Die Herrschaft des Phönix
von Mirjam Lea
Kurzbeschreibung
General Smith konnte aus der Gefangenschaft entkommen und schickt sich ein zweites Mal an, die Herrschaft in der EAAU zu übernehmen. Aber auch seine grausamen Methoden schaffen es nicht, jeden Widerstand erlahmen zu lassen... (Anmerkung: Es handelt sich um eine radikale Neufassung von der Innere Zirkel, die jetzt auf Gleichgewicht des Schreckens ausbaut.)
GeschichteDrama / P16 / Gen
Gordon B. Smith
Samuel Hirschmann
19.08.2009
28.09.2010
27
114.525
Alle Kapitel
27 Reviews
27 Reviews
Dieses Kapitel
1 Review
1 Review
19.08.2009
3.174
Sie würden nie mehr herausfinden, ob sie verraten worden waren oder einfach Pech gehabt hatten. Wenn es eine Falle war, in die sie hinein gelaufen waren, dann hatte jemand sie perfekt geplant. Vielleicht hatte auch der General einfach seine Truppen rund um die Sendebaracke verstärkt, jetzt, da seine entscheidende Rede anstand. Seine Laserbatterien standen überall in der EAAU bereit, um nach Metropolis verschifft zu werden. Zusätzlich hatte sich ein Teil der Marine hinter ihn gestellt, was niemand vorher erwartet hatte. Die Seestreitkräfte waren seit Beginn des Putsches gespalten wie keine andere Waffengattung der Republik, auch hier hatte der General seine Gefolgsleute, obwohl sich keiner der höheren Offiziere bisher als einer seiner Anhänger bekannt hatte. Es war einfach unheimlich.
Als sie früh am Morgen, noch im Schutz der Dämmerung, versucht hatten, die Baracke zu stürmen, waren sie zu fünft gewesen, Tim Selbert, Marissa Colby, Jean Berteuil und zwei weitere Soldaten der Basis. Das Beschaffen der nötigen Ausrüstung war fast ein Kinderspiel gewesen, zu leicht schon für Tims Geschmack. Neben ihren Dienstwaffen hatten sie sich Sprengstoff besorgt, kleine Päckchen, die sich leicht unter der Kleidung verbergen ließen, aber dennoch große Wirkung zeigen sollten. Das hatte Jean jedenfalls versprochen, und er kannte sich mit so etwas aus. Der Plan hatte vorgesehen, eine der Ladungen ein wenig abseits der Baracke zu zünden, um für ausreichende Ablenkung zu sorgen. Als Experte sollte Jean diesen Part übernehmen. Der Rest der kleinen Gruppe wollte daraufhin die verbliebenen Wachen überwältigen und die Sprengung des Senders in die Wege leiten.
Aber so weit war es gar nicht gekommen. Wie verabredet, konnte Jean zwar noch die Explosion auslösen, welche die Wachen ablenken sollte. Ein gewaltiger Knall hallte durch das noch stille Militärlager. Und wie erwartet hatte diese Explosion auch die Aufmerksamkeit der Wachen auf sich gezogen.
Die kleine Gruppe hatte sich einen kurzen Augenblick des Triumphs gegönnt, einander auf die Schultern geklopft, dann waren sie los gestürmt, in Richtung der scheinbar nur noch unzureichend bewachten Baracke. Sie verfolgten keinen bestimmten Plan, wussten nur, dass sie schnell handeln mussten, bis der Bluff auffliegen würde. Smiths Wachen waren nicht dumm, sie würden schnell das Ablenkungsmanöver durchschauen. Bis dahin musste der Sender gestürmt und die kurze Nachricht abgesetzt sein, auf die sie sich geeinigt hatten. Smith sendet von Asinara, senden Sie Unterstützung, mehr wollten sie nicht übermitteln, so viel Zeit musste ihnen einfach bleiben. Keine langen Ausführungen, einfach nur die Bitte um Hilfe und die Information über den Aufenthaltsort des Generals. Die regierungstreuen Truppen würden dann schon wissen, was zu tun war. Tim hätte gerne auch über die seltsamen Vorgänge auf der Basis berichtet, aber es stand von vornherein fest, dass dazu keine Zeit bleiben würde.
Mit klopfenden Herzen und dem Bewusstsein, dass dies die letzte Tat ihres Lebens sein konnte, rannten sie los. Tim, der bisher ein außerordentlich ruhiges Dasein geführt hatte, fragte sich seit Tagen selbst, woher er auf einmal den Mut zu einer derartigen Aktion nahm. Er war gewiss kein Held im klassischen Sinne. Von Auseinandersetzungen hatte er sich immer fern gehalten, ja sogar in simpelsten Diskussionen neigte er dazu, die Position des Schlichters einzunehmen, um es sich mit keiner Seite zu verderben. Zum Militär war er damals nur gegangen, weil es dort eine gute Ausbildung gab und Freunde ihm erzählt hatten, der Arbeitstag eines Technikers sei dort längst nicht so anstrengend wie in der freien Wirtschaft. Die strammen Soldaten hatte er immer belächelt, so einer wollte er nie werden. Im Gegensatz zu den meisten Soldaten hier, die sich an einen ereignisreicheren Standort wünschten, hatte er sich auf Asinara immer wohl gefühlt. Hier war es ruhig und beschaulich zugegangen. Bis Smith kam und dem Stützpunkt sein Programm aufdrückte. Vielleicht war das seine Motivation – er wollte sein altes Leben zurück.
Sie kamen nicht weit. Es war, als wären sie erwartet worden. Die Tür der Sendebaracke flog auf und spie so viele Soldaten in schwarzen Overalls aus, wie sie nur eben dort hinein gepasst hatten. Auch aus den umliegenden Baracken stürzten Schwarzuniformierte mit schweren Laserwaffen im Anschlag heraus, wie ein Bienenschwarm, der sich auf einen Angreifer stürzte. Die aufgehende Sonne spiegelte sich wie Feuer auf ihren blank polierten Helmen, schien sie geradezu zum Glühen zu bringen. Sogar der Zeitpunkt für ihr Erscheinen schien perfekt gewählt zu sein, die Sonne hatte sich mit Smiths Leuten verbündet und spendete der Reinigenden Flamme ihr Licht. Bemühte nicht der General immer gern das Bild vom Phoenix aus der Asche? Seine Männer schienen aus dem Feuer selbst zu bestehen. Aus Tims Perspektive, der in Richtung des Sonnenaufgangs schaute, war es ein gespenstisches Bild, als besäßen die Truppen einen Furcht erregenden Heiligenschein.
