Die Herrschaft des Phönix
von Mirjam Lea
Kurzbeschreibung
General Smith konnte aus der Gefangenschaft entkommen und schickt sich ein zweites Mal an, die Herrschaft in der EAAU zu übernehmen. Aber auch seine grausamen Methoden schaffen es nicht, jeden Widerstand erlahmen zu lassen... (Anmerkung: Es handelt sich um eine radikale Neufassung von der Innere Zirkel, die jetzt auf Gleichgewicht des Schreckens ausbaut.)
GeschichteDrama / P16 / Gen
Gordon B. Smith
Samuel Hirschmann
19.08.2009
28.09.2010
27
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19.08.2009
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Hätte sich in jenen Tagen tatsächlich wieder ein Angeltourist in die Nähe des Stützpunktes auf Asinara verirrt, so hätte sich ihm ein ungewöhnliches Bild geboten. Der früher so baufällige Zaun, der das Gelände eingrenzte, war durch ein drei Meter hohes Gitter aus glänzendem Edelstahl ersetzt worden, das auch den lästigen Eseln Einhalt gebot. Die mussten sich nun damit begnügen, das Gras am Rande des neuen Zauns abzuknabbern und quittierten diese Einschränkung ihrer Freiheit mit ihren ungeduldigen Schreien. Aber auch menschliche Besucher waren von nun an nicht mehr willkommen, wie die Schilder ankündigten, die im Abstand von einigen Metern an den Gittern angebracht worden waren. Wer sich hiervon nicht abhalten ließ, wurde spätestens von den patrouillierenden Wachen wenig freundlich darauf aufmerksam gemacht. Diese wirkten schon durch ihre Uniformen bedrohlich, sie trugen schwarze Overalls mit einer Panzerung aus spezialgehärtetem Kunststoff und Helme mit dunklem Visier. Nur die untere Hälfte ihres Gesichts schaute darunter hervor und zeigte zu einem schmalen Strich zusammengekniffene Lippen, die auf die Entschlossenheit der Soldaten schließen ließen. Ein übriges taten die schweren Lasergewehre, welche die
Männer geschultert hatten. Auch die wenigen Einheimischen, die sich hierher verirrten, mussten auf einen Blick begreifen, dass sich hier einiges geändert hatte. Mit den Zeiten des lässigen Lebens auf der Militärbasis war es vorbei, seitdem der General dort Einzug gehalten hatte. Tag für Tag landeten Schiffe mit neuen Soldaten und Gerätschaften, während auf den Kontinenten die Laserbatterien des Generals unaufhaltsam die Städte überrollten und seinem Herrschaftsbereich einverleibten. Dieser Putsch ging langsamer vonstatten als sein letzter vor sieben Jahren, dafür aber umso gründlicher. In den wenigen Tagen, die er nun wieder auf der Erde war, hatte er die EAAU das Fürchten gelehrt, und das von so einer unbedeutenden Basis wie Asinara aus.
Tim Selbert machte sich Sorgen. Seltsame Dinge gingen hier vor sich. Major Johnson, sonst die Schlampigkeit in Person, hatte sich zwei Tage nicht blicken lassen und tauchte dann wie verwandelt wieder auf, als vorbildlicher Offizier in tadelloser Uniform. Unbekannte Gesichter erschienen an allen Orten der Basis, während sich andere Soldaten in Luft aufzulösen schienen. Gleichzeitig nahm die Anzahl der startenden und landenden Raumschiffe immens zu, Asinara hatte noch nie einen so regen Flugverkehr erlebt. Mochte der Himmel wissen, was sich in den unzähligen Ausrüstungskisten verbarg, welche seit Tagen angeliefert wurden. Tim konnte nur Vermutungen anstellen, die meisten davon mochte er jedoch kaum zu Ende denken. Die Stimmung auf dem Stützpunkt hatte sich von einem Tag auf den anderen gewandelt, die Mannschaft schien in zwei Lager geteilt zu sein, in die Anhängerschaft des Generals, die sich von dessen Eloquenz und Charme einwickeln ließ, auf der anderen Seite die Skeptiker, die sich kaum noch zu äußern wagten. Offen sprach niemand über seine Zweifel, dazu lag zu viel Bedrohung in der Luft. Aber über Blicke und Gesten ließ sich auch einiges mitteilen, so wusste Tim, dass einige seiner Kameraden seine Besorgnis teilten. Auf dieser Basis stimmte etwas nicht. Und das hatte nicht nur damit zu tun, dass sich die Soldaten hier längst von der verfassungsmäßigen Gewalt abgewandt hatten.
