Weil es immer anders kommt
von Sonny
Kurzbeschreibung
Für ihn hätte die Geschichte immer anders ausgehen sollen. Es war vielleicht kein besserer Ausgang, aber so hatte er ihn sich immer zurecht gelegt. Und jetzt kam doch alles ganz anders.
OneshotFreundschaft, Tragödie / P16 / Gen
Manji
Rin
Sori
11.01.2010
11.01.2010
1
3.622
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Die Idee zu dieser Geschichte hatte ich schon länger. Nach einem gescheiterten Versuch habe ich es jetzt aber geschaftt, sie vollständig und zu Ende zu schreiben.
Weil es immer anders kommt
Er war nie einer dieser verklärten Optimisten gewesen.
Sowas konnte er sich in seinem Leben als Spion und Schwertmeister gar nicht erlauben.
Doch trotzdem hatte er sich das Ende dieser Geschichte immer anders vorgestellt. Positiver.
In seinem durchaus realistisch denkenden Kopf hatte sich das Szenario anders abgespielt. Nicht immer gleich, es hatte durchaus unterschiedliche Varianten gegeben. Doch immer hatten sie den gleichen Ausgang gehabt.
Nämlich den, dass Rin irgendwann blutüberströmt – in manchen Versionen mit einigen Körperteilen im Arm – vor seiner Tür stehen würde. Sie würde weinen und sich selbst nicht sicher sein, ob aus erleichterter Freude oder trauriger Wut. Freude über den endgültigen Sieg. Wut über die Verluste, die sie dabei gemacht hatten. Er würde sie dann von der dunklen Straße holen und Tatsu wecken - in seiner Version war es immer Nacht. Seine Tochter würde ihr dann aus den blutigen Sachen helfen, ihr ein Bad einlassen und ihr etwas zu essen machen. Dann würde Rin erzählen, was alles passiert war. Wie sie gewonnen hatten, wie sie Itto-Ryu besiegt hatten. Und wie sie Manji verloren hatte.
Sie würde viel weinen, aber letztlich würde sie darüber hinweg kommen. Er würde sie in seine Obhut aufnehmen, wie sich das für einen Freund der Familie gehörte.
Alles wäre gut.
Zumindest in seinen Überlegungen.
Warum er dachte, dass es so ausgehen würde, wusste er nicht. Vielleicht weil er es Rin gönnen würde. Vielleicht weil er als Freund ihres verstorbenen Vater wollte, dass sie da unbeschadet raus kam. Für Manji wäre diese Version natürlich fatal, da es ziemliches Pech wäre, würde seine Unsterblichkeit ausgerechnet in diesem Moment versagen.
Aber irgendjemand musste sterben, da war er sich sicher. Man konnte nicht eine Schwertschule wie Itto-Ryu herausfordern und dann unbeschadet davonkommen. Mit dem ersten Kämpfer, den Manji und Rin getötet hatten, war klar geworden, wie ihr Schicksal aussehen würde. Einer würde den langandauernden Kampf nicht überleben.
In seinen Augen war es immer Rin gewesen, die überleben würde. Manji würde sich opfern, war er doch ihr Beschützer und würde nicht zulassen, dass ihr etwas zustoßen würde. In manchen Versionen versagte seine Unsterblichkeit gar nicht, da man ihn anscheinend auch so töten konnte, auch wenn das mit erheblichen Anstrengungen verbunden war. Rin hatte ihm das mal erzählt.
Was aber auch immer passieren würde, wie auch immer er sterben würde, Rin würde überleben und zu ihnen zurückkehren. Manji würde sterben.
So war es schon immer in seinem Kopf abgelaufen. Vielleicht weil er sich gewünscht hatte, dass es so ausging. Rin am Leben. Manji tot. Alles relativ gut.
Doch Meister Sori hätte es besser wissen müssen. Im Leben liefen die Dinge nie so, wie man sie sich zu Recht legte. Und Optimisten würden immer enttäuscht werden.
Wäre er mal besser Pessimist geblieben, hätte sich den schlimmsten aller möglichen Ausgänge vor Augen gehalten. Vielleicht wäre es dann anders ausgegangen.
Begonnen hatte alles an diesem Frühlingstag. Tatsu und er hatten gerade zu Mittag gegessen und bis eben hatte er auf der Terrasse gesessen, das herrliche Wetter genossen. Es war so ein Tag, an dem man sich überhaupt nicht vorstellen konnte, dass etwas Schlimmes passieren würde.
Und dann hatte Manji vor seiner Tür gestanden.
Seit wann geschah so etwas denn an Frühlingstagen, während die Sonne schien und die Vögel munter zwitschern. Was war aus der dunklen, regnerischen Nacht geworden, die Sori sich immer vorgestellt hatte?
Im ersten Moment hatte er Manji nur sprachlos gemustert. Dessen Zustand war wie meistens, wenn er diesen sah, nicht sonderlich gut. Sein Kimono triefte beinahe vor Blut, einige der Wunden in seinem Gesicht waren noch nicht verheilt, sein Schwert glänzte rot in der Sonne. So, wie es aussah, hatten sowohl sein Gegner als auch er einige Gliedmaßen bei dem Kampf verloren, den es wohl gegeben hatte. Auch wenn Manji seine wohl zurückbekommen hatte.
Erst auf den zweiten Blick hatte er den verzweifelten Ausdruck auf dem Gesicht seines Gegenübers bemerkt. Ebenso wie dessen keuchenden Atem. Manji war gerannt, und das in dem Zustand. Irgendwas musste dringend sein. Sehr dringend.
Dann erst entdeckte Sori das Bündel in Manjis Armen, genauso blutdurchtränkt wie er. Und er erkannte den Kimono wieder. Es war der Kimono, den Rin getragen hatte, als sie sich das letzte Mal gesehen hatten. Und das konnte nur eins bedeuten. Dieses Bündel war Rin und anscheinend war sie schwer verletzt.
Es bedurfte keiner Worte zwischen den Männern, um klar zu machen, was passieren sollte. Wie in Trance trat Sori beiseite und ließ Manji so in Haus. Der wankte, ohne darauf zu achten, wohin überhaupt, ins nächste Zimmer. Eilig folgte Sori ihm, hörte jedoch dann schon seine Tochter erschrocken aufschreien. Aus Neugierde auf den Besucher hatte sie zur Tür kommen wollen, der Weg dahin führt sie durch das Zimmer, in das Manji gerade stolperte. Blutüberströmt, wie er war, hatte er Tatsu einen gehörigen Schrecken einjagt.
Allerdings beachtete der Samurai sie gar nicht, sondern ging vorsichtig auf die Knie, um Rin anschließend behutsam auf den Fußboden zu legen.
