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Die Herrschaft des Phönix

Kurzbeschreibung
GeschichteDrama / P16 / Gen
Gordon B. Smith Samuel Hirschmann
19.08.2009
28.09.2010
27
114.525
 
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19.08.2009 3.475
 
„Man müsste doch irgendwie dort heran kommen können!“
„Das kannst du vergessen. Smith hat dort mindestens ein Dutzend seiner Gorillas als Wachen postiert, an denen kommt so schnell niemand vorbei.“
„Wir müssten noch ein paar Leute zusammentrommeln, die uns unterstützen, anders geht es nicht.“
„Mit jedem, den wir einweihen, wächst die Gefahr, dass wir verraten werden, hier kann man doch seit ein paar Tagen niemandem mehr trauen.“
„Einen anderen Weg sehe ich aber nicht. Zu dritt haben wir keine Chance.“
„Tim, du weißt doch, was hier los ist, seitdem der General da ist. Selbst deine Freundin benimmt sich so merkwürdig. Man weiß einfach nicht mehr, mit wem man reden kann, ohne dass die Leute des Generals es mitbekommen. Wahrscheinlich machen wir uns schon verdächtig, weil wir hier stehen und zusammen ein Bierchen trinken.“
Tim Selbert, Marissa Colby und Jean Berteuil lehnten sich seit zehn Minuten im Schatten eines Vordachs an die Wand der technischen Versorgungsbaracke. Die Sonne schien grell auf den Platz vor ihnen hinunter, auf dem einst Gras gewachsen war. Durch die Sommerhitze gab es jedoch nur noch ein paar verdorrte Halme, der Rest war Staub und getrocknete Erde. Hin und wieder fuhr ein Transporter an ihnen vorbei und wirbelte zusätzlich Dreck auf, der sich als schmutzig graue Wolke in der Luft hielt und nur langsam zu Boden schwebte.
Ihre Aufmerksamkeit galt jedoch nicht dem staubigen Platz, sondern einer eilends errichteten Baracke aus glänzendem Stahl dahinter. Das provisorische Gebäude besaß keine Fenster, nur eine schmale Eingangstür an einer der Schmalseiten, die ständig von zwei schwer bewaffneten Soldaten in den typischen schwarzen Overalls bewacht wurde. Weitere Soldaten umrundeten die Baracke in regelmäßigen Abständen und hielten nach Unbefugten Ausschau, die sich ihr eventuell nähern mochten. Auf den ersten Blick wirkte das Gebäude unscheinbar, ein schlichter metallener Quader mit einem Sendemast auf dem Dach, der sich in nichts von der alten Sendestation der Basis zu unterscheiden schien. Tim hatte jedoch rasch herausgefunden, dass der General sich dort regelmäßig einfand, um seine Ansprachen an die Völker der EAAU zu halten, die auch noch den letzten Winkel der drei Kontinente erreichen sollten. Er hatte einige dieser Reden vor dem Fernseher verfolgt, die keinen Zweifel an den radikalen Absichten Smiths ließen, eine ständige Wiederholung seiner Parteiziele, durchbrochen von einer gnadenlosen persönlichen Abrechnung mit der jetzigen Regierung. Neben den durch alle Städte schwebenden Laserbatterien der generalstreuen Einheiten war das Wort Smiths mächtigste Waffe, er wusste, wie er die zweifelnden und zagenden Bürger der EAAU auf seine Seite ziehen und radikale Militärs von sich überzeugen konnte. Als Tim seinen beiden Freunden davon erzählt hatte, war zunächst die Frage aufgekommen, wie Smith verhinderte, dass die Sendungen nach Asinara zurückverfolgt wurden, und Tim konnte es sich nur so erklären, dass der General sie über mehrere Nachrichtensatelliten umleiten ließ. Sicherlich hatte sich die ihm besonders nahe stehende strategische Raumflotte bereits Zugang zu diversen Kommunikationsrelais verschafft.  
„Wenn ich diese Wachen sehe, vergeht mir die Lust auf mein Bier ziemlich schnell.“ Tim hatte seinen Freunden von seiner gestrigen Begegnung mit Smith erzählt, die er ihm noch immer nachtrug. Langsam wurde sie Sache für ihn zu einer persönlichen Angelegenheit. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, dann störte ihn nicht nur Smiths Rolle in der Weltpolitik, sondern vor allem sein Einfluss auf Isabel. Der General war auf dem besten Wege, seine Freundin zu seinem Geschöpf zu machen, und das gefiel ihm überhaupt nicht. Isabel arbeitete nur noch dafür, Smith zu gefallen, seinen Erwartungen gerecht zu werden. Es würde nicht mehr lange dauern, bis sie sich gegen ihre alten Freunde auf der Basis wenden würde. Konnte er ihr noch vertrauen? Sie in seine Pläne einweihen? Er zweifelte daran, und das tat ihm in der Seele weh.
