Die Herrschaft des Phönix
von Mirjam Lea
Kurzbeschreibung
General Smith konnte aus der Gefangenschaft entkommen und schickt sich ein zweites Mal an, die Herrschaft in der EAAU zu übernehmen. Aber auch seine grausamen Methoden schaffen es nicht, jeden Widerstand erlahmen zu lassen... (Anmerkung: Es handelt sich um eine radikale Neufassung von der Innere Zirkel, die jetzt auf Gleichgewicht des Schreckens ausbaut.)
GeschichteDrama / P16 / Gen
Gordon B. Smith
Samuel Hirschmann
19.08.2009
28.09.2010
27
114.525
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19.08.2009
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Obwohl Isabel wusste, dass der General ihre Beziehung zu Tim Selbert missbilligte, vermisste sie ihn dennoch. Zwei Tage hatte sie ihn jetzt nicht gesehen und machte sich langsam Sorgen um ihn. Sie fand ihn weder auf seinem Quartier noch in der Mannschaftsmesse. Auch seine Kameraden vom technischen Korps hatte sie nach seinem Verbleib gefragt, obwohl sie sich albern dabei vorkam, schließlich war er kein kleines Kind und ihr Rechenschaft schuldig. Aber niemand wusste etwas, die Männer und Frauen zuckten nur unwissend die Schultern. Tim hatte sich auch bei ihnen nicht abgemeldet, weder als krank noch als beurlaubt. Isabel konnte sich nur wundern, warum er sie nicht eingeweiht hatte, sonst hatten sie doch alles miteinander besprochen. Selbst wenn Tim ihr grollte, weil sie seit kurzem so eng mit dem General zusammenarbeitete, so sah es ihm doch gar nicht ähnlich, ihr gar nichts zu sagen. Als sie es nicht mehr aushielt, forschte sie sogar auf dem Krankenrevier nach, aber auch dort lag er nicht. Ihre Sorge wuchs mit jeder Stunde.
Viele Freunde hatte sie nicht mehr auf der Basis, die meisten ehemaligen Freunde behandelten sie recht frostig, Gespräche verstummten, wenn sie auf eine Gruppe zukam oder die Leute gingen einfach fort. Auch wenn sie ihre Mahlzeiten in der Messe einnahm, setzte sich niemand mehr zu ihr, so als würde sie jedes gesprochene Wort sofort an ihren Chef weiterleiten. Gerade jetzt hätte sie Tims Zuneigung gebraucht. Sie fühlte sich einsam und nahm ihm daher seine Abwesenheit übel. Die Enttäuschung darüber, dass er nicht wenigstens mit ihr gesprochen hatte, war groß, aber wahrscheinlich hatte er wieder einmal einer Diskussion aus dem Weg gehen wollen. So war Tim nun einmal, konfliktscheu und harmoniesüchtig. Eigentlich mochte sie seine friedliche Art, aber im Moment wäre ihr ein Streit mit ihm lieber gewesen als die Ungewissheit.
Isabels Konzentration bei der Arbeit litt unter ihren Sorgen, auch wenn ihre Aufgabe im Moment hauptsächlich aus Botengängen und Sekretariatsaufgaben für den General bestand. Sie vermittelte Gespräche für ihn, organisierte Videokonferenzen und schrieb seine Diktate ins Reine. Ein Vertrauensjob, denn sie bekam viele Dinge mit, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren, so etwa Reden des Generals, welche dieser noch zu halten gedachte. Eine solche Rede hatte er vor zwei Tagen gehalten und Präsident Hirschmann mit wohlgewählten Worten zur Kapitulation und zur Übergabe der Hauptstadt aufgefordert. Isabel war ein wenig darüber erschrocken und hatte sich innerlich an die Zusicherung des Generals geklammert, niemand würde wegen seiner bisherigen politischen Zugehörigkeit verfolgt werden. Auch diese Rede war über ihren Schreibtisch gegangen, Smith hatte sie sogar nach ihrer Meinung zu den Formulierungen gefragt. Sie hatte nicht gewagt, etwas zu kritisieren, nur einige Sätze etwas umgestellt, und in ein oder zwei Punkten hatte der General sich sogar ihrer Formulierungen bedient, was sie mit Stolz erfüllt hatte. Angesichts ihrer bröckelnden Freundschaften war sie um jedes freundliche Wort und jede Anerkennung dankbar. Und Smiths Meinung bedeutete ihr besonders viel. Auch jetzt saß sie am Computer und hatte ihre Kopfhörer auf, um eine Aufnahme des Generals in die Tastatur zu übertragen, aber obwohl seine angenehme Stimme in ihren Ohren sie beruhigte, irrten ihre Gedanken immer wieder zu Tim.
