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Von Gefangenen & Rebellen

von Tomade
Kurzbeschreibung
GeschichteLiebesgeschichte / P16 / Gen
Colonel William Tavington
16.12.2009
16.12.2009
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Colonel William Tavington:

Es war dunkel, stockdunkel. Nur schemenhaft nahm er war, dass viele Gestalten um ihn herum eilten. Laute Stimmen, Gejohle und Befehle vernahm er nur düster. Ihm war übel zumute. Sein Kopf brannte. Irgendetwas hatte ihn erwischt, doch was war es gewesen? Scheinbar haftete eine ewige Last auf seinen Körper. Etwas schien auf seiner Brust zu hocken – wie ein Stein – es schnürte ihm die Kehle zu und raubte ihm die Luft zum Atmen. Er hustete und versuchte etwas zu rufen, sich zu bewegen. Doch er blieb unfähig. Es fehlte nicht viel und er wäre wieder ohnmächtig geworden. Wieder versuchte er angestrengt seine Lider zu heben. Genau in diesem Augenblick wurde er grob an beiden Schultern gepackt und davon gezehrt. Keiner schien sich die Mühe zu machen seine Beine anzuheben. Ein grollender, stechender Schmerz ging von ihnen aus. Es schien, als wären sie gebrochen oder gelähmt. Tavington wehrte sich, aber leider zwecklos. Seine Tat schien noch nicht einmal bemerkt worden zu sein. Die Stimmen schienen nun weiter weg, viel weiter. Stille brach über ihn hinein, genauso wie eine drückende Dunkelheit – diese schien noch viel schwärzer zu sein als die davor.

Zuletzt spürte er nur noch den Stock in seinem Nacken – es war der Stab einer Zeltstange. Seine Hände wurden grob hinter dieser zusammengebunden. Ein stechender Schmerz durchzuckte ihn dabei. Sein Kinn hing träge auf seinem Brustkorb. Er hörte den Atem von jemandem, sein Kinn wurde gehoben und endlich konnte er seine Lider öffnen. Er blickte in das Gesicht eines schäbigen Mannes. „Guten Abend, Colonel, in der Hölle auf Erden.“ Was danach passierte wusste William nicht, wahrscheinlich war er wieder in die Bewusstlosigkeit geglitten.

Er fühlte sich träge, elend und völlig mittellos. Er wusste noch nicht einmal was geschehen war, wo er war oder wie es passiert war – dass er sich an so einem Ort wieder fand. Er war wach. Die Sonne schien in den Zelteingang, es war wohl schon Mittag. Dennoch ging es ihm keineswegs besser. So gesagt, er fühlte sich wie tot. Seine sonst so saubere Uniform war voller Schmutz und Blut. An seiner Schläfe pochte ein heftiger Schmerz, dort war er von einem Gewehrkolben niedergeschlagen worden. Seine Knie waren offen, doch all dies war nichts im Vergleich zu dem Schmerz an seiner linken Flanke. Allein, wenn er daran dachte wurde ihm Übel. Ein Schwerthieb hatte ihn dort erwischt, die Wunde war nicht sehr groß, darum aber umso tiefer. Sein Soldatenrock und sein Hemd waren schwer von seinem eigenen Blut. Wieder hörte er Schritte, wer würde es sein – Ein Peiniger oder sein Vollstrecker?

Er hatte keine Kraft aufzublicken. Versucht hatte er es bereits, doch sein Zopf war kaum mehr existent und sein langes dreckiges Haar versperrte ihm die Sicht. Vielleicht würde er ja Glück haben und nach einem kurzen Verhör gleich das Zeitliche segnen. Es wäre wohl das Beste gewesen, was ihm hätte passieren können. Aber er befürchtete, dass sein Körper viel zu zäh war, als dass er jetzt einfach auf der Stelle tot sein würde. Soviel Glück würde ihm nicht zuteil werden. Nein, er hatte soviel Unheil gesät, dass er, bevor er in die wirkliche Hölle kam, noch einige Höllenqualen erleiden sollte. Sicherlich war dies Gottes Plan oder der Plan von demjenigen der dort oben das Sagen hatte.

Miss Amanda Scarlett Grey:

Scarlett wanderte in ihrer blassblauen Schwesterntracht durch die langen Reihen der Verwundeten. Hier und dort blieb sie stehen um die Verbände und Nähte zu überprüfen, und um bei manchen zu kontrollieren, ob derjenige überhaupt noch atmete. Kaum eine Minute verging, ohne dass abermals ein weiterer Verletzter durch die Öffnung des Sanitäterzeltes getragen wurde. Dieser Krieg forderte schon viel zu viele Opfer. Zahlreiche Mütter beweinten bereits ihre Söhne, Familien wurden zerrissen, doch manche starben einsam. Für Scarlett war es anfangs schrecklich gewesen, all diese Schicksale mit ansehen zu müssen. Doch die Zeit hatte sie mittlerweile abgehärtet. Die Leichen der toten Soldaten gehörten nun schon ebenso zu ihrem Alltag, wie die blutenden und schwärenden Wunden, die manche erlitten.

Anfangs hatte sie nicht gewusst auf was sie sich einließ, als man ihr gesagt hatte, dass im Lager der Armee eine Schwester gebraucht wurde. Doch als sie hier angekommen war, hatte sie schnell das Bild der Realität eingeholt. Das hier war nicht einer dieser Abenteuerromane, die sie so gerne las, nein das hier war der blutige Krieg.

