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Die Herrschaft des Phönix

Kurzbeschreibung
GeschichteDrama / P16 / Gen
Gordon B. Smith Samuel Hirschmann
19.08.2009
28.09.2010
27
114.525
 
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19.08.2009 5.519
 
Im Planungsbüro von VEGA Metropolis – der halb zivilen Raumfahrtbehörde – ging es an diesem Morgen noch ein wenig hektischer zu als üblich. Der Direktor hatte sich angeblich zu seinem Jahresurlaub verabschiedet und Professor Bogdan Tarnowski im allgemeinen Chaos zurückgelassen, das auch vor den Ingenieursbüros nicht halt machte. Aber Tarnowski war kein Mensch, der sich von seinen Kollegen aus der Ruhe bringen ließ, er beachtete die Unruhe um sich herum noch nicht einmal. Seine Gedanken galten an diesem Morgen wie auch in den letzten Monaten nur einem Projekt, seinem Lebenswerk, wie er immer sagte. Mit Stolz betrachtete Tarnowski die letzten Testberichte von Delta VII, die vor ihm lagen. Das Schiff erfüllte selbst die kühnsten Erwartungen seiner Konstrukteure, so schnell und belastbar es war und Harris, der Commander, hatte sich auch rasch als eine gute Wahl für die Leitung der Mission erwiesen. Er arbeitete zuverlässig wie immer uns sorgte dafür, dass die Crew nicht auf abenteuerliche Gedanken kam. Die Planung sah vor, dass Delta VII erst einmal im inneren Sonnensystem erprobt werden und erst nach erfolgreichem Abschluss der Tests den Durchbruch zu den Planeten jenseits des Kuipergürtels wagen sollte. Tarnowski hatte aber bestes Verständnis für das Bedürfnis der Crew, sich auch einmal Jupiter und Saturn aus der Nähe ansehen zu wollen, aber da selbst ein schnelles Schiff wie die Delta VII unter günstigen Bedingungen immer noch etwa 250 Tage zum Saturn unterwegs sein würde, oder immer noch über hundert Tage bis zum Jupiter, erschien das Risiko noch zu groß, um es mit einem Prototypen einzugehen. Nicht auszudenken, wenn dem Schiff ein Unglück zustieße! Beim heutigen Stand der Technik hätte man niemals rechtzeitig ein Rettungsteam zusammenstellen können. Also begnügte man sich mit Testflügen in Reichweite der beiden von Menschen bewohnten Planeten.
Tarnowski gönnte sich ein wenig Stolz auf seine Arbeit. Delta VII war so etwas wie ein Ziehkind für ihn, ein persönlicher Triumph innerhalb seiner Laufbahn. Nicht alles an dem Schiff entstammte seinem wissenschaftlichen Verstand, aber zumindest den Antrieb hatte er entwickelt. Als VEGA mit dem Bau des Schiffes begonnen hatte, war für ihn ein Traum in Erfüllung gegangen: Noch zu seinen Lebzeiten würde die Besiedelung weiterer Planeten möglich werden, die den Menschen nicht nur neuen Lebensraum boten, sondern auch ungeahnte wissenschaftliche Erkenntnisse. Vielleicht, so wagte er zu träumen, würde die Delta Klasse eines Tages so weit ausgereift sein, dass die Menschheit auch andere Sonnensysteme in realistischer Zeit erreichen konnte. Aber auch mit Delta VII lag der nächste Stern immer noch die unglaubliche Reisezeit von 19000 Jahren entfernt... aber träumen durfte er schließlich.
Seine Kollegen warfen Tarnowski ohnehin hin und wieder – wenn auch nur im Scherz – vor, er lebe nicht ganz in dieser Welt, womit sie nicht ganz unrecht hatten. Er liebte seinen Beruf und konnte sich auch nichts anderes vorstellen, als an seinem Computer Konstruktionspläne und Verbesserungsideen auszuarbeiten. Die Welt außerhalb seines Büros existierte für ihn nur dann, wenn eines der Schiffe auf der Rampe landete und er einen verzückten Blick darauf werfen konnte. Sogar das Essen vergaß er oft, es sei denn, einer der anderen Ingenieure oder Informatiker erinnerte ihn daran.
Tarnowski seufzte zufrieden und klickte gerade die Testberichte vom Bildschirm, als die Leiterin der Informatikabteilung in sein Büro stürzte. Üblicherweise bewegte sich Lavinia Drosczek nicht so eilig auf ihren Pumps durch die Gänge des Gebäudes, aber heute machte sie einen überaus nervösen Eindruck. Die Tschechin mit den attraktiven blonden Locken, die sogar Tarnowski einen bewundernden Blick abnötigten, gehörte sonst zu den eher gelassenen Menschen, aber irgend etwas setzte sie heute unter Spannung.
„Tarnowski, wir müssen reden“, stellte sie fest.
„Gerne, jederzeit“, erwiderte der Wissenschaftler verwirrt.
Sie rückte sich einen Stuhl heran und ließ sich daraufplumpsen.“Haben Sie schon das neueste Gerücht gehört?“ fragte sie und fuhr ohne eine Antwort abzuwarten fort. „Die setzen uns einen neuen Chef vor die Nase.“
„Aber der Chef ist doch in Urlaub“, entgegnete Tarnowski erstaunt. Normalerweise interessierten ihn derlei Gerüchte nicht, aber Drosczek gehörte gewöhnlich auch nicht zu den Kollegen, die sinnlosen Tratsch verbreiteten.
