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Die Herrschaft des Phönix

Kurzbeschreibung
GeschichteDrama / P16 / Gen
Gordon B. Smith Samuel Hirschmann
19.08.2009
28.09.2010
27
114.525
 
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19.08.2009 3.842
 
Der General gönnte sich einen Moment ganz privaten und persönlichen Triumphs, nachdem er die Videobotschaft angesehen hatte, die ihm sein Adjutant überbracht hatte, auch wenn das Zimmer um ihn herum vor Geschäftigkeit summte. Eine vertrauliche Botschaft von Präsident Hirschmann, die aber nur zu bald offiziell werden würde. Mit einem erleichterten Seufzer wählte Smith erneute Wiedergabe und sah sich das Video noch einmal an. Er konnte die Worte des greisen Mannes nicht oft genug hören. Geistesabwesend kraulte er seinen Collie, der neben ihm auf den Hinterbeinen saß und ließ sich von ihm die Hand ablecken. Wären nur alle so leicht im Umgang wie dieses Tier, dachte er.
„... kann ich im Interesse der Bevölkerung nicht umhin, mich Ihren Drohungen zu beugen, General.“ Das Gesicht des Präsidenten wirkte erschöpft und noch einmal um Jahre gealtert. Sein graues Haar lag wirr um seinen Kopf. „Ich tue das keineswegs, weil ich Ihrem Programm in irgendeinem Punkt zustimme und habe mir die Entscheidung nicht leicht gemacht. Aber mein Beraterstab und ich sind nach langen Gesprächen zu dem Schluss gekommen, dass es keinen Sinn macht, einen verlorenen Krieg noch weiterzuführen und weitere Menschenleben zu opfern. Daher kann ich nichts anders tun als mich auf Ihr Versprechen zu verlassen, dass Sie die unbescholtenen Bürger der Hauptstadt und der übrigen EAAU unbehelligt lassen werden. Ich appelliere an Ihr Verantwortungsgefühl, General, und kann Sie in meiner jetzigen Position nur noch bitten, die Rechte der Bürger uneingeschränkt zu respektieren. Es liegt mir aufgrund der derzeitigen Lage fern, Ihnen irgendwelche Bedingungen zu stellen, aber ich richte die eindringliche Bitte an Sie, das Leben und die Unversehrtheit der Menschen in dieser Republik zu garantieren, damit ich Ihnen die Hauptstadt guten Gewissens zu treuen Händen übergeben kann.“
Der General lächelte spöttisch. Als wenn Hirschmann noch in der Position wäre, Forderungen an ihn zu stellen. Aber der flehentliche Ton des Präsidenten gefiel ihm, erfüllte ihn mit einem tiefen Gefühl der Befriedigung. Dutzende Gelegenheiten fielen ihm ein, bei denen er damals vor Hirschmann hatte zu Kreuze kriechen müssen, weil seine Vorgesetzten – der Chef der Generalität und die Verteidigungsministerin – es  von ihm verlangten. Und immer war Hirschmann so entsetzlich gütig gewesen, nahezu widerwärtig gütig. So hatte der alte Mann ihn immer wieder in die Defensive gedrängt, ihn gedemütigt und ihn als Idioten dastehen lassen. Als jemanden, der keinen Respekt vor den Werten der EAAU hatte. Dabei war es Hirschmann gewesen, der die Interessen des Staates verraten und verkauft hatte. An die Feinde der EAAU in Asien, denen er in unzähligen Gesprächen Honig ums Maul geschmiert hatte. Ein Skandal in Smiths Augen, aber die Bevölkerung hatte ihm dafür zugejubelt. Leider war das ein Grund dafür, warum man das Regierungsviertel samt Hirschmann nicht einfach in die Luft hatte sprengen können, an dem alten Mann kam man doch nicht ganz vorbei. Der General musste zumindest zum Schein auf ihn eingehen und ihn mit Respekt behandeln. Die Menschen mochten ihn, den militärischen Befehlshaber zwar fürchten, aber Hirschmann liebten sie. Vielleicht ließ es sich bewerkstelligen, dass etwas von dieser Liebe auf ihn abfärbte.