„Unsere Chancen, da rein zu kommen, stehen ziemlich schlecht“, meinte Marissa. „Und noch schlechter stehen sie, wenn wir eine Nachricht absetzen wollen. Wir werden keine drei Sekunden senden können, bis die in die Baracke stürmen und uns niederschießen.“
„Sehr optimistisch bist du ja nicht“, erwiderte Jean, aber seine Stimmlage verriet, dass er Marissas Pessimismus teilte. „Aber du hast Recht, ebenso gut könnten wir versuchen, Smith selbst zu erwischen.“
„Die Idee würde mir zwar gefallen, aber das wäre wirklich noch riskanter.“ Tim ballte die Hände zu Fäusten. „Verdammt, es muss doch etwas geben, das wir tun können, um diesem Verrückten das Handwerk zu legen! Habt ihr die Nachrichten gestern gehört? Seine Truppen sind schon wieder weiter vorgerückt, und es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis er sich auch die Hauptstadt vornimmt.“
„Du hast dich getraut, einen fremden Radiosender zu hören?“ Jean staunte nicht schlecht. Selbstverständlich war es seit der Ankunft des Generals auch verboten, regierungstreue Sendungen zu verfolgen, jedenfalls sollte man sich nicht dabei erwischen lassen. Smiths Leute hatten alle Radios und Fernseher eingezogen, deren sie habhaft werden konnten, nur im Speisesaal hing noch eine Videowand, auf der nur das lief, das Smith zuließ. Tim aber hatte ein kleines, batteriebetriebenes Radio unter seiner Matratze versteckt, womit er das Risiko einging, in das Militärgefängnis der Insel eingesperrt zu werden. Oder Schlimmeres, man wusste es nicht genau. Vielleicht würde Smith ihn auch an die Wand stellen lassen.
„Zum Glück bringen sie die Nachrichten rund um die Uhr“, erwiderte Tim grinsend. „Wäre sonst ziemlich auffällig, immer zur vollen Stunde aufs Klo zu gehen.“
„Du solltest nicht zu viel riskieren.“
„Wir reden hier gerade davon, den Sender des Generals zu stürmen, und du hältst Radiohören für ein zu großes Risiko?“  
„Ich will nur, dass du an der Aktion noch teilnehmen kannst und nicht vorher kalt gestellt wirst.“
Marissa warf einen besorgten Blick auf die patrouillierenden Schwarzuniformierten. „Wir sollten unser Treffen ohnehin vertagen. Die gucken jetzt schon das zweite Mal misstrauisch hier rüber.“
„Keine schlechte Idee.“
Als hätte sie es vorhergesehen, wich einer der Schwarzuniformierten plötzlich von seiner Route ab und kam auf sie zu. Immerhin ließ er sein Gewehr geschultert und richtete es nicht gleich kampfbereit auf die kleine Gruppe.
„Machen wir, dass wir hier weg kommen“, zischte Jean.
„Hey, was treibt ihr da?“, rief der Schwarzuniformierte ihnen zu. „Habt ihr nichts zu tun?“
„Alles klar, wir wollten nur unsere Mittagspause in Ruhe verbringen“, rief Marissa zurück und setzte ihr charmantestes Lächeln auf, das allerdings an dem Mann abprallte wie an einem Stahlklotz. Das wollte etwas heißen, denn Marissa wickelte normalerweise mit ihrem Charme jeden ein, auch vorgesetzte Offiziere. Der Schwarzuniformierte jedoch zeigte sich vollkommen unbeeindruckt.
„Wenn ihr nicht gleich hier verschwunden seid, mache ich Meldung an den General.“, drohte er. „Der kann es nämlich gar nicht leiden, wenn Soldaten faul in den Ecken herum lungern.“
„Wir sind schon weg.“
Tim warf seinen Freunden ein letztes verschwörerisches Lächeln zu, dann trennten sie sich, um jeder seiner Arbeit nachzugehen.  

