte.
Ja. So war es gewesen.
Dass er Spinnes Schulter treffen sollte, war plötzlich weit weg.
Das war es! Jin glaubte, es verstanden zu haben.
„Das reicht.“ Drang es dann zu ihm durch und ehe er es sich versah hatte der kleinere Mann sich geduckt, Jin verlor das Gleichgewicht und durch den Fußfeger gefällt landete der Maraskaner auf seinem Rücken.
Der Waldmensch schwitzte am ganzen Leib und auch Jin merkte jetzt, dass es kalt an seinem Rücken klebte und seine Arme schmerzten als wollten sie reißen.
„Dein Kampfgeist ist stark, Schlange und du lernst schnell. Wir machen morgen weiter.“ Entschied Spinne, half Jin auf die Beine und wendete sich dann von ihm ab, um zu seiner Kammer zu gehen.
Ein kleiner Halbkreis von Kämpfern, der sich um die Beiden gestellt hatte, starrte dem Waldmenschen hinterher und begann dann sich langsam aufzulösen.
Als Jin fragte, was los sei, bekam er als knappe Erwiderung nur, dass man es nicht jeden Tag sieht, wie zwei Männer fast eine halbe Stunde ununterbrochen auf hohem Niveau kämpfen, ohne sich dabei zu verletzen.




Es dauerte mehrere Wochen, bis Jin es schaffte, eine Balance zu finden zwischen der Kampfesphilosophie die Spinne vertrat und seinen eigenen Techniken und Auffassungen. Er war sich nicht sicher, ob er diese Einstellung, die vielen zu Eigen war, deren Leben nicht nur von Waffengang geprägt, sondern auch bestimmt war jemals völlig verstehen würde.
Ähnlich wie das von Jin, war auch Take-Imaros Leben ein ständiger Kampf mit und auch gegen seine erbarmungslose Umwelt. Wenn er von den dichten Dschungeln seiner Heimat erzählte, fielen dem Maraskaner viele Dinge auf, die hier nicht minder gefährlich waren, von den vielen giftigen Tieren mal abgesehen.
Dennoch war er als Krieger erzogen, geradezu geboren worden, verfügte über einen Kodex und eine Denkweise über das Kämpfen, die Jin nie kennengelernt hatte, wenn er in den Gassen zwischen den weißen Wänden der hohen Häuser Sinodas  nichts anderes versucht hatte, als zu überleben.
Gleichermaßen begriff der Grubenkämpfer aber auch, dass was er tat nicht bloß Notwendigkeit sein musste. Dass seine Schläge ihm nicht bloß die nächste Mahlzeit und Nacht mit einem Dach über dem Kopf sicherten, sondern auch eine Kunst sein konnte, so wie sich andere der Malerei, dem Reden, Tanzen oder Schmieden zuwandten um zu verarbeiten, was sie erlebt hatten.
„Benutz deine Beine mehr. Du solltest deinem Namen nicht zuviel Ehre machen, Schlange.“
Er beanspruchte nicht für sich, dass die Art seiner Kunst auch nur annähernd perfekt sei.
Jin rieb sich das Schienbein, gegen das er einen heftigen Tritt kassiert hatte, der ihn aus dem Gleichgewicht brachte. „Oké.“ Bestätigte er mit dem Wort, das der Waldmensch sonst so gern benutzte und dieser lachte.
„Nicht nur sagen. Tun. Dein Oberkörper ist schnell wie deine Gedanken, deine Beine noch zu langsam.“
Sie beendeten die Übung und verließen die Gruben um draußen auf den Treppen einen Krug Wein zu leeren.
Der Wein, den die Kämpfer hier in der Regel bekamen war verwässert, aber billig und besser als nichts.
Spinne nahm einen tiefen Zug aus dem Gefäß und verzog das Gesicht, es machte einen dumpfen Ton, als er es zurückstellte.
„Ihr Blasshäute könnt einfach keinen Wein herstellen.“ Kommentierte er den besseren Essig.
„Bei dir daheim gibt es Wein?“
„Den besten, süßesten den du dir vorstellen kannst.“ Bejahte der Waldmensch nickend.
„Warum bist du überhaupt hierhergekommen?“ Fragte Jin schließlich und genehmigte sich selbst einen Schluck von dem Trunk, den manch besser betuchter Mensch direkt wieder auf die weißen Treppen gespuckt hätte.