Es fiel Sori schwer, den Blick von Rin abzuwenden. Wann hatte er sie das letzte Mal gesehen? Vor einigen Wochen. Fröhlich wie immer und so unbeschwert, als ahne sie gar nichts von den Itto-Ryu-Kämpfer, die hinter ihnen her sein könnten. Jetzt schien ihr Besuch Ewigkeiten her zu sein. Jetzt, wo sie hier schwer verletzt auf seinem Fußboden lag. Entschieden drehte der Maler den Kopf zu Seite, um Rin nicht ansehen zu müssen. "Los, Tatsu, hol einen Arzt!"
Als seine Tochter keine Anstalten machte, sich zu rühren, sondern weiter entsetzt zu Rin herab starrte, durchquerte er mit eiligen Schritten den Raum und packte Tatsu am Arm. "Los doch! Wir dürfen keine Zeit verlieren!" Er umfasste ihren Arm fester und zog sie durchs Zimmer. Erst an der Haustür schien seine Tochter aus ihrer Starre zu erwachen und zog sich eilig die Schuhe an. Auf ihrem Gesicht war noch immer das blanke Entsetzen zu sehen. Bei ihm sah es vermutlich nicht anders aus. Wenn nicht, war er aber zumindest in seinem Inneren genauso entsetzt.
Das Knallen der Tür ließ ihn aus seinen Gedanken hochschrecken. Ohne diese hinter sich wieder zu schließen, war Tatsu hinaus auf die Straße gestürmt. Mit zwei großen Schritten war er an der Tür und sah ihr nach. "Beeil dich!" Was war das nur für ein Albtraum. Es hätte doch alles ganz anders kommen sollen!
Wie betäubt kehrte Sori zu Manji und Rin zurück. Langsam breitete sich Benommenheit in seinem ganzen Körper aus. Wie ein Reiskorn im Wasser. Genauso breitete sich dieses Gefühl aus. Ein Arzt würde Rin wohl nicht mehr helfen können.
Gerade als er den Raum betrat, beugte sich Manji zu dem Mädchen runter, strich ihr über die Stirn, flüsterte ihr etwas ins Ohr. Er würde an ihrer Seite bleiben, er würde nicht fortgehen. Es musste ein tröstender Gedanken für Rin sein, ihn an ihrer Seite zu wissen.
Bedächtig setze er sich neben Manji auf den Boden und musterte Rin. Sein erster Verdacht bestätigte sich, nicht mal ein Arzt würde ihr noch helfen können. Zu schwer waren die Verletzungen. Man konnte an ihren Armen einige tiefe Schnitte sehen, ihr Gesicht war blutverschmiert, teilweise war das Blut sogar schon getrocknet und bildete eine rote Kruste auf ihrem Gesicht. Ihr Todesurteil war aber wohl die Stichwunde am Oberkörper, die Sori dort zu erkennen glaubte. Die Menge an Blut, die dort ihren Kimono durchweichte, ließ allemal auf eine tiefe Wunde schließen, wenn nicht sogar auf einen Durchstoß. Kopfschüttelnd musterte er das Mädchen, das vor ihm lag. Sie musste unglaubliche Schmerzen haben, schien zurzeit jedoch bewusstlos zu sein.
Allmählich zweifelte der Maler daran, ob es eine gute Idee gewesen war, Tatsu den Arzt holen zu lassen. Der würde ihr nicht helfen können, seine Anwesenheit würde vermutlich nur falsche Hoffnung wecken. Nicht bei ihm oder Manji, aber wohl bei Tatsu. Vielleicht auch bei Rin selbst, aber wahrscheinlich würde sie gar nicht mitbekommen, dass ein Arzt da war.
Ein kurzer Seitenblick zu dem Schwertkämpfer neben ihm genügte, um zu sehen, dass nicht einmal der daran glaubte, dass sie überleben würde. Es lag eine gewisse Resignation in seinen Augen, auch wenn er ihr Hand hielt und leise zu ihr sprach. Er wusste, dass Rin sterben würde.
Mittlerweile war Sori sich auch sicher, dass Manji nicht hergekommen war, damit ein Arzt ihr Leben retten konnte. Wusste er doch selbst, dass das nicht möglich war. Er hatte sie wohl einfach in eine Umgebung bringen wollen, die Rin kannte und wo man Rin kannte. Zu Leuten, die sie kannten. Manji hatte sie einfach nicht einen unpersönlichen Ort – wo immer sie auch gekämpft hatten – sterben lassen wollen. Ein fürsorglicher Gedanke, der ziemlich allein war in diesem trostlosen Moment.
"Was ist passiert?"
Soris Stimme klang heiser, als er diese so unnötige Frage stellte. Er hatte sie gestellt, um die Stille zu übertönen. War es doch eigentlich sinnlos zu wissen, wie es hierzu gekommen war. Schlimm genug, dass es überhaupt soweit gekommen war.
Manji beachtet ihn nicht, sondern widmete sich Rin. Noch immer hielt er ihre Hand, strich ihr mit der anderen über die Haare. Es waren vertraute Gesten, sodass sich Sori bald wie ein unbeteiligter Zuschauer fühlte, der lediglich zwei Fremde auf der anderen Seite der Straße beobachtete.
"Alles wird wieder gut, Rin. Du musst durchhalten." Erneut hatte sich Manji zu dem Mädchen runter gebeugt, ihr sanft ins Ohr geflüstert. "Du musst bei mir bleiben, hörst du?" Er strich ihr zärtlich wieder über die Haare. "Hörst du?" Es klang wie ein verzweifeltes Flehen. Wusste er doch genauso gut wie Sori, dass es vergebens sein würde. Rin hatte schon zu viel Blut verloren, ihre Wunden waren zu schwer, als dass sie noch überleben könnte. Diese Erkenntnis schlich unaufhaltsam in den Raum. Weder Manji noch er konnten sie leugnen.
Röchelnd kam das Mädchen zu sich. Etwas Blut lief ihr aus dem Mund, was Sori nur erneut den Kopf schütteln ließ. Dies war kein Hoffnungsschimmer, nur das letzte vergebliche Aufbegehren, ein Versuch das Unausweichliche zu verschieben. Ihre Augen vom Blut verklebt kostete es Rin einige Mühe diese zu öffnen und blinzelte mehrfach, bevor sie trübe zur Decke hinauf starrte.
Behutsam legte Manji ihr eine Hand an die Wange. "Rin. Ich bin hier." Ein trauriges Lächeln schlich sich auf sein Gesicht, das aber trotzdem all seine Zuneigung zu ihr zeigte.
