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Mitten in der Nacht

von Mina-san
Kurzbeschreibung
GeschichteAllgemein / P6 / Gen
Ryoko
16.03.2010
16.03.2010
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1.152
 
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16.03.2010 1.152
 
Diese Geschichte richtet sich einige Jahre nach dem zweiten Kinofilm „The Daughter of Darkness“. Sie wird aus Ryokos Sicht erzählt.


                             Mitten in der Nacht

Es war eine dieser Nächte, in der ich mich am Liebsten auf das Dach zurückziehe und die Sterne betrachte. Das Haus war ganz still und es dauerte noch einige Stunden, bis die Sonne aufging. Doch heute war es kühl, außerdem regnete es in Strömen draußen, deswegen saß ich stattdessen ausgestreckt im Dunkeln auf der Couch, denn schlechtes Wetter ist nicht gerade mein Ding. Ich durchsuchte die unzähligen TV-Kanäle bis ich mich für eine juraianische Soap entschied – ich glaube, bei denen müsste es später Nachmittag sein – die Lautstärke des Gerätes hatte ich runtergedreht, um die anderen nicht zu wecken. Aber ich fragte mich bestimmt schon zum tausendsten Mal, warum sich Washu dazu durchgerungen hat, mich ohne physischen Bedarf an Schlaf zu erschaffen. Natürlich schlafe ich manchmal, wenn mir danach ist oder wenn ich eine beträchtliche Menge Sake trinke, doch öfter als das schaue ich mir den Himmel oder irgendwelche Seifenopern an. Manchmal beobachte ich auch andere (!) beim Träumen. Ich glaube, seit Mayuka geboren wurde, habe ich mich daran gewöhnt, die ganze Nacht wachzubleiben.
Ich besitze ein sehr viel besseres Gehör als sonst jemand in diesem Haus, daher dürfte die Lautstärke des Fernsehers niemanden geweckt haben. Doch nach einer Weile nahm ich deutlich das Atmen eines Kindes wahr, zudem das Geräusch einer Hand, die am Treppengeländer entlang glitt. Einen Augenblick später kletterte sie zu mir auf die Couch und legte ihren kleinen Kopf auf meine Brust.
„Ryoko-oba-san?“     (Anm.: Oba-san = Tante ^^)
„Ja, Mayuka-chan?“
„Habe ich eine Mami?“
Die Frage überrumpelte mich derart, dass ich einen Moment lang nur auf ihren Kopf starren konnte. Ihre Haare waren zerzaust vom Schlaf, und mir wurde plötzlich bewusst, wie warm und schlaftrunken sich ihr kleiner Körper anfühlte. Ich fragte mich unbewusst, was sie dazu bewegte, aus dem Bett zu klettern, um mich das zu fragen. Doch sie ist klug und sie antwortete, bevor ich die Frage stellen konnte.
„Ich hatte einen merkwürdigen Traum.“
„Einen merkwürdigen Traum?“
„Von einem großen Baum und einer pelzigen Frau. Du warst da, und Sasami-oba-san, und Papa.“
„Ah… hmm. Weißt du, Mayuka-chan, ich denke, das wäre eine Frage, die du deinem Papa stellen solltest.“
Sie hob den Kopf und blickte mich mit ihren großen runden Augen an, denen ich einfach nicht widerstehen kann.
„Das habe ich gerade.“
Ich kicherte.
„Du hast ihn eben aufgeweckt?“
„Ja.“
„Was hat er gesagt?“
„Dass ich dich fragen soll.“
Ich fing so sehr an zu lachen, dass das kleine Mädchen auf meinem Bauch unwillkürlich zu hüpfen begann. Ich konnte mir diese Szene ganz deutlich vorstellen – Tenchi, verschlafen und durcheinander, der versucht herauszufinden, wie er seinem kleinen Mädchen erklären soll, dass ihre Mutter eine Dämonin war, dann auf die Uhr schaut und realisiert, dass ich wahrscheinlich noch wach war. Ich liebe ihn, aber er kann ein solcher Dummkopf sein, wenn er nicht genügend Schlaf hatte.
„Er meinte, du sollst mich fragen, huh?“
Ich legte einen Arm um Mayuka und fuhr mit meiner anderen Hand durch ihr zerzaustes Haar.
„Du hast eine Mami, aber sie ist… nicht mehr hier.“
„So wie Papas Mama?“
„Genau, so wie Papas Mama. Deine Mami war die pelzige Frau in deinem Traum.“
