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Ultimate Perry Rhodan

Kurzbeschreibung
GeschichteAbenteuer / P12 / Gen
Crest da Zoltral Homer G. Adams Perry Rhodan Ras Tschubai Reginald Bull Thora da Zoltral
04.10.2009
19.12.2020
21
337.162
11
Alle Kapitel
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Dieses Kapitel
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04.10.2009 34.949
 
UPR, von Ace Kaiser und Treanor

1.
Das Wettrennen zum Mars ist bereits gewonnen, auch wenn der Westen das nicht wahrhaben will. Bereits vor einer Woche startete die Minzhudangyuán von unserer Raumstation Akai Okitsu und befindet sich innerhalb des perfekten Konjunktionsfensters auf dem Weg zum Roten Planeten, um die Fahne der Asiatischen Föderation stolz über den weiten staubigen Ebenen wehen zu lassen und um die vermeintliche technische Überlegenheit des Westens ein für allemal zu widerlegen. Die Gerüchte über den ach so überlegenen Plasmastrahlantrieb des Westens sind Augenwischerei für die eigenen Leute und werden letztendlich darin gipfeln, dass ein Unglück oder eine andere höhere Gewalt die Mission beenden wird und sich der Westen somit ungeschlagen aus dem Rennen zum Mars zurückziehen kann. Vom Stand unserer Technologie sind keine schnellere Reisen als mit der Minzhudangyuán möglich, und auch ein Wunderknabe wie Olav Peterson, der Hofmagier von NetSoft, der angeblich die Antimaterie-Batterien zur Serienreife gebracht haben will, kann daran etwas ändern. Der Rote Planet wird nicht weiß, sondern rot sein.
Es scheint, dass die Entscheidung, ausgerechnet die Kriegsverbrecher Perry Rhodan und Reginald Bull mit dieser Mission zu betrauen, das I-Tüpfelchen ist, um das Scheitern zu besiegeln.
Internetblog von Harry Wong, Chefredakteur der China Daily Zeitung

Das Rennen zum Mars findet ohne russische Beteiligung statt. Dies ist ein Schlag ins Gesicht all derer, die unsere geliebte Russische Föderation auf Augenhöhe mit den Amerikanern und den Asiaten sehen wollten. Stattdessen sind es die Stardust mit ihrem Fliegerstar Perry Rhodan und die Minzhudangyuán mit dem relativ unbekannten Raumfahrer Tariq Urban, die um die Ehre streiten, den ersten Menschen auf dem Mars zu stellen. Doch halt, so einfach ist es auch wieder nicht. Es ist richtig, es gibt kein russisches Raumschiff, das sich dem Duell bei der günstigen Planetenkonstellation zwischen Mars und Erde stellt, aber genau genommen sind wir doch daran beteiligt. Denn ohne das Know How und die Unterstützung von Petrokon gäbe es kein Akai Otsuki, und keine Freedom , . Unsere Hochtechnologie ermöglicht Ost und West den Flug zum Mars überhaupt erst, und egal welche Partei dieses Rennen gewinnt, wir Russen werden dabei sein, so oder so. Ärgerlich dabei ist lediglich, dass Petrokon oder Präsident Tomisenkow es nicht geschafft haben, wenigstens einen russischen Kosmonauten auf eines der Raumschiffe zu bringen.
Auszug aus der Kolumne von Anastasia Kalinskaya, Chefredakteurin der Komsomolskaja Prawda.

Wir sind zu spät. Der Traum ist geträumt und schon vorbei. Wir haben einst das Rennen in den Weltraum gegen die Russen verloren, und dafür das Rennen zum Mond gewonnen. Heute ist es der Mars, und wir sind hoffnungslos im Hintertreffen. Perry Rhodan wurde verpflichtet, um die amerikanische Ehre und die unserer Verbündeten zu retten, aber was kann selbst ein Mann wie er tun, wenn ihn alle anderen im Stich lassen? Die Minzhudangyuán ist vor über einer Woche gestartet und wird mit ihrem hervorragenden Chemostrahltriebwerk in drei Wochen in den Marsorbit eintreten.
Space Force und NetSoft versuchen zwar, Vertrauen in die Innovationen des Peterson-Teams zu wecken, in den genialen Erfinder der Antimaterie-Speicherung, aber wie glaubhaft kann das sein, wenn er behauptet, Konjunktion der Planeten, Energieverbrauch und Ballistik würden in der Raumfahrt ab sofort keine Rolle mehr spielen? Wird hier einfach mit zwei großen Namen herum hantiert und werden sie als Ausrede für das Scheitern auf dem Altar der Weltöffentlichkeit geopfert, damit Amerika sein Ansehen behalten kann, das es eigentlich durch die stiefmütterliche Behandlung eines Helden wie Perry Rhodan eingebüßt haben sollte?
Auch der Startzeitpunkt der Mission gibt zu denken. Wenn die Stardust wirklich unsere Hoffnung ist, wenn das Schiff wirklich so großartig ist und den Mars in nur einer Woche erreichen kann, warum startet sie dann bereits morgen, und nicht erst in einer weiteren Woche? Die Zeit würde mit einem derart grandiosen Antrieb immer noch reichen, um als erste auf dem Mars zu sein, und vor den Augen der unterlegenen Asiaten die stolzen Fahnen unserer Nation und unserer Verbündeten zu pflanzen.
Einst ließ Shakespeare seinen Helden Hamlet sagen: Es ist etwas faul im Staate Dänemark.
Heute sage ich: Bei NetSoft stinkt es gewaltig.
Einen Trost haben wir bei dieser Sache. Mag Doktor Peterson auch zu weltfremd sein, um zu bemerken, wie sein guter Name in den Dreck gezogen wird, mag ein Major Rhodan zu sehr Gentleman sein, um die Institution anzuklagen, der er acht Jahre angehört und die er mit geprägt hat, Reginald Bull in seiner herzerfrischenden, frechen und lauten Art wird kein Blatt vor den Mund nehmen und seinen Finger dorthin legen, wo NetSoft und Regierung ihn sicher nicht werden haben wollen: Mitten in die Wunde.
Aus Garret Whitworths Privatblog NetSoftWatch.
***
Es war später Nachmittag an Bord der Freedom , zumindest nach IOT, der International Orbital Time. Bei einem von Menschen geschaffenen Objekt, das in zwei Stunden drei Sonnenaufgänge und Untergänge erlebte, erschien die Zuordnung zu einer Zeitzone etwas schwierig, aber für eine funktionierende Bordgemeinschaft war eine feste Zeiteinteilung effizienter. Es hatte sich bewährt, mit festen Nachtzeiten ein wenig Ruhe in die gigantische Plattform zu bringen, anstatt im nerven- und körperaufreibendem Schichtsystem zu arbeiten. Wenn man mal von einer Nachtcrew absah.
Im Moment war von Ruhe nichts zu erkennen, weder hier in der kleinen Krankenstation der Freedom, noch da draußen, wo eine Unzahl von Scheinwerfern und Beleuchtungskörpern sowohl das Dock als auch das Startgerüst des modernsten Raumschiffs der Menschheit, der Stardust, beleuchteten.
Hektisch schwirrten Techniker und Ingenieure in Raumanzügen der neuesten Generation über die Stardust, um dem Giganten den letzten Schliff und den Segen zum Abflug zu geben, immerhin sollte es in weniger als sechzehn Stunden mit einer handverlesenen Crew zum Mars aufbrechen und damit ein neues Zeitalter der Menschheitsgeschichte einläuten. Dafür schoben viele Techniker und Ingenieure Überstunden und überprüften Technik und Elektronik ein drittes, viertes, ja sogar fünftes Mal.
Major Perry Rhodan von der Space Force war dankbar dafür. Immerhin waren er und seine Crew jene, die ihr Schicksal in die Hände dieser Arbeiter legten. Und auch wenn ein Großteil von ihnen das Logo des Großkonzern NetSoft trugen, von dem ein erheblicher Teil der Hard- und Software stammte, und nur wenige das Space Force-Emblem, war das kein Zeichen für schlechtere Arbeit.

In der Krankenstation der Freedom ging es nicht weniger hektisch zu, und die Mission der Ärzte, Pfleger und Schwestern war nicht weniger wichtig als die Arbeit der Techniker da draußen. Hier erfolgte der letzte Checkup der achtköpfigen Besatzung der Stardust vor dem Start in sechzehn Stunden. Selbstverständlich wurden die acht Raumfahrer auch diesmal, wie schon seit Wochen, vom wachen Medienauge NetSofts begleitet, um die nach Neuigkeiten hungrigen Massen mit Informationen zu füttern.
Ein kleines Kamerateam samt Sprecherin machte die Arbeit in der Enge noch etwas beschwerlicher, und jedermann in der Crew war froh, wenn die Reporterin, ihr Kameramann und ihr Tontechniker weiter gezogen waren.
„Danke für Ihre Zeit, Lieutenant Deringhouse. First Lieutenant Nyssen, auf ein Wort. Ma´am, man sagt, Sie sind nur für diese Mission in die Space Force zurückgekehrt, aber man scheint Sie hier nicht vergessen zu haben. Wenn man nach Agatha Nyssen fragt, bekommt man stets die selbe Gegenfrage: Ihr meint The Rod? Was hat es damit auf sich?“
Agatha Nyssen lächelte gequält bei diese Frage. Sie mochte Kameras nicht. Einerseits weil sie schon hart an der fünfzig kratzte, andererseits weil die Kameras es nie schafften ihre Schokoladenseite einzufangen. „Ich habe, bevor ich für eine Professur die Space Force verließ, als Ausbilderin gearbeitet. Mag sein, dass ich etwas fordernd war. Mag sein, dass ich etwas strenger war als nötig. Aber irgendwann haben mich die Leute den Schlagstock genannt. Nicht, dass ich diesen Namen besonders liebe, aber durch meine Hände sind Leute gegangen wie Michael Freyt, Reginald Bull, Clark G. Flipper, und natürlich Perry Rhodan selbst. So schlecht kann meine Arbeit also nicht gewesen sein. Deshalb betrachte ich den Spitznamen als Auszeichnung.“
„Das ist interessant. Ich darf Sie also Rod nennen?“, fragte die Reporterin lächelnd.
Agatha lächelte dünn. „Wenn Sie das möchten, bitte.“
„Rod, eine Frage habe ich auf dem Herzen. Das Durchschnittsalter der Mission ist vierunddreißig. Sie sind aber achtundvierzig. Sind Sie fit und stark genug, die anstrengende Reise zum Mars mitzumachen? Auf der Erde wäre dies sicherlich keine Frage, aber hier auf der Freedom müssen Sie und die anderen Mitglieder der Mission seit acht Wochen täglich ein paar Stunden in Schwerelosigkeit leben.“
„Der ganze Flug zum Mars wird in Schwerelosigkeit erfolgen. Machen Sie sich da keine Gedanken, es ist nicht das erste Mal, dass ich auf einer längeren Mission ohne Gravitation auskommen muss, ich bin es gewohnt. Außerdem sahen die ursprünglichen Pläne für die Marsmission vor, dass die beteiligten Astronauten weit über sechzig sein mussten.“
„Weit über sechzig? Bei so einer gefährlichen Mission?“
Nyssen lächelte nun etwas breiter. „Ursprünglich, bevor die  Staustrahltriebwerke der AF und das Plasmastrahltriebwerk der Stardust entwickelt worden waren, hätte eine Reise zum Mars sechs Monate gedauert. Ein halbes Jahr in Schwerelosigkeit sowie der immense Strahlendruck während der Reise wären enorme Risiken gewesen, weshalb man einerseits Erfahrung gebraucht hätte, aber andererseits, um die Verluste gering zu halten, keine jüngeren Raumfahrer eingesetzt hätte, für den Fall eines Scheiterns.“
„Der Strahlungsdruck existiert doch weiterhin, wenngleich der Flug kein halbes Jahr dauern wird. Wie wirkt er sich auf die Crew aus?“
Die ältere Frau winkte ab. „Mädchen, nicht nur unsere Triebwerkforschung hat Fortschritte erzielt. Seit ein paar Jahren experimentieren wir mit verstärkten Eigenmagnetfeldern, und die Stardust ist in der glücklichen Lage über einen solchen Projektor zu verfügen. Kosmische Strahlung ist für uns irrelevant.“
„Captain Freyt, was ist Ihre Meinung? Wie stark werden Gesundheit und Leben der Astronauten auf der Mission belastet?“
Michael Freyt fuhr unmerklich zusammen, als er die Reporterin hörte. Beinahe schien es als hätte er gehofft, ihr zu entkommen. Der hagere Mann warf den Kameraden eine Leichenbittermiene zu, bevor er sich zur Kamera umwandte. „Wie stark? Nun, es ist in jedem Fall ein höheres Risiko als auf der Erde zu bleiben. Aber uns verrückte Hunde nennt man nicht umsonst die Risikopiloten der Space Force. Und bedenken Sie, unser neuartiger Antrieb bringt uns in nur einer Woche zum Mars.“
„Und genau da ist der springende Punkt. Es ist schon beinahe unglaublich, dass die Asiatische Föderation mit der Minzhudangyuán in nur vier Wochen auf dem Mars sein will, wieso ist die Stardust um soviel besser?“
Reginald Bull drängte sich kurz ins Bild. „Das liegt daran, dass wir die besseren Ingenieure und die effizientere Forschung haben. Glauben Sie es ruhig, die Asiaten sind der Welt technologisch fünfzig Jahre voraus. Aber unser Antrieb setzt dem noch einmal fünfzig Jahre drauf.“
„Die Minzhudangyuán ist bereits vor einer Woche gestartet. Das Weltinteresse wendet sich der Mission von Captain Tariq Urban und seiner Crew zu, die in drei Wochen das rote Banner der Asiatischen Föderation auf dem Roten Planeten hissen will. Sind Sie zwei wirklich so zuversichtlich, dass der Stardust-Antrieb um soviel schneller ist?“
„Er ist schneller“, sagte Bull im Brustton der Überzeugung, und Freyt nickte dazu. „Ich und Michael haben den Prototypen bei einem Parabelflug um den Mond herum und zu den Lagrange-Punkten der Erde ausgiebig getestet. Natürlich fehlt ein mehrwöchiger Belastungstest, aber die verbaute Technologie beruht durchwegs auf vertrauten Prinzipien, die ihre Zuverlässigkeit bewiesen haben.“
„Nur nicht in, wenn ich das als technische Laie so formulieren darf, dieser Mischung“, stellte die Reporterin fest.
„Das ist korrekt, und ein Restrisiko wird immer vorhanden bleiben“, sagte Freyt ernst. „Aber wir sind die besten Raumfahrer der Space Force, und wenn wir die Stardust nicht in den Griff kriegen, wer dann?“
„Natürlich. Wenn nicht eine Crew unter dem legendären Perry Rhodan, wer sonst?“, stellte die junge Reporterin mit übertriebener Ernsthaftigkeit fest. „Wenn er die Asiaten nicht überholen kann, wer dann?“
Freyt und Bull nickten dazu. Auch ihr Vertrauen in Rhodan war groß.
„Was wird mit dem Mars geschehen, wenn unsere Fahne auf ihm weht? NetSoft hat bei den Vorbereitungen und beim Bau der Stardust sehr viel Geld und sehr viel Material zugeschossen. Der Antrieb selbst stammt aus der Schmiede der Peterson-Gruppe, der Innovationen-Fundgrube von NetSoft. Stimmen die Gerüchte, dass ein Teil des Mars bereits an NetSoft überschrieben wurden?“
„Aber nein“, mischte sich nun eine dritte Stimme ein. Der riesige, bärenartige Clark Flipper trat hinzu. Er war Raumfahrer, Geologe, und darüber hinaus Space Force-Offizier. „Die Aufteilung des Mars, wenn es denn in diesem Jahrhundert überhaupt dazu kommt, wird von der UNO übernommen werden, und nicht von dem, der zuerst seine Flagge in den Marsboden rammt. Nein, wir werden lediglich bei der Landung ein gewisses Gebiet für uns beanspruchen. Dies wird die Cydonia Mensae sein, ein Hochlandplateau, auf dem sich unter anderem das berühmte Gesicht vom Mars befindet. Hauptsächlich deshalb, weil die Region geologisch hoch interessant ist. Sowohl beim Gesicht selbst als auch bei den Pyramiden im Süden, die als Inkastadt bekannt sind, handelt es sich um Tafelberge. Ein Hinweis darauf, dass wir in einem geologisch aktiven Gebiet landen werden, das uns viele neue Erkenntnisse über die Marsgeschichte verspricht.“
„Womit wir auch die Erklärung haben, warum ein Geologe die Mission begleitet.“
„Geologe und Space Force-Offizier, bitte“, tadelte Flipper.
„Doktor Manoli“, sprach die Reporterin den Bordarzt der Mission an, der gerade von der Blutanalyse zurück kam. „Sie gelten als absolute Koryphäe für Erkrankungen, die mit dem Weltraumaufenthalt einher gehen. Was hoffen Sie auf dem Mars zu finden? Doch nicht auch alte Steine wie Ihr Kollege Lieutenant Flipper?“
„Was ich zu finden hoffe? Auf keinen Fall neue Patienten.“
Die Männer lachten leise.
„Ehrlich gesagt verspreche ich mir sehr viel von dem neuen Antrieb und vom Schutzschild gegen die kosmische Strahlung. Normalerweise würde ich die Mission begleiten, um die Auswirkungen der hohen Strahlenbelastung auf die Crew zu studieren und noch während der Mission medikamentöse Abwehrstrategien entwickeln, um das Leben und die Gesundheit der Mannschaft zu schützen. Aber in diesem Fall ist das Ausbleiben dieser Symptome mein Forschungsziel. Ich hoffe zumindest, dass sie ausbleiben, und das ich nicht zu Jod und Pseudoadrenalin greifen muss.“
„Wird die Raumfahrt damit langfristig ungefährlicher? Wird die nächste Expedition vielleicht sogar schon bis zum Jupiter gehen?“
„Theoretisch wäre es möglich. Auch die Finanzierung wäre kein Problem, solange wir mit den neuen Antimaterie-Batterien unterwegs sind, die einmal gefüllt nahezu ewig reichen sollen, es wäre also kaum eine Kostenfrage. Es wird wohl eher darum gehen, wann NetSoft das Spielzeug zur Marsmission abverkauft hat und eine neue Jupiterreihe vorstellt.“
Wieder lachten die Männer. „Vergiss nicht das Adventure“, riet Bull.
„Ach, du meinst die „All Bully can eat-Simulation?“, spöttelte der Bordarzt.
Nun musste selbst die Reporterin schmunzeln.
„Perry Rhodan! Sir, eine Frage. Der Flug zum Mars geht einher mit einem Wettlauf mit den Asiaten. Auch wenn es zehn Jahre her ist, dass Taiwan chinesisches Eigentum wurde, dass Japan sich der Föderation anschließen musste, scheint die Geschichte unvergessen. Wieder einmal wurde Anklage erhoben gegen Sie und Captain Bull wegen angeblicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit.“
Die Miene Rhodans in der Nahaufnahme verhärtete sich. „Damals vor zehn Jahren haben wir uns dem internationalen Gerichtshof gestellt und wurden frei gesprochen. Heute liegen nicht mehr angebliche Beweise vor wie damals, und das Gericht hat nicht einmal unsere Anwesenheit verlangt. Ich denke, das spricht für sich.“
„Nicht so trocken, Perry“, beschwerte sich Reginald Bull. „Miss, zerren Sie seine Worte nicht aus dem Zusammenhang. Als Taiwan von der neuen Regierung in Beijing eingefordert wurde, haben wir zwei wie viele andere Piloten der NATO unsere Pflicht getan und Taiwan in der Luft verteidigt. Perry hält in diesem Krieg der Rekord der meisten Abschüsse. Ich liege knapp dahinter. Die Föderation ist einfach nur ein schlechter Gewinner. Sie haben Taiwan, Südostasien, Indien und sogar Japan und die Philippinen gewonnen, und trotzdem ziehen sie Perrys Ruf in den Schmutz. Aber diesmal, um die Marsmission aufzuhalten, und aus keinem anderen Grund. Doch diesmal wird aus dem schlechten Gewinner ein schlechter Verlierer!“
„Dies ist auch die Meinung in der westlichen Öffentlichkeit. Perry Rhodan ist populär wie ein Popstar in Amerika und Europa. Für viele junge Leute ist er ein Vorbild, gerade weil er sich nach dem Taiwan-Krieg immer wieder gegen Kampfhandlungen ausgesprochen hat. Major Rhodan, was ist dran an dem Gerücht, dass wir Sie bald als Kandidaten für das Abgeordnetenhaus in Washington sehen werden? Wollen Sie wirklich in die Politik gehen, um unser Land von dieser Position aus zu reformieren? Und wäre ein Senatorenposten für solch ein Vorhaben nicht geeigneter?“
„Wenn Sie meinen, die Menschen würden mich zum Senator wählen. Schon eine Kandidatur als Abgeordneter erscheint mir gewagt.“
„Aber es gibt Pläne, Major Rhodan?“, hakte sie nach.
„Es gibt Ideen“, wich Rhodan aus.
Bull klopfte dem Freund auf die Schulter. „Lassen Sie es mich so formulieren, Miss. Sobald wir die ersten Menschen auf dem Mars waren und dort unsere Fahnen aufgepflanzt haben, sobald wir glücklich wieder auf der Freedom angedockt haben, sollten Sie ein paar Kollegen hier hoch bringen. Es könnte sein, dass Perry Rhodan der Welt und der Nation etwas wichtiges mitzuteilen hat.“
„Das klingt geheimnisvoll und viel versprechend. Meine Herren, Rod, ich danke für das Gespräch.“

Als das Reporterteam die Krankenstation verlassen hatte, löste sich auch die Versammlung der Besatzungsmitglieder auf. Jeder von ihnen hatte einen strikten Zeitplan vor dem Start, den es einzuhalten galt. Nur Rhodan und Bull blieben noch einen Moment zurück.
„Bully, das war nicht nötig. Ich habe mich noch gar nicht dazu entschlossen, zu kandidieren.“
„Aber du bringst es auch nicht über dich, die Dinge so zu lassen wie sie sind, oder? Und glaube mir, nachdem wir die Minz-sowieso abgehängt haben, bist du populärer als der Präsident.“
Zwischen Rhodans Brauen bildete sich eine steile Falte. „Mir ist nicht wohl dabei, dafür ausgerechnet Mittel von NetSoft zu benutzen.“
„Wieso? Es ist ausgleichende Gerechtigkeit, wenn NetSoft-Ressourcen einmal für das öffentliche Interesse Verwendung finden, und nicht nur für Konzerninteressen.“
„Hm“, machte Perry Rhodan, halb überzeugt. „Es wäre ausgleichende Gerechtigkeit.“
„Und für einen sehr guten Zweck. Aber vergiss nicht, ich werde dein Vize-Präsident, okay?“
Rhodan schmunzelte. „Bully“, mahnte er.
Der kräftige Rotschopf grinste Rhodan an. „Lass mich nur machen, Perry. Wir kriegen dich schon noch ganz nach oben.“


2.
Der Anblick der Freedom von außen war enorm. Es war das nicht größte je von Menschen erschaffene Bauwerk, weder so prächtig wie die Pyramiden in Ägypten, noch jene in Mittel- und Südamerika, aber es war immer noch groß genug um zu erschaudern, wenn man sich bewusst machte, was geleistet worden war, um es zu erbauen.
Die Freedom wurde international verwaltet, die NATO hatte hier volle Befugnisse, zumindest auf dem Papier. Die Wirklichkeit sah anders aus. Verwalter im Auftrag der US-Regierung und NATO war natürlich NetSoft, der amerikanische Gigantkonzern, der auf der riesigen Weltraumplattform damit das Hausrecht hatte. Natürlich hatte Petrokon sich weit reichende Rechte erkauft, genauso wie auf der asiatischen Akai Okitsu-Plattform. Aber das war eher als Pluspunkt zu werten, immerhin brachte er russisches Know How und Material auf diesen Außenposten der Menschheit. Dem Außenposten, vom dem die Stardust auf ihre Marsmission starten würde.

Die Vorbereitungen verliefen unspektakulär. Das Mutterschiff und der Stardust Lander, , wurden ein letztes Mal überprüft. Der Lander war notwendig, denn die Stardust selbst war nicht dazu konzipiert, um in einer Atmosphäre zu fliegen. Dieser Umstand machte zwei Crews notwendig. Die Männer der Ersten Crew, welche auch mit dem Lander den Mars betreten würden, waren der Kommandant der Mission, Major Perry Rhodan, Co-Pilot und Chefingenieur, Captain Reginald Bull, Doktor der Geologie, First Lieutenant Clark G. Flipper sowie Chefarzt der Mission, Doktor Eric Manoli.
Die zweite Crew, die auf der Stardust bleiben würde, eine Aufgabe, die ebenso wichtig wie die Landung auf dem Mars war, wurde von Captain Michael Freyt angeführt, dem Reservepiloten. Man hätte annehmen können, dass es ein undankbarer Job für den erfahrenen Raumfahrer war, aber erstens war ihm als Doktor der Astronomie der Sternenhimmel sowieso lieber als der rote Staub des Mars, und zweitens war ihm bereits die Stardust II versprochen worden, das Schwesterschiff, welches noch vor Ende der Marsmission aus der Werft kommen würde. Ihm zur Seite standen First Lieutenant Agatha Nyssen, eine erfahrene Ingenieurin und Ausbilderin, die wegen ihrer harschen Methoden den Spitznamen Rod weg hatte – Knüppel. An ihrer fachlichen Kompetenz jedoch gab es sicherlich nichts zu rütteln. Second Lieutenant Conrad Deringhouse machte den Abschluss. Der Co-Pilot der zweiten Crew war der jüngste Mann an Bord, aber allein die Tatsache, dass er diese Mission absolvierte, sagte genug darüber aus, wie erfahren er war.
Die vierte Person, die an Bord bleiben würde, war Eryn King, ihres Zeichens Ingenieurin und Sicherheitsbeauftragte an Bord. Um exakt zu sein war sie Geheimdienstoffizierin und Spürhund des allmächtigen Allan D. Mercant, dem Direktor der IIC. Die International Intelligence Company war ein weltweit agierender Geheimdienst-Konzern, der seine Dienste allen westlichen Nationen, Konzernen und Organisationen anbietet. In diesem Fall war er von den USA mit der Sicherheit und Spionageabwehr der Stardust-Mission betraut worden.
Da Eryn King fachliche Qualitäten aufwies, die Crew unterstützen konnte und ebenfalls Raumerfahrung hatte, war sie von der Crew mehr oder weniger akzeptiert worden. Andererseits hatte die Gruppe um Rhodan auch keine andere Wahl gehabt.

Perry Rhodan wandte seinen Kopf nach hinten so gut es ging und musterte jeden einzelnen Menschen an Bord. Er sah in gespannte, aber entschlossene Gesichter. Sobald das Okay-Zeichen kam, würde es los gehen. Ein paar letzte Worte von General Pounder, eine kurze Schaltung zu Doktor Olav Peterson, dem Leiter des Entwickler-Teams der Stardust, und dann wurden sie von der Leine gelassen.
„Hier Freedom , Stardust, Countdown wird unterbrochen.“
Die beiden Piloten tauschten einen irritierten Blick aus. „Freedom , hier Major Rhodan. Haben wir ein Problem? “
„Die Asiatische Föderation macht ein wenig Ärger. Ihre Vertreter bestehen darauf, dass die Stardust-Mission abgebrochen wird. Das Schiff selbst soll in Quarantäne gesteckt werden.  Die Anklage gegen Major Rhodan und Captain Bull vor dem internationalen Gerichtshof wurde  um dramatische Punkte erweitert, und das Gericht entscheidet im Eilverfahren über eine einstweilige Verfügung.“
„Fällt denen nichts Neues mehr ein?“, stöhnte Rhodan unwillkürlich.
„Die Erweiterung der Anklageschrift umfasst so ziemlich jedes Verbrechen, angefangen bei der Bombardierung nicht militärischer Ziele bis auf vorsätzlichen Mord an Piloten, die am Fallschirm hängen. Sie können sich also denken, dass die  Haager Richter im Moment vollkommen aus dem Häuschen sind.“
„Damit kommen sie doch nie durch!“, brach es aus Reginald Bull heraus. „Das sind sie vor zehn Jahren nicht, das sind sie letzten Monat nicht, und das werden sie auch diesmal nicht! Abgesehen davon, dass das alles erstunken und erlogen ist, wer glaubt denn daran, dass ein moderner Kampfjet einen Piloten angreifen kann, der am Fallschirm zu Boden trudelt? Die Zeit hätte ich damals wirklich gerne gehabt, anstatt bei jedem Einsatz von der ersten bis zur letzten Minute um mein Leben zu kämpfen!“, donnerte Bull wütend.
„Natürlich ist es Nonsens. Und natürlich kommen sie damit nicht durch“, sagte Rhodan und legte Bully beruhigend eine Hand auf den Unterarm. „Darum geht es ihnen auch gar nicht. Nein, sie wollen der Stardust nur den Kommandeur und den Stellvertreter nehmen und solange wie möglich weg sperren, damit ihre Expedition vor der Stardust das Ziel erreicht.“
Reginald Bull ließ einen derben Fluch hören, der gewiss nicht aus dem Zeitalter der modernen Raumfahrt stammte. „Die spinnen, die AFler! Die glauben doch nicht, dass mit Perry und mir die ganze Expedition steht oder fällt?“
„Anscheinend haben sie eine hohe Meinung von unserem Kommandanten und von dir, Bully“, erwiderte Freyt von seinem Sitz aus. „Außerdem wird es ein paar Tage dauern, bis wir einen Ersatz für mich und Agatha heran geschafft haben, sobald wir auf eure Plätze rutschen. Tage, die der AF-Mission zum Mars zugute kommen werden.“
Einige Zeit herrschte Stille in der Zentrale der Stardust. Dann machte sich Reginald Bull Luft, indem er seinen Unmut raus ließ. „Verdammt, diese Chinesen! Können sie nicht fair gewinnen? Über Taiwan habe ich jedenfalls nie Jagd auf Kampfflieger gemacht, die beschädigt nach Hause schlichen.“ Er schnaubte wütend, aber die Phase der Wut schien schon wieder abzuebben. „Weißt du, Perry, wenn die AF dich so hoch einschätzt, frage ich mich, ob chinesische Mütter mit dir ihre Kinder erschrecken, wenn die Kleinen nicht brav waren.“
„Das werden sie wohl eher mit dir machen“, warf Flipper grinsend ein. „Es reicht ja schon ein Foto.“
„Du…“, rief Bully und schlug gespielt nach dem Geologen.
Der lachte dabei, während er Bullys Arm abwehrte.