Schwer atmend drehte Rin den Kopf etwas und ihr Blick wanderte zu Manjis Gesicht, auch wenn sie Probleme hatte ihn zu fixieren. Trotzdem konnte man den Ansatz eines Lächelns auf ihrem Gesicht erkennen. "Manji..." Ihre Stimme war leise, belegt und sie hatten Mühe, sie zu verstehen. Auch weil sie zu husten begann und ihr erneut Blut aus dem Mund lief. Sie hatte keine Chance mehr.
Vom Flur her war erst das Knallen der Tür zu vernehmen, dann konnte man hören, wie Tatsu den Arzt zu Eile antrieb. Nach dem Klappern von hastig abgestreiften Schuhen ertönten dann die dumpfen Schritte des Arztes.
Weder Manji noch Sori regten sich, sondern verharrten an der Seite von Rin, die noch immer lächelnd zu Manji herauf starrte, aber wohl kaum noch bei Bewusstsein war. Nicht mal ihre Schmerzen schien sie wahr zu nehmen, auch wenn diese gewaltig sein mussten. Auf ihrem Gesicht war nur dieses entrückte Lächeln zu sehen.
Hinter ihnen betrat seine Tochter den Raum, gefolgt von dem mitgebrachten Arzt. Tatsu hielt sich im Hintergrund, tastete sich an der Wand entlang, den Blick gebannt auf Rin gerichtet. Der Arzt hingegen trat zwar forsch ein, stockte jedoch kurz, als er das liegende Mädchen sah. Zögerlich kam er näher. "Ihre Tochter sagte, es sei dringend, Meister Sori." Er räusperte sich, umrundete die schwerverletzte Rin auf dem Boden und blieb dann Manji und ihm gegenüber stehen.
Erst jetzt sah Sori ihn an und glaubte, ihn zu kennen. Allemal war er ein Arzt hier aus der Gegend, vielleicht hatte er sich bei ihm mal Blut für seine Bilder geholt, aber wusste es nicht mehr. Gerade war es ihm auch ziemlich egal. Auf die Aussage des Mannes konnte er nur den Kopf schütteln. Rin war kein dringender Fall mehr, so gerne Tatsu das vielleicht wollte.
Langsam nickend ließ sich der Arzt nieder. Er verstand wohl, was Sori meinte, ein Blick auf Rin genügte da wohl auch. Neben ihm lag ein kleiner Beutel, vermutlich mit einigen Verbänden. Die würde sie aber nicht mehr brauchen, war sie doch schon so gut wie gar nicht mehr bei Bewusstsein und nur noch Manjis Blick schien sie hier zu halten. Gerade strich er ihr wieder über die Wange und flüsterte ihr etwas ins Ohr.
Währenddessen musterte der Arzt kurz Sori, als wolle er wissen, was er denn jetzt noch machen sollte. Bei einem so eindeutigen Fall. Er ging jedoch nicht darauf ein, so dass der Mann mit den Schultern zuckte und begann Rins Arm zu betasten.
Daraufhin begann diese schmerzvoll zu stöhnen. Das erste Mal, das sie überhaupt ein Anzeichen von sich gab, noch etwas zu spüren außer Manjis Händen. Der Samurai sah jetzt wieder zu ihr herab, sein Gesicht dabei voller Schmerz. Er litt mit ihr, gab sich bestimmt auch die Schuld an ihren Verletzungen. Und wenn er jetzt noch nicht tat, dann würde er es später tun. Das wusste Sori jetzt schon. Zwischen den beiden hatte schon lange nicht mehr nur die praktische Beziehung bestanden, zu der sie sich anfangs zusammen getan hatten. Sie waren mehr. Freunde. Vertraute in ihren einsamen Welten.
Als Rin erneut einen Schmerzensschrei unterdrückte, da der Arzt nun die Wunde ihrer Schulter betastete, wandte sich Sori zu seiner Tochter. "Geh Tee machen, Tatsu."
"Was?"
Er wusste nicht, ob sie die Frage stellte, weil sie den Inhalt nicht verstand oder weil sie diese nicht mitbekommen hatte, noch zu schockiert von Rins Anblick. Das war ihm in diesem Moment allerdings egal. "Geh schon raus, Tatsu!" Das hier war kein Ort für ein Mädchen wie Tatsu. Sie sollte nicht hier sein.
Ohne den Blick von Rin zu lösen schob seine Tochter sich an der Wand entlang zur Tür und verschwand dann durch diese, auch wenn Sori sich sicher war, dass sie nicht weit gehen würde.
Wieso hatte er sie nicht Essen machen schicken können? Wieso war ihm diese Möglichkeit verwehrt? Wie kam es, dass alles so anders war?
Der Arzt begann gerade Rins schwerste Stichwunde zu betasten, als er sich wieder umdrehte. Wieder schrie das Mädchen vor Schmerzen. Ihr Griff um Manjis Hand verkrafte sich. Zum ersten Mal rannen ihr Tränen übers Gesicht. Tränen, die sich mit dem Blut auf ihrem Gesicht vermischten und ihr dann hellrot über die Wangen liefen. Behutsam wischte Manji sie fort, beugte sich zu ihr runter und flüsterte ihr wieder eine seine vergeblichen Aufmunterungen in Ohr.
Als der Mann ihm gegenüber erneut beginnen wollte, die Wunde zu untersuchen, schüttelte Sori den Kopf. Es würde nichts mehr bringen. Keine Untersuchung, kein Verband und keine Medizin konnten das Mädchen jetzt noch retten. Es würden ihr nur noch mehr Schmerzen zugefügt werden. Sinnlose Schmerzen.
Resignierend den Kopf schüttelnd wischte sich der Arzt die Hände im Kimono ab. Zwischen ihnen schnappte Rin nach Luft, versuchte ruhig zu atmen, woran das Blut in ihrem Mund sie jedoch hinderte. Ein klägliches Husten war zu hören, dann ein Röcheln. Währenddessen sprach Manji weiter auf sie ein, wollte ihr nicht das Gefühl des Allein seins zumuten. Gleichzeitig hielt er ihre Hand und fuhr mit der anderen über ihr Gesicht.
Für einen kurzen Moment schien Rin auf einmal wieder bei vollem Bewusstsein zu sein. Ihr Blick klärte sich auf, ihr Lächeln wurde deutlicher. Sie schaute Sori an und ihr Blick sagte mehr als tausend Wort. Dankbarkeit, Freundschaft, Vertrauen. Zumindest glaubte er das zu erkennen. Dann glitt ihr Blick zu Manji. Wenn Sori geglaubt hatte, ihr Blick zu ihm wäre vielschichtig gewesen, dann wäre der für Manji gerade viel zu komplex, um ihn auch nur ansatzweise zu beschreiben. Aber er glaubte zumindest Freundschaft, Zuneigung und Vertrauen darin zu finden. Sehr tiefes Vertrauen.