Spinne blickte daraufhin einige Herzschläge zur Sonne, die hinter den Dächern der Stadt verschwand. Nachdenklich, als hätte man ihm etwas gezeigt, dass er lange nicht gesehen und nun einordnen müsste.
Wie lange mochte der dunkelhäutige Mann nun  schon fernab seiner Heimat sein?
Es war schwer sein Alter einzuschätzen. Selbst bei den wenigen Waldmenschen die Jin schon in der Al’anfanischen Botschaft als Diener gesehen hatte und denen, die er von Schiffen vom Festland kannte, hatte ihm die Erscheinung dieser Menschen Rätsel aufgegeben. Sie alle hatten glatte Haut, eine stolze Haltung, durchtrainierte, scheinbar makellose Körper, egal wie alt sie zu sein schienen. Starb einfach jeder von ihnen jung, gab es keine Greise, oder wahrten sie ihr jugendliches Antlitz bis sie starben, wie die Elfen?
Tatsache war, Spinne hätte Anfang Zwanzig, wie Jin, oder auch Vierzig sein können.
„Wegen eines Mannes, den ich vor langer Zeit kannte und einen Freund nannte.“ Erklärte der Waldmensch, immer noch teils abwesend. „Mein Stamm hat einen Brauch, Schlange. Im Gegensatz zu vielen anderen Stämmen töten wir Fremde nicht. Nicht einmal Blasshäute, wenn sie den Lauf zu einem, ihr würdet sagen, ‚heiligen‘ Pfahl überstehen. Bestehen sie diesen Test, ohne ihre Waffen oder andere Dinge, verfolgt von zwei Kriegern des Stammes, so heißen wir sie als Freunde, wünschen sie es und sind es würdig, auch als Stammesmitglieder willkommen.“
„Und wenn nicht?“ Fragte Jin dazwischen.
„Dann zieren ihre Köpfe den Pfahl.“  Diese Antwort hatte der Maraskaner erahnt. „Mag grausam erscheinen, aber die anderen Stämme räumen Fremden diese Ehre nicht ein. Ein Mann, eine Blasshaut mit dem Namen Arlin und seine Leute trampelten durch den Wald, als würde er ihnen gehören und mit einer Gedankenlosigkeit, wie nur euer Volk sie zeigen kann. Wir stellten und überwältigten sie und bereiteten den Lauf vor. Keiner von uns konnte die Sprache der Männer, doch die Tradition verlangt es, dass wir jedem die Regeln des Brauchs erzählen. Ich wunderte mich oft über die Bestürzung in den Gesichtern von Fremden, wenn sie verstehen, was geschieht. Wer soweit in den Wald geht, muss doch wissen, dass er mit jedem Schritt sein Leben riskiert.“ Spinne schüttelte den Kopf, nahm einen Schluck Wein und erzählte weiter.
„Arlin aber nickte gleichmütig und fragte äußerst gebrochen im Mohaha, ob er, da er die Verantwortung für seine Männer trägt, für jeden von ihnen laufen dürfe. Niemand hatte bis dahin so eine kühne Forderung gestellt, aber Tabu war es auch nicht. Da er eine Blasshaut war, nahm ohnehin keiner an, dass er auch nur den ersten Lauf überstehen würde, ohne seine stählerne Waffe.“ Take-Imaro lachte leise, als er sich erinnerte. „Obwohl er nackt und ungeschützt war, zwei Krieger mit Messern und furchterregender Bemalung auf ihn zustürmten, lief er nicht zum Pfahl. Dieser riesige fremde Mann mit den zerzausten feuerroten Haaren blieb einfach stehen, wich den Messerhieben aus und schlug gestandene Krieger nieder, als wären sie nichts als ein Ärgernis. Dann ging er in aller Ruhe zum Pfahl und berührte ihn. Die Hindernisse und Fallen auf dem Weg machten ihm also gar nichts aus. Die Krieger waren leichtsinnig gewesen, zu ungewohnt war es für sie, dass sich jemand stellte. Arlin ging zurück und verschränkte die Arme, bereit für den