***

Isabel Montero dachte gerade noch darüber nach, wie sehr sich Major Johnson doch in den letzten Tagen verändert hatte, als der General sie an seinen Schreibtisch rief. Johnson stand bereits neben ihm, in tadelloser Uniform, von der Isabel noch nicht einmal wusste, dass er sie überhaupt noch besaß, denn sie kannte den Major nur in verschwitzten Hemden. Plötzlich schien ihm die Hitze aber nichts mehr auszumachen, und ebenso wenig die Tatsache, dass der General ihn mit Aufträgen quer über das ganze Gelände scheuchte. Früher hatte Johnson seinen Schreibtisch nur außerordentlich widerstrebend verlassen, meistens nur, um entweder auf die Toilette zu gehen oder sich etwas zu trinken zu holen.  Wenn man ihn im seinem Büro besuchte, nahm er meist schnell die Füße von seinem Schreibtisch und räusperte sich gewichtig. Smith schien einen guten Einfluss auf ihn auszuüben, denn seine Wandlung grenzte schon an ein Wunder. Selbst Isabel, die von Smith nachgerade begeistert war und sich bemühte, jedem seiner Befehle durch Eigeninitiative zuvorzukommen, gelang es nicht, ein derart vorbildlicher Offizier zu sein. Sie beobachtete die Entwicklung ein wenig mit Neid und wunderte sich, ob der General Johnson vielleicht Versprechungen gemacht hatte. Aber wie konnte der Major so schnell über seinen Schatten springen?
„Montero, es wird Zeit, dass wir von dieser verdammten Insel fort kommen“, sagte der General und bot ihr einen Sitz vor seinem Schreibtisch an. Eine weitere Eigenschaft, die Isabel an ihm schätzte, er ließ sie niemals stundenlang stehen, um ihr seine Autorität zu beweisen, das hatte er nicht nötig. Sie nahm auf  einem wackeligen, altmodischen Holzstuhl ihm gegenüber Platz, der ein leises Knarren von sich gab, als sie sich darauf niederließ. Das Ding stammte bestimmt noch aus den Fünfzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts, das ließ sich auch nicht durch den relativ neuen Anstrich verleugnen.  Zu ihren Füßen lag der dösende Collie des Generals, offensichtlich erschöpft durch das strenge Fitnessprogramm, welches dieser sich und seinem Hund auferlegte. Nur hin und wieder öffnete das Tier ein Auge und sah Isabel prüfend an.
Isabel bemerkte irritiert das Foto in einem silbernen Rahmen, welches der General neu auf seinem Schreibtisch aufgestellt hatte. Sie hatte nicht gewusst, dass er verheiratet war, und die Tatsache versetzte ihr einen kleinen Stich, obwohl sie sich selbst albern schalt. Das Bild zeigte Smith mit einer lächelnden dunkelhaarigen Frau in einem weißen, schlichten Brautkleid. Isabel fragte sich unwillkürlich, was er an dieser Frau fand, denn sie sah in ihren Augen außerordentlich durchschnittlich aus. Sie schien nicht hässlich zu sein, hielt aber offensichtlich nicht viel auf sich, denn ihre Hüften erschienen unter dem fließenden Stoff des Leides recht üppig zu sein. Sie war nur mittelgroß und reichte dem General gerade bis zur Schulter. Irgendwie hätte Isabel erwartet, Smith würde sich einen anderen Typ Frau als Gefährtin wählen, eher eine strahlende, attraktive Erscheinung. Isabel hatte Mühe, ihren Blick von dem Bild zu lösen. Warum war die Frau nicht bei ihm, jetzt, da er einen alles entscheidenden Kampf ausfocht?