Smith blickte nachdenklich auf das gerahmte Foto auf seinem Schreibtisch, das ihn an seinem Hochzeitstag vor sieben Jahren zeigte. Obwohl es auch der Tag seiner Abreise ins Exil gewesen war, hatte diese Hochzeit ihm wenigstens ein kurzfristiges Glück beschert. Dann hatten seine Feinde Emma ermordet, heimtückisch ermordet. Diesen Schock hatte er bis auf den heutigen Tag nicht verwunden und sich geschworen, er würde ihre Mörder ausfindig machen, sobald er wieder frei war. Emma hatte ihm so unglaublich viel bedeutet, mehr als er je hätte in Worte fassen können. Noch immer erinnerte er sich an ihren Duft, ihre weiche Haut und ihr schönes Haar. Manchmal, wenn er etwas entschied, fragte er sich, wie sie wohl zu dieser Entscheidung gestanden hätte. Sie war ein außerordentlich gutmütiger Mensch gewesen, sanft und liebevoll. Sicherlich hätte sie ihm auch im Falle Hirschmann zu einem besonnenen Vorgehen geraten. Obwohl auch sie beim Militär gewesen war, hatte sie nur selten militärisch gedacht, vielleicht, weil sie nicht wie er von Kind auf im Kreise der Armee aufgewachsen war. Seine viel zu früh gefallenen Eltern – auch Opfer der gewaltigen Militärmacht im Osten – hatten ihn schon als Kind in einem Armeeinternat untergebracht, dort hatte man ihm schon von Kindesbeinen an den Sinn von Disziplin und Ordnung gelehrt. Trotz seiner Jugend hatten ihm seine Ausbilder nichts durchgehen lassen. Seine Fingerspitzen wanderten über das kühle Glas, welches die Fotografie im Rahmen bedeckte, und er gönnte sich einen kurzen sentimentalen Moment der Erinnerung. Bis ihm bewusst wurde, dass einer seiner Adjutanten schon eine Weile neben seinem Schreibtisch gestanden hatte und auf eine Entscheidung von ihm wartete.  
„Verzeihen Sie die Störung, Sir, aber haben Sie Ihre Entscheidung bezüglich der Antwort an Präsident Hirschmann schon getroffen?“
„Wir werden uns nicht lange mit Worten aufhalten, Desoto“, erwiderte Smith unwillig. Er hasste es, derart aus seinen Gedanken gerissen zu werden. „Stattdessen werden wir nun vorrücken, Metropolis wird uns keinen Widerstand mehr entgegensetzen. Ich werde unsere Truppen bald landen lassen.“
Es war ein Risiko gewesen, altmodische Flugzeugträger zu benutzen, um die schweren Laserbatterien zu verschiffen, diese Ungetüme waren einfach extrem langsam, gemessen an den heute üblichen Geschwindigkeiten. Aber Laserbatterien konnten nun einmal nicht schwimmen. Sie überwanden selbst schwierigstes Gelände mit ihren Antigravitationsaggregaten, Sümpfe, felsiges Gelände und auch flache Gewässer, aber der Atlantik setzte ihnen eine natürliche Barriere entgegen. Auch Hirschmanns Berater wussten um diesen Umstand, aber sie hatten wohl eher mit einem Angriff aus der Luft gerechnet. Ihn gefürchtet. Ein paar wohlgezielte KL-Geschosse hätten die Hauptstadt in Schutt und Asche gelegt. Aber das wollte Smith im Grunde nicht. Was bedeutete es schon, die EAAU zu regieren wenn nicht von Metropolis aus? Also hatte er die Laserbatterien verladen lassen und Hirschmann in dem Glauben gelassen, er würde die Stadt von oben angreifen. Mochten die Soldaten an den Radarschirmen in Metropolis sich wundern, warum plötzlich eine Flotte von wieder in Dienst genommenen Schiffen auf sie zuhielt. Das Timing war perfekt: Die Landung würde noch in der nächsten Stunde stattfinden, kurz nach Hirschmanns Kapitulation. Bald konnte auch Smith diese trostlose Insel verlassen und triumphal wie ein römischer Feldherr in der Hauptstadt einziehen. Auch wenn die Menschen ihm zunächst nicht ebenso zujubelten, sie würden nach und nach begreifen, dass es das beste für sie war, dass er nun die Regierungsgeschäfte führte. Und wenn sie es nicht begriffen, nun, dann gab es Mittel und Wege, es ihnen begreiflich zu machen.