Man konnte sehen, wie Rin noch ein letztes Mal die Hand ihres Beschützers neben sich drückte, dann schloss sie die Augen. Mit einem Seufzer stieß sie ihren letzten Atem aus. Sie atmete nicht noch einmal ein. Ihr Brustkorb verharrte reglos. Sie war von ihnen gegangen.
Ein letztes Mal nickend stemmte der Arzt sich hoch und sah auf Rin hinab, ohne jedoch etwas zu sagen. Was sollte er auch sagen? Er wusste nichts von den Umständen, wegen der sie zu diesen Verletzungen gekommen war. Er sah bloß diese junge Frau, die in einem blutigen Kimono zu seinen Füßen lag, während ein Mann, der ebenso blutdurchtränkt war, neben ihr saß. Er verstand nichts.
Kurz bevor er den Raum verließ, warf der Arzt Sori einen strengen Blick zu, der diesem dazu veranlasste, ebenfalls aufzustehen. Dabei legte er Manji einen Hand auf die Schulter, was dieser aber gar nicht zur Kenntnis nehmen zu schien, sondern neben Rin sitzen blieb, ihr Hand hielt und ihr die Wange streichelte.
Als Sori den Raum verließ, schloss er leise hinter sich die Tür, bevor er sich dem Arzt zu wandte. Der starrte ihn jetzt nur noch ausdrucklos an, ihm starben vermutlich täglich Menschen weg. Ihn bewegte der Tod nicht mehr. Verletzungen waren sein Geschäft. "Ich nehme an, ihn soll ich nicht behandeln?" Der Arzt meinte wohl Manji, der fast ein genauso schlimmes Bild wie Rin abgab.
Er schüttelte nur stumm den Kopf, während er dem Arzt das übliche Honorar in die ausgestreckte Hand legte. Daraufhin lächelte dieser und steckte das Geld weg. "War mir ein Vergnügen." Dann drehte der Arzt sich um und zog sich seine Schuhe wieder an.
Der Maler sah dem Mann dabei zu, wie der seinen Kimono und seinen Beutel noch einmal richtete, bevor er dann auf die Straße hinaustrat und die Tür hinter sich schloss. Selbstgefälliger Idiot.
In seiner Version dieser Geschichte hatten sie keinen Arzt gebracht. Niemanden, der einem Verletzten auf den Wunden rumdrückte, ihn leiden ließ und dann auch noch ein unverschämtes Honorar verlangte. Es hätte alles anders sein sollen.
Seufzend drehte Sori sich um und sah, wie seine Tochter zögerlich den Kopf aus einem der anderen Zimmer steckte und ihn fragend anstarrte. Ihr Gesicht war Fragestellung genug. Zu Boden blickend schüttelte er den Kopf. Er hörte ein Schluchzen und als er den Kopf hob, sah er, wie Tatsu die ersten Tränen übers Gesicht liefen. Bevor er noch etwas hätte sagen können, war sie bereits wieder verschwunden. War auch besser so, er wollte sich jetzt nicht auch noch mit ihr auseinander setzen müssen.
Vor der Tür zu dem Raum, in dem Rin lag, atmete er noch einmal tief durch und trat dann wieder ein. Ihm stieg sogleich der Tod in die Nase, auch wenn dieser wohl hauptsächlich aus dem Blutgeruch bestanden. Eigentlich hatte Sori kein Problem mit diesem Geruch, malte er doch sogar damit, aber er war sich nicht sicher, ob er das in Zukunft noch einmal könnte. Jetzt, wo er diesen Geruch auch mit Rin verband.
Noch immer saß Manji über das Mädchen gebeugt da und hielt ihre Hand. Er würde wohl nicht weinen wie Tatsu, aber seine Trauer war im Raum beinahe greifbar. Leise ließ sich Sori neben dem Mann nieder und betrachtet Rin liebevoll. Wie Manji es getan hatte, strich auch er ihr kurz durchs Haar. Sie war ihm manchmal wie eine Tochter gewesen.
Eine Tochter, die eine Schwertschule aus Rache verfolgte. Doch trotzdem eine Tochter.
Das war seine Verpflichtung gegenüber seinem verstorbenen Freund gewesen. Ohne das Manji es bemerkt hatte, hatten sich Rins Augen wieder geöffnet, so dass diese jetzt tot ins Leere starrten. Den Blick abwendend drückte Sori sie wieder zu. Dann stand er auf und verließ den Raum. In der Tür drehte er sich noch einmal um und schaute Manji an, der mit dem Rücken zu ihm saß. "Es tut mir leid."
Eine Antwort würde er wohl kaum bekommen, also schloss Sori die Tür und blieb im Flur stehen. Er bildete sich ein, ein Schluchzen zu hören, doch er wollte nicht nachgucken. Er brauchte erst einmal Zeit, um zu begreifen, was eigentlich passiert war. Tatsu würde es auch ohne ihn schaffen.
Stattdessen lehnte er sich an die Wand des Flures und ließ sich daran hinab sinken. Dort blieb er sitzen, den Kopf auf die Hände gestützt. Alles war anders gekommen.
Er hatte sich das doch alles anders ausgemalt.
Manji wäre gestorben.
Nicht Rin. Sie hatte leben sollen.
Doch jetzt lag sie auf der anderen Seite der Wand auf seinem Fußboden. Tot und blutüberströmt.
Er hätte sie aufgenommen, hätte sich um sie gekümmert. Sie hätte ihre Rache hinter sich lassen können.
Nun aber war sie tot. Er konnte sich nicht mehr um sie kümmern.
Da hatte er sich einmal die Zukunft nicht wie Pessimist vorstellt. Hatte sich vorstellt, dass alles gut werden würde.
Wieso hatte nicht alles gut werden können?
FIN
Anmerkung: Einer wird sterben müssen. Da denke ich genauso wie Sori. Am Ende des Manga wird einer der beiden nicht mehr am Leben sein. Schwer zu sagen, wer sterben wird. Und wie.
Trotzdem glaube ich nicht, dass beide überleben werden. Nicht dass ich es den beiden nicht gönnen würde, aber wie gesagt halte ich das für unwahrscheinlich. So ein Ende wäre zu gut.