Bully schüttelte sich ausgiebig. „Ich weiß nicht, was mir mehr zu schaffen macht: Der Gedanke, dass die Chinesen behaupten, eine fehlgeleitete Rakete, die ich über Taiwan abgeschossen habe hätte in Vietnam ein Kinderkrankenhaus zerstört, oder dieseGeheimdienstleute. Ich kann diese Schlapphüte einfach nicht ab!“
Der Captain sah kurz hinter sich, wo in der letzten Reihe der Andrucksessel Agentin King saß. „Anwesende eingeschlossen, Schlapphut.“
„Ich freue mich auch, mit Ihnen zusammenarbeiten zu dürfen“, erwiderte die Britin mit säuerlicher Miene. „Und keine Sorge, ich habe den Würgedraht samt Armbanduhr zu hause auf dem Nachttisch vergessen.“
Die Raumfahrer der Expedition, King eingeschlossen acht Personen, lachten bei diesem Scherz.
Bevor Rhodan etwas erwidern konnte, wechselte der Bildschirm erneut.
„Gute Nachrichten, Stardust“, klang die markante Stimme des Leiters der Freedom-Station auf. „Die International Intelligence Company hat im Eilverfahren eine einstweilige Verfügung durchgedrückt. Der Countdown wird wieder aufgenommen. Wir machen weiter nach Plan. Live-Aufnahme erfolgt in zwei Minuten.“
„Haben verstanden, Freedom“, erwiderte Bull. Er sah zu King herüber und meinte: „Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegenteil. Ihr Chef, Allan Mercant, scheint uns ja richtig ins Herz geschlossen zu haben.“
Eryn King lächelte dünn. „Sagen wir einfach, er ist gut vorbereitet und hat mit so etwas gerechnet. Immerhin bezahlt NetSoft die IIC dafür, damit die Asiaten den Start der Stardust eben nicht verhindern.“
In der oberen linken Ecke des Hauptbildschirms erschien ein Sender-Logo. Ab sofort wurden sie live übertragen. Zwar sagte die vorherrschende Meinung in der westlichen Welt aus, dass sie den Vorsprung der Chinesen nicht würden aufholen können, aber dennoch wollte sich niemand in der Space Force und bei NetSoft vorwerfen, den entscheidenden Augenblick nicht richtig gewürdigt zu haben. Aber es würde keine Rekordverdächtige Einschaltquote geben.
Ein weißhaariger Brillenträger von vielleicht Ende zwanzig erschien auf dem Schirm. Seine himmelblauen Augen strahlten geradezu, während seine Linke den unordentlichen Haarschnitt noch weiter durcheinander brachten. Auf einem anderen Bildschirm war das hübsche Gesicht der Reporterin zu sehen, die sie bereits in der Krankenstation interviewt hatte. „Jetzt ist es also endlich so weit. Die Stardust-Mission steht kurz vor der entscheidenden Phase, und Millionen Menschen verfolgen weltweit den Startverlauf. Ich begrüße neben der tapferen Crew der Stardust unter ihrem Kommandeur Perry Rhodan nun noch  Doktor Olav Peterson. Der NetSoft-Wissenschaftler ist dank der Inventionen des Stardust-Antriebs und seiner Beteiligung bei der Antimaterie-Energiespeicherung so etwas wie der Elvis der Wissenschaft. Willkommen, Doktor Peterson, zum großen Moment, wenn Ihr Baby laufen lernt.“
„Danke, Carrie. Es ist in der Tat ein großer Augenblick für mich. Und ich zweifle nicht daran, dass es auch ein großer Moment für Major Rhodan und seine Kameraden ist.“
„Das steht wohl außer Frage. Wir müssen ja mit Ihrem Antrieb zum Mars fliegen, Olav!“, warf Lieutenant Deringhouse frech von hinten ein.
„Olav?“, fragte die Reporterin interessiert.
„Wir haben uns in der Teilchenbeschleunigeranlage in New Mexico kennen gelernt, bei derShowvorführung für die Serienbefüllung der Antimaterie-Batterie.Major Rhodan und Captain Bull waren damals auch dabei. Und hinter ihnen beiden erkenne ich auch Captain Freyt und Lieutenant Nyssen.“

. Sind Sie jetzt zufrieden? Das Universum ist nicht kollabiert, als die Batterie befüllt wurde, Conrad.“
Deringhouse schien ernsthaft zu bereuen, sich zu Wort gemeldet zu haben. Er sackte auf seinem Andrucksessel zusammen, während die anderen Männer ihn wohlmeinend auslachten. „Ich dachte ja nur“, brummte Conrad Deringhouse zur Entschuldigung.
„Es ist ja kollabiert“, sagte Peterson in beschwichtigendem Tonfall. „Und ist danach sofort neu entstanden.“
„Was, bitte? Das Universum wurde zerstört und ist wieder neu entstanden?“, fragte die Reporterin verwirrt. „Nur ein alter Physiker-Witz, Carrie“, fügte er mit einem verlegenen Grinsen hinzu.
Die Reporterin lachte höflich.
„Major Rhodan, die Stardust ist mit einer
neuartigen künstlichen Magnetosphäre ausgestattet . Was bedeutet das für die Mission?“
Rhodan räusperte sich. „Im Prinzip nicht mehr oder weniger, als dass wir einen Schutzschirm haben. Das klingt jetzt ein wenig nach Science Fiction, aber ich denke, Doktor Peterson kann das Prinzip grob erklären.“
„Sie meinen vereinfacht erklären, damit ich Laie es ebenfalls verstehe“, versetzte die Reporterin mit einem dünnen Schmunzeln. „Also los, Doktor Peterson. Ich bin sicher, unsere Zuschauer sind sehr daran interessiert, was es mit dem Schutzschirm auf sich hat.
Der NetSoft-Wissenschaftler räusperte sich. „Ich habe leider nicht daran mitarbeiten können, aber ich kenne die wichtigsten Daten und halte sie für essentiell für diese Mission. Das Prinzip basiert auf der Erzeugung eines starken Magnetfelds um die Stardust, das den Einfluss kosmischer Strahlung auf einen Wert zurückschraubt, der sogar unter der natürlichen Strahlenbelastung auf der Erde liegt.“
„Wofür wir uns ausdrücklich bedanken, Doktor“, meldete sich Bully zu Wort. „Im Gegensatz zu den Chinesen habe ich nämlich was dagegen, als fertig gebackene Tofu-Tasche auf dem Mars anzukommen.“
„Ganz so schlimm ist es nicht bei dem Raumschiff der AF“, gab Peterson zu bedenken. „Ich weiß aus zuverlässiger Quelle, dass ihre neuartige Panzerung den Strahlendruck auf ein Plus von zwanzig Prozent reduziert, vom Durchschnitt auf der Erde auf Normalnull aus gesehen. Die Chinesen lassen uns zwar nicht in ihre Pläne schauen, aber ich habe munkeln hören, dass  eine querverschachtelte Panzerung die Anzahl der Atome künstlich erhöhen soll, die ein Strahlungsquant überwinden muss, um den Innenraum zu erreichen. Ein ähnliches Prinzip gibt es bei Kampfpanzern, und es funktioniert. Solange ihnen kein Sonnensturm in die Quere kommt, ist das ein akzeptables Schutzverfahren. Und dann haben sie immer noch den Schutzraum, der sie vor normalen Stürmen schützen kann.
Im Vergleich, auf der Freedom liegt der durchschnittliche Strahlenwert bei dreißig Prozent über normal. Die AF hat sich gut vorbereitet, aber mit Verlaub, ihnen fehlt ein Genie wie ich, das einen Antrieb hervor bringen kann, der die Raumfahrt um zweihundert Jahre in die Zukunft versetzt.“ Petersons Augen begannen zu tränen. „Denken Sie doch nur mal nach! Mit einem Antrieb, der in einer Woche den Mars erreichen kann, in fünf, wenn der Mars auf der anderen Seite der Sonne steht, ist uns alles möglich! Expeditionen zur Venus, zum Merkur, zu den Monden des Jupiters, zum Saturn, alles liegt in greifbarer Nähe! Ja, die Menschheit kann sogar Expeditionen zu den umliegenden Sonnensystemen aussenden! Mit dem innovativen Plasmatriebwerk, einer derart guten Möglichkeit Energie zu speichern wie der Antimaterie-Batterie und mit dem Schutzschirm sind die Möglichkeiten unendlich, und das interstellare Zeitalter ist zum greifen nahe!
Noch besser, der alte ballistische Flug, bestehend aus Beschleunigung und gleichwertigem Abbremsflug, ist Vergangenheit, weil das Potential des Antriebs so groß ist, dass er kurzfristig mit bis zu vierzig Prozent höheren Werten arbeiten kann. Er wird die Stardust im Weltall so manövrierfähig wie einen Kampfjet machen!“
Jemand der nicht im Blickfeld der Kamera saß, reichte dem Doktor ein Taschentuch. Automatisch begann der kräftige Mann, seine Augen zu trocknen. „Danke“, ächzte er.
„Eine Frage “, meldete sich die Reporterin wieder  zu Wort, „wie lange hält denn Ihre Wunderbatterie mit der künstlich hergestellten Antimaterie?“ „Das würde mich jetzt auch interessieren, Doktor Peterson“, warf Bully ein. „Ich meine, wir wurden weder über ihre Befüllung, noch über ihre Wartung informiert, und wir haben mehrere für den Lander und als Backup für das Fusionskraftwerk an Bord. Wenn wir irgendwo zwischen den Planeten stranden und sich die Antimaterie-Batterien entladen haben, müssen wir darauf warten, dass die Stardust II uns auffischt. Falls denen nicht auch der Saft ausgeht.“
Peterson sah ihn trocken an. „Wartung? Die Batterie ist wartungsfrei für… Lassen Sie mich rechnen, sagen wir dreihundert Jahre.“
„Dreihundert Jahre?“, staunte Bull. „Ich nehme die Zeit, versprochen.“
Einen Moment sah Peterson den Piloten verwundert an, doch dann lächelte er. „Ich werde da sein um das Ergebnis abzunehmen, Captain Bull.
Und was das nachfüllen angeht, nun, ich mache keine halben Sachen. Natürlich reicht der Antimaterievorrat auch gut dreihundert Jahre. Eine durchschnittlich moderate Energieabfrage über diesen Zeitraum vorausgesetzt.“
Rhodan starrte den Bildschirm mit brennenden Augen an. „Vielleicht sollte ich doch lieber in der Raumfahrt bleiben“, flüsterte er mit sehnsüchtiger Stimme.
„Dreihundert Jahre Energie, das ist atemberaubend“, sagte die Reporterin. „Diese neue Technologie wird nicht nur für die Raumfahrt vollkommen neue Möglichkeiten eröffnen, auch die Erde wird sich sicherlich nachhaltig und zum Besseren verändern.
Doktor Peterson, haben Sie vielen Dank für dieses Interview. Wir alle haben viel gelernt – soweit wir Ihre Erklärungen verstanden haben.“
Die Crew der Stardust und der Doktor lachten bei dieser entwaffnenden Ehrlichkeit.
„Ich habe zu danken, Carrie. Ach, und, meine Herren, die Dame, viel Glück auf dieser Mission.“
Die Crew der Stardust bedankte sich herzlich, und das Gesicht auf dem Bildschirm verschwand.

Der Bildschirm wechselte und zeigte nun das Gesicht einen vierschrötigen Mannes mit leicht gerötetem Gesicht. Es schien ihm auf die Stirn geschrieben zu sein, dass sein Hobby das Zusammenstauchen von Rekruten war.
„Wir begrüßen nun General Leslie Pounder, den Chef der U.S. Space Force als Gesprächspartner. Herzlich willkommen, General.“
Der große Mann nickte mürrisch. „Guten Abend, Carrie.“
„General Pounder, Kritiker werfen der Space Force und NetSoft vor, viel Trara um nichts zu machen. Die Erwartungen werden hoch gesteckt, und anschließend soll die Enttäuschung reagieren. Im Vorfeld der Mission haben Sie die Zahl der öffentlichen Auftritte von Major Rhodan und seiner Crew, vor allem in Talkshows stark eingeschränkt. Öffentlich organisierte Public Viewings gibt es ebenfalls nicht. Andererseits haben sich die Menschen an öffentlichen Plätzen versammelt, wie zum Beispiel dem Times Square, um gemeinsam den Beginn der Mission zu verfolgen. Haben Space Force und NetSoft das öffentliche Interesse unterschätzt?“ „Wir schicken dieStardust mit etwas wenig Trara auf die Reise zum Mars, zugegeben, Carrie. Keine Parade, keine Fernsehansprache von Präsident Wilson, keine hundert Talkshowauftritte vor der Mission. Natürlich, es ist der Beginn der Eroberung eines neuen Planeten für die Menschheit. Aber die Asiaten sind früher gestartet und die Weltpresse verfolgt deren Flug mit Argusaugen. Von Spezifikationen wie besseren Antrieben wollen die ja nichts hören und Rechenexempel überzeugen sie weniger als handfeste Videoaufnahmen.“
„Heißt das, das der Fehler bei den Medien der freien westlichen Welt liegt, General?“
„Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, ich würde Vorwürfe hin und her schieben. Ich sage nur, dass wir trotz ehrlicher Bemühungen stiefmütterlich behandelt wurden und werden. Doch alleine an der Internetpräsenz des Themas sehen wir, dass das Interesse da ist. Alleine die Video-Blogs von Major Rhodan wurden in den letzten Wochen vierzig Millionen Mal aufgerufen.  Aber ich verspreche Ihnen, Carrie, dass es mehrere spektakuläre Videos geben wird, die auch das Medieninteresse auf die Spitze treiben wird. Zum einen planen wir ein Video zur Überholung des asiatischen Raumschiffs.“
„Die, wie spöttische Stimmen behaupten, niemals stattfinden wird“, warf Carrie ein.
„Es wird dieses Video geben, und es wird auch Videos von der Erstlandung auf dem Mars geben, durchgeführt von Major Rhodan und seinem Team. Und wenn die Stardust wieder im Erdorbit ist , dann verspreche ich, kriegt die Crew einen Heldenempfang quer durch New York mit Konfetti-Parade, die alle anderen jemals stattgefundenen Paraden in den Schatten stellen wird, ganz so wie sie es nach einer solchen Heldentat verdient haben.!“
„Ich werde Sie beim Wort nehmen, General Pounder“, versprach die Reporterin. „Ich hoffe, Sie tanzen dann mit mir zusammen in der Konfetti-Parade zu Ehren von Major Rhodan und seiner Crew.“
Das gerötete Gesicht des Kommandeurs der Space Force verzog sich zu einem Schmunzeln. „Ihre Füße werden gefährdeter sein als die Stardust während der gesamten Marsexpedition, Carrie.“
„Das Risiko gehe ich gerne ein“, erwiderte sie mit einem Lächeln. „Ich höre gerade, der Countdown hat vier Minuten erreicht. Wir müssen an dieser Stelle abbrechen. Und auch wenn das Medieninteresse keine berauschenden Werte erreicht hat, so möchte ich doch die Gelegenheit nutzen und die guten Wünsche von zwei Millionen Zuschauern zu übermitteln, die der Stardust fest die Daumen drücken.“
„Dafür bedanken wir uns von ganzem Herzen, Carrie“, erwiderte Rhodan.Die Bildschirme mit der Reporterin und Pounder wechselten zum Countdown zurück.
„Okay, es geht los! Magnetfelder vorinitialisieren, Output des Fusionsreaktors auf Betrieb hochfahren. Pulstriebwerk vorwärmen. Unser nächster Stopp ist der Mars!“
„Wetten, wir kriegen unsere Parade?“, rief Bull aufgeregt und nahm ein paar Eingaben auf seinem Sensorfeld vor. Danach stieß er Rhodan in die Seite. „Wäre doch eine gute Gelegenheit, um deine Kandidatur bekannt zu geben, diese Parade.“
„Bully“, mahnte Rhodan mit einem dünnen Schmunzeln.

Bei T minus dreißig lösten sich die Halteklammern, die die Stardust an die Freedom banden. Bei T minus fünfzehn erreichte eine massive Beschwerde der Asiatischen Föderation die UN.
Bei T minus fünf begann das Strahlentriebwerk im Heck zum Leben zu erwachen.
Bei T minus null startete das schlanke Raumschiff mit Werten, die man vor dem Start der Stardust bei einem Schiff dieser Masse in den Bereich der Utopie abgetan hätte.
Sie waren auf dem Weg zum Mars.
Bei T plus dreißig traf bei den UN der Eilantrag ein, die Stardust zwecks Befragung der Crew zu internieren.
Da befand sich das Raumschiff allerdings schon in fünfhundert Kilometern Entfernung, Tendenz steigend.

3.
Die Stardust war ein recht großes Raumfahrzeug. Im Gegensatz zu den Apollo-Missionen, in der drei Männer auf engstem Raum hatten miteinander auskommen müssen besaßen die Raumfahrer auf diesem Schiff nicht nur Einzelkabinen, wenn auch kleine, sondern auch eigene Büros, von Bully spöttisch Betzellen genannt, einen Gemeinschaftsraum, eine Krankenstation und einen Raum für den Planetenlander.
Gegenüber dem Freedom war das noch nicht wirklich Luxus, was den Platz betraf. Gegenüber den Chinesen, die sich zu acht auf einem Neuntel dieses Volumens drängen mussten war das jedoch ein Unterschied wie zwischen Chevrolet und Mini.
Und Reginald Bull war dankbar für den großzügigen Platz. Vor allem für den in der Krankenstation und den hervorragenden Kaffee, den Doktor Manoli dort zu kochen pflegte.
„Sehr geehrter Doktor Haggard. Wie Sie im Anhang sehen werden… Werde ich…“
„Was machst du da, Eric?“, klang Bullys fröhliche Stimme hinter dem Mediziner auf.
Eric Manoli sah vom seinem Arbeitsplatz auf. „Hast du keine Krankenhäuser zu sprengen?“
„Vorsicht, Doktor, mit so etwas treibt man keine Scherze. Und ich habe dich höflich und nett gefragt.“
„Ich arbeite gerade. Da bin ich immer etwas bissig. Hast du das immer noch nicht gelernt, Bully?“, schnappte der italienischstämmige Mediziner.
„Ist ja gut. Das nächste mal komme ich mit durchbeißsicheren Handschuhen.“
Manoli seufzte laut. „Ich schreibe gerade eine Korrespondenz für Doktor Frank Haggard. Als Krebsforscher ist er sehr daran interessiert, wie sich die kosmische Strahlung auf uns während der Langzeitmission auswirkt.“
„Korrigiere mich, wenn ich mich irre, aber hat Häuptling Weißhaar nicht gesagt, dass wir durch seinen neuartigen Prallschirm sogar weniger Strahlungsdruck als auf der Erde haben?“, fragte Bully mit gerunzelter Stirn.
„Eben. Und auch das interessiert ihn. Wenn wir das beweisen können, dann könnte die Freedom als nächstes größeres Objekt mit einem Prallschirm ausgestattet werden. Danach würde man die Mondstädte mit Prallschirmen ausrüsten. Wir bräuchten sie nicht mehr unterirdisch zu errichten. Ja, wir könnten sogar einen kleineren Mondkrater mit einem Prallschirm umschließen und ihn mit Atemluft befüllen! Das wäre die Vorstufe zu einer Kultivierung des Mondes und…“
„Junge, so wie du gerade redest könnte man meinen, du hast in Perrys Romansammlung gekramt. Den Mond kultivieren. Demnächst redest du noch von künstlicher Gravitation.“
„Tut mir Leid, aber Physik ist dein Fachgebiet. Wann bastelst du uns denn mal so einen niedlichen kleinen Gravitationsgenerator, Bully?“
„Gleich nach dem Mittag, sobald ich die Kursdaten überprüft habe und sobald die neuesten Aufnahmen an NetSoft versandt wurden. Hallo? Träumst du gerade mit offenen Augen? Gravitation, mein Freund, ist nicht so leicht herzustellen wie Antimaterie. Da gehört schon mehr dazu als ein Olav Peterson mit zwei genialen Ideen.“
„Drei. Er hat das Strahltriebwerk, die Antimateriebatterie und den Prallschirm entwickelt“, kommentierte Manoli trocken.“
„Das Strahltriebwerk fand ich jetzt nicht so genial. Immerhin ist es nur eine Extrapolation der Antriebe, welche die NASA bereits um die Jahrtausendwende für ihre Sonden gebaut hat.“
Manoli verzog sein Gesicht, als hätte er Schmerzen. „Wir bewegen uns zwanzig Mal so schnell wie diese Sonden. Wenn das Extrapolation ist, dann wird die zweite Generation dieser Triebwerke in der Lage sein, uns auf Lichtgeschwindigkeit zu bringen.“
„Die Botschaft ist angekommen. Heute Nachmittag bastle ich uns einen Gravitationsgenerator“, brummte Bully. „Mir spukt ohnehin schon lange diese Idee mit einem Mikroteilchenbeschleuniger im Kopf rum. Dazu vektorierte Projektion, und du könntest sogar etwas so kleines wie einen Menschen mit eigener Gravitation ausstatten.“
„Da habe ich ja was angerichtet. Frei fliegende Menschen. Bully, vielen Dank für deinen Besuch und bastel schön an deinem Flugapparat, aber ich habe hier zu arbeiten, ja? Nimm dir ein Eis, bevor du rausgehst.“
Reginald Bull ließ bei dieser Abfuhr einen Fluch vom Stapel, der das Potential hatte, als erster echter Raumfahrerfluch in die Geschichtsbücher einzugehen, nutzte jedoch die Gelegenheit und nahm sich ein Eis aus Eric Manolis eigenem Vorrat.

Vor der Krankenstation stieß er mit Agent King zusammen. Die Geheimdienstoffizierin versuchte auszuweichen, aber es bedurfte einer routinierten Handbewegung des erfahrenen Raumfahrers, um King Halt am Führunsband zu geben. Prompt hörte sie auf, um alle drei Achsen zu rotieren. „Danke, Sir“, ächzte sie.
„Das kommt alles mit ein wenig mehr Übung“, versicherte Bully in einem Anflug von väterlicher Besorgnis. „Dies ist leider nicht die Freedom, aber Schwerelosigkeit hat nicht nur Nachteile.“
„Ich werde mich nie dran gewöhnen, nicht soviel Kraft zu benutzen“, murmelte King ein wenig betreten. Immerhin hatte sie Raumerfahrung, wenngleich hauptsächlich im Schwerkraftbereich des FreedomS. „Einmal mit dem kleinen Finger zu heftig abgestoßen, schon drehe ich mich wie ein Kreisel. Der Weltraum ist wirklich kein Platz für Choleriker wie uns beide. Er ist wohl eher geschaffen für Pragmatiker wie Rhodan und kalte Fische wie Freyt und Nyssen.“
„Choleriker? Kalte Fische?“ Bully zog beide Augenbrauen hoch und die Stirn in krause Falten. „Bei Rod mag das ja zustimmen, aber Michael ist einfach nur diszipliniert.“
„Mir scheint, ich habe mal wieder laut gedacht. Entschuldigen Sie, Sir“, wandte King zaghaft ein. „Sie nehmen mir doch den Choleriker nicht übel?“
„Wieso? Sie haben ja recht. Manche Menschen behaupten ja, mein polteriges Auftreten hätte was von einem Choleriker. Ich bin eben ein Mann der Tat, und nicht der Planung. Aber es freut mich, dass Sie genügend Selbsterkenntnis aufbringen, um sich selbst als Choleriker zu erkennen.“
King lachte freudlos. „Nicht gerade die beste Eigenschaft für einen von Mercants Bluthunden, oder?“
„Wer sich selbst kennt, macht weniger Fehler“, wandte Bully ein. „Und Sie scheinen sich recht gut zu kennen. Den Choleriker haben Sie schon gut erkannt.“
„Es ist nicht wirklich cholerisch. Es ist nur so, dass ich viel zu schnell auf hundertachtzig bin, wenn ich sehe, dass irgendetwas nicht so läuft wie es laufen soll. Zum Beispiel diese irrsinnige Anklage, die von der Asiatischen Föderation gegen Sie und Major Rhodan eingebracht wurde, bringt mein Blut zum kochen. Geht es noch dümmer? Geht es noch offensichtlicher? Und dann gibt es auch noch Menschen, die bereit sind, so etwas zu glauben.“ Die Agentin blinzelte ein paarmal. „Entschuldigen Sie, Sir. Sie müssen ja denken, ich versuche Sie mit einem Psychoschauspiel einzulullen.“
„Haben Sie denn Grund dafür?“, konterte Bull.
„Nicht bei Ihnen.“
„Bei wem dann?“
King schwieg.
„Ach, kommen Sie, Eryn. Jetzt sind wir schon so weit gekommen, jetzt brauchen Sie die Kirche auch nicht mehr im Dorf lassen. Auf wen haben Sie es abgesehen?“
Die beiden tauschten einen langen Blick aus. „Agatha Nyssen“, brach es aus ihr hervor.
„Rod? Himmel, warum ausgerechnet Rod?“
„Kommt Ihnen das nicht merkwürdig vor? Sie ist fünfzehn Jahre älter als Freyt und Rhodan, war bereits einmal Major der Air Force und wurde zum First Lieutenant degradiert. Auf diesem Rang verharrt sie seit über zehn Dienstjahren. Und urplötzlich wird sie der Stardust zugeteilt? Sie müssen zugeben, jedem guten Spionageabwehroffizier würden da die Finger jucken.“
Bully brummte unwillig. „Gut, gut. Ich an Ihrer Stelle würde da auch misstrauisch werden. Aber ich an Ihrer Stelle hätte auch besser recherchiert. Denn wenn Sie das getan hätten, dann hätten Sie gewusst, dass Major Nyssen im Taiwan-Krieg eingesetzt wurde. Nach dem Krieg hat sie die Air Force verlassen, aus Protest gegen den Krieg, wohlgemerkt, und ging als ziviler Mitarbeiter zur neu gegründeten Space Force. Später hat sie sich für die Stardust-Mission freiwillig als Ingenieurin und Waffenoffizier gemeldet, aber da kein Planposten für einen Major mehr verfügbar war, und der Rang des Waffenoffiziers First Lieutenant lautet, hat Agatha der Degradierung zugestimmt. Sie ist halt kein Soldat mehr, sondern hauptsächlich ein Fachidiot wie Manoli oder Flipper. Das ist schon das ganze Lied.“
King kniff beide Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. „Und das glauben Sie wirklich, Captain Bull?“
„Ein kluger Mann hat mal gesagt, wenn man verschiedene Möglichkeiten zur Wahl hat, dann ist die wahrscheinlichste mit Sicherheit die richtige.“
„Occams Skalpell.“
„Richtig. Und jetzt beantworten Sie Ihre Frage selbst.“
„Verstehe.“ King kratzte sich an der Schläfe, was beinahe dazu geführt hätte, dass sie wieder zu rotieren begann. „Ich habe noch eine andere Frage.“
„Nur zu, Eryn.“
„Ist das ein Stangeneis in Ihrer Hand?“
„Das haben Sie gut erkannt.“
„Wo haben Sie das her, wenn ich fragen darf?“
„Aus Doktor Manolis Krankenstation. Sein Kühlschrank ist vollgestopft mit solchen Sachen. Er hat nämlich ständig einen Japp auf Süßes, der Gute.“
„Ob ich auch eins kriege?“
Die beiden Raumfahrer sahen sich an und begannen zu lachen.
***
„Autsch!“, klang es durch das Cockpit. Und wieder: „Autsch!“
„Hörst du es? Unsere tapfere Geheimdienstoffizierin kommt“, meinte Bully mit einem Schmunzeln. „Anscheinend hat sie den Dreh immer noch nicht raus, sich mit möglichst wenig Einsatz in der Schwerelosigkeit zu bewegen. Besonders nicht, wenn sie es eilig hat.“
„Wir haben alle mal so angefangen, Bully“, murmelte Rhodan.
„Schon, aber bei Anfängern ist es immer so lustig.“
„Bull, Sie sind unverbesserlich. Und wären Sie nicht so ein Pfundskerl, hätte ich bereits meine Stiefelspitze in Ihren fetten Hintern getrieben“, warf Lieutenant Nyssen ein.
„Nanu? Das muss ich dann wohl unter Komplimente ablegen, oder?“
„Eventuell.“
Eryn King kam herein geschwebt und fing sich einigermaßen elegant an einem der Sitze ab. „Komme ich zu spät?“
„Nein, Sie kommen gerade rechtzeitig für den medienwirksamen Live-Report.“ Rhodan wandte sich Conrad Deringhouse zu. „Tut mir leid für Sie, Conrad, aber hier geht es um fressen und gefressen werden. Sie sind nächstes Mal mit dabei.“
Der junge Lieutenant der Space Force grinste. „Wusste ich es doch, dass ein Haken dabei war, als ich an dieser Kamera ausgebildet wurde.“ Mit der Linken hob er das Spezialgerät vors Auge. „Okay, sind alle bereit? Lieutenant Klein? Doktor Manoli? Lieutenant Nyssen? Lieutenant Flipper? Captain Freyt? Captain Bull? Major Rhodan?“
Die anderen nickten.
„Ich beginne die Aufnahme auf drei. Eins… Zwei… Drei!“

„Guten Tag meine Damen und Herren in der Freien Welt. Mein Name ist Perry Rhodan. Ich bin Major der U.S. Space Force und derzeit Kommandeur der Stardust, unserem modernsten Raumschiff, das mit Hilfe der Entwicklungsabteilung unseres patriotischen Großkonzerns NetSoft auf den Weg gebracht wurde. Wie einige von ihnen vielleicht wissen, befindet sich die achtköpfige Crew an Bord der Stardust auf dem Weg zum Mars.
Was soll der Unsinn?, mögen sich jetzt manche fragen, wo der Asiatische Pakt sein Raumschiff doch schon vor einer Woche losgeschickt hat.
Darauf will ich ihnen jetzt die Antwort präsentieren. Wir sind seit zwei Tagen unterwegs zum Mars. Und in wenigen Augenblicken sind wir dabei, das asiatische Raumschiff MINZHUDANGYUÁN, das bedeutet Mitglied der Partei, zu überholen. Captain Bull?“
Reginald Bull schob sich leicht nach vorne und winkte der Kamera näher zu kommen. „Ich bin Reginald Bull, Captain der Space Force und Co-Pilot von Major Rhodan. Uff, verdammt aufregend, zu allen freien Nationen zu sprechen.“
Die anderen Astronauten lachten leise bei Bulls Scherz.
„Wie dem auch sei, ich möchte ihnen allen etwas zeigen.“ Er deutete auf ein Display neben sich. „Hier sehen sie die Position der Stardust. Und hier sehen sie die Position der MINZHUD… MINZHUDAN… Des Raumschiffs der Asiatischen Föderation. Diese imaginäre Linie hat unser Bordrechner eingefügt. Sie bezeichnet den Vorsprung, den die Föderationsler auf der Reise zum Mars haben. Die Entfernungsangaben sind dabei authentisch. Und, meine Damen und Herren in der Freien Welt, in nicht einmal acht Sekunden passieren wir diese Linie und lassen die Asiaten weit hinter uns. Sechs. Vier. Zwei. Null.“ Bull sah mit einem gewissen Stolz in die Runde. „Major Rhodan, ich melde Ihnen hiermit, dass wir das asiatische Raumschiff MINZHUDANGYUÁN hinter uns gelassen haben.“
„Danke für die Information, Captain Bull. Captain Freyt?“
Der große hagere Mann schob sich nun vor die Kamera. „Meine Damen und Herren, ich bin Captain Michael Freyt von der U.S. Space Force. Ich bin Commander der Second Crew. Genauer gesagt obliegt mir das Kommando über das Team bestehend aus mir, Lieutenant Nyssen, Lieutenant Deringhouse, der gerade die Ehre hat uns zu filmen und Agent King. Wir werden die Stardust steuern, wenn Major Rhodan mit der First Crew, bestehend aus Captain Bull, Lieutenant  Flipper und Doktor Manoli mit dem Lander auf dem Mars niedergehen wird. Zu meinen Fachgebieten zählen Navigation und Astronomie, deshalb erlauben sie mir, einiges zu erklären, was zweifellos Fragen aufwirft.
Die erste Frage, die mir in den Sinn kommt, wenn ich an einen Laien der Raumfahrttechnik denke, ist: Warum kann man die MINZHUDANGYUÁN nicht aus den großen Sichtfenstern der Stardust sehen, wenn sie gerade passiert wurde?
Das ist eine sehr gute Frage, und ich will versuchen, sie möglichst einfach zu erklären. Fakt ist, dass sich der Mars auf seiner Bahn bewegt. Dies hier ist nicht wie ein Flug zwischen London und New York, beide Städte sind unverrückbar, und nur das Wetter hat die Möglichkeit, die Flugbedingungen zu beeinflussen. Das gilt natürlich nur für Atmosphäreflüge, nicht für unsere hochmodernen Stratoklipper, die diese Strecke in unter einer Stunde schaffen.
Auch für Erde und Mond gelten andere Regeln, da sie zusammen ein eigenes System bilden.
Erde und Mars jedoch umlaufen die Sonne. Die Erde tut dies in dreihundertfünfundsechzig Tagen, der Mars braucht für seine Bahn um die Sonne über sechshundertsechsundachtzig Tage. Er umfliegt unser Zentralgestirn, von der Erde aus gesehen, stets hinter uns und hat eine größere Strecke zu bewältigen. Oder anders ausgedrückt, wir holen ihn immer wieder ein.
Es macht also Sinn, eine Mars-Mission zu beginnen, wenn sich Erde und Mars sehr nahe kommen. Dies haben die Wissenschaftler der Asiatischen Föderation natürlich gemacht. Mit ihrem technisch hervorragenden Strahltriebwerk brauchen sie, wenn Erde und Mars in einer guten Entfernung stehen, einen knappen Monat. Deshalb fliegt die MINZHUDANGYUÁN auch einen Punkt der Marsbahn an, an dem der rote Planet in drei Wochen sein wird.
Ähnliches gilt für uns. Da unser Strahltriebwerk aber diese Strecke in einer guten Woche bewältigt, fliegen wir einen Punkt an, an dem der Mars in fünf Tagen sein wird. Deshalb können wir das Raumschiff des Asiatischen Pakts nicht sehen, sondern nur mit dem Radar und den Teleskopen erfassen. Dies gilt umso mehr, je mehr wir die MINZHUDANGYUÁN hinter uns lassen. Um es auf den Punkt zu bringen: Wir sind schneller, fliegen eine kürzere Strecke als die Asiaten und kommen als erste auf dem Mars an.“
„Danke für diese Erläuterungen, Captain Freyt.“ Rhodan dankte dem Mann mit einem Schulterklopfen, das den erfahrenen Raumfahrer beinahe durch das Cockpit getrieben hätte, wenn der nicht geistesgegenwärtig nach einer Lehne gegriffen hätte.
Rhodan sah lächelnd in die Kamera. „Ich kann ihnen also versichern, meine Damen und Herren in den Ländern der freien Welt, dass die erste Fahne, die ein Mensch auf dem Mars aufpflanzen wird, nicht jene des Asiatischen Paktes sein wird, sondern jene der United States of America, die unseres Hauptsponsors NetSoft und natürlich die Flagge der United Nations, in deren Namen wir den Mars für die gesamte Menschheit in Besitz nehmen. Bitte begleiten sie mich und meine Crew ab jetzt jeden Tag bei unserer aufregenden Mission zum roten Planeten, bei dem neuen, entscheidenden Schritt zu Erforschung des Weltalls. Major Perry Rhodan von Bord der Stardust, Ende.“
„Und wir sind off. Phantastisch. Ohne Probe haben alle brav ihren Text aufgesagt. Aber ich denke, Sie werden noch mächtig Ärger dafür kriegen, dass Sie gesagt haben, den Mars für die gesamte Menschheit in Besitz zu nehmen. Unserem Sponsor wird das nicht gefallen“, meinte Deringhouse mit gerunzelter Stirn.
„Ich weiß. Aber erstens macht es sich im Fernsehen besser“, antwortete Rhodan ernst und stieß sich in Richtung Ausgang ab, „und zweitens sollte es eigentlich so sein. Eine Menschheit, eine Expansion in den Weltraum. Daran glaube ich.“

Nachdem Rhodan im Gang verschwunden war, und die anderen Crewmitglieder nach und nach folgten, meinte ein amüsierter Reginald Bull zu Clark Flipper: „Ich glaube, wir sollten das Projekt Politik fallen lassen, Flip. Perry ist einfach zu ehrlich für diesen Job.“
„So? Meine Stimme hätte er. Ein Kerl wie er wird unter diesen Wölfen entweder einen schnellen Tod sterben, oder…“
„Oder?“, fragte Bully interessiert.
„Oder er wird die ganze Bude so richtig aufmischen.“
Flipper schwebte zu einem der Terminals. „Wir haben erste Reaktionen von der Erde. Scheint so, als wäre die Einschaltquote mitten in der Sendung mächtig gestiegen. Aus manchen Städten werden spontane Feiern berichtet. Klingt sogar glaubwürdig und nicht von NetSoft inszeniert. Entschuldigen Sie, Agent King.“
„Ist in Ordnung. Ich bin der Wachhund von Mercant, nicht von NetSoft.“
„Ach, und meine Frau hat mir neue Bilder geschickt! Mein Gott, sie kann jetzt laufen! Ist das zu glauben? Bully, sie kann laufen! Willst du die Bilder von meinem Mädchen sehen?“
Mit säuerlicher Miene schwebte der untersetzte Mann näher. „Ich kann dir hier an Bord sowieso nicht entkommen. Also her mit deinen Babyfotos.“

4.
„Also, Gentlemen!“, rief Perry Rhodan und hob den rechten Daumen, damit Deringhouse, angeschnallt wie alle anderen Crewmitglieder, von hinten wenigstens etwas filmen konnte.
„Nur noch wenige Sekunden, bis wir in den Orbit des Mars einschwenken, über zwei Wochen, bevor der Asiatische Pakt hier eintrifft. Na wenn das kein Grund zum feiern ist.“
„Alle Werte sind grün, Major Rhodan“, meldete Bully von seinem Platz aus.
Der untersetzte Captain erfreute sich großer Beliebtheit, seit die Stardust ihre „Überholungssendung“ ausgestrahlt und die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit von den Asiaten auf sich gezogen hatte. Diverse Abstimmungen hatten ihn zum zweitbeliebtesten Offizier der Mission gewählt, wenngleich der jungenhafte, sommersprossige Deringhouse bei den sechzehn bis sechsundvierzigjährigen Frauen unschlagbar vorne lag.
Der insgesamt beliebteste Mann war trotz seiner etwas kühlen, aber überlegten Art Perry Rhodan. Ihn selbst hatte das mehr überrascht als seine Kameraden. Und es wunderte wirklich niemanden, dass das alte Rauhbein Agatha Nyssen das weit abgeschlagene Schlusslicht spielte. Überdies wurden die Mitglieder der Lander-Mission unverhältnismäßig bevorzugt.
Was wiederum verständlich war. Sie erlebten die Action. Dass eine gute geführte Stardust im Orbit ebenso wichtig war, dass sie völlig andere Daten sammelte, die vielleicht wertvoller als jene des Landers sein konnten, war irrelevant. Rhodan landete auf dem Mars, und deshalb war Rhodan die Nummer eins.
„Wir passieren Phobos und Deimos“, sagte Agent King und deutete nach draußen. Immerhin war sie nicht nur IIC-Agentin, sondern eben doch Raumfahrerin, und ein lächerliches Ortungsdisplay zu bedienen stellte sie nicht vor Probleme.
„Gut erkannt, Lieutenant King“, sagte Bully in einem lobenden Tonfall. „Hey, Eric, schmeißt du ne Runde Eis, wenn wir es sicher in den Orbit schnappen?“
„Ich verlange einen butterweichen Schwenk auf den Orbit, wenn ich schon meine kostbaren Privatvorräte opfern muss“, rief der Arzt über das Gelächter der anderen Offiziere hinweg.
„Einverstanden. Einmal butterweich einparken, kommt sofort!“
„Sir, ich kriege Messdaten von der Oberfläche rein, die mir…“, begann Nyssen, wurde aber sofort unterbrochen.
Clark Flipper sah von seinem Arbeitsplatz auf und sagte: „Wir befinden uns gleich direkt über dem berühmten Gesicht vom Mars. Schade nur, dass es eine zufällige Konstellation aus Schatten, Licht und ein paar Felsnadeln ist. Wäre ja schön, da unten ein paar Marsmenschen zu begegnen, aber diese Hoffnung müssen wir wohl zurückschrauben.“
„Ist vielleicht besser so“, warf nun Rhodan ein. „Ich stelle mir die Kommunikation mit kleinen grünen Männchen äußerst kompliziert vor. Und dafür ist die Menschheit sicher nicht bereit.“
„Ts, ts, ts, wie rückständig, Major Rhodan“, warf Bully ein und hob tadelnd den rechten Zeigefinger. „Selbstverständlich sind es keine grünen, sondern graue Männchen. Immerhin befinden wir uns im einundzwanzigsten Jahrhundert, nicht mehr im zwanzigsten.“
„Ich bin ja schon zufrieden, wenn wir da unten nicht auf kleine gelbe Männchen treffen, die uns ihre Fahne des Asiatischen Pakts unter die Nasen halten“, brummte Manoli von seinem Platz aus. Der derbe Witz erntete ein paar Lacher.