Smith riss sich aus seinen Gedanken los und rief seinen Stab zu sich. Gleichzeitig ließ er sich auf einem Monitor an der Wand den Fortschritt der Truppenbewegungen anzeigen. Rote Pfeile zeigten die Position der Flugzeugträger an, die kurz vor der Hauptstadt standen. Es wurde Zeit für ihn, aufzubrechen und sein neues Amt anzunehmen.
„Kameraden“, begann er und blickte in die Runde, „wir sind am Ziel. Der Präsident hat kapituliert und uns die Hauptstadt übergeben. Schon heute Abend wird unsere Fahne über Metropolis wehen!“
Die Männer und Frauen, die sich um seinen Schreibtisch gruppiert hatten, applaudierten ihm frenetisch und riefen ihm ihre Glückwünsche zu. Smith wusste, wie sehr auch seine Offizier darunter gelitten hatten, auf dieser Insel im Nirgendwo festzusitzen. Die Spannung war in den letzten Tagen fast fühlbar geworden und wuchs mit jeder Stunde. In diesen Menschen brannte die Leidenschaft, etwas zu bewirken, was von hier aus einfach nicht ging. Dieser Provinzstützpunkt war kaum der Ort für Träume von Größe und Revolution. Auch seine Leute hatten ehrgeizige Pläne, und so lange sie mit seinen nicht konkurrierten, förderte der General diesen Ehrgeiz auch. Ihr Wunsch, voran zu kommen, konnte ihm nur Recht sein, umso mehr setzen sie sich für seine Sache ein. Einzig Isabel Montero wirkte ein wenig bedrückt, auch wenn sie ihm wie alle anderen gratuliert hatte. Es wunderte ihn nicht, hatte er ihr doch noch nicht definitiv zugesagt, sie mitzunehmen. Er schätzte sie sehr, sie war tüchtig und von rascher Auffassungsgabe, und tatsächlich hatte er einen Moment lang daran gedacht, sie hier zu lassen und ihr die Leitung des Stützpunkts zu übertragen. Dann aber hatte er sich gegen diese Option entschieden. Montero betete ihn an, aber diese Bewunderung war abhängig von seiner Gegenwart. Ließe er sie hier, würde ihr Engagement für seine Sache nach und nach im alltäglichen Frust über ihr Dasein auf Asinara dahin schmelzen. Also war es besser, die Dinge beim Alten zu belassen und diese Aufgabe weiterhin Johnson erledigen zu lassen. Dank der Zuwendung der medizinischen Abteilung war aus ihm ein recht passabler Soldat geworden.
„Lieutenant Montero, wie sieht es aus?“, wandte er sich lächelnd an sie. „Wie lange werden Sie wohl brauchen, um sich von Ihren Freunden zu verabschieden und Ihre Sachen zu packen?“
Sie bemühte sich tapfer, ihre Freude zu verbergen, aber ganz gelang es ihr nicht. Smith glaubte sogar zu bemerken, wie sie zu einem kleinen Hüpfer ansetzte, sich aber im letzten Moment beherrschte. „Nur ein paar Minuten, Sir“, erwiderte sie begeistert, „sicherlich nicht länger als eine Viertelstunde!“
„Nun gut, dann gehen Sie schon! Auch wir werden uns auf unseren Aufbruch vorbereiten!“ Der General hatte sich auch über sie Berichte erstellen lassen, daher hatte er Kenntnis von ihrem Mangel an Freundschaften, seitdem sie sich seiner Sache angeschlossen hatte. Viele Kameraden hatten sich von ihr zurückgezogen, mieden sie aus Angst, sie könne ihm kritische Äußerungen zutragen. Montero hatte sich nie über diesen Umstand beschwert, obwohl er ihr mehrmals angeboten hatte, sie könne mit ihm darüber sprechen, und er wusste, wie sehr sie unter dieser Situation litt. Nun, in diesem Punkt würde sie noch lernen müssen, offener zu ihm zu sein. Smith sah ihr nach, wie sie davon stob.
Am frühen Nachmittag bestieg er den schweren Kreuzer Ganymed, der ihn nach Metropolis bringen sollte. Der Raumkreuzer wurde flankiert von vier weiteren Schiffen, die seiner Sicherheit Rechnung tragen sollten. Der Erfolg hatte Smith nicht leichtsinnig gemacht, auch wenn ein Großteil der Raumflotte bereits hinter ihm und seiner Sache stand, so wollte er doch nicht das Risiko eingehen, von einem abgesprengten Geschwader angegriffen und ihm letzten Moment vor seiner Landung getötet zu werden.