Smith scheuchte Johnson durch eine Geste aus dem Raum, die an das Wegjagen einer lästigen Fliege erinnerte. Scheinbar hatte der Major auch seinen Stolz verloren, denn auch das hätte er sich früher selbst von einem General nicht ohne Protest bieten lassen. Nun aber stürzte er davon, als sei ihm nichts heiliger, als den Anordnungen der Generals nachzukommen. Smith warf ihm einen zufriedenen Blick nach. „Wir kommen gut voran“, fuhr Smith in feierlichem Ton fort, „nahezu alle wichtigen Städte der westlichen Welt sind unter unserer Kontrolle und es kann nicht mehr lange dauern, bis wir die Reinigende Flamme auch in die entlegeneren Gegenden getragen haben. Das haben wir der überragenden Motivation unserer Truppen zu verdanken. Diese Männer und Frauen geben alles, um unsere Sache zu unterstützen.“ Er legte eine kurze Pause ein, machte aber nicht den Eindruck, als erwarte er eine Antwort von ihr. Vielmehr wirkte er, als sei er mit den Gedanken schon weit fort von Asinara. Isabel bekam plötzlich Angst. Was würde werden, wenn er die Insel verlassen würde, um bei seinen Truppen zu sein? Dann saß sie hier wieder fest! Sie fluchte innerlich, hoffentlich tat Smith ihr das nicht an. In den letzten Tagen hatte sie sich mit einigen Kameraden überworfen, die ihre Begeisterung für den General nicht teilten, wie würden die reagieren, wenn er wieder fort war? Von einigen wurde sie bereits gemieden, weil sie fürchteten, sie könne sie bei Smiths Leuten anschwärzen, was sie aber niemals tun würde. Die Ablehnung schmerzte. Aber jetzt ließ es sich ertragen, weil sie eine sinnvolle Aufgabe hatte. „Aber ein großes Ziel bleibt noch“, sinnierte Smith weiter, „und das ist Metropolis. Ohne Metropolis sind alle unsere Erfolge nichts. Damals, bei meinem ersten Versuch einer Revolution, habe ich erwogen, die Stadt aus der Luft anzugreifen, aber mittlerweile glaube ich, dass dies der falsche Weg wäre. Ein Symbol zerstört man nicht so einfach. Und wir wollen doch aus einer großen, glänzenden Stadt heraus regieren, nicht wahr?“ Er lachte zufrieden. „Natürlich kann es nicht schaden, die Drohung weiterhin in der Luft schweben zu lassen. Aber wir müssen uns in der Zwischenzeit eine andere Lösung einfallen lassen.“ Verwundert hielt er inne und sah sie prüfend an. „Was ist mit Ihnen, Lieutenant? Sie sehen mich so merkwürdig an.“
„Es ist nichts, Sir.“, wich Isabel aus.
„Aber wir wollen doch ehrlich zu einander sein, nicht wahr?“ Er lächelte aufmunternd. „Nun sagen Sie mir schon, was in Ihrem Kopf vorgeht.“
„Darf ich offen sprechen, Sir?“
„Selbstverständlich. Das erwarte ich sogar von Ihnen. Wo kämen wir hin, wenn noch nicht einmal meine engsten Mitarbeiter ehrlich mit mir umgehen können?“
Isabel fühlte sich geschmeichelt. Er betrachtete sie als enge Mitarbeiterin, das erfüllte sie mit Stolz. „Ich frage mich, Sir, was mein Beitrag dazu sein kann“, sagte sie.
„Aber das ist doch nicht alles, oder?“
Vor Smith konnte man schlecht etwas verbergen, er durchschaute einen wie Glas. Isabel wurde rot vor Verlegenheit. Sie wollte bei ihm nicht den Eindruck erwecken, rein egoistisch zu denken. „Nun, um ehrlich zu sein, mache ich mir einige Gedanken um meine Zukunft. Ich möchte Sie gerne in allen Belangen unterstützen, Sir, aber ich hatte gehofft, nicht mehr lange auf dieser Insel festzusitzen. Natürlich werde ich mich Ihrer Entscheidung beugen, wenn Sie mich weiterhin hier einsetzen wollen...“
„Aber begeistert wären Sie selbstverständlich nicht.“ Der General warf ihr einen verständnisvollen Blick zu.
„Nein, Sir. Das ist ein ziemlich mieser Ort, um Karriere zu machen, jedenfalls war es das bisher.“
„Und eine begabte junge Frau wie Sie möchte natürlich vorankommen. Dafür habe ich größtes Verständnis, schließlich war ich auch einmal ein junger Pilot mit großen Ambitionen.“ Er seufzte leise, als erinnere er sich mit Wehmut an diese schöne Zeit. „Aber ich kann Ihre Sorgen zerstreuen. Ich betrachte Sie als Mitglied meines Teams, und wenn ich von dieser Insel verschwinde – was hoffentlich bald der Fall sein wird – dann kommen Sie selbstverständlich mit. Ich habe einen guten Eindruck von Ihnen gewonnen, Sie sind intelligent und engagiert, das unterstütze ich. Nur eins bereitet mir Sorgen...“ Sein Gesicht wurde nachdenklich, und er sah sie eine Weile prüfend an. Isabels Herz schien eine Etage tiefer zu rutschen.