Es dämmerte schon, als er sich mit Isabel Montero an einem der wenigen stillen Plätze der Basis traf. Nur ein Konzert emsiger Zikaden bildete eine stete Geräuschkulisse, der Lärm des Landeplatzes kam nicht bis hierher. Die in der Dämmerung automatisch angehenden Lichter der Basis schienen gedämpft zu ihnen herüber, während ein angenehm kühler Wind vom Meer herüber wehte. Es roch nach Meersalz. Isabel hatte einen Picknickkorb dabei, um ihre kleine gemeinsame Mahlzeit nachzuholen, die wegen des überraschenden Besuch des Generals ins Wasser gefallen war. Im Schatten einiger Büsche breitete sie eine Decke aus, auf der sie sich niederließen und ein paar Felsbrocken als Rückenlehne benutzten. Ein paar kleine Eidechsen wurden durch ihre Bewegungen aufgescheucht und flohen in die Spalten zwischen den Steinen, ihre Füße machten ein leises raschelndes Geräusch, als sie über den Boden kratzten. Seufzend nahm Tim eine Bierflasche aus dem Kühlfach des Korbes und öffnete sie mit seinem Feuerzeug. Gierig trank er ein paar Schlucke des kühlen Getränks.
„Ah, das tut jetzt gut!“ Er streichelte Isabels Arm und registrierte dabei, dass sie das Loch in ihrer Hose nun endlich gestopft hatte. Es hatte sie wochenlang nicht gestört, aber der General hatte sie wohl auch dazu motiviert. Isabel gehörte eindeutig ins Lager seiner Anhänger. Fast hatte Tim Grund zur Eifersucht. Für ihn hätte sie die Hose sicher nicht gestopft – nicht, dass er es verlangt hätte. Nun, immerhin brachte sie ihm kühles Bier mit und ein paar andere Köstlichkeiten. Der Duft von gebratenen Hähnchenschenkeln stieg ihm in die Nase, Isabel würzte sie immer auf eine ganz spezielle Weise, und er leckte sich die Finger danach. Auch an einen Salat hatte sie gedacht, und – am Wichtigsten – an einige Flaschen Bier, von denen er sich eines bereits schmecken ließ. „Schade, dass wir das nicht früher hin gekriegt haben. Deine Hähnchenschenkel sind immer noch die besten. Vielleicht solltest du dich in die Küche versetzen lassen.“
Für diese Bemerkung erntete er, wie nicht anders zu erwarten, einen giftigen Blick von Isabel. Sie knuffte ihn mit gespielter Wut in die Seite. Während sie sprach, zielte sie mit einem angebissenen Hähnchenschenkel auf ihn. „Das könnte dir so passen, du kleiner Pascha! Mir das Kartoffelschälen zu überlassen! Ich habe schließlich einen verantwortungsvollen Posten hier auf der Basis!“
„Ja, ich habe mich auch schon gefragt, wann du den alten Johnson endlich ablöst. Das ist selbstverständlich angenehmer als Kartoffelschälen.“ Tim biss herzhaft in sein Hähnchenbein und sprach mit vollem Mund weiter. „Auch wenn unser guter Major seit gestern einen Aktivitätsschub zu haben scheint. Der General hat ihm entweder ordentlich in den Hintern getreten oder das Programm der neuen Ordnung hat ihn maßlos begeistert. Wird also so schnell nichts werden mit deiner Übernahme des Stützpunktes.“
„Ja, es ist schon erstaunlich, dass ein Mensch wie er sich so schnell verwandeln kann, vom schlampigsten Offizier der EAAU zum strammen Soldaten. Die zwei Tage auf der Krankenstation scheinen ihm gut getan zu haben. Vielleicht musste er sich von einem Kater erholen und ist danach geläutert wieder auferstanden.“
„Ich wusste gar nicht, dass er auf der Krankenstation war“, Tim zuckte mit den Schultern.
