Miserable At Best
von Zerase
Kurzbeschreibung
"Kassander lächelt leicht, ehe er mit den Schultern zuckt und ich beschließe in dem Augenblick, dass es mich nicht interessiert, ob meine Fantasie mir einen Streich spielt, oder nicht." - Fortsetzung zu 'September'.
GeschichteDrama / P12 / MaleSlash
Alexander
Bagoas
Cassander
Hephaestion
16.07.2010
18.08.2010
2
4.790
1
16.07.2010
2.155
Es fing an als ein weiterer Oneshot der Sorte: "Ich weiß, du hast ohnehin schon viel zu viel zu tun und kommst selbst bei BV nicht hinterher, aber weil mir, als deine böse zweite Seite, gerade danach ist, lasse ich dir solange keine Ruhe, bis du diese verdammte Story aufgeschrieben hast - also beweg dich!" und mündete wenige Minuten später in: "Ach, und wenn du schonmal dabei bist, mach 'nen Twoshot draus. Und um dich richtig zu quälen, wirst du in der Ich-Perspektive und Gegenwart schreiben. Keine Diskussion."
Inspiration zu diesem Kapitel war Lifehouse (feat. Chris Daughtry ... ja, ich weiß. Meine innere Dramaqueen LIEBT Daughtry. n__n) mit Had Enough.
Es schmerzt. Der Schmerz fühlt sich falsch an, aber er schleicht sich in mein Herz und nistet sich dort ein, weil er weiß, dass er so schnell nicht wieder verschwinden wird. Vielleicht nie wieder.
Nach außen hin lasse ich mir nichts anmerken. Wie immer weiß ich, wie ich meine Gefühle verbergen muss und mittlerweile bin ich so gut darin, dass nicht einmal Freunde bemerken, wenn etwas mit mir nicht stimmt. Nicht einmal geliebte Menschen. Nicht einmal Alexander.
Ich muss mich zwingen das Seufzen zu unterdrücken, als ich an ihn denke und senke den Blick, starre auf den Weinkelch, den ich in Händen halte. Die rauschenden Feste sind häufiger geworden in letzter Zeit, sie spiegeln den Übermut des Königs wider, den selbst ich ihm nicht ausreden kann.
Es scheint niemanden zu stören. Auf dem, was wir in den letzten Jahren geleistet haben, können wir uns ausruhen; wir verdienen es, die Erfolge zu feiern und die ewigen Kämpfe zu vergessen. Sei es auch nur für kurze Zeit.
Als ich eine leise Stimme zu meiner Linken vernehme, hebe ich aus Reflex den Kopf und weiß bereits Sekunden später, dass ich es nicht hätte tun sollen.
Unwissenheit kann ein Segen sein. Ebenso wie Ignoranz. Hätte ich die gewisperten Worte ignoriert, müsste ich mich nun nicht mit dem Jungen konfrontiert sehen, der nur wenige Schritte von mir entfernt am Rand einer weiteren Kline sitzt. Beinahe schüchtern, doch ich weiß, dass die Fassade nicht verlogener hätte sein können. Mein Blick wandert über die rabenschwarzen, leicht gewellten Haare, den nackten Oberkörper und die Hand, die auf seinem Arm liegt.
Ich kann es Alexander nicht verübeln, einen Gefallen an ihm gefunden zu haben. Bagoas ist durchaus hübsch, doch ich muss mich heftig zusammenreißen um nicht das Gesicht zu verziehen, als mein Blick noch höher gleitet. Die Art und Weise wie Alexander - mein Alexander - ihm ein Stück Obst zwischen die Lippen schiebt ist viel zu liebevoll. Sein Lächeln ist viel zu verliebt und gleichzeitig so anzüglich, dass sich alles in mir verkrampft.
Es ist wie bei diesen schlimmen Unfällen, bei denen man einfach nicht wegsehen kann.