Von hinten legte sich eine Hand auf ihre Schulter, sie fuhr erschrocken zusammen und nahm die Kopfhörer aus den Ohren. „Lieutenant Montero, Sie scheinen mir zur Zeit nicht ganz bei der Sache zu sein“, sagte der General freundlich und beugte sich über ihre Schulter. „Jedenfalls habe ich gesehen, dass Sie die selbe Stelle nun schon zum vierten Male abhören, was sonst gar nicht Ihre Art ist. Gibt es etwas, das ich wissen sollte?“
Sie spürte, wie das Blut heiß in ihren Kopf schoss. „Es ist nichts, Sir“, wich sie aus. Vor Smith konnte man auch nichts verbergen, er sah durch einen hindurch wie durch Glas. Das Schlimmste war seine Freundlichkeit dabei, die mit väterlicher Autorität gepaart war. Isabel hatte jedes Mal das Gefühl, etwas Falsches getan zu haben, wenn er so zu ihr sprach, wie ein Kind, das bei einem Streich ertappt wurde. „Vielleicht sollte ich mir einfach einen starken Kaffee holen.“
„Das wird wohl nichts schaden, auch wenn Sie eher zerstreut als müde wirken.“ Er setzte sich mit einer Hüfte auf die Kante ihres Schreibtisches. Kurz darauf tauchte auch sein Hund neben ihr auf und setzte sich auf die Hinterbeine, als wolle er das Gespräch verfolgen. „Aber das ist doch nicht alles, oder? Sie wirken irgendwie nachdenklich, als gehe Ihnen etwas ständig im Kopf herum. Kann ich irgendetwas für Sie tun, um das abzustellen? Ich möchte Sie nämlich nur ungern in dieser Phase unseres Unternehmens beurlauben müssen.“
Isabel wusste natürlich, worauf er anspielte. In Metropolis tagte zu dieser Stunde das Parlament, wie seit Tagen schon, Politiker zerbrachen sich den Kopf darüber, wie sie mit dem General umzugehen hätten. Smith jedenfalls erwartete jeden Moment die vollständige Kapitulation, vorgebracht von Präsident Hirschmann persönlich, der das Amt seit Beginn des Putsches – oder der Revolution, wie Smith es lieber nannte – von seinem Vorgänger Bellini übernommen hatte. Der General war bereit, seine Truppen in Marsch zusetzen und hatte sicherlich anderes im Sinn, als sich um die nebensächlichen Belange eines Lieutenants zu kümmern. Dennoch fragte er sie, was ihr einerseits enorm schmeichelte, ihr aber auch andererseits unglaublich peinlich war. Am liebsten wäre sie unter ihrem Schreibtisch gekrochen, aber der General würde sicherlich nicht locker lassen, bis er den Grund ihrer seltsamen Stimmung kannte. „Es ist wirklich nichts besonderes, Sir“, erwiderte sie mit gequältem Lächeln. „Ich muss mich nur ein wenig besser zusammenreißen, das ist alles.“
„Natürlich erwarte ich von Ihnen, dass Sie erstklassige Arbeit leisten, Lieutenant“, Smith beugte sich ein wenig vor und sie konnte sein teures Rasierwasser riechen. In diesem Punkt also gönnte er sich doch ein wenig Luxus. „Und ich bin mir sicher, das werden Sie auch bald wieder tun. Aber wir sind alle nur Menschen, oder? Und wenn es etwas Wichtiges gibt, das Sie bedrückt, dann sollte ich das als Ihr Vorgesetzter wissen, damit ich entweder etwas dagegen unternehmen oder zumindest die Lage einschätzen kann. Also, geben Sie sich einen Ruck und erzählen Sie schon. Ich reiße Ihnen gewiss nicht den Kopf ab.“
Isabel sagte sich, dass sie im Moment ein wenig Verständnis recht gut brauchen konnte, und es gefiel ihr, dass dieses Verständnis ausgerechnet von Smith kam. Die Loyalität zu ihm war schließlich Grund ihrer neuerlichen Isolation, so wurde sie wenigstens ein wenig entschädigt. Ohnehin hatte sie den Eindruck, der General bevorzuge sie ein wenig vor seinen anderen Mitarbeitern. Er mochte sie, das war offensichtlich.
„Es ist etwas Persönliches, Sir“, erwiderte sie mit ein wenig gesenkter Stimme.
„Ich kann Geheimnisse sehr gut für mich behalten.“
„Also gut“, sie seufzte und lehnte sich zurück, „Sie erinenrn sich doch an unser Gespräch bezüglich Tim Selberts, des Technikers?“
„Aber ja. Ich bat Sie, zu überdenken, ob dieser Kontakt das Richtige für Sie ist. Hat es etwa Ärger in dieser Sache gegeben?“
„Nein, Sir, ganz im Gegenteil. Ich hatte befürchtet, es würde Schwierigkeiten geben, denn schließlich sind Tim und ich schon eine ganze Weile befreundet gewesen. Ich wollte ihm also zumindest eine Erklärung für mein Verhalten geben, ihm klarmachen, dass meine Aufgaben mir einfach nicht mehr viel Zeit für ihn lassen. Nun ja, ich wollte den Kontakt langsam einschlafen lassen, um nicht zu gefühllos zu erscheinen, weil ich ehrlich gesagt ein schlechtes Gewissen wegen der Sache hatte.“
„Ich verstehe“, der General nickte kurz, „auch wenn ich es nicht unbedingt gerne höre. Meiner Meinung nach ist ein schlechtes Gewissen in dieser Sache vollkommen unangebracht. Sie müssen schließlich an Ihre Karriere denken. Solche Beziehungen zwischen Kollegen sind schließlich vergänglich, Ihre Karriere hoffentlich nicht.“
„Da haben Sie sicherlich Recht, Sir, aber er ist nun mal mein Freund. Aber die Sache scheint sich ohnehin von allein geklärt zu haben, denn Tim Selbert lässt sich bei mir nicht mehr blicken, auch bei seinen Kollegen nicht. Niemand scheint ihn gesehen zu haben, und es gibt auch keine Krankmeldung oder so etwas. Ich habe schon überall nachgefragt, niemand weiß etwas. Jetzt mache ich mir natürlich Sorgen, denn das ist sonst gar nicht seine Art. Normalerweise ließ er mich immer wissen, wo er sich aufhielt, vor allem, wenn er mal länger als ein paar Stunden weg war.“ Sie stützte sich mit den Ellbogen auf dem Tisch ab. „Sie sehen also, es ist eine private Sache, die mich von der Arbeit ablenkt. Ich hoffe, Sie können es mir nachsehen.“
„Nun, vielleicht kann ich da sogar etwas für Sie tun, schließlich verfüge ich über andere Möglichkeiten als das Herumlaufen auf einer Basis. Ich habe da sogar schon eine Idee...“ Er sprang auf und winkte einen seiner Adjutanten zu sich heran, der sich beeilte, dem Zeichen des Generals zu folgen.