„Wo sollte er sonst gewesen sein?“
„Na, ich weiß nicht. Auf einem Seminar oder so. Ich dachte, Smith würde Leute zu einem Training schicken, und das mitten in seinem Militärputsch. Der Mann hat ein unglaubliches Selbstbewusstsein. Ich würde erst einmal eine Sache zu Ende bringen.“ Er verriet ihr nicht, wie wenig er von Smith politischen Ambitionen hielt. In den vergangenen Tagen hatte er oft davon angefangen, war aber bei ihr auf taube Ohren gestoßen. Isabel vertrat wie viele Soldaten die Auffassung, der General würde der EAAU ihren Stolz wiedergeben, wer immer ihn ihr auch gestohlen haben sollte. Auch sie war oft frustriert, dass sie hier fest saß, während im All und den Grenzgebieten wenigstens etwas los war. „Nun, jedenfalls ist es erstaunlich, dass sich ein Mensch binnen so kurzer Zeit so ändern kann. Was aber nicht nur auf ihn zutrifft. Hier scheinen ja plötzlich jede Menge engagierte Kämpfer herumzulaufen. Das ist ja schon fast unheimlich.“
Isabel schnaubte verächtlich. „Was ist unheimlich? Dass sich hier mal ein paar Leute endlich an ihre Pflichten erinnern? Der General wusste eben, wo man die Menschen packen muss, damit sie sich mal aus ihren Liegestühlen erheben. Damit hat er sicherlich schon ein gutes Werk getan.“
„Er muss schon geradezu ein Zauberer sein“, erwiderte Tim ironisch. „Man könnte meinen, er hätte die Leute unter Drogen gesetzt. Das ist ja schon fast nicht mehr normal. Ich meine, man muss ja nicht gleich so verlottert sein wie Johnson früher, aber es ist doch nichts ungewöhnliches, dass auch ein Soldat mal ein bisschen Feierabend haben und sich sein Bierchen genehmigen will. Jetzt strotzen plötzlich alle vor militärischer Disziplin.“ Er griff nach einem zweiten Hähnchenschenkel und biss herzhaft hinein. Sein Gesicht verriet Anerkennung für ihre Kochkünste. Smith hin oder her, ihre Hähnchen waren die Allerbesten. Daran änderten auch die seltsamen Ereignisse auf der Basis nichts.