Sie hatten schon angesichts dieser Überzahl von Gegnern keinerlei Chance noch Widerstand zu leisten. David Millar, einer der zu ihnen gestoßenen Soldaten der Basis, versuchte es trotzdem, in einem Akt der Verzweifelung riss er seine Laserpistole hoch und zielte auf den nächstbesten Soldaten, der auf ihn zukam und drückte ab. Mit einem heiseren Schrei brach der Mann zusammen. David überlebte ihn nur um ein paar Sekunden. Marissa schrie auf, als sie ihn zusammenbrechen sah, sie blieb wie gelähmt auf der Stelle stehen. Mittlerweile waren sie von etwa dreißig Männern umringt. Es hätten ebenso gut dreihundert sein können. Falsches Heldentum brachte sie in diesem Moment nicht weiter. Aber welche Alternativen gab es hinsichtlich dieser Übermacht? Selbst wenn sie sich ergaben, hatten sie von ihren Gegnern keine Gnade zu erwarten. Nun würden sie am eigenen Leibe erfahren, ob es stimmte, was man von Smith sagte: Er machte mit seinen Feinden kurzen Prozess.
„Lassen Sie Ihre Waffen fallen und heben Sie die Hände über den Kopf!“ Ein uniformierter, mittelgroßer Mann, schlank und drahtig, seinen Schulterklappen zufolge ein Major, den Tim noch nie auf der Basis gesehen hatte, bahnte sich einen Weg durch die Reihen der Soldaten. „Es macht doch keinen Sinn mehr, noch Widerstand zu leisten, das sehen Sie doch wohl ein!“ Er sprach absolut ruhig, ohne eine Spur von Aufregung in der Stimme. „Ihren Freund, der die Sprengladung gelegt hat, haben wir auch schon gefasst. Also legen Sie Ihre Waffen ab und ergeben Sie sich. Ich werde dann in meinem Bericht an den General wohlwollend erwähnen, dass Sie uns bei der Festnahme keinerlei Schwierigkeiten gemacht haben.“
Tim seufzte resigniert auf und ließ seine Laserpistole fallen. Neben ihm tat Marissa das gleiche. Verbal allerdings gab sie sich noch nicht geschlagen. „Und was haben wir jetzt davon?“, fragte sie mit Ironie in der Stimme. „Werden wir jetzt schneller an die Wand gestellt oder fällt Ihnen noch etwas anderes ein?“
Es war nicht schwer zu erraten, worauf sie anspielte. Nun, da es einmal zu einem Akt des Widerstandes gekommen war, würde der General wissen, ob es auf der Basis noch weitere Nester der Rebellion gab. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, sich erschießen zu lassen, denn nun mochten gnadenlose Verhöre folgen. Sicherlich hatte Smith auch dafür Spezialisten.
„Aber wir sind doch keine Unmenschen“, erwiderte der Major fast gelangweilt. „Selbstverständlich stellen wir niemanden einfach an die Wand ohne vorher die Sachlage geprüft zu haben. Was denken Sie denn von uns? Schließlich stehen wir für die neue Ordnung in der EAAU ein.“
Das war es dann wohl, dachte Tim verzweifelt. Eine Stimme in seinem Hinterkopf schien ihn zu verspotten, schalt ihn einen Idioten, weil er sich nicht einfach blind und taub gegenüber den Ereignissen auf dem Stützpunkt gestellt hatte. Dann würde er jetzt in seinem Quartier sitzen und sich ein kühles Bier genehmigen oder sich mit seinen Kameraden ein Fußballspiel im Fernsehen ansehen und nicht in den Lauf einer Laserpistole blicken. Er glaubte dem Major kein Wort, schon gar nicht die Geschichte über die Prüfung der Sachlage. Die neuen Machthaber würden sicherlich nicht ihre Zeit mit einer kleinen Gruppe von Revolutionären verschwenden. Warum machte sich der Major aber dennoch die Mühe, sie in falscher Hoffnung zu wiegen?
„Neue Ordnung?“ Marissa schüttelte ungläubig den Kopf. „Diktatur trifft es wohl eher. Mit freier Meinungsäußerung ist es doch wohl vorbei in ihrem System, oder habe ich das nicht richtig verstanden?“
„Wenn Sie unter freier Meinungsäußerung das Beschädigen von Regierungseigentum und das Legen von Sprengsätzen verstehen, dann allerdings.“ Der Major lachte kurz und verächtlich. „Für jede zivilisierte Form des Protestes haben wir selbstverständlich eine offenes Ohr, aber diese Chance haben Sie ja nicht genutzt, meine Damen und Herren.“
Die Reihen der Schwarzuniformierten teilten sich erneut, zwei von ihnen trieben Jean vor sich her in die Mitte des Kreises, seine Hände waren mit einem Kunststoffriemen auf den Rücken gefesselt. Einer der Soldaten schlug ihm den Kolben seines Gewehres zwischen die Schulterblätter um ihn vorwärts zu treiben. Jean stolperte, und Tim glaubte schon, er würde hinfallen, aber im letzten Moment konnte er sich noch fangen und stand dann schon neben ihnen. Sein Blick wanderte entsetzt zu der Leiche David Millars hinüber, dann hob er resigniert die Schultern und warf dem Rest der Gruppe einen entschuldigenden Blick zu. Seinen Teil des Plans hatte er zwar erfüllt, aber genutzt hatte es nichts. Tim glaubte zu wissen, wie es in ihm jetzt aussah, auch weil er sich ähnlich fühlte, als Versager. Auch wenn es gegen diese Übermacht nur ein Versagen hatte geben können.