„Und wir schwenken in den Orbit ein.“ Bully drehte sich auf seinem Platz so weit herum, bis er den Arzt ansehen konnte. „Bitte bleiben sie sitzen, bis das Anschnall-Zeichen erloschen ist. Danach dürfen sie sich im ersten bemannten Raumschiff der Menschheit, welches den Mars erreicht hat, frei bewegen. Ärzte, die auf den Namen Eric Manoli hören, werden gebeten, acht Stangeneis aus ihrem persönlichen Vorrat zu holen, um sie mit der erfolgreichen Crew zu teilen.“
„Sir, ich habe da wieder diese Ortung…“, begann Nyssen erneut.
„Wie ich schon sagte, das Gesicht vom Mars. Da fahren wir doch vorbei, wenn wir unten sind, oder, Perry?“, warf Flipper ein.
„Aber ja. Sofern wir an dieser Attraktion einen Parkplatz finden.“
Bully lachte dazu aus voller Kehle. Allerdings verstummte er auch relativ schnell wieder. „Perry, ich habe hier erhöhte Strahlungswerte. Der Prallschirm ist doch noch aktiv, oder?“
„Prallschirm ist aktiv“, meldete Freyt. „Aber die Belastung nimmt zu. Sechzig Prozent. Achtzig. Hundert. Hundertzwanzig. Hundertvierzig. Verdammt, was passiert hier?“
„Alle bleiben angeschnallt!“, befahl Rhodan barsch.
Die Schiffszelle begann zu schwingen. Die Mannschaft wurde dabei erheblich durchgeschüttelt. Mehrere der bordeigenen Peripherierechner schalteten sich vorsichtshalber ab.
„Das war es. Meine Verbindung zur Erde ist tot“, meldete Deringhouse.
„Verdammt, Conrad! Packen Sie die Scheiß Kamera sicher weg und halten Sie sich fest!“, blaffte Rhodan von vorne.
„Ja, Sir!“
Ein Überladungsblitz verließ eine der Konsolen und schlug in eine andere ein. Die Luft roch plötzlich nach Ozon, und die Beleuchtung flackerte. Es gab irgendwo im Schiff einen lauten Knall, dann erlosch das Licht.
Langsam hörte das Zittern auf. Es wurde still, unwirklich still.
„Belastung des Prallschirms fällt“, meldete Freyt erleichtert. „Hundertzwanzig. Hundert. Achtzig. Sechzig. Wir sind wieder bei vierzig Prozent Normalleistung.“
„Schalten Sie den Prallschirm ab, Michael.“
„Was, bitte, Sir?“
„Schalten Sie den Prallschirm ab! Solange ich nichts anderes weiß, stufe ich den Anstieg der Belastung als physischen Angriff ein.“
„Verzeihung, Sir, aber wäre es dann nicht besser, den Schirm aktiviert zu lassen? Ich meine, ohne Schirm sind wir wie eine Ente auf dem Schießstand.“
„Es ist ein klein wenig gewagt, das gebe ich zu“, erwiderte Rhodan. „Aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass eine Stardust mit aktiviertem Prallschirm vielleicht erneut angegriffen werden würde. Eine Stardust ohne könnte aber wie ein Wrack wirken. Vergessen Sie nicht, wir haben eine starke Außenhülle. Emissionen gibt es nur am Triebwerk, beim Funk und beim Prallschirm.“
„Den Funk können wir vergessen, Sir. Da ist was durchgeschmort.“
„Nun schalten Sie schon den Schirm ab! Wir sind irgendwann wieder über dem Mars-Gesicht, Michael!“
„Jawohl, Sir.“ Mit zittrigen Fingern führte Freyt die entsprechenden Schaltungen aus. „Schirm ist aus.“
„Wir bleiben angeschnallt. Versucht das Ausmaß der Schäden aufzuklären. Vor allem müssen die Peripherie-Rechner wieder hochgefahren werden. Und sobald wir den nächsten Flug über das Gesicht vom Mars ohne Angriff überstanden haben, machen wir uns ans Aufräumen.“
„Sir, wenn Sie von einem Angriff ausgehen, warum verschwinden wir nicht einfach von hier und kommen mit der Stardust II und ein paar Nuklearsprengköpfen zurück?“, warf Deringhouse ein. „Soweit ich weiß wurde extra eine neue Art von Sprengkopf entwickelt, um sie auf der Stardust-Klasse verwenden zu können.“
Rhodan reckte sich soweit zurück, bis er den jungen Offizier ansehen konnte. „Weil ich da immer noch ein paar Fahnen habe, die ich in den Marsboden rammen will. Wir sind noch nicht zerstört, die Mission ist noch nicht vorbei!“
„Jawohl, Sir!“, erwiderten die Offiziere.

Vierzig Minuten später, eine Zeitspanne, in der die anderen Rechner wieder hatten hochgefahren werden können, war es soweit. Die Stardust überflog das gleiche Gebiet wie bei ihrem Orbitaleintritt. Die Hände der Crew, bis vor wenigen Sekunden damit beschäftigt, das Ausmaß der Schäden in Erfahrung zu bringen, krampften sich um die Sessellehnen.
„Keine aktive Ortung“, schärfte Rhodan Freyt noch einmal ein. „Aber schalten Sie die Kameras auf maximale Vergrößerung.“
„Ja, Sir.“
Der kritische Moment ging vorbei. Ihm folgten zwei Minuten Ruhe. Dann vier. Schließlich verließen sie den Bereich der Belastung ihres Schirms.
Erleichtert atmete Rhodan aus. Er schnallte sich ab und wandte sich seiner Crew zu. „Also, meine Herren. Die Aufgaben sind klar. Beim nächsten Überflug schleusen Bully, Manoli und Flip mit mir auf der Planetenfähre aus. Wir gehen etwas abseits vom Marsgesicht nieder und sehen uns die Region genau an. Wenn die Belastung kein Zufall oder natürliches Phänomen war, will ich wissen, wer es fabriziert hat. Und vor allem wie und warum.
Michael, wir werden mindestens vier Tage da unten verbringen. In dieser Zeit tun Sie nichts, was irgendjemand verraten könnte, dass die Stardust mehr ist als ein Wrack im Orbit des Mars. In der Zwischenzeit schießen Sie so viele Aufnahmen wie möglich und reparieren die Funkstation. Außerdem halten Sie sich jederzeit bereit, auf ein Signal von mir selbstständig zur Erde aufzubrechen.“
„Perry, du willst mir doch nicht etwa sagen, dass…“
„Michael, wenn ich den Befehl gebe, uns zurückzulassen, dann wirst du das tun! Dazu sind Befehle da, okay?“
„Trotzdem, der Gedanke schmeckt mir nicht.“
„Das ist der Vorteil des höheren Rangs. Man kann auch mal was anordnen was dir nicht schmeckt, du aber trotzdem tun musst. Aber sei unbesorgt. Wenn ich den Fluchtbefehl gebe, dann nur, wenn wir so gut wie tot oder die Stardust akut gefährdet ist.“
„Davon gefällt es mir immer noch nicht besser“, murrte der hagere Raumfahrer.
„Sie haben Ihre Befehle“, sagte Rhodan ernst.
„Ja, Sir.“
„Bully, Flip, Eric, wir gehen die Planetenfähre klar machen.“ Rhodan nickte in die Runde, dann stieß er sich ab und verließ das Cockpit. Die drei Mitglieder der Landungscrew folgten ihm dichtauf.
„Junge, Junge. Da geht er hin und schreibt Geschichte“, murmelte Conrad Deringhouse.
„Es wird nie Geschichte werden, wenn nicht irgendwann jemand davon erfährt“, mahnte Freyt. „Also konzentrieren Sie sich als Erstes darauf, den Funk mit der Erde wieder herzustellen, Lieutenant Deringhouse.“
„Habe verstanden, Sir.“ Conrad schnallte sich ab, stieß sich aus seinem Sessel ab und schwebte, nachdem er dreimal um die eigene Achse rotiert war, zum Schott hinaus.
„Junge, Junge. Der kann sich aber in Schwerelosigkeit bewegen. Wie viele Stunden hat Lieutenant Deringhouse schon im All verbracht, Captain?“
Freyt sah King amüsiert an. „Conrad ist quasi im All aufgewachsen, wenn Sie so wollen. Er ist der geborene Raumfahrer.“
„Das scheint mir auch so“, murmelte die Geheimdienstoffizierin. Es klang ein wenig neidisch.
***
„Drei Minuten bis zum Gesicht des Mars“, klang Freyts Stimme im Lander auf. „Du musst jetzt raus, sonst sehen sie uns euch über die Planetenkrümmung ausschleusen.“
„Roger. Lass uns los, alter Junge.“
„Viel Glück, Perry, viel Glück, Jungs.“
Ein rotes Warnsignal flammte auf, und kurz darauf zündeten Manöverdüsen. Übergangslos wurden die vier Besatzungsmitglieder des Landers in ihre Sitze gedrückt, als die Planetenfähre mit der Nasenspitze zuerst tiefer hinab tauchte. Die Marsatmosphäre war nicht so dicht wie jene der Erde, dennoch mussten sie nur tief genug kommen, um die Hitzeschilde zu benötigen. Der Andruck der Landung lastete schwer auf ihnen.
Reginald Bull sah zur Seite und sagte mit schwerer Stimme: „Falls sie uns doch sehen, wer immer diese gelben Männchen sind, Perry, halten sie uns vielleicht gerade für ein Wrackteil.“
„Das wäre gut. Es würde die Stardust zusätzlich schützen, wenn sie glauben, das Schiff fällt sowieso auseinander.“
„Manchmal bist du ein ganz schön unsympathische Pragmatiker“, murmelte Bull. „Aber nicht im Moment, übrigens.“
„Danke für die Einschränkung.“

Konzentriert verfolgte Rhodan die eingehenden Daten. In diesem Teil der Atmosphäre konnte er sich nur auf die Hitzeschilde verlassen, die für den mehrfachen Gebrauch in der Atmosphäre der Erde konzipiert waren und einen Sprung durch Mars-Atmosphäre locker schaffen sollten; sobald sie aber tiefer kamen, würde er den Kurs und die Geschwindigkeit mit den peripher vorhandenen aerodynamischen Fähigkeiten und den Steuerdüsen beeinflussen können. Er plante einen langen, weiten Gleitflug, der sie so nahe wie möglich und so tief wie nötig bis an jene Gebirgsformation heran brachte, die als Gesicht vom Mars berühmt geworden war.
„Schau an, schau an. Die Stardust gibt es immer noch“, meldete Bully. Es klang allerdings mehr erleichtert als spöttisch, fand Rhodan.
„Uns wird es auch noch eine Zeitlang geben, sobald wir hier durch sind.“
Das Tosen der Reibungshitze hörte übergangslos auf. Stattdessen schien ein fröhlicher Marstag zu ihnen herein. Der grüngelbe Himmel leuchtete über ihnen, und der ewig rote Sand des Mars bot ihnen mehr als tausend Gelegenheiten, um den Planetenlander sicher runter kommen zu lassen.
Fünfzig Kilometer vom Gesicht entfernt beendete Rhodan den Anflug. „Wir gehen hier runter. Alle Mann festhalten.“
Der Planetenlander der Stardust setzte auf einer natürlichen Piste auf und rollte dort aus. Achtundvierzig Kilometer vom Gesicht des Mars entfernt kam er zur Ruhe.
Nach einem erleichterten Aufatmen schnallte sich die Crew wieder ab. „Bully, wir nehmen den Rover und erkunden erst einmal die nähere Umgebung, während Flip und Eric die Zelte errichten. Fragen?“
Bully brummte leise.
„Tut mir Leid, ich habe dich nicht verstanden, Dicker.“
„Ich sagte, Willkommen auf dem Mars! Oder ist dir das schon entgangen? Wollten wir nicht ein paar Fahnen aufstecken und fremde Planeten in Besitz nehmen, oder so?“
„Eines nach dem anderen, Bully. Zuerst sollten wir mal klären, ob nicht jemand ältere Rechte daran hat, den Mars in Besitz zu nehmen.“

5.
Für den Auftritt auf dem Mars zogen die Mitglieder der Expedition spezielle Anzüge an, die extra für diesen Zweck entwickelt worden waren. Der Mars verfügte über eine eigene, wenngleich dünne Atmosphäre, was es unnötig machte, mit Unterdruck in den Anzügen zu arbeiten, um zu verhindern, dass sie sich durch den Innendruck wie Ballons aufblähten. Aber die Durchschnittstemperatur war noch weit unter lausig kalt, sodass eine spezielle Isolierung Verwendung fand, die kaum ein Wärmequant an die Umgebung abgab. Diese Isolierung war bei Tests in der Antarktis so erfolgreich gewesen, dass man schließlich eine Möglichkeit hatte integrieren müssen, um zuviel Wärme wieder los zu werden. Gerüchten zufolge hatte das Universalgenie Peterson auch hieran mitgewirkt.
Während Manoli an den Computern werkelte und Flipper damit begann, kleine Zelte für Ausrüstung und Forschung aufzustellen, deren Schleusen zu installieren und Atemluft einzulassen, holten sich Rhodan und Bull den Mars-Buggie aus dem Stauraum der Landefähre. Das Gefährt mit den übergroßen Vollgummireifen sollte dazu in der Lage sein, Steigungen von bis zu zwölf Grad zu erklimmen. Mit einer Akkuladung schaffte es angeblich zehntausend Kilometer.
„Warum hat Häuptling Weißhaar eigentlich hier keine seiner Antimateriebatterien eingebaut?“, ächzte Bully, während er den Aufbau hoch klappte und die Isolierung schloss.
„Ich glaube er hat es vorgeschlagen, aber die Space Force hat es abgelehnt, weil es ihnen zu sehr nach Science Fiction klang. Und dann haben sie noch hinzu gefügt, dass normale Akkus bei der geringeren Schwerkraft des Mars auch viel länger reichen. Sie wollten mehr etwas Bodenständiges.“
„Ach, genauso Bodenständig wie die Politiker im Bürgerkrieg, die auf das Baker Rifle bestanden hatten, obwohl sie Karabiner hätten haben können, weil sie die Munitionsverschwendung fürchteten?“
Rhodan grinste den Freund durch seine Helmscheibe an. „Etwas in der Art, Dicker.“
„Nenne mich nicht Dicker. Ich habe nur schwere Knochen.“ Mit einem lauten Knacken rastete das letzte Gelenk ein. Der Buggy war fahrbereit.
Erleichtert atmete Reginald Bull aus. „Weißt du was mir gerade einfällt? Wir hätten sofort Kontakt mit der Erde aufnehmen müssen.“
„Wieso das denn?“
„Aus rein weltlichen Gründen. Wir hätten Onkel Homer anrufen sollen.“
„Wer ist denn Onkel Homer?“, fragte Clark Flipper interessiert.
„Onkel Homer ist unser Broker in London. Ein echtes Finanzgenie. Und er steht auf echte Helden. Als wir von der Mission zurück kamen, die fünf Lagrange-Punkte von Erde und Mond zu vermessen hat er uns angeboten, unsere Boni für uns anzulegen. Wir haben es bis heute nicht bereut. Aber ich hätte ihn zu gerne darüber informiert, dass er besser unsere NetSoft-Anteile verkauft. Denn deren Kurs dürfte gerade in den Keller rutschen. Dort wird er wohl auch bleiben, bis wir uns endlich wieder melden.“
„Nun gib nicht so an, Bully. Die paar hundert NetSoft-Aktien machen dein Paket schon nicht kleiner.“
„Verlust ist Verlust, hat mein alter Herr immer gesagt. Damit meinte er natürlich den Apfelkuchen, den ich von der Fensterbank gestohlen und gegessen habe. Und dann hat er mir mit…“
„Schon gut, schon gut, bitte keine Details aus deiner traumatisierten Kindheit“, warf Flipper ein.
„Was denn? Das hatte ich doch verdient. Und wenn ich so nachdenke, die meisten anderen Prügel auf den Hintern auch, die ich verabreicht bekommen habe. Oh Mann, ich habe viel Unsinn angestellt in meinem Leben.“
„Und was ist wegen der Prügel aus dir geworden? Du bist bei der Space Force gelandet“, scherzte Rhodan. „Das kann man nicht als positives Ende bewerten.“
„Zuerst war es die Air Force“, betonte Bully. „Und darüber war mein alter Herr weit mehr froh als über die Tatsache, dass ich im Taiwan-Konflikt fliegen musste.“
„Also, ich werde meine Tochter jedenfalls nie schlagen, das verspreche ich euch!“, warf Flipper wütend ein. „Das ist doch heutzutage gar nicht mehr modern.“
„Ich glaube, modern war ihm egal, nachdem herauskam, wer das unheimliche Tentakelmonster war, das eine Auszugswelle aus einem ganzen Wohnviertel meiner Heimatstadt verursacht hat. Junge, das hat was gegeben.“ Reginald Bull räusperte sich verlegen. „Aber er wäre zu Fuß bis nach Washington D.C. marschiert, um für meine Begnadigung zu bitten, wenn mich ein Gericht deshalb verurteilt hätte. Mein Dad ist ein guter Mann.“
„Interessante Geschichte, Bully. Hat sie auch eine Pointe? Ich meine, immerhin habt ihr euch eigentlich über Aktien unterhalten, oder? Himmel, der Risiko-Pilot Nummer zwei der Space Force fachsimpelt über Aktien. Was für ein Stilbruch. Was ist aus dem wortkargen amerikanischen Helden geworden, dessen Gesicht aus Stein gemeißelt scheint und der immer die richtigen Entscheidungen trifft?“
„Sehr witzig, Doc. Wenn du es auch mal mit Aktien probieren willst, gebe ich dir gerne die Nummer meines Brokers. Aber in nächster Zeit würde ich nicht in NetSoft investieren.“
Rhodan schwang sich auf den Beifahrer des Buggys. „Bully und ich drehen jetzt erstmal ne Runde. Wir bleiben solange es geht mit den Notfallfunkgeräten in Funkkontakt. Die Dinger einzupacken war eine grandiose Idee.“
„Wahrscheinlich kam die auch von Doktor Peterson“, warf Bull sarkastisch ein.
Flipper überging den kleinen Ausbruch des rothaarigen Risikopiloten.„Verstanden, Perry. Und wenn wir schon mal hier unten sind und die Gegend ungefährlich ist, wie sieht es mit einem Ausflug des Geologen zur Erhebung aus, in der das Gesicht vom Mars thront?“
„Wenn die Gegend ungefährlich ist, kannst du dir meinetwegen den Buggy schnappen und deine Bodenproben nehmen.“
„Das ist ein Wort.“
„Wartet nicht mit dem Essen auf uns“, rief Bull und trat aufs Gas. Die großen Vollgummiräder ließen den Marssand hinter dem Gefährt aufwirbeln. „Na, dann wollen wir doch mal sehen, was dieser Elektromotor so drauf hat!“
„Hau die Gänge nicht so rein, Bully!“
***
Rhodan aktivierte die Aufzeichnung seines Raumanzugs. Alle Batteriebetriebenen Geräte waren vom Elektromagnetischen Impuls – noch wollte er nicht Angriff dazu sagen – glücklicherweise nicht betroffen worden, und im Stillen dankte er den Ausrüstern der Mission, die sie von Computern weitestgehend unabhängig gemacht hatten.
„Major Rhodan, Expeditionsleiter. Wir befinden uns wie geplant in der Marsregion Cydonia Mensae, bekannt für seine Hochebenen, Einschlagskrater und vermuteten Orte fließenden Wassers. Die Gegend ist gespickt mit kleineren und größeren Erhebungen. Prominenteste Vertreter sind zweifellos die Formation Marsgesicht, die Ende des Zwanzigsten Jahrhunderts durch Zusammenspiel von Licht und Schatten die Illusion eines menschlichen Antlitz entstehen ließ, sowie die südlich davon gelegenen Kegelberge, die von den damaligen NASA-Wissenschaftlern den Namen Inkastadt erhalten haben. Eines der Ziele unserer Expedition ist es unter anderem, ein für allemal den Marsgesicht-Mythos zu beenden. Aber natürlich interessiert uns auch die geologische Seite des Phänomens sowohl des Tafelbergs mit dem Marsgesicht als auch der Pyramiden im Süden. First Lieutenant Flipper wird in einer zweiten Fahrt genaue Analysen vornehmen, Vermessungsapparaturen aufbauen und Proben nehmen. Wenn es zu einer zweiten Fahrt kommt, denn wie ich in einem früheren Bericht angemerkt habe, rechne ich mit einer feindlichen Präsenz auf dieser Welt. Ob diese nun aus grünen, aus grauen oder aus gelben Männchen besteht, versuche ich mit der ersten Erkundungsfahrt herauszufinden. Captain Bull und ich machen zuerst einen Abstecher nach Norden, schlagen von dort einen Haken und fahren direkt zum Marsgesicht. Wenn der Tafelberg uns auch keinen spektakulären Anblick bieten wird, so ist er doch Sichtschutz nach Westen und Süden,  und vielleicht bietet er uns die Aussichtsplattform die wir brauchen, um weiter in das Land hineinsehen zu können. Vielleicht entdecken wir aus unserer Perspektive Details, die einer Kamera aus dem Orbit entgehen. Wir… Ja, Bully?“
„Möchtest du auch unsere Koordinaten angeben, Perry?“
„Der Wagen legt sein eigenes Log an. Eine Innovation von…“
„Lass mich raten. Von Olav Peterson, den Halbgott der Wissenschaft.“
„Nein, es war meine Idee. Aber schön, dass du mich mit deinem Häuptling Weißhaar auf eine Stufe stellst.“
Rhodan räusperte sich und fuhr fort. „Anzeichen für fließendes Wasser waren bisher nicht zu finden. Bei einer Außentemperatur von minus sechs Grad auch eine etwas übertriebene Hoffnung, falls wir nicht gleich auf einen ganzen Fluss stoßen. Bericht Rhodan Ende.“
Bully sah zu seinem Freund und Kollegen herüber. „Ein Fluss, eh? Ich denke, das wäre eine wirklich übertriebene Hoffnung, weniger das fließende Wasser.“ Bully stieß Rhodan in die Seite. „Ich kriege Hoffnung für deinen ersten Wahlkampf. Du verstehst es zumindest, sachlich Informationen zu vermitteln.“
„Sei still und fahre zu, Wahlkampfmanager“, erwiderte der Major schmunzelnd.

Nach drei Stunden Fahrt hatten sie es geschafft und die Formation erreicht, die als das Marsgesicht weltberühmt geworden war.
Sie waren aus dem Buggy ausgestiegen und standen nun auf der Ostseite und sahen den Fels hoch. „Rauf klettern ist wohl nicht, Perry. Nicht einmal bei der verminderten Schwerkraft des Mars.“
„Das befürchte ich auch. Ich kann keinen einigermaßen verlässlichen Pfad erkennen.“
„Und wir haben keine Bergsteigerausrüstung. Wollen wir zurückfahren und ein paar Haken, Seile und zwei Hammer improvisieren?“
„Und die Erstbesteigung vornehmen? Lass uns drum herum fahren. Vielleicht bietet die Westseite eine Aufstiegsmöglichkeit.“
„Oder probieren wir unser Glück in der Inkastadt?“ Bull deutete in den Süden, wo sich gut sichtbar die Kegelpyramiden erhoben. „Vielleicht hat einer der Berge eine natürliche Rampe für eine Gipfelstürmung.“
„Auf jeden Fall sollten wir uns beeilen, mein lieber Bully, denn ich will zurück beim Lander sein, bevor es dunkel wird. Ich habe wenig Vertrauen in die Scheinwerfer des Buggys.“
„In Ordnung.“ Reginald Bull schwang sich wieder auf den Fahrersitz und Rhodan nahm auf dem Beifahrer Platz.
Erneut setzte sich das Elektromobil in Bewegung. Bei über drei Kilometern Seitenlänge der Steinformation wäre es eine überflüssige Kraftanstrengung gewesen, die Strecke zu Fuß auf sich zu nehmen.
Nach wenigen Minuten Fahrt hatten sie das Südende erreicht. Nun fehlten noch anderthalb Kilometer, die sie überwinden mussten, um den Westrand zu erreichen. Vielleicht gab es dort eine viel versprechende Aufstiegsmöglichkeit, die den Space Force-Offizieren einen besseren Blick gewähren würde.
„Weißt du, eines gibt mir zu denken. Wir haben das Marsgesicht gesehen, und dann stieg plötzlich die Schirmleistung an. Angenommen die Asiaten sitzen wirklich schon hier und haben uns als Abstauber vertreiben wollen, denkst du nicht, sie sitzen in gemütlichen, wohltemperierten Bunkern, die man weder aus dem Orbit, noch von einer Anhöhe aus erkennen kann?“
„Na, na, mal nicht so pessimistisch, Captain Bull. Wenn es da etwas gibt, dann werden wir es schon finden. Wenn nicht wir, das beste Team der Space Force, wer dann?“
„Ja, wenn nicht wir, wer…“ Übergangslos stieg Reginald Bull auf die Bremsen. Er und Rhodan wurden nach vorne geschleudert, als die Maschine die wilde Fahrt abbremste. Kurz darauf wurden sie von Marssand eingehüllt.
„Sag mal, was ist denn in dich gefahren, Dicker?“
„Du hattest Recht. Wenn es da etwas gibt, dann werden wir es finden.“ Reginald Bull streckte die Rechte aus und deutete nach Westen.
Rhodan folgte der Bewegung. „Ach du heilige…“
Es war nicht verwunderlich, dass selbst dem Sofortumschalter Perry Rhodan für ein paar Sekunden die Sprache weg blieb, denn vor ihnen erhob sich eine gigantische Kugel, die auf nicht minder gigantischen Stahltellern ruhte.
„Wie groß ist das Ding?“, hauchte Bully. „Was macht es hier? Wer hat es erbaut?“
„Das klären wir später! Jetzt hau den Rückwärtsgang rein und… Warte!“
Reginald Bull, die Hand schon an der Schaltung, stockte. „Was ist?“
„Sieh mal, dort. Etwas öffnet sich. Und es blinkt. Da kommt eine Rampe rausgefahren.“ Rhodan räusperte sich nervös. „Also, für mich sieht das aus wie eine Einladung, an Bord zu kommen.“
„Perry, ich sage das jetzt nur sehr ungern, aber nenne mir bitte einen Grund, warum ich in einen riesigen Stahlkoloss hineinfahren soll, der letztes Jahr garantiert noch nicht auf dem Mars war, und der vermutlich versucht hat, unseren guten Lander aus den Wolken zu schießen. Ich verlange nur einen. Und er muss gut sein.“
Rhodan sah zu Bull herüber. Ein leichtes Lächeln lag auf seinen Zügen. „Weißt du, Bully, ich habe sogar einen guten Grund. Dieses Ding da wurde niemals von der Asiatischen Föderation gebaut.“
„Ich hasse es, wenn du mich zu riskanten Dingen überredest!“ Mit einem Fluch, der durchaus als zweiter offizieller Raumfahrerfluch in die Geschichte hätte eingehen können, schaltete Bully wieder in den Vorwärtsgang und gab Gas.
***
„Ist es zu spät, um einen Rückzieher zu machen?“, hauchte Bully ergriffen, während die Stahlkugel vor ihnen größer und größer wurde.
„Vielleicht ein wenig“, erwiderte Rhodan. „Fünfhundert Meter, schätze ich.“
„Eher sechshundert. Aber warum sollte ein außerirdisches Volk, das Riesenkugeln aus Stahl baut, ausgerechnet auf zwei Nullen vor dem Komma genau in einer unseren Maßeinheiten bauen?“
„Vielleicht sind sie Fans der Erde“, scherzte Rhodan.
„Dann können sie nicht allzu hoch entwickelt sein.“
„Na, das gibt uns doch Hoffnung, oder? Zumindest haben sie uns eingeladen, und nicht sofort abgeschossen.“
„Ich bin mir nicht sicher, ob mich das jetzt beruhigt“, brummte Bully. „Vielleicht sind sie bequem und schießen lieber drinnen.“
Kurz darauf lenkte er den Buggy auf die Rampe. Als sie sich dem leuchtenden Hangar näherten, reduzierte er die Geschwindigkeit nach und nach. Nachdem sie eingefahren waren, schloss sich hinter ihnen die Wand. Kurz darauf sahen sie auf den Messinstrumenten des Buggys steigende Temperaturen und steigenden Druck.
„Ein Bar. Da versucht es uns einer gemütlich zu machen“, meinte Bully.
„Hoffentlich atmet er auch Sauerstoff, und keinen CO2“, erwiderte Rhodan.
„CO2 ist als Energieträger nicht geeignet. Soviel Wissen sollte ein studierter Space Force-Offizier aber schon haben.“
„Oh, entschuldige. Ich vergaß die Ironiezeichen vorweg zu stellen. Beim nächsten Mal kündige ich sie an“, erwiderte Rhodan. Er war dankbar für den nicht ernst gemeinten Disput, da er ihn davon ablenkte, von den schieren Dimensionen dieses Raumschiffs und von den Bedeutungen, die sich aus seiner Existenz ableiteten, erschlagen zu werden.
„Weißt du, Perry, immer wenn deine Witze barsch werden, dann weiß ich, dass du die Situation nicht mehr unter Kontrolle hast. So wie jetzt.“
Rhodan erwiderte nichts darauf. Es war zu offensichtlich, dass Captain Bull Recht hatte. Aber was war ihm auch anderes übrig geblieben? Erstens hatte er gar keine andere Wahl als herauszufinden, ob dieses Metallgebilde mit dem mutmaßlichen Angriff auf die Stardust und den Lander zu tun hatte, und zweitens bot sich hier vielleicht die Chance zu einem Erstkontakt mit einer außerirdischen Spezies.
„Sie können ihre Druckanzüge nun ablegen. Es herrscht eine für ihre Begriffe atembare Atmosphäre“, plärrte eine Stimme in den Hangar. Vor ihnen glitt ein kleines Schott auf.
„Bitte folgen sie den Leuchtsignalen, die ich ihnen projiziere, sobald sie den Hangar verlassen haben. Sie werden bereits erwartet, Major Rhodan und Captain Bull.“
„Also, jetzt wird es interessant“, sagte Bully staunend. Er öffnete seinen Helm und schnüffelte misstrauisch. „Etwas abgestanden, aber atembar.“
„Bully, das war ein unverantwortliches Risiko. Was wenn es in dieser Atmosphäre potentiell tödliche Keime gibt?“
„Natürlich war es ein unverantwortliches Risiko. Und deshalb war es unverantwortlich, dass der Expeditionsleiter es auf sich nimmt“, konterte der Captain. „Vor eventuellen Keimen hätte man uns sicherlich gewarnt, und ich denke nicht, dass in den nächsten fünf Minuten eine neue Art entstehen wird, die für uns potentiell tödlich sein wird. Alles was eine längere Inkubationszeit hat, wird warten müssen. Außerdem erwartet man uns anscheinend, und als höfliche Gäste sollten wir sie, ihn oder es nicht warten lassen.“ Er sah zur Decke. „He, du. Wie sollen wir dich nennen?“
„Ich bin Aetron, die Neuronik des gleichnamigen Schiffs. Ich bin nicht autorisiert, ihnen weitere Informationen zu geben, Captain Bull.“
„Wie nett.“ Bully half Rhodan, das Sauerstoff- und Energiepack abzunehmen, danach ging Rhodan dem Captain zur Hand. Anschließend entledigten sie sich ihrer Anzüge. Kurz darauf standen sie in ihren Bordoveralls im Hangar.
Reginald Bull deutete auf das einladend geöffnete Schott. „Alter vor Schönheit, bitte.“
„Hast du nicht gerade was von unverantwortlichen Risiken gesagt, die der Expeditionsleiter nicht auf sich nehmen soll?“
„Die Luft ist atembar. Was also soll uns jetzt noch passieren?“
Rhodan setzte sich in Bewegung. „Kennst du das gute alte Sprichwort: Mal den Teufel nicht an die Wand!?“
„Nur zu gut. Wirklich, nur zu gut.“ Bull schloss auf und betrat mit seinem Vorgesetzten den Gang hinter dem Schott.