„Ein bisschen Disziplin gehört nun mal zu unserem Job“, meinte Isabel, der das Thema offensichtlich langsam auf die Nerven fiel. „Ich verstehe gar nicht, was alle gegen Smith und seine Methoden haben. Er hat sich hier auf der Basis bisher immer allen gegenüber fair verhalten.“
„Nun, Smith sollte streng genommen, gar nicht hier sein“, gab Tim zu bedenken. „Siehst du keine Nachrichten? Er ist aus seinem Exil geflohen, und wir verstecken ihn hier. Dafür hat er uns gezielt ausgesucht, eine Basis, für die sich keiner interessiert, ein ideales Versteck. Jede Minute, die wir mitspielen, zieht uns tiefer in seine Plänen hinein. Wer weiß, vielleicht kriegen sie uns irgendwann alle dafür dran.“
„Du übertreibst wie immer“, erwiderte Isabel gereizt, wie immer, wenn er das Gespräch auf den General brachte. „Es gibt bestimmt eine gute Erklärung für sein Hiersein. Vielleicht hat die Regierung ihn längst rehabilitiert.“
„Und deshalb lässt er seine Panzer durch Europa und Amerika rollen?“
„Die Medien bauschen das ganz schön auf“, meinte sie unwillig, so als glaube sie ihren eigenen Worten nicht. „Der General weiß schon, was er da tut.“
„Daran zweifele ich keinen Moment. Ist dir eigentlich aufgefallen, dass es hier seit ein paar Tagen verdammt viele neue Gesichter gibt? Jeden Tag landen Transporter, die neue Truppen bringen, vor allem diese Jungs in den schwarzen Overalls. Dafür habe ich einige alte Kumpels schon seit Tagen nicht mehr gesehen. Wie vom Erdboden verschwunden.“ Er schnippte mit seinen vom Essen verklebten Fingern und nagte dann das letzte Fleisch von den Knochen. Nachdem er sich die Hände notdürftig an einer Serviette abgeputzt hatte, griff er wieder nach seiner Bierflasche.
„Sind vielleicht auch alle auf Smiths Seminaren“, mutmaßte Isabel und widmete sich nun ihrerseits einer Flasche Bier. „Aber sag mal, müssen wir darüber diskutieren? Ich dachte, wir könnten mal einen gemütlichen Abend zusammen verbringen, ohne Diskussionen über Smith und seine Aktionen.“
„Dagegen habe ich gar nichts einzuwenden“, sagte Tim. „Es ist ja nur, weil du ihm immer mehr auf den Leim gehst. Ich mache mir ein bisschen Sorgen um dich, dass er dich in illegale Sachen rein zieht.“
„Ich pass' schon auf mich auf“, meinte sie entschlossen und beugte sich hinüber, um ihn auf die Wange zu küssen. Dafür setzte Tim sogar sein Bier ab. Ihnen blieben nur wenige dieser zweisamen Momente, und er genoss jeden davon. Er stellte die Flasche auf dem Boden ab und legte den Arm um Isabel, dann zog er sie an sich um sie zu küssen. Sie wehrte sich nur einen kurzen Augenblick lang, um die Form zu wahren, dann ließ sie sich gern in die Umarmung ziehen und erwiderte seinen Kuss. Tim war froh, nicht von ihr zurückgewiesen zu werden, denn so lange sie sich noch auf diese Weise versöhnen konnten, schien doch alles in Ordnung zwischen ihnen zu sein, trotz ihrer Meinungsverschiedenheit bezüglich des Generals. Isabels Lippen waren weich und hießen ihn willkommen, sie schmiegte sich eng an ihn und ließ ihn gewähren, als er begann, ihre Uniformjacke aufzuknöpfen. Behutsam bog er ihren Oberkörper zurück und lehnte sich mit ihr an die Felsen in ihrem Rücken. Hoffentlich kam nicht gerade jetzt jemand an ihnen vorbei!
Tim stöhnte innerlich auf, als er gerade in diesem Moment eilige Schritte hörte, als ob sich ihnen jemand im Trab nähern würde, ein paar Soldaten vielleicht, die beschlossen hatten, auch außerhalb des Dienstes etwas für ihre körperliche Ertüchtigung zu tun. Aber musste das gerade jetzt sein, in den wenigen ruhigen Momenten, die ihm mit Isabel blieben? Seufzend richtete er sich auf und sah seine schlimmsten Befürchtungen wahr werden. Es war kein geringerer als der General, der sich ihnen näherte, begleitet von zwei Offizieren – so misstrauisch wie Smith war, dienten sie sicherlich nicht nur seiner Begleitung – und seinem allgegenwärtigen Hund. Tim mochte den Hund genauso wenig wie seinen Besitzer, auch wenn sich das Tier streng genommen diesen nicht ausgesucht hatte – aber es machte ihn nervös, wie sehr der Collie seinen Herrn anbetete. Manchmal hatte Isabel den gleichen Blick, wenn sie von Smith sprach, und wie Tim fürchtete, die gleiche blinde Bewunderung.