Auch weil dann die Frage aufkommen würde, wie es mit den beiden danach weitergehen würde. Eine weitere Frage die sich nicht ganz einfach ist…
Bis zum Ende dauert es ja aber noch etwas, denn, wenn einer stirbt, passiert das sicher erst im letzten Band. Also abwarten und Tee trinken.
Disclaimer: Ich habe keinerlei Recht an dem Manga "Blade of the Immortal" und verdiene an dieser Geschichte auch kein Geld
Weil es immer anders kommt
Er war nie einer dieser verklärten Optimisten gewesen.
Sowas konnte er sich in seinem Leben als Spion und Schwertmeister gar nicht erlauben.
Doch trotzdem hatte er sich das Ende dieser Geschichte immer anders vorgestellt. Positiver.
In seinem durchaus realistisch denkenden Kopf hatte sich das Szenario anders abgespielt. Nicht immer gleich, es hatte durchaus unterschiedliche Varianten gegeben. Doch immer hatten sie den gleichen Ausgang gehabt.
Nämlich den, dass Rin irgendwann blutüberströmt – in manchen Versionen mit einigen Körperteilen im Arm – vor seiner Tür stehen würde. Sie würde weinen und sich selbst nicht sicher sein, ob aus erleichterter Freude oder trauriger Wut. Freude über den endgültigen Sieg. Wut über die Verluste, die sie dabei gemacht hatten. Er würde sie dann von der dunklen Straße holen und Tatsu wecken - in seiner Version war es immer Nacht. Seine Tochter würde ihr dann aus den blutigen Sachen helfen, ihr ein Bad einlassen und ihr etwas zu essen machen. Dann würde Rin erzählen, was alles passiert war. Wie sie gewonnen hatten, wie sie Itto-Ryu besiegt hatten. Und wie sie Manji verloren hatte.
Sie würde viel weinen, aber letztlich würde sie darüber hinweg kommen. Er würde sie in seine Obhut aufnehmen, wie sich das für einen Freund der Familie gehörte.
Alles wäre gut.
Zumindest in seinen Überlegungen.
Warum er dachte, dass es so ausgehen würde, wusste er nicht. Vielleicht weil er es Rin gönnen würde. Vielleicht weil er als Freund ihres verstorbenen Vater wollte, dass sie da unbeschadet raus kam. Für Manji wäre diese Version natürlich fatal, da es ziemliches Pech wäre, würde seine Unsterblichkeit ausgerechnet in diesem Moment versagen.
Aber irgendjemand musste sterben, da war er sich sicher. Man konnte nicht eine Schwertschule wie Itto-Ryu herausfordern und dann unbeschadet davonkommen. Mit dem ersten Kämpfer, den Manji und Rin getötet hatten, war klar geworden, wie ihr Schicksal aussehen würde. Einer würde den langandauernden Kampf nicht überleben.
In seinen Augen war es immer Rin gewesen, die überleben würde. Manji würde sich opfern, war er doch ihr Beschützer und würde nicht zulassen, dass ihr etwas zustoßen würde. In manchen Versionen versagte seine Unsterblichkeit gar nicht, da man ihn anscheinend auch so töten konnte, auch wenn das mit erheblichen Anstrengungen verbunden war. Rin hatte ihm das mal erzählt.
Was aber auch immer passieren würde, wie auch immer er sterben würde, Rin würde überleben und zu ihnen zurückkehren. Manji würde sterben.
So war es schon immer in seinem Kopf abgelaufen. Vielleicht weil er sich gewünscht hatte, dass es so ausging. Rin am Leben. Manji tot. Alles relativ gut.
Doch Meister Sori hätte es besser wissen müssen. Im Leben liefen die Dinge nie so, wie man sie sich zu Recht legte. Und Optimisten würden immer enttäuscht werden.
Wäre er mal besser Pessimist geblieben, hätte sich den schlimmsten aller möglichen Ausgänge vor Augen gehalten. Vielleicht wäre es dann anders ausgegangen.
Begonnen hatte alles an diesem Frühlingstag. Tatsu und er hatten gerade zu Mittag gegessen und bis eben hatte er auf der Terrasse gesessen, das herrliche Wetter genossen. Es war so ein Tag, an dem man sich überhaupt nicht vorstellen konnte, dass etwas Schlimmes passieren würde.
Und dann hatte Manji vor seiner Tür gestanden.
Seit wann geschah so etwas denn an Frühlingstagen, während die Sonne schien und die Vögel munter zwitschern. Was war aus der dunklen, regnerischen Nacht geworden, die Sori sich immer vorgestellt hatte?
Im ersten Moment hatte er Manji nur sprachlos gemustert. Dessen Zustand war wie meistens, wenn er diesen sah, nicht sonderlich gut. Sein Kimono triefte beinahe vor Blut, einige der Wunden in seinem Gesicht waren noch nicht verheilt, sein Schwert glänzte rot in der Sonne. So, wie es aussah, hatten sowohl sein Gegner als auch er einige Gliedmaßen bei dem Kampf verloren, den es wohl gegeben hatte. Auch wenn Manji seine wohl zurückbekommen hatte.
Erst auf den zweiten Blick hatte er den verzweifelten Ausdruck auf dem Gesicht seines Gegenübers bemerkt. Ebenso wie dessen keuchenden Atem. Manji war gerannt, und das in dem Zustand. Irgendwas musste dringend sein. Sehr dringend.
Dann erst entdeckte Sori das Bündel in Manjis Armen, genauso blutdurchtränkt wie er. Und er erkannte den Kimono wieder. Es war der Kimono, den Rin getragen hatte, als sie sich das letzte Mal gesehen hatten. Und das konnte nur eins bedeuten. Dieses Bündel war Rin und anscheinend war sie schwer verletzt.
Es bedurfte keiner Worte zwischen den Männern, um klar zu machen, was passieren sollte. Wie in Trance trat Sori beiseite und ließ Manji so in Haus. Der wankte, ohne darauf zu achten, wohin überhaupt, ins nächste Zimmer. Eilig folgte Sori ihm, hörte jedoch dann schon seine Tochter erschrocken aufschreien. Aus Neugierde auf den Besucher hatte sie zur Tür kommen wollen, der Weg dahin führt sie durch das Zimmer, in das Manji gerade stolperte. Blutüberströmt, wie er war, hatte er Tatsu einen gehörigen Schrecken einjagt.
Allerdings beachtete der Samurai sie gar nicht, sondern ging vorsichtig auf die Knie, um Rin anschließend behutsam auf den Fußboden zu legen.