„Alles nur ein Vorwand“, sagte Drosczek mit gesenkter Stimme. „Es heißt, er kommt so schnell nicht wieder. Außerdem kann ihn kein Mensch erreichen.“
„Vielleicht hat er was Neues?“ Personalfluktuation zählte nicht gerade zu den ungewöhnlichsten Vorfällen bei VEGA. Als halbstaatliche Institution zahlte die Gesellschaft zwar gute, aber keineswegs herausragende Gehälter. Es kam häufig vor, dass gute Techniker von der Privatwirtschaft abgeworben wurden. „Und warum machen Sie ein solches Geheimnis darum?“
Drosczek rollte mit den Augen. „Tarnowski, Sie leben wohl auf dem Mond“, sagte sie seufzend. „kriegen Sie denn gar nichts von dem mit, was außerhalb der Mauern unseres geliebten Tempels der Raumfahrt stattfindet?“
„Nur selten, muss ich zugeben.“ Wann hatte er das letzte Mal die Nachrichten gesehen? Vor zwei Wochen, oder war es gar schon zwei Monate her? Wenn er überhaupt einmal den Fernseher einschaltete, dann meist, um sich Wissenschaftsmagazine anzusehen, oder in Ausnahmefällen auch einmal einen alten Spielfilm. „Wieso? Was ist denn los? Ist ein Bürgerkrieg ausgebrochen oder hat eine Seuche die Menschheit vernichtet?“
„Soweit ist es zum Glück noch nicht gekommen. Aber es hat einen Regierungswechsel gegeben, und der wird auch für uns nicht ohne Folgen bleiben.“
Tarnowski setzte sich so hastig auf, dass ihm fast die Brille von der Nase fiel. „Oh, nein, sagen Sie mir jetzt nicht, wir kriegen die Forschungsgelder gestrichen, die Bellini uns endlich genehmigt hat! So ein Mist, wie sollen wir jetzt...“
Drosczek winkte ab. „Keine Angst, davon hat noch niemand etwas gesagt, aber es könnte sein, dass sich unsere Forschung demnächst etwas anders gestalten wird.“
Mit einem Seufzer der Erleichterung sank Tarnowski in seinen Stuhl zurück. Solange niemand auf die Idee kam, seinen Etat einzuschränken, war die Welt für ihn in Ordnung. Regierungen kamen und gingen, das änderte nur wenig am Lauf der Welt. Tarnowski interessierte sich nicht für Politik solange niemand die Arbeit der VEGA behinderte. Der damalige Präsident Hirschmann hatte in den frühen Sechzigern einmal geäußert, man solle mehr Geld für die Belange der Menschen auf der Erde aufwenden als es ins All zu schießen, das war ein Schock für ihn gewesen! Aber über diese Rückschritte waren sie doch längst hinaus, schon allein durch die fortschreitende Besiedelung der Venus, die interplanetare Versorgungslinien erforderte. Schnellere Schiffe, die Güter zwischen Mutter Erde und der neuen Heimat transportierten. „Aber das hört sich doch nicht schlecht an“, sagte er. „Vielleicht können wir so das Delta-Projekt schneller vorantreiben.“
„Das ist durchaus möglich.“ Dir Informatikerin nickte zustimmend, aber ihre Augen verengten sich zu zu kleinen, grimmigen Schlitzen. „Nur dass Ihr Traum von der Erforschung des Sonnensystems dann trotzdem noch ein wenig warten muss. Die Rüstungsindustrie hat nämlich ein Auge auf Ihr Baby geworfen, ein äußerst begehrliches Auge. Unser neuer Chef – wenn das Gerücht denn stimmt – kommt nämlich direkt aus einer Filiale der Ammotec in Madrid zu uns, in die er sich in den letzten sieben Jahre verkrochen hatte. Klingelt es bei Ihnen, Tarnowski? A-m-m-o-t-e-c Madrid?“ Sie betonte jeden Buchstaben, als spräche sie zu einem Schwerhörigen.
Der Professor zuckte die Schultern und wartete auf weitere Erklärungen. Der Name der Firma kam ihm vage bekannt vor, aber er verband keine konkreten Vorstellungen damit. „Ich habe den Namen der Firma schon einmal gehört, aber viel fällt mir dazu nicht ein. Aber wir haben doch schon oft für die Militärs neue Schiffe getestet, viel dürfte sich also nicht ändern.“
„Was sagt Ihnen der Name Smith, Professor?“ fragte Drosczek, der Verzweifelung nahe. Tarnowski sah ihrem Blick an, dass sie ihn für vollkommen verblödet hielt.