Isabel löste sich dann auch eilig von ihm, als sei sie bei einem schweren Dienstvergehen ertappt worden. Der General verlangsamte seinen Schritt – er trug einen blauen Jogginganzug und Laufschuhe – und warf ihnen einen missbilligenden Blick zu. Innerlich ließ Tim seine Reden zum Thema Disziplin auf der Basis noch einmal Revue passieren, wahrscheinlich verstießen private Picknicks auf das schwerste dagegen. Schwankend kam Isabel zum Stehen und entbot Smith den militärischen Gruß, Tim tat es ihr im Abstand von einigen Sekunden gleich. Wieder dieser missbilligende Blick des Generals, der in Tim den Eindruck erweckte, Smith hielte ihn für den Hauptschuldigen an der verfänglichen Situation. Smith hielt große Stücke auf Isabel wie er wusste, wahrscheinlich gefiel es ihm nicht, dass sie mit jemandem vom Bodenpersonal verkehrte. Sein Hund kam neben ihm zum Sitzen und schien das Gespräch aufmerksam zu verfolgen.
„Ihre Uniform sitzt nachlässig, Lieutenant Montero“, sagte der General mit mildem Tadel. „Sie sollten das so schnell wie möglich richten.“
Isabel wurde rot wie ein ertapptes Schulmädchen. „Tut mir Leid, Sir“, stotterte sie und begann an den verrutschten Trägern ihres BH herum zu nesteln. „Soll nicht wieder vorkommen.“
„Na, immerhin ist das Loch in Ihrer Hose endlich gestopft“, meinte Smith mit ironisch angehauchter Anerkennung. „Aber auch Sie, Selbert, sollten ein bisschen mehr auf Ihre Kleidung achten. Seit wann habe ich diese Basis übrigens als Picknickplatz freigegeben? Gibt es zu diesem Zweck keine Urlaubsscheine?“
„Sie haben alle gestrichen, Sir“, wagte Tim zu bemerken.
„Aus gutem Grund, wie ich mich erinnere“, erwiderte Smith beißend und sein Hund knurrte wie zur Bestätigung. „Die gegenwärtige Lage der EAAU verlangt schließlich eine stets einsatzbereite Mannschaft, wenn ich Ihnen das ins Gedächtnis rufen darf. Nun gut, scheinbar braucht diese Basis noch ein wenig Nachhilfe in dieser Beziehung. Ich glaubte allerdings, Sie, Lieutenant Montero, hätten das bereits begriffen.“
Isabel schluckte. Die Kritik des von ihr bewunderten Generals traf sie hart. „Ich hatte Lieutenant Selbert das Picknick schon so lange versprochen, Sir. Und heute hatte ich endlich mal ein bisschen Zeit.“
„Es spricht für Sie, dass Sie Ihre Versprechen einhalten“, immer noch schwang Ironie in Smiths Stimme mit, aber er klang schon ein wenig milder. „Aber ich erwarte von Ihnen – gerade von Ihnen, Lieutenant! - maximalen Einsatz! Kommen Sie morgen um Punkt zehn in mein Büro, dann klären wir, was ich mir genau darunter vorstelle. Und jetzt räumen Sie diesen Kram zusammen, bis ich meine nächste Runde gelaufen habe, dann reden wir nicht mehr davon. Mein Gott, Sie haben ja eine Bierfahne!“
Tim warf einen raschen Blick zu seiner Freundin hinüber, die so aussah, als wünsche sie sich ein Erdloch, in das sie sich auf der Stelle verkriechen könne. Er hingegen fluchte innerlich auf Smith, der ihnen den Abend so gründlich verdorben hatte. Nicht nur, weil jetzt aus ihrem Rendezvous nichts mehr wurde, sondern auch, weil Isabel sich den Rüffel des Generals tagelang zu Herzen nehmen und ihm unterbewusst die Schuld dafür geben würde. Schließlich war die Initiative von ihm ausgegangen.