Auf dem Gang erwartete sie ein Laufband, das sich in Bewegung setzte, sobald sie es betraten. Vor ihnen schwebte eine metallisch schimmernde Kugel in der Luft. „Bitte folgen Sie mir“, erklang eine hohe, synthetische Stimme aus dem Objekt und begann davon zu schweben.
„Eine robotische Drohne? Antigravitation?“, fragte Bully. Er grinste breit. Langsam begann die Geschichte für ihn als Ingenieur interessant zu werden.  
Für einen kleinen Augenblick schien eine Art Schauer über die Kugel zu gehen.
„Eher ein Hologramm“, korrigierte Bully sich selbst. Dieses Riesending wurde interessanter und interessanter für ihn. Mobile Hologramme, das war erstaunlich.
Als das Laufband zu Ende war, führte die Kugel sie in einen Verteiler, und von dort zu zwei parallelen Röhren. Sie schwebte in die rechte und verharrte dort.
„Perry, das Ding hat keinen Boden.“
Rhodan trat an die rechte Röhre heran und hielt seine Hand hinein. Deutlich spürte er einen Zug nach oben. Danach wiederholte er das Experiment auf der anderen Seite und registrierte eine Abwehrbewegung. Schließlich zog er ein Werkzeug hervor und warf es in den rechten Schacht. Es schwebte aufwärts. „Komm, Bully, das verspricht spaßig zu werden.“
Zuerst betrat Rhodan den Schacht, danach Bull. Wie es der Major erwartet hatte, wurden sie aufwärts transportiert.
Rhodan betrachtete den Schacht genauer. Es gab mehrere Ausgänge, alle waren mit ihren Haltegriffen leicht zu erreichen. Kleine, kaum wahrnehmbare Fugen auf der Innenseite des Schachts ließen ihn Sicherheitssysteme vermuten. Netze oder Stahlschotten vielleicht.
Als das Licht aus einer der Öffnungen hinaus schwebte, folgte Rhodan ohne zu zögern. Mit einem beherzten Griff und etwas Schwung hatte der feste Boden ihn wieder. Ein derber Fluch informierte ihn, dass auch Bully mehr oder weniger wohlbehalten angekommen war.
Ihr kleiner Führer wartete eine Sekunde, dann setzte er sich erneut in Bewegung. Vor einem großen Schott verharrte die Kugel schließlich bis die beiden Offiziere aufgeschlossen hatten.
„Wir befinden uns vor der Zentrale. Bitte treten Sie selbstständig ein, sobald das Schott sich öffnet.“ Vor ihren Augen erlosch das Hologramm spurlos.
Bully starrte mit großen Augen auf das Schott. „Hier würden wir auch mit dem Buggy durchkommen, oder? Und, was nun? Knacken wir die Konsole da, oder warten wir bis uns einer aufmacht?“
Rhodan ignorierte den dezenten Hinweis von Reginald Bull auf das kleine, exotische Schaltpult am Rahmen des Schotts. Er fragte sich vielmehr, wer die Mühe auf sich nahm, sie so weit zu führen, über die so genannte Neuronik Aetron in englisch anzusprechen, überhaupt erst an Bord ließ, nur um sie dann an diesem Punkt warten zu lassen.

Schließlich glitt das Schott vor ihnen doch auf und ließ sie in einen großen, halbkugelförmigen Raum ein.
Ein schneller Blick offenbarte mehrere Podeste und Senken, in denen es unterschiedliche Arbeitsstationen gab. Ebenso erkannte Rhodan auf den ersten Blick einen gewaltigen Panoramaschirm sowie mehrere kleinere Hologramme, die den Mars oder Teile seiner Oberfläche zeigten. Zu seinem persönlichen Entsetzen wurde auch die Stardust gut sichtbar abgebildet.
„Perry, die haben unseren Kahn im Visier“, flüsterte Bully.
Rhodan winkte ab, denn er hatte in einer der Senken die einzigen lebenden Wesen im Raum entdeckt. Wäre er nicht als Sofortumschalter berühmt gewesen, man hätte seine Fähigkeit für unmenschlich halten können, mit dem er über den Schock, der sich ihm bot, hinweg ging.
Bully war da weniger flexibel. Er japste erst, als er Rhodans Blick folgte, und fluchte danach milde. „Es ist mir neu, dass Schweden in die Raumfahrt eingestiegen ist. Also frage ich mich: Wer sind diese beiden?“
Diese beiden, das waren eine große, weißblonde Frau, deren langes Haar bis auf die Hüfte fiel. Sie trug es offen, und die helle Stimme, die laut und vorwurfsvoll in einer fremden, melodischen Sprache bis zu ihnen herüber trug, schien zu ihr zu gehören. Sie wandte den Ankömmlingen den Rücken zu, und das hatte wohl symbolischen Charakter.
Das Zentrum ihrer Schimpftirade war ein nur wenig kleinerer Mann mit langem weißen Haar, das offen bis auf die Schultern fiel. Er brachte nur selten etwas in diesem Streit vor, meistens dann, wenn sein Gegenüber Luft holen musste. Dann antwortete er ebenfalls mit tiefer Stimme in der gleichen melodischen Sprache.
„Major Rhodan, Captain Bull, bitte warten sie, bis Expeditionsleiter Crest von Zoltral und Kommandantin Thora von Zoltral Zeit für sie haben“, klang die Stimme der Neuronik auf.
Die Frau schien die Worte auch gehört zu haben, denn sie wandte sich um und offenbarte ein für menschliche Begriffe schönes Gesicht. Das dominanteste an dem blassen Antlitz mit den hohen Wangenknochen waren die wütend drein blickenden rotgoldenen Augen, mit denen sie Rhodan und Bull kurz taxierte. Dann suchte sie für einen Moment den Blickkontakt mit Rhodan, den sie aber wirsch wieder unterbrach, als der Ältere, wahrscheinlich Crest von Zoltral, die Chance gekommen sah erneut ein Argument vorzubringen.
Schließlich verschränkte die weißblonde Schönheit ihre Arme vor der Brust und schrie den Mann mit lauter Stimme an. Danach sah sie wieder zu den beiden Offizieren herüber. Diesmal taxierte sie Rhodan wesentlich länger, und auch Bully kam in den zweifelhaften Genuss ihres zornigen Blicks.
Der alte Mann kam nun näher und verließ die Senke über eine kleine Treppe. Er lächelte, aber irgendwie erschien es Rhodan… Durchaus menschlich, und deshalb fiel ihm eines sofort auf: Der Mann wirkte müde.
„Entschuldigen sie bitte, dass sie warten mussten, Major Rhodan und Captain Bull. Es gab ein paar Detailfragen, obwohl ich meinte, die grobe Marschrichtung mit Kommandantin Thora von Zoltral abgesprochen zu haben. Willkommen an Bord der Aetron, Forschungsschiff seiner Erhabenheit, dem millionenäugigen, allessehenden Imperators von Arkon. Mein Name ist Crest von Zoltral, und ich bin der Expeditionsleiter und Chefarchivar an Bord.“
„Forschungsschiff?“, murmelte Bully neben Rhodan. „Dann möchte ich nicht die Kriegsschiffe sehen.“
„Später, Dicker.“ Rhodan trat einen Schritt vor und sah den Archivar ernst an. „Bevor ich mich über die Einladung Ihres Imperators freue, Crest von Zoltral, sollten wir vielleicht ein paar Grundsatzfragen klären. Abgesehen davon, dass Sie akzentfreies englisch sprechen, würde es mich interessieren, warum Sie mich und Captain Bull an Bord geholt haben. Das passt nicht ganz zur Zerstörung meines Trägerschiffs, finden Sie nicht?“
„Halten Sie uns nicht für dumm!“, zischte Thora wütend. „Ihr kleines Schiffchen wurde nicht einmal annähernd angekratzt, obwohl es für mich und die Technologie der Aetron ein Leichtes gewesen wäre, es aus dem All zu fegen!“
Auch die Frau hatte akzentfreies englisch gesprochen.
„Bitte, Thora, meine Gute. Wir waren uns doch einig.“
Wieder sah die Arkonidin die beiden Menschen an, dann warf sie wütend die Arme in die Luft und verließ die Mulde im Laufschritt. „Mach doch was du willst, alter Mann!“ Sie verließ die Halbkugel auf der anderen Seite und stieß einen Mann, der gerade hereinkam, beinahe um.
Nur weil der hastig und erschrocken auswich, kam es nicht zu einem Zusammenstoß. Danach verschwand er in einer der Mulden.
„Sie müssen Thora entschuldigen, Major Rhodan, Captain Bull. Sie ist jung, enthusiastisch und steckt voller Tatendrang. Auf diesem roten Staubball festzusitzen ist nicht das, wofür die She´Huan sie geschaffen haben.“ Crest schmunzelte, als er die irritierten Gesichter sah. „Die She´Huan sind unsere Götter.“
„Ich danke Ihnen, dass Sie so freigiebig mit Informationen sind, Crest von Zoltral“, erwiderte Rhodan. „Aber bevor wir noch mehr erfahren wüsste ich gerne, welchen Preis wir dafür bezahlen müssen.“
„Sie sind so scharfsinnig wie ich erwartet habe, Major Rhodan.“ Crest sah zu Bully herüber. „Und Ihr Begleiter ist ein Musterbeispiel darin, sich alle Details der Umgebung einzuprägen. Wie ich es mir dachte, ihr Terraner seid eine interessante Spezies.“
Bully räusperte sich verlegen, aber Crest ging drüber hinweg. „Kommen sie, meine Herren. Die Zentrale ist kein guter Ort für eine Unterhaltung. Lassen sie uns einen Konferenzraum aufsuchen. Versuchen sie einmal Cámana, unser bevorzugtes Pausengetränk.“

Als sie in bequemen Sesseln Platz genommen hatten, die sich augenblicklich ihren Körperkonturen angepasst hatten, sah Rhodan ernst zu Crest herüber. „Wir können weitermachen. Was kosten mich Ihre Informationen, Crest von Zoltral?“
„Bevor ich dazu komme, Major Rhodan, möchte ich Ihnen dennoch einiges über uns erzählen. Sehen Sie, mein Volk nennt sich, wie Sie sich schon gedacht haben, nach unserem Heimatplaneten Arkon Arkoniden. Unsere Hauptwelt ist das Zentrum eines gigantischen Reichs, das ein Viertel dieser Galaxis umfasst. Terra, oder vielmehr die Erde liegt nur wenige tausend Lichtjahre vom nächsten Sonnensystem des Imperiums entfernt. Ich erzähle ihnen beiden das, weil ich glaube, dass Dimensionen sie zwei nicht schrecken, sonst wären sie längst in panischer Angst entweder in der Wüste oder spätestens vor dem Antigravschacht geflohen.“
„Also, wenn er versucht uns zu beeindrucken“, meldete sich Bully zu Wort, „bei mir hat er es geschafft.“
Rhodan unterdrückte ein Schmunzeln. „Weiter, bitte, Crest von Zoltral.“
„Sehen sie, wir sind nicht ganz ohne Sinn ein wenig abseits unserer Grenzen. Die Aetron ist ein Forschungsschiff, und ich bin ihr Chefarchivar, während Thora ihr Kommandant ist. Wir befinden uns auf einer wichtigen Mission, bei der wir… Nein, das führt zu weit. Ich denke einfach nur, dass ihre Spezies, Major Rhodan, Captain Bull, entweder von uns Arkoniden abstammt oder sich zumindest in einer frühen Phase mit uns vermischt hat.
Sehen sie, mein Volk ist alt. Seine Geschichte reicht schon über zehntausend Jahre in die Vergangenheit. Längst gibt es keine Wissenschaft mehr bei uns, weil wir denken, alles Wissenswerte bereits erlernt zu haben. Wer eine neue Erkenntnis erlernen will, geht in die Archive. Dort erfährt er alles, was er zu wissen wünscht. Deshalb bin ich auch mehr Archivar als Forscher, obwohl ich gerne ein solcher wäre. Aber meine Vorfahren haben leider fast perfekte Vorarbeit geleistet und keine Fragen für einen Suchenden wie mich übrig gelassen.“
„Entschuldigen Sie den Einwand, Crest, aber warum existiert dann ein Forschungsschiff namens Aetron? Ist es ein antikes Relikt?“
„Es freut mich, dass Sie so schnell auf den Punkt kommen, Perry“, meinte Crest zufrieden und nahm einen Schluck jener Flüssigkeit, die er Cámana genannt hatte, aus einer bauchigen Schale. „In der Tat war die Vorarbeit meiner Vorfahren nur fast perfekt. Ich meine, sie haben riesige Archive erschaffen, gewaltige Feinde besiegt, eine Technik gebaut, die auf tausende Jahre nicht gewartet werden muss, eine unglaubliche, ewige Energieressource erschaffen und perfektioniert und Roboter gebaut, die uns Arkoniden zu Diensten sind… Uns und den zehntausend Völkern des arkonidischen Imperiums.“
„Hey, Hey, bitte immer nur eine Superlative auf einmal“, mahnte Bully und wedelte sich mit der Rechten frische Luft zu.
Crest schmunzelte bei diesen Worten. „Sie gefallen mir. Alle beide. Sie sind so tatkräftig, so agil. So… Frech. Es würde mich nicht wundern, es würde mich wirklich nicht wundern, wenn tatsächlich Arkonidenblut durch ihrer beider Adern fließt. Was uns… Zur eigentlichen Mission der Aetron bringt.
Sehen sie, unsere Geschichte ist zehntausend Jahre alt, und wir haben uns mehrfach über diese herrliche Galaxis ausgebreitet. Aber alle paar tausend Jahre stoßen wir auf Feinde, werden wir in einen Krieg gezogen, der uns wieder zum Rückzug zwingt. Zurück bleiben junge Kolonien, die sich fortan, sofern sie nicht zerstört werden, selbstständig entwickeln. Diese Kolonien sind mein Ziel, Kolonien mit Nachfahren der jungen, stürmischen, tatkräftigen und frechen Arkoniden. Kolonien, die vielleicht mit frischen fremden Genen überkreuzt wurden und das genetische Erbe Arkons aufpoliert haben. Genen wie denen der Terraner.“
„Interessant. Aber in dem Punkt muss ich Sie enttäuschen. Unsere Forscher haben zweifelsfrei bewiesen, dass unsere Abstammungskette lückenlos ist. Wir stammen definitiv nicht von Ihnen ab. Und ehrlich gesagt ist eine Vermischung auch unwahrscheinlich, weil diese eine ähnliche Biologie voraussetzt.“ Rhodan räusperte sich vernehmlich. „Ich nehme an, Sie haben uns bereits auf diese Kompabilität untersucht und wurden positiv bestätigt. Was mich als Wissenschaftler zu dem Schluss bringt, dass eher die Arkoniden von den Terranern abstammen, und nicht umgekehrt.“
„Ein interessanter Umkehrschluss, Perry. Aber bitte verstehen Sie, dass ich dem nicht zustimmen kann, solange ich die Beweiskette der menschlichen Wissenschaftler nicht vor Augen habe. Bis dahin gehe ich weiter von einer Vermischung aus, und das ich in meiner Suche nach frischen Genen vielleicht am Ziel angekommen bin.
„Und warum suchen Sie diese Gene, Crest von Zoltral?“, warf Rhodan ein.
Der alte Mann schmunzelte. „Es würde mich doch sehr erstaunen, wenn Sie das nicht schon längst herausgefunden haben, Perry.“
Rhodan registrierte den neuen Ton der Zufriedenheit bei Crest, mit dem er ihn bereits zum dritten Mal mit Vornamen angesprochen hatte. Und er spürte den erwartungsvollen Blick des Arkoniden auf sich ruhen.
Bully kam ihm aber zuvor. „Sie sind krank, Crest, und Ihre verdammte Supertechnik kann Ihnen nicht dagegen helfen. Sehe ich das richtig?“
„Sie haben Recht, Reginald. Ich bin krank und werde bald sterben.
Die Hochtechnologie der alten Arkoniden hat alles gemeistert, alles erklärt und mit den Neuroniken einen Helfer erschaffen, der allen Bürgern jederzeit ihr Maximum an Wissen und Freiheit gewährt. Gesteuert von den unbestechlichen Rechnern lebt unsere Kultur in einer ewigen Blüte. Das hat uns wohl eingelullt, wir ihr Terraner sagen würdet. Unvorsichtig gemacht. Oder noch besser formuliert, nachlässig. Unsere Vorfahren haben nicht damit gerechnet, dass die Neuroniken irgendwann auf eine Krankheit stoßen würden, die sie nicht kennen und für die sie kein Heilung wissen. Im Moment wird meine Krankheit aufgehalten, aber diesen Status kann ich nicht mehr lange aufrecht erhalten.
Ich leide an einer Krankheit, die sich darin äußert, dass mein Blut durch ein Übermaß an inaktiven und deformierten, funktionsuntüchtigen weißen Blutkörperchen überschwemmt wird. Davon werden nach und nach meine roten Blutkörperchen verdrängt, was mein Immunsystem nachhaltig schwächt. Das Fehlen aktiver weißer Blutkörperchen wird schließlich irgendwann mein Tod sein. Ich muss wohl nicht extra erwähnen, dass diese Form der körperlichen Zelldegeneration noch nicht vorgekommen ist. Wir sind also ratlos. Wir können therapieren, aber nicht heilen.“
Rhodan hatte sich erhoben. Er starrte den Arkoniden erschrocken an. „Bully“, sagte er ernst, „Crest hat Leukämie.“
***
„Irgendwie kann ich Ihnen nicht glauben, Crest.“ Reginald Bull sah den kranken Arkoniden ernst an. „Sie haben eine Kultur, die über zehntausend Jahre alt ist, Ihr Volk beherrscht ein riesiges Imperium jenseits unserer Vorstellungskraft und hat Archive, die gigantischer sind als der Wissensschatz der Menschheit. Und dann wollen Sie mir sagen, Ihr Volk kann eine simple Leukämie nicht heilen? Entschuldigen Sie, aber selbst auf unserer primitiven Welt haben wir das Problem schon längst im Griff.“
„Schon längst im Griff?“, argwöhnte Rhodan.
„Eric hat mir erzählt, dass der Doktor aus Australien, mit dem er sich schreibt, eine revolutionäre neue Therapie entwickelt hat. Heilungschancen liegen fast bei einhundert Prozent“, erwiderte Bully.
„Ach. Sowas merkst du dir also.“ Rhodans Stimme klang etwas spöttisch.
„Ich merke mir viele Dinge und lasse sie raus, wenn ich sie brauche, Perry.“ Bully sah dem Arkoniden in die Augen. „Also, Crest, alter Junge, warum gibt es keine Heilung für Sie?“
„Nun, ich gebe zu, es klingt sehr merkwürdig.“ Der Archivar strich sich über den Haaransatz und seine Augen begannen leicht zu tränen. „Wäre es ein Virus, dann hätten wir nur eine vergleichbare Art in den Archiven gesucht, um eine Therapieform zu finden. Wäre es ein Bakterium, dann wäre längst ein Gegenmittel bekannt. Selbst gegen Strahlungskrankheiten kennen wir ungezählte Mittel und Wege, und das, obwohl wir ähnlich wie ihr kleines interplanetares Schiff über einen Prallschirm verfügen, der uns bei interstellaren Reisen beschützt.“
Rhodan rieb sich die Nasenwurzel. „Sie beherrschen die interstellare Reise in einer annehmbaren Zeit?“
„Richtig. Sie haben sicherlich schon geahnt, dass dies kein Generationsschiff ist. Auch ein großes Imperium wie das unsere kann man nur zusammenhalten, wenn man über die Möglichkeit verfügt, schnell Truppen zu verlegen und Informationen zu erhalten. Aber leider befinden wir uns etwas außerhalb unserer regulären Möglichkeiten.“
„Wie erfolgt diese Reise? Fliegen Sie durch den Hyperraum?“, ereiferte sich der Ingenieur in Bully.
„Ich bitte Sie, Reginald. Der Hyperraum ist nur eine Fiktion. Tatsächlich ist das Universum in einem höheren Medium eingebettet, aber dies ist das Multiversum, und nicht dazu geeignet, uns biologischen Wesen eine Reise schneller als das Licht zu ermöglichen. Wir arbeiten mit Raumzeitkrümmungen. Oder wenn Sie so wollen, künstlichen Wurmlöchern.“
„Interessant.“
„Eine uralte, vielfach bewährte und wartungsarme Technologie. Wir sind in der Lage, mit einem Sprung bis zu einhundertfünfzig Lichtjahre zurück zu legen“, betonte Crest. „Noch größere Schiffe schaffen bis zu fünfhundert.“
„Können wir vielleicht zum Thema zurückkommen?“, mahnte Rhodan. „So aufregend das Thema interstellares Reisen auch ist, so würde ich doch gerne wissen, wieso die Arkoniden kein Mittel gegen Leukämie gefunden haben. Gibt es denn in den zehntausend Völkern nicht ein einziges Volk, das sich nicht nur auf die Archive verlässt, sondern auch auf die Forschung?“
„Nun, es gibt ein solches Volk. Abkömmlinge von uns, die Aras. Man nennt sie auch die Galaktischen Mediziner. Aber selbst ihnen ist es bisher nur gelungen, die Krankheit zu verlangsamen, nicht zu stoppen. Und das ist bereits ein gigantischer Erfolg.“
Rhodan taxierte den alten Mann eindringlich. „Das ist noch nicht alles, nicht wahr? Es gibt da noch mehr, was Sie uns beichten möchten, Crest. Außerdem ist die Existenz eines Doktor Haggards nicht automatisch ein Freibrief für Ihre Heilung, denn immerhin dürften wir uns genetisch trotz eines ähnlichen Äußeren erheblich unterscheiden.“
„Oh, Sie sind so scharfsinnig wie ich gehofft habe, Perry. Tatsächlich war es eher ein Zufall, der uns hierher verschlagen hat. Glücklicherweise, möchte ich sagen, jetzt wo ich sie zwei kennen gelernt und von ihrem Doktor Haggard gehört habe. Aber traurige Tatsache ist, dass die Aetron auf dem Planeten, den sie Mars nennen, havariert ist.“
Die beiden Terraner atmeten erschrocken aus.
„Machen sie sich keine Sorgen, nur keine Sorgen. Die Selbstreparatur-Routinen arbeiten bereits daran und werden das Schiff in einem Vierteljahr ihrer Zeit in die Lage versetzt haben, diese Welt wieder zu verlassen. Umso wichtiger ist es, dass wir diese Zeit nutzen, um meine Heilung und die Therapie für Arkoniden voran zu treiben.“
„Wobei wir immer noch nicht geklärt haben, warum die Aras oder Galaktischen Mediziner ihnen nicht helfen konnten. Außer die Krankheit brach während Ihrer Reise aus, Crest“, setzte Rhodan hinterher.
„Können Sie sich das nicht selbst denken, Perry? Die Krankheit, die Sie Leukämie nennen, ist für uns Arkoniden eine Degenerationskrankheit.“
„Eine Degenerationskrankheit. Etwas für Sie vermutlich neues“, sinnierte Rhodan.
„Es ist nicht so neu für uns“, wandte Crest ein.
Crest räusperte sich vernehmlich, und seine Augen begannen noch stärker zu tränen. „Und da kommen sie zwei ins Spiel. Thora und ich haben festgestellt, dass ihre Technologie, der Prallschirm, die Antimaterie-Batterie und der Strahlantrieb enorm fortschrittlich für ihren eigentlichen Technologielevel sind. Das ist einer der Gründe, warum ich Thora davon abhalten konnte, die Stardust einfach zu vernichten und nur den Anti-Neutronenschild zu benutzen.
Unser Schiff verfügt über ein Beiboot, eine sechzig ihrer Meter durchmessende Kugel mit beschränkter Sprungfähigkeit. Normalerweise hätte ich es benutzt, um ihren Doktor Haggard aufzusuchen, aber in der Atmosphäre des Misstrauens und des kalt schwelenden Krieges, in dem sich ihre Welt befindet, halte ich das für ein großes Risiko. Ich möchte nicht an der Vernichtung der Chance schuld sein, meinen Landsleuten die Heilung zu bringen, Perry, Bully. Ganz zu schweigen von ihrem Heimatplaneten.“
„Was also erwarten Sie von uns, Crest?“
Der Arkonide lächelte gütig. „Schmuggeln sie mich auf die  Freedom, und von dort nach Australien. Nach meiner Therapie bei Doktor Haggard helfen sie mir einen geeigneten Landeplatz für das Beiboot zu finden, wo es mich abholen kann, ohne einen Krieg auszulösen.“
Die beiden Menschen sahen einander an. Man konnte deutlich sehen, wie sehr es in Reginald Bull arbeitete. Einerseits war er nicht der Mann, der einem Notleidenden seine Hilfe verweigerte. Andererseits war er durch Eid an die United States und speziell an die Space Force gebunden.
Rhodan sah die Sache pragmatischer, nämlich von der Warte der Probleme aus, die sie bei einem solchen Manöver erwartete.
„Es kann Ärger geben“, schränkte er also ein. „Mit mir und Bully haben Sie ja Glück gehabt und echte Altruisten entdeckt. Aber wenn jemand auf der Erde bemerkt, wen wir da mitbringen… Wenn NetSoft entdeckt, dass wir einen hoch entwickelten Außerirdischen bei uns haben, sind Sie Ihres Lebens nicht mehr sicher.“
„Oh, das lassen Sie meine Sorge sein, Perry. Wir Arkoniden haben unsere technischen Möglichkeiten. Anzüge, die über eigene Prallschirme und eine Antigravitationseinheiten verfügen, Strahlenwaffen, Hypnostrahler, Paralysewaffen, und noch einiges mehr.“
Das erste Mal, seit sie sich begegnet waren, bemerkte Rhodan bei dem kranken Arkoniden so etwas wie eine negative Gefühlsregung. Sein Lächeln wurde düster. „Was uns gleich zum nächsten Punkt bringt. Die Bezahlung, die ich ihnen beiden für diesen Dienst anbieten werde ist die Datenimplikationsschulung.“