„Nun, jetzt haben wir Ihren kleinen Trupp ja wohl beisammen“, meinte der Major zufrieden, „oder wartet sonst noch eine Überraschung auf uns?“
Sie schwiegen, mochte der Major ruhig annehmen, dass es noch weiteren Widerstand gab. Vielleicht hatten sie das wenigstens erreicht, Smith würde sich nicht mehr ganz so sicher in seiner Basis fühlen. Er wusste nun, dass es Männer und Frauen gab, die nicht nur murrten, sondern auch bereit waren, etwas zu tun.
„Nun, ich warte auf eine Antwort.“
„Wir waren die einzigen“, sagte Jean. „Leider.“
„Ich will hoffen, dass die anderen Soldaten hier vernünftiger sind als Sie.“ Der Major sprach etwas in ein Funkgerät. „Alles weitere können Sie uns ja später noch verraten – ich bin sicher, sie werden bald gesprächiger sein, als sie jetzt noch annehmen.“
Also doch, dachte Tim, sie werden uns Verhören unterziehen. Unwillkürlich fröstelte er. Der Gedanke an eine gewaltsame Befragung war ein unbekannte Größe für ihn, eine Angst, die sich langsam, aber unaufhaltsam an ihn heran schlich. Er machte sich keinerlei Illusionen darüber, wie lange er stand halten würde, wenn sie erst begannen, ihm Schmerzen zuzufügen. Sicherlich wollten sie weitere Namen erfahren. Die Namen potentieller Mitverschwörer, die eventuell bereit waren, ebenfalls zur Waffe zu greifen und etwas zu unternehmen.
Ein Transporter schwebte heran, ein graues, unförmiges Gefährt ohne Beschriftung. Die Schwarzuniformierten machten dem Wagen Platz, der rückwärts an die Gefangenen heranfuhr. Tim spürte, wie auch seine Hände hinter den Rücken gerissen wurden und sich improvisierte Handschellen aus Kunststoffbändern um seine Gelenke schlossen. Der Soldat, der ihn fesselte, kannte keine Rücksicht, die Bänder schnitten schmerzhaft in seine Haut ein. Tim stöhnte leise auf, was seinem Peiniger ein kurzes, schadenfrohes Lachen entlockte. Auch Marissa und Mike, der weitere Mann, welcher sich ihnen angeschlossen hatte, wurden gefesselt. Dann trieb man sie auf den Transporter zu, dessen Türen von innen aufgestoßen wurden. Tim fühlte sich von starken Armen gepackt und auf die Ladefläche gezerrt. Rechts und links gab es ungepolsterte Bänke, auf die sie gestoßen wurden. Mit einem Knall schlossen sich die Türen und das Gefährt setzte sich mit brummendem Motor in Bewegung. Die Fenster waren mit Folie verklebt, sie ließen zwar ein wenig Licht ins Innere, aber man konnte nicht hinaus sehen, also konnten sie nur raten, in welche Richtung die Fahrt ging. Ob sie wohl von der Basis fortgebracht werden würden? Falls Smith sie hier erschießen ließ, konnte das zu den anderen Soldaten durchsickern, es würde zwar die Angst schüren aber dem General kaum weitere Sympathien einbringen. Vielleicht ließ er das lieber außerhalb erledigen.
„Wo bringt ihr uns jetzt hin?“, fragte Marissa. Tim hatte sich diese Frage erspart, da er ohnehin keine Antwort darauf erwartete.
„Das werdet ihr noch früh genug erfahren“, knurrte einer ihrer Bewacher zurück.
„Sehr gesprächig seid ihr ja nicht“, bemerkte Jean in einem Anflug von Galgenhumor. „Die Reiseleitung lässt hier schwer zu wünschen übrig.“
Die Antwort war ein weiter Kolbenstoß in seine Seite. Mittlerweile musste er einige Prellungen davongetragen haben. Minuten vergingen, ohne dass ein weiteres Wort gesprochen wurde. Dann bremste der Transporter plötzlich scharf ab, Tim wurde fast von der Sitzbank geschleudert. Das Motorengeräusch verstummte, und er versuchte anhand der Außengeräusche herauszufinden, wo auf der Basis sie sich befanden, aber es ließ sich nichts eindeutiges feststellen. Seine Nervosität wuchs. Wenn er wenigstens gewusst hätte, was auf sie zukam. Aber die Bewacher zogen es vor, sie im Ungewissen zu lassen.
Wieder flogen die Türen des Transporters auf, und sie wurden barsch aufgefordert, auszusteigen. Mit gefesselten Händen war es schwer, die Balance zu halten, zudem wurden sie von hinten vorwärts gestoßen. Marissa fiel mehr aus dem Fahrzeug, als dass sie ausstieg und wurde von zwei Schwarzuniformierten wieder auf die Füße gezerrt. Sie setzte zu einem Fluch an, beherrschte sich aber im letzten Moment. Auf Jean schienen es die Bewacher besonders abgesehen zu haben, denn sie ließen ihm beim Aussteigen noch nicht einmal die Möglichkeit sich zu ducken, daher schlug sein Kopf gegen den Türrahmen. Er verzog kurz das Gesicht, ließ sich aber sonst nichts anmerken.
Wenigstens befanden sie sich noch auf der Basis, im Hintergrund konnte Tim den neuen Zaun erkennen. Vor ihnen lag eine von diesen neuen Baracken, die Smith hatte errichten lassen. Verwundert nahm er zur Kenntnis, dass das große flache Gebäude mit einem großen Emblem des Roten Kreuzes an einer der Seitenwände und auf dem Dach gekennzeichnet war. Neben dem Eingang stand tatsächlich ein Krankenwagen der Armee. Tarnte Smith seine Verhörräume etwa als Lazarett? Tim traute ihm auch das zu.
Einer der Soldaten eilte voraus und gab im Gebäude Bescheid. Wenig später öffneten sich die Türen und zu Tims Erstaunen erschienen nicht weitere Schwarzuniformierte, sondern einige Pfleger, die vier Rollbahren mit sich führten. Im Laufschritt kamen sie ihnen entgegen. In Tims Verwirrung mischte sich nun ein weiteres unbestimmtes Gefühl der Angst, weil er nun gar keine Ahnung mehr hatte, was auf sie zukommen würde. Er warf einen kurzen Seitenblick auf seine Freunde, die ebenso betretene Gesichter machten wie er.