Scarlett streifte weiterhin durch das Krankenlager, als sie plötzlich hörte, wie jemand hinter ihr ihren Namen rief. Als sie sich umdrehte, wehten ihre langen schwarzen Locken wie eine Fahne hinter ihr her. Sie strich sich eine Haarlocke aus dem etwas verschwitzten, schmalen Gesicht. Hier im Lager war es teilweise unangenehm schwül, was von der Wärme herführte, die die Körper der Patienten ausstrahlten. „Admiral …“ Ein hoch gewachsener Mann kam in Begleitung von zwei Vasallen, die einen verletzten Gefangenen hinter sich herzerrten durch die Öffnung des Zelteinganges auf sie zu. „Schwester Scarlett, ich bringe Euch hier einen Staatsgefangenen…der Kerl ist ziemlich lädiert, also sorgt dafür, dass das Vögelchen so weit gesund wird, dass wir es zum Singen bringen können!“ Mit diesen Worten stieß der Admiral den bewusstlosen Gefangenen auf eines der Lazarettbetten. Er warf noch einen verächtlichen Blick auf ihn und wandte sich dann wieder der Schwester zu „Achtet darauf, nicht zu viel mit diesem räudigen Hund zu sprechen, am besten lasst es ganz! Wenn man diesen Engländern den kleinen Finger gib, dann fressen sie einem gleich die ganze Hand!“ Mit einem kurzen Nicken verabschiedete er sich und verließ dann gemeinsam mit seinen zwei Wachen wieder das Zelt.

Scarlett ging nun vorsichtig auf den Bewusstlosen zu. Alles in ihr sträubte sich dagegen, diesen Menschen auch nur zu berühren. Seit ihr Vater 1785 von englischen Soldaten festgenommen, gefoltert und ermordet worden war, hegte sie einen abscheulichen Hass gegen alle dieser Zunft. Und nun durfte sie auch noch einen von ihnen verpflegen. Ich muss mir vor Augen halten, dass das alles zu Gunsten der Amerikaner ist…wenn er beim Verhör spricht, dann kann das einen großen Vorteil für unsere Truppen bedeuten. Als sie schließlich vor dem Gefangenen stand, bemerkte sie all seine Wunden, vor allem an seiner Leiste, wo sich durch das schmutzige Hemd bereits ein roter Fleck ausbreitete. Scarlett seufzte, er sollte zuerst einmal seine Erschöpfung ausschlafen. Einen Bewusstlosen konnte man kaum verarzten. Und die junge Frau war zu zierlich um einen Mann seiner Statur auch nur an zu heben. Also wandte sie sich den anderen Patienten zu, während sie wartete dass der englische Colonel aufwachte.

„Sind wir jetzt also wach?“ Mit einem Arm voll Tüchern und einer Schüssel heißem Wasser kam Scarlett auf den Gefangenen zu. Er war die gesamte Nacht bewusstlos gewesen und erst jetzt im Morgengrauen aufgewacht. Wach sah er noch lädierter aus als im Schlaf. Scarlett setzte sich auf den Rand seines Lagers und begann seine Wunden zu reinigen ohne ihm auch nur einmal in die Augen zu schauen. Es war schon Folter genug für sie, diesen Mann auch nur verarzten zu müssen. Mit jedem Verband, den sie anlegte, stärkte sie einen Mann, der vielleicht mitverantwortlich für den Tod ihres geliebten Vaters war. Doch es war ihre Pflicht, den Kranken und Verwundeten zu helfen. Umsonst hatte sie diesen Eid ja nicht geschworen und vielleicht konnte sie damit ein klein wenig zum Sieg der Amerikaner über die Engländer beitragen. „Ich will gar nicht wissen, wie Euer Name lautet…Meine Pflicht ist es allein, Euch wieder gesund zu pflegen für das Verhör!“ Sie tauchte ein weiteres Tuch in das heiße Wasser, das schon einen deutlichen blassroten Schimmer aufwies. Ohne mit der Wimper zu zucken riss sie sein Hemd auf, um an die Wunde an seiner Seite zu kommen. Diese hatte bereits angefangen, sich zu entzünden. Scarlett schüttelte den Kopf. Die Wunde war ziemlich tief und rührte wahrscheinlich von einem Degen oder einem Dolch her. Sie verstand nicht, wie man bei solchen Verletzungen so lange mit der Versorgung der Wunde warten konnte. Ohne lange darüber nachzudenken nahm sie eine Flasche hochprozentigen Alkohols von einem kleinen Beistelltisch und wusch die Wunde aus. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie die Reaktion des Fremden. Doch er schien nicht einmal mit der Wimper zu zucken, auch nicht, als sie die Wunde mit wenigen Stichen vernähte. Und das räumte ihm doch einige Bewunderung ihrerseits ein. Die meisten, die sich dieser Behandlung unterziehen mussten, stöhnten, ächzten oder schrieen gar auf, wenn sie die ersten Stiche spürten. Doch dieser Kerl schien ihr zäh und hielt sich wacker.

Colonel William Tavington:

Der englische Colonel war schon eine geraume Zeit wach gewesen. Es hatte einige Zeit in Anspruch genommen, bis er wirklich wusste wo er war. Er schloss aus den Geräuschen die ihn Umgaben, dass er gefangen genommen worden war, was soviel wie sein Todesurteil bedeutete. Er nahm es ziemlich gelassen auf, schließlich rechnete er jeden Tag mit seinem Ableben. In der Zeit, als er noch alleine gewesen war, hatte er sich in Ruhe umsehen können, doch dann folgte das, was kommen musste: Er hörte Schritte und hielt sich lieber bedeckt. Bevor er weg getreten war, hatte man ihn auf eine Pritsche gebunden. Sollte er hier besser liegen? Lächerlich, das war typisch Yankee. Er kannte zwar Feldbetten, doch waren die englischen seiner Meinung nach um einiges bequemer.

