Ein ungeschickter Brief
von saki612
Kurzbeschreibung
Oneshot über Jasmine You (Versailles). Dieser Text entstand im Zusammenhang mit "Schreiben gegen die Zeit" (nähere Erläuterungen in den AN in der Story) des Autorenforums Doppelpunkt. Ein ungeschickter Brief von Jasmine You an seine Freunde. Rest in peace ...
GeschichteDrama / P12 / Gen
10.01.2010
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AN: "Schreiben gegen die Zeit" bedeutet, dass die mitmachenden Autoren einen Text innerhalb von 60 Minuten schreiben. Um 18 Uhr bekommt man eine Vorgabe (dieses Mal: "Ein Brief"), zu der man dann in 60 Minuten eine Geschichte hinzaubern muss. Trainiert gut die Spontanität und sich aufs Wesentliche zu konzentrieren ...
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Ein ungeschickter Brief
Ein Tropfen löste sich.
Mit einem leisen „Plitsch“ traf er auf das teure Pergament und bildete einen verästelten Klecks. Rasch zog ich das Blatt fort, damit die Tinte nicht auf die darunter liegenden sickerte, und ließ es auf den Boden fallen. Noch bevor es den kalten Marmor erreicht hatte, hatte ich die Feder erneut in das Tintenfass getaucht.
Ein neuer Versuch, vorsichtiger diesmal, mit weniger Tinte.
Doch kurz bevor die Feder das neue Blatt berührte, stockte ich. Wie sollte ich beginnen? „Liebe Hinterbliebene“? „Liebe Zurückgelassene“? – Nein, daran wollte ich nicht denken. Also schrieb ich: „Liebe Freunde.“
Ein schmerzliches Lächeln schlich sich auf mein Gesicht. Meine Freunde, die ich zurücklassen musste. Die Zeit ohne sie kam mir vor wie eine Ewigkeit – tatsächlich waren bisher fünf Monate vergangen. Ich vermisste sie. Und ich wusste, sie vermissten mich.
Meine Hand ruhte auf dem Blatt, ich wusste nicht, wie ich weiterschreiben sollte. Sinnlose Floskeln wie „Mir geht es gut“? Das tat es nicht. Die Einsamkeit erdrückte mich. Doch das sollten sie nicht wissen.
„Ich hoffe, euch geht es gut. Ihr fehlt mir.“ Ja, viel besser. „Ich weiß, dass es für euch nicht einfach ist. Und ich fühle, dass es auch mit jedem weiteren Tag, der vergeht, nicht leichter wird, diese Bürde zu tragen. Bitte verzeiht mir, euch dieses Leid angetan zu haben.“
Ein verhaltenes Seufzen klang von den Wänden wider und ich erkannte es als mein eigenes. Ja, es tat mir unendlich leid, ihnen allen solche Schmerzen zugefügt zu haben. Freiwillig war es nicht geschehen. Selbst für mich war diese Entscheidung viel zu plötzlich gefallen.
Mit einem Mal hatte ich im Licht gestanden – und euch in der Dunkelheit zurückgelassen.
„Jeden Morgen sehe ich die Sonne aufgehen und denke an euch. An die traumhafte Zeit, die wir hatten. An all die Wunder, die wir ersannen und so viele davon einfach geschehen ließen. Ich werde nie vergessen, was ich durch euch erleben, erfahren, fühlen durfte.“
Wurde ich nostalgisch? Ich spürte, wie eine kalte Hand mein Herz umklammerte.
Sehnsucht.
Wäre ich nicht auf ewig hier gefangen, nichts hätte mich aufgehalten, zu euch zurückzukehren! Doch meine Welt war inert von eurer getrennt – es gab keinen Weg zurück.