nächsten Lauf. Viele Male wiederholte sich das Schauspiel, und der leichenblasse Mann von jenseits unseres Waldes blutete aus vielen Wunden, da die wartenden Krieger Zeit hatten, aus den Kämpfen zu lernen, während er schwächer und schwächer wurde. In einem Krieg wäre es eine Ehre gewesen, seinen Kopf zu nehmen! Als er sich erneut geradezu vom Holzpfeiler zurückschleppte tat ich das, was viele zwar dachten, aber aus Respekt vor unseren Bräuchen nicht wagten. Ich war damals jünger und ein Hitzkopf, also betrat ich ebenfalls den Kreis in dem der Lauf starten würde, und stelle mich kampfbereit neben den Fremden. Du musst sehen, was wir tun, das folgt aus der Frage, ob das was wir tun der Sippe nützt oder Schadet. Jeder Krieger, den Arlin verwundet oder schwächt Schadet der Sippe. Einen Kämpfer wie ihn als Freund des Stammes zu verlieren aber ebenfalls. Also musste das aufhören. So dachte ich und ich würde es trotz dem was ich heute weiß wieder so tun. Trotz meiner Jugend war ich bereits ein angesehener Krieger, Raunen und Geplapper folgte meiner Entscheidung, aber es gelang mir sie alle zu überzeugen, Arlin als Freund des Stammes willkommen zu heißen, seine Männer aber an die Grenze unseres Gebietes zu bringen, mit der klaren Botschaft, dass sie sterben würden, kehrten sie zurück. Sie waren bereit ihn zurückzulassen und er war dankbar, bleiben zu dürfen.“
Jin hörte sich gern die Geschichten anderer Menschen an. Auf den Straßen Sinodas waren Gedanken in Wort und Schrift für ihn immer ein wertvolles Gut gewesen, da er wahrscheinlich nie die Chance bekommen hätte, diese Stadt zu verlassen. So erfuhr er immerhin etwas über die Welt und ihre Bewohner, sollte er diese Dinge selbst auch nie sehen.
„Die Take-Ca behandelte höchstpersönlich seine Wunden. Mir, als ihrem Gefährten, war es als einzigem erlaubt dabei zu sein und sie fragte unseren neuen Freund Arlin, was ihn hierher verschlagen hatte. Mit diesem seltsam abgehackten, fast falschen Mohaha erklärte er schwach, dass er Kun-Kau-Peh, die verlorene Stadt suchte und deswegen weit aus dem Norden gekommen sei. Wir waren überrascht, dass ein blasser Nordländer wie er diese heilige Stätte überhaupt kannte. Wäre er nun nicht ebenfalls ein Krieger unseres Stammes gewesen, wären wir zutiefst misstrauisch geworden. Meine Frau erklärte ihm, dass sie dafür verantwortlich war, wer diesen Boden betreten dürfe und man sich diese Ehre verdienen müsse. Wer dieses Recht ausnutzt, um Krieg zu führen, zu stehlen oder gar dem Werk der Geisterspinne schaden zu wollen, den erwartete schlimmeres als der Tod. Trotz seiner Größe und Herkunft war Arlin schon bald ein fähiger Jäger, seine Kampfkraft hatte er bereits bewiesen, ob nun mit seinem langen Stahlmesser oder mit bloßen Händen, er stand keinem Stammeskrieger in Kunstfertigkeit nach. Auch der Rest der Sippe hatte ihn akzeptiert, er lernte unsere Sprache besser zu beherrschen und brachte uns seine bei. Ich war stolz, diesen Mann meinen Freund und Bruder zu nennen und nach einiger Zeit bekam er von der Take-Ca auch die Malerei der roten Spinne geschenkt, die ihm freies Geleit durch Kun-Kau-Peh zugestand.“
Take-Imaro wies dabei auf seine eigene Schulter, auf der neben vielen anderen verschlungenen Tätowierungen und Hautbemalungen, das Bild einer tiefroten, feingliedrigen Spinne saß.