Er spürte wie ihn Hände berührten, kleine zaghafte Hände. Sie hatten also eine Schwester geschickt, damit sie ihn gesund pflegte und er um einiges länger Gefoltert werden konnte. Er hätte es mit einem Amerikaner nicht anders gemacht. Nur, dass er dabei weniger Mittel eingesetzt hätte um den Gefangenen am Leben zu erhalten. Entweder er überlebte oder er starb. Gefangene machen, um sie danach zu foltern, war einfach. Wozu die Mühe also sie mit einer großen Anstrengung wieder zu beleben? Er hörte ihre sanfte Stimme, sie versuchte wohl ungerührt zu klingen, so als ob sie erhaben über die Situation war. Tavington schlug seine kalten grauen Augen auf um sie herablassend zu mustern. Obwohl er blutverschmiert und völlig entkräftet war gelang es ihm ziemlich gut, dennoch seine Ideale zu Vertreten. Niemals würde er Betteln, Heucheln oder Kriechen für etwas, dass er begehrte. Niemals! Der Colonel ignorierte ihre Worte beflissen und ließ sich nicht dazu herab mit ihr auf irgendeine Art und Weise zu kommunizieren. Wie er doch dieses ganze Spielchen hasste. Dreimal war er bis jetzt gefangen genommen worden und immer wieder war er entweder entflohen oder gerettet worden. Er würde auch dieses Lagers überleben, damit er weiter nach Ruhm und Ehre streben konnte. Doch was wusste dieses blau tragende Weibsbild bitte davon? Ihre hellblaue Schwesterntracht war nicht zu übersehen, sie gehörte also nicht zu dem gehobenen Personal an der Front und musste sich nur um irgendwelche Verwundeten kümmern. Irgendwie kränkte William dies, immerhin war er ein Colonel und dazu noch ein ziemlich berüchtigter. Man müsste alle Hebel in Bewegung setzten um ihn am Leben zu erhalten. Perfides Pack!

Er fühlte wie ihre Hände über seinen Körper streiften. Sie war jedenfalls gut darin. Er hatte das Gefühl, als würde sie ihn kaum berühren, aber vielleicht kam es auch durch den Umstand, dass er halb betäubt vor Schmerzen war. Ihm war bereits seine vom Blut schwere Uniformjacke ausgezogen worden - genauso sowie sein Anorak. Er fror nicht, denn es war ein herrlicher Frühlingsmorgen. Jemand anderes hätte diesen womöglich genossen, Tavington aber hatte noch nie viel Wert auf das Wetter gelegt. Schwach hörte er ihre Worte und öffnete nur wieder die Lider. Redete sie sich gerade ihre Arbeit schön oder versuchte sie ihn einfach nur zum Reden zu bewegen? „Ihr würdet ohnehin meinen Namen nie erfahren, dreckige Yankee Schlampe! Zudem müsst ihr mir nicht sagen was ihr zu tun habt, denn es interessiert mich im Grunde nicht. Im Übrigen weiß ich selbst was mit mir passieren wird. Tun sie ihre Arbeit und langweilen sie mich nicht mit ihrer Geschwätzigkeit.“ Kalt musterte er ihre Reaktion, noch während die Nadel sich unentwegt durch sein Fleisch bohrte. Er fühlte sich immer benommener. Es war nur natürlich. Sein Oberkörper zeigte einige andere Narben auf, es war ihm also nicht fremd so etwas mit zu erleben. Er schrie nie oder zappelte, auch wenn seine Hände sich krampfhaft um seine Fesseln geschlungen hatten, als sie die Wunde mit dem Alkohol reinigte. Er ging davon aus, dass man ihm keine Schmerzmittel geben würde. Wozu auch - er war ein verräterischer Engländer, der Feind. Tavington selbst würde es niemals zulassen einem Gefangenen überhaupt Wasser zu geben.

„Sind sie endlich fertig?“ fragte er in gelangweilten Ton und wartete bis sie endlich ihre Arbeit beenden würde. Er wollte zwar nicht unbedingt allein gelassen werden, aber er würde ihr sicherlich nicht zugestehen, dass er auf ihre Anwesenheit angewiesen war. Sie würde in den nächsten Wochen sein einziger Gesprächspartner sein, folglich sollte er im Grunde genommen höflich und freundlich zu ihr sein. Aber dies lag nun mal nicht in seiner Natur und er würde sich auch nicht in solch einer dringenden Notsituation dazu entscheiden sich zu ändern. So war nun mal der Colonel der Green Dragoons gestrickt und die Amerikaner sollten das ruhig herausfinden.

Miss Amanda Scarlett Grey:

Ihr würdet ohnehin meinen Namen nie erfahren, dreckige Yankee Schlampe! Scarlett hatte sich gerade umgedreht um das blutdurchtränkte Tuch erneut aus zu waschen, als sie die Worte des Colonels hörte. Von Wut ergriffen drehte sie sich um und verpasste ihm eine schallende Ohrfeige. Ihre Augen blitzten böse als sie die Worte beinahe heraus spie: „Hütet Eure Zunge, oder ich werde sie Euch, so wahr Gott mein Zeuge ist, bei lebendigem Leibe herausschneiden und sie dann vor Euren Augen über der Glut dort drüben rösten!“ Sie nahm die Flasche mit dem Alkohol in die Hand und schüttete einen Schwall davon über die frisch vernähte Wunde. „Und jetzt haltet Euer dreckiges Schandmaul und nervt mich nicht mit Eurem elenden Geschwätz!“ In der Hitze des Gesprächs hatten sich ihre Wangen gerötet und ihr Haar war dem sorgsam geflochtenen Dutt entwichen. Sie seufzte genervt und löste den Knoten ganz. Die langen schwarzen Locken fielen in Kaskaden über ihre Schultern und bildeten einen deutlichen Kontrast zu ihrer hellblauen Kleidung. Dieser Mann war ihr mehr als zuwider. Nein, nicht nur, dass er ein Engländer war, machte ihn so abscheulich, nein, es war auch sein Verhalten, das mehr als zu wünschen übrig ließ.