„Ich bitte euch, gebt nicht auf, was wir gemeinsam erschaffen haben. Nur weil ich nun fort bin. Ich bin nur ein kleiner Teil einer gewaltigen Kraft, die es schafft, die Herzen aller Menschen zu berühren. Mit unserer Musik wollten wir der Welt die Schönheit zurückbringen. Das kann ich nicht mehr. So bitte ich also euch: Macht mir die Welt, die ich nur noch betrachten kann, so schön wie möglich.“
Ein erneutes „Plitsch“ riss mich aus meinen Gedanken. Mein Blick fiel auf einen kleinen farblosen Fleck unterhalb meiner letzten Worte. Lautlos löste sich eine weitere Träne von meiner Wange und landete nahe der ersten.
Ich würde das Pergament nicht noch einmal austauschen.
„Seid gewiss, ich verfluche meine Schwäche. Obschon meine Seele noch so viele Wunder vollbringen wollte, war mein Körper nicht mehr stark genug dazu. Ich wünschte, mir wäre noch ein wenig Zeit geschenkt worden. Sodass sie zumindest für einen Abschied von euch gereicht hätte.“
Diesmal spürte ich die Tränen, als sie meine Wangen hinunterrannen und wischte sie fort, bevor die Worte verschwimmen konnten.
Genug. Sie sollten nicht erfahren, dass ich verzweifelt war. Gefangen wie ein Tier, gehalten an unsichtbaren Fesseln, die mich von allem trennten, was ich liebte.
„Ich bin bei euch. Für immer. Bis wir uns wiedersehen. Ich liebe euch. Schaut hinauf in den violetten Abendhimmel und ihr werdet mich lächeln sehen.“
Mit einer schwungvollen Bewegung setzte ich meinen Namen unter den Brief und faltete das Pergament.
Ich erhob mich und trat an die deckenhohen Fenster. Ein violetter Abendhimmel präsentierte sich mir, eine starke Brise strich um meinen Körper, als ich eines der Fenster öffnete.
Ich strich die letzten Tränen aus meinem Gesicht, setzte ein Lächeln auf und hielt den Brief hinaus. Die nächste Windböe riss ihn mir aus der Hand.
„Bis wir uns wiedersehen“, wisperte ich und sah dem Blatt hinterher, wie es sich in der Luft drehte und wand.
Ich wusste, es würde euch nicht erreichen.
10. Januar 2010
Dieser Text ist gewidmet:
Yuuichi Kageyama (Jasmine You)
8. März 1979 – 9. August 2009
… rest in peace …
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Ein ungeschickter Brief
Ein Tropfen löste sich.
Mit einem leisen „Plitsch“ traf er auf das teure Pergament und bildete einen verästelten Klecks. Rasch zog ich das Blatt fort, damit die Tinte nicht auf die darunter liegenden sickerte, und ließ es auf den Boden fallen. Noch bevor es den kalten Marmor erreicht hatte, hatte ich die Feder erneut in das Tintenfass getaucht.
Ein neuer Versuch, vorsichtiger diesmal, mit weniger Tinte.
Doch kurz bevor die Feder das neue Blatt berührte, stockte ich. Wie sollte ich beginnen? „Liebe Hinterbliebene“? „Liebe Zurückgelassene“? – Nein, daran wollte ich nicht denken. Also schrieb ich: „Liebe Freunde.“
Ein schmerzliches Lächeln schlich sich auf mein Gesicht. Meine Freunde, die ich zurücklassen musste. Die Zeit ohne sie kam mir vor wie eine Ewigkeit – tatsächlich waren bisher fünf Monate vergangen. Ich vermisste sie. Und ich wusste, sie vermissten mich.
Meine Hand ruhte auf dem Blatt, ich wusste nicht, wie ich weiterschreiben sollte. Sinnlose Floskeln wie „Mir geht es gut“? Das tat es nicht. Die Einsamkeit erdrückte mich. Doch das sollten sie nicht wissen.