„Ich habe ihn oft gefragt, was er in der alten Stadt zu finden hoffte, denn seit die Schuppigen besiegt wurden, wird dieser Ort bereits von Takehe und ihren Kindern bewacht. Du kannst dir nicht vorstellen, was es für schreckliche Dinge in den Dschungeln gibt, Schlange. Manche davon sind so mächtig und furchtbar, dass sie nicht besiegt, nur eingesperrt und bewacht werden können, so dass sie nie wieder Schaden anrichten. Ich verstand nicht genau, was er mir zu erklären versuchte, aber seine Ahnen hatten ihm ein Zeichen gegeben dass für ihn und sein Land dunkle Zeiten bevorstehen und er hierher kommen solle um für diese Zeiten bereit zu sein. Wenn er je fand, was er suchte, würde das auch heißen, dass mein Freund uns verlassen würde. Trotzdem half ich ihm dabei durch das Tal der Geisterspinne und die uralte Stadt zu streifen. Eines Tages, vor einer Mauer, die die Schuppigen vor langer Zeit dort errichteten, hellte sich seine Miene auf. Behände und vorsichtig näherte er sich dem Stein ohne auf einen der zahllosen silbrigen Fäden zu treten, die überall im Tal gespannt waren. Bei uns heißt es, wer solch einen Faden trennt, tötet einen Menschen oder ein Tier, wer gar auf eine Spinne dabei tritt, spielt mit seinem eigenen Leben. Arlin strich die Ranken und das Moos vom Stein und musste sich beherrschen um nicht laut zu jubeln. Wie fast alle Steine der Echsen, hatte auch dieser Bilder. Er zeigte einen Jüngling mit einer seltsamen Krone und Allerlei Monster und Alptraumwesen, die von einem unsichtbaren Licht von dem Jungen ferngehalten wurden. Arlin erklomm den Stein und als ich kurz nach ihm auf der Spitze ankam, hatte er bereits eine Mulde freigelegt in der ein klarer, eiförmiger Stein lag wie ich ihn noch nie gesehen habe. Mir war unwohl und ich fasste meinen Freund an der Schulter um ihn davon abzuhalten das Ei an sich zu nehmen. Aber Arlin schüttelte den Kopf und sagte mir, dass es so geschehen müsse. Wenn die Geister dieses Ortes etwas dagegen hätten, würden sie ihn aufhalten, aber er war sich sicher, das dies war, wonach er so lange suchte. Ich gab nach und als er den Stein berührte zürnte uns weder Takehe, noch eines ihrer Kinder, doch kurz wurde es kalt, so schien mir. Wir kehrten zurück in unser Dorf. Schon am nächsten Tag wollte Arlin in seine wahre Heimat reisen, so dass für ein Festessen und einen herzlichen Abschied keine Zeit blieb. Ich erzählte meiner Frau in der Nacht davor von dem, was er gefunden hatte und sie war, wie ich auch, beunruhigt.“
Wieder blickte Spinne in die nunmehr fast völlig verschwundene, Blutrote Sonne, während er weitersprach.
„Ich folgte meinem Freund. Heimlich. Er bewegte sich mittlerweile wie einer von uns durch den Wald. Aber Arlin hatte es eilig und bemerkte mich nicht. Jedoch fiel es mir schwer Schritt mit ihm zu halten. Er schlief kaum, machte keine Rast und aß fast nichts. Die Tiere des Dschungels mieden ihn, gleich ob Beute oder Räuber. Am dritten Tag fielen mir die seltsamen Narben an seinem Rücken und an den Armen auf, die er vorher nicht hatte. Irgendwann musste selbst ich eine längere Rast machen, denn Müdigkeit vergibt dieser Wald nicht. So schnell ich konnte folgte ich seinen Spuren. Sehr dicht am Land der Blasshäute hatte ich fast wieder zu ihm aufgeschlossen. Ich machte mir große Sorgen, denn hierher kommen auch oft die Menschenjäger, ohne Rettung verrottet und Böse. Sie verstehen nur die Sprache des Todes, denn sie sind ohne Tapam oder Nipakau und verloren. Doch das Schicksal das denen, die ich auf einer Lichtung fand zuteil wurde, ließ selbst mich, der sie so sehr Hasst zweifeln, ob sie es verdient hatten. Arlin –ich wusste sofort, dass er das getan hatte- richtete ihre Körper grausamer zu, als es die Ke-Ke-Wannaq gekonnt hätten. In klaffenden Wunden steckten dutzende seltsame Splitter, triefend vor Gift, ihre Knochen waren gebrochen und jeder einzelne war langsam zugrunde gegangen. So kämpfte Arlin sonst nicht. Er kämpfte hart, aber tötete wenn er es musste sauber und schnell. Ich verfolgte ihn weiter, sogar bis tief hin in die Länder der Blasshäute. Zunächst wollte ich ihn aufhalten, aber schnell musste ich einsehen, dass ich ihn nicht ohne weiteres würde töten können, um sein Nipakau von dem Yaq-Hai, dem Dämon, der auch sein Tapam verdarb, zu befreien. Ich folgte ihm und lernte, folgte ihm bis hierher. Er weiß, dass ich hier bin und hält sich deswegen zurück.“
Jin sah den Waldmenschen ungläubig an. „Hier? Ich habe so einen Mann nie in den Gruben gesehen…“
„Er kämpft selten, manchmal monatelang nicht, damit ich ihn nicht beobachten kann. Der Mann, dem dieser Ort gehört, weiß wie gefährlich Arlin ist, aber er ist zu versessen auf die Metallscheiben, um ihn gehen zu lassen. Ob ein Rest meines Freundes sich wehrt und deswegen diesen Ort aufgesucht hat, oder ob er hier ist weil er auf etwas wartet ist mir gleich. Ich werde ihn beobachten und wenn ich seine Vorteile erst alle kenne, werde ich ihn töten. Das bin ich ihm schuldig. Deswegen bin ich hier, Schlange.“ Beendete Spinne seine Erzählung.