„Das ist doch dieser Irre, der vor sieben Jahren einen Krieg mit den VOR vom Zaun brechen wollte“, sagte Tarnowski, stolz etwas aus dem Weltgeschehen der letzten Jahre im Kopf behalten zu haben. „Der ist doch weggesperrt.“ In seinem Kopf legte sich ein unsichtbarer Schalter um, plötzlich fiel ihm wieder ein, wo er den Namen der Firma schon einmal gehört hatte. „Stimmt, Smith hat damals Waffen von denen eingesetzt. Wie hieß doch gleich dieser Wissenschaftler, der das Teufelszeug entwickelt hat? Es war doch ein Spanier, sagen Sie nichts, ich komme gleich drauf....Segovia, wie die Stadt, ja, das war sein Name. Und was hat das jetzt mit uns zu tun? Smith ist im Knast und mit Segovia ging es auch seitdem bergab. Er konnte froh sein, dass Ammotec ihn auf irgend einem untergeordneten Posten weiter beschäftigt hat, sonst wäre er jetzt arbeitslos.“
„Irrtum, Tarnowski“, rief Drosczek triumphierend. „Ein paar Genies haben Smith vor ein paar Wochen aus dem Gefängnis geholt und seit heute Nachmittag landen seine Laserbatterien an den Ufern der Stadt. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis hier die ersten Soldaten auftauchen, um VEGA zu übernehmen. Und da das Und nun Sie, Tarnowski: Wer mag wohl unser neuer Direktor sein?“
„Sie machen Witze, Drosczek! Der Mann versteht so viel von Raumfahrt wie ich von moderner Architektur! Was soll der bei uns?“
„Das frage ich mich auch. Aber mir fallen keine sinnvollen Antworten ein. Es sei denn, der neue Machthaber hat ein reges Interesse an Ihrem Baby und möchte es für seine Zwecke adoptieren.“
„Das werde ich auf keinen Fall zulassen!“ rief Tarnowski aufgebracht. „Eher werde ich die Pläne in den Müll werfen!“
Vor seinem inneren Auge zerstoben die Träume von der Erforschung des Weltraums, von der Besiedelung der äußeren Planeten und von fernen Sternen, welche die von ihm erdachten Schiffe eines Tages erreichen sollten. Stattdessen sah er Kriegsschiffe vor sich, die sich mit der Flotte der VOR heftige Raumgefechte lieferten und dabei beschädigt oder gar zerstört wurden. Zerstört! Es war ihm unbegreiflich, warum Menschen auf die Idee kamen, diese Wunderwerke der Technik mutwillig der Politik zu opfern. Eine schlimmere Barbarei konnte er sich kaum vorstellen.
„Könnten Sie das wirklich in Erwägung ziehen, Tarnowski?“ Die Informatikerin nahm ihm beim Wort und lächelte erleichtert. „Dann sollten wir uns schon einmal überlegen, wie!“

***

Lavinia Drosczek beobachtete nachdenklich den Datenwürfel in ihrer Hand, ein durchsichtiges Gebilde das, wenn man es unter eine Lichtquelle hielt, in allen Regenbogenfarben schillerte. Der Würfel maß kaum zwei Zentimeter an den Seiten und speicherte dennoch eine enorme Datenmenge, bis zu 100 Terabyte an Konstruktionsplänen, 3D-Abbildungen und Testberichten. Zudem galt das Speichermedium als unzerstörbar, weder Laser noch Nuklearwaffen konnten ihm etwas anhaben. Die Erfinder hatten ein System entwickelt, aus dem nie wieder wichtige Daten verschwinden sollten und das auch noch in Tausenden von Jahren alle wichtigen Informationen preisgeben würde. Alle VEGA Techniker benutzten diese Kristallwürfel zum Abspeichern ihrer Forschungsergebnisse, um diese für die Ewigkeit zu erhalten. Leider erwies sich das nun als verhängnisvoll.
Der Würfel in Lavinia Drosczeks Hand enthielt alle technischen Daten von Delta VII, die dreidimensionalen Grafiken des Triebwerks, Informationen zu den verwendeten Materialien, sowie Schaltpläne und eine Liste der am Projekt beteiligten Zulieferbetriebe. Aus Sicherheitsgründen besaß keine dieser Firmen mehr als einen für ihre Arbeit wichtigen Ausschnitt der Daten, denn VEGA fürchtete nichts mehr als Industriespionage. Wären Einzelheiten des Projektes an die Konkurrenz oder gar die VOR durchgesickert, hätte das eine nicht einschätzbare finanzielle Katastrophe für das halbstaatliche Unternehmen bedeutet. Aber wer hatte schon damit rechnen können, dass die Daten einmal vor der eigenen Regierung, ja sogar vor dem eigenen Chef geheim gehalten werden müssten?
Drosczek und Tarnowski wussten genau, dass eine fristlose Kündigung die mildeste Konsequenz sein würde, wenn ihre kleine Aktion aufflog. Deshalb hatten sie auch niemanden in ihre Pläne eingeweiht. Offiziell prüfte Drosczek die Backup-Systeme der Konstruktionsabteilung auf ihre Verlässlichkeit, was zum Teil auch den Tatsachen entsprach. Sie suchte tatsächlich nach Kopien der Delta-Pläne in den einzelnen Subsystemen des VEGA-Zentralrechners, während sie sich den Kopf darüber zerbrach, wie man den Datenkristall doch noch zerstören konnte. Tarnowski fertigte zwischenzeitlich einen zweiten Würfel an, der eine Menge scheinbar wichtiger Details enthalten sollte, die einen Laien einige Zeit darüber hinwegtäuschen konnten dass er im Grunde nur Einzelheiten zu sehen bekam, die VEGA auch jeder Fachzeitschrift für technisch interessierte Laien zur Verfügung gestellt hätte. Damit das Ganze einen authentischen Anstrich bekam, hatte Drosczek dem Professor erklärt, wie er die Datumsanzeige der einzelnen Einträge fälschen konnte. Auch dies würde keiner genaueren Prüfung standhalten, aber der neue Chef musste ja erst einmal auf die Idee kommen, dass er eine Fälschung vor sich hatte.