„Was hat das zu bedeuten?“, zischte Marissa ihm panisch zu. „Warum kommen die mit Tragen? Wir sind doch nicht krank?“
„Ich weiß auch nicht, was das zu bedeuten hat“, erwiderte Jean ratlos. „Das kommt mir alles ziemlich merkwürdig vor. Wollen die uns unter Drogen setzen?“
„Mitkommen!“, befahl einer der Bewacher barsch.
„Jetzt sagen Sie uns doch, was los ist!“ Marissa wandte sich fast flehentlich an ihren Bewacher.
„Wir wollen es mal so ausdrücken“, entgegnete der Mann wider Erwarten, „der General gibt Ihnen eine zweite Chance, auch wenn ich das bei Euch Verrätern kaum fassen kann. Aber vielleicht will er eure Energie in die richtigen Bahnen lenken.“
In Tim wuchs eine dunkle Vorahnung heran, die so schrecklich war, dass er den Gedanken kaum zu Ende denken mochte. Zwei Soldaten packten ihn an den Ellbogen und zerrten ihn auf die Pfleger mit den Rollbahren zu, neben ihm geschah das Gleiche mit seinen Freunden. Jean beschimpfte seine Bewacher als Faschisten, aber das brachte ihm nichts weiter als noch mehr Schläge ein. Marissa wand sich ebenfalls in ihrem Griff, aber es war sinnlos. Ohne jeden Widerstand ließ sich Tim abführen, da er bereits jede Hoffnung aufgegeben hatte. Wer sollte ihnen denn jetzt noch zu Hilfe kommen? Außerhalb der Basis wusste niemand etwas von ihrer Lage. Wenn sie erst nach gelungener Ausführung ihres Plans gefasst worden wären, dann hätten sie jetzt noch einen kleinen Hoffnungsschimmer, so aber gab es keine Rettung mehr.
Tim wurde auf eine Bahre geworfen, seltsamerweise legte man ihn auf den Bauch, und nicht auf den Rücken, wie erwartet. Kühles Metall berührte sein Gesicht. Die Kunststofffesseln wurden gelöst, und seine Hände waren einen wundervollen Augenblick lang frei, aber kaum hatte er die Erleichterung darüber gespürt, zerrten die Pfleger daran und fixierten sie mit Lederriemen am Rande der Bahre. Ebenso verfuhren sie mit seinen Füßen und seiner Taille. Nun lag er verschnürt wie ein Päckchen da, seinen Peinigern hilflos ausgeliefert. Kaum konnte er den Kopf heben. Er sah eine Ärztin aus dem Gebäude kommen, jedenfalls nahm er an, dass es eine Ärztin war, denn die blonde, hübsche Frau trug einen weißen Kittel, aus dessen Brusttasche ein Stethoskop hervorschaute. Eigentlich sah sie sehr sympathisch aus, aber sie gehörte zweifellos zu Smiths Leuten.
„Sind das alle?“, fragte sie den Anführer ihrer Bewacher. „Sollten es nicht fünf sein?“
„Einer meinte, sich noch ein Gefecht mit uns liefern zu müssen“, erklärte der Soldat. „Der ist jetzt nicht mehr zu gebrauchen.“
„Dann haben wir auch weniger Arbeit“, erwiderte die Ärztin ungerührt. „Auch gut. Wir arbeiten hier ja schon wie am Fließband. Nicht, dass ich mich beschweren will, aber an manchen Tagen haben wir schon ordentlich zu tun.“
Die gleichgültige Stimme der jungen Ärztin erschütterte Tim. Sie sprach, als behandele sie keine Menschen, sondern stelle ein Produkt her. Unwillkürlich begann er an seinen Fesseln zu zerren, aber diese saßen grausam fest, es brachte ihm nur schmerzende Gelenke ein.
„Ich hoffe, das schlägt sich nicht in ihrer Leistung wieder. Der General erwartet exakte Arbeit. Nicht, dass uns noch einer von denen ausfällt.“
„Das wollen wir nicht hoffen. Aber schließlich befinden wir uns noch in der Testphase, auch wenn unsere Ergebnisse sehr zufriedenstellend sind.“
„Sie werden das schon hinkriegen, Doktor.“ Der Soldat legte eine Hand an seinen Helm und gab der Ärztin damit das Zeichen, mit ihrer Arbeit zu beginnen. Tim fühlte ein Würgen in seiner Kehle, die Angst schnürte ihm die Luft ab. Neben ihm begann Jean erneut, wüste Flüche auszustoßen, die ebenso verschwendet waren wie Tims Kraftanstrengung an den Fesseln.
Die Ärztin wandte sich an Tim. „Nun bleiben Sie mal ganz ruhig, junger Mann, bald haben Sie es hinter sich, und dann geht es Ihnen besser.“
„Sie reden ja, als habe ich eine dämliche Blinddarmoperation vor mir“, knurrte Tim zurück.
„Es ist weitaus weniger aufwändig“, die Ärztin lächelte. Aus ihrer Kitteltasche holte sie ein Infusionsgerät hervor. „Nun machen Sie mal keinen Aufruhr, es ist gleich geschafft.“
„Was ist das?“ Tim bemerkte etwas Kühles an seiner Schläfe, die sich sogleich wie betäubt anfühlte.
„Nur etwas zur Beruhigung.“
„Was...“ Er kam nicht dazu, den Satz zu beenden. Vor seinen Augen wurde es schwarz, als er in gnädige Bewusstlosigkeit versank, kaum, dass sein Gesicht das Metall der Bahre berührte.
Wie lange er geschlafen hatte, mochte er später nicht mehr zu sagen. Als er erwachte, behinderten ihn keine Fesseln mehr, vielmehr lag er in einem regulären Krankenbett in einem hellen Raum. Es dauerte ein wenig, bis er wieder klar sehen konnte, aber ansonsten fühlte er sich wohlauf. Nur in seinem Nacken juckte es ein wenig. Er tastete mit den Fingern nach der Stelle und fand eine kleine Erhebung dort vor. Nun, vielleicht hatte er sich dort gestoßen.
