Nordlicht
von Lost in Suomi
Kurzbeschreibung
[In Extremo] Noora ist Anfang 20, Finnin und studiert nun als Austauschstudentin für ein ganzes Jahr an der Freien Universität Berlin. In ihrer Nachbarwohnung wohnt ein schweigsamer Kerl namens Lutter, den sie mehr als nur interessant findet. Doch er erzählt nur wenig über sich und Noora will unbedingt mehr erfahren. Denn manchmal zieht einen das Mysteriöse mehr an, als das Bekannte...
GeschichteLiebesgeschichte / P16 / Gen
08.01.2010
29.01.2010
4
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08.01.2010
1.721
Ein Paket (Kapitel 1):
Langsam öffnete Noora die Eingangstür und warf einen kurzen, fast schüchternen Blick in die Wohnung, die von nun an ihre neue Heimat sein sollte.
Vor ihr erstreckte sich ein langer, heller Flur, der am Ende in einem geräumigen Wohnzimmer mündete , gesäumt von zwei Türen, die ins Wohnzimmer und Bad führten.
Leise seufzend hievte sie ihre zwei Koffer in den Flur und schloss die Tür hinter sich. Mit einem leisen Klicken fiel sie ins Schloss.
Noora hatte sich sehr auf Berlin gefreut, wohl mehr als auf alles andere bisher in ihrem Leben, dabei jedoch vergessen, was sie alles zurücklassen musste. Und das hatte sie dann spätestens am Flughafen schmerzlich zu spüren bekommen.
Ihre Familie, ihre Freunde, die wunderschöne Natur, reich an tiefen Wäldern und Seen, und natürlich Rasmus, ihren Freund, den sie schon am Flughafen in Helsinki zu vermissen begann, mussten daheim in Finnland bleiben.
Und nun war sie angekommen in dieser riesigen Stadt voller Menschen, Autos und Hektik. Sie hatte allein zwei Stunden gebraucht, um ihre Wohnung zu finden, die ihr die Uni extra besorgt hatte.
Denn Noora war hier, um Germanistik zu studieren. Seit dem Deutschunterricht in der Schule liebte sie das Land, die Sprache und die Menschen.
Alles war anders als in Finnland und doch in gewisser Weise so ähnlich.
Aber nun musste sie sich erst mal eingewöhnen, denn im Moment drohte sie das Heimweh zu erdrücken. Gott sei Dank war die Wohnung bereits möbliert und so konnte sie sich ohne lange nachzudenken einfach auf die Couch im Wohnzimmer schmeißen, den Fernseher anschalten und langsam in einen seichten, von wirren Träumen zersetzten Schlaf sinken.
Als Noora wieder aufwachte, war es bereits später Abend. Die Uhr im Wohnzimmer zeigte auf halb neun und wenn Noora einen Blick aus dem Fenster warf, sah sie ein bereits leicht dämmriges Berlin. Die tagsüber recht belebte Seitenstraße unterhalb ihrer Wohnung war nun leer und nur einige wenige Passanten bahnten sich ihren Weg durch den spätsommerlichen Prenzlauer Berg in Berlin-Pankow.
Langsam richtete sich Noora auf und ihr knurrender Magen ließ sie sogleich die Küche betreten.
Begeisterung entwickelte sich dort allerdings nicht, denn der Kühlschrank glänzte mit völliger Lehre.
Nach einer kurzen gedanklichen Diskussion mit sich selbst, ob sie sich nicht einfach wieder auf das Sofa legen solle, entschloss sie sich, sich auf die Suche nach dem nächst gelegenen Supermarkt zu machen, um wenigstens das Nötigste einzukaufen. Sie hoffte nur, dass noch einer auf hatte.
Mit einem Griff angelte sie sich ihre Jacke und verließ schnellen Schrittes die Wohnung.
Nun stellte sich ganz langsam auch Vorfreude auf die nächsten sechs Monate ein, die sie nun hier verbringen würde. Schließlich war sie eine der wenigen finnischen Studentinnen, die ein Auslandssemester in der deutschen Hauptstadt verbringen durften und so eine einmalige Chance erhielten, Land und Menschen besser kennen zu lernen.
Ihre Uni hatte sich auch um alles gekümmert.
Sie hatten ihr sowohl die Wohnung im Prenzlauer Berg besorgt, als auch den Flug von Helsinki nach Berlin gebucht.