Die Sonne war mittlerweile völlig verschwunden und schwacher Fackelschein drang von den Straßen der Alabasterstadt bis zu der hohen Treppe des Theaters, auf der nun auch einige andere Menschen mit Krügen und Rauchwerk saßen, sich leise unterhaltend.
„Was man nicht besiegen kann, sperrt man ein.“ Überlegte Jin laut. „Und du ziehst deinen Nutzen daraus, wenn er andere Menschen tötet. Je schwerer sein Gegner, desto mehr seiner Trümpfe muss er nutzen und dir auch zeigen.“ Spinne nickte bedächtig. „Und das heißt, er kann nicht oft töten, da er sich deiner gewahr ist.“
„Ich bin nicht Stolz.“ Gestand der Waldmensch. „Aber ich bin der einzige der ihn aufhalten wird, so haben es meine Ahnen mir gezeigt. Hätte Ikanari gegen ihn kämpfen müssen, wie ich es erwartet habe, hätte er gegen sie alles aufbieten müssen, was er hat, denn er war es, der ihre Familie tötete und ihr Hass hätte ihr Kraft gegeben. Er hätte sie sicher besiegt, aber ich hätte zugesehen. Zu ihrem Glück musste sie gegen dich kämpfen.“
Jin legte die Stirn in Falten. „Ich verstehe. Hast du überlegt mich als Ersatz zu benutzen?“ Fragte er ohne Spinne anzusehen.
Der Krieger aus dem Dschungel sah ihn geheimnisvoll an, dann lachte er. „Du bist klug, Schlange.  Ikanaris Tapam hat ihr Kraft geliehen, wenn sie sie für ihre Trugbilder brauchte. Deine Kraft ist nur dein Nipakau, und damit könntest du gegen einen Gegner wie den Yaq-Hai in Arlin nie bestehen. Trotz der Anleitung meiner Ahnen zweifle ich manchmal, ob ich das könnte.“
„Du hast meine Frage nicht beantwortet, Spinne.“
„Du bist ein Freund, Schlange.“ Er legte dem Maraskaner die Hand auf die Schulter. „Ich würde einen Freund nicht für meinen Vorteil opfern. Eher würde ich dir bei unserem Kampf, der kommen mag, die Beine brechen, damit du Arlin niemals begegnest.“


„Bist du nervös, Jin?“ Fragte Nothilf ihn, als er zum dritten Mal seine Bandagen neu um die Hände wickelte und das wattierte, langärmelige dunkelblaue Wams überstreifte.
„Ein wenig. Es ist beunruhigend gegen jemanden zu kämpfen, der fast jede deiner Bewegungen kennt, dir einige sogar selbst beigebracht hat. Wenn du einen Rat für mich hast, jetzt wäre es an der Zeit.“ Meinte er schmunzelnd und lockerte seine Handgelenke um zu sehen ob die Bandagen nun gut saßen.
„Man sagt, Spinne sei der beste Kämpfer des Theaters. Er hat noch nie verloren und ich denke auch nicht, dass er schon einmal ernsthaft gefordert wurde. Was ich weiß ist, dass ihr Freunde seid und dass du deswegen die seltene Gelegenheit hast, einen Kampf der Kunst willen zu kämpfen, nicht weil du siegen musst.“ Sie neigte den Kopf. „Aber das ist nicht alles, was dich beschäftigt, oder?“
„Kennst du einen Kämpfer namens Arlin? Groß, rote Haare und Narben an rücken und Armen?“ fragte Jin schließlich.