Ich spüre bittere Galle und den Zorn in mir aufwallen und bemerke erst viel zu spät, dass Alexander meinen Blick aufgefangen hat und fragend die Brauen hebt. Eine unauffällige Geste, die von den - größtenteils betrunkenen - Männern im Saal ohnehin nicht wahrgenommen wird, aber ich belasse es bei einem subtilen Kopfschütteln und wende mich wieder ab. Der große Schluck aus dem Weinkelch ist mehr eine Verzweiflungstat; eine Ausrede, um mir eine Beschäftigung zu geben.
Ich versuche den Gedanken daran hinunterzuspülen, dass Alexander so etwas früher nicht auf sich hätte beruhen lassen. Früher hätte er sofort gewusst, dass etwas nicht mit mir stimmt. Früher hätte er keine Ruhe gegeben, bis ich ihm erzählte, was mich bedrückt. Heute schiebt er es wohl darauf, dass ich einen schlechten Tag habe, doch ich weiß um die Tragweite dieser Annahme.
Er sieht mich nicht mehr.
Ich erreiche ihn nicht mehr.
Eine unsichtbare Mauer steht zwischen uns, so hauchdünn, dass keiner außer mir sie zu bemerken scheint oder einfach nicht als ein Hindernis ansieht. Ein Hindernis wie Bagoas beispielsweise.
Seit Alexanders Augenmerk auf ihn gefallen ist, hat sich alles verändert. Langsam und so schleichend, dass ich es anfangs nicht bemerkte, aber sobald der Schaden einmal entstanden war, konnten wir ihn nicht mehr beheben.
Ich kann und will ihn nicht dafür verurteilen, dass er sich anderen Männern - und Frauen - zuwendet. Nie habe ich erwartet, dass ich in seinem Leben der Einzige sein werde, der sein Bett teilt. Aber ich war dumm genug, um anzunehmen, dass er mir wenigstens auf gewisse Weise treu bleibt. Nur mir seine Liebe zukommen lässt.
Ich war nicht nur dumm, sondern auch unglaublich egoistisch. Vielleicht auch einfach nur zu verwöhnt davon, jahrelang das Wohlwollen des Königs genossen zu haben. Es gibt genügend Leute, die mit Genugtuung betrachten, wie sich dieses Blatt langsam aber sicher wendet. 'Hochmut kommt vor dem Fall, Hephaistion. Wir wussten es immer. Wir konnten warten.'
Ich stürze den Rest des Weins hinunter, ertränke Bitterkeit mit Bitterkeit.
Natürlich ist es mir erlaubt, ebenfalls Andere in mein Bett zu holen, wenn ich das wünsche. Doch bei dem Gedanken spüre ich einen kalten Ärger aufsteigen, denn selbst wenn Alexander mir dies eingesteht, verhindert er es gleichzeitig. Noch zu gut erinnere ich mich an den Tag, an dem er Kassander nach Pella zurückschickte, nur weil wir uns zu nahe gekommen waren.
Und jetzt sitze ich nur wenige Meter von ihm entfernt, während er einem anderen Mann seine Zuneigung zukommen lässt.
Erneut habe ich das Gefühl mich übergeben zu müssen. Es ist eine fiese Ironie des Lebens und ich frage mich manchmal wirklich, welche Götter ich erzürnt haben muss, dass sie so ein Schicksal über mich bringen.
Eine Antwort darauf werde ich wohl nie erhalten.
Als ich mich nun umsehe, tue ich es mit Abneigung. Der Wein schmeckt mit einem Mal noch scheußlicher, das Essen ist fad, das Stimmengewirr zu laut, die Musik zu aufgesetzt. Ich weiß, dass ich es nicht mehr lange hier aushalten werde und beschließe, das Fest zu verlassen solange ich es noch mit gefasster Miene tun kann. Dem nächsten Diener der vorbeiläuft, ein Junge von vielleicht sechzehn Jahren, drücke ich den leeren Weinkelch in die Hand, dann erhebe ich mich langsam. Alexander ist immer noch zu beschäftigt um mich zu bemerken, aber ich ignoriere den Stich in meinem Herzen, trete an die Kline heran und berühre ihn vorsichtig an der Schulter.