Der neue Direktor der VEGA, Professor Juan Segovia, hatte gar nicht erst den Eindruck zu erwecken versucht, er interessiere sich für die Arbeit des Unternehmens. Seine Aufmerksamkeit galt einzig und allein dem Delta-Projekt. Zusammen mit zwei Ingenieuren der Ammotec Europe war er im VEGA Hauptgebäude erschienen, hatte sich den Abteilungsleitern kurz als der neue Direktor vorgestellt und sich dann in seinem Büro eingeschlossen. Schnell musste er begriffen haben, dass er als fachfremder Wissenschaftler allein nicht viel mit den Delta VII Dateien anfangen konnte und hatte Tarnowski zu sich beordert, der ihm die notwendigen Informationen zusammenstellen sollte. Ungewohnt geistesgegenwärtig hatte der Professor auf Zeit gespielt und den Direktor um eine Frist von 24 Stunden gebeten, von denen Segovia ihm fünf gewährte. Fünf Stunden, in denen sie sich etwas einfallen lassen mussten, und das unter den Augen auffällig vieler neuer Sicherheitsleute.
Drosczek suchte fieberhaft nach einer Lösung. Der Kristall blieb unzerstörbar, daran war nichts zu ändern. Zwar hätte sie die Daten oberflächlich löschen können, aber wenn Segovia ein paar Spezialisten daran setzte, würden sie alles rekonstruieren können. Zudem sollte der neue Direktor ja nicht sofort herausfinden, dass er von ihnen betrogen wurde.
Es gab nur einen möglichen Ausweg, sie mussten den Kristall verschwinden lassen, das sollte bei der Größe des Würfels eigentlich kein Problem darstellen. Aber es musste schnell geschehen, bevor Segovia Verdacht schöpfte und das Haus auf den Kopf stellen ließ. Kurz erwog Drosczek, den Würfel einfach in ihre Handtasche zu stecken und so aus dem Gebäude hinauszubringen, verwarf diese Idee aber schnell wieder. Das Sicherheitspersonal konnte jederzeit von ihr verlangen, die Tasche zu öffnen und dabei würde der Speicherkristall ihnen sofort auffallen. Drosczek war bereit, ihren Job zu riskieren, um zu verhindern, dass Segovia die Daten in die Hand bekam, aber sie war keine Märtyrerin. Allein die Vorstellung, welche Anklage sich der Direktor für sie einfallen lassen würde, ließ sie vorsichtig werden. Es gehörte nicht viel Fantasie dazu, sich vorzustellen, wie er toben würde und mit ihm sein alter Weggefährte im Verteidigungsministerium, der sehnsüchtig auf den Bericht des Professors wartete.
Ihre Gedankengänge wurden vom Besuch eines Büroboten unterbrochen, ein junger Student, der sich ein bisschen Geld mit diesem Job verdiente. Er stellte ein paar kleinere Päckchen vor ihr ab, Probelieferungen von einigen kleinen Hardware-Herstellern, mit denen VEGA hin und wieder zusammenarbeitete. Zerstreut unterschrieb Drosczek auf dem Datenblock und warf einen flüchtigen Blick auf die kleinen Pappschachteln. Plötzlich kam ihr eine Idee.

***

Die Männer in Segovias Büro waren eindeutig keine Ingenieure, sondern Angehörige einer paramilitärischen Spezialeinheit, soviel erkannte sogar der weltfremde Tarnowski. Er wusste sie nicht zuzuordnen, brachte ihnen aber von Anfang an kein Vertrauen entgegen. Seiner Einschätzung nach waren es grobschlächtige Kerle, die weder etwas von seiner Arbeit verstanden noch etwas mit seinen Unterlagen anfangen konnten. Segovia konnte sie nur zu einem einzigen Zweck herbeigerufen haben: Er wollte ihm nahelegen, keine Täuschungsmanöver zu versuchen, da diese unweigerlich zu unangenehmen Konsequenzen führen würden. Tarnowski wagte sich nicht auszumalen, wie diese aussehen könnten. Segovia schien etwas zu ahnen, zwar konnte er keinen konkreten Verdacht äußern, aber er wusste genau, dass Tarnowski seine Geheimnisse nicht ohne weiteres preisgeben würde. Lange konnte es nicht mehr dauern, bis er den ihm übergebenen Datenwürfel als Fälschung enttarnte. Der Wissenschaftler wurde ungeduldig, stand er selbst etwa auch unter Druck? Es war offensichtlich, dass Smith hinter dieser Umbesetzung im VEGA-Direktorium steckte und auf die vollkommene Verstaatlichung des Unternehmens drängte, um sämtliche hier entwickelte Prototypen für das Militär zugänglich zu machen. Mit den Raumschiffen der strategischen Raumflotte stand es nicht zum Besten, manche Firma, die Handelskontakte zur Venus unterhielt, besaß schnellere Schiffe als die Armee. Segovia als Repräsentant des Generals sollte diesen Zustand wohl so schnell wie möglich beheben, notfalls mit enormen Druck auf die Angestellten.
Auf der Projektionsfläche des Schreibtisches erschienen einige so beeindruckende wie nichtssagende Pläne von Delta VII, die viel über die Möglichkeiten des Schiffes verrieten, aber nur wenig Einblick in die wichtigen Systeme boten. Tarnowski hatte diese Darstellungen aus einer Präsentation entnommen, welche die PR-Abteilung der VEGA für potentielle Interessenten am Delta Programm entwickelt hatte. Da diese Werbebroschüre bisher nicht öffentlich zugänglich gewesen war, hoffte er darauf, dass Segovia die Täuschung nicht allzu schnell durchschaute. Wie weit mochte Drosczek mit der Vernichtung der Originalpläne sein?