„Morfu.“ Sie nickte. „Bitte sag mir nicht, dass ich mir die Frage stellen muss, ob du gegen ihn kämpfst. Er ist gefährlich. Irgendeine Magie hat ihn verändert. Glücklicher weise kämpft er selten. Niemanden der gegen ihn antrat, konnte ich retten. Tobias duldet ihn nur, weil er ihm Geld bringt. Die Menschen dulden ihn nur, weil er sie mit seinen Grausamkeiten, die sie nie begehen dürften unterhält.“ Ergänzte die Heilerin traurig.
„Spinne will ihn aufhalten. Und ich bin mir unsicher, welche Rolle er mir dabei zugedacht hat.“
„Ich weiß. Aber selbst er zweifelt, wenn er daran denkt, zu was Morfu fähig ist. Seine Wacht war bisher sehr einsam, vielleicht sucht der Mann aus dem Dschungel nur jemanden, der das Wissen um das, was diesem Mann geschah teilt um seine Bürde zu erleichtern.“
Jin nickte und gab Nothilf recht. Dann stand er auf und verließ die Kammer der Heilerin.
„Viel Glück!“ wünschte sie ihm
„Halte lieber schon das eine oder andere Kraut und Umschläge bereit. Heil werde ich wohl heute Abend nicht zurückkommen!“ Erwiderte er lachend und ging leichten Schrittes die Treppen zur großen Arena hinauf.



Es hatte sich seit dem letzten Mal nichts verändert im größten Ring des Theaters.
Ghorio war zunächst freudig überrascht gewesen, dass Jin wieder einen großen Kampf bestreiten wollte, nachdem er sich monatelang mit Kleinkram aufgehalten hatte. Als er erfuhr gegen wen er antreten wollte, und dann noch unter ‚alles-ist-erlaubt-Bedingungen‘, verschlug es ihm die Sprache und er zeigte Jin wiederholt einen Vogel.
Schließlich aber fand der Krieger sich damit ab und riet Jin nur wenn der Waldmensch zutrat, auszuweichen und nicht mit Kraft zu Blocken, wenn er sich nichts brechen wollte. Jin wusste um die verheerenden Tritte Spinnes, aber hatte sie im Training bisher nie ernsthaft zu spüren bekommen.
Der Ansager stellte sie Beide vor, auch wenn das kaum nötig war, denn sie beide waren jedem einzelnen hier im Theater bekannt und so ging die Stimme des Mannes  in Beifall und Geschrei unter.
Jin hörte sie nicht. Er konzentrierte sich ganz auf Spinne, der vom anderen Ende der Arena lässig auf ihn zukam.
Als keine fünf Schritt die Beiden mehr trennten, fragte Spinne, glasklar und verständlich über den Hintergrundlärm hinweg „Bist du bereit, Schlange?“
Jin nickte und die Gegner schossen aufeinander zu.
Der Waldmensch war einen Lidschlag schneller und zwang Jin damit in die Defensive, der einem Tritt auswich, dem Spinne aus der Drehung heraus direkt einen zweiten folgen ließ, den Jin entgegen seinem besseren Wissen blockte, da er keine andere Chance hatte ihm zu entgehen. Er unterdrückte den Schmerz und fing mit demselben Arm einen hoch angesetzten Schlag ab, sah den Fußfeger und den darauffolgenden hohen Tritt kommen und rollte sich rechtzeitig zur Seite weg, Distanz zwischen sich und Spinne bringend.