Sein Blick begegnet mir beinahe überrascht, als er zu mir hochsieht - ebenfalls einen Weinkrug in der einen Hand, während sein anderer Arm Bagoas festhält.
Ich zwinge mich, nur Alexander anzusehen, auch wenn alles in mir danach schreit die Hand wegzuschlagen, die leicht auf dem Oberkörper meines Geliebten liegt. Eigentlich sollte ich mir so sicher sein, dass Alexanders Liebe zu mir ungebrochen ist. Dass all diese Gesten nichts ausmachen, nichts bedeuten. Doch wie soll ich mich dazu bringen, so etwas zu glauben, wenn sich gleichzeitig so vieles geändert hat?
Eifersucht nagt an mir, während ich mich zu einem leichten Lächeln zwinge. "Ich werde mich für heute zurückziehen." Es erschreckt mich selbst, wie förmlich meine Stimme klingt. Als ich Alexanders Blick bemerke, setze ich noch ein "Ich bin müde" dahinter, wohlwissend, dass er eine solche Ausrede früher nicht akzeptiert hätte. Mir zumindest gefolgt wäre.
Jetzt jedoch nickt er. "In Ordnung."
Früher erfüllte mich jedes Lächeln, dass er mir schenkte, mit Wärme. Heute bleibt mein Herz kalt.
Es tut wieder weh.
Für einen Moment frage ich mich, was ich eigentlich von ihm erwartet habe und merke, dass ich mir selbst keine Antwort geben kann.
"Sehe ich dich später?" Ich habe die Frage gestellt, bevor ich über sie nachdenken konnte, doch ich weiß, wie die Reaktion ausfallen wird.
Seine Hand, die Bagoas festhält, verstärkt ihren Druck - beinahe beruhigend, schießt mir durch den Kopf und die Übelkeit ist wieder da - und sein Zögern ist mir Antwort eigentlich genug. Dennoch rechne ich nicht mit dem heftigen Schmerz, der mich durchzuckt, als er schließlich die Stimme erhebt. "Ich habe noch einige Berechnungen ..."
Er muss seinen Satz nicht beenden, ehe ich schon nicke.
Ich will seine Lüge nicht zu Ende hören. Wir wissen beide, dass es eine Ausrede ist. Dass Arbeit das Letzte ist, an das er nach so einem Fest denken wird. Dass Bagoas' Gesellschaft momentan wichtiger ist, als meine.
Ich weiß nicht, was über meine Lippen käme, wenn ich ihm antworte und belasse es daher bei einem leisen "Gute Nacht", ehe ich mich zurückziehe, schließlich abwende. Ich zwinge mich, mir einzubilden, dass ich nur deshalb keine Antwort vernehme, weil die Stimmen um uns herum zu laut sind.
Noch mehr Überwindung kostet es mich, mich nicht mehr umzudrehen. Ich will nicht sehen, wie er mir nicht einmal einen zweiten Blick schenkt und mit einem Mal ertappe ich mich dabei, wie ich mir Gesellschaft wünsche.
Jemanden, der mich stützt, denn die Übelkeit droht mich zu übermannen, als ich einen Fuß vor den anderen setze und den Festsaal verlasse.
Als ich durch die ausgestorbenen Gänge zu meinem Gemach gehe, wird mir zum ersten Mal bewusst, wie sehr ich Kassander vermisse. Wir haben uns wie Hund und Katze angefallen, gehasst und verachtet.
Aber bei ihm konnte ich mir sicher sein, dass er mich niemals übersehen würde.