Seine Erinnerung allerdings ließ ihn im Stich. Warum bloß lag er auf der Krankenstation? Eigentlich war er doch topfit. Er konnte es kaum erwarten, wieder seinen Dienst aufzunehmen, anstatt hier nutzlos herum zu liegen, schließlich wurde er doch gebraucht. Der General brauchte schließlich jeden guten Mann auf der Basis, und er war ein verdammt guter Techniker. Er musste mit der Ärztin sprechen, damit sie ihn möglichst bald wieder diensttauglich schrieb.
Als sie früh am Morgen, noch im Schutz der Dämmerung, versucht hatten, die Baracke zu stürmen, waren sie zu fünft gewesen, Tim Selbert, Marissa Colby, Jean Berteuil und zwei weitere Soldaten der Basis. Das Beschaffen der nötigen Ausrüstung war fast ein Kinderspiel gewesen, zu leicht schon für Tims Geschmack. Neben ihren Dienstwaffen hatten sie sich Sprengstoff besorgt, kleine Päckchen, die sich leicht unter der Kleidung verbergen ließen, aber dennoch große Wirkung zeigen sollten. Das hatte Jean jedenfalls versprochen, und er kannte sich mit so etwas aus. Der Plan hatte vorgesehen, eine der Ladungen ein wenig abseits der Baracke zu zünden, um für ausreichende Ablenkung zu sorgen. Als Experte sollte Jean diesen Part übernehmen. Der Rest der kleinen Gruppe wollte daraufhin die verbliebenen Wachen überwältigen und die Sprengung des Senders in die Wege leiten.
Aber so weit war es gar nicht gekommen. Wie verabredet, konnte Jean zwar noch die Explosion auslösen, welche die Wachen ablenken sollte. Ein gewaltiger Knall hallte durch das noch stille Militärlager. Und wie erwartet hatte diese Explosion auch die Aufmerksamkeit der Wachen auf sich gezogen.
Die kleine Gruppe hatte sich einen kurzen Augenblick des Triumphs gegönnt, einander auf die Schultern geklopft, dann waren sie los gestürmt, in Richtung der scheinbar nur noch unzureichend bewachten Baracke. Sie verfolgten keinen bestimmten Plan, wussten nur, dass sie schnell handeln mussten, bis der Bluff auffliegen würde. Smiths Wachen waren nicht dumm, sie würden schnell das Ablenkungsmanöver durchschauen. Bis dahin musste der Sender gestürmt und die kurze Nachricht abgesetzt sein, auf die sie sich geeinigt hatten. Smith sendet von Asinara, senden Sie Unterstützung, mehr wollten sie nicht übermitteln, so viel Zeit musste ihnen einfach bleiben. Keine langen Ausführungen, einfach nur die Bitte um Hilfe und die Information über den Aufenthaltsort des Generals. Die regierungstreuen Truppen würden dann schon wissen, was zu tun war. Tim hätte gerne auch über die seltsamen Vorgänge auf der Basis berichtet, aber es stand von vornherein fest, dass dazu keine Zeit bleiben würde.
Mit klopfenden Herzen und dem Bewusstsein, dass dies die letzte Tat ihres Lebens sein konnte, rannten sie los. Tim, der bisher ein außerordentlich ruhiges Dasein geführt hatte, fragte sich seit Tagen selbst, woher er auf einmal den Mut zu einer derartigen Aktion nahm. Er war gewiss kein Held im klassischen Sinne. Von Auseinandersetzungen hatte er sich immer fern gehalten, ja sogar in simpelsten Diskussionen neigte er dazu, die Position des Schlichters einzunehmen, um es sich mit keiner Seite zu verderben. Zum Militär war er damals nur gegangen, weil es dort eine gute Ausbildung gab und Freunde ihm erzählt hatten, der Arbeitstag eines Technikers sei dort längst nicht so anstrengend wie in der freien Wirtschaft. Die strammen Soldaten hatte er immer belächelt, so einer wollte er nie werden. Im Gegensatz zu den meisten Soldaten hier, die sich an einen ereignisreicheren Standort wünschten, hatte er sich auf Asinara immer wohl gefühlt. Hier war es ruhig und beschaulich zugegangen. Bis Smith kam und dem Stützpunkt sein Programm aufdrückte. Vielleicht war das seine Motivation – er wollte sein altes Leben zurück.
Sie kamen nicht weit. Es war, als wären sie erwartet worden. Die Tür der Sendebaracke flog auf und spie so viele Soldaten in schwarzen Overalls aus, wie sie nur eben dort hinein gepasst hatten. Auch aus den umliegenden Baracken stürzten Schwarzuniformierte mit schweren Laserwaffen im Anschlag heraus, wie ein Bienenschwarm, der sich auf einen Angreifer stürzte. Die aufgehende Sonne spiegelte sich wie Feuer auf ihren blank polierten Helmen, schien sie geradezu zum Glühen zu bringen. Sogar der Zeitpunkt für ihr Erscheinen schien perfekt gewählt zu sein, die Sonne hatte sich mit Smiths Leuten verbündet und spendete der Reinigenden Flamme ihr Licht. Bemühte nicht der General immer gern das Bild vom Phoenix aus der Asche? Seine Männer schienen aus dem Feuer selbst zu bestehen. Aus Tims Perspektive, der in Richtung des Sonnenaufgangs schaute, war es ein gespenstisches Bild, als besäßen die Truppen einen Furcht erregenden Heiligenschein.