„Was, Sir? Habe ich Ihnen Grund zur Kritik gegeben?“
„Kritik würde ich das nicht nennen“, erwiderte Smith ruhig, „denn eigentlich ist Kameradschaftssinn ja etwas löbliches, nicht wahr? Allerdings frage ich mich in Ihrem Fall, ob er nicht ein wenig zu weit geht. Sicherlich ist es auch Ihnen nicht entgangen, dass es auf dieser Basis noch eine große Anzahl Unüberzeugter gibt, die meiner Sache skeptisch gegenüberstehen. Wir hatten ja schon ein Gespräch bezüglich Ihres Freundes aus diesem Grunde. Wissen Sie, es ist einfach schwierig für mich, diesen Menschen die richtigen Antworten auf ihre zweifelnden Fragen zu geben, wenn ich nicht weiß, wer sie sind. Sie sehen also, dass Sie sich durchaus kameradschaftlich verhalten, wenn Sie mir Informationen über diese Zweifler zukommen lassen, denn mir liegt nichts ferner, als sie zu bestrafen. Was ich will, ist Überzeugungsarbeit zu leisten. Das Letzte, was wir brauchen können, ist eine gespaltene Armee.“
„Ich verstehe, Sir“, erneut wurde sie rot vor Verlegenheit, „von dieser Seite aus habe ich es noch gar nicht betrachtet.“
„Sie haben doch nicht etwa gedacht, ich wolle Sie als Denunziantin missbrauchen?“ Er lachte amüsiert, wobei seine graublauen Augen leuchteten. Diese Augen hatten es Isabel vor allem angetan, sie konnten so viele seiner Emotionen ausdrücken, Zuneigung, väterliches Verständnis, Kameradschaftlichkeit, aber auch zornige Kälte. Boshafte Menschen behaupteten, er könne mit ihnen Menschen niederstrecken wie mit einer Laserkanone. Isabels Haut aber prickelte jedes Mal, wenn er sie mit seinem Blick streifte. Seine Attraktivität machte sicherlich einen Teil seines Charisma aus. „Lieutenant, ich habe sicherlich nur Positives für die Armee im Sinn.“
„Ich werde in Zukunft gewissenhafter sein, Sir.“
„Das höre ich doch gerne“, erwiderte er zufrieden. „Aber jetzt wollen wir uns doch wieder unserem eigentlichen Problem zuwenden, und das ist die uneroberte Hauptstadt. Meine Offiziere und ich haben schon einige Lösungsvorschläge durchgearbeitet, denn uns ist allen daran gelegen, die Stadt unbeschadet davonkommen zu lassen. Unter anderem schwebt uns eine Belagerung vor, indem wir unsere Laserbatterien mit dem guten alten Flugzeugträger in die Nähe der Hauptstadt bringen wollen – leider können diese ja nicht sehr weit schwimmen. Ein Fluss ist kein Problem, aber der Atlantik, das ist eine Nummer zu groß. Aber meine wichtigste Angriffsstrategie ist das Wort, eine Rede nämlich, in der ich zu den Menschen auf der Straße spreche. Sehen Sie, da kommen Sie ins Spiel, ich möchte, dass Sie diese Rede mit mir zusammen durchgehen und mir ehrlich Ihre Meinung sagen, ob ich damit vor die Bevölkerung hintreten kann.“
Isabel schwieg einen Moment geschmeichelt. Auch wenn tief in ihrem Inneren noch der Zweifel nagte, ob es wirklich rechtens war, die Hauptstadt anzugreifen, die Sitz der gewählten Regierung war, so fühlte sie sich doch enorm geehrt, weil der General sie in seine Gedankengänge mit einbezog. Johnson hatte stets einfach kurz und knapp seine Befehle gebellt und einen dann aus dem Büro gescheucht. Smith aber ließ sie wissen, wie wichtig ihm ihre Meinung war.  Sie hatte auch schon mit Tim darüber gesprochen, aber er hatte sie nur ausgelacht. Als Taktik hatte er es bezeichnet, als Smiths Weg, sie kräftig einzulullen und nach seiner Pfeife tanzen zu lassen. Aber Isabel wollte diese Einwände nicht hören.
„Wann wollen Sie diese Rede halten, Sir?“, fragte sie, weil ihr in diesem Moment nichts Gescheiteres als Erwiderung einfiel.
„In zwei Tagen sollten unsere Truppen vor Metropolis stehen, dann werde ich mich an Präsident Hirschmann wenden. Ich baue darauf, dass er vernünftig genug ist, auf meine Forderungen einzugehen.“ Smith bückte sich und zog eine der Schreibtischschubladen heraus. Papier raschelte, und dann zog er einige bedruckte Seiten aus der Lade hervor, um sie vor Isabel auf dem Schreibtisch abzulegen.