Seit er vor drei Jahren nach Pella geschickt worden war, haben wir einige Briefe ausgetauscht. Formalitäten, nichts Persönliches, aber dennoch tat es auf gewisse Weise gut, mit ihm in Kontakt zu stehen.
Der bittere Geschmack des Weins wird mit einem Mal stärker und ich zwinge mich, gleichmäßig zu atmen. Selbst jetzt, wo ich vor der Szene, die sich mir bot, geflohen bin, fühle ich mich so, als würde ich Alexander betrügen, indem ich nur an einen anderen Mann denke.
Etwas Warmes berührt meine Lippen und erst als ich mit der Zunge über sie fahre, bemerke ich den salzigen Geschmack der Tränen, die mir unbemerkt über die Wangen laufen. In dem Moment beginne ich beinahe, mich selbst zu hassen.
Dafür, dass ich mir zum ersten Mal seit Jahren die Tränen erlaube.
Dafür, dass ich nicht weiß, wieso ich sie erlaube. Ich weiß nicht einmal, wieso sie überhaupt da sind. Wann sie sich auf meine Wangen geschlichen haben.
Ich weiß nichts mehr.
Man sagt, jeder Mensch hat seine Grenzen, in allem was er tut. Meine Grenzen waren stets sehr hoch, ich habe sehr vieles ausgehalten. Aber jetzt habe ich sie offenbar erreicht.
Die Tür von meinem Gemach schließt sich hinter mir mit einem leisen Klicken, doch ich bemerke die Silhouette die am Fenster steht und sich bei dem Geräusch zu mir umwendet, im letzten Augenblick und kann verhindern, dass ich gegen die Tür in meinem Rücken sinke. Einen Moment lang starren wir uns schweigend an, dann tritt sie langsam in den schwachen Lichtschein der einsamen Kerze auf dem Schreibtisch. Und ich erkenne sie.
Auch wenn das, was ich sehe, eigentlich nicht sein kann.
"Du ...?", entweicht es mir schwach, doch ich erwarte keine Antwort. Der Alkohol spielt mir einen Streich, dessen bin ich mir sicher. Er kann nicht hier sein. Er dürfte nicht hier sein.
Doch Kassander lächelt leicht, ehe er mit den Schultern zuckt und ich beschließe in dem Augenblick, dass es mich nicht interessiert, ob meine Fantasie mir einen Streich spielt, oder nicht und wieso es tatsächlich ausgerechnet Kassander ist, den ich mir unbewusst so herbeisehne.
Es spielt keine Rolle. Hauptsache, ich muss nicht alleine sein.
Er hat meine Tränen bemerkt, denn als ich nun vor ihm stehe - kurz frage ich mich, wann ich mich von der Tür wegbewegt habe - mustert er mich für einen Moment und streicht mir anschließend leicht über die Wange. Die Geste ist vorsichtig und kein Vergleich zu der heftigen Umarmung in der ich mich keine Sekunde später befinde.
Es ist eine Berührung, die mir Sicherheit gibt.
Er hält mich, er stützt mich und ich will mich nicht fragen, wieso. Es zählt nur, dass er es tut.
Meine Hände klammern sich an seine Lederrüstung, ehe eine von ihnen sich in seinen Nacken stiehlt und ich ihn somit enger an mich drücken kann. Verzweiflung spricht aus meinen Handlungen, aber das ist vorerst nicht wichtig.
Kassander streicht über meinen Rücken, und ich erlaube es mir, mich ein wenig zu entspannen, sacke dabei jedoch förmlich gegen ihn und spüre das leise Lachen eher, als dass ich es höre.
"Wie haben sie es nur geschafft, Hephaistion Amyntoros zu brechen?", flüstert er leise und ich merke, wie ich protestieren will.
Ich bin nicht gebrochen. Ich bin nicht schwach. Ich bin nicht auf ihn angewiesen. Auf niemanden.
"Ich hasse dich." Ich hasse dich dafür, dass du Recht hast.