Für Jin war das Theater totenstill. Er konzentrierte sich ganz auf den Kampf, der gerade erst begonnen hatte, aber in dem er sich schon so lebendig fühlte wie nie zuvor. Kaum hatte er sich wieder aufgerichtet, war Spinne schon wieder bei ihm und setzte zu einer dichten Schlagserie an, der Jin teils auswich, teils seine Unterarme in den Weg warf. Endlich, nach einem Kreuzblock mit beiden Armen mit dem er den Waldmenschen von sich drückte, schaffte er es in die Offensive zu gehen und servierte eine schnelle folge von harten Geraden, die selbst der Abwehr der Spinne zu schaffen zu machen schienen, sie aber nicht durchdrangen. Schwinger, Schläge mit Faust oder Handballen, ob Täuschung oder echter Angriff. Trotz seiner verbesserten Technik und Geschwindigkeit schaffte Jin es nicht, einen Treffer zu landen und wurde sogar wieder in die Defensive gezwungen, als der Waldmensch zur Seite auspendelte und die Bewegung für einen beinahe senkrechten Kerzentritt nutze, der Jin am Kopf getroffen hätte, wäre nicht seine Arme rechtzeitig oben gewesen um das Schlimmste zu verhindern. Der Maraskaner hatte keine Zeit sich neu auszurichten, sprang doch der kleinere Waldmensch mit dem anderen Bein direkt und setzte dem geblockten Tritt noch einen hinterher, den Jin unmittelbar mit beiden Unterarmen abfangen musste, so dass die reine Wucht ihn ein ganzes Stück über den steinernen Boden Schlittern ließ.
Kurze Zeit waren seine Arme durch den Schmerz fast taub, aber er zwang sie wieder in eine Abwehrstellung. Er schwitzte in seinem Wams und sah, dass es Spinne trotz der Tatsache dass er nur seinen Lendenschurz trug nicht besser ging. Auf den Rängen war tatsächlich Stille eingekehrt, stellte Jin fest, als er sich flüchtig umsah und hörte. Wie vom Licht gebannte Insekten starrten die Menschen auf die Grubenkämpfer, die sich nur angrinsten und einen neuen Schlagabtausch begannen.
Auf ihrer beider Wunsch gab es keine Hindernisse, keine Geländeunebenheiten in der Manege. Nur ein Ring und zwei Kämpfer hieß es heute. Trotz seiner stabilen Konzentration merkte Jin, wie er langsam müde wurde, wie seine Arme und Beine durch die vielen Blocks mürbe wurden, während Spinne in dieser Hinsicht keine Beschwerden zu haben schien. Wieder war er an jemanden geraten, bei dem seine Alles-oder-Nichts Taktik vorerst wertlos wäre. Spinne kannte seine Vorgehensweise zu gut. Er hatte nichts außer frontalen Angriffen und war was Tritte anging seinem Gegner weit unterlegen, während Spinne selber kaum Schläge austeilte, aber sehr gut wusste, wie man sie abfängt. Seine Abwehr war perfekt wie gewohnt, stellte Jin fest, als er zwar fast einen Treffer landete, aber für die Blöße die er sich dadurch geben musste einen heftigen Sicheltritt kassierte, der ihn fast umwarf.
Einige Zuschauer standen nervös von ihrem Sitzen auf, noch immer war es totenstill.
Der junge Grubenkämpfer atmete schwer und hielt sich die Rippen, wo ihn der Tritt getroffen hatte. Er hatte sich etwas zurückgezogen und Spinne war ihm noch nicht gefolgt.
„Bringen wirs zu Ende.“ Sagte Jin schließlich grimmig und nickte seinem Freund zu.
„Du hast gut gekämpft, Schlange.“ Gestand er ihm ein.
„Du hast nicht alles gegeben, Spinne.“ Erwiderte der Maraskaner und stürmte auf den Waldmenschen zu, der ruhig stehenblieb.
„Du etwa?“ Rief er ihm lachend zu.
So schnell ihn seine Füße trugen, sprintete Jin Spinne entgegen und holte mit der linken weit aus, zu dem Schlag der ihn bekannt gemacht hatte.
Als wäre die Zeit zähe Masse bemerkte er, wie sein Gegner einen hohen tritt ansetzte, dem er unmöglich entgehen konnte, und der gleichzeitig dafür sorgte, dass sein Schlag niemals ankäme.
Im letzten Moment langte er mit der Rechten hinter seinen Rücken, zog die Waffe, die er bis jetzt verborgen hatte und schlug mit einer fließenden Bewegung zu. Schneller als Jin es je bei einem Menschen gesehen hatte, riss Spinne den Arm zu einem Block hoch, was den Kettenstab jedoch herzlich wenig störte. Die Waffe, die auf dem Festland oft leichtfertig als ‚Morgenstern, nur in dumm‘ bezeichnet wurde, war ideal um Schilde oder Paraden aller Art zu umlaufen, wegen des Kettengelenks, an dem ein weiterer Holzgriff befestigt war. Das Holzstück krachte mit aller Gewalt gegen die Brust von Spinne, zur gleichen Zeit landete der Tritt, der Jin die Luft aus den Lungen presste und ihn einige Schritt zurückwarf.