Im Schiff ging es eng und stickig zu. Da es nur ein kurzer Flug werden sollte, waren an Bord so viele seiner Leute untergebracht, wie nur irgend möglich. Am Bug der Schiffe prangte bereits das neue Emblem der Reinigenden Flamme, ein blutrotes Symbol auf blauem Grund, welches das alte Logo der EAAU überdeckte.
Auch Montero flog bei ihm mit, auf dem Rücken einen Rucksack tragend und in der Hand eine Reisetasche aus Armeebeständen. Sie wirkte aufgedreht und fröhlich, als sehe sie einem wichtigen neuen Lebensabschnitt entgegen. Und das war es ja auch für sie. Smith hatte sich manchmal gefragt, was eine fähige junge Frau wie sie auf einen derart abgelegenen Stützpunkt verschlagen hatte. Manche Ausbilder hatten einfach keinen Blick für junge Talente.
„Nun, Lieutenant, haben Sie Ihre Zelte hier abgebrochen?“, fragte er sie freundlich.
„Ja, Sir. Obwohl da nicht viel abzubrechen war. Um die Wahrheit zu sagen, ich war sehr erleichtert, als Sie mir eröffnet haben, dass Sie mich mitnehmen.“
„Haben Sie denn daran gezweifelt?
„Sicher war ich mir natürlich nicht, auch wenn Sie bereits etwas angedeutet hatten. Aber ich habe es gehofft. Asinara war nicht gerade das, was ich mir erträumt habe, als ich zur Armee ging.“
„Als Ihr Vorgesetzter muss ich Sie jetzt natürlich zurechtweisen, ein guter Soldat akzeptiert selbstverständlich jeden Standort, dem er zugeteilt wird. Aber als Mensch habe ich sehr wohl Verständnis für Sie. Auch ich bin heilfroh, endlich wieder in die Stadt zu kommen. Asinara war für mich ein guter Startpunkt, aber jetzt zieht es mich mit aller Macht wieder nach Metropolis.“  
Sie nahmen im Cockpit in der zweiten Sitzreihe Platz, während vorn der Pilot letzte Startvorbereitungen traf. Smith schaute ihm kurz zu, betrachtete die vertrauten Handgriffe. Einst war er selbst Pilot bei der strategischen Raumflotte gewesen, bis einer seiner Ausbilder ihn für die höhere Offizierslaufbahn vorgeschlagen hatte. Auch wenn er gern an seine Zeit hinter dem Steuerpult zurückblickte, so hatte es das Schicksal eben anders mit ihm gewollt. Als General konnte er seine Ziele nun einmal besser erreichen als vom Pilotensessel aus. Aber seine Liebe zu schnellen Raumschiffen war ihm geblieben, was er wohl von seiner Mutter geerbt hatte, die eine begeisterte Pilotin gewesen war. Angeblich hatten ihre Vorgesetzten sie geradezu zwingen müssen am Boden zu bleiben, auch als ihre Schwangerschaft schon weit fortgeschritten war. So hätte er beinahe in einem Kreuzercockpit das Licht der Welt erblickt.