„Ja, Sir?“
„Geben Sie mir doch einmal unsere neuen Listen, Duprey“, befahl er. „Und beeilen Sie sich bitte.“
„Sind gerade frisch hereingekommen, Sir.“ Duprey eilte davon.
„Na, dann wollen wir mal sehen, ob wir Ihnen Ihr Herz ein wenig erleichtern können, Lieutenant Montero.“ Smith tippte mit den Fingerspitzen leicht auf ihre Schulter. Isabel fühlte sich, als habe sie ein leichter Stromschlag getroffen. Die Berührung des Generals ließ erneut die Röte in ihr Gesicht steigen. Sie konnte nicht ableugnen, ihn attraktiv zu finden, was er hoffentlich nicht bemerkte. Es wäre ihr zu unangenehm gewesen. „Duprey hat bestimmt eine Antwort für Sie, es kann ja nicht angehen, dass jemand auf dieser Basis einfach verschwindet. Dann hätten wir unsere Arbeit nicht ordentlich gemacht.“
„Ich danke Ihnen für Ihre Mühe, Sir. Es ist mir sehr unangenehm, Ihnen solche Umstände zu machen.“
„Aber ich habe es Ihnen doch angeboten, Montero. Betrachten wir es einfach als eine Aufklärungsmission.“
Duprey brauchte keine zwei Minuten um mit einem Datenpad zurückzukommen, das er dem General überreichte. Smith überflog kurz die Anzeige und nickte dann. „Da haben wir es ja, das hatte ich mir fast gedacht.“
„Haben Sie ihn gefunden, Sir?“ Ein Funken Hoffnung glomm in ihr auf.
„Allerdings. Ich erinnerte mich dunkel daran, weil ich mich ein wenig darüber gewundert habe, Lieutenant Selbert auf dieser Liste vorzufinden, zumal wir gerade noch vor ein paar Tagen über ihn und seine Ambitionen gesprochen haben. Aber offensichtlich hatte ich mich in ihm getäuscht. In ihm steckt doch mehr, als man vermuten könnte.“
Isabel verstand Smiths Andeutungen nicht und sah ihn ratlos an. „Entschuldigen Sie, aber ich verstehe nicht ganz, worauf Sie hinaus wollen, Sir.“
„Nun, eigentlich ist es eine gute Nachricht. Ihr Freund Tim hat doch noch die Kurve bekommen und sich vor zwei Tagen zu einer unserer Spezialeinheiten gemeldet. Ich glaubte, das wäre Ihrem guten Einfluss zu verdanken, habe aber versäumt, Sie darauf anzusprechen, weil ich nun einmal viel um die Ohren habe zur Zeit. Erst während unseres Gespräches fiel mir wieder ein, dass da doch etwas war.“
„Tim hat sich zu einer der Spezialeinheiten gemeldet?“, fragte Isabel ungläubig. Tim hatte seit der Grundausbildung kein Gewehr mehr angefasst, dieser Sinneswandel musste ganz plötzlich gekommen sein. In ihre Sorge mischte sich Wut darüber, dass er ihr nichts davon gesagt hatte. Ihr wollte er die Bewerbung ausreden und er selbst meldete sich heimlich zu dieser Truppe, wie mies von ihm! Sie hätte ihn am liebsten gepackt und geschüttelt und würde ihm sicherlich ein paar passende Worte sagen, wenn sie ihm doch noch einmal über den Weg lief.
„Sie wirken so überrascht“, meinte der General, und ein lauernder Unterton legte sich in seine Stimme. „Haben Sie denn Zweifel an seiner Ernsthaftigkeit?“
„Natürlich nicht, Sir“, log Isabel. In ihre Wut mischte sich plötzlich auch so etwas wie Neid. Ihre eigene Bewerbung für eine der Einheiten hatte der General abgelehnt, aber Tim, der sich noch nicht einmal durch besondere Begeisterung für die Sache der Reinigenden Flamme auszeichnete, wurde aufgenommen. Das sollte man verstehen!
„Ah ja, stimmt, Sie wären ja selbst gerne aufgenommen worden“, fuhr Smith fort und lächelte wissend. „Nun, Sie bereuen es doch hoffentlich nicht, hier mit mir zu arbeiten?“
„Nein, Sir!“, protestierte Isabel. „Keineswegs. Es ist mir eine Ehre, hier eingesetzt zu werden!“
„Da schwingt doch kein 'aber' mit, oder?“
„Ich bin einfach ein wenig verwirrt von der Neuigkeit. Es wundert mich, dass Tim sich zu einer kämpfenden Einheit gemeldet hat. Ich dachte, nichts könnte ihn dazu bewegen, seinen Technikerjob an den Nagel zu hängen, er war doch immer so begeistert davon.“
„Sie sehen, wie sehr mein Programm die Menschen begeistert“, er klopfte ihr auf die Schulter. „So, jetzt muss ich aber mal wieder an meinen eigenen Schreibtisch. Auf mich wartet einiges an Arbeit.“
„Natürlich, Sir. Ich möchte mich noch einmal entschuldigen, dass ich Sie belästigt habe.“
„Kein Problem, so etwas gehört doch zur Teamarbeit. Duprey kann Ihnen sagen, wo Sie Ihren Freund finden. Jetzt bestehen von meiner Seite keinerlei Bedenken mehr gegen einen Kontakt.“
„Danke, Sir.“ Isabel sah ihm nach, wie er mit seinem Hund in Richtung seines Schreibtisches verschwand, wo schon einige seiner Offiziere auf ihn warteten um ihn mit den neuesten Berichten zu versorgen. Schnell war der General hinter einer Mauer aus Menschen verschwunden, während sein Hund sich unter den Schreibtisch verkroch. Isabel wandte sich wieder ihrer Arbeit zu, aber viel besser konzentrieren konnte sie sich noch immer nicht. Tim bei einer Spezialeinheit, wer hätte das gedacht. Sie fühlte sich ein wenig schäbig, weil die Eifersucht an ihr nagte, obwohl sie es doch eigentlich gut hier getroffen hatte. Die Sorgen dieser Soldaten hörte sich der General sicherlich nicht so geduldig an. Ihre Finger begannen, über die Tastatur zu fliegen.