***

„Fragt mich nicht, woher ich es weiß, aber wir müssen uns jetzt schnell etwas einfallen lassen.“ Tim setzte sich auf ein ausrangiertes Ölfass und sah in die kleine Runde. Zu Marissa, Jean und ihm hatten sich mittlerweile noch zwei weitere Soldaten gesellt, denen das Treiben auf der Basis seltsam vorkam. Heimlich trafen sie sich in einem der ausrangierten Reparaturschuppen der Basis, diesmal am anderen Ende des Geländes, einige hundert Meter von Smiths Sendestation entfernt. Ungefährlich war auch das nicht, kein Platz war mehr sicher vor den Leuten des Generals. Aber hier trieben sich wenigstens nicht ganz so häufig seine Schwarzuniformierten herum.
Die Gerüchte überschlugen sich immer mehr, manche wollten wissen, der General unterhalte spezielle Umerziehungsprogramme, bei denen auch Hypnose zum Einsatz kam, andere sprachen von Folter. Aber den Soldaten, die sich plötzlich vollkommen anders verhielten als früher, war nichts dergleichen anzusehen. Sie wirkten auch nicht wie in Trance, sondern einfach anders als sonst. Fanatischer, zielgerichteter. Manchmal zeichneten sie sich einfach durch ein Pflichtbewusstsein aus, das sie vorher nicht an den Tag gelegt hätten. Und dann gab es natürlich noch die Menge der Männer und Frauen, die zwar bemerkt hatten, dass etwas nicht mehr seinen gewohnten Gang ging, aber sich angesichts der Umstände nicht mehr trauten, etwas zu sagen, geschweige denn etwas zu unternehmen. Nun waren sie zu fünft, und es erschien sehr unwahrscheinlich, dass überhaupt eine Chance bestand, etwas gegen die Machenschaften Smiths zu unternehmen. Aber außer ihnen gab es niemanden, der sich entschlossen genug zeigte, also lastete die Verantwortung allein auf ihren Schultern, auch wenn sie alle Angst hatten. Angst davor, erwischt zu werden und eine harte Strafe auf sich nehmen zu müssen, oder gar schlimmeres. Vielleicht würden auch sie in ein paar Tagen zu Smiths umgedrehten Marionetten gehören. „Der General plant eine große Aktion, in zwei Tagen schon. Ich dürfte eigentlich gar nichts davon wissen, aber jetzt, da ich es weiß, kann ich nicht einfach dasitzen und nichts tun. Ich weiß noch nicht genau, wie wir es anstellen sollen, aber wir müssen an diesen Sender ran. Von dort aus plant Smith seine Propagandaschlacht gegen den Präsidenten. Ich habe heute Nacht die Nachrichten gehört, es gibt kaum noch eine Stadt, in der die Truppen des Generals nicht das Sagen haben, jetzt fehlt ihm nur noch ein Ziel zu seinem persönlichen Glück. Ich fürchte, erw ird auch nicht davor zurückschrecken, Metropolis anzugreifen.“
„Selbst wenn wir es schaffen, den Sender in unsere Gewalt zu bringen und eine Nachricht abzusetzen, was sollen wir dann tun?“ Jean beugte sich vor. „Es dauert keine fünf Minuten, bis die Schwarzuniformierten das Gebäude stürmen werden. Und dann haben wir gar nichts erreicht.“
Tim hätte nicht gedacht, dass er einmal so entschlossen sein würde. Bisher hatte er ein beschauliches Leben als unterbezahlter aber dennoch zufriedener Techniker geführt, und nun verlangte die Situation von ihm, dass er zum Revolutionär wurde. Er musste über sich selbst hinauswachsen. Aber er würde sich niemals mit dem General und dessen Ideologie anfreunden können, noch weniger war er bereit, in einem System zu leben, das von Smith und seinen Gefolgsleuten regiert wurde. „Jeder der hier mitmacht, hat sich bereits jetzt auf ein beträchtliches Risiko eingelassen, denn ihr könnt euch ausrechnen, dass dem General diese Treffen nicht gerade gefallen werden. Wenn wir dabei erwischt werden, dann drehen sie uns entweder auch um, oder erschießen uns. Dann können wir auch gleich aufs ganze gehen. Wenn es uns gelingt, den Truppen des Präsidenten mitzuteilen, wo Smith sich aufhält, dann können sie es vielleicht machen wie beim letzten Mal, ihn durch eine Einsatztruppe aufhalten. Und diesmal wird es hoffentlich für immer sein.“
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