„Ich bin dagegen!“, klang Thoras kraftvolle Stimme auf. Mit energischen Schritten kam sie in den Konferenzraum und funkelte Rhodan und Bull böse an.
„Synthetisiere ein paar Diamanten, gib ihnen ein paar Spiegel oder schenke ihnen einen Antigrav, aber gib ihnen keine Datenimplikationsschulung, Crest von Zoltral!“
Ihre Miene verzog sich zynisch. „Abgesehen davon werden ihre primitiven Gehirne ohnehin gebraten werden, wenn wir ihnen das Basiswissen unserer Kultur direkt in ihre Ganglien laden.“
„Das besteht wohl nicht zu befürchten, Thora. Unsere Gehirnstruktur ist nahezu identisch. Das gleiche trifft auf die meisten der inneren Organe zu. Ja, ich wage voraus zu sagen, dass unsere beiden Gäste der Datenimplikationsschulung mehr als gewachsen sind.“
„Auch wenn sie es überleben, was macht es für einen Sinn, ihnen unser überlegenes Wissen zu überlassen und sie dann wieder auf diese primitive Welt zu schicken? Ganz davon abgesehen, dass unterentwickelte Gehirne wie die ihren das Wissen ohnehin nur ein paar Jahre halten können, bevor es nach und nach erlischt?“ Kurz huschte ein unsicherer Blick zu den beiden Menschen. „Das ist wie die Mehandor nicht herunter zu handeln.“
„Ich bin sicher, Perry und Reginald werden dieses Wissen gut investieren können, auch wenn sie es nicht werden auffrischen können. Vielleicht werden sie dadurch zu Stammvätern eines Technologieschubs, der die Menschen drei- vierhundert Jahre früher zu den Sternen greifen lassen wird. Du weißt, wir haben beide das Strahltriebwerk und die Antimaterie-Batterie als unerhört technisch weit fortgeschritten anerkannt. An dieser Stelle einzusetzen und den Technologiesprung fortzusetzen ist angemessen. Vielleicht können wir die Terraner dann bald als Gäste in unserem Imperium begrüßen.“
„Wir sollten vielleicht nicht zu weit voraus greifen“, mahnte Rhodan. „Können Sie uns mehr über diese Datenimplikationsschulung erzählen, die Sie uns als Bezahlung geben wollen, Crest?“
„Sicher. Während der Datenimplikationsschulung werden die Gehirnzellen des Probanden stimuliert. Eine ungeheure Informationsflut wird in brach liegenden Bereichen des Gehirns deponiert; zugleich wird mit Hilfe medizinischer Naniten die Bildung von synaptischen Verbindungen forciert, um dem Gehirn Zugriff zu diesem Wissen zu erlauben und die neuen Bahnen zu erhalten. Das Ganze erfolgt als Einlagerung von passivem Wissen. Es steht ihnen theoretisch also immer dann zur Verfügung, wenn sie es brauchen. Allerdings kommt es auf den Probanden an, wie stark das Wissen genutzt und wie lange die neuen synaptischen Verbindungen erhalten bleiben. Arkonidische Wissenschaftler wie ich, die über photographische Gedächtnisse verfügen können theoretisch immer auf dieses eingelagerte Wissen zugreifen. Bei anderen Probanden erlischt das Wissen über die Jahre und muss von Zeit zu Zeit aufgefrischt werden, wenn es nicht verschwinden soll.
Mit einer ähnlichen, aber etwas komplizierteren Methode konstruieren wir Arkoniden bei besonders begabten Mitbürgern mit photographischem Gedächtnis übrigens einen Gehirnsektor, den wir Extrasinn nennen. Es ist ein ultralogischer, eigenständiger Bereich, der uns beratend und analytisch zur Seite steht.“
„Aha. Ein paar von ihnen werden also schizophren und haben fortan einen kleinen Mann im Ohr. Sie auch, Crest?“, fragte Bully argwöhnisch.
„Oh ja, in meinen jungen Jahren wurde mir die Ehre der Ark Summia zuteil. Aber es hat nichts mit Schizophrenie zu tun, das kann ich Ihnen versichern, Reginald. Der Extrasinn ist unser unbestechlicher, stets verfügbarer und durchwegs logischer Berater.“
Rhodan räusperte sich. „Denken Sie, auch Menschen könnten einen Extrasinn erlangen?“
„Freiwillig eine Quiekestimme im Kopf?“, lamentierte Bully.
„Ha! Machen Sie sich nicht zu viele Hoffnungen, Terraner, nur weil Sie vielleicht eine Datenimplikationsschulung und die damit verbundene medizinische Behandlung überleben würden. Die Ark Summia dürfte dann doch zuviel für Sie sein“, spottete Thora.
Crest hob eine Hand, um die arkonidische Frau zu beschwichtigen. „Wie ich schon sagte, das Verfahren ist sehr kompliziert. Es wird nur an drei Orten im Imperium ausgeführt. Und ehrlich gesagt muss ich Thora diesmal Recht geben. Sie würden dieses Verfahren nicht überleben. Selbst von den Arkoniden, die für das Verfahren ausgewählt werden, gelingt es nur einem verschwindend geringen Anteil, einen Extrasinn zu erlangen. Manche sterben auch dabei.“
„Okay, dann verzichten wir doch auf den Extrasinn. Nicht, Perry?“, fragte Bull hoffnungsvoll.
Der hagere Major nickte. „Also kein Extrasinn. Was können Sie mir über die Themen der Datenimplikationsschulung sagen, Crest?“
„Es ist eine ganz normale Schulung, wie sie bei uns schon Kinder erhalten“, warf Thora ein. „Naturwissenschaften, Mathematik, Sprachen, Dinge die man halt braucht. Aber es sind nur Grundlagen. Daraus etwas zu machen hängt ganz vom Individuum ab. Also denke ich mal, sie zwei werden keinen großen Nutzen daraus ziehen können. Also lassen sie es besser. Ich schenke ihnen ein paar Impulsstrahler, damit können sie wenigstens mehr anfangen als mit der Datenimplikationsschulung.“
„Thora, bitte.“
„Aber Crest! Soll unser jahrtausendealtes Wissen wirklich in die Köpfe von… Von zwei Affen transferiert werden?“
„Wenn es wirklich an uns liegt, dieses Wissen zu nutzen, brauchen Sie sich gar nicht aufzuregen, Thora von Zoltral“, sagte Perry ernst. „Sie sind ohnehin davon überzeugt, dass wir es nicht effektiv nutzen können, also ist es ja auch nicht mehr als eine Geste.“
„Das…“ Unschlüssig sah Thora für einen Moment in die Runde. Hilfe heischend ging ihr Blick zu Crest, aber der hatte sein gemütliches, freundliches Lächeln aufgesetzt.
Schließlich warf sie die Arme hoch, fluchte etwas in ihrer melodischen Sprache und verließ den Konferenzraum wieder.
„Was hat sie gesagt?“, fragte Rhodan.
„Es war ihr Lieblingsfluch. Sie hat ihn in unserer Heimatsprache ausgesprochen, dem arkonidischen: Männer.“
Bully schmunzelte. „Ich glaube, ich mag sie.“
***
„Die Schulung dauert nur wenige Minuten. Sie umfasst den Großteil der naturwissenschaftlichen Grundbildung, die wichtigsten Sprachen des Imperiums, Mathematik und einige andere Bereiche wie Geschichte und stellare Karten. Die Schulung entspricht ungefähr einem einjährigen Basisstudium von reinem Wissen. Sie können sofort nach der Sitzung vollen Zugriff auf das Wissen nehmen. Dann gibt es natürlich weitere Datenimplikationsschulungen in den Bereichen Raumfahrt, Technik, Sprungtechnik, höhere Mathematik und Physik, und, und, und, die einen theoretischen Umfang von mehrjährigen Schulungen haben, wieder reines Basiswissen. Aber diese Themen können wir erst angehen, wenn sie zwei die erste Schulung erfolgreich assimiliert und angewendet haben. Es macht überhaupt keinen Sinn, ihre Gehirne mit Daten vollzustopfen, wenn sie diese nicht oder kaum benutzen können. Letztendlich differieren unsere Gehirnstrukturen doch zu sehr, um einen Misserfolg vollkommen auszuschließen.“
„Das ist verständlich“, erwiderte Rhodan.
„Du, Perry, das gefällt mir nicht. Die Dinger sehen aus wie Särge“, brummte Bully.
Vor ihnen war eine Phalanx an Röhren aufgebaut. Sie standen schräg an die Wand gelehnt, waren oben offen und boten den Einblick auf bequeme Liegen. Am Kopfende war eine Art Helm befestigt.
„Ich versichere Ihnen, dass wir diesen Vergleich nicht im Sinn gehabt haben“, sagte Crest mit seiner väterlichen Stimme. „Im Gegenteil. Die Datenimplikationsschulung gilt im Imperium schon mehr wie eine heilige Institution, der große Verehrung entgegen gebracht wird.
Leider wird diese Verehrung auch ähnlichen Konstrukten entgegengebracht, und hat eines unserer größten Probleme ausgelöst.“
Rhodan bemerkte die düstere Miene des Arkoniden. „Wollen Sie mir von diesen Problemen erzählen, Crest?“
„Danke, das ist nett gemeint. Aber sie zwei werden schon von selbst darauf stoßen. Entweder schon während der Schulung, oder kurz danach. Bitte, vertrauen sie mir jetzt und benutzen sie die Schulungsröhren.“
Rhodan zuckte mit den Achseln und stieg in die nächste Röhre hinein.
Bully tat es ihm nach. „Wenn er uns hätte umbringen wollen, würde er nicht so einen Aufwand betreiben.“
Crest nickte den beiden zu, ein Hologramm entstand vor ihm in der Luft, Sekunden darauf senkten sich die Helme herab und die Tanks schlossen sich. „Sie werden die Schulung bei vollem Bewusstsein erleben, Perry, Bully. Probanden berichten meistens von leichten Kopfschmerzen während der Datenaufnahme, auch leichte Übelkeit soll vorkommen. Aber das ist nicht von Dauer. Achtung, ich lasse nun die Naniten injizieren.“
Ein Robotarm legte sich Rhodan und Bull an den Hals. Sie hörten ein leises, zischendes Geräusch. Der Vorgang war vollkommen schmerzfrei.
„Die Naniten verteilen sich nun in den brach liegenden Gehirnsektoren“, stellte Crest zufrieden fest. „Perry, Bully, ich aktiviere nun die Schulung.“
Die Datenaufnahme würde optisch erfolgen, und von den Naniten direkt und indirekt unterstützt werden. Übergangslos glaubten die beiden Terraner, in blauem Himmel zwischen weißen Wattewölkchen zu schweben. Perry Rhodan versuchte zu blinzeln, aber es gelang ihm nicht. Irgend etwas stimmte hier ganz und gar nicht, ging es ihm durch den Kopf, als die Schmerzen begannen.
***
Als Rhodan das nächste Mal die Augen öffnete, fühlte er sich etwas gerädert. Sein Schädel brummte ein wenig, aber alles in allem fühlte er sich gut. Sein Zeitempfinden war durcheinander, aber laut Crest waren ja nur ein paar Minuten vergangen.
Als der Helm hoch fuhr, konnte Rhodan in das besorgt drein blickende Gesicht des Arkoniden sehen. Neben ihm stand ein monströses Metallgebilde.
Als die Schulungsröhre auffuhr, beugte sich Crest hinein. „Perry, hören Sie mich? Perry, sind Sie bei sich?“
Das Monstrum fuhr zwei Tentakelarme aus und richtete sie auf Rhodan. „Vitalwerte normal“, ließ es sich vernehmen. „Vitalwerte des zweiten Probanden normal.“
„Ich höre Sie und bin auch noch gut beieinander“, murmelte Rhodan und richtete sich auf. „Oh, mein Kopf. Wenn die Basisschule schon Migräne auslöst, überlege ich mir die weiterführende Schulung aber noch“, scherzte er.
„Perry…“
„Was ist denn, Dicker?“
„Ich kann plötzlich Sprungrouten für Wurmlöcher berechnen.“
Rhodan sah zu seinem Freund und Kameraden herüber, der sich gerade mit den fleischigen Händen die Stirn rieb. „Und nicht nur das. Ist dir aufgefallen, dass der Medoroboter und Crest arkonidisch sprechen? Du und ich übrigens auch.“
Rhodans Blick kehrte zu Crest zurück. Tatsächlich. Sie hatten Sarkom-A gesprochen, die Sprache des Großen Imperiums. Etwas hölzern und mit schlechtem Zungenschlag, aber es war definitiv arkonidisch gewesen.
Der Blechkasten neben ihm war eine Medoeinheit, eine Sylfar-7, entwickelt auf Aralon, gebaut auf Arkon. „Crest, Sie schulden uns eine Erklärung“, schloss Rhodan. „Die Sprachen und das Wissen über medizinische robotische Einheiten mag ja Allgemeinwissen sein. Nicht aber die Fähigkeit, eine Wurmlochroute zu berechnen.“
„Den She´Huan sei es gedankt, es geht ihnen beiden gut.“ Der Arkonide atmete sichtlich erleichtert auf. „Es tut mir Leid, es war meine Nachlässigkeit. Ich habe zu spät gemerkt, dass die Schulung manipuliert worden war.“
„Manipuliert? Inwiefern?“
„Sie haben nicht nur die Basisschulung erhalten. Ihnen wurden acht weiterführende Schulungen ins Gehirn gepfropft. Das ist etwas, was ich selbst bei einem Arkoniden als extrem gewagt bezeichnen würde.“ Crest seufzte aus tiefstem Herzen. „Aber sie zwei richten sich auf, haben bestenfalls etwas Kopfweh und diskutieren eifrig über das neue Wissen. Beeindruckend, meine Herren, beeindruckend.“ Der Blick, der von Crest zwischen Rhodan und Bull hin- und her glitt war bewundernd.
Rhodan sah zu seinem Co-Piloten herüber. „Thora“, meinte er mit einem Seufzen.
„Thora“, erwiderte Bully. „Oder eines der anderen Besatzungsmitglieder, das nicht will, dass wir Affen das arkonidische Wissen erlangen.“
„Das würde ich nicht sagen“, erwiderte Rhodan ernst. „Die waren sicherlich mit ihrem Freizeitvergnügen beschäftigt.“
Ein Teil der Datenimplikationsschulung hatte auch kulturelle Themen umfasst, und der Major der Space Force war niemand, der nicht eins und eins zusammenzählen konnte.
„Ach ja, die Fiktivschirme“, ergänzte Bully. „Das Gros der Besatzung, wenn nicht alle, sollte von ihnen gefangen sein.“ Der Captain grinste dünn. „Sie sind viel zu faul oder zu sehr gefangen in den virtuellen Welten der Fiktivschirme, um überhaupt das Interesse aufzubringen, uns schaden zu wollen. Geschweige denn uns wahrzunehmen. Der Bursche, den Thora in der Zentrale fast umgerannt hat, muss eine Ausnahme sein.“
„Ich fasse es nicht“, sagte Crest matt. Mit zittrigen Händen ließ er sich auf dem Rand von Rhodans Schulungstank nieder. „Das alles haben sie zwei extrapoliert – obwohl ihre Gehirne mit den zwanzigfachen dessen überflutet wurden, was ich eigentlich angesetzt hatte? Ich bin beeindruckt. Vor allem die Gedanken zu den Fiktivschirmen – superb!“
Rhodan konnte den Arkoniden verstehen. Die Fiktivschirme, wie sie allgemein genannt wurden, waren eine arkonidische Notlösung gewesen, entstanden aus der Jahrtausende andauernden Geschichte. Wenn man auf eine so gut aufgezeichnete Vergangenheit zurückblickte, und derart gute Methoden der Aufzeichnung besaß, wurden nicht nur die Wissenschaftler zu Archivaren degradiert. Auch die schaffenden Künste waren irgendwann zwangsläufig nur noch Plagiateure. Jedes Wort wurde schon einmal niedergeschrieben, jeder Baum schon einmal gemalt und jeder Ton schon einmal angeschlagen. Es war unmöglich, etwas neu zu erschaffen, wenn es irgendwo in den zehntausend Jahren Vergangenheit garantiert ein Stück, ein Bild oder einen Roman gab, der dem eigenen ähnelte, und dies zwangsläufig teilweise frappierend.
Die Fiktivschirmkunst war der Ausweg aus diesem Dilemma gewesen. Anfangs hatte junge Künstler ihre Gehirne in Schulungstanks an Neuroniken anschließen lassen, um ihre Gehirnwellen in primitiven Mustern und Tönen darzustellen. Ärger, Wut, Liebe, Zufriedenheit, alles hatte seinen Ausdruck gefunden und war von Künstler zu Künstler anders ausgefallen. Eine neue Kunstform war geboren, in einem System, das schon seit Jahrtausenden statisch gewesen war.
Und selbst in dieser Zeit war die Kunst noch nicht an ihre Grenzen gestoßen. Im Gegenteil. An Bord der Aetron gab es nicht nur Konsumenten dieser Fiktivschirmkunst, die sich auf bequeme Liegen legten und den Irrlichtern zuschauten, und dies teilweise tagelang, es gab auch einige Künstler, die neue Kompositionen aus Farben, Tönen und Emotionen erschufen.
Und um noch einen Schritt weiter zu gehen, hatte die Kunst Ableger entwickelt. Aus den anfänglichen und heute immer noch gebräuchlichen Farb- und Tonkompositionen waren irgendwann eigene Welten entstanden. Real wirkende, phantastische Welten, wie man sie nur erträumen konnte.
Mehr noch, mit Hilfe der Tanks, die zur Komposition der Fiktivbilder genutzt wurden, war es dem Betrachter möglich, in eine solche konstruierte Welt einzutreten, quasi ein Teil von ihr zu werden. Rhodan konnte verstehen, dass viele Besatzungsmitglieder der Aetron vor allem zur Zeit, während das Schiff havariert auf dem Mars lag und es wenig sinnvolle Beschäftigung gab, nichts lieber taten, als sich in virtuellen Welten zu bewegen oder sich mit den Fiktivbildern berieseln zu lassen. Dieses Verhalten hatte etwas von einer Betäubung.
Andererseits war solch ein Verhalten besser als eine Meuterei, wenn auch nicht viel besser.
„Und was machen wir jetzt mit Thora?“ Rhodan musterte den alten Arkoniden, als er den Tank verließ. „Wie lange waren wir überhaupt da drin?“
„Sieben Stunden, Perry“, sagte Crest und erhob sich ächzend. „Wie ich schon sagte, die Wissensflut war enorm.“
„Sieben Stunden? Eric und Flip werden sich schon Sorgen um uns machen“, warf Bully ein. „Abgesehen davon müssen wir sie eh noch besoffen quatschen, damit sie bei dieser Verrücktheit mitmachen.“
„Stimmt. Wir müssen vorerst zurück. Aber wir sollten uns noch um Thora kümmern. Sagen Sie, Crest, wer ist ranghöher: Sie oder Thora?“
„Ich bin der wissenschaftliche Leiter der Expedition. Sie ist die Schiffsführerin. Und das ist auch unser Dilemma. Die Datenimplikationsschulungsanlage fällt in ihren Aufgabenbereich. Nach Recht und Gesetz kann ich sie nicht dafür belangen was sie getan hat. Ganz davon abgesehen, dass ich mich nicht meiner einzigen Stütze berauben will.“
„Verstehe. Komm, Dicker, dann wollen wir sie mal erschrecken.“
Über Bullys Miene huschte ein Grinsen. „Du meinst, sie macht sich in die Uniform, wenn sie uns gesund und munter sieht, obwohl wir eigentlich lallende Idioten sein müssten?“
„Nun, vielleicht nicht gerade das, aber eine Überraschung ist es sicherlich für sie.“
Crest lachte leise. „Ihre Vitalität ist beeindruckend. Wenn die Arkoniden an Bord davon nur ein Fünftel hätten, dann… Kommen Sie, ich weiß wo Thora sich aufhalten wird. Es ist Zeit, einen Status Quo auszuarbeiten.“

Vor ihnen glitt das Schott zum Laufgang auf. Dort hielt die arkonidische Kommandantin dabei inne, auf und ab zu gehen. Als sie Crest und den Medoroboter sah, zeichnete sich zuerst Enttäuschung auf ihrer Miene ab. Dann aber sah sie Bull und Rhodan hinter ihnen auf den Gang hinaus treten, und es wurde ein zynisches Lächeln. „Gut. Sie sind keine sabbernden Idioten geworden. Vielleicht steckt ja doch arkonidisches Blut in ihnen beiden. Ich vertraue ihnen, Rhodan und Bull – vorerst.“
Sie wandte sich Crest zu. „Aber ich werde keine weiteren Schulungen zulassen! Zweimal hatten wir Glück, und das reicht. Ich will hier keine sabbernden Affen produzieren, also werden die beiden Primitiven auf dem Landungsboot nicht geschult!“
Crest schmunzelte. „Einverstanden.“
„Gut. Ich habe zu tun. Ich hole den Lander mit dem Beiboot herüber. Das verkürzt einen Teil der Zeit, die sie durch die Schulung verloren haben.“
„Sie setzen dafür Antigrav und Traktorstrahl ein, richtig?“, sagte Rhodan ernst. „Gehen Sie ruhig auf volle Leistung. Der beim Bau des Landers verwendete Stahl weist nicht die Dichte des superkompakten Arkonstahls auf, aus dem ein Großteil der Aetron gebaut wurde, aber es ist uns gelungen, die Dichte auf die Stufe eines Diamanten zu erhöhen. Der gesamte Körper wird den Beharrungskräften des Zugs ohne Verformungserscheinungen widerstehen.“
„Natürlich wird er das. Immerhin ist er für primitive Landungen durch eine Atmosphäre und die dabei auftretende Belastung konzipiert“, schnappte Thora.
„Ich bezog mich auf die innere Struktur. Auch sie wird einem gleichzeitigen Zug an sämtlichen Molekülen standhalten.“
Der Traktorstrahl, die bevorzugte Verladeeinrichtung der Arkoniden, bestand aus einem speziell entwickelten Zugstrahl, der in Resonanz mit Molekülen funktionierte.
Dabei konnten allerdings nur Objekte mit einer bestimmten Dichte erfasst werden, alle anderen Massen blieben unberührt. Bei einem Menschen oder Arkoniden zum Beispiel wurde Metall an seiner Kleidung erfasst, sein Knochengerüst und einige Knorpelformationen. Ein Raumanzug, wenn er einen trug. Durch die restliche Masse ging der Strahl dank der geringen Dichte hindurch, als gäbe es sie nicht.
Das große Dilemma des Traktorstrahls war also zum Beispiel bei sehr massereichen Objekten wie dem Planetenlander der Stardust Metalle mit unterschiedlichen Dichten. Also zum Beispiel einer Stahlaußenhülle und Innenbauten aus Aluminium. In einem solchen Fall konnte ein Traktorstrahl durchaus das Aluminium stärker erfassen als den Stahl, was zu Verformungen führen konnte. Ein guter Techniker konnte das in Rechnung stellen und vorsichtiger anheben, ohne das Aluminium überzustrapazieren – wenn er es wusste.
Angeblich gab es auch Berichte über eine andere Art von schwerwiegenden Unfällen, bei denen Arkoniden, die von einem Traktorstrahl erfasst worden waren, gewaltsam von ihrem Skelett getrennt worden waren – aber das hielt Rhodan für Raumfahrergarn.
„Danke für die Information“, erwiderte Thora und lächelte dünn. „Dann brauche ich ja keine besondere Vorsicht walten zu lassen.“

„Das war ein Fehler, Perry. Ihrem Doktor und Lieutenant Flipper steht nun ein harter Flug bevor.“
„Warum soll es ihnen besser gehen als uns?“, meinte Bully nur und grinste.
Crest überdachte dieses Argument einen Augenblick. „Vielleicht haben Sie Recht, Bully. Kommen sie zwei, nutzen wir die Zeit die Thora brauchen wird, um die Ausrüstung zusammenzustellen die wir mitnehmen werden, um für jeden Fall gewappnet zu sein.“ Crest sah die beiden spöttisch an. „Es wäre ja sonst schade um die tolle Schulung, die Thora ihnen beiden verpasst hat, oder?“
***
„Das kommt überhaupt nicht in Frage!“, rief Clark G. Flipper aufgebracht. „Wir können doch nicht einen Außerirdischen auf die Erde einschleusen! Wer weiß, vielleicht verformt er sich dort zu einer amorphen Masse und absorbiert andere Menschen, um ihre Fähigkeiten zu erlangen und… und… Es kommt jedenfalls nicht in Frage!“
Thora schmunzelte leicht vor sich hin, und auch Crest schien amüsiert zu sein.
Perry Rhodan erhob sich mit einem Seufzen. Er hatte erwartet, dass der Transport mit Hilfe des Traktorstrahls sowohl ihm als auch Manoli gehörigen Respekt eingebläut hatte. Aber zumindest Clark hatte sich schon wieder derart gefangen, dass er die beeindruckende Aetron als gegeben ansehen und heftig gegen Rhodans Pläne protestieren konnte.
Rhodan ging ein paar Schritte auf Flipper zu. „Das war jetzt nicht dein Ernst, oder? Denn das würde ja bedeuten, dass ich und Bully auch schon übernommen worden wären und du und Eric kurz davor stehen würdet, dasselbe Schicksal zu erleiden, Flip. Wach auch, so eine Lebensform gibt es nicht.“
„Oh“, wandte Thora ein, „solche Lebensformen gibt es durchaus. Aber die Arten, denen Arkoniden auf ihren Reisen bisher begegnet sind, hatten leider trotz ihrer enormen Anpassungsfähigkeit keine Überlebenschance in fremden Umwelten. Sie waren an die Biosphäre ihrer Heimatwelt gewöhnt. Und auch die Biomasse der von ihnen absorbierten Raumfahrer war teilweise toxisch für sie. Wenn sie es wünschen lade ich ein paar dieses Thema betreffenden geschichtliche Texte in die primitive Recheneinheit des Landers, Lieutenant Flipper.“
Entschuldigend hob Crest beide Hände. „Die Schulung über Exo-Zoologie war nicht in der Datenimplikationsschulung enthalten, Perry.“
„Ha!“, machte Flipper und wandte sich demonstrativ ab. „Abgesehen davon bin ich Offizier der U.S. Space Force! Wie kann ich es einer außerirdischen Intelligenz gestatten, frei auf der Erde herumzulaufen? Und mal ganz davon abgesehen, dass es uns vielleicht gelingen könnte, Crest auf die Freedom zu schaffen: Bei der ersten Durchleuchtung fällt er doch mit seinen Knochenplatten, die er anstelle von normalen Rippen hat, durch! Und dann sind da noch die Asiaten und die Russen und wer weiß noch alles auf der Erde, der sich alle zehn Finger danach lecken würde, wenn er, sie oder es einen Arkoniden in die Hand bekommen könnte. Sobald nur ein Informationsquant über seine Existenz nach außen dringt, geht die große Hatz los! Und DANN will ich mal sehen, was die technischen arkonidischen Spielereien wert sind. Das erzähl mir dann mal, Herr Rhodan!“
„Flip, ich könnte dir befehlen, die Klappe zu halten!“
„Ein Befehl, den ich nicht zu befolgen brauche! Perry, du willst einen Außerirdischen auf die Erde einschleusen! Einen Außerirdischen! Abgesehen von dem Trubel, den wir verursachen werden, er wird illegal zur Erde kommen! Normalerweise müssten wir ihn durch die Einwanderungsbehörde schleusen, oder ihm wenigstens ein Besuchervisum erwirken. Und das ist die Rechtsstaatliche Seite, ohne dass Mercants Bluthunde, oder die von Chun oder Michalowna dahinter kommen!“
„Also, ich weiß nicht wie es ihnen geht, aber mir gefallen diese Argumente“, ließ sich Thora vernehmen. Mit einem amüsierten Blick verfolgte sie die Ausführungen.
Eric Manoli legte eine Hand auf die Schulter des groß gewachsenen Flipper. „Kommen wir vielleicht mal zur Kernaussage zurück. Du hast ja Recht, Flip, wenn du meinst, dass wir die Erde auf den Kopf stellen, wenn wir Crest da mit runter bringen. Im schlimmsten Fall, im allerschlimmsten Fall werfen sich Asiatischer Pakt und NATO Atombomben an den Kopf.“
„Oh, da muss ich auch mal für Perry Rhodan und Reginald Bull sprechen“, ließ sich Thora vernehmen. „Der portable Schutzschildgenerator, der von Crest für die Expedition ausgesucht wurde, würde sogar noch standhalten, wenn die Erde unter den Explosionen der Atombomben in handliche Teile zerbirst.“ Sie hatte sichtlich Spaß bei dieser Diskussion.
„Noch schlimmer! Perry, ich habe Familie! Willst du etwa, dass ich sie wissentlich in Gefahr bringe? Ich bin mit dir zum Mars geflogen, um zum Weltfrieden beizutragen, nicht zum Weltkrieg!“
„Vielleicht habe ich meine Argumente etwas falsch vorgebracht“, meinte Manoli. „Okay, vielleicht lösen wir einen Weltkrieg aus. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht schaffen wir Crest auf die Freedom, geben ihn als Nordeuropäer oder Amerikaner aus, schaffen ihn in einen Stratosphäreklipper und bringen ihn anonym in der Klinik meines Freundes Frank Haggard unter. Und sobald er geheilt ist, suchen wir uns einen schönen Landeplatz für Frau Thora von Zoltral, irgendwo weitab des Trubels und lassen ihn wieder abfliegen. So etwas nennt man Vernunft in Zeiten, in denen man vom Wahnsinn umgeben ist. Denn bedenke eines: Es geht darum, einem kranken Mann das Leben zu retten, Flip.“
Unsicher sah der Geologe und Offizier zu dem Arkoniden herüber. „Noch ein Problem! Dieser ganze Aufwand! Was das alles kosten wird! Ein falscher Ausweis, die richtigen Kontakte, der Flug, das Krankenhaus! Wer ist denn so gut und übernimmt die Kosten?“
„Wir natürlich“, warf Bully ein und deutete auf sich und Rhodan. „Unser Broker hat unser kleines Vermögen mittlerweile zu einem großen Vermögen gemacht. Das würde ausreichen, um ein paar Quadratmeter Bauland in Tokyo zu kaufen. Für eine läppische Leukämietherapie und ein paar Flugtickets reicht es allemal.“
„Verdammte Altruisten. Und was habt ihr davon?“
„Das arkonidische Wissen. Wir werden in der Lage sein, ein paar „Innovationen“ zu entwickeln und zu vermarkten. Sie werden vom arkonidischen Standard weit entfernt sein, aber die Erde technologisch voran katapultieren. Dabei werden wir genügend Geld machen, um noch deine Großenkel aufs College zu schicken, Flip.“
„Hm“, brummte Flipper. „Es gefällt mir immer noch nicht. Was, wenn er doch Mercant in die Hände fällt? Oder Chun? Oder den Russen?“
Rhodan sah den Freund und Untergebenen eindringlich an. „Hier und jetzt verspreche ich dir, Flip: Crest von Zoltral wird keiner der drei terranischen Großmächte in die Hände fallen, keinem Geheimdienst und auch keinem einzelnen Staat, keinem Konzern und keinem Verein. Er wird stets Meister seines eigenen Lebens und seiner eigenen Entscheidung sein, dafür sorge ich mit meiner Kraft, meinem Wissen und allem Geld, das ich besitze.“
„Das gleiche gilt für mich“, meinte Bully. Er sah zu Crest rüber. „Es ist doch in Ordnung, wenn wir Sie notfalls erschießen, um Sie nicht in die Hand eines Geheimdienst fallen zu lassen?“
„Oh, fühlen Sie sich eingeladen, Reginald“, erwiderte der Arkonide schmunzelnd.
„DA HÖRT ES JA WOHL AUF!“, rief Thora entrüstet. „Selbstverständlich werden sie zuerst ihre erbärmlichen, primitiven Leben opfern, bevor ein Hochedler aus dem Geschlecht der Zoltral auf solch einer Primitivwelt sterben muss!“
„Einverstanden.“ Rhodan sah ihr fest in die Augen. „Sind damit alle Einwände ausgeräumt, Thora?“
Die beiden maßen sich einige Zeit mit ihren Blicken. Dann sprang Thora auf und verließ den Saal. „Die anderen beiden Terraner kriegen aber keine Datenimplikationsschulung!“
„Sie ist bemerkenswert einsichtig“, murmelte Bull.
„Das nennst du einsichtig?“, wandte Manoli ein.
„Du hast sie nicht bei unserer ersten Begegnung erlebt, Eric.“

Rhodan sah Flipper an. „Wie ist es nun? Wir begehen ja in dem Sinne keinen Verrat. Wir schaffen Crest zur Erde, heilen ihn, geben ihm die Therapie mit und er verlässt die Erde wieder. Wir verschaffen keiner Nation einen Vorteil über den anderen. Wir verraten unsere Heimat nicht, und wir tun ihr auch nichts schlechtes an. Und die Technologien, die wir entwickeln werden, stellen wir der ganzen Welt zur Verfügung.“
„Hast du vorhin nicht gesagt“, brummte Flipper amüsiert, „wir könnten davon noch meine Großenkel aufs College schicken? Ich hoffe, du stellst die Technik nicht umsonst zur Verfügung.“
„Gut, gut, ein wenig verdienen wir auch daran. Also, Flip, bist du dabei?“
„Ich hasse es, wenn du mich so bequatschst, Perry.“
„Und ich freue mich, dass du im Team bist.“ Rhodan wandte sich dem Arkoniden zu. „Crest, Sie haben soeben eine Mitfahrgelegenheit zur Erde erhalten.“
„Na, endlich geht es wieder los“, rief Bully erfreut. „Flip, Eric, entschuldigt uns. Wir müssen noch unser Spielzeug zusammenstellen. Wir wollen ja für jeden Fall der Fälle vorbereitet sein. Crest, gibt es diesen planetenweiten Anti-Neutronenschild nur als Bordwaffe der Aetron, oder haben Sie eine portable Version dabei?"
„Leider ist das Aggregat zu groß, um es mit dem Lander in den Orbit zu schaffen, Bully. Wir müssen uns mit einem kleineren Exemplar begnügen.“
„Was genau habt ihr noch mal auf der Erde vor?“, rief Flipper und schlug sich eine Hand vor die Stirn. „Und wie lange müssen wir noch hier bleiben?“
„Nur gut zwei Tage, um die Ausrüstung optimal vorzubereiten.“ Rhodan sah den anderen amüsiert an. „Wieso, hast du es eilig? Michael und die anderen erwarten uns sowieso erst in zwei Tagen zurück.“
„Nein, ich habe nur meine Bedenken, dass sich mittlerweile arkonidische und terranische Bakterien vermischen, eine neue Art bilden, und wir eine schlimmere Seuche nach Hause bringen als weiland Christoph Columbus über die Neue Welt.“
„Das lassen Sie meine Sorge sein“, erwiderte Crest mit einem Lächeln. „Die Neuronik der Aetron ist gut genug, um für diesen Fall Vorbeugemaßnahmen auszuarbeiten. Dafür wurde sie schließlich gebaut.“
Eric Manoli sah unsicher auf. „Crest, Sir, ich meine, Herr Chefarchivar, könnte ich... Könnte ich Einblick in diese Präventionen nehmen?“
„Ich werde Ihnen eine Dokumentation zukommen lassen“, versprach Crest. „Herrlich, ihre Agilität. Ich beginne die Terraner zu lieben.“
„Wenn hier schon jeder tut was er will, habt ihr dann was dagegen, dass ich an unseren eigentlichen Job denke und mal ein paar Steine klopfen fahre? Perry? Perry?“
***
Während Rhodan, Manoli und Bull zusammen mit Thora und Crest sowie der Hilfe arkonidischer Arbeitsroboter den Lander mit der Ausrüstung für den bei weitem nicht ungefährlichen Trip zurück zur Erde beluden, machte sich Clark Flipper an seine eigentliche Aufgabe. Zwar hatte er sie als Steine klopfen beschrieben, aber sie war doch etwas umfassender und vor allem komplexer. Im Prinzip konnte er sein Glück kaum fassen, nicht nur vollkommen unbeachtet von Perry und den anderen seiner Arbeit nachgehen zu können, sondern sogar noch die Möglichkeit zu haben, arkonidische Instrumente zu nutzen. Thora hatte sie ihm in einem Anflug von Großzügigkeit überlassen, als sie erfahren hatte, dass er Geologe und Offizier war, und deshalb „ein nicht ganz so primitiver Höhlenmensch wie die anderen“. Aus dem Mund der großen und stolzen Arkonidin war das ein unglaubliches Kompliment. Und genau deshalb verfügte er nun über ein Multifunktionsmessgerät, das ihm Tiefenlotungen von bis zu vierhundert Metern bei einer Abweichung von acht Millimentern ermöglichte.
Flipper fuhr mit dem Marsrover – und natürlich viel zu schnell – über die Weiten des Mars, bis er sein Ziel erreichte, den Tafelberg des Gesicht vom Mars mit den Kegelfelsen im Süden, der berühmten Inkastadt.
Für einen Augenblick bekämpfte er sein schlechtes Gewissen, das in ihm aufkeimte, obwohl er hier weder etwas böses noch etwas verbotenes tat. Er hatte lediglich sein Archeologiestudium vor den anderen Besatzungsmitgliedern verheimlicht, und den damit verbundenen Spezialauftrag von NetSoft. Der Mega-Konzern hatte sich vor allem deshalb massiv in das Marsprojekt eingebracht, weil ein Hauseigenes Wissenschaftlerteam den Beweis erbracht haben wollte, in dieser Region des Mars, der Cydonia Mensae, die Spuren einer außerirdischen Kultur entdeckt zu haben. Flipper war es nun zugefallen, unter größter Geheimhaltung diesen Spuren nachzugehen und zu bestätigen oder gar zu verwerfen. Ziel war es, für zukünftige Expeditionen Vorarbeit zu leisten, das Gelände zu sondieren und mögliche Fundorte für Artefakte einzugrenzen. Natürlich hoffte NetSoft in diesem Zusammenhang mit dem großen Wurf, außerirdischen Artefakten, neuen Technologien, uraltem Wissen welches auf der Erde noch nicht existierte. Aber angesichts der Existenz der Arkoniden glaubte Flipper zu Recht, dass all diese Hoffnungen und Pläne hinfällig waren. Dennoch musste er einen ordentlichen Bericht abliefern, alleine schon um Perry, Crest, Bully und Eric nicht zu gefährden. Also nutzte Flip eine natürliche Rampe und fuhr das Marsgesicht hinauf. Hier lotete er mehrfach in den Tafelberg hinein, stieß aber lediglich auf massives Gestein.
Er wiederholte die Lotungen rund um den Berg und besuchte jede einzelne der Pyramiden der Inkastadt. Nach der siebzigsten Lotung hatte er immer noch kein anderes Ergebnis erreicht. Die Erkenntnis war niederschmetternd deutlich: Bis in einer Tiefe von vierhundert Metern ruhten Marsgesicht und Inkastadt auf einem Felsbett aus massivem Granit. Damit musste NetSoft alle Hoffnungen auf Artefakte und dergleichen in dieser Region des Mars ad acta legen. Ein Umstand, den Clark G. Flipper nicht wirklich bedauerte.
***
Markon Senider war Besatzungsmitglied der Aetron. Genauer gesagt war er Funkoffizier. Zumindest wäre er Offizier gewesen, wenn die fast voll automatisierte Aetron ein Kriegsschiff gewesen wäre. So war er nur für den Schiffsfunk zuständig. Ein Spezialist, und zwar der Spezialist Nummer eins. Leider bedeutete ihm diese Tatsache schon lange nichts mehr. Die Zeit, in der ihn die vielen Chronner gelockt hatten, der Ruhm und die Hingabe für die Zoltral, war schon lange vorbei. Ein ganzes langes Jahr der erfolglosen Suche hatte ihren Tribut gefordert und ihn mehr und mehr abstumpfen lassen. Auf dem ganzen Schiff gab es nur zwanzig Arkoniden, davon waren nur sieben Frauen. Sechs von ihnen hatte er schon gehabt, und an Thora von Zoltral legte ein vernünftiger Arkonide keine Hand an, wenn er länger leben wollte. Schon gar nicht, wenn er wie Markon ein Essoya war, ein Nichtadliger.
Alles was er tun konnte war warten. Warten bis die Reparaturprotokolle die Aetron wieder Raumflugtauglich gemacht hatten, warten bis Crest und Thora das Interesse an der Expedition verloren und das Schiff nach Arkon zurückkehren ließen. Warten, warten, warten. Das einzige, was ihm auf dem Riesenschiff etwas Abwechslung bescherte, waren die Fiktivbilder und die wenigen Stunden am Tag, die er in einer der Fiktivröhren verbringen durfte, um in den künstlichen Welten der Bordkünstler zu wandeln. Das machte all das erträglicher. Das, und die Riesensumme Chronner, die ihm und den anderen Raumfahrern versprochen worden war. Warum hatte er sich nur jemals zu dieser Expedition gemeldet? Warum hatte er zugegriffen? Nur des Geldes wegen? Nein, weil man zwei Hochedle wie Crest und Thora eben nicht mit den dreckigen und unzuverlässigen Mehandor in die Galaxis hinaus fliegen ließ. Das waren doch eh alles nur Schurken, Brandschatzer und Piraten. Aber ein Trost war ihm diese Erkenntnis nicht, mitten in der Langeweile seiner Routinearbeit.
Die Aetron war schnell, optimal ausgerüstet, aber alt, uralt. Denn eigentlich war sein Volk immer davon ausgegangen, dass es nichts mehr zur Erforschung gab, dass alles Wissen bereits ermittelt und in die Archive geladen worden war. Und deshalb hatten die beiden Hochedlen Zoltral mit diesem Schiff Vorlieb nehmen müssen, auch aufgrund der Geheimhaltung, denn Gerüchten zufolge suchten sie nach DER Welt. Und das war vielleicht auch ein Hoffnungsfunke für ihn, der ihn beinahe so gut tröstete wie die Fiktivspielereien auf dem Bildschirm vor sich.