Es fiel Sori schwer, den Blick von Rin abzuwenden. Wann hatte er sie das letzte Mal gesehen? Vor einigen Wochen. Fröhlich wie immer und so unbeschwert, als ahne sie gar nichts von den Itto-Ryu-Kämpfer, die hinter ihnen her sein könnten. Jetzt schien ihr Besuch Ewigkeiten her zu sein. Jetzt, wo sie hier schwer verletzt auf seinem Fußboden lag. Entschieden drehte der Maler den Kopf zu Seite, um Rin nicht ansehen zu müssen. "Los, Tatsu, hol einen Arzt!"
Als seine Tochter keine Anstalten machte, sich zu rühren, sondern weiter entsetzt zu Rin herab starrte, durchquerte er mit eiligen Schritten den Raum und packte Tatsu am Arm. "Los doch! Wir dürfen keine Zeit verlieren!" Er umfasste ihren Arm fester und zog sie durchs Zimmer. Erst an der Haustür schien seine Tochter aus ihrer Starre zu erwachen und zog sich eilig die Schuhe an. Auf ihrem Gesicht war noch immer das blanke Entsetzen zu sehen. Bei ihm sah es vermutlich nicht anders aus. Wenn nicht, war er aber zumindest in seinem Inneren genauso entsetzt.
Das Knallen der Tür ließ ihn aus seinen Gedanken hochschrecken. Ohne diese hinter sich wieder zu schließen, war Tatsu hinaus auf die Straße gestürmt. Mit zwei großen Schritten war er an der Tür und sah ihr nach. "Beeil dich!" Was war das nur für ein Albtraum. Es hätte doch alles ganz anders kommen sollen!
Wie betäubt kehrte Sori zu Manji und Rin zurück. Langsam breitete sich Benommenheit in seinem ganzen Körper aus. Wie ein Reiskorn im Wasser. Genauso breitete sich dieses Gefühl aus. Ein Arzt würde Rin wohl nicht mehr helfen können.
Gerade als er den Raum betrat, beugte sich Manji zu dem Mädchen runter, strich ihr über die Stirn, flüsterte ihr etwas ins Ohr. Er würde an ihrer Seite bleiben, er würde nicht fortgehen. Es musste ein tröstender Gedanken für Rin sein, ihn an ihrer Seite zu wissen.
Bedächtig setze er sich neben Manji auf den Boden und musterte Rin. Sein erster Verdacht bestätigte sich, nicht mal ein Arzt würde ihr noch helfen können. Zu schwer waren die Verletzungen. Man konnte an ihren Armen einige tiefe Schnitte sehen, ihr Gesicht war blutverschmiert, teilweise war das Blut sogar schon getrocknet und bildete eine rote Kruste auf ihrem Gesicht. Ihr Todesurteil war aber wohl die Stichwunde am Oberkörper, die Sori dort zu erkennen glaubte. Die Menge an Blut, die dort ihren Kimono durchweichte, ließ allemal auf eine tiefe Wunde schließen, wenn nicht sogar auf einen Durchstoß. Kopfschüttelnd musterte er das Mädchen, das vor ihm lag. Sie musste unglaubliche Schmerzen haben, schien zurzeit jedoch bewusstlos zu sein.
Allmählich zweifelte der Maler daran, ob es eine gute Idee gewesen war, Tatsu den Arzt holen zu lassen. Der würde ihr nicht helfen können, seine Anwesenheit würde vermutlich nur falsche Hoffnung wecken. Nicht bei ihm oder Manji, aber wohl bei Tatsu. Vielleicht auch bei Rin selbst, aber wahrscheinlich würde sie gar nicht mitbekommen, dass ein Arzt da war.
Ein kurzer Seitenblick zu dem Schwertkämpfer neben ihm genügte, um zu sehen, dass nicht einmal der daran glaubte, dass sie überleben würde. Es lag eine gewisse Resignation in seinen Augen, auch wenn er ihr Hand hielt und leise zu ihr sprach. Er wusste, dass Rin sterben würde.
Mittlerweile war Sori sich auch sicher, dass Manji nicht hergekommen war, damit ein Arzt ihr Leben retten konnte. Wusste er doch selbst, dass das nicht möglich war. Er hatte sie wohl einfach in eine Umgebung bringen wollen, die Rin kannte und wo man Rin kannte. Zu Leuten, die sie kannten. Manji hatte sie einfach nicht einen unpersönlichen Ort – wo immer sie auch gekämpft hatten – sterben lassen wollen. Ein fürsorglicher Gedanke, der ziemlich allein war in diesem trostlosen Moment.
"Was ist passiert?"
Soris Stimme klang heiser, als er diese so unnötige Frage stellte. Er hatte sie gestellt, um die Stille zu übertönen. War es doch eigentlich sinnlos zu wissen, wie es hierzu gekommen war. Schlimm genug, dass es überhaupt soweit gekommen war.
Manji beachtet ihn nicht, sondern widmete sich Rin. Noch immer hielt er ihre Hand, strich ihr mit der anderen über die Haare. Es waren vertraute Gesten, sodass sich Sori bald wie ein unbeteiligter Zuschauer fühlte, der lediglich zwei Fremde auf der anderen Seite der Straße beobachtete.
"Alles wird wieder gut, Rin. Du musst durchhalten." Erneut hatte sich Manji zu dem Mädchen runter gebeugt, ihr sanft ins Ohr geflüstert. "Du musst bei mir bleiben, hörst du?" Er strich ihr zärtlich wieder über die Haare. "Hörst du?" Es klang wie ein verzweifeltes Flehen. Wusste er doch genauso gut wie Sori, dass es vergebens sein würde. Rin hatte schon zu viel Blut verloren, ihre Wunden waren zu schwer, als dass sie noch überleben könnte. Diese Erkenntnis schlich unaufhaltsam in den Raum. Weder Manji noch er konnten sie leugnen.
Röchelnd kam das Mädchen zu sich. Etwas Blut lief ihr aus dem Mund, was Sori nur erneut den Kopf schütteln ließ. Dies war kein Hoffnungsschimmer, nur das letzte vergebliche Aufbegehren, ein Versuch das Unausweichliche zu verschieben. Ihre Augen vom Blut verklebt kostete es Rin einige Mühe diese zu öffnen und blinzelte mehrfach, bevor sie trübe zur Decke hinauf starrte.
Behutsam legte Manji ihr eine Hand an die Wange. "Rin. Ich bin hier." Ein trauriges Lächeln schlich sich auf sein Gesicht, das aber trotzdem all seine Zuneigung zu ihr zeigte.
Schwer atmend drehte Rin den Kopf etwas und ihr Blick wanderte zu Manjis Gesicht, auch wenn sie Probleme hatte ihn zu fixieren. Trotzdem konnte man den Ansatz eines Lächelns auf ihrem Gesicht erkennen. "Manji..." Ihre Stimme war leise, belegt und sie hatten Mühe, sie zu verstehen. Auch weil sie zu husten begann und ihr erneut Blut aus dem Mund lief. Sie hatte keine Chance mehr.