Smith schüttelte noch einmal verständnislos den Kopf und machte sich dann mit seinen Begleitern und seinem Collie wieder auf den Weg. Wie alt war er jetzt? Etwa Mitte vierzig? Dafür war er noch verdammt dynamisch. Die meisten Offiziere in seinem Alter gingen längst aus der Form, er aber schien noch weit davon entfernt zu sein. Widerwillig machte sich Tim daran, die Reste ihres Abendessens zusammenzuräumen, während Isabel die Decke faltete.
„Das hat mir gerade noch gefehlt“, stöhnte sie, „wahrscheinlich darf ich mir morgen einen stundenlangen Vortrag über meine Vorbildfunktion anhören und wie enttäuscht er von mir ist. So komme ich nie in eine der Spezialabteilungen.“
„Du interessierst dich für diese Spezialabteilungen, von denen hier unter der Hand ständig die Rede ist?“
„Das wäre die Chance für mich“, erwiderte sie und klemmte sich die Decke unter den Arm. „Gestern habe ich meine schriftliche Bewerbung eingereicht.“
„Aber da hieße ja, dass du versetzt wirst!“, meinte er entgeistert. „Warum hast du nicht mit mir darüber geredet?“
„Ich wollte es dir erst sagen, wenn es wirklich soweit ist. Schließlich wird nicht jeder dafür genommen.“
„Na, schön, dass ich es also auch noch erfahre“, erwiderte er gereizt. „Du wolltest es mir also sagen, wenn deine Tasche schon gepackt ist – auf Wiedersehen, ich habe mich den Putschisten des Generals angeschlossen! Weißt du eigentlich, worauf du dich da einlässt? Das ist die Reinigende Flamme!“
Zum ersten Male sprach er es aus, wofür Smith stand: Eine radikale Partei, die bisher nur im Untergrund agiert hatte. Eine Partei, deren politische Ambitionen einen normal denkenden Menschen nur erschrecken konnten, machtgierig und gewissenlos. Jeder in der EAAU wusste, was Smith sich damals hatte zuschulden kommen lassen, als er mitten in den Friedensverhandlungen des damals amtierenden Präsidenten Hirschmann eine unbewaffnete Raumstation der Vereinigten Orientalischen Republiken angegriffen hatte. Es waren unzählige Menschen ums Leben gekommen. Und dieser Mann war jetzt wieder auf freiem Fuß und hatte ihre Basis zu seinem Hauptquartier gemacht. Schlimm genug, dass sie somit zu seinen Erfüllungsgehilfen wurden, aber musste Isabel sich auch noch darum drängen, den General aktiv zu unterstützen? Tim verstand es einfach nicht.
„Siehst du, ich wusste, du würdest es nicht verstehen!“, rief Isabel weinerlich. „Deshalb habe ich dir nichts gesagt! Ich wusste, du würdest dagegen sein! Bloß, weil du nicht bereit bist, an deiner Karriere zu arbeiten, musst du mir meine doch nicht vermiesen!“
Sie griff energisch nach dem Picknickkorb, stopfte die Decke hinein und stapfte dann davon, ohne Tims beschwichtigende Worte noch zu hören oder hören zu wollen. Tim blieb ratlos zurück.