„Bisher haben Sie sich ja nicht als besonders kooperativ erweisen, Professor Tarnowski“, Segovia warf einen viel versprechenden Blick auf die projizierten Pläne. „Aber das ist doch schon einmal ein guter Anfang. Wenn Sie uns nun noch ein paar Spezifikationen des Antriebs mit teilen könnten, würde ich meinen Ansprechpartnern im Ministerium einen positiven Bericht über Sie zukommen lassen.“
Tarnowski erschrak, auch wenn es ihm gelang, sich nach außen hin zu beherrschen. Zwar schien Segovia noch nicht zu ahnen, dass er bewusst hintergangen wurde, aber er war auch nicht dumm genug zu glauben, ihm seien alle wichtigen Informationen bereits zur Verfügung gestellt worden. Innerlich bebte Tarnowski vor Furcht, er hatte noch nie in seinem Leben so taktieren müssen wie heute. „Ich gebe zu, Sie halten hier erst einmal eine Zusammenfassung der wichtigsten Daten in Händen, ich arbeite noch daran, Ihnen weitere Details zum Antrieb zusammenzustellen.“ Tarnowski räusperte sich. „Es ist nicht ganz einfach, die Daten aus den verschiedenen Produktionsabteilungen wieder zusammenzubringen.“
„Wollen Sie mir damit sagen, dass es keine Gesamtakte Delta VII gibt?“ Segovias Ton wurde deutlich drohender. „Ich kann das nicht recht glauben, Herr Kollege.“
„Und dennoch ist es so, werter Professor“, Tarnowski begann zu schwitzen und wischte sich mit seinem Taschentuch ein paar Schweißperlen von der Stirn. „VEGA Sicherheitspolitik, Sie werden verstehen, schließlich wollten wir außen stehenden Konkurrenten den Datenraub nicht zu einfach machen.“ Er wunderte sich über sich selbst, wie leicht ihm die Lüge von den Lippen ging und beschloss, noch dicker aufzutragen. „Sie wissen, wie sehr auch Peking an einem Langstreckenschiff interessiert ist, wir konnten nicht vorsichtig genug sein.“
„Ihre Umsicht ehrt Sie“, erwiderte Segovia in versöhnlicherem Ton. „Aber sie ist natürlich im Moment eine sehr ärgerliche Bremse für unsere Arbeit. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich schätze Ihre Vorgehensweise prinzipiell, aber VEGA sollte doch nicht gegen die neue Regierung arbeiten, oder?“
„Das ist nicht meine Absicht, Professor, ich bitte Sie nur darum, mir noch etwas mehr Zeit zu gewähren. Ihr Ansinnen traf mich ein wenig unvorbereitet.“ Tarnowski straffte sich. „Morgen könnte ich...“
„Warum nur habe ich das Gefühl, dass Sie auf Zeit spielen, Tarnowski?“ Der andere beugte sich weit über die Platte seines Schreibtisches vor, die bereits eine Plakette mit seinem Namen trug. „Sie verbergen doch etwas vor mir!“
„Warum sollte ich das tun?“ Tarnowski gab sich unschuldig. „Nichts ist mir lieber als ein Förderer meiner Raumfahrtprogramme, und dies ist der neue Regierungschef, wie ich annehme, ohne Zweifel. Es gibt keinen Grund, ihm etwas vorzuenthalten.“
„Jedermann weiß, dass ich Waffentechniker bin und kein Physiker, also in manchen technischen Dingen leicht zu täuschen. Es gibt Gerüchte, dass gewisse Kreise bei VEGA sehr daran interessiert sind, es dem Verteidigungsministerium möglichst schwer zu machen“, Segovia fuchtelte mit der Hand in dem Hologramm herum, als wolle er eine Fliege vertreiben. „Es heißt, dass teils wirtschaftliche Erwägungen hinter dieser unkooperativen Handlung stehen – die Industrie würde sicherlich mehr für die Delta Reihe zahlen können als der Staat – aber auch gewisse Ressentiments der neuen Regierungsmannschaft gegenüber, vor allem was General Smith angeht. Sie wurden mir nicht als politischer Mensch geschildert, aber es heißt, Sie hätten eine gewisse Abneigung gegen die Arbeit in militärischen Projekten – ich würde gern hören, wie Sie selbst zu diesem Gerücht stehen.“
Tarnowski wischte sich mit der flachen Hand über die Stirn, um ein paar Schweißtropfen zu entfernen. Der neue Direktor hatte einen wunden Punkt getroffen und würde jede Lüge sofort durchschauen. Fast schien es Tarnowski, als wollten auch Segovias Begleiter sich bei einer unbequemen Antwort unverzüglich auf ihn stützen und warteten nur auf eine günstige Gelegenheit. Er entschied sich für eine Halbwahrheit. „Ich hege keine Abneigung gegen den General an sich“, fuhr er fort, „aber wissen Sie, die Schiffe, die ich mit entwickelt habe, sind so etwas für mich wie meine Kinder. Es ist mir ein Gräuel, sie in Raumgefechten mit den VOR beschädigt oder gar zerstört zu wissen.“
„Ihre Sentimentalität in allen Ehren, Tarnowski, aber dieses Opfer werden Sie wohl bringen müssen.“ Segovia ließ sich mit einem Seufzer gegen die Rückenlehne seines Sessels sinken. „Oder wollen Sie sich ins politische Abseits stellen? Der General hat große Pläne mit dieser Organisation! Nun, wenigstens waren Sie ehrlich mit mir.“
„Das war ich von Anfang an, Professor Segovia.“ Wenigstens hatte er jetzt Gewissheit, der General stand hinter alledem, das machte ihm die Vorstellung leichter, dass die Ergebnisse von Jahren harter Arbeit vernichtet werden mussten. Smith stand für nichts Gutes, das war sogar ihm bewusst. „Und ich plane auch keinen Akt der Sabotage gegen das Ministerium – was Sie vor sich sehen, ist das Ergebnis monatelanger Arbeit.“ Der PR-Abteilung...fügte er für sich hinzu.