Um sich von ihrem Zorn abzulenken, begann sie nun die Nadel und das andere ärztliche Besteck zu säubern. Sie hatte ja wirklich immer Glück mit ihren Patienten. Entweder sie benahmen sich so idiotisch wie dieser hier oder sie starben unter ihren Händen. Sie hatte schon zu viele Leben vergehen gesehen. Doch die Zeit hatte sie hart werden lassen, sie ließ sich kaum ihren Schmerz anmerken und schon gar nicht ließ sie sich auf die Liebe ein. Ja, Verehrer hatte sie schon genug gehabt, aber sie hatte einen nach dem anderen abgewiesen. So etwas konnte sie in ihrem Leben nicht gebrauchen, all diese unnötigen Gefühle. Wenn sie schon etwas empfand, dann höchstens Mitleid. Aber dieser Kerl hier, erregte in ihrem Herzen nur Abscheu und sie war froh, wenn er nach diesem Verhör das Zeitliche segnen würde. „Manche haben es wirklich nicht anders verdient….“ murmelte sie vor sich hin. Sie nahm die sauberen Utensilien und packte sie in ein kleines Kästchen. Dann erhob sie sich um dieses wieder im hinteren Bereich des Zeltes zu verstauen.

Als sie zurück zum Lager des verhassten Gefangenen gehen wollte, rief eine Stimme aus dem Eingangsbereich ihren Namen. Sie drehte sich um und entdeckte den alten Jesper, der dort auf mehrere Kissen gebettet und eingehüllt in dicke Decken auf einem Lager lag. Der junge Soldat, der auf der Lagerstatt neben ihm ruhte, hatte nach ihr gerufen. Scarlett setzte ein Lächeln auf und eilte mit schnellen Schritten zu ihm hinüber. Der junge Soldat musterte sie bewundernd, doch sie schenkte diesen Blicken keine Beachtung. „Ich glaube Jesper braucht etwas, er sieht schon die ganze Zeit so gequält zu mir herüber!“ Sie zwinkerte dem Soldaten zu und wandte sich dann an den alten Mann. „Was kann ich für Euch tun?“ Sie sah ihn mit freundlichen Augen an. Er war einer dieser Fälle, der ihren Hass auf die Engländer noch steigen ließ. Jesper hatte an der Grenze eine kleine Farm besessen, seine Tiere darauf hatte er mit sehr viel Liebe gehegt und gepflegt. Dann waren jedoch die Engländer über ihn hergefallen. Um ihn zum Reden zu bringen, hatten sie vor seinen Augen nach und nach sein ganzes Vieh abgeschlachtet. Als er dann schließlich vom Schmerz gebeugt gesprochen hatte, hatten sie ihm die Zunge herausgeschnitten und ihn mit einem Degen niedergestreckt. Hätte man ihn auch nur eine Stunde später gefunden, so hätte sie nichts mehr für ihn tun können. Mit viel aufwendiger Pflege war er wieder einigermaßen genesen. Doch seine Sprache hatte sie ihm nicht mehr wiedergeben können.

Ein Lächeln schlich sich auf Jespers Züge als er sah, wie Scarlett sich ihm zuwandte. Mit Händen und Füßen bedeutete er ihr, dass er Hunger hatte und Scarlett ging hinüber zum großen Kessel, um eine Schale mit Gemüsebrühe zu füllen. Dann kam sie zurück an Jespers Lagerstatt und ließ sich an seiner Seite nieder. Da er einen seiner Arme in der Schlinge tragen musste, führte Scarlett geduldig jeden Löffel voll Brühe an seine Lippen und plauderte unterdessen munter drauf los. Jesper antwortete ihr mit beiläufigem Nicken, indem er lächelte, den Kopf schüttelte oder die Stirn runzelte. Scarlett hatte mittlerweile gelernt, sich auf diese Weise mit ihm zu verständigen. Der alte Mann lag ihr sehr am Herzen und so pflegte sie die Gewohnheit, täglich mindestens eine Stunde Konversation mit ihm zu treiben. Das lenkte sie etwas von den Gräueln des Alltages ab und Jesper bereitete sie damit eine große Freude. Als er seine Schüssel leer gegessen hatte, drückte sie kurz seine Hand, schenkte ihm noch einmal ein strahlendes Lächeln und brachte die Schüssel dann schnellen Schrittes zu dem kleinem Holztrog, der als Spülbecken diente. Während sie die kleine Schüssel auswusch, warf sie einen Blick auf den Engländer, der abgeschieden von den anderen, einsam auf seiner Pritsche im hintersten Eck des Zeltes lag. Scarlett seufzte, sie musste ihm auch noch etwas zu essen bringen oder zumindest etwas Tee. Sie ging zu dem großen Kessel, der über der offenen Feuerstelle hing und schöpfte daraus einen Metallbecher voll der heißen Flüssigkeit, die einen sanften Duft von Ringelblumen und Kamille ausströmte. Diesen nahm sie in die eine Hand, in die andere dagegen eine Scheibe Brot.

Langsam ging sie zu dem Gefangenen zurück. Ohne ein Wort zu sprechen oder ihn auch nur anzusehen, legte sie ihre Mitbringsel auf den kleinen Holzschemel neben seiner Lagerstatt. Ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen, löste sie eine seiner Handfesseln, sodass er sich wenigstens ein bisschen aufrichten konnte. Dafür befestigte sie die andere Handfessel und seine Fußfesseln umso straffer. „Ich hoffe Ihr wisst Euch selbst zu helfen….“ Ihr Lächeln war kalt, als sie sich auf einen Holzstuhl an der Fußseite seines Lagers fallen ließ und ihn mit kalten Augen beobachtete. Nein, mit ihr konnte er seine Spielchen nicht spielen. Sie ließ sich nicht wie Dreck behandeln. Und schon gar nicht, wenn dieser jemand von ihrer Hilfe abhängig war. Aber er konnte es gerne wieder versuchen. Doch dann würde sie ihm die Wochen hier in ihrem Lazarett so zur Hölle machen, dass er sich wünschen würde, man hätte ihn schon bei seiner Ankunft hier ermordet.