6.
Kurz vor dem Start gelang es mit ein wenig Mithilfe der arkonidischen Technologie, die Computer des Landers wieder in Betrieb zu nehmen. Tatkräftige Unterstützung durch den Traktorstrahl sammelte die Ausrüstung der Expedition ein und transportierte sie zum Lander.
Als das große Funkgerät wieder funktionierte, versuchte Rhodan Kontakt mit der Stardust aufzunehmen.
„Stardust Lander an Stardust, bitte kommen.“
Statisches Rauschen war die Antwort. Horrorszenarien entstanden vor den inneren Augen der First Crew. Laut Thora waren die Auswirkungen des Anti-Neutronenschilds auf das Fernraumschiff gerade stark genug gewesen, um die Kommunikation mit der Erde zu unterbrechen – für den Fall, dass die Gespräche mit der First Crew um Rhodan nicht so erfolgreich verlaufen wären, wie sie es sich gewünscht hätten. Aber der Major hatte am eigenen Leib erlebt, wie sich die Fehler summiert hatten, und nur die mehrfach redundanten Systeme des Landers hatten eine Katastrophe verhindert. Andererseits zweifelte Rhodan nicht daran, dass Thora sie in diesem Fall aufgefangen hätte, obwohl sie kalt lächelnd behauptet hatte, dass sie die First Crew aufgrund ihrer Unfähigkeit hätte abstürzen lassen.
„Stardust Lander an Stardust. Michael, bitte kommen.“
„Sie befinden sich gleich direkt über uns“, merkte Bull vom Ortungsgerät aus an. „Da wird doch nichts passiert sein?“
„Hier Stardust“, kam es undeutlich aus den Lautsprechern. „Gott sei dank seid ihr wohlauf. Nach eurem Absturz und den Problemen mit unseren Computersystemen haben wir schon das Schlimmste befürchtet.“
„Uns geht es gut“, erwiderte Rhodan. „Wir sind mit Hilfe der aerodynamischen Flügel gelandet. Keinem ist was passiert. Aber wir haben unsere Anlagen gerade erst online gekriegt. Wie sieht es da bei euch aus? Habt ihr Kontakt zur Erde, Michael?“
„Unsere Funkreichweite ist noch sehr gering, Kontakt zur Erde ist noch vollkommen illusorisch, also beeilen wir uns ein wenig. Das Funkfenster, das uns zur Verfügung steht, ist nur zwei Minuten offen. Conrad hat zumindest einen Teil des Computersystems wieder zum laufen gebracht. Allerdings haben wir den Funk frühestens wieder aufgepäppelt, wenn wir ihn mit einer stärkeren Leistung versehen können. Wir konstruieren gerade ein Provisorium mit einer Antimaterie-Batterie. Das dauert noch ein paar Stunden. Rod könnte dabei Bullys Hilfe gebrauchen. Wie sieht es da unten aus?“
„Wir haben die Zeit genutzt, während Bully und Eric ihr Bestes gegeben haben, um unsere Systeme vollends zu ruinieren“, scherzte Rhodan. „Alle Missionsziele wurden erreicht. Wir wollen heute zurückkehren. Sind die technischen Voraussetzungen dafür gegeben?“
„Der Dockhangar ist in Ordnung. Technisch gesehen habe ich keine Bedenken. Perry, das Zeitfenster ist noch vierzig Sekunden offen. Deine Entscheidung?“
„Fürs Protokoll, wir kommen wieder hoch. Sammelt uns bei der nächsten Umkreisung wieder ein, danach geht es nach Hause.“
„Verstanden. Was hat uns eigentlich getroffen, Perry?“
Rhodan räusperte sich verlegen. „Ein Magnetfeld, hervorgerufen durch tektonische Aktivität.“
Es war erstaunlich, wie glatt diese offene und dreiste Lüge über seine Lippen ging.
„Klingt plausibel. Wir...“ Auf die Worte folgte ein heiseres Rauschen. Die Stardust hatte ihr Funkfenster wieder verlassen.

„Also dann. Wir haben etwas weniger als anderthalb Stunden, um auf die Bahnhöhe der Stardust zu kommen. Alles für den Start vorbereiten.“
Die anderen murmelten bestätigend und machten sich an die Arbeit.
Bully grinste wild. „Das wird ein Heidenspaß, Perry.“
„Vielleicht ein viel größerer Spaß als du denkst, Bully“, erwiderte Rhodan ernst.
Er wandte sich dem Arkoniden zu, der in einer Ecke stand und sie beobachtete. „Crest, wollen Sie wirklich nicht, dass wir Ihnen einen fünften Sitz installieren?“
„Ich habe meinen arkonidischen Einsatzanzug, mein Junge. Er ist äußerst bequem, schützt mich vor Andruck und gleicht jede Form von Stößen aus. Ich werde mich in diese Ecke setzen, magnetisch fixieren und den Rest den She´Huan überlassen“, sagte der Arkonide mit freudig funkelnden Augen.
„Noch einer, der das für ein großes Erlebnisabenteuer hält“, kommentierte Rhodan, konnte aber ein Schmunzeln nicht verbergen.
***
Als der Lander an der Stardust andockte, empfing die Second Crew ihre Kameraden direkt an der Schleuse.
„Junge, Junge!“, rief Deringhouse aufgeregt. „Wir haben schon mit dem Schlimmsten gerechnet, nachdem bei uns das Licht ausging! Wie war es da unten?“
Nacheinander schwebten die vier Mitglieder der First Crew in die Stardust ein. „Staubig. Wurde der Funkraum wieder in Betrieb genommen?“
„Ja, Sir. Wir sind auf Standby. Wir empfangen die Anfragen von der Erde seit acht Stunden. Antworten können wir frühestens in einer halben Stunde, falls Bully Rod zur Hand geht“, meldete Freyt.
„Gut gemacht, Michael.“
Als nächster der First Crew kam Flipper herein geschwebt. „Ich will, dass der Lander vorerst unter Verschluss bleibt. Ich habe da hinten etliche Gesteinsproben eingelagert. Sie müssen noch sortiert, datiert und bestimmt werden. Wenn mir das einer durcheinander bringt, oder noch schlimmer, wenn er sie mir mit Sauerstoff kontaminiert, werde ich mich auf meine alten Kenntnisse als Judomeister der Air Force besinnen.“
„Was für eine nette Begrüßung“, murmelte Deringhouse. „Hey, außer Ihnen interessiert sich doch sowieso keiner für Steine.“
„Conrad, bitte!“, mahnte Freyt. „Geht das mit Ihnen in Ordnung, Major?“
Rhodan sah für einen Moment irritiert herüber. „Was? Oh, ja, tun Sie, was Lieutenant Flipper sagt. Es ist sein Fachgebiet, und ich werde einen Teufel tun, und ihm da rein reden.“
Danach folgte Manoli. „Wir sollten schnell auf der Erde anrufen. Die schieben doch schon bestimmt wegen dem Aktienkurs von NetSoft Panik.“
„Meine armen Aktien“, ließ sich Bully vernehmen. „Ich müsste nachkaufen, solange der Kurs niedrig ist. Was meinst du, Perry, sollen wir nicht zuerst Onkel Homer anrufen?“
„Ein wenig mehr Ernst, bitte, Captain Bull“, mahnte der Major. „Wir können ihn anrufen, nachdem wir uns zurückgemeldet haben.“ Rhodan griff in eine der Außentaschen seiner Kombination und warf ein dünnes Speichermedium zu Freyt herüber. „Senden Sie das gleich mit, sobald der Funk wieder läuft. Es handelt sich um eine Aufnahme des Augenblicks, in dem ich die Flaggen auf den Marsboden gesetzt habe. Das wird die Space Force und NetSoft hoffentlich etwas beruhigen und gnädiger für den Abflug stimmen.“
„Abflug, Sir?“
„Je eher, desto besser. Die nächste Mission sollte sich zuerst mit der Erforschung der Wechselwirkung zwischen Atmosphäre und tektonisch generierten Magnetfeldern befassen, bevor wieder ein Schiff in den Orbit geschickt wird. Oder geschweige denn ein Landungsboot aussendet. Aber das ist nur meine Empfehlung.“
Bully schloss das Schott hinter sich. „Also, Herrschaften, lasst uns nach Hause telefonieren.“

Nach einer knappen halben Stunde Bastelei meldeten Bull und Nyssen das Funkgerät für betriebsbereit. Der Kontakt kam beinahe sofort zustande. Die natürliche Zeitverzögerung, welche die Lichtgeschwindigkeit der interplanetaren Kommunikation auferlegte, betrug knappe viereinhalb Minuten. Aufgrund dessen versuchte Rhodan so knapp aber ausführlich wie möglich zu sein. Er beendete seinen Bericht mit dem Hinweis auf das seines Erachten unbekannte natürliche Phänomen, welches ihnen beinahe zum Verhängnis geworden war und empfahl eine sofortige Untersuchung der Stardust in der Werft, um eventuelle Folgeschäden aufzufinden. Zugleich empfahl er, die Stardust II anhand der gewonnenen Daten zu präparieren und zur näheren Untersuchung des Phänomens in absehbarer Zeit zum Mars zu senden. Als Kapitän der Mission empfahl er den Chef seiner Second Crew, Michael Freyt.
Als Antwort erschien nach über dreißig Minuten General Pounder auf dem Bildschirm.
„Gott sei Dank, dass es Ihnen und Ihrer Crew gut geht, Rhodan. Die NetSoft arbeitet gerade an einer Pressemitteilung, um ihr kleines Abenteuer an die Medien weiterzugeben. Ich konnte sie gerade noch davon abhalten, eine Geschichte mit kleinen grünen Männchen zu konstruieren. Ich stimme auch Ihrem Vorschlag zu, sofort zur Erde zurück zu fliegen und die Stardust auf versteckte Schäden untersuchen zu lassen. Das ist eine militärische Order, Major Rhodan. Sie kommen zur Erde zurück. Ich sehe übrigens parallel beim verfassen dieser Nachricht Ihr kleines Video mit der Fahnenzeremonie. Ein bisschen trocken, würde die Pressestelle von NetSoft sagen. Aber sie erfüllt ihren Zweck. Ach, und vergessen Sie nicht, die Kollegen vom Asiatischen Pakt zu grüßen, wenn Sie wieder an ihnen vorbei fliegen.
Ihnen und Ihrer erfolgreichen Crew alles Gute und Herzlichen Glückwunsch zur Erstlandung auf dem Mars. General Pounder Ende.“
Der Bildschirm erlosch wieder.
„Sie haben es gehört, Herrschaften. Wir machen uns bereit, um den Orbit zu verlassen. Ziel ist die Erde, und damit die Freedom.“
„Jawohl, Sir.“
***
Es ist geschehen, der asiatische Pakt wurde düpiert. Der Videobeweis, den NetSoft und die westliche Welt verbreiten, wird von jedermann als authentisch klassifiziert. Schlimmer noch, die leistungsfähigsten Teleskopsysteme bestätigen wieder und wieder, die Stardust im Orbit um den Mars beobachtet zu haben, während die Minzhudangyuán noch über eine Woche entfernt war. Der einzige Trost, den wir als aufrechte Asiaten nun haben ist die Tatsache, dass unser Schiff und seine tapfere Crew einen anderen Bereich des Mars in Besitz nehmen wird als ursprünglich geplant war. Vielleicht sind wir nur die zweiten, aber unser Grundstück vom roten Marsboden werden wir uns unwiderruflich abstecken.
Wir haben NetSoft, ihr Supergenie Peterson und den technologischen Vorsprung durch die Arbeit des Multigenies unterschätzt und müssen nun das beste und das einzig richtige daraus machen.
Internetblog von Harry Wong, Chefredakteur der China Daily Zeitung

Es ist also geschehen. War die Welt noch in Aufruhr als der Funkkontakt zur Stardust verloren ging, als die First Crew um Perry Rhodan zur Landung ansetzte, können alle Weltbürger nun erleichtert aufatmen. Der weiße Ritter der Space Force hat sein Abenteuer nicht nur unbeschadet überlebt, Perry Rhodan hat seinen Namen nun auch in das Buch der Geschichte eingetragen als der Erdenmensch, dessen Stiefelabdruck der erste auf dem Mars war. Ist der Mars deshalb nun amerikanisch-europäisch? Sicherlich nicht, dafür ist der kleine Bruder der Erde zu groß. Aber die Amerikaner und damit NetSoft besitzen nun ein ansprechendes Grundstück an rotem Marssand. Warum sie dafür aber die Cydonia Mensae gewählt haben, und nicht den verheißungsvollen Nordpolbereich mit einem Drittel des Marseis, wird wohl auf ewig ein Geheimnis des NetSoft-Vorstands bleiben.
Und nun, da der erste Mensch auf dem Mars gelandet ist, dicht gefolgt von Nummer zwei bis vier, müssen auch wir Russen uns Gedanken über den roten Planeten machen, und uns unser eigenes Grundstück sichern. Russische Technologie hat dem weißen Ritter Perry Rhodan seine Reise ermöglicht, und sie wird es in Zukunft auch Kosmonauten ermöglichen, zum Mars zu gelangen.
Auszug aus der Kolumne von Anastasia Kalinskaya, Chefredakteurin der Komsomolskaja Prawda.

Geheimnisvoller Blackout auf dem Mars. Tausende Gerüchte geistern durch das weltweite Netz, Spekulationen überschlagen sich. Hobbyfunker, die sich in den Stream von Space Force und Stardust eingehackt hatten, berichteten mehrfach von Störungsmeldungen des Landers, bevor der Kontakt zum Mutterschiff abriss. Was ist mit der Stardust geschehen? Was ist mit dem Lander geschehen, während Michael Freyt mit der Second Crew blind, taub und stumm war? Perry Rhodan, der Mann, der als Erster einen Fuß auf den Mars gesetzt hat, schob den Ausfall der Computersysteme einem Magnetfeld zu, das durch tektonische Aktivitäten entstanden war und den Lander beeinträchtigt hatte. Eine interessante Theorie, nur wurde so ein Phänomen noch nie von einer der automatischen Sonden, die den Mars bereits angeflogen hatten, aufgezeichnet. Andererseits gibt es einige unerklärliche Vorfälle von Komplettversagen der verschiedenen Sonden.
Ich weiß, die ersten Spötter werden jetzt sagen, dass ich nun Angriffe der Marsmenschen vermute, anstatt dem natürlichen Phänomen eine Chance zu geben. Aber Tatsache ist, dass lediglich die Missionen zum Nord-und Südpol immer störungsfrei verliefen, jene rund um den Äquator vom kleinen Bruder der Erde hingegen waren seit jeher als gefährliches Gebiet für Sonden bekannt. Die Ausfälle können von außerirdischen Intelligenzen verursacht worden sein, sie können aber auch natürliche Ursachen haben. Fest steht auf jeden Fall eines: Wäre die First Crew der Stardust auf Außerirdische getroffen, die sich auf diese Weise vor der Entdeckung zu schützen versuchen, hätte Perry Rhodan sicherlich die Kraft, diese Information geheim zu halten – Reginald Bull sicherlich nicht!
Aus Garret Whitworths Privatblog NetSoftWatch.


Die Nachricht vom Verlust des Funkkontakts hatte auf der Erde, vor allem in der westlichen, vom NetSoft-Konzern dominierten Welt eine kleine Panik ausgelöst. Privatleute und kleine Händler, aber auch ein paar große Banken hatten einen Teil ihrer NetSoft-Aktien und etliche kleinerer Zulieferunternehmen abgestoßen. Dabei waren die Pakete weit unter Preis weggegangen.
Homer G. Adams, Finanzgenie, Milliardär und Besitzer seines eigenen Anlageberaterunternehmens, hatte zugleich etliche der Aktiendepots liquide gemacht, die er verwaltete. Rhodan und Bull mochten es ihm verzeihen. Die Aktien, die er verkauft hatte, waren vor allem jene gewesen, die vom NetSoft-Absturz profitiert hatten und nun weit über Wert gehandelt wurden. Dieser kleine Boom würde nicht lange anhalten, das wusste Homer aus Erfahrung. Eine von einer Stimmung künstlich gepushte Aktie pendelte sich irgendwann automatisch auf einen angemessenen Kurs ein. Doch das Geld, welches Adams damit machte, nutzte er, um möglichst viele der NetSoft-Aktien aufzukaufen, die wie Wasser auf den freien Markt geworfen worden waren.
Letztendlich war NetSoft ein Unternehmen mit zweihundert Millionen Mitarbeitern weltweit. Material, Firmenbauten und Fuhrpark der Gesellschaft war allein neunzig Milliarden Euro wert. Der hohe Ausbildungsstand der Mitarbeiter und die Aktienanteile an anderen Firmen, die NetSoft darüber hinaus hielt, machten das Unternehmen noch einmal zweihundert Milliarden Euro wertvoller. Das Aktienpaket, welches von NetSoft am Markt war, hatte einen Ausgabepreis von einhundert Milliarden Euro, also war der Wiederaufstieg der Aktie auf den alten Kurs nicht lediglich eine Option, sondern eine Gewissheit. NetSoft war eben ein klassischer Value-Titel, also eine Aktie, die sich durch den eigenen Wert auszeichnete, durch das Eigentum der Firma und das Kapital. Das Gegenteil war der typische Growth-Titel, der auf einem Hype seinen Höhenflug erlebte, überbewertet wurde und dann in der nächsten Flaute die Kursgewinne vom Hype wieder abschreiben konnte.
Adams profitierte von der Panik und der Naivität der Kleinanleger, und der unerfahrenen oder erschrockenen Banker. Aber die Börse war kein Ort für Wohltätigkeit, sondern ein Schlachtfeld. Ein Schlachtfeld, auf dem sich jeder behaupten konnte, wenn er einen kühlen Kopf bewahrte. Aber wer in Panik geriet war so gut wie tot.
Ein dünnes Lächeln huschte über sein Gesicht. Normalerweise machte er Geschäfte für Perry Rhodan und Reginald Bull, aber im Moment machte er Geschäfte durch sie.
Adams betätigte den Kommunikator am rechten Ohr. „Ms. Richards, haben wir die Bestätigung aus Moskau erhalten?“
Die Stimme der jungen, agilen Frau, frisch von der Universität, klang hocherfreut. „Ist soeben eingegangen. Der Geldtransfer und der Aktientransfer erfolgen soeben. Petrokon war hocherfreut, ihre NetSoft-Anteile abzustoßen. Ich habe hier auch eine Anfrage die restlichen NetSoft-Anteile der Russen betreffend. Aber dafür müsste ich unsere Minorität an Minnesota Mining veräußern, um genügend Liquidität aufzutreiben.“
Adams erhob sich. Das war bei ihm immer ein wenig umständlich, denn das Finanzgenie war verkrüppelt. Der Mann hatte einen Buckel. Trotz fortschreitender Medizin hatte er diesen Makel jedoch nie operieren lassen, denn längst war der bucklige weißhaarige Mann ein eigenes Markenzeichen geworden. Und irgendwie glaubte Adams selbst, dass der unansehnliche Buckel für sein Finanzgenie verantwortlich war. Beinahe betrachtete er ihn als Talisman, sofern man das von einem Teil des eigenen Körpers sagen konnte. „Nein, lassen Sie das, Ms. Richards. Minnesota Mining ist noch nicht auf dem Höhepunkt des diesjährigen Kurses angekommen. Es wäre reine Verschwendung, die Aktien jetzt abzustoßen. Außerdem haben wir auch das Einkauflimit für NetSoft erreicht. Erwerben wir noch mehr, wird der Konzern ohnehin Stützkäufe machen und damit den Kurs künstlich puschen. Wir wollen die Aktien erwerben, solange sie billig sind.“
„Ja, Sir. Verstehe.“
„Ach, und Ms. Richards.“
„Sir?“
„Sie haben in Russland gute Arbeit geleistet. Ich gratuliere.“
„Danke, Sir.“

Adams deaktivierte die Verbindung wieder und trat vor das große Hologramm im Hintergrund seines Büros. Es zeigte die Kurse der wichtigsten Titel an den wichtigsten Börsen der Welt. Durch Zuruf konnte sich Homer Gershwin Adams einzelne Titel heraus zoomen lassen, auch komplette Börsen weg schalten.
Tokyo erwachte gerade zum Leben. Der Nikkei-Index übernahm gerade das Dilemma der New Yorker Börse, NetSoft betreffend. Die Aktie verlor in den ersten fünf Minuten dreißig Prozent. Dann stoppte der Abwärtstrend.
Adams aktivierte wieder seinen Kommunikator. „Ankauf von NetSoft sofort stoppen. Keine Veräußerung von NetSoft, egal zu welcher Anfrage. Die Regel bei über dreißig Prozent des Einkaufspreises zu veräußern gilt nicht für NetSoft.“
Sein Mitarbeiterstab bestätigte. Und noch bevor der letzte Abteilungsleiter ausgesprochen hatte, zog der NetSoft-Titel plötzlich stark an. Man konnte dabei zusehen, wie er in die Höhe schoss.
Homer G. Adams schmunzelte. „Scheint so als würden gute Nachrichten vom Mars eintreffen.“ Auf Zuruf veränderte sich die holographische Börsenwand und stellte stattdessen NCN dar, NetSoft Cable News.
Es wurde ein Video abgespielt, das zeigte, wie ein Mensch im Raumanzug die Stars and Stripes in roten Wüstenboden rammte. Neben ihm stand ein weiterer Raumfahrer und hielt die Fahne der UN und von NetSoft bereit.
Im Nachrichtenticker wurde von einem natürlichen Phänomen berichtet, welche die Funkanlage der Stardust gestört hatte. Der Aufmacher war der Hinweis, dass das Raumschiff bereits auf dem Rückflug zur Erde war. In Dublin wurden erste Wetten darüber abgeschlossen, ob die Stardust zuerst die Erde oder die Minzhudangyuán zuerst den Mars erreichte… Die Quote für die Asiaten war mehr als bescheiden.
„Ich wusste, ihr zwei seid nicht so einfach tot zu kriegen, Perry und Bully“, flüsterte Adams amüsiert.
***
„Major Rhodan, darf ich kurz mit Ihnen sprechen?“, fragte Agentin King, während sie ins Cockpit geschwebt kam.
„Natürlich, Eryn. Worum geht es? Um Lieutenant Nyssen?“
„Ach, hat Captain Bull mit Ihnen gesprochen?“
„Ja. Weil er es für einen guten Witz hielt. Es gibt wohl kaum einen loyaleren Offizier als Agatha The Rod Nyssen. Ich muss es wissen. Ich bin unter ihr geflogen, und das nicht nur über Taiwan.“
„Nein, Sir, ich möchte Sie nicht wegen Lieutenant Nyssen sprechen. Es geht vielmehr um den Captain Bull, den Lieutenant Flipper und Doktor Manoli.“
Rhodans Miene erstarrte. „Was genau bedrückt Sie denn so an meiner First Crew, Eryn?“
„Wenn ich es nicht besser wüsste, dann würde ich sagen, sie treffen sich zu konspirativen Sitzungen an Bord des Planetenlanders, Sir. Ich meine, der restlichen Crew ist befohlen worden, den Lander zu meiden, und die drei verbringen da drin oft Stunden. In den letzten fünf Tagen war jeder einzelne von ihnen über acht Stunden im Lander. Doktor Manoli bringt es sogar auf zehn Stunden. Alle vernachlässigen dafür sogar ihre Bordaufgaben. Sir, kann das sortieren von ein paar Mineralien wirklich derart aufwändig sein? Ich habe auch einen Anstieg des Wasser- und Nahrungsverbrauchs registriert.“
„Und? Ist dieser Anstieg bedenklich für die Sicherheit des Schiffs oder dessen Versorgungslage?“
„Nein, ich fand es nur auffällig genug, um es zu berichten, Sir.“
Rhodan seufzte. „Ich kann Flip nicht dafür verurteilen, dass er sich bei seiner immens wichtigen geologischen Arbeit von Bully und Eric zur Hand gehen lässt. Aber wenn unser Bordarzt seine Studien und Pflichten vernachlässigt, wenn die Experimente darunter leiden, kann ich das nicht tolerieren. Außerdem habe ich das Gefühl, ich weiß, was die drei da drinnen treiben. Abgesehen von der Geologie.“
Rhodan schüttelte mit einem missmutigen Lächeln den Kopf. „Ich hätte Bully verbieten sollen, das französische Kartenset mit an Bord zu bringen.“
„Karten, Sir?“ Nervös rieb sich King die Nase.
„Karten. Ich befürchte, Bully hat eine seiner berüchtigten Pokerrunden aufgezogen. Dafür war er schon immer berühmt. Ich werde mich darum kümmern. Ich habe nichts gegen Freizeitaktivitäten, aber die Arbeit darf darunter nicht leiden.“
King druckste verlegen. „Denken Sie, Sir, die First Crew hat was gegen noch einen Spieler?“
„Ich werde fragen“, versprach Rhodan. „Geben Sie Captain Freyt Bescheid, dass er vorerst meine Wache übernehmen soll. Ich werde mich dem Problem sofort widmen.“
„Ja, Sir.“
Perry Rhodan stieß sich aus seinem Sessel ab und schwebte in den Gang hinaus.

Auf halber Strecke begegnete ihm Freyt.
„Bully pokert?“, fragte Michael leicht verschlafen.
„Das hoffe ich für ihn. Das hat wenigstens noch Sinn“, erwiderte Rhodan und grinste flüchtig.
„Wehe du spielst mit, anstatt die Runde zu sprengen“, mahnte der Captain, drehte sich im Gleitflug um die eigene Achse und drohte Rhodan gespielt, während er Rücken voran ins Cockpit schwebte.
„Es kommt drauf an, welche Variante sie spielen“, meinte der Major schmunzelnd.
Als er den Lander erreichte, fand er das Schott von innen verriegelt vor. Also klopfte er. „Wer da?“
„Der Boss!“
Das Außenschott glitt auf, kurz darauf auch das Innenschott.
Manoli winkte den Major herein.
Rhodan wollte zuerst Manoli maßregeln, aber der Anblick im Lander raubte ihm für einen Moment den Atem.
„Komm, Perry, setze dich zu uns. Für einen weiteren Spieler ist immer noch Platz!“
„Himmel, Bully, was tut ihr hier?“
„Wir vertreiben uns die Zeit. Oder denkst du, Flips Steinchen halten so lange auf?“
„Crest, können Sie mir vielleicht erklären, was hier passiert?“
„Bully hat mir ein Spiel beigebracht. Er nennt es pokern. Es ist sehr interessant. Wussten Sie, dass ich ihm nun einen Mond schulde?“
Rhodan riss erschrocken die Augen auf.
Dieser Anblick veranlasste Bully dazu, lauthals zu lachen. „Sehen Sie, Crest, ich wusste, er würde es im ersten Moment glauben! Was ist nun, Major Rhodan, nehmen Sie an den Kampfhandlungen teil, oder gehen Sie wieder?“
„King hat gefragt, ob sie mitpokern darf“, erwiderte Rhodan trocken.
Diese Worte waren wie eine kalte Dusche für die Anwesenden. Flipper ließ sein Blatt sinken, Bull verharrte in der Bewegung, mit der er sich sein Getränk aus der Schwerelosigkeit hatte angeln wollen. Und Crest sah mit steinerner Miene herüber.
„Ihr vernachlässigt euren Dienst. Das trifft vor allem auf dich zu, Eric. Zeigt mehr Präsenz drüben. Wir müssen immer noch zwei Tage überstehen, bis wir die Freedom erreichen. Und dann beginnt der wirklich schwierige Part, wenn wir Crest aus dem militärischen Sektor in den zivilen Sektor schmuggeln müssen. Etwas mehr Ernst bitte, meine Herren.“
Rhodan stieß sich wieder ab und schwebte zurück in die Schleuse. „Ich werde King sagen, dass die Pokerrunde keine Frauen möchte.“
„Derart ausgeschlossen zu werden wird sie ärgern. Sie wird sich nicht als Teil der Mannschaft fühlen“, sinnierte Bully. „Eher diskriminiert.“
„Sie war nie Teil der Mannschaft. Sie ist einer von Mercants Bluthunden, schon vergessen? Das macht die Situation ja so gefährlich“, sagte Rhodan gepresst.
***
Die IIC, oder auch International Intelligence Company war schon im Moment ihrer Geburt tot geredet worden. Gedacht war sie als Geheimdienst-Konzern, der anderen Konzernen und Privatpersonen Know How und tatkräftige Hilfe auf dem Spionage- und Gegenspionagesektor anbot. Aber ein Geheimdienst in privater Hand war mehr als skeptisch aufgenommen worden, obwohl Topleute auf der ganzen Welt in der Company zusammengefasst wurden. Ohne Loyalität einem Staat gegenüber, hatte man argumentiert, würde man einen besseren Söldnerkonzern erschaffen, und keinen Dienstleister gegen das wuchernde Spionagegeschäft zwischen den Gigantkonzernen.
Aber in einer Welt, in der Industriespionage eine größere Bedrohung war als ausländische Agenten, in der sogar Organisationen wie der CIA die wirtschaftlichen Projekte der Verbündeten ausspionierten, war die Idee einer unabhängigen, bezahlten Geheimdiensttruppe ohne staatliche Loyalitäten letztendlich auf sehr fruchtbaren Boden gefallen.
Dass sich Allan D. Mercant, der erste und bisher einzige Direktor und Hauptanteilsnehmer, mit diesem Prinzip durchgesetzt hatte, verdankte er nach eigener Aussage dem Taiwan-Konflikt, bei dem erstmals der Westen und China ihren Waffengang absolviert hatten und es offensichtlich geworden war, dass es auf einer Welt, die mehr und mehr von den Milliardenvölkern der Chinesen und Inder beeinflusst wurde, fortan offensichtlich wurde, dass die Konzerne mehr und mehr Macht anhäuften. Und Konzerne bezahlten. Einen Geheimdienst zu erschaffen, der diese Bezahlung auch akzeptieren konnte, war im Nachhinein ein Geniestreich sondergleichen. Und eine unglaubliche Erfolgsgeschichte.
Tatsächlich aber war es Mercants unglaubliche Integrität, welche den guten Leumund von IIC erst begründet hatte. Darüber hinaus waren seine fachlichen Qualitäten unbestritten. Die üblichen Intrigen und Komplotte gegen ihn verliefen ins Leere; Gerüchten zufolge waren sogar spiritistisch begabte Profiler und die geheimnisumwitterten Telepathen auf ihn angesetzt worden, aber die meisten von ihnen arbeiteten mittlerweile für ihn. So hieß es zumindest.
Hinter vorgehaltener Hand wurde Mercant oft als gefährlichster Mann der Erde bezeichnet. Nicht nur, dass er die Zentrale des IIC in das Gestein eines Gebirges treiben ließ, dieses Gebirge war Teil der arktischen Ostküste der Rieseninsel Grönland. Grönland war nicht nur die größte Insel der Welt, sie war auch menschenleer und unheimlich kalt.
Für Mercant waren das keine Argumente. Für ihn überwog der Positionsvorteil: da Grönland nahe des Nordpols lag, konnten die Stratoklipper der Behördenluftflotte jeden wichtigen Punkt der Nordhalbkugel etwa gleich schnell erreichen. Und hier spielte die Musik im Konzert der Mega-Konzerne. Außerdem sorgte die geringe Bevölkerungsdichte Grönlands dafür, dass der Stützpunkt nahezu unbehelligt blieb. Offiziell gab es ihn gar nicht, inoffiziell versuchten natürlich sowohl Russland als auch die Asiatische Föderation, zeitweilig sogar der CIA, auf die eine oder andere Art ihre Agenten einzuschleusen. Wenn es welche gab, so waren nur die höchsten Kreise der entsprechenden Geheimdienste darüber informiert.
Die geringe Bevölkerungsdichte brachte noch einen weiteren Vorteil: Isolation. Über keine andere Einrichtung war in der Außenwelt so wenig bekannt wie über die IIC. Selbst die Auftraggeber des Konzerns erfuhren stets nur so viel wie nötig über Struktur und Personal des Geheimdienstkonzerns.
Abgesehen davon betrachtete die anderen Geheimdienste ihre geerblichen Kollegen, die „mitten im Kühlschrank“ ihren Dienst tun mussten ohnehin als vom Glück verlassen. Allerdings spielte dabei Neid wohl eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Allan D. Mercant interessierte das wenig. Er war durch und durch Geheimdienstmann, und er war ein wahres Genie darin, aus spärlichen Fakten den richtigen Zusammenhang zu erstellen und die Wahrheit zu ergründen. Er war nicht allmächtig und bestimmt kein Esper, aber die meisten seiner Aussagen, diverse Fälle betreffend, hatten eine erschreckend hohe Trefferquote. Zudem sah sich Mercant selbst an unabhängig an. Während die U.S.A., Kanada, Mexiko und große Teile von Europa unter dem direkten oder indirekten Einfluss von NetSoft standen, hatte sich der Geheimdienstchef schon durch die Bildung eines Konzerns sehr früh das Recht erkämpft, niemandem außer den Teilhabern verantwortlich zu sein. Seine immens wertvolle Arbeit während der Taiwan-Krise, die den Konflikt beenden half, hatte ihm einen hervorragenden Leumund beschert. Seine präzise Arbeit hingegen hatte ihn unverzichtbar gemacht, selbst auf die Gefahr hin, dass der unbestechliche Mercant eines Tages auch zur Gefahr für die Sicherheit von NetSoft wurde.
Derzeit betreute der Mittvierziger mit dem dünnen weißblonden Haarkranz über siebzehn Projekte direkt und hielt ein wachsames Auge aber etwas mehr als zweihundert weitere Entwicklungen auf der Erde, an der sein Geheimdienst direkt oder indirekt beteiligt war. Sein Lieblingsprojekt war zur Zeit die Stardust-Mission, einer gemeinsamen Anstrengung von Space Force, NetSoft und jenem Bereich der politischen Erde, der mit dem schwammigen Begriff „Freie Welt“ betitelt wurde. Im Prinzip beschrieb das die Einflusssphäre von NetSoft in Amerika und Europa bis an die weißrussische Grenze.