Noora hatte sich tage-, nein wochenlang auf Deutschland gefreut und nun war sie hier und hatte doch Heimweh. Dabei sollte sie dankbar sein und die Zeit in vollen Zügen genießen.
„Egal“, dachte sie sich. „Erst mal was zu essen besorgen.“
Mit großen Schritten lief sie die Treppe ins Erdgeschoss hinunter, um darauf im nur schlecht beleuchteten Treppenhaus erst mal auf direktem Wege in die Arme eines Mannes zu laufen, der gerade durch die Eingangstür das Haus betrat.
Sie murmelte ein perplexes „Anteeksi!“, finnisch für Entschuldigung, während der Fremde nur kurz lächelte und seinen Weg fortsetzte.
Sie drehte sich um und sah ihm nach, bis er oberhalb der Treppe seine Wohnungstür auf schloss. Sie lag Nooras direkt gegenüber.
„Seltsamer Kerl“, dachte sie.
Er war nicht sonderlich groß, vielleicht etwas über 180cm, hatte eine durchschnittliche Figur und seine langen, schwarzen Haare fielen ihm knapp über die Schulter. Sein Alter schätzte sie auf Mitte 30, vielleicht auch schon Anfang 40, doch er kleidete sich jung und an seinem linken Ohr glitzerte ein kleiner Ring.
Eigentlich sah er aus wie ein ganz normaler, vielleicht etwas alternativer Mann, aber er hatte irgendetwas Faszinierendes an sich. So faszinierend, dass Noora ihm noch nach sah, als er schon längst in seiner Wohnung verschwunden war.
Der nächste Supermarkt lag nur ein paar Straßen weit entfernt und bot ein großes Angebot an allem, was ein Studentenherz nur begehren konnte.
Nach ein paar Streifzügen durch die Regalreihen, deckte sich Noora mit einigen Flaschen Cola, zwei Tiefkühlpizzen und einer Packung Kaugummis ein, und machte sich wieder auf den Weg nach Hause.
Die Dämmerung war mittlerweile endgültig hereingebrochen und die Stadt war voller, zumeist junger Menschen auf dem Weg nach Hause oder in die nächste Kneipe.
Es war noch sehr warm an diesem sommerlichen Mittwochabend Ende August und Noora genoss das ihr noch so unbekannte Flair Berlins. Sie würde die Zeit hier genießen, egal was auch kommen würde!
Zuhause angekommen packte sie ihre Einkäufe aus, schob eine der Pizzen in den Ofen und schaltete den Fernseher ein, während sie über die kommenden Tage nachdachte.
Sie hatte nun noch über eine Woche Zeit, ehe das Semester begann und sie in die Uni musste, und sie plante, in dieser Woche Berlin so gut wie möglich kennen zu lernen und viele neue Leute zu treffen. Neue Freunde würde sie wohl spätestens in der Uni finden.
Nach dem Genuss der Pizza und einer deutschen Quizshow, von der Noora überraschend viel verstand, ging sie frohen Mutes ins schon bezogene Bett.
Am nächsten Tag wollte sie sich die Wahrzeichen der Stadt anschauen.
Den Fernsehturm, den Bundestag, das Brandenburger Tor, die üblichen Anlaufpunkte für Touristen eben.
Ihr finnischer Reiseführer beschrieb euphorisch, wie modern und zugleich geschichtsträchtig die deutsche Hauptstadt doch sei, und genau das wollte Noora jetzt bestätigt sehen.
Auf dem Weg zur Straßenbahn traf sie wieder den Mann aus der Nachbarwohnung.
Sie wusste partout nicht warum, aber dieser Mensch zog ihre Blicke förmlich an.
Er trug ein enges, dunkles T-Shirt mit einem flammenden Motiv und eine moderne Jeans. Alles sah recht neu und hochwertig aus, sein ganzes Äußeres wirkte sehr gepflegt, und doch hatte er etwas Dreckiges, fast Verbotenes an sich. Vielleicht lag es an seinen langen Haaren, vielleicht an seinem intelligenten, aber sehr kühlen Blick? Wie er wohl hieß?
Noora konnte es nicht lassen, sich darüber Gedanken zu machen, als sie hinter ihm herlief um dann gemeinsam in die Bahn zu steigen. Für einen kurzen Moment trafen sich ihre Blicke, seine blauen Augen durchbohrten sie, ehe er sich weg drehte.