Erneut vernehme ich das leise Lachen, dann spüre ich seine Lippen an meiner Stirn. "Ich weiß."
Seine Stimme ist so sanft, wie ich sie noch nie gehört habe. Und doch ist sie genau das, was ich jetzt brauche.
Es ist lächerlich. Zu glauben, dass Kassander wegen mir zurückgekommen ist.
Es ist bedeutungslos. Zu sehen, wie Alexander sich von mir abwendet.
Es bricht mir das Herz. Nicht zu wissen, welche Enttäuschung die größere ist.
Inspiration zu diesem Kapitel war Lifehouse (feat. Chris Daughtry ... ja, ich weiß. Meine innere Dramaqueen LIEBT Daughtry. n__n) mit Had Enough.
* * *
Every time I reach for you, there's no one there to hold on to.
Every time I reach for you, there's no one there to hold on to.
Es schmerzt. Der Schmerz fühlt sich falsch an, aber er schleicht sich in mein Herz und nistet sich dort ein, weil er weiß, dass er so schnell nicht wieder verschwinden wird. Vielleicht nie wieder.
Nach außen hin lasse ich mir nichts anmerken. Wie immer weiß ich, wie ich meine Gefühle verbergen muss und mittlerweile bin ich so gut darin, dass nicht einmal Freunde bemerken, wenn etwas mit mir nicht stimmt. Nicht einmal geliebte Menschen. Nicht einmal Alexander.
Ich muss mich zwingen das Seufzen zu unterdrücken, als ich an ihn denke und senke den Blick, starre auf den Weinkelch, den ich in Händen halte. Die rauschenden Feste sind häufiger geworden in letzter Zeit, sie spiegeln den Übermut des Königs wider, den selbst ich ihm nicht ausreden kann.
Es scheint niemanden zu stören. Auf dem, was wir in den letzten Jahren geleistet haben, können wir uns ausruhen; wir verdienen es, die Erfolge zu feiern und die ewigen Kämpfe zu vergessen. Sei es auch nur für kurze Zeit.
Als ich eine leise Stimme zu meiner Linken vernehme, hebe ich aus Reflex den Kopf und weiß bereits Sekunden später, dass ich es nicht hätte tun sollen.
Unwissenheit kann ein Segen sein. Ebenso wie Ignoranz. Hätte ich die gewisperten Worte ignoriert, müsste ich mich nun nicht mit dem Jungen konfrontiert sehen, der nur wenige Schritte von mir entfernt am Rand einer weiteren Kline sitzt. Beinahe schüchtern, doch ich weiß, dass die Fassade nicht verlogener hätte sein können. Mein Blick wandert über die rabenschwarzen, leicht gewellten Haare, den nackten Oberkörper und die Hand, die auf seinem Arm liegt.
Ich kann es Alexander nicht verübeln, einen Gefallen an ihm gefunden zu haben. Bagoas ist durchaus hübsch, doch ich muss mich heftig zusammenreißen um nicht das Gesicht zu verziehen, als mein Blick noch höher gleitet. Die Art und Weise wie Alexander - mein Alexander - ihm ein Stück Obst zwischen die Lippen schiebt ist viel zu liebevoll. Sein Lächeln ist viel zu verliebt und gleichzeitig so anzüglich, dass sich alles in mir verkrampft.
Es ist wie bei diesen schlimmen Unfällen, bei denen man einfach nicht wegsehen kann.
Ich spüre bittere Galle und den Zorn in mir aufwallen und bemerke erst viel zu spät, dass Alexander meinen Blick aufgefangen hat und fragend die Brauen hebt. Eine unauffällige Geste, die von den - größtenteils betrunkenen - Männern im Saal ohnehin nicht wahrgenommen wird, aber ich belasse es bei einem subtilen Kopfschütteln und wende mich wieder ab. Der große Schluck aus dem Weinkelch ist mehr eine Verzweiflungstat; eine Ausrede, um mir eine Beschäftigung zu geben.