Bei Dienstschluss ließ sie sich von Lieutenant Duprey dann doch Tims Standort geben, obwohl sie ihrem Freund noch immer grollte. Aber die Neugier nagte an ihr. Vielleicht würde sie von ihm ja eine plausible Erklärung bekommen, was seinen plötzlichen Sinneswandel betraf. Sie machte sich auf den Weg zu der Baracke, in der ihr Freund jetzt untergebracht war und wurde von den Wachtposten auch ohne jede Behelligung eingelassen. Vielleicht hatte Duprey sie ja bereits angekündigt.
Die Baracke war nicht in einzelne Kammern unterteilt wie die anderen Unterkünfte auf der Basis, sondern in große Schlafsäle. Bett reihte sich an Bett, vor jedem stand eine Kiste für die Habseligkeiten der Soldaten. Der Boden schimmerte so blank, als wäre er gerade erst gebohnert worden. Sorgfältig geputzte Stiefel reihten sich vor den Kisten auf, einige Männer – Isabel sah nur Männer, keine Soldatinnen, vielleicht waren diese an einem anderen Ort untergebracht – saßen auf der Bettkante und polierten an ihren Schuhen herum. Andere hatten sich auf ihre Betten gelegt und ruhten sich von dem harten Trainingsprogramm aus, dem sie tagsüber unterworfen waren. Eine Tür führte zu den Duschen, Isabel hörte das Wasser laufen. Niemand schien von ihr Notiz zu nehmen, als sie auf der Suche nach Tim durch die Reihen ging. Es lag eine fast unheimliche Stille über dem Saal, niemand unterhielt sich, wie es sonst bei den anderen Soldaten nach Dienstschluss üblich war. Nur auf einem Bett schnarchte ein Mann leise vor sich hin. Es roch nach Waffenfett und ein wenig nach Schweiß.
Isabel entdeckte Tim auf einem der letzten Betten sitzend, auch er putzte mechanisch an seinen Stiefeln herum. Sie beschleunigte ihren Schritt und eilte auf ihn zu. Jetzt, da sie ihn wieder sah, war plötzlich aller Zorn verflogen. Sie war nur froh, dass es ihm gut ging.
„Tim! Habe ich dich endlich gefunden!“ Sie ließ sich neben ihm auf das Bett fallen und legte den Arm um seine Schultern um ihn an sich zu drücken.
Auf alles war sie vorbereitet gewesen, nur nicht auf seine folgende Reaktion. Unendlich langsam wandte er ihr sein Gesicht zu, als benötige er Zeit, um sie wieder zu erkennen. Dann immerhin lächelte er sie an, aber es sah mechanisch aus, als würden seine Mundwinkel wie bei einer Handpuppe durch Fremdeinwirkung nach oben gezogen. „Isabel, was machst du hier?“, fragte er ohne besondere Emotion in der Stimme.
„Ich suche dich seit zwei Tagen, du Idiot“, erwiderte sie, um Fröhlichkeit bemüht. „Die ganze Basis habe ich verrückt gemacht, um dich zu finden. Keiner wusste etwas. Bis mir schließlich der General gesagt hat, wo ich dich finde.“
„Du hast den General nach mir gefragt?“, fragte Tim mit leisem Vorwurf in der Stimme. „Du hast ihn wegen mir von seiner Arbeit abgehalten?“
„Er hat es mir angeboten, schließlich bin ich seine Mitarbeiterin. Es hat ihn nur eine Frage gekostet, um deinen Aufenthaltsort raus zu bekommen.“ In ihrer Magengrube machte sich ein seltsames Gefühl breit. Warum reagierte Tim so merkwürdig? Er schien sich nicht besonders zu freuen, sie zu sehen, sie fühlte sich wie ein lästiger Besucher. „Aber jetzt erzähl doch mal: Wie bist du so schnell in diese Einheit aufgenommen worden? Bisher warst du doch nicht gerade ein treuer Anhänger der Reinigenden Flamme!“
„Was erzählst du denn da?“, fragte Tim mit echter Verwunderung. „Ich habe niemals an General Smith oder der Reinigenden Flamme gezweifelt! Natürlich habe ich mich sofort freiwillig für diese Einheit gemeldet, als mir diese große Chance geboten wurde. Das hätte doch jeder getan.“
Isabel starrte ihn entgeistert an. Wahrscheinlich würde er gleich anfangen zu lachen, das konnte nur ein Scherz sein. „Spinnst du? Bis vor ein paar Tagen hast du mich noch für verrückt erklärt, weil ich für den General arbeiten wollte.“
„Ich weiß wirklich nicht wovon du redest.“ Wenn das ein Witz war, dann hielt Tim sein Spiel lange durch. Aber Isabel fürchtete, dass er es vollkommen ernst meinte. „Warum hätte ich dich davon abhalten sollen, dich in den Dienst des Generals zu stellen? Er ist das Beste, was uns seit Jahren passiert ist. Es wurde doch höchste Zeit, dass auf dieser Basis mal ein frischer Wind weht. Und jetzt können wir seine Botschaft in die ganze Welt tragen.“
Isabel schüttelte verwirrt den Kopf. Auch sie bewunderte Smith, war von seinem Charisma gefangen, aber Tims plötzliche Bewunderung, die er in so wohlgeformten Sätzen zum Ausdruck brachte, stimmte sie misstrauisch. „Nun gut, wie du meinst. Lange wird es wohl wirklich nicht mehr dauern.“
„Hör mal, ich habe noch einiges zu erledigen, außerdem wird bald unser Schlafsaal kontrolliert und ich möchte nur ungern mit schmutzigen Stiefeln vor unserem Major auftauchen.“
„Ich verstehe, das war wohl ein Rausschmiss.“ Beleidigt stand Isabel auf. Sie verstand nicht, was in Tim vorging. Sein Verhalten stellte sie vor ein Rätsel und machte sie traurig. Ihre Augen brannten. Sie schaffte es gerade bis zur Tür der Baracke, ihre Tränen zurückzuhalten. Vor der Tür der Baracke angelangt, sah sie noch einmal zurück und beeilte sich dann, in ihr eigenes Quartier zurück zu kommen.