Er schnallte seine Gurte fest und warf auch einen kurzen Blick zu Montero hinüber, ab sie die ihren ordnungsgemäß angelegt hatte. Sie war sichtlich aufgeregt, so als habe sie keinen Atmosphärenflug vor sich, sondern eine Reise zu den unerforschten Außenbezirken des Sonnensystems. Manchmal erinnerte sie ihn ein wenig an Emma in ihrer Unerfahrenheit und Naivität. „Nervös?“, fragte er überflüssigerweise. „Keine Sorge, es ist doch nur ein kurzer Flug.“
„Ach, es ist nicht wegen des Fluges. Aber ehrlich gesagt, war ich schon lange nicht mehr in Metropolis. Nur als Kind einmal kurz mit meinen Eltern. Sie haben mich auf einen Tagesausflug mitgenommen, wir haben uns die ganze Stadt in fünf Stunden angesehen. Sie können sich vorstellen, dass da nicht viel bei mir hängen geblieben ist. Ich erinnere mich nur noch daran, dass mir abends die Füße schrecklich weh getan haben.“
Eigentlich hätte er sie dafür rügen müssen, ihm als Vorgesetzten unaufgefordert so viele private Dinge zu erzählen, aber er unterließ es. Solange ihre Disziplin und ihr Arbeitseifer nicht unter ein wenig persönlicher Nähe litten, sah er keinen Grund dazu. Außerdem mochte er sie, und das Gespräch lenkte ihn von seiner eigenen Anspannung ab. Nach außen gab er sich selbstsicher, aber er wusste, dass der Kampf um die Hauptstadt zwar gewonnen war, es sich aber noch zeigen musste, ob er seine Macht dort auch festigen konnte.  „Sie werden bald Gelegenheit haben, Metropolis genauer zu erkunden, Lieutenant. Auch wenn ich Ihnen nicht versprechen kann, dass Sie viel Freizeit dazu haben werden. Es liegt noch viel Arbeit vor uns.“
Vorn hatte der Pilot mittlerweile seine Vorbereitungen abgeschlossen und bat den Tower um Startfreigabe. Die Bestätigung ließ nicht lange auf sich warten. „Wir sind soweit, Sir“, meldete er nach hinten.
„Dann starten Sie, Captain. Man erwartet uns schon.“
„Jawohl, Sir.“ Der Pilot drückte den Startknopf, der das Triebwerk zündete. Sofort begann das Schiff in allen Verbänden zu vibrieren, als der mächtige Schub freigesetzt wurde und es langsam von der Piste abhob. Der Lärm war ohrenbetäubend. Anders als in der zivilen Raumfahrt gab man sich bei der strategischen Raumflotte keinerlei Mühe, die Lärmbelästigung auf ein angenehmes Maß zu dämpfen, die Schallisolierung reichte gerade aus, um keine bleibenden Schäden am Gehör zu hinterlassen. Smith sah Montero bleich werden, aber sie hielt sich tapfer und klagte nicht, sondern bemühte sich sogar um ein kleines Lächeln.
Neben ihnen hoben auch die anderen Schiffe vom Boden ab, im Abstand von nur wenigen Metern. Die Piloten mussten ihr Bestes geben, um die Formation zu halten. Der kleinste Fehler, die winzigste Abweichung konnte zu einem fatalen Unfall führen. Aber für Smith flogen nur die fähigsten Piloten, anderen hätte er sein Leben nicht anvertraut.
Auf halbem Wege reichte der General Montero ein Paar Kopfhörer und klappte einen Bildschirm über ihren Köpfen nach unten. „Es wir Zeit, sich die Nachrichten anzusehen, Lieutenant.“
Sie entgegnete ihm mit einem verwunderten Blick, aber er antwortete nicht, sondern schaltete stattdessen den Hauptnachrichtensender der EAAU ein, das Logo von Stella TV erschien in einer Ecke des Monitors. Die Kopfhörer ermöglichten es ihnen über den Lärm hinweg die neuesten Meldungen zu hören. Smiths Putsch war das Hauptthema, man sah seine Laserbatterien durch alle wichtigen Städte der EAAU schweben, mächtige Gebilde, die unbezwingbar schienen. Nur noch vereinzelt wurde Widerstand geleistet, die meisten Armeeeinheiten hatten sich den Truppen der Reinigenden Flamme bereits angeschlossen, teils aus Angst, teils aus Überzeugung für die Sache des Generals. Nicht wenige Offiziere hatten immer mit seinen Ansichten sympathisiert, auch wenn es bisher nicht opportun gewesen war, dies auch zu äußern. Als Smith auf die Raumstation Aurora verbannt worden war, hatte es unter ihnen einiges Murren gegeben, wenn auch keinen offiziell geäußerten Protest. Der Angriff auf eine angeblich zivile Raumstation hatte ihn damals vor sieben Jahren die Karriere gekostet, zu Unrecht, wie viele dachten. Auch die Nachrichten verschwiegen diese Tatsache nicht. „Die Presse ist eine unserer wichtigsten Waffen, Montero“, meinte Smith. „Was unsere Laserbatterien nicht ausrichten können, bewirken die Medien. Sie können die Massen gefügig machen, wo rohe Gewalt nichts ausrichtet.“
„Aber sind Journalisten nicht ziemlich unzuverlässige Verbündete?“ Montero warf ihm einen verwirrten Blick zu. „Schließlich ändern sie ihre Meinung oft stündlich.“
Smith lachte kurz auf. „Warten Sie nur ab. Man kann auch darauf einigen Einfluss nehmen.“
Die Nachrichtensprecherin kündigte den abendlichen Kommentar von Tom Collins zur Lage der Nation an. Montero hielt den Atem an, und der General wusste warum. Collins galt als einer der unabhängigsten und unbestechlichsten Journalisten in der Nachrichtenwelt der EAAU. Wer es sich mit ihm verdarb, brachte oft auch die übrige Medienlandschaft gegen sich auf, die Collins weitsichtigen Kommentaren oft ohne weitere Nachfrage folgte. Das Wort dieses Mannes hatte Gewicht. Und deshalb hatte der General dafür gesorgt, dass bei seinem Kommentar nichts schief ging. Aber das waren Geheimnisse, in die er Montero zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht einweihen wollte. Es hätte sie in ihrer naiven Loyalität zu ihm nur erschüttert, also musste sie nicht alles wissen.