Mercant hatte einen Mann an Bord. Genauer gesagt eine Frau. Agentin King war eine der viel versprechendsten Nachwuchstalente in seinem Team. Eine aufmerksame Frau mit wachen Augen und aufnahmefähigem Verstand. Offiziell sollte sie Agatha Nyssen unter Beobachtung halten. Inoffiziell aber interessierten sie viele Spezifikationen der Stardust, die von NetSoft nicht oder nur oberflächlich publik gemacht worden waren. Vor allem die Möglichkeit, die Schiffe der Stardust-Klasse als Kampfschiffe aufrüsten zu können war in Mercants Augen eine Gefahr in sich. Im menschenleeren Universum gab es nur den Menschen als Gegner, das stand außer Frage. Warum also die Stardust-Schiffe hoch rüsten und die Fehler der Vergangenheit wiederholen? Ob atomar bestückter Satellit oder atomar bestücktes Raumschiff, es war im Prinzip das gleiche. Und an einen Krieg mit dem Mars und seinen Bewohnern glaubte Allan D. Mercant ohnehin nicht. Welchen anderen Zweck konnte diese Bewaffnung also haben, als den Krieg, der auf der Erde zwischen Freier Welt und Asiatischer Föderation bereits einmal ausgebrochen war, diesmal im Weltraum auszutragen? Ein atomarer Krieg im roten Sand des Mars war eine erschreckende und zudem realistische Vision.
Schon seit jeher sah sich Allan D. Mercant nicht in der Tradition des unbestechlichen Erfüllungsgehilfen. Im Gegenteil. Seine Unbestechlichkeit rührte aus seinem Streben, in seiner Arbeit das Beste zu erreichen. Situationen wie der Putsch in China vor zehn Jahren, der die kommunistische Partei hinweg gefegt, ein Armee-Regime etabliert und die Taiwan-Kämpfe provoziert hatte, waren für ihn Lehrmeister genug gewesen, um in diesem undurchsichtigen Wust aus Konzerninteressen, nationalen Interessen und Geheimdienstgeplänkeln wenigstens etwas Ordnung zu bringen.
Sicher, man hatte stets versucht ihn zu bestechen, zu erpressen oder zu manipulieren. Spätestens als der Chef der nahezu allmächtigen IIC geworden war, hatte es vor allem NetSoft versucht, den Geheimdienstchef auf ihre Seite zu bringen. Aber Mercant bot dem keine Angriffsfläche. Er hatte sein altes Leben aufgegeben, auf Familie verzichtet und sich hier an den Nordpol in einer nahezu perfekt geschützten Position zurück gezogen, um seinem Land, um der ganzen Welt zu dienen, indem er in diesem Wust aus Eigeninteressen, Kriegstreiberei und Industriespionage wenigstens ab und an ordnend eingreifen konnte.
Mercant war sich bewusst, dass seine Arbeit die Welt nicht ändern konnte. Aber bisher hatte sie gereicht, um ein zweites Taiwan zu verhindern, um erneut Soldaten auf dem Altar von Machtinteressen und Absatzmärkten zu opfern. Er wusste nur zu gut, dass er nahezu alleine stand; auch wenn seine Mitarbeiter enthusiastisch waren, die meisten integer und nur sehr wenige auf den Lohnlisten auswärtiger Geheimdienste, sie waren Schlapphüte, wie man Geheimagenten in früheren Zeiten oft abfällig genannt hatte.
Eine Änderung der weltweiten Situation konnte aber nur aus der breiten Masse kommen, aus dem Durchschnitt aller Menschen. Und um die breite Masse zu erreichen, um ihr den Weg zu zeigen, der sie aus dem ewigen Kreislauf der Bruderkriege führen konnte, war Mercant zu wenig, das wusste er selbst am besten. Die meisten Menschen wussten nicht einmal, dass er existierte. Der Gedanke an einen Partner, den er aufbauen, unterstützen und fördern konnte, war da sehr nahe liegend. Bisher hatte er diesen Partner nicht gefunden, geschweige denn die Idee ernsthaft verfolgt. Aber nun hatte sich die Situation geändert. Vielleicht gab es diesen Partner. Ein Mann, der die Massen erreichen konnte. Der ebenso unbestechlich war wie er selbst. Der die Menschlichkeit als hehrstes aller Ziele ansah. Der all jene beschützen wollte, die in Frieden leben wollten.

„Sir?“ Sergeant Ross war das Faktotum des allmächtigen IIC-Direktors. Ein dienstbarer Geist, der ihm unermüdlich zuarbeitete. Ob seines Rangs oft unterschätzt, hatte der große, bärenartige Mann einen Kenntnisstand über die weltweiten IIC-Operationen, die ihn auf die Liste der meistgesuchten Männer innerhalb Russlands, des CIA und der AF plötzlich in die Top Ten befördert hätte, wenn sie von diesem Umstand gewusst hätten.
Mercant sah auf. „Ja, Sergeant?“
„Ich habe hier den aktuellen Bericht von Agentin King. Er erschien mir wichtig genug, um ihn sofort vorzulegen.“ Ross räusperte sich. „Er kam per Kurier direkt aus New Mexico. Es gibt nur diesen Ausdruck, die Datei selbst wurde restlos gelöscht und mehrfach von der Festplatte getilgt.“
Mercant verzog keine Miene, als er die Pappmappe mit dem Dokument entgegen nahm. Die kleine Säurekapsel auf dem Umschlag war bereits deaktiviert worden; sie hätte das Papier binnen weniger Augenblicke zur Unkenntlichkeit verbrannt, hätte ein Unbefugter versucht, in diese Mappe Einsicht zu nehmen. „Danke, Sergeant. Das war alles.“
„Sir.“ Der große Mann nickte und verließ den Raum wieder.
Mercant öffnete die Mappe. Er empfand die Existenz von Eryn King als erfrischend. Die junge Britin war noch herrlich unverdorben und unkorrumpiert. Sie hatte sich die erste Phase seiner Geheimdienstarbeit, in der so ziemlich jeder Agent noch von sich sagte und dachte, dass er unbestechlich war und eher sterben würde als nationale Geheimnisse zu verraten, bewahrt. Die Agentin war als unauffälliger Überwacher der Mars-Mission sowie der NetSoft-Tätigkeiten an Bord der Stardust mehr als geeignet. Einen Baum versteckte man am besten im Wald, und solange die Crew des Fernraumschiffs glaubte, es ginge ihr und damit Mercant um Nyssen, hatte King in allen anderen Belangen freie Hand.
Einige Hinweise deuteten darauf hin, dass NetSoft nicht nur den Großteil der Expedition und der Fernraumschiffe Stardust I und II finanziert hatte, sondern weitere Interessen auf dem Mars verfolgte, die dem Konzern die gleichzeitige Finanzierung von zwei Fernraumschiffen wert war. Mercant unterstellte spontan die Kapazitätsfrage. Wenn einer seiner Agenten ohne weitere Probleme an Bord der Stardust-Mission etabliert hatte werden können, dann mussten beide Schiffe, ausgestattet mit unglaublichen Antrieben und nahezu unendlicher Energie, dazu vorgesehen sein, eine Art Pendelverkehr aufzunehmen. Und da war sie wieder, die ungewöhnliche Bestückung der Stardust-Klasse mit neu entwickelten atomaren Sprengkörpern. Rückte der Stellvertreterkrieg auf dem Mars näher, oder die Verteidigung der NetSoft-Basis?
Agentin Kings Bericht war ausführlich, exakt, aber leider nichtssagend. Sie referierte ergiebig über das angebliche natürliche Phänomen, welches mit dem neuartigen Magnetschild in Interferenz getreten war und zum Abbruch der Mission geführt hatte; von den naturgemäß sehr spärlichen Ergebnissen, die Rhodan hatte vom Mars mitbringen können, und über den übereifrigen Geologen First Lieutenant Clark Flipper, der von seiner Steinesammlung so besessen war, dass er die Second Crew komplett aus der Landefähre der Stardust ausgesperrt hatte, um in Ruhe seine Kiesel sortieren zu können.
King hatte mehrfach versucht in den Lander zu gelangen, aber ein Mitglied von Rhodans First Crew befand sich stets an Bord, und unterband jeden Versuch einzudringen.
Gehorsam hatte King dieses Verhalten ihrem direkten Vorgesetzten bei NetSoft mitgeteilt, und Mercant konnte sich denken, dass bei diesen misstrauischen Bastarden mittlerweile die Wellen hoch schlugen. Vielleicht hatten Rhodan, Bull, Manoli und Flipper etwas wertvolles auf dem Mars gefunden, welches sie nun am Konzern vorbei schmuggeln wollten? Aber was konnte das sein? Erze? Hochverdichteter Kohlenstoff eventuell, im Volksmund Diamanten genannt? Etwas in dieser Richtung? Oder war der Verdacht der NetSoft-Schnüffler konkreter?
Mercant schmunzelte dünn, als er Kings Spekulationen las. Natürlich war etwas an der ganzen Mission so faul, dass er den Fischgeruch von New Mexico sogar bis hier nach Grönland riechen konnte. Nicht umsonst schickte der Konzern einen Archäologen mit Doktortitel an Bord und befahl ihm, sein Doktorat zu verschweigen. Wenn man nun die Aufregung dazu zählte, die bei NetSoft herrschte, dann kam der Geheimdienstmann unweigerlich zu dem Schluss, dass der Konzern mehr als Sand, Wasser und Steine zu finden gehofft hatte. Diese Hoffnungen mussten sogar sehr konkret gewesen sein, dazu unter völliger Geheimhaltung, denn Mercant war sich mehr als sicher, dass weder Rhodan noch Freyt darüber informiert gewesen waren. Flipper allein hatte alles gewusst und damit die größte Last zu tragen.

Wie sahen die weiteren Schritte aus? NetSoft, derart aus dem Häuschen, würde die Stardust kurz nach dem andocken entweder mit regulären Soldaten oder ihrem konzerneigenen Sicherheitsdienst stürmen, um den Lander und die dort vermuteten Artefakte in Besitz zu bringen. Egal ob es sie gab oder nicht.
Dass es ETWAS gab, stand für Mercant fest. Das Verhalten der First Crew war zu auffällig unauffällig. Jedem guten Schlapphut mussten da ja die Finger jucken.
Aber was versteckten Rhodan und seine Leute auf dem Lander? Und warum machte der Nummer eins-Konzernmann an Bord gemeinsame Sache mit ihnen? Warum spielte Flipper mit? Nur wegen der gemeinsamen Vergangenheit in der Air Force, später in der Space Force?
Oder war das, was Rhodan und seine Crew dort versteckten von einer Beschaffenheit, die selbst Clark Flipper nicht in Konzernhänden sehen wollte?
Vor allem, wenn Perry Rhodan sich zu so einem Winkelzug herab ließ, dann bedeutete dies, dass der integere Mann für dieses ominöse Etwas alles riskierte: Ruf, Ansehen und Zukunft. War es das wirklich wert? Rhodan galt als logischer Mensch, mitunter als eiskalter Taktiker, wenn er sich erst einmal in eine Aufgabe verbissen hatte. Das hatte er erst über Taiwan und dann über Korea gezeigt. Dennoch hatte er seine menschliche Seite nie abgelegt und niemals den „Ich hatte meine Befehle“- Stereotypen eines Offiziers hervor gekehrt.
Aber das waren müßige Gedanken, denn Perry Rhodan würde sich dem Konzern nicht entziehen können, nicht entziehen wollen. Was konnte auch schon so wichtig sein, dass er vielleicht noch mehr riskierte, womöglich das eigene Leben und das seiner Leute?
Was, wenn er es tat? Mercant schmunzelte dünn. Nun, es gab nur eine Möglichkeit, um das herauszufinden. „Sergeant Ross, bitte holen Sie in fünf Minuten einen schriftlichen Befehl aus meinem Büro ab“, sagte Mercant ernst über den Sprechservo im Schreibtisch.
Nach der Bestätigung begann er den genauen Wortlaut des Befehls auszuformulieren.


6.
„Sir, haben Sie einen Moment?“
Clark G. Flipper war normalerweise ein gesprächiger Mensch. Aber zwei Stunden bevor die Stardust in den Erdorbit überging war selbst er ein wortkarger, launischer und vor allem gestresster Mann. „Machen Sie es kurz, Eryn“, sagte er knurrend.
„Sir, ich kann Lieutenant Nyssen nicht finden und wollte Sie fragen, ob sie eventuell an Bord des Landungsboots ist. Ich weiß, die Second Crew darf dort nicht rein, damit Ihre wertvolle Mineralienkartographie nicht durcheinander kommt und Captain Bull in Ruhe mit Doktor Manoli pokern kann. Aber ich brauche etwas von ihm.“
„Und damit kommen Sie zu mir? Warum gehen Sie nicht zu Rhodan? Er ist der Commander der Expedition.“
„Sir, ich spreche mit Ihnen von IIC-Agent zu NetSoft-Agent.“
Flipper riss die Augen auf. Bevor King es sich versah, hatte der First Lieutenant die IIC-Agentin bereits in die kleine Küche gedrängt. „Verdammt, King, meine Mitarbeit ist inoffizieller Natur und bezieht sich nur auf die Missionsparameter! Ich bin kein kleiner Wachhund wie Sie!“
„Das weiß ich und das ist mir auch klar. Aber ich bin mir sicher, dass ich langsam anfangen sollte mir Verbündete zu suchen, Sir.“
„Verbündete?“, raunte Flipper misstrauisch.
„Ich habe Befehl bekommen, den Waffenschrankschlüssel an mich zu nehmen und die Versiegelung zu kontrollieren. Sie wissen, First Lieutenant Nyssen hat als Waffenoffizier den Schlüssel.“
„Himmelherrgott, der Waffenschrank ist doch immer verschlossen! Und so kurz vor der Landung auf der Freedom werden wir ihn wohl kaum noch benötigen. Sicher, wir hatten ein paar Waffen auf dem Mars mit, falls wir dort doch auf feindselige gelbe Männchen treffen, aber warum haben Sie Anweisung, etwas selbstverständliches auszuführen? Misstrauen Sie Nyssen so sehr?“
„Es ist nicht meine Idee“, erwiderte King. „Aber meine Vorgesetzten sind wohl der Meinung, nach dem Andockmanöver sollte niemand an Bord an eine Waffe kommen. Damit keine Unfälle passieren, Sir.“
„An eine Waffe kommen? Unfälle?“ Unsicher grinste der Familienvater die Agentin an. „Hören Sie, wir kommen als Helden zurück! Als Helden!“
„Es sieht so aus als wäre das Heldentum auf später verschoben worden, Sir.“
Flipper wurde bleich. „Sie meinen…“
„Ich meine gar nichts. Wenn Sie mir jetzt also sagen könnten, wo ich Lieutenant Nyssen finde, um den Waffenschrank unter Verschluss halten zu können…“
„Sicher. Sie ist im Maschinenraum, soweit ich weiß.“
„Danke, Sir.“ King nickte dankbar und schwebte dann aus der Küche.
Flipper jedoch wartete bis die Agentin verschwunden war, dann schnellte er sich in den Gang und zog sich so hastig er konnte ins Cockpit der Stardust.

„Perry, wir haben Ärger!“
Rhodan, mit den Berechnungen für den Anflug beschäftigt, sah nicht einmal auf. „Sag dem Ärger, er soll bis nach dem Andockmanöver warten, bitte.“
„Das geht nicht. Das Andockmanöver ist ja der Ärger. Es… Es liegt an den Gesteinsproben. Hast du kurz Zeit, um die Ladungssicherung zu kontrollieren? Du weißt, ein winziger Bewegungsimpuls in die falsche Richtung, und… Perry, bitte.“
Rhodan sah den Freund und Kameraden einen kurzen Augenblick an. „Bully, du kommst mit. Michael, du übernimmst.“
„Warum muss ich mitkommen, um Flips Steine fest zu binden?“, murrte der rothaarige Captain.
„Weil du sie auch durcheinander gebracht hast“, erwiderte Flipper mit Erleichterung in der Stimme.
„Übernehme Station. Beeile dich, Perry, sonst ist mein Gesicht in den Nachrichten, und nicht deines. Rod, übernehmen Sie bitte den Co-Pilotenplatz.“
„Ja, Sir. Viel Spaß beim aufräumen, meine Herren.“
Rhodan und Bull stießen sich ab und schwebten zu Flipper in den Gang hinaus. „Eric ist bei ihm?“, fragte der First Lieutenant leise.
„Schon den ganzen Morgen. Was ist passiert? Willst du uns das alte Märchen von der verrutschten Ladung auftischen?“, fragte Bully.
„Sie werden die Stardust stürmen, sobald sie angedockt hat! Sie werden Crest finden! King hat mir gerade gesagt, dass sie Befehl hat, den Waffenschrank versiegelt zu lassen und den Schlüssel an sich zu nehmen!“
Rhodan nickte knapp. „Keine Zeit zum packen, Dicker. Wir müssen hier sofort weg. Wir nehmen den Lander. Das heißt, wenn ihr mitkommen wollt.“
Bully nickte schwer. Er war nicht der allerschnellste Denker, aber Offensichtliches verstand er sofort. „Wir waren wohl zu auffällig, was?“, fragte der Captain und öffnete den Zugang zum Landungsboot der Stardust.
„Es ist egal, was es war. Hauptsache, Crest landet nicht auf einem Seziertisch“, erwiderte Flipper. „Perry, ich komme nicht mit. Du weißt, meine Frau und meine Kinder, ich…“
„Ist in Ordnung, Flip.“ Rhodan reichte dem Geologen die Hand. „Wir sehen uns wieder.“
„Komm jetzt!“, zischte Bull. Bevor er das Schott verschloss, grinste er den Kameraden der First Crew an und meinte: „Das nächste Mal werde ich deine Familie bewundern können, nicht nur ihre Fotos.“
„Hoffentlich“, murmelte Flipper. „Hoffentlich.“
Kurz darauf gellte der Alarm durch die Stardust. Sekunden darauf fand die Notabsprengung des Landeschiffs statt.
***
„Und? Wohin jetzt? Direkt nach Australien runter?“, fragte Bully nervös.
Rhodan schüttelte den Kopf. „Das passt nicht ganz in meinen Plan B.“
„Es gibt einen Plan B?“, scherzte Bully.
„Es gibt immer einen Plan B. Und wenn der nicht funktioniert, siehe Plan A.“ Rhodan grinste verwegen und sah nach hinten. „Crest, es tut mir Leid, aber wir werden Sie nicht länger im geheimen nach Australien zu Doktor Haggard schaffen können. Es wird etwas lauter und etwas aufregender werden als wir es geplant haben. Denken Sie, Thora wird sich dazu herablassen, uns ab und an auszuhelfen?“
„Was planen Sie, Perry?“, fragte der Arkonide amüsiert. Zumindest ihm schien die Situation einen Riesenspaß zu machen.
„Wir holen Doktor Haggard zu uns.“
„Womit wir wieder bei „Wohin jetzt“ wären, Herr Major“, tadelte Bully. „Also, wo werden wir den Lander aufsetzen?“
„Es ist ein Ort, der weitab aller großen Städte liegt. Keine Infrastruktur, einigermaßen erträgliches Klima, eine gewisse Nähe zu Australien, also alles was wir brauchen und alles, um es Militär zu erschweren, uns zu schnell auf den Pelz zu rücken.“
„Und du meinst, Doktor Haggard wird freiwillig in diese Einöde kommen?“ argwöhnte der Captain.
„Natürlich wird er das. Wann hat ein Mediziner schon mal die Möglichkeit, mit einem Außerirdischen zu arbeiten?“, wandte Manoli ein. „Ich kenne Dutzende Mediziner, die sich darum reißen würden, in diesem Team mitzuarbeiten, und das auch ohne Crest aufzuschneiden und Millimeter für Millimeter zu sezieren.“
„Ein Umstand, den ich persönlich erfreulich finde“, sagte der Arkonide trocken.
„Also, Perry, wo zieht es uns hin?“
„In eine Region, die so uninteressant ist, dass sich niemand dafür interessiert. Keine Rohstoffe, kein Erdöl, kein Baumbestand, den man verwerten könnte, nichts. Praktisch Niemandsland.“
„Die Sahara?“
„Es ist nicht die Sahara.“
„Dann ist es die Gobi, oder? Warum nicht die inneraustralische Wüste? Da wären wir auch unzugänglich und wir hätten es näher zu Doktor Haggard.“ Bull dachte einen Moment nach. „Oh, nein, Perry. Erzähl mir nicht, du willst NetSoft aussschalten, indem du uns zwischen AF und Petrokon platzierst.“
„Zumindest ruhig stellen. Vorerst. Für die Übergangszeit.“
„Übergangszeit zu was?“
Rhodan klopfte seinem Co-Piloten auf die Schulter. „Zu unserer eigenen kleinen Firma, Bully. Zusammen mit der arkonidischen Datenimplikationsschulung und den Spielereien, die uns Thora großzügigerweise überlassen hat richten wir dort eine Schutzzone für bedrohte Außerirdische ein.“
„Geht es auch etwas ernsthafter?“
Rhodans Gesicht erstarrte. „Bully, Eric. Wir können nun nicht mehr zurück. Für NetSoft sind wir Industriespione, für die Space Force Deserteure. Wir müssen unserem Leben nun einen neuen Sinn geben. Ich hatte eigentlich vorgehabt das arkonidische Wissen der Datenimplikationsschulung und die technischen Gimmicks nach und nach unter die Menschen zu bringen, zum Wohle der gesamten Menschheit. Aber jetzt bleibt uns keine andere Möglichkeit, als ein Monopol zu errichten. Eine unabhängige Firma, die arkonidische Technik und arkonidische Prinzipien nach eigener Moral und eigener Anschauung in die Welt verkauft.“
„An den Meistbietenden?“, argwöhnte Bull.
„Manchmal.“
„Hm. Das Leben als einfacher Deserteur wäre mir auch zu langweilig geworden.
Crest, es scheint als seien Sie gerade Gründungsgrund des neuesten Großkonzerns auf der Erde geworden. General Galakto Tech wird schon bald den Weltmarkt beherrschen, wissen Sie?“
„Ruhe jetzt, bitte. Mit Hilfe der Formeln aus der arkonidischen Datenimplikationsschulung kann ich uns zwar in einem Rutsch durch die Erdatmosphäre bringen, aber manche Berechnungen muss ich während des Flugs im Kopf kalkulieren. Außerdem wird unsere Firma Cosmic Incorporated heißen“, murmelte Rhodan.
„Protest. Wie wäre es mit General Cosmic Company?“, wandte Manoli ein.
„Auch nicht schlecht“, meinte Bull. „General Cosmic Company. Das hat was.“
***
Die Landung in der Wüste Gobi erfolgte dank des überlegenen, von Doktor Peterson entwickelten Antriebs beinahe auf den Punkt genau an jener Stelle, die sich Perry Rhodan ausgeschaut hatte. So exakt, dass sich Reginald Bull schnell fragte, wie lange Plan B schon existierte.
Nachdem der Lander aufgesetzt hatte, schnallte sich Rhodan ab und sah die anderen drei Männer im Landungsboot der Stardust nachdenklich an. „Crest von Zoltral, willkommen auf der Erde. Bully und Eric, willkommen im Exil.“
„Musst du eigentlich jeden historischen Moment so verwässern?“, tadelte der rothaarige Captain.
„Ich bemühe mich.“ Perry Rhodan sah in die Runde. „Bully, nur wir beide haben bisher die arkonidische Datenimplikationsschulung erhalten. Bitte richte die Anlage für Eric her. Aber belasse es bei dem Anfangsprogramm. Wir wollen unser Glück nicht überreizen. Danach baue bitte den Energieschirm auf, den uns Thora überlassen hat. Anschließend schnappe dir einen Deflektor, deine Waffen und einen arkonidischen Einsatzanzug und hol Doktor Haggard aus Australien ab.“
„Aha. Und was machst du, während Eric das arkonidische Wissen erhält und ich nach Australien fliege?“
„Was sollte ich schon machen? Ich richte es uns hier etwa gemütlicher ein.“ Perry unterdrückte ein Auflachen und griff sich die mobile Einheit der Funkeinrichtung. Danach öffnete er die Schleuse und trat in die Wüste Gobi hinaus. Es war leidlich warm, die Gegend sah rau aus, aber hatte eine ganz eigene Atmosphäre.

Rhodan ging ein paar Schritte und wählte eine internationale Nummer. Während er das tat, riss er sich seine Majors-Abzeichen und den U.S. Space Force-Aufnäher von der Uniform.
„Homer? Perry Rhodan hier. Stell keine Fragen und höre mir jetzt einfach nur zu. Mach alles was Bully und ich haben sofort zu Geld. Und dann kauf bitte von der Asiatischen Föderation einen bestimmten Landstrich, dessen Koordinaten ich dir gleich übermitteln werde. Kauf es einfach, okay? Ich werde dir übrigens heute oder morgen eine Liste mit Dingen schicken, die du ebenfalls für uns kaufen sollst. Lass sie unauffällig in der Großstadt einlagern, die unserer Position am nächsten ist.
Was? Ja, es ist vielleicht wirklich eine gute Idee, NetSoft-Aktien abzustoßen.
Die Koordinaten übermittle ich dir gerade. Danke, Homer. Wie immer können wir uns auf dich verlassen.“
Rhodan legte auf und ließ seinen Blick über die Umgebung schweifen. Wenn alles so lief wie er es sich dachte, dann gehörte dieser Flecken Wüste bald ihm und Bully – fünfzig Quadratkilometer wertloses Geröll mitten im Niemandsland. Genau jene Spanne, die der arkonidische Energieschirm, den sie vom Mars mitgebracht hatten, maximal abdecken konnte.
Mit einem bedauernden Blick ließ Rhodan seine Rangabzeichen aus der Hand gleiten. Mit den U.S.A. hatte er damit endgültig gebrochen. Aber es war noch nie leicht gewesen das Richtige zu tun. Und das, was er, Bully und Eric fortan tun würden, war definitiv das Richtige.