„Professor, nehmen Sie es mir nicht übel, aber ich würde gerne noch eine Kollegin von Ihnen zu Rate ziehen“, Segovia winkte einen seiner Gorillas zu sich heran. „Holen Sie uns doch einmal diese Lavinia Drosczek her, die kann uns doch bestimmt durch das Gewirr dieser Dateien hindurch helfen.“
Tarnowski atmete einmal tief ein und hoffte, Lavinia würde ihren Part des Jobs inzwischen erledigt haben.

***

Lavinia Drosczek hatte ihren PC etwa zehn Minuten nach dem offiziellen Dienstschluss abgeschaltet, sehr früh für ihre Verhältnisse, aber nicht zu früh, um Misstrauen zu erregen. Mit Mantel und Handtasche – die trotz des Risikos einen gewissen Datenwürfel beinhaltete – war sie aus dem VEGA-Gebäude geschlendert, als sei nichts geschehen und hatte versucht den Eindruck einer Frau zu erwecken, die sich auf einen lang ersehnten Stadtbummel freut. Zufrieden sah sie noch einmal die Mail an, die ihr den beantragten Urlaub gewährte, ein Tag nur, aber der reichte aus um der Verwandtschaft in Prag einen kurzen Besuch abzustatten, wie sie ihren Kollegen anvertraut hatte. Dies mit der Bitte, nichts davon weiterzuerzählen, weil sie nicht gestört werden wollte, was geradezu eine Garantie dafür war, dass das ganze Haus bereits Bescheid wußte. Sogar das  Sicherheitspersonal hatte sie nach einer kurzen Überprüfung passieren lassen.
Nun saß sie in ihrem Hopper und nahm Kurs auf ihre Heimatstadt, ausgerüstet mit einer legalen interkontinentalen Fluglizenz. Um keinen Verdacht zu erregen, hielt sie sich gerade so weit an das Tempolimit, wie es jeder andere Fahrer auch getan hätte, der noch im Toleranzbereich der Überschreitung bleiben wollte. Metropolis lag hinter ihr, sie konnte die silbernen Türme der Stadt, durchsetzt mit Flecken saftigen Grüns, wo Dachgärten wuchsen, auf dem Rückmonitor noch deutlich sehen, doch die Silhouette schmolz immer mehr zu einem silbernen Fleck am rückwärtigen Horizont dahin, angestrahlt von der Sonne in einem wolkenlosen Himmel. In wenigen Minuten würde sie gar nicht mehr zu sehen sein, stattdessen würde zunächst die nordafrikanische Küste vor ihr liegen, bis sie auf den vorgeschrieben Kurs über Südeuropa einschwenken konnte. In den letzten Jahrzehnten hatte der private Flugverkehr stark zugenommen, so dass man nicht mehr jeden beliebigen Kurs fliegen durfte sondern sich an eine vorgegebene, im Voraus angemeldete Route halten musste. Drosczek hielt sich penibel daran, war doch der offizielle Zweck ihrer Reise ein Familienbesuch. Unter ihr lagen die Wellen des Atlantiks, hin uns wieder sah sie einen schweren Tanker oder ein Containerschiff unter sich, das schwere Lasten, die für den Flugverkehr zu voluminös waren, auf dem Seeweg in die Hauptstadt brachte.
Sie wusste noch nicht genau, wie sie ihren Plan in die Tat umsetzen sollte, aber es musste ihr bald etwas einfallen, so lange sie noch über der offenen See flog. Neben ihr auf dem Beifahrersitz lag ihre Handtasche mit dem Datenwürfel, den sie fein säuberlich in ihre Sandwichdose gepackt hatte. Dem Kristall machte es sicher nichts mehr aus, dass inzwischen einige Butterspuren an ihm klebten, aber ihr war nichts Gescheiteres eingefallen, um den Würfel aus dem Gelände zu schaffen. Glücklicherweise hatte Segovia noch nicht alle Wachmänner austauschen lassen, so dass der junge Mann, der sie seit einem Jahr kannte, ihre Tasche nur einer sehr oberflächlichen Kontrolle unterzog. Er hatte ihr zum Abschied sogar einen angenehmen Urlaub gewünscht und sich für die Durchsuchung entschuldigt, aber Segovia bestehe eben darauf, da könne man nichts machen. Drosczek hatte sich ebenso freundlich entschuldigt, obwohl ihr das Herz bis zum Hals schlug. Zum Glück war keiner der neuen Beamten hinzugekommen, um sich wichtig zu tun und sie hatte das Gelände der VEGA ohne weitere Probleme verlassen können. Smiths Leute hatten ihre Positionen in der Stadt wohl doch noch nicht überall gefestigt, ihnen fehlte noch der Überblick, diese Tatsache war ihr zu Hilfe gekommen.