Collins sympathisches Gesicht erschien auf dem Bildschirm, das Gesicht eines großen Jungen, den sich jede Mutter als Schwiegersohn gewünscht hätte. Zwar war bekannt, dass er das Nachtleben der Hauptstadt schätzte und ab und zu zu tief ins Glas schaute, aber zu seinem Kommentar erschien er immer frisch und ausgeruht. Niemand konnte ihm vorwerfen, dass er seinen Job nicht ordentlich erledigte. Und das brachte ihm Achtung ein, er war ein Mensch, der zwar zu leben verstand, aber seine Pflichten nicht vernachlässigte. Collins begann zu sprechen, wozu er wie üblich keinerlei sichtbares Manuskript benötigte. Smith lehnte sich zurück. Nun würde sich erweisen, ob seine Leute gute Arbeit geleistet hatten.

***      
 
Isabel befand sich seit Tagen in einem Widerstreit der Gefühle. Gewiss, sie war glücklich, an der Seite des Generals nach Metropolis versetzt zu werden, woran sie bis zuletzt nicht geglaubt hatte. Gestern noch hatte sie versucht, mit Tim darüber zu sprechen, ihn aber nicht in seiner Baracke vorgefunden. Sie hatte seinen Vorgesetzten so lange bearbeitet, bis er ihr verriet, wo ihr Freund sich aufhielt, aber die Nachricht war eine große Überraschung für sie gewesen. Tim hatte die Basis bereits am frühen Morgen verlassen, er war zu einer Spezialeinheit versetzt worden. Nach Nordafrika, in ein spezielles Ausbildungscamp, wo der General Soldaten für Sonderaufgaben trainieren ließ, wie sich der Offizier ihr erklärte. Eigentlich hätte er ihr darüber keine Auskunft erteilen dürfen, aber da er wusste, dass sie zum Stab des Generals gehörte, hatte er eine Ausnahme gemacht. Isabel war wie vor den Kopf gestoßen. Tim war einfach abgereist, ohne ihr einen Ton davon zu sagen, noch nicht einmal ein paar kurze Worte zum Abschied! Wie sehr sich sein Verhalten in den letzten Tagen doch gewandelt hatte! Sie gab sich selbst die Schuld daran, wahrscheinlich hatte sie ihn durch ihr Engagement für Smith gekränkt, ihn zu sehr vernachlässigt. Aber niemals hätte sie von ihm ein derart nachtragendes Verhalten erwartet. Das war einfach nicht seine Art. Verletzt hatte sie sich nur umso eifriger auf ihre Arbeit gestürzt. Das Gefühl der Einsamkeit, das sie in letzter Zeit so oft empfunden hatte, verstärkte sich umso mehr, also zwang sie sich, nicht mehr daran zu denken. Der General brauchte ihre ganze Energie.