Viele Freunde hatte sie nicht mehr auf der Basis, die meisten ehemaligen Freunde behandelten sie recht frostig, Gespräche verstummten, wenn sie auf eine Gruppe zukam oder die Leute gingen einfach fort. Auch wenn sie ihre Mahlzeiten in der Messe einnahm, setzte sich niemand mehr zu ihr, so als würde sie jedes gesprochene Wort sofort an ihren Chef weiterleiten. Gerade jetzt hätte sie Tims Zuneigung gebraucht. Sie fühlte sich einsam und nahm ihm daher seine Abwesenheit übel. Die Enttäuschung darüber, dass er nicht wenigstens mit ihr gesprochen hatte, war groß, aber wahrscheinlich hatte er wieder einmal einer Diskussion aus dem Weg gehen wollen. So war Tim nun einmal, konfliktscheu und harmoniesüchtig. Eigentlich mochte sie seine friedliche Art, aber im Moment wäre ihr ein Streit mit ihm lieber gewesen als die Ungewissheit.
Isabels Konzentration bei der Arbeit litt unter ihren Sorgen, auch wenn ihre Aufgabe im Moment hauptsächlich aus Botengängen und Sekretariatsaufgaben für den General bestand. Sie vermittelte Gespräche für ihn, organisierte Videokonferenzen und schrieb seine Diktate ins Reine. Ein Vertrauensjob, denn sie bekam viele Dinge mit, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren, so etwa Reden des Generals, welche dieser noch zu halten gedachte. Eine solche Rede hatte er vor zwei Tagen gehalten und Präsident Hirschmann mit wohlgewählten Worten zur Kapitulation und zur Übergabe der Hauptstadt aufgefordert. Isabel war ein wenig darüber erschrocken und hatte sich innerlich an die Zusicherung des Generals geklammert, niemand würde wegen seiner bisherigen politischen Zugehörigkeit verfolgt werden. Auch diese Rede war über ihren Schreibtisch gegangen, Smith hatte sie sogar nach ihrer Meinung zu den Formulierungen gefragt. Sie hatte nicht gewagt, etwas zu kritisieren, nur einige Sätze etwas umgestellt, und in ein oder zwei Punkten hatte der General sich sogar ihrer Formulierungen bedient, was sie mit Stolz erfüllt hatte. Angesichts ihrer bröckelnden Freundschaften war sie um jedes freundliche Wort und jede Anerkennung dankbar. Und Smiths Meinung bedeutete ihr besonders viel. Auch jetzt saß sie am Computer und hatte ihre Kopfhörer auf, um eine Aufnahme des Generals in die Tastatur zu übertragen, aber obwohl seine angenehme Stimme in ihren Ohren sie beruhigte, irrten ihre Gedanken immer wieder zu Tim.
Von hinten legte sich eine Hand auf ihre Schulter, sie fuhr erschrocken zusammen und nahm die Kopfhörer aus den Ohren. „Lieutenant Montero, Sie scheinen mir zur Zeit nicht ganz bei der Sache zu sein“, sagte der General freundlich und beugte sich über ihre Schulter. „Jedenfalls habe ich gesehen, dass Sie die selbe Stelle nun schon zum vierten Male abhören, was sonst gar nicht Ihre Art ist. Gibt es etwas, das ich wissen sollte?“
Sie spürte, wie das Blut heiß in ihren Kopf schoss. „Es ist nichts, Sir“, wich sie aus. Vor Smith konnte man auch nichts verbergen, er sah durch einen hindurch wie durch Glas. Das Schlimmste war seine Freundlichkeit dabei, die mit väterlicher Autorität gepaart war. Isabel hatte jedes Mal das Gefühl, etwas Falsches getan zu haben, wenn er so zu ihr sprach, wie ein Kind, das bei einem Streich ertappt wurde. „Vielleicht sollte ich mir einfach einen starken Kaffee holen.“
„Das wird wohl nichts schaden, auch wenn Sie eher zerstreut als müde wirken.“ Er setzte sich mit einer Hüfte auf die Kante ihres Schreibtisches. Kurz darauf tauchte auch sein Hund neben ihr auf und setzte sich auf die Hinterbeine, als wolle er das Gespräch verfolgen. „Aber das ist doch nicht alles, oder? Sie wirken irgendwie nachdenklich, als gehe Ihnen etwas ständig im Kopf herum. Kann ich irgendetwas für Sie tun, um das abzustellen? Ich möchte Sie nämlich nur ungern in dieser Phase unseres Unternehmens beurlauben müssen.“