Colonel William Tavington:

Der Schlag hatte keine Wirkung auf ihn. Leider musste er ihn hinnehmen, da er unfähig war sich zu rühren. Ohnehin wäre er ihr wohl unterlegen gewesen. Er war so schwach, dass man ihn getrost hätte bändigen können. Tavington hasste nichts mehr, als unfähig zu sein irgendetwas zu tun, diese völlige Machtlosigkeit. Wie er dieses Wort doch verabscheute, fast genauso sehr wie dieses schwarzhaarige Geschöpft! Sie wirkte auf ihn wie eine Zigeunerin, sicherlich war sie auch nichts anderes. Aus seinen grauen Augen blickte er sie hasserfüllt an. „Das wagt Ihr kein zweites Mal...!“, zischte er verärgert, doch sie schien ihn zu ignorieren, was ihn nur noch mehr in Rage bracht. Aber auch seine Pflegerin schien nicht ungerührt von seinen Worten geblieben zu sein, immerhin hatte ihr eben gezeigter Gefühlsausbruch mehr als alles andere bewiesen, wie sehr seine Worte das Ziel getroffen hatten.

Ironisch zog er seine Augenbrauen empor. Sie wollte ihm eigenhändig die Zunge heraustrennen? Er schätze es zwar, dass sie ihn soeben zusammen genäht hatte, bezweifelte aber, dass sie in der Lage seien würde ihm die Zunge abzutrennen. Woran erinnerte ihn das Ganze nur? Er hatte einmal davon gehört, dass einem die Zunge heraus getrennt wurde. Im Krieg waren viele frevelhafte Taten gestattet, jedenfalls beteiligte sich der Colonel gerne einmal an solchen ruchlosen Aktionen. Ihm war es gleichgültig, die Hauptsache war, er erreichte seine Ziele. Den Dragoons befahl er immer hart durchzugreifen. Er machte keine Gefangenen und schreckte auch nicht davor zurück Kinder oder alte Leute exekutieren zu lassen. Seine Reiterstaffel folgte seinem Befehl und wer ihm missfiel konnte sehr schnell auch in die Schusslinie geraten. So gehorchten sie ihm, ohne seine Befehle in Frage zu stellen.

Der Colonel war noch in Gedanken versunken, da befahl sie ihm ungerührt auch noch. Wusste sie etwa nicht wer er war! Dieses miese Stück! Er schwor sich ihr zu zeigen wer er wirklich war. Sie würde niemals dazu kommen seine Zunge zu rösten. Vorher würde er ihr die Kopfhaut von ihrem Schädel abtrennen. Nochmals desinfizierte sie seine Wunde, doch dieses Mal gab der Colonel noch nicht einmal eine Regung von sich. Seine Adern waren bis zum Überlaufen mit Adrenalin gefüllt und noch immer war er daran bestrebt sich loszureißen und ihr einmal zu beweisen, dass er kein Niemand war.

All diese Wünsche würden wohl noch nicht in Erfüllung gehen. Die hübsche Amerikanerin wandte sich ab und kümmerte sich nun um wichtigere Dinge. Der Colonel sah aus seiner Position nicht was sie dort tat. Ihm war es im Endeffekt auch egal. Noch immer voller Zorn sah er wütend auf ihren schmalen Rücken, wenn er jetzt doch nur die Kraft hätte sich loszureißen. Doch es würde ihm nichts nützen, denn er sah zwei uniformierte Wachen vor dem Zelteingang stehen. Zudem hörte er ununterbrochen das Trappeln von Pferdehufen. Wie weit hatten ihn seine Feinde nur weggebracht? War es weit weg? Er konnte sich nicht daran erinnern, dass ein so großes Lager irgendwo in der Nähe existierte. Womöglich war er in einem Lager der Miliz, diese hielten sich versteckt auf. Vielleicht könnte der Colonel fliehen und dieses ganze Lager dem Erdboden gleich machen? Es keimte etwas Hoffnung in ihm auf. Immerhin bedeuteten seine Mutmaßungen, dass er nicht unweit von der Front sein musste. Das nächstgelegene Fort lag in der Umgebung von Charles Town. Das hieß, es waren gut zwei Meilen von hier aus bis zu einem sicheren Unterschlupf. Dazwischen würden kleinere Splittergruppen patrouillieren. Tavington überlegte angestrengt und bemerkte somit nicht, dass Fortgehen seiner Pflegerin. Ohnehin wäre es ihm nur lieb gewesen, jetzt ungestört für sich zu sein.

Das Denken fiel ihm schwer. Wahrscheinlich war sein Blutverlust doch um einiges höher gewesen als er angenommen hatte. Sein Blick wurde leicht trübe und er bemühte sich darum wach zu bleiben. Doch da nun die Schwarzhaarige verschwunden war, fiel es ihm schwer bei Bewusstsein zu bleiben. Ein leises Rufen eines Soldaten schreckte ihn fast im gleichen Moment auf. Unter Qualen hob er den Kopf um zu sehen wer gerufen hatte und wohin die Amerikanerin ging. Sie durchquerte fast das gesamte Zelt und Tavington hatte Mühe die Augen offen zu lassen. Wahrscheinlich hatte sie einen Verehrer, so mutmaßte William. Immerhin war sie nicht gerade unattraktiv für eine Frau. Er wusste, dass sich in solchen Lagern oft Liebesbeziehungen ereigneten. Immerhin war die Verzweiflung groß und so suchte man Trost und Geborgenheit bei der Person, die sich so bereitwillig um einen kümmerten. Verächtlich betrachtete der Colonel diese Gedanken, sie waren ihm zuwider. Er hielt nicht viel von gefühlsmäßigen Verbindungen, besonders hielt er nichts von der Liebe.

Er war Soldat und hatte sich der Majestät von England verschrieben. Seine Liebe galt lediglich seiner Macht und seinem Erfolg für die Krone. Nichts anderes brauchte er um zu überleben. In einsamen Nächten tröstete er sich mit einem guten Whiskey und einer Angestellten. Er brauchte schon immer nicht sehr viel zum Leben und noch weniger um zu überleben. Dies würden auch bald diese elenden Continentals herausfinden.