Sie hatten schon angesichts dieser Überzahl von Gegnern keinerlei Chance noch Widerstand zu leisten. David Millar, einer der zu ihnen gestoßenen Soldaten der Basis, versuchte es trotzdem, in einem Akt der Verzweifelung riss er seine Laserpistole hoch und zielte auf den nächstbesten Soldaten, der auf ihn zukam und drückte ab. Mit einem heiseren Schrei brach der Mann zusammen. David überlebte ihn nur um ein paar Sekunden. Marissa schrie auf, als sie ihn zusammenbrechen sah, sie blieb wie gelähmt auf der Stelle stehen. Mittlerweile waren sie von etwa dreißig Männern umringt. Es hätten ebenso gut dreihundert sein können. Falsches Heldentum brachte sie in diesem Moment nicht weiter. Aber welche Alternativen gab es hinsichtlich dieser Übermacht? Selbst wenn sie sich ergaben, hatten sie von ihren Gegnern keine Gnade zu erwarten. Nun würden sie am eigenen Leibe erfahren, ob es stimmte, was man von Smith sagte: Er machte mit seinen Feinden kurzen Prozess.
„Lassen Sie Ihre Waffen fallen und heben Sie die Hände über den Kopf!“ Ein uniformierter, mittelgroßer Mann, schlank und drahtig, seinen Schulterklappen zufolge ein Major, den Tim noch nie auf der Basis gesehen hatte, bahnte sich einen Weg durch die Reihen der Soldaten. „Es macht doch keinen Sinn mehr, noch Widerstand zu leisten, das sehen Sie doch wohl ein!“ Er sprach absolut ruhig, ohne eine Spur von Aufregung in der Stimme. „Ihren Freund, der die Sprengladung gelegt hat, haben wir auch schon gefasst. Also legen Sie Ihre Waffen ab und ergeben Sie sich. Ich werde dann in meinem Bericht an den General wohlwollend erwähnen, dass Sie uns bei der Festnahme keinerlei Schwierigkeiten gemacht haben.“
Tim seufzte resigniert auf und ließ seine Laserpistole fallen. Neben ihm tat Marissa das gleiche. Verbal allerdings gab sie sich noch nicht geschlagen. „Und was haben wir jetzt davon?“, fragte sie mit Ironie in der Stimme. „Werden wir jetzt schneller an die Wand gestellt oder fällt Ihnen noch etwas anderes ein?“
Es war nicht schwer zu erraten, worauf sie anspielte. Nun, da es einmal zu einem Akt des Widerstandes gekommen war, würde der General wissen, ob es auf der Basis noch weitere Nester der Rebellion gab. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, sich erschießen zu lassen, denn nun mochten gnadenlose Verhöre folgen. Sicherlich hatte Smith auch dafür Spezialisten.
„Aber wir sind doch keine Unmenschen“, erwiderte der Major fast gelangweilt. „Selbstverständlich stellen wir niemanden einfach an die Wand ohne vorher die Sachlage geprüft zu haben. Was denken Sie denn von uns? Schließlich stehen wir für die neue Ordnung in der EAAU ein.“
Das war es dann wohl, dachte Tim verzweifelt. Eine Stimme in seinem Hinterkopf schien ihn zu verspotten, schalt ihn einen Idioten, weil er sich nicht einfach blind und taub gegenüber den Ereignissen auf dem Stützpunkt gestellt hatte. Dann würde er jetzt in seinem Quartier sitzen und sich ein kühles Bier genehmigen oder sich mit seinen Kameraden ein Fußballspiel im Fernsehen ansehen und nicht in den Lauf einer Laserpistole blicken. Er glaubte dem Major kein Wort, schon gar nicht die Geschichte über die Prüfung der Sachlage. Die neuen Machthaber würden sicherlich nicht ihre Zeit mit einer kleinen Gruppe von Revolutionären verschwenden. Warum machte sich der Major aber dennoch die Mühe, sie in falscher Hoffnung zu wiegen?
„Neue Ordnung?“ Marissa schüttelte ungläubig den Kopf. „Diktatur trifft es wohl eher. Mit freier Meinungsäußerung ist es doch wohl vorbei in ihrem System, oder habe ich das nicht richtig verstanden?“
„Wenn Sie unter freier Meinungsäußerung das Beschädigen von Regierungseigentum und das Legen von Sprengsätzen verstehen, dann allerdings.“ Der Major lachte kurz und verächtlich. „Für jede zivilisierte Form des Protestes haben wir selbstverständlich eine offenes Ohr, aber diese Chance haben Sie ja nicht genutzt, meine Damen und Herren.“
Die Reihen der Schwarzuniformierten teilten sich erneut, zwei von ihnen trieben Jean vor sich her in die Mitte des Kreises, seine Hände waren mit einem Kunststoffriemen auf den Rücken gefesselt. Einer der Soldaten schlug ihm den Kolben seines Gewehres zwischen die Schulterblätter um ihn vorwärts zu treiben. Jean stolperte, und Tim glaubte schon, er würde hinfallen, aber im letzten Moment konnte er sich noch fangen und stand dann schon neben ihnen. Sein Blick wanderte entsetzt zu der Leiche David Millars hinüber, dann hob er resigniert die Schultern und warf dem Rest der Gruppe einen entschuldigenden Blick zu. Seinen Teil des Plans hatte er zwar erfüllt, aber genutzt hatte es nichts. Tim glaubte zu wissen, wie es in ihm jetzt aussah, auch weil er sich ähnlich fühlte, als Versager. Auch wenn es gegen diese Übermacht nur ein Versagen hatte geben können.
„Nun, jetzt haben wir Ihren kleinen Trupp ja wohl beisammen“, meinte der Major zufrieden, „oder wartet sonst noch eine Überraschung auf uns?“
Sie schwiegen, mochte der Major ruhig annehmen, dass es noch weiteren Widerstand gab. Vielleicht hatten sie das wenigstens erreicht, Smith würde sich nicht mehr ganz so sicher in seiner Basis fühlen. Er wusste nun, dass es Männer und Frauen gab, die nicht nur murrten, sondern auch bereit waren, etwas zu tun.