Isabel wusste natürlich, worauf er anspielte. In Metropolis tagte zu dieser Stunde das Parlament, wie seit Tagen schon, Politiker zerbrachen sich den Kopf darüber, wie sie mit dem General umzugehen hätten. Smith jedenfalls erwartete jeden Moment die vollständige Kapitulation, vorgebracht von Präsident Hirschmann persönlich, der das Amt seit Beginn des Putsches – oder der Revolution, wie Smith es lieber nannte – von seinem Vorgänger Bellini übernommen hatte. Der General war bereit, seine Truppen in Marsch zusetzen und hatte sicherlich anderes im Sinn, als sich um die nebensächlichen Belange eines Lieutenants zu kümmern. Dennoch fragte er sie, was ihr einerseits enorm schmeichelte, ihr aber auch andererseits unglaublich peinlich war. Am liebsten wäre sie unter ihrem Schreibtisch gekrochen, aber der General würde sicherlich nicht locker lassen, bis er den Grund ihrer seltsamen Stimmung kannte. „Es ist wirklich nichts besonderes, Sir“, erwiderte sie mit gequältem Lächeln. „Ich muss mich nur ein wenig besser zusammenreißen, das ist alles.“
„Natürlich erwarte ich von Ihnen, dass Sie erstklassige Arbeit leisten, Lieutenant“, Smith beugte sich ein wenig vor und sie konnte sein teures Rasierwasser riechen. In diesem Punkt also gönnte er sich doch ein wenig Luxus. „Und ich bin mir sicher, das werden Sie auch bald wieder tun. Aber wir sind alle nur Menschen, oder? Und wenn es etwas Wichtiges gibt, das Sie bedrückt, dann sollte ich das als Ihr Vorgesetzter wissen, damit ich entweder etwas dagegen unternehmen oder zumindest die Lage einschätzen kann. Also, geben Sie sich einen Ruck und erzählen Sie schon. Ich reiße Ihnen gewiss nicht den Kopf ab.“
Isabel sagte sich, dass sie im Moment ein wenig Verständnis recht gut brauchen konnte, und es gefiel ihr, dass dieses Verständnis ausgerechnet von Smith kam. Die Loyalität zu ihm war schließlich Grund ihrer neuerlichen Isolation, so wurde sie wenigstens ein wenig entschädigt. Ohnehin hatte sie den Eindruck, der General bevorzuge sie ein wenig vor seinen anderen Mitarbeitern. Er mochte sie, das war offensichtlich.
„Es ist etwas Persönliches, Sir“, erwiderte sie mit ein wenig gesenkter Stimme.
„Ich kann Geheimnisse sehr gut für mich behalten.“
„Also gut“, sie seufzte und lehnte sich zurück, „Sie erinenrn sich doch an unser Gespräch bezüglich Tim Selberts, des Technikers?“
„Aber ja. Ich bat Sie, zu überdenken, ob dieser Kontakt das Richtige für Sie ist. Hat es etwa Ärger in dieser Sache gegeben?“
„Nein, Sir, ganz im Gegenteil. Ich hatte befürchtet, es würde Schwierigkeiten geben, denn schließlich sind Tim und ich schon eine ganze Weile befreundet gewesen. Ich wollte ihm also zumindest eine Erklärung für mein Verhalten geben, ihm klarmachen, dass meine Aufgaben mir einfach nicht mehr viel Zeit für ihn lassen. Nun ja, ich wollte den Kontakt langsam einschlafen lassen, um nicht zu gefühllos zu erscheinen, weil ich ehrlich gesagt ein schlechtes Gewissen wegen der Sache hatte.“
„Ich verstehe“, der General nickte kurz, „auch wenn ich es nicht unbedingt gerne höre. Meiner Meinung nach ist ein schlechtes Gewissen in dieser Sache vollkommen unangebracht. Sie müssen schließlich an Ihre Karriere denken. Solche Beziehungen zwischen Kollegen sind schließlich vergänglich, Ihre Karriere hoffentlich nicht.“
„Da haben Sie sicherlich Recht, Sir, aber er ist nun mal mein Freund. Aber die Sache scheint sich ohnehin von allein geklärt zu haben, denn Tim Selbert lässt sich bei mir nicht mehr blicken, auch bei seinen Kollegen nicht. Niemand scheint ihn gesehen zu haben, und es gibt auch keine Krankmeldung oder so etwas. Ich habe schon überall nachgefragt, niemand weiß etwas. Jetzt mache ich mir natürlich Sorgen, denn das ist sonst gar nicht seine Art. Normalerweise ließ er mich immer wissen, wo er sich aufhielt, vor allem, wenn er mal länger als ein paar Stunden weg war.“ Sie stützte sich mit den Ellbogen auf dem Tisch ab. „Sie sehen also, es ist eine private Sache, die mich von der Arbeit ablenkt. Ich hoffe, Sie können es mir nachsehen.“
„Nun, vielleicht kann ich da sogar etwas für Sie tun, schließlich verfüge ich über andere Möglichkeiten als das Herumlaufen auf einer Basis. Ich habe da sogar schon eine Idee...“ Er sprang auf und winkte einen seiner Adjutanten zu sich heran, der sich beeilte, dem Zeichen des Generals zu folgen.
„Ja, Sir?“
„Geben Sie mir doch einmal unsere neuen Listen, Duprey“, befahl er. „Und beeilen Sie sich bitte.“
„Sind gerade frisch hereingekommen, Sir.“ Duprey eilte davon.