Seine Augen waren zugefallen und die Minuten verstrichen wie Sekunden. Er spürte einen leichten Luftzug, der von irgendetwas herrührte. Er war zu erschöpft um die Augen deswegen zu öffnen. Was er nicht sah war, dass sich seine Pflegerin mit etwas Essen zu ihm gesellte.

Er fühlte wie sich weiche Finger an dem rauen Strick zuschaffen machten. Wurde er gerade losgebunden? Beinahe hätte der Colonel vermutete, dass dies alles hier nur ein merkwürdiger Traum war, in den er geraten war. Vielleicht war er gerade in Fieberträumen und dem Delirium nahe. Sodass er nun glaubte er sei gefangen genommen worden. Wieder durchfuhr ihn ein brennender Schmerz, dieses Mal an beiden Knöcheln und einem Handgelenk. Ich hoffe Ihr wisst Euch selbst zu helfen. Schläfrig registrierte er diese Worte und öffnete langsam die Augen. Sein Blick erwiderte verwirrt den ihren, es war ein ziemlich kurzer Moment und es dauerte nicht lange an bis er seine Fassung wieder gewonnen hatte und merkte, was sie gerade von ihm verlangte. Sie wollte ihn also zum Essen bewegen? Das wäre doch gelacht, wenn er nun nachgeben würde. „Ich habe keinen Appetit auf diesen Fraß. Kommt wieder, wenn Ihr etwas habt, was meiner Person angemessen ist.“ Er sprach zwar leise, aber seine Stimme war nicht minder arrogant. Entweder seine Essenverweigerung oder die Wunde an seiner Flanke würde ihm das Leben kosten. Er fand sich mit beidem ab, jedoch wusste er, dass der Essensentzug auch seine Pflegerin betreffen würde. Immerhin musste sie ihn am Leben erhalten.

„Auf was wartet Ihr noch?“ fragte er süffisant und seine aufgesprungenen und blutigen Lippen bildeten ein angedeutetes und sehr schwaches Lächeln. Sie würde irgendwann einsehen, dass sie sich hier mit dem falschen Gefangenen eingelassen hatte. Sie würde ihn nicht so schnell einwickeln können. Seinen Stolz brach man nur sehr schwer. Es hatte noch nie jemanden gegeben, der dies geschafft hatte und Tavington selbst bezweifelte, dass dies überhaupt zu schaffen war.

Miss Amanda Scarlett Grey:

Scarlett nahm seine Worte nur mit einem Schmunzeln hin. Sie erhob sich mit einem spöttischen Lächeln und knickste vor ihm, wobei sie sich nur mit sehr großer Mühe das Lachen verkneifen konnte. „Oh, Brot und Tee sind also ein Schweinefraß für unsere Hochwohlgeborenheit? Vielleicht beliebt es Euch mehr, hier lange von euren Muskeln zu zehren.“ Sie lachte auf und ließ sich wieder auf ihren Stuhl fallen. „Glaubt mir, wenn Ihr nicht esst, lebt ihr trotzdem noch lange genug für das Verhör….es wird den Generals eine Freude sein, die ausgemergelte Gestalt, die Ihr dann darstellen werdet, auf der Streckbank zu foltern…Ja, General O’Connor hat da seine Vorlieben..“ In Wahrheit verabscheute sie diesen General zutiefst, da seine Methoden mehr als unmenschlich schienen in ihren Augen. Doch diesem verfluchten Engländer wünschte sie Tod und Teufel an den Hals. Wie beiläufig zog sie aus ihrem Rocksaum einen kleinen Dolch hervor. „Ihr glaubt also nicht, dass ich mir Eure Zunge als Trophäe holen könnte?“ Sie fuhr mit der mörderisch scharfen Klinge langsam, so dass er jede ihrer Bewegungen genau beobachten konnte, an ihrem Zeigefinger entlang. Eine dünne rote Linie bildete sich darauf, aus der einige Sekunden später in dicken Tropfen das Blut hervorquoll. Doch Scarlett verzog nicht einmal das Gesicht dabei. Es gab schlimmeres als einen Schnitt am Zeigefinger. „Ich kenne wahrlich noch bessere Arten, Euch zu lehren was Schmerz ist!“ Sie lächelte teuflisch und warf den Dolch mit solcher Geschwindigkeit knapp neben seinen Kopf, sodass dieser die Zeltwand durchstach und im Pfosten, der das Zelt trug stecken blieb. Während sie ihm unentwegt in die Augen starrte, führte sie ihren blutenden Finger an ihre Lippen und benetzte diese mit der karmesinroten Flüssigkeit, ehe sie diese in Zeitlupengeschwindigkeit ableckte. Dann sprang sie auf, weil sie vom Zelteingang her Lärm hörte.

Mit schnellen Schritten lief Scarlett zum vorderen Teil des Zeltes. Dort stand eine junge Frau mit einem Kind auf dem Arm. Die Tränen liefen in Bächen über ihr Gesicht, und erst jetzt erkannte Scarlett dass das Jäckchen des Kleinen nur so vor Blut triefte. „Diese verfluchten Engländer schrecke also vor gar nichts zurück…“ Sie eilte zu der jungen Frau und nahm ihr das Kind ab. Seine Ärmchen waren über und über mit Schnitten übersäht, die mit Sicherheit von Degen herführten. Scarlett ballte ihre Hand zur Faust. Ihr Hass steigerte sich ins Unermessliche, als sie das Kind auf einer Pritsche hinlegte und so schnell als möglich seine Wunden zu versorgen begann. Die weinende und zu Tode besorgte Mutter stand mit zitternden Händen und weit aufgerissenen Augen neben ihr und beobachtete all ihr tun. Als Scarlett schließlich den letzten Schnitt vernäht hatte, legte sie das nun friedlich schlummernde Kind, dem sie zuvor ein starkes Heilmittel gegeben hatte, in die Arme seiner wartenden Mutter. Die Frau küsste ihre Hände, doch Scarlett winkte verlegen ab. Sie drückte der Frau einen Tiegel mit Balsam in die Hand, das sie auf die Wunden des Kindes auftragen sollte. Die junge Frau verabschiedete sich unter Tränen.