„Nun, ich warte auf eine Antwort.“
„Wir waren die einzigen“, sagte Jean. „Leider.“
„Ich will hoffen, dass die anderen Soldaten hier vernünftiger sind als Sie.“ Der Major sprach etwas in ein Funkgerät. „Alles weitere können Sie uns ja später noch verraten – ich bin sicher, sie werden bald gesprächiger sein, als sie jetzt noch annehmen.“
Also doch, dachte Tim, sie werden uns Verhören unterziehen. Unwillkürlich fröstelte er. Der Gedanke an eine gewaltsame Befragung war ein unbekannte Größe für ihn, eine Angst, die sich langsam, aber unaufhaltsam an ihn heran schlich. Er machte sich keinerlei Illusionen darüber, wie lange er stand halten würde, wenn sie erst begannen, ihm Schmerzen zuzufügen. Sicherlich wollten sie weitere Namen erfahren. Die Namen potentieller Mitverschwörer, die eventuell bereit waren, ebenfalls zur Waffe zu greifen und etwas zu unternehmen.
Ein Transporter schwebte heran, ein graues, unförmiges Gefährt ohne Beschriftung. Die Schwarzuniformierten machten dem Wagen Platz, der rückwärts an die Gefangenen heranfuhr. Tim spürte, wie auch seine Hände hinter den Rücken gerissen wurden und sich improvisierte Handschellen aus Kunststoffbändern um seine Gelenke schlossen. Der Soldat, der ihn fesselte, kannte keine Rücksicht, die Bänder schnitten schmerzhaft in seine Haut ein. Tim stöhnte leise auf, was seinem Peiniger ein kurzes, schadenfrohes Lachen entlockte. Auch Marissa und Mike, der weitere Mann, welcher sich ihnen angeschlossen hatte, wurden gefesselt. Dann trieb man sie auf den Transporter zu, dessen Türen von innen aufgestoßen wurden. Tim fühlte sich von starken Armen gepackt und auf die Ladefläche gezerrt. Rechts und links gab es ungepolsterte Bänke, auf die sie gestoßen wurden. Mit einem Knall schlossen sich die Türen und das Gefährt setzte sich mit brummendem Motor in Bewegung. Die Fenster waren mit Folie verklebt, sie ließen zwar ein wenig Licht ins Innere, aber man konnte nicht hinaus sehen, also konnten sie nur raten, in welche Richtung die Fahrt ging. Ob sie wohl von der Basis fortgebracht werden würden? Falls Smith sie hier erschießen ließ, konnte das zu den anderen Soldaten durchsickern, es würde zwar die Angst schüren aber dem General kaum weitere Sympathien einbringen. Vielleicht ließ er das lieber außerhalb erledigen.
„Wo bringt ihr uns jetzt hin?“, fragte Marissa. Tim hatte sich diese Frage erspart, da er ohnehin keine Antwort darauf erwartete.
„Das werdet ihr noch früh genug erfahren“, knurrte einer ihrer Bewacher zurück.
„Sehr gesprächig seid ihr ja nicht“, bemerkte Jean in einem Anflug von Galgenhumor. „Die Reiseleitung lässt hier schwer zu wünschen übrig.“
Die Antwort war ein weiter Kolbenstoß in seine Seite. Mittlerweile musste er einige Prellungen davongetragen haben. Minuten vergingen, ohne dass ein weiteres Wort gesprochen wurde. Dann bremste der Transporter plötzlich scharf ab, Tim wurde fast von der Sitzbank geschleudert. Das Motorengeräusch verstummte, und er versuchte anhand der Außengeräusche herauszufinden, wo auf der Basis sie sich befanden, aber es ließ sich nichts eindeutiges feststellen. Seine Nervosität wuchs. Wenn er wenigstens gewusst hätte, was auf sie zukam. Aber die Bewacher zogen es vor, sie im Ungewissen zu lassen.
Wieder flogen die Türen des Transporters auf, und sie wurden barsch aufgefordert, auszusteigen. Mit gefesselten Händen war es schwer, die Balance zu halten, zudem wurden sie von hinten vorwärts gestoßen. Marissa fiel mehr aus dem Fahrzeug, als dass sie ausstieg und wurde von zwei Schwarzuniformierten wieder auf die Füße gezerrt. Sie setzte zu einem Fluch an, beherrschte sich aber im letzten Moment. Auf Jean schienen es die Bewacher besonders abgesehen zu haben, denn sie ließen ihm beim Aussteigen noch nicht einmal die Möglichkeit sich zu ducken, daher schlug sein Kopf gegen den Türrahmen. Er verzog kurz das Gesicht, ließ sich aber sonst nichts anmerken.
Wenigstens befanden sie sich noch auf der Basis, im Hintergrund konnte Tim den neuen Zaun erkennen. Vor ihnen lag eine von diesen neuen Baracken, die Smith hatte errichten lassen. Verwundert nahm er zur Kenntnis, dass das große flache Gebäude mit einem großen Emblem des Roten Kreuzes an einer der Seitenwände und auf dem Dach gekennzeichnet war. Neben dem Eingang stand tatsächlich ein Krankenwagen der Armee. Tarnte Smith seine Verhörräume etwa als Lazarett? Tim traute ihm auch das zu.
Einer der Soldaten eilte voraus und gab im Gebäude Bescheid. Wenig später öffneten sich die Türen und zu Tims Erstaunen erschienen nicht weitere Schwarzuniformierte, sondern einige Pfleger, die vier Rollbahren mit sich führten. Im Laufschritt kamen sie ihnen entgegen. In Tims Verwirrung mischte sich nun ein weiteres unbestimmtes Gefühl der Angst, weil er nun gar keine Ahnung mehr hatte, was auf sie zukommen würde. Er warf einen kurzen Seitenblick auf seine Freunde, die ebenso betretene Gesichter machten wie er.
„Was hat das zu bedeuten?“, zischte Marissa ihm panisch zu. „Warum kommen die mit Tragen? Wir sind doch nicht krank?“
„Ich weiß auch nicht, was das zu bedeuten hat“, erwiderte Jean ratlos. „Das kommt mir alles ziemlich merkwürdig vor. Wollen die uns unter Drogen setzen?“
„Mitkommen!“, befahl einer der Bewacher barsch.
„Jetzt sagen Sie uns doch, was los ist!“ Marissa wandte sich fast flehentlich an ihren Bewacher.