Vom Flur her war erst das Knallen der Tür zu vernehmen, dann konnte man hören, wie Tatsu den Arzt zu Eile antrieb. Nach dem Klappern von hastig abgestreiften Schuhen ertönten dann die dumpfen Schritte des Arztes.
Weder Manji noch Sori regten sich, sondern verharrten an der Seite von Rin, die noch immer lächelnd zu Manji herauf starrte, aber wohl kaum noch bei Bewusstsein war. Nicht mal ihre Schmerzen schien sie wahr zu nehmen, auch wenn diese gewaltig sein mussten. Auf ihrem Gesicht war nur dieses entrückte Lächeln zu sehen.
Hinter ihnen betrat seine Tochter den Raum, gefolgt von dem mitgebrachten Arzt. Tatsu hielt sich im Hintergrund, tastete sich an der Wand entlang, den Blick gebannt auf Rin gerichtet. Der Arzt hingegen trat zwar forsch ein, stockte jedoch kurz, als er das liegende Mädchen sah. Zögerlich kam er näher. "Ihre Tochter sagte, es sei dringend, Meister Sori." Er räusperte sich, umrundete die schwerverletzte Rin auf dem Boden und blieb dann Manji und ihm gegenüber stehen.
Erst jetzt sah Sori ihn an und glaubte, ihn zu kennen. Allemal war er ein Arzt hier aus der Gegend, vielleicht hatte er sich bei ihm mal Blut für seine Bilder geholt, aber wusste es nicht mehr. Gerade war es ihm auch ziemlich egal. Auf die Aussage des Mannes konnte er nur den Kopf schütteln. Rin war kein dringender Fall mehr, so gerne Tatsu das vielleicht wollte.
Langsam nickend ließ sich der Arzt nieder. Er verstand wohl, was Sori meinte, ein Blick auf Rin genügte da wohl auch. Neben ihm lag ein kleiner Beutel, vermutlich mit einigen Verbänden. Die würde sie aber nicht mehr brauchen, war sie doch schon so gut wie gar nicht mehr bei Bewusstsein und nur noch Manjis Blick schien sie hier zu halten. Gerade strich er ihr wieder über die Wange und flüsterte ihr etwas ins Ohr.
Währenddessen musterte der Arzt kurz Sori, als wolle er wissen, was er denn jetzt noch machen sollte. Bei einem so eindeutigen Fall. Er ging jedoch nicht darauf ein, so dass der Mann mit den Schultern zuckte und begann Rins Arm zu betasten.
Daraufhin begann diese schmerzvoll zu stöhnen. Das erste Mal, das sie überhaupt ein Anzeichen von sich gab, noch etwas zu spüren außer Manjis Händen. Der Samurai sah jetzt wieder zu ihr herab, sein Gesicht dabei voller Schmerz. Er litt mit ihr, gab sich bestimmt auch die Schuld an ihren Verletzungen. Und wenn er jetzt noch nicht tat, dann würde er es später tun. Das wusste Sori jetzt schon. Zwischen den beiden hatte schon lange nicht mehr nur die praktische Beziehung bestanden, zu der sie sich anfangs zusammen getan hatten. Sie waren mehr. Freunde. Vertraute in ihren einsamen Welten.
Als Rin erneut einen Schmerzensschrei unterdrückte, da der Arzt nun die Wunde ihrer Schulter betastete, wandte sich Sori zu seiner Tochter. "Geh Tee machen, Tatsu."
"Was?"
Er wusste nicht, ob sie die Frage stellte, weil sie den Inhalt nicht verstand oder weil sie diese nicht mitbekommen hatte, noch zu schockiert von Rins Anblick. Das war ihm in diesem Moment allerdings egal. "Geh schon raus, Tatsu!" Das hier war kein Ort für ein Mädchen wie Tatsu. Sie sollte nicht hier sein.
Ohne den Blick von Rin zu lösen schob seine Tochter sich an der Wand entlang zur Tür und verschwand dann durch diese, auch wenn Sori sich sicher war, dass sie nicht weit gehen würde.
Wieso hatte er sie nicht Essen machen schicken können? Wieso war ihm diese Möglichkeit verwehrt? Wie kam es, dass alles so anders war?
Der Arzt begann gerade Rins schwerste Stichwunde zu betasten, als er sich wieder umdrehte. Wieder schrie das Mädchen vor Schmerzen. Ihr Griff um Manjis Hand verkrafte sich. Zum ersten Mal rannen ihr Tränen übers Gesicht. Tränen, die sich mit dem Blut auf ihrem Gesicht vermischten und ihr dann hellrot über die Wangen liefen. Behutsam wischte Manji sie fort, beugte sich zu ihr runter und flüsterte ihr wieder eine seine vergeblichen Aufmunterungen in Ohr.
Als der Mann ihm gegenüber erneut beginnen wollte, die Wunde zu untersuchen, schüttelte Sori den Kopf. Es würde nichts mehr bringen. Keine Untersuchung, kein Verband und keine Medizin konnten das Mädchen jetzt noch retten. Es würden ihr nur noch mehr Schmerzen zugefügt werden. Sinnlose Schmerzen.
Resignierend den Kopf schüttelnd wischte sich der Arzt die Hände im Kimono ab. Zwischen ihnen schnappte Rin nach Luft, versuchte ruhig zu atmen, woran das Blut in ihrem Mund sie jedoch hinderte. Ein klägliches Husten war zu hören, dann ein Röcheln. Währenddessen sprach Manji weiter auf sie ein, wollte ihr nicht das Gefühl des Allein seins zumuten. Gleichzeitig hielt er ihre Hand und fuhr mit der anderen über ihr Gesicht.
Für einen kurzen Moment schien Rin auf einmal wieder bei vollem Bewusstsein zu sein. Ihr Blick klärte sich auf, ihr Lächeln wurde deutlicher. Sie schaute Sori an und ihr Blick sagte mehr als tausend Wort. Dankbarkeit, Freundschaft, Vertrauen. Zumindest glaubte er das zu erkennen. Dann glitt ihr Blick zu Manji. Wenn Sori geglaubt hatte, ihr Blick zu ihm wäre vielschichtig gewesen, dann wäre der für Manji gerade viel zu komplex, um ihn auch nur ansatzweise zu beschreiben. Aber er glaubte zumindest Freundschaft, Zuneigung und Vertrauen darin zu finden. Sehr tiefes Vertrauen.