Und noch einmal kam ihr der Zufall zu Hilfe, denn an der Kontrolleinheit fing ein kleines Licht zu blinken an, das eine Störung in der Elektronik ankündigte. Nichts Gravierendes, wie sie als technisch versierte Frau wußte, sondern lediglich die Warnung vor eventuell auftretenden Störungen beim Empfang des Leitsignals. Man konnte den Kurs jederzeit durch manuellen Abruf der Daten aus dem satellitengesteuerten System korrigieren, aber Drosczek erhielt ihren Vorwand um die Geschwindigkeit des Hoppers zu drosseln, bis er schließlich etwa zehn Meter über der Wasseroberfläche schwebend zum Stillstand kam. Das Meer war aufgewühlt wie oft, die Wellen reichten manchmal fast an die Unterseite des kleinen Flugzeugs heran und der Wind schüttelte es ordentlich durch, aber das konnte Drosczek nur Recht sein. Salzwasser spritzte an die Fenster, aber auch das machte Drosczek nichts aus.
Sie öffnete ihre Tasche und nahm die Sandwichdose heraus, in der sie den Datenkristall versteckt hielt. Mit spitzen Fingern holte sie ihn zwischen zwei Butterbroten, die noch vom Morgen übrig waren – sie hatte vor Aufregung nichts essen können – heraus. Dann drückte sie den Knopf für die manuelle Scheibenentriegelung und seufzte. Das Ergebnis monate- ja, jahrelanger Arbeit lag in ihren Händen, alle zum Nachbau von Delta VII notwendigen technischen Dateien, die je bei VEGA angelegt worden waren als Sicherungsbackup. Tarnowski würde das Herz bluten, aber auch er hatte letztendlich eingesehen, dass es keinen anderen Weg als diesen Schritt gab. Alle anderen Daten hatte sie inzwischen sorgsam gelöscht, nur dieser Kristall enthielt die kostbaren Informationen, für die Segovia und Smith bereit waren, über Leichen zu gehen.
Eine leise, angenehme Computerstimme kündigte an, dass jemand den Hopper über Funk rief. Drosczek ignorierte es und fuhr das Seitenfenster gerade so weit auf, dass der Würfel durch den Schlitz passte. Der Wind wehte salziges Wasser in den Hopper hinein, das den Beifahrersitz verräterisch durchnässte. Drosczek plante, nach einer angemessenen Wartezeit den Rettungsdienst zu rufen und irgendetwas von einem Schaden zu erzählen, nun aber musste sie zunächst einmal ihren wirklich wichtigen Auftrag erfüllen, ohne den der gesamte Ausflug sinnlos würde. Sie warf einen Blick auf die unruhigen Wellen unter sich, die sich in dichten Schaumkronen auftürmten und es den Stabilisatoren des Hoppers schwer machten, das kleine Flugzeug gerade zu halten. Wie verzweifelt müssen wir sein, das zu tun, dachte sie sich, diese Daten buchstäblich über Bord zu werfen! Sie konnte nur hoffen, dass Tarnowski seine Sache gut machte und Segovia so lange wie möglich hinhielt.
Sie steckte die Hand mit dem Würfel durch den Fensterschlitz und öffnete sie. Der Würfel fiel hinab in die Wellen und verschwand sofort im Wasser. Die Leute des Generals würden das Meer nun schon mit einem Haarsieb durchkämmen müssen, um den Kristall wiederzufinden, wenn ihn nicht gar ein großer Fisch verschlang. Drosczek amüsierte sich einen Moment lang über diesen Gedanken, vielleicht würde der Würfel ja durch Zufall in irgend einem Fischrestaurant auftauchen, im Magen eines großen Thunfischs, der für einen Feinschmecker vorbereitet wurde. Der Koch würde nichts mit dem seltsamen Ding anzufangen wissen und es in den Müll entsorgen, von wo aus es eine weitere Odyssee antreten würde.
Der Bordfunk summte erneut. Erleichtert, den Würfel endlich los zu sein, fuhr Drosczek das Fenster wieder hoch und meldete sich. Eine aufgeregte weibliche Stimme verkündete ihr, der Direktor versuche schon seit einer halben Stunde, sie zu erreichen.
„Ich hatte eine kleine Panne mit meinem Hopper“, erwiderte sie möglichst ruhig, auch wenn sie einen kleinen Anflug von Panik verspürte. Tarnowski würde doch wohl hoffentlich nichts verraten haben? „Außerdem trete ich gerade meinen Kurzurlaub an. Hat es denn nicht bis übermorgen Zeit?“
„Der Direktor sagt, es ist außerordentlich dringend“, sagte die Frau aufgeregt. „Er braucht Ihre Mithilfe beim Delta Projekt.“
„Aber ich habe ihm doch bereits mit Professor Tarnowski alle Daten zusammengestellt“, Drosczek versuchte, wie eine normale, entnervte Angestellte zu klingen, welcher der Chef lästige Überstunden nachträgt. „Was ist denn noch?“
„Die Daten sind wohl nicht vollständig“, die Frau wurde immer nervöser. Offensichtlich war ihr nahe gelegt worden, Drosczek in jedem Fall herbei zu schaffen, „deshalb hat der Direktor Ihren Urlaub gestrichen, Sie sollen sofort zurückkommen.“
In diesem Moment sah Drosczek etwas anderes, beunruhigendes auf einem der Bildschirme, zwei leuchtende Punkte, die auf ihren Hopper zuhielten. Sie versuchte sich einzureden, es wäre eine Patrouille des Pannendienstes, aber deren Fahrzeuge waren gewöhnlich allein unterwegs. Segovia schickte ihr Besuch, sie konnte jetzt nur noch auf Zeit spielen. „Hören Sie“, sagte sie möglichst arrogant, „mein Urlaub war genehmigt und ich werde ihn antreten, egal, was der Direktor sagt. Auf Wiedersehen!“
Ihre Angst, begann sich in Panik zu verwandeln, was sollte sie tun? Die Reichweite ihres Hoppers genügte vollauf, um das neutrale Australien zu erreichen, aber auf dem Weg dorthin lauerten Dutzende bewaffnete Militärpatrouillen, die ihr Fluggerät mühelos aufbringen konnten. Sie beschloss also, sich zunächst einmal unwissend zu stellen und ihren Weg nach Prag fortzusetzen, vielleicht erwies es sich ja tatsächlich als Zufall, dass sich die beiden Hopper ihr näherten, auch wenn sie nach dem Anruf nicht mehr daran glaubte. Mit einem entschlossenen Druck auf den Schubregler brachte sie ihr Fluggerät auf die übliche Reisehöhe zurück, so ruckartig, dass ihr die Ohren taub wurden. Schnell hatte sie ihr ursprüngliches Tempo wieder erreicht, auch wenn sie versucht war, vollen Schub zu geben, wagte sie es nicht, um keinen Verdacht zu erregen. Noch war sie in den Augen ihrer Verfolger eine wütende Angestellte, die sich der Anordnung ihres Chefs widersetzte. Aber die beiden Punkte kamen rasch näher, viel zu rasch, sie würden sie eingeholt haben noch bevor sie sich über der afrikanischen Küste befand.