„Ich hoffe, euch geht es gut. Ihr fehlt mir.“ Ja, viel besser. „Ich weiß, dass es für euch nicht einfach ist. Und ich fühle, dass es auch mit jedem weiteren Tag, der vergeht, nicht leichter wird, diese Bürde zu tragen. Bitte verzeiht mir, euch dieses Leid angetan zu haben.“
Ein verhaltenes Seufzen klang von den Wänden wider und ich erkannte es als mein eigenes. Ja, es tat mir unendlich leid, ihnen allen solche Schmerzen zugefügt zu haben. Freiwillig war es nicht geschehen. Selbst für mich war diese Entscheidung viel zu plötzlich gefallen.
Mit einem Mal hatte ich im Licht gestanden – und euch in der Dunkelheit zurückgelassen.
„Jeden Morgen sehe ich die Sonne aufgehen und denke an euch. An die traumhafte Zeit, die wir hatten. An all die Wunder, die wir ersannen und so viele davon einfach geschehen ließen. Ich werde nie vergessen, was ich durch euch erleben, erfahren, fühlen durfte.“
Wurde ich nostalgisch? Ich spürte, wie eine kalte Hand mein Herz umklammerte.
Sehnsucht.
Wäre ich nicht auf ewig hier gefangen, nichts hätte mich aufgehalten, zu euch zurückzukehren! Doch meine Welt war inert von eurer getrennt – es gab keinen Weg zurück.
„Ich bitte euch, gebt nicht auf, was wir gemeinsam erschaffen haben. Nur weil ich nun fort bin. Ich bin nur ein kleiner Teil einer gewaltigen Kraft, die es schafft, die Herzen aller Menschen zu berühren. Mit unserer Musik wollten wir der Welt die Schönheit zurückbringen. Das kann ich nicht mehr. So bitte ich also euch: Macht mir die Welt, die ich nur noch betrachten kann, so schön wie möglich.“
Ein erneutes „Plitsch“ riss mich aus meinen Gedanken. Mein Blick fiel auf einen kleinen farblosen Fleck unterhalb meiner letzten Worte. Lautlos löste sich eine weitere Träne von meiner Wange und landete nahe der ersten.
Ich würde das Pergament nicht noch einmal austauschen.
„Seid gewiss, ich verfluche meine Schwäche. Obschon meine Seele noch so viele Wunder vollbringen wollte, war mein Körper nicht mehr stark genug dazu. Ich wünschte, mir wäre noch ein wenig Zeit geschenkt worden. Sodass sie zumindest für einen Abschied von euch gereicht hätte.“
Diesmal spürte ich die Tränen, als sie meine Wangen hinunterrannen und wischte sie fort, bevor die Worte verschwimmen konnten.
Genug. Sie sollten nicht erfahren, dass ich verzweifelt war. Gefangen wie ein Tier, gehalten an unsichtbaren Fesseln, die mich von allem trennten, was ich liebte.
„Ich bin bei euch. Für immer. Bis wir uns wiedersehen. Ich liebe euch. Schaut hinauf in den violetten Abendhimmel und ihr werdet mich lächeln sehen.“
Mit einer schwungvollen Bewegung setzte ich meinen Namen unter den Brief und faltete das Pergament.
Ich erhob mich und trat an die deckenhohen Fenster. Ein violetter Abendhimmel präsentierte sich mir, eine starke Brise strich um meinen Körper, als ich eines der Fenster öffnete.
Ich strich die letzten Tränen aus meinem Gesicht, setzte ein Lächeln auf und hielt den Brief hinaus. Die nächste Windböe riss ihn mir aus der Hand.
„Bis wir uns wiedersehen“, wisperte ich und sah dem Blatt hinterher, wie es sich in der Luft drehte und wand.
Ich wusste, es würde euch nicht erreichen.
10. Januar 2010
Dieser Text ist gewidmet:
Yuuichi Kageyama (Jasmine You)
8. März 1979 – 9. August 2009
… rest in peace …