Und nun saß sie an Smith Seite und war auf dem Weg nach Metropolis! Sie fühlte sich geehrt, dass er nicht einen seiner höheren Offiziere als Begleitung im Cockpit gewählt hatte, sondern sie. Sie verfügte zwar über einige Erfahrung im Tower, aber selbst in einem Kreuzer geflogen war sie noch nicht sehr oft. Beim Start war ihr übel geworden, aber sie hatte es tapfer ertragen und sich nichts anmerken lassen. Ihre Ohren wurden taub und summten unangenehm. Sie wünschte sich, sie hätte einen Kaugummi dabei, um das unangenehme Gefühl zu vertreiben. Und der Lärm war furchtbar. Dem General schien das alles nichts auszumachen, er machte einen entspannten Eindruck oder verbarg seine Anspannung auch nur sehr gut. Für ihn musste es einer der wichtigsten Augenblicke seines Lebens sein. In wenigen Stunden würde er Hirschmann als Regierungschef der EAAU ablösen, die Weichen waren schon gestellt. Sieben lange Jahre hatte er auf seine Rehabilitation warten müssen, eingesperrt in einen Metallkasten im Nirgendwo. Andere hätten resigniert, aber Smith hatte nicht aufgehört zu planen und zu hoffen. Und nun war der Augenblick seines persönlichen Triumphes gekommen. Mit jeder Sekunde des Fluges kam er der Erfüllung seines Traums ein Stückchen näher.
Als der General sie bat, sich mit ihm die Nachrichten anzusehen, wunderte sie sich zunächst, was er damit bezweckte. Smith verfügte über fähige Leute bei allen wichtigen Nachrichtendiensten, die im jede nur denkbare Information beschaffen konnten, warum also musste er auf Stella TV zurückgreifen? Zunächst hielt sie es nur für eine Laune von ihm.
Als Collins zu sprechen begann, hielt sie die Luft an. Sie schaute die Nachrichten nicht regelmäßig, aber Collins war auch ihr ein Begriff. Seine Kommentare genossen schon beinahe Kultstatus. Und er war kein Freund der Hardliner in der EAAU, versäumte keine Gelegenheit, sie mit Spott am Rande der Beleidigung zu überziehen. Angeblich war er sogar schon einmal von ein paar Soldaten auf Fronturlaub in einer Bar zusammengeschlagen worden, denen seine scharfzüngigen Ansprachen an die Nation so gar nicht gefallen hatten. Die Sache war vor ein paar Jahren durch die Nachrichten gegangen.
Collins fasste zunächst noch einmal die Ereignisse der letzten Tage knapp zusammen und betonte, man befinde sich im Moment in einer harten Zeit des Umbruchs, die den Bürgern einige Sorgen bereitete und auch Opfer abverlangte. Isabel erwartete, dass er nun beginnen würde, Smith dafür anzuklagen und die Reinigende Flamme für alles verantwortlich machen würde. Zu ihrem Erstaunen tat er nichts dergleichen.
„Meine Damen und Herren“, schloß er seinen Kommentar ab, „die Zeiten mögen hart sein, aber jede Veränderung hat nun einmal ihren Preis. Und diese Veränderung ist dringend notwendig, um unser Land aus seiner momentanen außenpolitischen Krise zu führen. Zu lange sind uns von der Regierung falsche Versprechen von Frieden gemacht worden, die letztendlich an den Grenzen mit dem Blut unserer jungen Soldaten erkauft wurden. Es ist nur natürlich, dass wir in Frieden und Wohlstand leben wollen, aber wir dürfen uns deshalb nicht von den VOR zum Narren halten lassen. Es ist daher nur zu begrüßen, dass sie Regierungsgeschäfte heute in fähiger Hände übergeben werden...“
Isabel warf dem General einen erstaunten Blick zu. „Das hätte ich nicht erwartet“, sagte sie erstaunt.
„Nun, auch Mr. Collins hat letztendlich auf die Stimme der Vernunft gehört“, erwiderte Smith zufrieden und schaltete den Bildschirm aus. „Sie sehen also, Lieutenant, wir haben unsere Freunde nicht nur in den Kreisen der Armee. Bald wird eine breite Masse der Bevölkerung unsere Ideen mittragen. Und dann können wir damit beginnen, die Gesellschaft zu erneuern.“
Ein wenig unheimlich kamen Isabel diese Worte schon vor, aber sie schluckte ihr Unbehagen hinunter. Jetzt war nicht der Augenblick, um an Smith zu zweifeln. Seine Pläne waren eben weitreichender, als sie es sich  im Moment vorstellen konnte, das musste sie akzeptieren.
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