Am Ende der Woche konnte Noora ein Fazit ziehen:
Berlin war genau so, wie sie es sich vorgestellt hatte und doch ganz anders. Es klang seltsam, aber sie verstand es auch selbst nicht so genau.
Die Stadt gefiel ihr, genau wie die Menschen, eigentlich gefiel ihr alles. Aber natürlich vermisste sie weiterhin Finnland, ihre Familie und vor allem Rasmus.
Mit ihm telefonierte sie täglich. Einerseits weil es gut tat, ab und an mit jemanden in seiner Muttersprache zu reden, andererseits, weil sie immer stärker merkte, dass ihr jemand zum Anlehnen fehlte, jemand, der ihr Halt gab. Und gerade jetzt, wo alles für sie neu war, brauchte sie diesen Halt dringender denn je.
Rasmus schaffte es auch ganz gut, ihr über manche schwierige Situation hinweg zu helfen, aber dennoch fühlte sie sich weit entfernt von ihm. Sie waren schon einige Jahre ein Paar und noch nie so weit entfernt wie jetzt. Doch Noora tröstete sich mit dem Gedanken, ihn in einem halben Jahr wiederzusehen.
Den Mann aus der Nachbarwohnung hatte sie die ganze Woche über regelmäßig gesehen, doch seit zwei Tagen war er wie vom Erdboden verschluckt.
Sie fragte sich schon die ganze Zeit, wo er wohl war und ärgerte sich gleichzeitig über sich selbst, dass sie so interessiert an dem Privatleben eines anderen, eigentlich fremden Menschen war. Und am meisten ärgerte sie, dass sie immer noch nicht wusste, was sie eigentlich so faszinierte.
Doch Rasmus erzählte sie von alledem nichts und so war sie auch am Sonntagabend, einen Tag vor Semesterbeginn, beim Telefonat mit ihrem Freund schwer damit beschäftigt, um das Thema Männer und Nachbarn elegant herum zuschiffen.
„Nee Schatz, viele Leute habe ich noch nicht kennen gelernt. Nur über meiner Wohnung wohnt eine junge Frau, Julia, mit der habe ich mich schon mehrmals gut unterhalten, sonst nichts!“, erwähnte Noora, während sie im Kühlschrank nach einer Flasche Cola angelte.
Die erwähnte Nachbarin Julia war übrigens wirklich sehr nett.
Noora hatte sie bereits einen Tag nach ihrer Ankunft im Treppenhaus getroffen, ein bisschen geplaudert und gestern Abend waren beide sogar mal zusammen weggegangen. Denn das Berliner Nachtleben erkundete man besser mit jemandem, der sich auskannte.
Julia studierte, wie sich schnell herausstellte, an der selben Universität wie Noora und sie hatten sogar einige Vorlesungen zusammen, denn auch sie studierte Germanistik, allerdings zusammen mit Sport auf Lehramt.
Sie war eine sehr lebendige Frau, ihre langen, blonden Haare, ihre schlanke Figur und ihr Hang zu Adidas Klamotten gaben ihr einen sportlichen Look und Noora war sehr froh, mit ihr bereits eine erste Freundin gefunden zu haben.
Dann, als Noora Rasmus gerade nach dem Wetter daheim in Lahti fragte, klingelte es plötzlich an der Tür. Ein heller Glockenton erfüllte den Raum und es dauerte einige Zeit, bis Noora überhaupt realisierte, dass dies ihre Türklingel war, die nun zum ersten Mal schellte.
Besuch hatte sie bisher noch nicht bekommen.
Schnell verabschiedete sie sich von Rasmus, wünschte ihm noch eine gute Nacht und machte sich auf den Weg zur Tür. Wer das wohl war?
Als sie öffnete, war sie fast ein wenig enttäuscht, dass sie nur in die gestressten Augen eines Postboten sah. Ehe sie sich noch fragen konnte, seit wann die nun auch Sonntags Post zustellen, maulte der Bote auch schon im tiefsten Berlinerisch: „Ick hab hier een Paket für den Herrn Lutter, der is’ aber schon den ganzen Tag nicht da. Könnten se’ dat für ihn entgegennehmen?“
Noora blinzelte verwirrt. „Herr Lutter…, ich wohne noch nicht lange hier…“
„Ihr Nachbar gegenüber!“, sagte der Postbote und deutete hinter sich auf die Tür ihres mysteriösen Lieblingsnachbarn.