Beide Kämpfer gingen zu Boden und rührten sich nicht.
Es war das erste Unentschieden seit der Geschichte der Grubenkämpfe.

Schmerzerfüllt zuckte Jin zusammen als Nothilf den Stützverband mit den heilenden Kräutern darunter festzog.
„Das wirst du etwas schonen müssen, aber deine Rippen sind nicht gebrochen. Das mit dem Kettenstab war klug, Jin.“ Lobte sie ihn. „Und wenn es dich tröstet, er hat eben so viele blaue Flecken wie du.“
„Spinne hat eine perfekte Abwehr und ich glaube er hätte nach dem Treffer auch wieder aufstehen können, hätte er gemusst. Aber er hat auch einfach eine Schwäche. Er rechnete nicht mit dem Stab, weil er nicht wusste, dass ich mit einem umgehen kann. Spinne verlässt sich zu sehr auf die Vorteile, die er durch das Wissen über seine Gegner hat.“ Er biss die Zähne zusammen als er aufstand.
„Feier nicht zu hart, auch wenn Ghorio das nicht so eng sieht. Wer hätte gedacht, dass der Fuchs auf unentschieden setzt…“ Sagte sie, in sich hinein lächelnd.
„Möchtest…“ Jin räusperte sich. „Möchtest du nicht mit uns kommen?“ Fragte er und wurde dabei ein wenig rot im Gesicht.
Sie legte ihre Hand auf seinen Arm und schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, ich werde noch hier gebraucht, aber gern an einem anderen Tag, Jin.“
Murmelnd akzeptierte er die Entschuldigung und machte sich auf den Weg, um Ghorio draußen vor dem Theater zu treffen.

Entgegen dem Rat der Heilerin hatte er hart gefeiert und kam torkelnd, aber heil zurück in seine Kammer. Zumindest beim dritten Versuch.
Wie einen Sack ließ er sich auf seine Pritsche fallen und bereute es, als ein heftiger Schmerz seine Rippen durchzuckte, noch mehr, als er daraufhin lachen musste.
Er hörte das Klopfen an dem Rahmen seiner Kammer und sagte bereits „Ja!“ bevor er sich überhaupt seinem Gast zugewandt hatte.
Spinne setzte sich mit Rauchwerk, das er ihm anbot neben ihn. Jin zog an der irdenen Pfeife und reichte sie dem Waldmenschen zurück.
„Normalerweise feiert man doch nur Siege.“ Sagte er dann grinsend.
„Isn‘ echter Sieg nicht nur die Erfahrung die wir mitm‘…mitm‘, ach egal, weißt was ich mein.“ Sagte Jin und winkte lachend ab.
Der Grubenkämpfer stimmte ins Lachen mit ein und zog dann bedächtig an seiner Pfeife. Dunkler, nach Kräutern und süßem Harz riechender Rauch verteilte sich in der Kammer. „Was wirst du tun, wenn du das Theater verlässt?“ Fragte er schließlich.
Jin überlegte eine Weile. Er hatte sich das lange nicht gefragt. Durch den vielen Alkohol gelockert, konnte er sich aber viele Dinge vorstellen. „Da gibt’s so viel…Ich will das Festland sehen, was über die Menschen lernen, die Schönheit dieser Welt mit eigenen Augen sehen.“ Er kicherte. „Oder eher eigenem Auge.“ Etwas ernster sagte er dann „Vielleicht frach ich Nothilf, ob sie den Kreis mit mir geht, bei den Zwillingen, hast du je eine Frau gesehen, die so schön und so klug ist?“ Stellte er die Frage mehr an den Raum als an Spinne.
„Ja.“ Gestand Spinne. „Und sie hat mich zum Mann genommen. Aber du hast recht, deine Heilerin ist eine hübsche und starke Frau, für eine Blasshäutige.“
„Und du, Spinne?“
„Ich werde zurückkehren, zu meiner Frau, meinem Kind und meinem Stamm. Sollte ich sterben, werde ich zu meinen Ahnen gehen.“
„Klingt beides nich übel. Aber ich hoffe doch sehr auf ersteres. Würd dich gern n Stück begleiten, mein Freund, damit....“ Sagte Jin mit dem Kopf an die Wand gelehnt und schlief mitten im Satz ein.
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