Man konnte sehen, wie Rin noch ein letztes Mal die Hand ihres Beschützers neben sich drückte, dann schloss sie die Augen. Mit einem Seufzer stieß sie ihren letzten Atem aus. Sie atmete nicht noch einmal ein. Ihr Brustkorb verharrte reglos. Sie war von ihnen gegangen.
Ein letztes Mal nickend stemmte der Arzt sich hoch und sah auf Rin hinab, ohne jedoch etwas zu sagen. Was sollte er auch sagen? Er wusste nichts von den Umständen, wegen der sie zu diesen Verletzungen gekommen war. Er sah bloß diese junge Frau, die in einem blutigen Kimono zu seinen Füßen lag, während ein Mann, der ebenso blutdurchtränkt war, neben ihr saß. Er verstand nichts.
Kurz bevor er den Raum verließ, warf der Arzt Sori einen strengen Blick zu, der diesem dazu veranlasste, ebenfalls aufzustehen. Dabei legte er Manji einen Hand auf die Schulter, was dieser aber gar nicht zur Kenntnis nehmen zu schien, sondern neben Rin sitzen blieb, ihr Hand hielt und ihr die Wange streichelte.
Als Sori den Raum verließ, schloss er leise hinter sich die Tür, bevor er sich dem Arzt zu wandte. Der starrte ihn jetzt nur noch ausdrucklos an, ihm starben vermutlich täglich Menschen weg. Ihn bewegte der Tod nicht mehr. Verletzungen waren sein Geschäft. "Ich nehme an, ihn soll ich nicht behandeln?" Der Arzt meinte wohl Manji, der fast ein genauso schlimmes Bild wie Rin abgab.
Er schüttelte nur stumm den Kopf, während er dem Arzt das übliche Honorar in die ausgestreckte Hand legte. Daraufhin lächelte dieser und steckte das Geld weg. "War mir ein Vergnügen." Dann drehte der Arzt sich um und zog sich seine Schuhe wieder an.
Der Maler sah dem Mann dabei zu, wie der seinen Kimono und seinen Beutel noch einmal richtete, bevor er dann auf die Straße hinaustrat und die Tür hinter sich schloss. Selbstgefälliger Idiot.
In seiner Version dieser Geschichte hatten sie keinen Arzt gebracht. Niemanden, der einem Verletzten auf den Wunden rumdrückte, ihn leiden ließ und dann auch noch ein unverschämtes Honorar verlangte. Es hätte alles anders sein sollen.
Seufzend drehte Sori sich um und sah, wie seine Tochter zögerlich den Kopf aus einem der anderen Zimmer steckte und ihn fragend anstarrte. Ihr Gesicht war Fragestellung genug. Zu Boden blickend schüttelte er den Kopf. Er hörte ein Schluchzen und als er den Kopf hob, sah er, wie Tatsu die ersten Tränen übers Gesicht liefen. Bevor er noch etwas hätte sagen können, war sie bereits wieder verschwunden. War auch besser so, er wollte sich jetzt nicht auch noch mit ihr auseinander setzen müssen.
Vor der Tür zu dem Raum, in dem Rin lag, atmete er noch einmal tief durch und trat dann wieder ein. Ihm stieg sogleich der Tod in die Nase, auch wenn dieser wohl hauptsächlich aus dem Blutgeruch bestanden. Eigentlich hatte Sori kein Problem mit diesem Geruch, malte er doch sogar damit, aber er war sich nicht sicher, ob er das in Zukunft noch einmal könnte. Jetzt, wo er diesen Geruch auch mit Rin verband.
Noch immer saß Manji über das Mädchen gebeugt da und hielt ihre Hand. Er würde wohl nicht weinen wie Tatsu, aber seine Trauer war im Raum beinahe greifbar. Leise ließ sich Sori neben dem Mann nieder und betrachtet Rin liebevoll. Wie Manji es getan hatte, strich auch er ihr kurz durchs Haar. Sie war ihm manchmal wie eine Tochter gewesen.
Eine Tochter, die eine Schwertschule aus Rache verfolgte. Doch trotzdem eine Tochter.
Das war seine Verpflichtung gegenüber seinem verstorbenen Freund gewesen. Ohne das Manji es bemerkt hatte, hatten sich Rins Augen wieder geöffnet, so dass diese jetzt tot ins Leere starrten. Den Blick abwendend drückte Sori sie wieder zu. Dann stand er auf und verließ den Raum. In der Tür drehte er sich noch einmal um und schaute Manji an, der mit dem Rücken zu ihm saß. "Es tut mir leid."
Eine Antwort würde er wohl kaum bekommen, also schloss Sori die Tür und blieb im Flur stehen. Er bildete sich ein, ein Schluchzen zu hören, doch er wollte nicht nachgucken. Er brauchte erst einmal Zeit, um zu begreifen, was eigentlich passiert war. Tatsu würde es auch ohne ihn schaffen.
Stattdessen lehnte er sich an die Wand des Flures und ließ sich daran hinab sinken. Dort blieb er sitzen, den Kopf auf die Hände gestützt. Alles war anders gekommen.
Er hatte sich das doch alles anders ausgemalt.
Manji wäre gestorben.
Nicht Rin. Sie hatte leben sollen.
Doch jetzt lag sie auf der anderen Seite der Wand auf seinem Fußboden. Tot und blutüberströmt.
Er hätte sie aufgenommen, hätte sich um sie gekümmert. Sie hätte ihre Rache hinter sich lassen können.
Nun aber war sie tot. Er konnte sich nicht mehr um sie kümmern.
Da hatte er sich einmal die Zukunft nicht wie Pessimist vorstellt. Hatte sich vorstellt, dass alles gut werden würde.
Wieso hatte nicht alles gut werden können?
FIN
Anmerkung: Einer wird sterben müssen. Da denke ich genauso wie Sori. Am Ende des Manga wird einer der beiden nicht mehr am Leben sein. Schwer zu sagen, wer sterben wird. Und wie.
Trotzdem glaube ich nicht, dass beide überleben werden. Nicht dass ich es den beiden nicht gönnen würde, aber wie gesagt halte ich das für unwahrscheinlich. So ein Ende wäre zu gut.
Auch weil dann die Frage aufkommen würde, wie es mit den beiden danach weitergehen würde. Eine weitere Frage die sich nicht ganz einfach ist…
Bis zum Ende dauert es ja aber noch etwas, denn, wenn einer stirbt, passiert das sicher erst im letzten Band. Also abwarten und Tee trinken.
Disclaimer: Ich habe keinerlei Recht an dem Manga "Blade of the Immortal" und verdiene an dieser Geschichte auch kein Geld