„Achsooo, ja natürlich!“
„Dann bräucht’ ick hier mal kurz ne’ Unterschrift“, murmelte der Zusteller und hielt ihr schnell sein Klemmbrett unter die Nase. Eine Unterschrift später war er auch schon wieder verschwunden und Noora stand allein mit dem kleinen Paket in ihrer Wohnung.
„Adressiert an Kay Lutter“, las sie laut.
Langsam öffnete Noora die Eingangstür und warf einen kurzen, fast schüchternen Blick in die Wohnung, die von nun an ihre neue Heimat sein sollte.
Vor ihr erstreckte sich ein langer, heller Flur, der am Ende in einem geräumigen Wohnzimmer mündete , gesäumt von zwei Türen, die ins Wohnzimmer und Bad führten.
Leise seufzend hievte sie ihre zwei Koffer in den Flur und schloss die Tür hinter sich. Mit einem leisen Klicken fiel sie ins Schloss.
Noora hatte sich sehr auf Berlin gefreut, wohl mehr als auf alles andere bisher in ihrem Leben, dabei jedoch vergessen, was sie alles zurücklassen musste. Und das hatte sie dann spätestens am Flughafen schmerzlich zu spüren bekommen.
Ihre Familie, ihre Freunde, die wunderschöne Natur, reich an tiefen Wäldern und Seen, und natürlich Rasmus, ihren Freund, den sie schon am Flughafen in Helsinki zu vermissen begann, mussten daheim in Finnland bleiben.
Und nun war sie angekommen in dieser riesigen Stadt voller Menschen, Autos und Hektik. Sie hatte allein zwei Stunden gebraucht, um ihre Wohnung zu finden, die ihr die Uni extra besorgt hatte.
Denn Noora war hier, um Germanistik zu studieren. Seit dem Deutschunterricht in der Schule liebte sie das Land, die Sprache und die Menschen.
Alles war anders als in Finnland und doch in gewisser Weise so ähnlich.
Aber nun musste sie sich erst mal eingewöhnen, denn im Moment drohte sie das Heimweh zu erdrücken. Gott sei Dank war die Wohnung bereits möbliert und so konnte sie sich ohne lange nachzudenken einfach auf die Couch im Wohnzimmer schmeißen, den Fernseher anschalten und langsam in einen seichten, von wirren Träumen zersetzten Schlaf sinken.
Als Noora wieder aufwachte, war es bereits später Abend. Die Uhr im Wohnzimmer zeigte auf halb neun und wenn Noora einen Blick aus dem Fenster warf, sah sie ein bereits leicht dämmriges Berlin. Die tagsüber recht belebte Seitenstraße unterhalb ihrer Wohnung war nun leer und nur einige wenige Passanten bahnten sich ihren Weg durch den spätsommerlichen Prenzlauer Berg in Berlin-Pankow.
Langsam richtete sich Noora auf und ihr knurrender Magen ließ sie sogleich die Küche betreten.
Begeisterung entwickelte sich dort allerdings nicht, denn der Kühlschrank glänzte mit völliger Lehre.
Nach einer kurzen gedanklichen Diskussion mit sich selbst, ob sie sich nicht einfach wieder auf das Sofa legen solle, entschloss sie sich, sich auf die Suche nach dem nächst gelegenen Supermarkt zu machen, um wenigstens das Nötigste einzukaufen. Sie hoffte nur, dass noch einer auf hatte.
Mit einem Griff angelte sie sich ihre Jacke und verließ schnellen Schrittes die Wohnung.
Nun stellte sich ganz langsam auch Vorfreude auf die nächsten sechs Monate ein, die sie nun hier verbringen würde. Schließlich war sie eine der wenigen finnischen Studentinnen, die ein Auslandssemester in der deutschen Hauptstadt verbringen durften und so eine einmalige Chance erhielten, Land und Menschen besser kennen zu lernen.
Ihre Uni hatte sich auch um alles gekümmert.
Sie hatten ihr sowohl die Wohnung im Prenzlauer Berg besorgt, als auch den Flug von Helsinki nach Berlin gebucht.
Noora hatte sich tage-, nein wochenlang auf Deutschland gefreut und nun war sie hier und hatte doch Heimweh. Dabei sollte sie dankbar sein und die Zeit in vollen Zügen genießen.