***
Isabel fragte sich, was Smith wohl von ihr wolle, befürchtete aber, es könne sich nur um eine ordentliche Rüge wegen des gestrigen Abends handeln. Sie war immer noch wütend auf Tim wegen seiner Vorhaltungen bezüglich der Spezialeinheit. Wahrscheinlich fraß der Neid an ihm, vermutete sie. Tim war nie ein sonderlich ehrgeiziger Mensch gewesen, er war vollkommen zufrieden mit seinem Job auf der Basis und würde wohl bis zu seiner Pensionierung an Raumschiffen herum schrauben oder diese betanken. So sehr sie Tim auch mochte, ein solches Leben konnte sie sich einfach nicht vorstellen, ihre Karriere durfte einfach nicht hier auf Asinara zu Ende sein! Und jetzt war Smith der Herr der Basis, ein Mann, der entschlossen seinen Weg ging, egal, was die Menschen von ihm dachten. Vor sieben Jahren, als er durch das oberste Gericht zu einer Haftstrafe verurteilt worden war, hatte Isabel gerade erst auf der Militärakademie angefangen gehabt, sie erinnerte sich nur noch dunkel an die Ereignisse von damals. In ihrer Ausbildungseinheit war viel darüber diskutiert worden, so viel wusste sie noch, denn der Zwischenfall spaltete die Klasse in zwei Lager. Die einen hatten die Position der Regierung vertreten, die den General zu einem Kriegsverbrecher erklärte, aber es hatte auch eine Menge Zustimmung für Smith gegeben, von Studenten und Ausbildern, die davon ausgingen, der General habe eine drohende Gefahr für die EAAU beseitigt, weil die Regierung selbst es nicht gewagt hatte. In den folgenden Monaten waren die Verschwörungstheorien nur so aus dem Boden geschossen, Smith sei nur das Opfer einer Intrige geworden. Schuldig waren mal die VOR, mal die Regierung der EAAU, die sich selbst nicht habe die Finger schmutzig machen wollen. Es konnte einfach nicht sein, dass ein einzelner Offizier eine derart groß angelegte Operation alleine geplant hatte.
Isabel konnte nicht von sich behaupten, eine Anhängerin Smith gewesen zu sein. Bis sie persönlich mit ihm zu tun bekommen hatte. Natürlich konnte er als vorgesetzter Offizier auch hart durchgreifen, aber sie bewunderte ihn auch dafür, was er aus einem Menschen heraus holen konnte. Tim fand es seltsam, wie sehr sich die Menschen auf der Basis plötzlich gewandelt hatten, sie aber schrieb es Smith Charisma und seiner Motivationsfähigkeit zu. Sicher, es gab viele neue Gesichter auf der Basis, aber das lag daran, dass der General seine Vertrauten hierher geholt hatte, Wer mochte ihm das verdenken? Er arbeitete eben lieber mit Männern und Frauen zusammen, die sich in seinen Augen schon bewährt hatten.
Smith hatte sein Büro im Hauptgebäude des ehemaligen Hospitals einrichten lassen, dort wo es auch im Sommer schön kühl war. Hastig lief Isabel die Stufen zum ersten Stock hinauf. Den ganzen Morgen schon hatte sie sich nicht richtig auf ihre Arbeit konzentrieren können, weil sie sich immer wieder fragte, was der General ihr zu sagen hatte. Als sie vor der alten, schon ein wenig abgenutzten Tür stand, atmete sie erst einmal tief durch und klopfte dann zaghaft an. Sekundenlang erfolgte keine Antwort, deshalb klopfte sie noch einmal, diesmal entschlossener. Es war eine Minute vor zehn. Nun waren von innen Schritte zu hören und wenig später öffnete ihr ein Adjutant des Generals die Tür. Vorsichtig trat Isabel ein.