Einer der Hopper begann sie über Funk zu rufen. „Lavinia Drosczek, drosseln Sie augenblicklich Ihr Triebwerk, wir haben Befehl, Sie nach Metropolis zurück zu geleiten.“
„Was fällt Ihnen ein?“ fragte Drosczek mit dem Mut der Verzweifelung. „Wer gibt Ihnen das Recht, mich zu verfolgen?“
„Uns liegt eine Order aus dem Verteidigungsministerium vor, Madam.“ Die Hopper waren jetzt so nahe heran, dass Drosczek sie deutlich auf dem Monitor erkennen konnte. Bald würden sie direkt hinter ihr sein. „Sie stehen unter Verdacht, regierungseigene Daten gestohlen und an die VOR übermittelt zu haben.“
„Ich habe nichts an die VOR übermittelt!“ protestierte sie und gab nun doch zusätzlichen Schub. Irgendetwas bewog sie, das Festland zu erreichen, bevor die anderen Piloten sie erreichten. Binnen weniger Sekunden hatte sie ihren Hopper auf Höchstgeschwindigkeit beschleunigt, und vor ihr nahm die afrikanische Küste rasch Form an. Wenn sie etwas nicht wollte, war es diesen Männern fern des Festlandes ausgeliefert zu sein. Auch wenn ihr dort niemand helfen konnte, wollte sie erreichen, dass Augenzeugen von diesem unglaublichen Vorgehen erfuhren – sie sollte mitten im Frieden wegen eines Spionagedeliktes verhaftet werden, das sie nicht begangen hatte.
„Madam, seien Sie doch vernünftig!“ Der Mann schien ihre Absicht zu erahnen. „Ersparen Sie sich und uns den Ärger, radikalere Maßnahmen einleiten zu müssen!“
Drosczek geriet mehr und mehr in Panik, die Männer waren zu allem entschlossen, das spürte sie. Mehr zu sich selbst sprach sie einen unflätigen Fluch aus, der aber über das Mikro bei ihren Verfolgern ankam. Mit ungeahnten Folgen, denn plötzlich ging ein scharfer Ruck durch den Hopper, der wie von einer starken Bö geschüttelt hin und her schwankte. Sie konnte ihn kaum noch auf Kurs halten. Es dauerte einen Moment bis sie begriff, was vor sich ging, erst als das Fluggerät ein zweites Mal getroffen wurde, wurde es ihr klar: Die anderen Hopper nahmen sie unter Laserbeschuss! Zwar nicht mit voller Energie, offensichtlich sollte sie nicht getötet werden, aber stark genug, um ihr genug Schaden zuzufügen, damit sie landen musste. Der Hopper ächzte bereits jetzt in allen Verbänden, und irgendwo stank es nach geschmortem Kunststoff. Entsetzt nahm sie den Schub zurück, ihr Mut war für heute aufgebraucht.
„Es ist schon gut!“ rief sie schrill ins Mikrofon. „Ich folge Ihnen ja, aber bitte hören Sie mit dem Beschuss auf.“
Es folgte noch ein weiterer Schuss, aber der sollte wohl nur noch zur Einschüchterung dienen. Drosczek ergab sich voller Angst und folgte den Piloten nach Metropolis zurück.

Am Landeplatz warteten sie bereits auf sie, drei Beamte der neu geschaffenen  III. Abteilung in einem Dienstwagen mit verdunkelten Scheiben. Drosczek wusste nicht, was sie in ihrem Gewahrsam erwartete, sie wusste nur, dass sie ihre Mission erfüllt hatte. Der Speicherwürfel mit den Daten von Delta VII lag intakt, aber vollkommen unerreichbar auf dem Grund des Atlantiks, vielleicht würde irgendjemand ihn in einigen Jahren dort finden, aber das würde purer Zufall sein und vor allem viel zu spät. In der Zwischenzeit würden neue Raumschiffe entwickelt worden sein, Raumschiffe, die schneller und besser waren als Delta VII, aber für den Moment war es ihr gelungen, dem General den Zugriff auf die Pläne zu entziehen, nur das zählte.
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