Ich versuche den Gedanken daran hinunterzuspülen, dass Alexander so etwas früher nicht auf sich hätte beruhen lassen. Früher hätte er sofort gewusst, dass etwas nicht mit mir stimmt. Früher hätte er keine Ruhe gegeben, bis ich ihm erzählte, was mich bedrückt. Heute schiebt er es wohl darauf, dass ich einen schlechten Tag habe, doch ich weiß um die Tragweite dieser Annahme.
Er sieht mich nicht mehr.
Ich erreiche ihn nicht mehr.
Eine unsichtbare Mauer steht zwischen uns, so hauchdünn, dass keiner außer mir sie zu bemerken scheint oder einfach nicht als ein Hindernis ansieht. Ein Hindernis wie Bagoas beispielsweise.
Seit Alexanders Augenmerk auf ihn gefallen ist, hat sich alles verändert. Langsam und so schleichend, dass ich es anfangs nicht bemerkte, aber sobald der Schaden einmal entstanden war, konnten wir ihn nicht mehr beheben.
Ich kann und will ihn nicht dafür verurteilen, dass er sich anderen Männern - und Frauen - zuwendet. Nie habe ich erwartet, dass ich in seinem Leben der Einzige sein werde, der sein Bett teilt. Aber ich war dumm genug, um anzunehmen, dass er mir wenigstens auf gewisse Weise treu bleibt. Nur mir seine Liebe zukommen lässt.
Ich war nicht nur dumm, sondern auch unglaublich egoistisch. Vielleicht auch einfach nur zu verwöhnt davon, jahrelang das Wohlwollen des Königs genossen zu haben. Es gibt genügend Leute, die mit Genugtuung betrachten, wie sich dieses Blatt langsam aber sicher wendet. 'Hochmut kommt vor dem Fall, Hephaistion. Wir wussten es immer. Wir konnten warten.'
Ich stürze den Rest des Weins hinunter, ertränke Bitterkeit mit Bitterkeit.
Natürlich ist es mir erlaubt, ebenfalls Andere in mein Bett zu holen, wenn ich das wünsche. Doch bei dem Gedanken spüre ich einen kalten Ärger aufsteigen, denn selbst wenn Alexander mir dies eingesteht, verhindert er es gleichzeitig. Noch zu gut erinnere ich mich an den Tag, an dem er Kassander nach Pella zurückschickte, nur weil wir uns zu nahe gekommen waren.
Und jetzt sitze ich nur wenige Meter von ihm entfernt, während er einem anderen Mann seine Zuneigung zukommen lässt.
Erneut habe ich das Gefühl mich übergeben zu müssen. Es ist eine fiese Ironie des Lebens und ich frage mich manchmal wirklich, welche Götter ich erzürnt haben muss, dass sie so ein Schicksal über mich bringen.
Eine Antwort darauf werde ich wohl nie erhalten.
Als ich mich nun umsehe, tue ich es mit Abneigung. Der Wein schmeckt mit einem Mal noch scheußlicher, das Essen ist fad, das Stimmengewirr zu laut, die Musik zu aufgesetzt. Ich weiß, dass ich es nicht mehr lange hier aushalten werde und beschließe, das Fest zu verlassen solange ich es noch mit gefasster Miene tun kann. Dem nächsten Diener der vorbeiläuft, ein Junge von vielleicht sechzehn Jahren, drücke ich den leeren Weinkelch in die Hand, dann erhebe ich mich langsam. Alexander ist immer noch zu beschäftigt um mich zu bemerken, aber ich ignoriere den Stich in meinem Herzen, trete an die Kline heran und berühre ihn vorsichtig an der Schulter.
Sein Blick begegnet mir beinahe überrascht, als er zu mir hochsieht - ebenfalls einen Weinkrug in der einen Hand, während sein anderer Arm Bagoas festhält.