Scarlett sah ihr nach. Ihre Hände verkrampften sich zitternd in ihrem Rock und Tränen quollen unaufhörlich über ihre Wangen. Sie brauchte einen Moment um sich zu fassen. Nein, dieser Krieg ging schon zu lange. Er durfte keine Leben mehr fordern, schon gar nicht die von Kindern. Doch die Generäle der Amerikaner waren nicht minder stur als dieser Engländer, der dort hinten auf seiner Pritsche lag. Reiß dich zusammen, du darfst niemals Schwäche zeigen! Hallten ihr die Worte ihres Vaters noch in den Ohren. Und das tat Scarlett auch. Sie nahm ihr weißes Taschentuch und betupfte ihre Wangen damit. Dann ging sie zum Wassertrog und benetzte ihr Gesicht mit kaltem Wasser, damit die Rötung ihrer Augen nachließ. Sie seufzte und machte sich wieder auf den Weg zu ihrem Gefangenen.

Der war mittlerweile wieder in die Bewusstlosigkeit entschwunden. Doch das war Scarlett egal. Sie musste so und so seine Verbände wechseln. Und da war es ihr lieber, wenn er sie nicht mit seinen Eskapaden nerven konnte. Vorsichtig schlug sie die Decken zurück. Aus den Augenwinkeln entdeckte sie, dass er noch immer nichts gegessen hatte. Scarlett seufzte und begann nun sanft die Verbände zu lösen. Auch wenn sie ihn hasste, er war doch ihr Patient und das verpflichtete sie dazu, sich so fürsorglich um seine Wunden zu kümmern, wie sie nur konnte. Ich tue das zum Wohle Amerikas…dachte sie verzweifelt. Die Naht an seiner Seite hatte nicht zu schwären begonnen, das war schon mal ein gutes Zeichen, jedoch hatten sich die Wundränder entzünden. Wenn sie nichts tat, würde dies zu einer Blutvergiftung führen, und bei seinem hohen Blutverlust würde ihn das innerhalb der nächsten Tage wahrscheinlich das Leben kosten. Bei Gott, sie wünschte diesem Engländer die Pest an den Hals, doch über Leben und Tod zu bestimmen, lag nicht in ihrer Hand. Vorsichtig streifte sie das Hemd ein wenig mehr zur Seite. Beim Anblick der Narben biss sie sich entsetzt auf die Unterlippe. Nein, dies wünschte sie nicht einmal dem schlimmsten englischen Verräter. Sanft fuhr sie mit der Fingerspitze über eine besonders tiefe Narbe etwas oberhalb seiner Brust. Dieser Krieg brachte nichts als Ärger. Einen Moment verharrte sie so, mit ihrer Hand auf seiner geschundenen Haut.

Doch als er sich regte, zuckte Scarlett zurück als hätte man sie mit einem glühenden Eisen berührt. Nein, sie konnte nicht….sie durfte kein Mitleid für diesen Mann empfinden. Das war gefährlich, konnte sie den Kopf kosten. Sie schluckte. Sie hasste es Kriegsgefangene als Patienten zu haben. Es war ihr lieber wenn sie sie alle gleich behandeln konnte, aber das war hier nicht möglich. Sie atmete tief durch und fing sich langsam wieder. Dann nahm sie den Tiegel mit der Salbe in die Hand und begann diese langsam auf die Wunde auf zu tragen. Der sanfte Geruch von Salbei drang ihr in die Nase, als sich die Salbe auf seiner Haut erwärmte.

Dann legte sie in Windeseile neue Verbände an und deckte seinen schlafenden Körper wieder zu. Eine flüchtige Berührung ihres Handrückens an seiner Stirn ließ sie stocken. Hatte er etwa Fieber? Sie legte nun die gesamte Handfläche auf seine Stirn. Ja, sie glühte beinahe. Scarlett machte sich nun wirklich Sorgen. Nein, dass verhieß gewiss gar nichts Gutes. Schweißperlen standen auf seiner bleichen Stirn, seine Wangen waren jedoch in dem bleichen Gesicht fiebrig gerötet. Schnell sprang Scarlett auf und lief zum Wassertrog um eine Schüssel kalten Wassers zu holen.

Nun begann sie dem Gefangenen, kalte Kompressen auf die Stirn zu legen, um das Fieber zu senken. Sie wusste nicht, was sie bei der Behandlung falsch gemacht hatte, immerhin waren schon fast 14 Stunden seit seiner Ankunft hier im Lazarett vergangen und Scarlett hatte gedacht, er sei nun außerhalb der Gefahrenzone. Doch da hatte sie sich wohl getäuscht. Die Medizin machte ihren Erkenntnissen nach doch immer noch Fehler.

Sie strich sein schweißnasses Haar aus der Stirn und legte erneut ein kaltes, nasses Stück Stoff darauf. Jetzt hieß es abwarten. Ob er bei Bewusstsein war, wusste sie nicht, auf jeden Fall hatte sie nichts bemerkt seit sie vorhin seine Narben berührt hatte.