„Egal“, dachte sie sich. „Erst mal was zu essen besorgen.“
Mit großen Schritten lief sie die Treppe ins Erdgeschoss hinunter, um darauf im nur schlecht beleuchteten Treppenhaus erst mal auf direktem Wege in die Arme eines Mannes zu laufen, der gerade durch die Eingangstür das Haus betrat.
Sie murmelte ein perplexes „Anteeksi!“, finnisch für Entschuldigung, während der Fremde nur kurz lächelte und seinen Weg fortsetzte.
Sie drehte sich um und sah ihm nach, bis er oberhalb der Treppe seine Wohnungstür auf schloss. Sie lag Nooras direkt gegenüber.
„Seltsamer Kerl“, dachte sie.
Er war nicht sonderlich groß, vielleicht etwas über 180cm, hatte eine durchschnittliche Figur und seine langen, schwarzen Haare fielen ihm knapp über die Schulter. Sein Alter schätzte sie auf Mitte 30, vielleicht auch schon Anfang 40, doch er kleidete sich jung und an seinem linken Ohr glitzerte ein kleiner Ring.
Eigentlich sah er aus wie ein ganz normaler, vielleicht etwas alternativer Mann, aber er hatte irgendetwas Faszinierendes an sich. So faszinierend, dass Noora ihm noch nach sah, als er schon längst in seiner Wohnung verschwunden war.
Der nächste Supermarkt lag nur ein paar Straßen weit entfernt und bot ein großes Angebot an allem, was ein Studentenherz nur begehren konnte.
Nach ein paar Streifzügen durch die Regalreihen, deckte sich Noora mit einigen Flaschen Cola, zwei Tiefkühlpizzen und einer Packung Kaugummis ein, und machte sich wieder auf den Weg nach Hause.
Die Dämmerung war mittlerweile endgültig hereingebrochen und die Stadt war voller, zumeist junger Menschen auf dem Weg nach Hause oder in die nächste Kneipe.
Es war noch sehr warm an diesem sommerlichen Mittwochabend Ende August und Noora genoss das ihr noch so unbekannte Flair Berlins. Sie würde die Zeit hier genießen, egal was auch kommen würde!
Zuhause angekommen packte sie ihre Einkäufe aus, schob eine der Pizzen in den Ofen und schaltete den Fernseher ein, während sie über die kommenden Tage nachdachte.
Sie hatte nun noch über eine Woche Zeit, ehe das Semester begann und sie in die Uni musste, und sie plante, in dieser Woche Berlin so gut wie möglich kennen zu lernen und viele neue Leute zu treffen. Neue Freunde würde sie wohl spätestens in der Uni finden.
Nach dem Genuss der Pizza und einer deutschen Quizshow, von der Noora überraschend viel verstand, ging sie frohen Mutes ins schon bezogene Bett.
Am nächsten Tag wollte sie sich die Wahrzeichen der Stadt anschauen.
Den Fernsehturm, den Bundestag, das Brandenburger Tor, die üblichen Anlaufpunkte für Touristen eben.
Ihr finnischer Reiseführer beschrieb euphorisch, wie modern und zugleich geschichtsträchtig die deutsche Hauptstadt doch sei, und genau das wollte Noora jetzt bestätigt sehen.
Auf dem Weg zur Straßenbahn traf sie wieder den Mann aus der Nachbarwohnung.
Sie wusste partout nicht warum, aber dieser Mensch zog ihre Blicke förmlich an.
Er trug ein enges, dunkles T-Shirt mit einem flammenden Motiv und eine moderne Jeans. Alles sah recht neu und hochwertig aus, sein ganzes Äußeres wirkte sehr gepflegt, und doch hatte er etwas Dreckiges, fast Verbotenes an sich. Vielleicht lag es an seinen langen Haaren, vielleicht an seinem intelligenten, aber sehr kühlen Blick? Wie er wohl hieß?
Noora konnte es nicht lassen, sich darüber Gedanken zu machen, als sie hinter ihm herlief um dann gemeinsam in die Bahn zu steigen. Für einen kurzen Moment trafen sich ihre Blicke, seine blauen Augen durchbohrten sie, ehe er sich weg drehte.
Am Ende der Woche konnte Noora ein Fazit ziehen:
Berlin war genau so, wie sie es sich vorgestellt hatte und doch ganz anders. Es klang seltsam, aber sie verstand es auch selbst nicht so genau.
Die Stadt gefiel ihr, genau wie die Menschen, eigentlich gefiel ihr alles. Aber natürlich vermisste sie weiterhin Finnland, ihre Familie und vor allem Rasmus.