„Na, dann wollen wir mal sehen, ob wir Ihnen Ihr Herz ein wenig erleichtern können, Lieutenant Montero.“ Smith tippte mit den Fingerspitzen leicht auf ihre Schulter. Isabel fühlte sich, als habe sie ein leichter Stromschlag getroffen. Die Berührung des Generals ließ erneut die Röte in ihr Gesicht steigen. Sie konnte nicht ableugnen, ihn attraktiv zu finden, was er hoffentlich nicht bemerkte. Es wäre ihr zu unangenehm gewesen. „Duprey hat bestimmt eine Antwort für Sie, es kann ja nicht angehen, dass jemand auf dieser Basis einfach verschwindet. Dann hätten wir unsere Arbeit nicht ordentlich gemacht.“
„Ich danke Ihnen für Ihre Mühe, Sir. Es ist mir sehr unangenehm, Ihnen solche Umstände zu machen.“
„Aber ich habe es Ihnen doch angeboten, Montero. Betrachten wir es einfach als eine Aufklärungsmission.“
Duprey brauchte keine zwei Minuten um mit einem Datenpad zurückzukommen, das er dem General überreichte. Smith überflog kurz die Anzeige und nickte dann. „Da haben wir es ja, das hatte ich mir fast gedacht.“
„Haben Sie ihn gefunden, Sir?“ Ein Funken Hoffnung glomm in ihr auf.
„Allerdings. Ich erinnerte mich dunkel daran, weil ich mich ein wenig darüber gewundert habe, Lieutenant Selbert auf dieser Liste vorzufinden, zumal wir gerade noch vor ein paar Tagen über ihn und seine Ambitionen gesprochen haben. Aber offensichtlich hatte ich mich in ihm getäuscht. In ihm steckt doch mehr, als man vermuten könnte.“
Isabel verstand Smiths Andeutungen nicht und sah ihn ratlos an. „Entschuldigen Sie, aber ich verstehe nicht ganz, worauf Sie hinaus wollen, Sir.“
„Nun, eigentlich ist es eine gute Nachricht. Ihr Freund Tim hat doch noch die Kurve bekommen und sich vor zwei Tagen zu einer unserer Spezialeinheiten gemeldet. Ich glaubte, das wäre Ihrem guten Einfluss zu verdanken, habe aber versäumt, Sie darauf anzusprechen, weil ich nun einmal viel um die Ohren habe zur Zeit. Erst während unseres Gespräches fiel mir wieder ein, dass da doch etwas war.“
„Tim hat sich zu einer der Spezialeinheiten gemeldet?“, fragte Isabel ungläubig. Tim hatte seit der Grundausbildung kein Gewehr mehr angefasst, dieser Sinneswandel musste ganz plötzlich gekommen sein. In ihre Sorge mischte sich Wut darüber, dass er ihr nichts davon gesagt hatte. Ihr wollte er die Bewerbung ausreden und er selbst meldete sich heimlich zu dieser Truppe, wie mies von ihm! Sie hätte ihn am liebsten gepackt und geschüttelt und würde ihm sicherlich ein paar passende Worte sagen, wenn sie ihm doch noch einmal über den Weg lief.
„Sie wirken so überrascht“, meinte der General, und ein lauernder Unterton legte sich in seine Stimme. „Haben Sie denn Zweifel an seiner Ernsthaftigkeit?“
„Natürlich nicht, Sir“, log Isabel. In ihre Wut mischte sich plötzlich auch so etwas wie Neid. Ihre eigene Bewerbung für eine der Einheiten hatte der General abgelehnt, aber Tim, der sich noch nicht einmal durch besondere Begeisterung für die Sache der Reinigenden Flamme auszeichnete, wurde aufgenommen. Das sollte man verstehen!
„Ah ja, stimmt, Sie wären ja selbst gerne aufgenommen worden“, fuhr Smith fort und lächelte wissend. „Nun, Sie bereuen es doch hoffentlich nicht, hier mit mir zu arbeiten?“
„Nein, Sir!“, protestierte Isabel. „Keineswegs. Es ist mir eine Ehre, hier eingesetzt zu werden!“
„Da schwingt doch kein 'aber' mit, oder?“
„Ich bin einfach ein wenig verwirrt von der Neuigkeit. Es wundert mich, dass Tim sich zu einer kämpfenden Einheit gemeldet hat. Ich dachte, nichts könnte ihn dazu bewegen, seinen Technikerjob an den Nagel zu hängen, er war doch immer so begeistert davon.“
„Sie sehen, wie sehr mein Programm die Menschen begeistert“, er klopfte ihr auf die Schulter. „So, jetzt muss ich aber mal wieder an meinen eigenen Schreibtisch. Auf mich wartet einiges an Arbeit.“
„Natürlich, Sir. Ich möchte mich noch einmal entschuldigen, dass ich Sie belästigt habe.“
„Kein Problem, so etwas gehört doch zur Teamarbeit. Duprey kann Ihnen sagen, wo Sie Ihren Freund finden. Jetzt bestehen von meiner Seite keinerlei Bedenken mehr gegen einen Kontakt.“
„Danke, Sir.“ Isabel sah ihm nach, wie er mit seinem Hund in Richtung seines Schreibtisches verschwand, wo schon einige seiner Offiziere auf ihn warteten um ihn mit den neuesten Berichten zu versorgen. Schnell war der General hinter einer Mauer aus Menschen verschwunden, während sein Hund sich unter den Schreibtisch verkroch. Isabel wandte sich wieder ihrer Arbeit zu, aber viel besser konzentrieren konnte sie sich noch immer nicht. Tim bei einer Spezialeinheit, wer hätte das gedacht. Sie fühlte sich ein wenig schäbig, weil die Eifersucht an ihr nagte, obwohl sie es doch eigentlich gut hier getroffen hatte. Die Sorgen dieser Soldaten hörte sich der General sicherlich nicht so geduldig an. Ihre Finger begannen, über die Tastatur zu fliegen.
Bei Dienstschluss ließ sie sich von Lieutenant Duprey dann doch Tims Standort geben, obwohl sie ihrem Freund noch immer grollte. Aber die Neugier nagte an ihr. Vielleicht würde sie von ihm ja eine plausible Erklärung bekommen, was seinen plötzlichen Sinneswandel betraf. Sie machte sich auf den Weg zu der Baracke, in der ihr Freund jetzt untergebracht war und wurde von den Wachtposten auch ohne jede Behelligung eingelassen. Vielleicht hatte Duprey sie ja bereits angekündigt.