„Wir wollen es mal so ausdrücken“, entgegnete der Mann wider Erwarten, „der General gibt Ihnen eine zweite Chance, auch wenn ich das bei Euch Verrätern kaum fassen kann. Aber vielleicht will er eure Energie in die richtigen Bahnen lenken.“
In Tim wuchs eine dunkle Vorahnung heran, die so schrecklich war, dass er den Gedanken kaum zu Ende denken mochte. Zwei Soldaten packten ihn an den Ellbogen und zerrten ihn auf die Pfleger mit den Rollbahren zu, neben ihm geschah das Gleiche mit seinen Freunden. Jean beschimpfte seine Bewacher als Faschisten, aber das brachte ihm nichts weiter als noch mehr Schläge ein. Marissa wand sich ebenfalls in ihrem Griff, aber es war sinnlos. Ohne jeden Widerstand ließ sich Tim abführen, da er bereits jede Hoffnung aufgegeben hatte. Wer sollte ihnen denn jetzt noch zu Hilfe kommen? Außerhalb der Basis wusste niemand etwas von ihrer Lage. Wenn sie erst nach gelungener Ausführung ihres Plans gefasst worden wären, dann hätten sie jetzt noch einen kleinen Hoffnungsschimmer, so aber gab es keine Rettung mehr.
Tim wurde auf eine Bahre geworfen, seltsamerweise legte man ihn auf den Bauch, und nicht auf den Rücken, wie erwartet. Kühles Metall berührte sein Gesicht. Die Kunststofffesseln wurden gelöst, und seine Hände waren einen wundervollen Augenblick lang frei, aber kaum hatte er die Erleichterung darüber gespürt, zerrten die Pfleger daran und fixierten sie mit Lederriemen am Rande der Bahre. Ebenso verfuhren sie mit seinen Füßen und seiner Taille. Nun lag er verschnürt wie ein Päckchen da, seinen Peinigern hilflos ausgeliefert. Kaum konnte er den Kopf heben. Er sah eine Ärztin aus dem Gebäude kommen, jedenfalls nahm er an, dass es eine Ärztin war, denn die blonde, hübsche Frau trug einen weißen Kittel, aus dessen Brusttasche ein Stethoskop hervorschaute. Eigentlich sah sie sehr sympathisch aus, aber sie gehörte zweifellos zu Smiths Leuten.
„Sind das alle?“, fragte sie den Anführer ihrer Bewacher. „Sollten es nicht fünf sein?“
„Einer meinte, sich noch ein Gefecht mit uns liefern zu müssen“, erklärte der Soldat. „Der ist jetzt nicht mehr zu gebrauchen.“
„Dann haben wir auch weniger Arbeit“, erwiderte die Ärztin ungerührt. „Auch gut. Wir arbeiten hier ja schon wie am Fließband. Nicht, dass ich mich beschweren will, aber an manchen Tagen haben wir schon ordentlich zu tun.“
Die gleichgültige Stimme der jungen Ärztin erschütterte Tim. Sie sprach, als behandele sie keine Menschen, sondern stelle ein Produkt her. Unwillkürlich begann er an seinen Fesseln zu zerren, aber diese saßen grausam fest, es brachte ihm nur schmerzende Gelenke ein.
„Ich hoffe, das schlägt sich nicht in ihrer Leistung wieder. Der General erwartet exakte Arbeit. Nicht, dass uns noch einer von denen ausfällt.“
„Das wollen wir nicht hoffen. Aber schließlich befinden wir uns noch in der Testphase, auch wenn unsere Ergebnisse sehr zufriedenstellend sind.“
„Sie werden das schon hinkriegen, Doktor.“ Der Soldat legte eine Hand an seinen Helm und gab der Ärztin damit das Zeichen, mit ihrer Arbeit zu beginnen. Tim fühlte ein Würgen in seiner Kehle, die Angst schnürte ihm die Luft ab. Neben ihm begann Jean erneut, wüste Flüche auszustoßen, die ebenso verschwendet waren wie Tims Kraftanstrengung an den Fesseln.
Die Ärztin wandte sich an Tim. „Nun bleiben Sie mal ganz ruhig, junger Mann, bald haben Sie es hinter sich, und dann geht es Ihnen besser.“
„Sie reden ja, als habe ich eine dämliche Blinddarmoperation vor mir“, knurrte Tim zurück.
„Es ist weitaus weniger aufwändig“, die Ärztin lächelte. Aus ihrer Kitteltasche holte sie ein Infusionsgerät hervor. „Nun machen Sie mal keinen Aufruhr, es ist gleich geschafft.“
„Was ist das?“ Tim bemerkte etwas Kühles an seiner Schläfe, die sich sogleich wie betäubt anfühlte.
„Nur etwas zur Beruhigung.“
„Was...“ Er kam nicht dazu, den Satz zu beenden. Vor seinen Augen wurde es schwarz, als er in gnädige Bewusstlosigkeit versank, kaum, dass sein Gesicht das Metall der Bahre berührte.
Wie lange er geschlafen hatte, mochte er später nicht mehr zu sagen. Als er erwachte, behinderten ihn keine Fesseln mehr, vielmehr lag er in einem regulären Krankenbett in einem hellen Raum. Es dauerte ein wenig, bis er wieder klar sehen konnte, aber ansonsten fühlte er sich wohlauf. Nur in seinem Nacken juckte es ein wenig. Er tastete mit den Fingern nach der Stelle und fand eine kleine Erhebung dort vor. Nun, vielleicht hatte er sich dort gestoßen.
Seine Erinnerung allerdings ließ ihn im Stich. Warum bloß lag er auf der Krankenstation? Eigentlich war er doch topfit. Er konnte es kaum erwarten, wieder seinen Dienst aufzunehmen, anstatt hier nutzlos herum zu liegen, schließlich wurde er doch gebraucht. Der General brauchte schließlich jeden guten Mann auf der Basis, und er war ein verdammt guter Techniker. Er musste mit der Ärztin sprechen, damit sie ihn möglichst bald wieder diensttauglich schrieb.
Dieser Autor möchte Reviews nur von registrierten Nutzern erhalten. Bitte melde dich an, um einen Review für diese Geschichte zu schreiben.