Colonel William Tavington:

Grimmig erwiderte er ihren Blick, ihr Lächeln jedoch nicht. Ihre Worte mochten vielleicht einschüchtern wirken, doch der Colonel war nun mal kein Mann, den so leicht etwas erschrecken konnte. Dazu war er wohl zu kühl und hart gesotten. Hochwohlgeborenheit… er schnaubte verächtlich bei diesem Wort. Was wusste sie schon über sein Leben oder das er hochwohlgeboren sei? Wieder überkam ihn der Drang sie einfach zu erwürgen. Früher einmal hatte er in einer wertgeschätzten und anerkannten Familie gelebt, damals, als er noch ein Kind gewesen war. Es war ein passables Leben gewesen. Doch war es voller Lug und Trug. So war sein Vater ein versoffener Tunichtgut und seine Mutter ein billiges Flittchen, welche die Betten am englischen Hof in- und auswendig kannte. Nein, hochwohlgeboren fühlte er sich schon lange nicht mehr. Der Mildtätigkeit Dritter hatte er es zu verdanken auf einer renommierten Militärschule angenommen worden zu sein. Ab da ging sein Leben seines Wissens bergauf und später ging er dem Leben eines Soldaten nach.

Ihre folgenden Drohungen nahm er kaum mehr war, so schwelgte Tavington doch eher in Erinnerungen. Sie schien es nicht zu bemerken. Ihre Worte von General O’Connor ließen ihn aufhorchen. War er also höchstpersönlich hier? Der Colonel ging dennoch davon aus, dass er O’Connor nicht zu Gesicht bekommen würde. Kein General folterte Untergebene der englischen Krone. Tavington kam zu dem Schluss, dass diese dämliche Krankenschwester keine Ahnung von dem hatte, was hier eigentlich vorging. Gerade als er ihr eine trockenen Antwort geben wollte folgten weitere Worte.

Ein weiteres Mal drohte sie ihm, entweder sie hatte zu wenig zu tun oder es machte ihr Spaß Gefangene einzuschüchtern. Der Colonel nahm es mit einem Hauch von Belustigung auf, was man auch an seinem Blick sah, der sich auch nicht änderte, als sie sich selber in den Finger schnitt. Der Colonel musste nun zugeben, dass er sie einigermaßen interessant fand. Er sah ungerührt zu wie der Tropfen Blut an ihrem Finger entlang lief, über ihren zarten Finger bis sie ihn mit ihrer Zunge entfernte. Tavington hatte den Blick gelangweilt abwenden wollen, doch er konnte es nicht. Es hatte etwas Prickelndes an sich, dieses Schauspiel weiter zu beobachten. Es gefiel dem Colonel sogar ungemein, aber natürlich sagte er ihr dies nicht. Lange hielt er den doch sehr innigen Augenkontakt. Die Szene endete mit ihrem präzisen Messerwurf. Wieder nahm es der Engländer mit einer Art stillen Süffisanz auf.

Ich kenne wahrlich noch bessere Arten, Euch zu lehren was Schmerz ist! Das würde ich zu gerne herausfinden, dachte der Colonel bei sich. Vielleicht würde sie den Führer dieses Zeltlagers sogar darum bitten ihn foltern zu können. Es würde ihr sicherlich eine Genugtuung bereiten. Er kannte dieses Gefühl zu genüge. Diese angenehme Befriedigung, die man dabei empfand jemandem Schmerzen zu zufügen. Oft war der Colonel selbst als Sadist bezeichnet worden, eine Aussage die er eher gelassen hinnahm, denn er wusste, dass diese der Wahrheit entsprach. In jedem Menschen steckt ein sadistisches Monster, man musste nur den Mut haben dieses zu entfesseln. Bei ihm war es ziemlich früh geschehen, schon auf der Militärakademie. An der Tagesordnung stand die Drangsalierung der noch sehr jungen Männer. Natürlich kam es auch untereinander zu Auseinandersetzungen, die dann wiederum von ihren Offizieren bestraft wurden. Eine stille Befriedigung fand der Colonel auch im Töten, es war wohl eine Art Ausgleich dafür, dass er kaum soziale Kontakte pflegte.

Der scheinbar sprachlose Colonel wollte gerade das Schweigen brechen, da rührte ein Tumult von draußen. Er hörte Reiter und schreiende Menschen. Ein leichtes Lächeln schlich sich auf seine Züge. So wusste er, dass englische Soldaten sicher gerade eine Farm überfallen hatten. Sie waren vielleicht noch in der Nähe? Jedoch hatte er wenig Hoffnung, dass sie hierher finden würden. Die Amerikaner hatten gute Stellungen bezogen und den Engländern fehlte die nötige Orientierung um sich in dem waldigen Gebiet zu Recht zu finden.

Es dauerte bis seine Pflegerin mit einigen anderen Leuten in das Zelt zurückkam. Zivilisten, höhnte er im Stillen und sah wie sehr die schwarzhaarige Amerikanerin umhereilte um Betten und Verbandszeug herzurichten. Tavington sah eine weinende Frau mit einem Kind in den Händen. Unwillkürlich verdrehte er die Augen. Bei Kindern war ja immer alles anders. Sie waren immerhin Kinder, um sie wurde immer ein Riesenwirbel gemacht. Nur weil sie jung waren? Er verstand es einfach nicht. Als er jung gewesen war hatte man ihn auch immerzu ermahnt sich nicht wie eines zu verhalten. Er schätzte den Jungen auf gut 8 Jahre. In diesem Alter war er schon fähig eine Waffe zu halten und Menschen zu erschießen, wieso sollte man ihn also schonen? Nur weil seine kindliche Unschuld so anders war. Der Colonel beobachtete wie bemüht alle um sein Wohlbefinden waren. Sofort bekam er ein Medikament, Tavington schloss auf Morphium. Er selbst hätte es nicht erhalten, auch wenn er ein Amerikaner gewesen wäre. Medikamente waren knapp und wurden nur benutzt, wenn der Schmerz einen umbringen würde und, wenn es kein hoffnungsloser Fall war. Nach dem Ermessen des Colonels war der Kampf um das Leben des Kindes aussichtslos. Natürlich gab es gelegentlich Wunder. Jedoch war das Kind sehr geschwächt, nicht nur durch die anhaltende Nahrungsknappheit, sondern auch weil Kinder einen schwächeren Organismus hatten.
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