Die Baracke war nicht in einzelne Kammern unterteilt wie die anderen Unterkünfte auf der Basis, sondern in große Schlafsäle. Bett reihte sich an Bett, vor jedem stand eine Kiste für die Habseligkeiten der Soldaten. Der Boden schimmerte so blank, als wäre er gerade erst gebohnert worden. Sorgfältig geputzte Stiefel reihten sich vor den Kisten auf, einige Männer – Isabel sah nur Männer, keine Soldatinnen, vielleicht waren diese an einem anderen Ort untergebracht – saßen auf der Bettkante und polierten an ihren Schuhen herum. Andere hatten sich auf ihre Betten gelegt und ruhten sich von dem harten Trainingsprogramm aus, dem sie tagsüber unterworfen waren. Eine Tür führte zu den Duschen, Isabel hörte das Wasser laufen. Niemand schien von ihr Notiz zu nehmen, als sie auf der Suche nach Tim durch die Reihen ging. Es lag eine fast unheimliche Stille über dem Saal, niemand unterhielt sich, wie es sonst bei den anderen Soldaten nach Dienstschluss üblich war. Nur auf einem Bett schnarchte ein Mann leise vor sich hin. Es roch nach Waffenfett und ein wenig nach Schweiß.
Isabel entdeckte Tim auf einem der letzten Betten sitzend, auch er putzte mechanisch an seinen Stiefeln herum. Sie beschleunigte ihren Schritt und eilte auf ihn zu. Jetzt, da sie ihn wieder sah, war plötzlich aller Zorn verflogen. Sie war nur froh, dass es ihm gut ging.
„Tim! Habe ich dich endlich gefunden!“ Sie ließ sich neben ihm auf das Bett fallen und legte den Arm um seine Schultern um ihn an sich zu drücken.
Auf alles war sie vorbereitet gewesen, nur nicht auf seine folgende Reaktion. Unendlich langsam wandte er ihr sein Gesicht zu, als benötige er Zeit, um sie wieder zu erkennen. Dann immerhin lächelte er sie an, aber es sah mechanisch aus, als würden seine Mundwinkel wie bei einer Handpuppe durch Fremdeinwirkung nach oben gezogen. „Isabel, was machst du hier?“, fragte er ohne besondere Emotion in der Stimme.
„Ich suche dich seit zwei Tagen, du Idiot“, erwiderte sie, um Fröhlichkeit bemüht. „Die ganze Basis habe ich verrückt gemacht, um dich zu finden. Keiner wusste etwas. Bis mir schließlich der General gesagt hat, wo ich dich finde.“
„Du hast den General nach mir gefragt?“, fragte Tim mit leisem Vorwurf in der Stimme. „Du hast ihn wegen mir von seiner Arbeit abgehalten?“
„Er hat es mir angeboten, schließlich bin ich seine Mitarbeiterin. Es hat ihn nur eine Frage gekostet, um deinen Aufenthaltsort raus zu bekommen.“ In ihrer Magengrube machte sich ein seltsames Gefühl breit. Warum reagierte Tim so merkwürdig? Er schien sich nicht besonders zu freuen, sie zu sehen, sie fühlte sich wie ein lästiger Besucher. „Aber jetzt erzähl doch mal: Wie bist du so schnell in diese Einheit aufgenommen worden? Bisher warst du doch nicht gerade ein treuer Anhänger der Reinigenden Flamme!“
„Was erzählst du denn da?“, fragte Tim mit echter Verwunderung. „Ich habe niemals an General Smith oder der Reinigenden Flamme gezweifelt! Natürlich habe ich mich sofort freiwillig für diese Einheit gemeldet, als mir diese große Chance geboten wurde. Das hätte doch jeder getan.“
Isabel starrte ihn entgeistert an. Wahrscheinlich würde er gleich anfangen zu lachen, das konnte nur ein Scherz sein. „Spinnst du? Bis vor ein paar Tagen hast du mich noch für verrückt erklärt, weil ich für den General arbeiten wollte.“
„Ich weiß wirklich nicht wovon du redest.“ Wenn das ein Witz war, dann hielt Tim sein Spiel lange durch. Aber Isabel fürchtete, dass er es vollkommen ernst meinte. „Warum hätte ich dich davon abhalten sollen, dich in den Dienst des Generals zu stellen? Er ist das Beste, was uns seit Jahren passiert ist. Es wurde doch höchste Zeit, dass auf dieser Basis mal ein frischer Wind weht. Und jetzt können wir seine Botschaft in die ganze Welt tragen.“
Isabel schüttelte verwirrt den Kopf. Auch sie bewunderte Smith, war von seinem Charisma gefangen, aber Tims plötzliche Bewunderung, die er in so wohlgeformten Sätzen zum Ausdruck brachte, stimmte sie misstrauisch. „Nun gut, wie du meinst. Lange wird es wohl wirklich nicht mehr dauern.“
„Hör mal, ich habe noch einiges zu erledigen, außerdem wird bald unser Schlafsaal kontrolliert und ich möchte nur ungern mit schmutzigen Stiefeln vor unserem Major auftauchen.“
„Ich verstehe, das war wohl ein Rausschmiss.“ Beleidigt stand Isabel auf. Sie verstand nicht, was in Tim vorging. Sein Verhalten stellte sie vor ein Rätsel und machte sie traurig. Ihre Augen brannten. Sie schaffte es gerade bis zur Tür der Baracke, ihre Tränen zurückzuhalten. Vor der Tür der Baracke angelangt, sah sie noch einmal zurück und beeilte sich dann, in ihr eigenes Quartier zurück zu kommen.
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