Mit ihm telefonierte sie täglich. Einerseits weil es gut tat, ab und an mit jemanden in seiner Muttersprache zu reden, andererseits, weil sie immer stärker merkte, dass ihr jemand zum Anlehnen fehlte, jemand, der ihr Halt gab. Und gerade jetzt, wo alles für sie neu war, brauchte sie diesen Halt dringender denn je.
Rasmus schaffte es auch ganz gut, ihr über manche schwierige Situation hinweg zu helfen, aber dennoch fühlte sie sich weit entfernt von ihm. Sie waren schon einige Jahre ein Paar und noch nie so weit entfernt wie jetzt. Doch Noora tröstete sich mit dem Gedanken, ihn in einem halben Jahr wiederzusehen.
Den Mann aus der Nachbarwohnung hatte sie die ganze Woche über regelmäßig gesehen, doch seit zwei Tagen war er wie vom Erdboden verschluckt.
Sie fragte sich schon die ganze Zeit, wo er wohl war und ärgerte sich gleichzeitig über sich selbst, dass sie so interessiert an dem Privatleben eines anderen, eigentlich fremden Menschen war. Und am meisten ärgerte sie, dass sie immer noch nicht wusste, was sie eigentlich so faszinierte.
Doch Rasmus erzählte sie von alledem nichts und so war sie auch am Sonntagabend, einen Tag vor Semesterbeginn, beim Telefonat mit ihrem Freund schwer damit beschäftigt, um das Thema Männer und Nachbarn elegant herum zuschiffen.
„Nee Schatz, viele Leute habe ich noch nicht kennen gelernt. Nur über meiner Wohnung wohnt eine junge Frau, Julia, mit der habe ich mich schon mehrmals gut unterhalten, sonst nichts!“, erwähnte Noora, während sie im Kühlschrank nach einer Flasche Cola angelte.
Die erwähnte Nachbarin Julia war übrigens wirklich sehr nett.
Noora hatte sie bereits einen Tag nach ihrer Ankunft im Treppenhaus getroffen, ein bisschen geplaudert und gestern Abend waren beide sogar mal zusammen weggegangen. Denn das Berliner Nachtleben erkundete man besser mit jemandem, der sich auskannte.
Julia studierte, wie sich schnell herausstellte, an der selben Universität wie Noora und sie hatten sogar einige Vorlesungen zusammen, denn auch sie studierte Germanistik, allerdings zusammen mit Sport auf Lehramt.
Sie war eine sehr lebendige Frau, ihre langen, blonden Haare, ihre schlanke Figur und ihr Hang zu Adidas Klamotten gaben ihr einen sportlichen Look und Noora war sehr froh, mit ihr bereits eine erste Freundin gefunden zu haben.
Dann, als Noora Rasmus gerade nach dem Wetter daheim in Lahti fragte, klingelte es plötzlich an der Tür. Ein heller Glockenton erfüllte den Raum und es dauerte einige Zeit, bis Noora überhaupt realisierte, dass dies ihre Türklingel war, die nun zum ersten Mal schellte.
Besuch hatte sie bisher noch nicht bekommen.
Schnell verabschiedete sie sich von Rasmus, wünschte ihm noch eine gute Nacht und machte sich auf den Weg zur Tür. Wer das wohl war?
Als sie öffnete, war sie fast ein wenig enttäuscht, dass sie nur in die gestressten Augen eines Postboten sah. Ehe sie sich noch fragen konnte, seit wann die nun auch Sonntags Post zustellen, maulte der Bote auch schon im tiefsten Berlinerisch: „Ick hab hier een Paket für den Herrn Lutter, der is’ aber schon den ganzen Tag nicht da. Könnten se’ dat für ihn entgegennehmen?“
Noora blinzelte verwirrt. „Herr Lutter…, ich wohne noch nicht lange hier…“
„Ihr Nachbar gegenüber!“, sagte der Postbote und deutete hinter sich auf die Tür ihres mysteriösen Lieblingsnachbarn.
„Achsooo, ja natürlich!“
„Dann bräucht’ ick hier mal kurz ne’ Unterschrift“, murmelte der Zusteller und hielt ihr schnell sein Klemmbrett unter die Nase. Eine Unterschrift später war er auch schon wieder verschwunden und Noora stand allein mit dem kleinen Paket in ihrer Wohnung.
„Adressiert an Kay Lutter“, las sie laut.