7.
Trotz größter Geheimhaltung von Seiten der westlichen Welt machte sich die unglaubliche Neuigkeit schnell Bahn: Der Stardust-Lander hatte sich vor der Landung auf der Freedom vom Mutterschiff gelöst und war selbstständig in die Erdatmosphäre eingetaucht. Tausende Berichte von Hobby-Astronomen betätigten oder meldeten diesen Vorfall, und einige fähige Amateure präsentierten sogar eine Bahnberechnung nach Zentralasien, während die meisten westlichen Observatorien auffällig hartnäckig zu diesem Vorgang schwiegen. In Russland und der asiatischen Föderation jedoch wurde das Thema als mittlere Sensation aufgenommen. Schon sprachen die Chinesen vom Versagen der Supertechnik und versuchten auf diesem Wege einen Teil der Blamage wieder gut zu machen, welche sie im Rennen um den Mars erlitten hatten, während man in Russland laut darüber diskutierte, dass den amerikanischen und europäischen Medien kein Zugang zur Besatzung der Stardust gewährt wurde.
Von Seiten der U.S.A. wurde der Vorfall herunter gespielt. Man sprach von einem unbedeutenden Fehler, und das der Planetenlander unbemannt gewesen war, als der Fehler eingetreten war. Das Schweigen der Besatzung erklärten sie mit der Quarantäne und diversen, laufenden Untersuchungen, immerhin waren die sechs Männer und eine Frau im Kontakt mit dem Environment eines fremden Planeten gewesen.
Im Internet jedoch wurde vor allem eine Information in Foren, Blogs und Websites heiß diskutiert. Der Zielpunkt des Stardust-Landers lag in der Wüste Gobi, auf dem Gebiet der Asiatischen Föderation. Von Desertion der Besatzung über Entführung durch AF-Einsatzkräfte war so ziemlich jede Spekulation vertreten. Besondes wagemutige Zeitgenossen behaupteten schließlich sogar, der Lander wäre von Außerirdischen auf dem Mars übernommen worden, damit sie ungehindert zur Erde gelangen konnten. Diese Theorie fand großes Interesse, aber relativ wenig Verständnis.
***
An einem geheimen Ort mitten in einer Großstadt im ehrwürdigen Russland hatte sich eine illustre Runde eingefunden. Sie bestand aus drei der wichtigsten Menschen innerhalb der Grenzen des russischen Einflussbereichs.
An dem einsamen Tisch in dem schmucklosen Beton-Raum saßen die allmächtige Geheimdienstchefin Russlands, der Stellvertretende Direktor des mindestens ebenso mächtigen Großkonzerns Petrokon und der Staatspräsident der Russischen Föderation.
Ihr Zusammentreffen signalisierte höchste Wichtigkeit, dementsprechend streng war die Geheimhaltung gewesen. Jeder einzelne war in einem unauffälligen Mittelklassewagen eingetroffen und hatte nur einen Leibwächter mitgebracht. Lediglich eine Handvoll Agenten beschützten diesen Raum und das Gebäude in dem er sich befand. Es führten keine Leitungen und auch keine Lüftung in den Raum. Strom erzeugte eine der neuartigen Antimaterie-Batterien, die von der Geheimdienstchefin auf verschlungenen Wegen „erworben“ worden war, und ein modernes Filtersystem trennte Kohlendioxid wieder in Kohlenstoff und Sauerstoff. Dennoch roch die Luft schnell abgestanden. Aber alle drei waren zu sehr Profi, um sich davon beeinträchtigt zu sehen.
Tatjana Michalowna, die Chefin der SEP, sah ernst in die Runde. „Meine Herren, sicherlich haben sie schon in den Nachrichten gehört was passiert ist. Ich frage sie nun, wie sollen wir mit dieser Nachricht umgehen?“
Vladimir Tomisenkow, derzeit Staatspräsident der Russischen Föderation und damit einer der mächtigsten Männer dieses Planeten, neigte leicht das Haupt in Richtung Raskujan. „Bitte, Alexej Iwanowitsch. Wir würden zuerst gerne die Meinung von Petrokon hören.“
Der mächtigste Mann des Großkonzerns, der mit NetSoft um die Weltspitze stritt, räusperte sich vernehmlich. „Wie sie beide sicherlich wissen, arbeitet Petrokon daran, die hoch fortschrittlichen Erfindungen von Doktor Peterson in Besitz zu nehmen. Ob wir die nun kaufen werden oder mit Hilfe Ihrer Leute erhalten, Tatjana Maximowna, sei dahin gestellt. Die Stardust ist natürlich hoch interessant. Aber die Technologie auf der sie basiert wird uns in Kürze bekannt sein. Wir haben also kein Interesse an der Stardust selbst. Überdies handelt es sich bei dem Schiff, das in der Wüste Gobi gelandet ist, nur um das Landungsboot.“
„Hm“, machte Tomisenkow. Und wieder: „Hm.“
„Wir kennen nun die Sicht von Petrokon“, stellte die Geheimdienstchefin fest. „Bleibt die Frage, wie wir die Dinge sehen. Vor allem müssen wir uns fragen: Was hat Rhodan vor? Ihm muss doch klar sein, dass die Chinesen nichts lieber täten, als ihn in die Finger zu kriegen, um ihn in einem Schauprozess wegen seiner Rolle im Taiwan-Konflikt abzuurteilen.“
„Vielleicht hofft er auf ein faires Verfahren“, warf Tomisenkow ein. „Entschuldigen Sie den schlechten Witz.“
„Nein, der Einwand war berechtigt. Rhodans Profil beschreibt ihn durchaus als jemanden, der an das Gute im Menschen glaubt. In jedem Menschen. Einer wie er hätte wahrscheinlich sogar Nixon eine Chance gegeben sich zu rehabilitieren.“
„Machen wir uns nichts vor. Rhodan ist desertiert, und mit ihm Bull und Manoli. Alle drei sind… Exzellentes Menschenmaterial. Rhodan und Bull wurden von Leslie Pounder ausgebildet und in die Space Force übernommen, nachdem der General die Einrichtung gegründet hatte. Sie sind die Besten der Besten. Manoli ist ein hoch angesehener und mehrfach dotierter Mediziner. Seine Arbeiten über Vakuumverbrennungen, Dekompressionsverletzungen und Krebs, die lange Arbeit im Weltraum mit sich bringt, gehören zum State of the Art. Gerüchten zufolge hätte er in einem der kommenden Jahre Chancen auf den Nobelpreis für Medizin gehabt“, recherchierte Raskujan. „Ich habe also keinerlei Verständnis dafür, dass drei derart hoch qualifizierte, erfahrene Männer so mir nichts, dir nichts in die Wüste Gobi fliehen. Es hätte für mich Sinn ergeben, wenn sie nach Russland gekommen wären. Sogar die Zentren der Asiatische Föderation hätte ich verstanden. Die japanische Freihandelszone mit ihren Sonderrechten wäre ein sehr guter Ansatz gewesen. Oder meinetwegen ein blockfreies Land ohne Auslieferungsverträge. All das hätte nicht viel erklärt, aber ich würde dann Rhodan wenigstens nicht für einen Verrückten halten, der seinen König in ein Remis zu ziehen versucht, obwohl er noch Türme und Dame hat.“
„Das ist leicht erklärt. Wie Sie wissen, Alexej Iwanowitsch, befindet er sich zwar auf dem Territorium der AF, aber damit auch keine fünfzig Kilometer von unserer Grünen Grenze entfernt. Praktisch sitzt Rhodan mitten im Niemandsland.“ Tomisenkow räusperte sich vernehmlich. „Ich habe unsere Diplomaten vor Ort angewiesen mit ihm Kontakt aufzunehmen und ihm und seinen Leuten politisches Asyl anzubieten.“
„Ein kluger Schachzug“, lobte Michalowna. „Aber leider kein Plan, der Erfolg verspricht.“ Sie zog ein Dokument aus ihrer Aktentasche und reichte es den beiden Männern.
„Was ist das?“
„Das ist, Herr Staatspräsident, die Kopie eines amtlich gültigen Kaufvertrags zwischen der Asiatischen Föderation und einer Person namens Perry Rhodan. Der Vertrag bezieht sich auf etwas mehr als fünfzig Quadratkilometer pure Einöde in der Wüste Gobi.“
„Wollen Sie mir etwa sagen, Rhodan will sich auf Dauer in der Geröllwüste einrichten?“, blaffte Tomisenkow unbeherrscht. „Das ergibt doch keinen Sinn! Erst desertiert er, dann landet er zwischen uns und den Chinesen, und jetzt richtet er sich häuslich ein? Ist der Mann noch zu retten? Abgesehen davon, wo er sich befindet, können die Amis jederzeit mit ein paar Stratoklippern den Landeplatz aufsuchen und die Crew mit einem Kommandounternehmen einsacken. Das wäre zwar ein Bruch der Hoheitsrechte der AF und zudem eine Aktion gegen einen Privatmann, aber für ein, zwei Antimateriebatterien sind die Asiaten sicher bereit, ein Auge zu zu drücken und es als privaten Konflikt zu werten.“
Tatjana Michalowna sah in die Runde. Sie rang sich zu einem grinsen durch. „Oh, diese Aktion hat bereits stattgefunden. Ein NATO-Kommando der Krisen-Kräfte, ihrer Elite-Einheit, wurde von zwei Stratoklipper in die Wüste gebracht und hat dann versucht den Landeplatz zu überwältigen. Die Aktion erfolgte so schnell, dass ich vermuten muss, dass NetSoft und damit die NATO gewusst haben, dass Rhodan desertieren würde.“
„Und? Die Tatsache, dass wir hier sitzen und diskutieren bedeutet doch, dass sie keinen Erfolg hatten, oder?“
Die Russin lächelte kühl. „Nein, sie hatten keinen Erfolg. Sie kamen nicht einmal annähernd an den Lander der Stardust heran. Sie stießen auf eine Energieglocke, die ungefähr genau jene fünfzig Quadratkilometer bedeckt, die Rhodan käuflich erworben hat.“
„Energieglocke? Ist es NetSofts Technikern nun auch gelungen, das Landungsboot der Stardust mit einem Prallschirm auszurüsten?“
„Bitte, Alexej Iwanowitsch, ich habe von einem Energieschirm gesprochen. Ein Prallschirm, wie die Stardust ihn besitzt, ist ein effektiver Schild gegen Mikrometeoriten, kosmische Strahlung und dergleichen. Aber der Schild, der nun die Deserteure schützt, ist energetisch aufgeladen. Oder um es anders auszudrücken, er ist tödlich. Zum Glück hat die Einsatztruppe das gemerkt, bevor sie versucht hat, den Schirm mit Gewalt zu durchdringen. Ich bin sicher, ein paar von ihnen sind noch da draußen und beobachten Rhodan und seine Leute, aber das Gros ist bereits wieder abgeflogen.“
„Wann hatten Sie vor, uns das mitzuteilen, Tatjana Maximowna?“, tadelte der Stellvertretende Petrokon-Chef.
„Ich wollte zuerst einmal sehen ob sie zwei über ähnliche Informationen verfügen. Und vor allem welche Schlüsse sie daraus gezogen haben. Denn all das, Rhodans Landungsort und seine Desertation an sich, beginnen Sinn zu ergeben, wenn man sich diesen unerhört technologisch fortgeschrittenen Energieschirm ansieht.“ Wieder lächelte die Geheimdienstchefin kühl.
Tomisenkow starrte sie erschrocken an. „Er hat etwas auf dem Mars gefunden! Zum Beispiel diesen Schutzschild!“
„Diese Möglichkeit halte ich für wahrscheinlich.“ Raskujan räusperte sich vernehmlich. „Aber ich erkenne immer noch keinen Sinn in seiner Desertation. Rhodan muss sich doch bewusst sein, dass NetSoft ihn mit Geldern und Ehren überhäufen würde, wenn er mit einem solchen technologischen Wunderwerk zurück kommt.“
„Sicher. Was aber würden wir machen, wenn man uns plötzlich eine Defensiveinrichtung vor die Nase setzt, die auch als Waffe verwendet werden kann?“, wandte Michalowna ein. „Würden wir nicht versuchen, ebenfalls in den Besitz dieses Schirms zu kommen? Und wenn das nicht gelingt, alles daran zu setzen, damit er niemals zum Einsatz kommt? Stellen sie sich vor, meine Herren, dieser Schirm und was weiß ich was Rhodan noch vom Mars mitgebracht hat, wäre jetzt in der Hand von NetSoft.“
„Das wäre ein Albtraum“, hauchte Raskujan erschrocken.
„Stattdessen ist Rhodan jetzt im Niemandsland zwischen Russland und China gelandet, auf einem Flecken Erde, den er über einen Londoner Mittelsmann hat erwerben lassen. Und da sitzt er jetzt und spielt mit seiner technischen Einrichtung.“
„Mir ist noch weniger klar, was dieser Mann vor hat. Warum bringt er diese Spielereien überhaupt mit, wenn er nicht vor hat, sie einem Staat oder einer Organisation zu übergeben, die damit etwas anfangen kann? Was wird er tun? Eine vierte Großmacht gründen und die Welt übernehmen?“
„Seien Sie nicht albern, Vladimir Andrejewitsch. Ein Mann wie Rhodan würde eher versuchen, die Technologie davor zu bewahren, von einem Moloch wie NetSoft ausgeschlachtet zu werden. Oder von Petrokon.“
„Das war nicht nett, Tatjana Maximowna. Alles, was Petrokon tut, geschieht zum Wohle Russlands und damit zum Wohle der Welt.“
„Ja, ja, was auch immer. Aber ich glaube wirklich, Perry Akopowitsch ist ein Altruist. Und dieser Altruist hat eine unglaubliche Macht auf dem Mars gefunden und bewahrt sie nun davor, in die Hände von Misanthropen zu gelangen.“
„Das ist ja alles schön und gut, Tatjana Maximowna“, erwiderte Raskujan, noch immer leicht verstimmt. „Aber Rhodans Absichten bewegen die Welt womöglich weniger als seine Taten. Und seine letzte Tat war aus der U.S. Space Force zu desertieren und auf dem Gebiet der Asiatischen Föderation zu landen, wo er mit fremder Hochtechnologie herum spielt. Selbst wenn die Amerikaner und die NATO nicht glauben, dass Rhodan – oder meinetwegen Perry Akopowitsch – zu uns oder den AF desertiert ist, so werden sie doch auch nicht zulassen, dass diese Technologie in fremde Hände fällt. Das mag genau das sein, wogegen sich Perry Akopowitsch gerade wappnet. Aber er hat ja gar keine Ahnung, was ihm noch bevorsteht. Der schlimmste anzunehmende Fall wäre, dass die so genannte Freie Welt versucht, die Energiekuppel mit Hilfe einer Atombombe zu vernichten.“
Tomisenkow erbleichte. Sein Gesicht war aschfahl. „Wir würden zurück schießen müssen. Und wie die Chinesen reagieren, auf deren Gebiet die Rakete gerichtet ist, mag ich mir gar nicht vorstellen.“
„Aber das Beste kommt noch. Was denken Sie, wird ein Clifford Cliffordowitsch Monterny tun, wenn sich ihm und seinem NetSoft-Konzern die Chance auf Hochtechnologie bietet, die seine Vormachtstellung in der Welt auf Jahrzehnte, ja, Jahrhunderte zementiert? Werden wir Zeuge von seinem Spezialkommando? Und was noch wichtiger ist, ist Perry Akopowitsch dafür bereit?“
„Herr Staatspräsident, abgesehen davon dass ein möglicher Atomschlag und ein daraus resultierender atomarer Weltkrieg im Moment wichtiger ist, gibt es einen Punkt, den wir auch nicht außer Acht lassen dürfen: Da wo Perry Akopowitsch diese Technologie her hat, gibt es womöglich noch weit mehr. Eventuell so viel mehr, dass sich der Bau eigener Raumschiffe lohnen würde“, sagte die Geheimdienstdirektorin ernst.
„Hm. Ja. Aber zuerst müssen wir verhindern, dass Clifford Cliffordowitsch vollendete Tatsachen schafft.“
„Einspruch, Vladimir Andrejewitsch. Wir müssen verhindern, dass die Chinesen vollendete Tatsachen schaffen.“ Der Vize-Direktor von Petrokon sah ernst von einem zum anderen. „Es tut beinahe weh das zu sagen, aber Perry Akopowitsch nützt uns und der Welt im Moment am meisten, wenn er unter seiner Kuppel sitzt, und auch dort bleibt. Wir brauchen dringend Zeit, mehr Informationen und eine ähnliche Technologie wie sie die AF besitzt, um selbst zum Mars fliegen zu können.“
„Wir werden mindestens ein Jahr brauchen, um eine eigene Expedition auszurüsten, egal ob sie auf dem Niveau der AF oder auf dem von NetSoft basiert.“
„Besser spät als nie, Tatjana Maximowna“, konterte Raskujan. „Und bis es soweit ist, sollte jemand auf Perry Akopowitsch und seine verwegenen Leute aufpassen. Sind Sie nicht meiner Meinung, Vladimir Andrejewitsch?“
„Natürlich, Alexej Iwanowitsch.“ Der Staatspräsident räusperte sich. „Direktorin Michalowna, ich ordne hiermit an, dass Sie alles daran setzen, den derzeitigen Status Quo aufrecht zu erhalten. Seien Sie Perry Akopowitschs Schutzengel, solange bis wir uns anders entscheiden.“
„Das trifft sich gut. Denn ich habe gerade einen sehr fähigen Ingenieur zu einem  Wassergewinnungsprojekt, welches wir in der Region betreiben, abgestellt. Es findet am Goshun-See statt, der in der Nähe der strahlenden Kuppel zu finden ist.“
„Hat dieser Ingenieur auch einen Namen?“
„Natürlich hat er den. Peter Pjotrwitsch Kosnow.“
„Der Peter Kosnow? Sie setzen Ihren zweitbesten Mann auf die Mission an?“
„Ich empfand die Mission als sehr wichtig. Und solange wir nicht wissen, wie die AF reagieren wird, sollten unsere fähigsten Leute vor Ort sein. Das schließt auch die Spezialisten Goratschin ein, den ich auf unserer Seite der Grenze in Reserve halten werde, bis wir sie brauchen, Alexej Iwanowitsch.“
„Ich spreche mich gegen den Einsatz von Iwan und Iwanowitsch Goratschin aus. Sie sind wichtiger Bestandteil unseres Anti-Raketenschirms und…“
„Ihnen stehen weiterhin sämtliche Informationen zur Verfügung, Vladimir Andrejewitsch. Keine Sorge, ich bin nicht dumm.“
„Das hat auch niemand behauptet. Aber Sie neigen zu Wagemut, Tatjana Maximowna. Zudem scheinen Sie Gefallen an unseren neuen besten Freund Perry Akopowitsch gefunden zu haben.“
„Nun, seine bloße Existenz in der Wüste Gobi wird dazu führen, dass ich wieder einmal in die Lage komme, mich mit Clifford Cliffordowitsch zu messen. Allein das ist schon mein Interesse wert.“
„Bis sich die AF einschaltet. Und nicht zu vergessen bis sich unser Freund Allan D. Mercant für den Fall interessiert. Mehr als er sicherlich ohnehin schon tut“, schloss Raskujan.
„Sicherlich. Direktor Mercant ist immer für eine Überraschung gut. Dass er mitten im ewigen Eis sitzt, kühlt seinen Kopf ganz außerordentlich.“  Tomisenkow räusperte sich. „Dann lautet unsere Maxime bis auf Weiteres: Achtet auf den Himmel, achtet auf die Asiatische Föderation.“ Mit diesen Worten erhob sich der Staatspräsident und schloss damit die geheime Sitzung.
***
Fast fünftausend Kilometer entfernt spielte sich eine ähnliche Szene ab, wenngleich sie weit weniger dramatisch war. In einem großen Saal, der einem Pendanten in der Verbotenen Stadt entsprach, hielten sich beinahe fünfzig Leute auf. Wissenschaftler, Soldaten, Geheimdienstagenten, Politiker, und was die AF noch an wichtigen Menschen aufzubieten vermochte.
Im Hintergrund lehnten zwei junge Leute und beobachteten das Treiben aufmerksam. Ein dritter trat hinzu und verteilte Kaffee. „Sind sie immer noch am reden?“, fragte Tako Kakuta spöttisch.
Li Tschai-Tung nahm den Becher mit dem schwarzen Inhalt dankbar entgegen. „Wie man es nimmt. Es kommt eben nicht alle Tage vor, dass der Mann, der das Rennen zum Mars gewonnen hat, nun auf dem eigenen Staatsgebiet landet und sich dort vollkommen isoliert.“
„Vollkommen isoliert trifft es nicht“, wandte Ishi Matsu ein, die einzige Frau in der Runde. „Immerhin hat Rhodan das Land, auf dem er seine Strahlende Kuppel errichtet hat, käuflich erworben. Alleine über diesen Umstand reden sie sich nun die Köpfe heiß. Der letzte Vorschlag lautete, Rhodan wegen illegaler Einreise festnehmen zu lassen und den Lander der Stardust zu konfiszieren. Aber selbst dazu können sie sich nicht durchringen, da nicht feststeht, was eher stattfand – das illegale Eindringen in den Luftraum der Föderation oder der Erwerb des Grund und Bodens in der Wüste Gobi.“
„Immerhin planen sie nicht, den Lander atomar einzuäschern“, wandte Li frustriert ein. „Noch nicht.“
„Sie können sich einfach nicht einig werden, wie sie die kleine Gruppe um Rhodan behandeln. Ihr erstes Angebot ihnen Asyl zu geben wurde bereits wieder verworfen, denn das hätte bedeutet, den Antrag auf Haftbefehl gegen Major Rhodan am Internationalen Gerichtshof wieder zurückzunehmen, und dieser Gesichtsverlust wäre immens, nachdem uns Rhodan bereits beim Rennen um den Mars geschlagen hat.“ Ishi Matsu lächelte leicht. „Haushoch.“
„Oho, Vorsicht, kleine Chrysanthemenblüte, was du da aussprichst könnte dir schnell als Hochverrat ausgelegt werden, Spezialabteilung hin, Spezialabteilung her.“
„Keine Sorge“, sagte Kakuta. „Ich werde es nicht sofort gegen sie verwenden. Vielleicht später, wenn es mir mehr nützt, erpresse ich sie mit meinem Wissen.“
„Tako-kun, du bist unmöglich“, tadelte Ishi ihren Vorgesetzten.
„Was habe ich denn gesagt? Ich bin mir keiner Schuld bewusst.“
Li Tschai-Tung schmunzelte dazu. Ich bin mir keiner Schuld bewusst, das war das Credo der Spezialabteilung des Geheimdienst AFI. Es umschrieb ihre Fähigkeit, nahezu keine Spuren zu hinterlassen. Diese junge Gruppe bestand aus den besten, fähigsten oder wie im Fall der beiden Japaner Kakuta und Matsu begabtesten Individuen, die in der Asiatischen Föderation zu finden waren. Entstanden aus einer Spezialeinheit, die maßgeblich am Sturz der Kommunistischen Partei beteiligt gewesen war und entscheidend an der Formierung der Asiatischen Föderation mitgewirkt hatte, war sie heute die absolute Elite des Geheimdienst AFI.
„Kinder, Kinder“, mischte sich Li ein. „Wenn ihr spielen wollt, tut das bitte woanders. Tatsache ist aber, dass der Schlächter von Taiwan und sein gewissenloser Gefolgsmann zum greifen nahe auf asiatischem Gebiet, ja, auf chinesischem Gebiet gelandet ist. Eine reife Frucht, die wir nur noch pflücken müssen, um die zehntausenden Bürger zu rächen, die von der Hand der beiden gestorben sind.“
„Hast du nicht gerade gesagt, wir sollen mit dem spielen aufhören, Tung? Und dann kramst du solch olle Kamellen hervor“, tadelte Kakuta.
„Vorsicht. Dein Status als Japaner schützt dich nicht vor den Internen“, tadelte Li grinsend. „Dir könnte die Deportation in die Freihandelszone Japan drohen.“
„Oh Hilfe, ich fange gleich an zu zittern. Dann müsste ich Rinderbauch ja wieder gegen Sushi und Natto eintauschen.“
„Bitte redet nicht von Sushi. Da kriege ich Hunger“, meinte die junge Japanerin mit einem Seufzen. „Ich… Moment, Jungs, da passiert was!“
Li Tschai-Tung richtete sich sofort aus seiner laxen Haltung auf. Ishi Matsu war nicht einfach nur eine von diesen etwas zu klein geratenen Japanerinnen, sie war auch Mitglied der Spezialtruppe. Es war weniger ihre hohe Intelligenz, die sie in diese Einheit gebracht hatte. Es war vielmehr ihre spezielle Begabung, die sie auch jetzt gerade einsetzte – ihre Fähigkeit, die Gedanken anderer Menschen zu lesen. Und im Moment stand ein Gedanke wie ein großes Fragezeichen über dem Konferenztisch, so als würden alle ihn zugleich denken.
„Oh nein, das wusste ich nicht. Das wusste ich wirklich nicht“, hauchte sie ergriffen und wäre beinahe gestürzt, wenn Li und Kakuta nicht zugegriffen hätten.
„Was ist denn, Ishi? Schmeißen die Amerikaner jetzt etwa mit Bomben?“, scherzte ihr Landsmann.
„Danke, es geht schon wieder. Nein, ihr werdet es gleich hören.“

General Tai Tiang erhob sich. „Wollen Sie uns damit etwa sagen, die Minzhudangyuán war nicht das erste Schiff, das wir zum Mars geschickt haben, Direktorin Li?“
Die alte Frau am Stirnende nickte. „Tatsache ist, dass wir vor einem Vierteljahr die Hong Jingang, die Roter Stern, ausgesandt haben, um im Geheimen den Boden für die eigentliche Operation vorzubereiten. Das Schiff hatte lediglich den Auftrag, den Mars mehrfach zu umrunden und den Nachschub über der Landezone abzuwerfen. Es war unbemannt. Der Kontakt zur Hong Jingang brach nach der ersten Umkreisung ab und konnte nicht wiederhergestellt werden. Als Folge haben wir die Minzhudangyuán mit atomaren Waffen aufgerüstet. Das Schiff hat, falls es bedroht wird, die Erlaubnis zu feuern.“ Sie erhob sich und sah sehr ernst in die Runde der Generäle, Politiker und Geheimdienstoffiziere. „Tatsache ist, dass auf dem Mars etwas existiert, was unser Raumschiff vernichtet hat. Tatsache ist auch, dass die NATO für beinahe vier Tage jeden Kontakt mit Rhodans Stardust verloren hat. Aber Rhodan hat sich wieder gemeldet und ist zurückgeflogen, die Hong Jingang nicht. Mein Geheimdienst hat herausgefunden, dass Rhodan ein natürliches Phänomen angegeben hat, welches in Interferenz mit seinem Prallschirm getreten ist. Aber das ist Unsinn, denn wir kennen ja das Schicksal unseres Raumschiffs. Fakt ist, was immer dort unten auf dem Mars ist oder war, Rhodan hat es jetzt. Oder zumindest einen Teil davon. Wie wir am Schicksal der Hong Jingang sehen konnten, sind wir nicht in der Lage es zu erhalten, also sollten wir es zerstören.“
Betretenes Schweigen antwortete der großen alten Frau des Geheimdienst.
„Und danach sollten wir uns darum kümmern, was Rhodan vom Mars mitgebracht hat.“
„Ist das die richtige Reihenfolge?“, wandte General Lao Tin-To ein. „Müssen wir uns nicht besser sofort um Rhodan kümmern? Lassen wir den ganzen Nonsens mit der Politik doch mal außen vor. Sehen wir der Realität ins Auge. Will irgendjemand hier an diesem Tisch, dass die Amerikaner, dass die NATO, ja, dass Clifford Monterny mit seinem NetSoft-Konzern seine Hand auf diese Technologie legen kann? Wir sollten Rhodan anbieten, mit uns zusammen zu arbeiten. Und wenn er es nicht freiwillig tut, dann zwingen wir ihn! Wir können es uns nicht leisten, die Existenz der Strahlenden Kuppel zu ignorieren, egal was die Juristen dazu sagen! Wir sollten jetzt und hier entweder diplomatischen Kontakt zu Rhodan aufnehmen, oder das Areal weiträumig sperren und diesen Amerikaner zwingen!“
„Und wie wollen Sie Rhodan zwingen, General Lao?“, fragte Direktorin Li.
Der General sah zur Seite und winkte herrisch in Richtung von Li Tschai-Tung.
Der junge Leutnant stieß sich von der Wand ab und kam interessiert näher.
„Sehen sie sich ihn an. Ein kleiner Leutnant, der widerwillig dem Wink eines Drei Sterne-Generals folgt, der zudem noch immer seine Kaffeetasse in der Hand hält. Warum macht er das? Warum traut er sich das? Weil er der Beste ist. Weil er zur Spezialtruppe gehört. Deshalb sage ich, wenn es jemanden geben kann, der Rhodan besiegen, überzeugen oder wenigstens isolieren kann, dann ist es Ihr Enkel, Direktorin Li. Schicken Sie Li Tschai-Tung und die Spezialtruppe in den Einsatz. Jetzt.“
Die alte Frau senkte ihren Blick nachdenklich auf den Leutnant. „Sie haben den General gehört. Mobilisieren Sie Ihre Einheit. Nehmen Sie mit, wen immer Sie für nötig erachten.“
Li stellte den Kaffeebecher ab und salutierte ernst. „Sofort, Frau Direktorin.“ Danach winkte er Ishi Matsu und Tako Kakuta zu sich.
„Damit aber nicht genug, General Lao. Wir werden den Geheimdiensteinsatz abdecken müssen. Vor Rhodan, vor den Russen und vor NetSoft. Ich schlage vor, wir verlegen die Nordwestarmee in Richtung Goshun-See und beginnen damit, die Strahlende Kuppel einzukesseln. Einwände?“
„Nein, das wäre mein nächster Vorschlag gewesen, Direktorin Li. Ich selbst werde den Oberbefehl übernehmen. General Tai, halten Sie die internationale Lage im Auge.“
„Das werde ich.“
„Sollten wir nicht vorher das Parlament informieren?“
„Wir treffen hier militärische Entscheidungen, keine zivilen. Ich wünsche keine Eingriffe in die Entscheidungsautonomie der Armee“, tadelte Lao streng. Dann sah er Li Tschai-Tung an. „Gehen Sie jetzt, mein Junge.“

Der Leutnant nickte und reichte Kakuta die Hand. Auch Ishi Matsu ergriff eine Hand des Japaners. „Bitte mach es nicht so schmerzhaft, ja, Tako-kun?“
„Ich weiß gar nicht was ihr immer habt“, erwiderte der Spezialist gut gelaunt. Als er zu beiden Körperkontakt hatte, verschwand er mit ihnen vor den Augen der Anwesenden. Nur ein leises Zischen, mit dem die Luft in das entstandene Vakuum trat, an dem sich zuvor noch drei Menschen befunden hatten, verriet, was hier gerade Unglaubliches vorgegangen war. Tako Kakuta beherrschte die Kunst der Teleportation, die Versetzung des Körpers alleine durch Gedankenkraft.
***
„Das ist also die Erde“, stellte Crest zufrieden fest, als er in die funkelnde Morgensonne hinaustrat. Die drei Erdenmenschen hatten seit der Landung einiges geschafft; die Zelte, die für den Mars gedacht waren, standen bereits, und sie waren besser als keine Unterkunft. Zudem war ein Großteil der Einsatzausrüstung, die Thora ihnen widerwillig zugestanden hatte, bereits sortiert worden. Und das Frühstück stand auf dem Tisch.
Genießerisch streckte sich der alte Mann. „Schön warm ist es hier. Beinahe wie auf Arkon.“
„Das ist nur tagsüber der Fall, und dann auch nur im Sommer“, lachte Bully, während er diverse Waffen auf einem Klapptisch ausbreitete. „Nachts kann man dabei zusehen wie eine Pfütze gefriert... Falls man in dieser trockenen Einöde Wasser findet. Perry, hätte es eine Südseeinsel nicht auch getan?“
„Meckere nicht, mach dich lieber fertig. Hast du alles beisammen?“
Stolz deutete der rothaarige Captain auf den Klapptisch. „Ich denke schon. Ein Kampfanzug arkonidischer Fertigung, ein Desintegratorstrahler, ein Hypnostrahler, ein Ortungsgerät, ein arkonidischer Kommunikator, eine Antigrav-Einheit. Das sollte alles gewesen sein. Zu futtern kaufe ich mir unterwegs.“
Interessiert trat der Arkonide näher. „Die Fähigkeiten des Kampfanzugs sind Ihnen noch im Gedächtnis, Reginald?“
„Natürlich. Oder ist Ihnen ein Fall bekannt, in dem ein Arkonide nach nur eine Woche etwas aus der Datenimplikationsschulung verlernt hat?“
„Nun, ein Arkonide nicht“, scherzte Crest. Als er Bullys bösen Blick sah, murmelte er eine Entschuldigung. „Da ist wohl der Arkonide mit mir durchgegangen. Es ist eine schlechte Angewohnheit. Aber wenn man an der Spitze der – wie hat Reginald das neulich so schön blumig ausgedrückt – Fresskette steht, dann färbt das wohl auf das Verhalten ab und man wird ein wenig arrogant und selbstüberzeugt.“
„Eigenschaften die Thora vortrefflich beschreiben“, kommentierte Rhodan bissig.
„Hast du es immer noch nicht verwunden, das sie unsere Synapsen mit einer siebenfachen Datenimplikationsschulung braten wollte?“, brummte Bull, während er die Anzugsysteme durch ging. „Externes Steuerpad für den Impulsantrieb. Deflektorschild. Schutzschirm. Seitentasche für die Handfeuerwaffen. Display für Ortung und Funk. Mit diesem Baby kann man notfalls auch ohne Schiff zum Mond fliegen.“
„Es geht mir nicht um das, was sie getan hat“, murmelte Perry. „Es geht mir eher um das, was sie noch tun wird. Oder besser gesagt nicht tun wird. Jetzt, wo NetSoft uns einen nachhaltigen Strich durch unsere Pläne gemacht hat, werden wir irgendwann auf ihre Hilfe angewiesen sein.“
Der hagere ehemalige Risikopilot sah den Arkoniden ernst an. „Crest, wie sehr schätzt Thora Sie persönlich?“
Der Arkonide runzelte die Stirn. „Sicherlich genug, um zu meiner Rettung zu eilen. Aber das ist etwas, was wir uns für den absoluten Notfall aufheben sollten. Thora ist jung und impulsiv. Sie neigt dazu, zu übertreiben. Die Familie hat ihr eine der besten Ausbildungen mitgegeben, die es im Imperium gibt, und sie hat die ARK SUMMIA bestanden. Deshalb stellt sie an sich selbst die höchsten Ansprüche und zögert nicht, das, was sie für richtig hält, auch durchzusetzen. Oder um es in Bullys blumigen Sprache zu sagen, Perry: Wenn Thora eingreift, fliegen auf der Erde die Fetzen.“
„Ich verstehe.“
„Ich mache mich dann mal auf den Weg“, brummte Bull. „Hat Homer das Zeug schon besorgt und eingelagert?“
Rhodan nickte. „Du findest alles in Jiuquan. GPS-Koordinaten der Halle habe ich aufgeschrieben, denn chinesisch kannst du ja wirklich nicht lesen. Steht alles mit auf dem Einkaufszettel: Nahrungsmittel, Fertigbauteile für Wohnungen, Artikel des täglichen Bedarfs, einen australischen Doktor und Koryphäen für Leukämie... Habe ich was vergessen?“
Crest hob die Rechte. „Ich will Ihnen nicht in Ihre Pläne rein reden, Perry, aber halten Sie es wirklich für eine so gute Idee, Reginald allein los zu schicken? Immerhin muss er es bis nach Australien schaffen, Doktor Haggard und einen Teil seiner Ausrüstung befördern, sowie all die Dinge transportieren, die Sie hier brauchen werden. Das kann er kaum alles mit einem Einsatzanzug transportieren. Haben Sie diesen Part der Mission auch gut durchdacht?“
„So dürfen Sie mit Perry nicht reden, Crest. Alles was er sagt und tut hat grundsätzlich Hand und Fuß. Oder anders ausgedrückt, es würde mich nicht wundern, wenn er im Moment bereits die Großstadt plant, die hier eines Tages stehen soll. Immerhin wollen wir mit der General Cosmic Company ganz groß ins Business der Weltenretter einsteigen, oder?“
Rhodan räusperte sich verlegen.
„Sehen Sie, Crest, ich wusste es. Wo soll denn die erste Werft hin, in der wir arkonidische Kugelschiffe nachbauen, Perry?“, scherzte Bully heiter.
Rhodan deutete auf ein Geröllfeld im Süden. „Dort, nahe dem Goshun-See. Wir werden während der Fabrikation Wasser brauchen.“
Reginald Bull sah seinen ehemaligen Vorgesetzten und besten Freund entsetzt an, bevor er ein kurzes, nervöses Gelächter hören ließ. „Ich habe es doch gesagt, er plant wirklich schon an der Stadt.“
„Stadt ist übertrieben. Für den Anfang vielleicht ein Dorf“, wandte Rhodan ein.
„Perry, es kommt nicht oft vor, aber manchmal machst du mir wirklich Angst.“ Der große Rotschopf schüttelte grinsend den Kopf und ging. „Ich bin dann mal weg. Zuerst raus aus der Gobi, dann durch das semi-autonome Tibet nach Nepal, da den Ganges runter und von dort Nonstop nach Australien. Dort werde ich am besten einen Stratoklipper kaufen oder mieten, um das ganze Zeug her schaffen zu können. Ich habe diese Babies schon viel zu lange nicht mehr geflogen. Die Adresse von Haggard hast du mir doch aufgeschrieben, Perry?“
„Steht alles auf der Einkaufsliste“, erwiderte der ehemalige Risikopilot der Space Force.
„Ist Bully schon weg?“, rief Eric Manoli von den Zelten herüber. „Da ich ihn bei Doktor Haggard nicht ankündigen darf, wollte ich ihm ein Empfehlungsschreiben mitgeben.“
„Es ist auch besser so. Wir sind desertiert, und alle unsere Kontakte werden fortan überwacht werden. Auch dein Kontakt mit Haggard. Wir müssen die Geheimdienste der Welt nicht mit Gewalt drauf stoßen, worauf wir aus sind“, sagte Perry ernst. „Es ist schlimm genug, dass sie jetzt Flip haben.“
„Meinst du es geht ihm gut?“ Manoli runzelte die Stirn. „Ich meine, wenn sie die Stardust gestürmt haben, sie werden ihn doch wohl zu seiner Familie lassen?“
„Ich weiß es nicht“, sagte Rhodan betreten. „Verdammt. Das ist mein einziger Fehler in dieser Geschichte. Und der kann zwei guten Leuten das Leben kosten.“
„Du meinst, sie haben ihn in der Mangel? Aber er ist doch ein Held der ersten Marslandung.“
„Helden der ersten Marslandung stehen im Moment nicht gerade hoch im Kurs, wenn drei Viertel von ihnen in die Asiatische Föderation geflohen sind“, erwiderte Rhodan mit einem Anflug von Bitterkeit in der Stimme. „Verdammt, Flip, ich hätte dich mitnehmen sollen. Notfalls gegen deinen Willen.“
Manoli legte eine Hand schwer auf Rhodans Schulter. „Mach dir nicht so viele Sorgen. Er ist ein Schützling vom alten Leslie. Und der achtet auf seine Jungs.“
„Auch ein Vier Sterne-General hat es schwer gegen NetSoft“, erwiderte Rhodan bitter. „Bully macht sich gerade fertig. Du kannst ihn noch einholen, Eric. Ach, und sag ihm, er soll den Energieschirm nicht gerade dort verlassen, wo sich die Krisenkräfte der NATO ihre Beobachtungspunkte eingerichtet haben. Wenn sie sehen, dass sich der Schirm für einen Hauch von Nichts öffnet, lässt sie das nur spekulieren.“
„Du denkst auch wirklich an alles, oder? Manchmal machst du...“
„Manchmal mache ich dir Angst, ich weiß. Das hat Bully schon zu mir gesagt“, erwiderte Rhodan mit einem dünnen Lächeln.
„Nein, ehrfürchtig. Manchmal machst du mich wirklich ehrfürchtig. Du denkst an alles, Perry.“
Rhodan sah den Arzt erstaunt an. Dann aber brummte er unwirsch, als er an Clark Flipper denken musste. „An fast alles.“
„Es wird sich alles finden.“ Zumindest Eric Manoli schien von dem was er sagte überzeugt zu sein.
„Wirklich, ich finde euch Menschen mit jedem Tag interessanter. Und ich bin auch sicher, dass sich alles finden wird, Perry“, sagte Crest mit einem geheimnisvollen Lächeln.
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