Mayuka legte ihren Kopf zurück auf meine Brust, als sei sie mit dieser Antwort zufrieden gestellt, aber ich wusste, dass noch ungefähr fünfzig weitere Fragen folgen würden, bevor sie wieder einschläft, also wartete ich einfach ab. Sofort darauf bestätigte sich mein Verdacht, allerdings war es diesmal keine Frage.
„Ich glaube, Mami war keine nette Frau.“
Ich seufzte und umarmte sie ein wenig fester.
„Das ist schwer zu sagen, Mayuka. Sie war nicht sehr nett zu Papa oder zu irgendeinen von uns. Aber es war auch sonst niemand nett zu ihr, und sie war sehr einsam.“
„Niemand war nett zu ihr? Nicht einmal Papa oder Sasami-oba-san?“
„Einzig allein eine Person war jemals nett zu ihr, und das war Urgroßvater Katsuhito.“
Mayuka blickte ein weiteres Mal zu mir auf, mit einem bekümmerten Gesichtsausdruck.
„Warum war sonst keiner nett zu ihr?“
Auf diese Frage konnte ich nicht anders als lächeln, und bevor ich wusste, was ich darauf erwidern würde, kam es schon aus meinem Mund.
„Nun… wir waren alle sehr böse auf sie.“
„Warum?“
„Weil sie nicht sehr nett zu dir war.“
Ich beobachtete Mayuka, wie sie diese Aussage versuchte zu verstehen und zu verarbeiten, während sich in meiner Brust ein seltsamer Schmerz ausbreitete.
„Sie hatte mich nicht lieb?“
Und da war sie – die entscheidende Frage. Was sollte ich dazu sagen? Kein kleines Mädchen sollte mit dem Gefühl aufwachsen, dass sie nicht aus Liebe entstanden war, Ich weiß das aus eigener Erfahrung. Aber ich weiß auch, dass es nicht richtig wäre zu lügen.
„Weißt du, Mayuka-chan… deine Mami hatte einst jemanden geliebt, aber sie wurde verletzt. Und als sie dich erschuf, wollte sie nicht noch einmal verletzt werden. Sie versuchte dich zu kontrollieren, weil sie Angst hatte.“
„Du meinst, als ich die große Mayuka war?“
Wieder konnte ich mir ein zaghaftes Lächeln nicht verkneifen; offensichtlich waren die vagen Erklärungsversuche, die Washu dem kleinen Mädchen über dessen Herkunft gegeben hatte, doch haften geblieben.
„Ja, als du die große Mayuka warst.“
„Hat sie mich schlimme Sachen tun lassen?“
Diese Frage war wesentlich leiser als die anderen; Ich küsste ihre Stirn und atmete tief durch.
„Sie hat es versucht.“
Doch plötzlich wurde es mir klar – der Grund, warum Tenchi Mayuka hinunter zu mir geschickt hatte. Ich setzte mich ein wenig auf und wog sie in meinen Armen.
„Weißt du, vor langer Zeit hatte ich… nun, er war so etwas Ähnliches wie mein Vater. Er half Washu-oba-san mich zu erschaffen. Er versuchte auch, mich zu kontrollieren. Er ließ mich schlimme Dinge tun, die ich nicht tun wollte.“
Sie schaute mit einem mitfühlenden Blick zu mir auf.
„Was passierte dann?“
„Dein Papa hat mich gerettet, genauso, wie er dich gerettet hat. Und jetzt habe ich eine Familie, die mich liebt.“
„Genau wie ich!“
„Genau wie du.“
Sie ließ sich mit einem schläfrigen Seufzer wieder in meine Brust sinken.
„Also hast du eine Mami aber keinen bösen Papa mehr.“
Ich kicherte über diese Vereinfachung meiner Abstammung, während ich an Washu dachte.
„Richtig. So wie du einen Papa, aber keine böse Mami mehr hast.“
„Das ist okay,“ sagte sie plötzlich gähnend. „ich habe ja dich.“
„Ja.“
Ich fragte mich auf einmal, wie es dazu kam, dass ich so nachgiebig und mitfühlend geworden bin, und dieses Mädchen mir mittlerweile so viel bedeutete.
„Du hast ja mich.“
Ich streichelte Mayukas Haar und ihren Rücken im flimmernden Licht des Fernsehers, bis ihre Atemzüge gleichmäßig wurden; Ich sollte sie eigentlich zurück ins Bett bringen, doch ich brachte es plötzlich nicht über mich, mich von ihr zu trennen. Also umschloss ich sie einfach mit meinen Armen, bis ich selbst einschlief.

ENDE
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