Ich zwinge mich, nur Alexander anzusehen, auch wenn alles in mir danach schreit die Hand wegzuschlagen, die leicht auf dem Oberkörper meines Geliebten liegt. Eigentlich sollte ich mir so sicher sein, dass Alexanders Liebe zu mir ungebrochen ist. Dass all diese Gesten nichts ausmachen, nichts bedeuten. Doch wie soll ich mich dazu bringen, so etwas zu glauben, wenn sich gleichzeitig so vieles geändert hat?
Eifersucht nagt an mir, während ich mich zu einem leichten Lächeln zwinge. "Ich werde mich für heute zurückziehen." Es erschreckt mich selbst, wie förmlich meine Stimme klingt. Als ich Alexanders Blick bemerke, setze ich noch ein "Ich bin müde" dahinter, wohlwissend, dass er eine solche Ausrede früher nicht akzeptiert hätte. Mir zumindest gefolgt wäre.
Jetzt jedoch nickt er. "In Ordnung."
Früher erfüllte mich jedes Lächeln, dass er mir schenkte, mit Wärme. Heute bleibt mein Herz kalt.
Es tut wieder weh.
Für einen Moment frage ich mich, was ich eigentlich von ihm erwartet habe und merke, dass ich mir selbst keine Antwort geben kann.
"Sehe ich dich später?" Ich habe die Frage gestellt, bevor ich über sie nachdenken konnte, doch ich weiß, wie die Reaktion ausfallen wird.
Seine Hand, die Bagoas festhält, verstärkt ihren Druck - beinahe beruhigend, schießt mir durch den Kopf und die Übelkeit ist wieder da - und sein Zögern ist mir Antwort eigentlich genug. Dennoch rechne ich nicht mit dem heftigen Schmerz, der mich durchzuckt, als er schließlich die Stimme erhebt. "Ich habe noch einige Berechnungen ..."
Er muss seinen Satz nicht beenden, ehe ich schon nicke.
Ich will seine Lüge nicht zu Ende hören. Wir wissen beide, dass es eine Ausrede ist. Dass Arbeit das Letzte ist, an das er nach so einem Fest denken wird. Dass Bagoas' Gesellschaft momentan wichtiger ist, als meine.
Ich weiß nicht, was über meine Lippen käme, wenn ich ihm antworte und belasse es daher bei einem leisen "Gute Nacht", ehe ich mich zurückziehe, schließlich abwende. Ich zwinge mich, mir einzubilden, dass ich nur deshalb keine Antwort vernehme, weil die Stimmen um uns herum zu laut sind.
Noch mehr Überwindung kostet es mich, mich nicht mehr umzudrehen. Ich will nicht sehen, wie er mir nicht einmal einen zweiten Blick schenkt und mit einem Mal ertappe ich mich dabei, wie ich mir Gesellschaft wünsche.
Jemanden, der mich stützt, denn die Übelkeit droht mich zu übermannen, als ich einen Fuß vor den anderen setze und den Festsaal verlasse.
Als ich durch die ausgestorbenen Gänge zu meinem Gemach gehe, wird mir zum ersten Mal bewusst, wie sehr ich Kassander vermisse. Wir haben uns wie Hund und Katze angefallen, gehasst und verachtet.
Aber bei ihm konnte ich mir sicher sein, dass er mich niemals übersehen würde.
Seit er vor drei Jahren nach Pella geschickt worden war, haben wir einige Briefe ausgetauscht. Formalitäten, nichts Persönliches, aber dennoch tat es auf gewisse Weise gut, mit ihm in Kontakt zu stehen.
Der bittere Geschmack des Weins wird mit einem Mal stärker und ich zwinge mich, gleichmäßig zu atmen. Selbst jetzt, wo ich vor der Szene, die sich mir bot, geflohen bin, fühle ich mich so, als würde ich Alexander betrügen, indem ich nur an einen anderen Mann denke.
Etwas Warmes berührt meine Lippen und erst als ich mit der Zunge über sie fahre, bemerke ich den salzigen Geschmack der Tränen, die mir unbemerkt über die Wangen laufen. In dem Moment beginne ich beinahe, mich selbst zu hassen.
Dafür, dass ich mir zum ersten Mal seit Jahren die Tränen erlaube.
Dafür, dass ich nicht weiß, wieso ich sie erlaube. Ich weiß nicht einmal, wieso sie überhaupt da sind. Wann sie sich auf meine Wangen geschlichen haben.
Ich weiß nichts mehr.
Man sagt, jeder Mensch hat seine Grenzen, in allem was er tut. Meine Grenzen waren stets sehr hoch, ich habe sehr vieles ausgehalten. Aber jetzt habe ich sie offenbar erreicht.
Die Tür von meinem Gemach schließt sich hinter mir mit einem leisen Klicken, doch ich bemerke die Silhouette die am Fenster steht und sich bei dem Geräusch zu mir umwendet, im letzten Augenblick und kann verhindern, dass ich gegen die Tür in meinem Rücken sinke. Einen Moment lang starren wir uns schweigend an, dann tritt sie langsam in den schwachen Lichtschein der einsamen Kerze auf dem Schreibtisch. Und ich erkenne sie.
Auch wenn das, was ich sehe, eigentlich nicht sein kann.
"Du ...?", entweicht es mir schwach, doch ich erwarte keine Antwort. Der Alkohol spielt mir einen Streich, dessen bin ich mir sicher. Er kann nicht hier sein. Er dürfte nicht hier sein.
Doch Kassander lächelt leicht, ehe er mit den Schultern zuckt und ich beschließe in dem Augenblick, dass es mich nicht interessiert, ob meine Fantasie mir einen Streich spielt, oder nicht und wieso es tatsächlich ausgerechnet Kassander ist, den ich mir unbewusst so herbeisehne.
Es spielt keine Rolle. Hauptsache, ich muss nicht alleine sein.
Er hat meine Tränen bemerkt, denn als ich nun vor ihm stehe - kurz frage ich mich, wann ich mich von der Tür wegbewegt habe - mustert er mich für einen Moment und streicht mir anschließend leicht über die Wange. Die Geste ist vorsichtig und kein Vergleich zu der heftigen Umarmung in der ich mich keine Sekunde später befinde.
Es ist eine Berührung, die mir Sicherheit gibt.
Er hält mich, er stützt mich und ich will mich nicht fragen, wieso. Es zählt nur, dass er es tut.
Meine Hände klammern sich an seine Lederrüstung, ehe eine von ihnen sich in seinen Nacken stiehlt und ich ihn somit enger an mich drücken kann. Verzweiflung spricht aus meinen Handlungen, aber das ist vorerst nicht wichtig.
Kassander streicht über meinen Rücken, und ich erlaube es mir, mich ein wenig zu entspannen, sacke dabei jedoch förmlich gegen ihn und spüre das leise Lachen eher, als dass ich es höre.
"Wie haben sie es nur geschafft, Hephaistion Amyntoros zu brechen?", flüstert er leise und ich merke, wie ich protestieren will.
Ich bin nicht gebrochen. Ich bin nicht schwach. Ich bin nicht auf ihn angewiesen. Auf niemanden.
"Ich hasse dich." Ich hasse dich dafür, dass du Recht hast.
Erneut vernehme ich das leise Lachen, dann spüre ich seine Lippen an meiner Stirn. "Ich weiß."
Seine Stimme ist so sanft, wie ich sie noch nie gehört habe. Und doch ist sie genau das, was ich jetzt brauche.
Es ist lächerlich. Zu glauben, dass Kassander wegen mir zurückgekommen ist.
Es ist bedeutungslos. Zu sehen, wie Alexander sich von mir abwendet.
Es bricht mir das Herz. Nicht zu wissen, welche Enttäuschung die größere ist.