„Wenn man Sie klopfen hört, Lieutenant, meint man, es kratze eine kleine Maus an der Tür“, sagte der General von seinem Schreibtisch aus, „und keine erwachsene Frau. Nun kommen Sie schon herein, ich habe nicht vor, Sie zu fressen.“
Sein Collie kam unter dem Schreibtisch hervor und begrüßte sie schwanzwedelnd. Immerhin war ihr der Hund wohlgesinnt, sie wertete es als gutes Zeichen. Möglichst unauffällig sah sie sich in dem großen Raum um, der nur spartanisch eingerichtet war. Rechts gab es zwei große Fenster, die weit aufgerissen waren. Ein paar alte Gardinen wehten im Wind. Smith hatte zwei Schreibtische L-förmig zusammen stellen lassen, wovon er den einen als Arbeitsplatz benutzte, während der andere als Abstellfläche für mehrere Computer diente. Von dort aus überwachte er wohl die Bewegungen seiner Truppen. Außerdem gab es nur wenige Möbel, der General nutzte sein Büro auch als Schlafraum, in einer Ecke stand ein einfaches Bett mit exakt ausgerichteter Bettwäsche, ein Nachttisch mit einer Lampe, die noch aus dem vorigen Jahrhundert stammen mochte sowie eine alte, zerkratzte Kommode für seine Kleidung. An einer Kleiderstange hingen einige Uniformen.
Smith bot ihr einen alten Stuhl vor seinem Schreibtisch an und bedeutete ihr mit einer Handbewegung, sie möge sich setzen. „Möchten Sie eine Limonade zur Erfrischung, Lieutenant?“, fragte er zu ihrem Erstaunen freundlich. „Oder lieber einen Kaffee?“
„Eine Limonade wäre nicht schlecht, Sir, vielen Dank.“
„Also noch kein Bier um diese Tageszeit?“ Er grinste schief, was sie nur noch verlegener machte.
„Lieber nicht.“
„Ist auch besser so.“ Er bedeutete einem seiner Adjutanten, ihr die Limonade zu holen und orderte für sich selbst einen Kaffee. Dann lehnte er sich bequem in seinem Sessel zurück. „So, dann lassen Sie uns einmal vernünftig miteinander reden. Ich habe das schon seit ein paar Tagen vor, aber ich wollte Sie dann doch noch ein wenig länger beobachten.“
Dann war sie wohl gestern bei seiner Prüfung durchgefallen, dachte Isabel peinlich berührt. „Bitte, Sir, das gestern war nur ein einmaliger Ausrutscher...“
„Ach, reden wir doch nicht mehr von gestern“, meinte er mit einer abwehrenden Handbewegung. „Wir machen doch alle mal Fehler, nicht wahr? Was mich weitaus mehr interessiert, ist Ihre Bewerbung für eine meiner Spezialabteilungen. Es hat mich sehr positiv überrascht, dass Sie sich freiwillig dafür melden wollen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist damit immerhin noch ein gewisses Risiko verbunden, das ist Ihnen doch klar?“
„Natürlich, Sir, ich habe auch lange darüber nachgedacht. Aber ich bin bereit, das Risiko einzugehen. Eine solche Chance bietet sich mir vielleicht nie wieder.“
„Das ist sehr lobenswert, Lieutenant, ich mag Menschen, die bereit sind, etwas zu riskieren.“ Er lächelte anerkennend. „Dennoch bin ich mir nicht sicher, ob diese Spezialtrainings das Richtige für Sie sind. Nicht, weil ich Sie nicht für geeignet hielte, ich bin im Gegenteil davon überzeugt, dass Sie viel Potential haben. Aber diese Trainings sind doch eher für Männer und Frauen gedacht, die noch nicht so von meiner Sache überzeugt sind wie Sie.“
Seine Bemerkung versetzte ihr einen kleinen Stich, zumal sie nicht ganz verstand, was er damit meinte. „Sir, verzeihen Sie, aber das begreife ich nicht ganz. Handelt es sich denn nicht um eine Elitetruppe?“
„Das mit Sicherheit. Aber es ist dennoch nicht das, was ich für Sie im Auge habe. Mir wäre es lieber, Sie hier zu meinem Mitarbeiterstab zählen zu können.“ Langsam beugte er sich zu einer der Schreibtischschubladen hinunter, zog sie auf und förderte etwas daraus zutage. Dann legte er einen Packen schwarzen Stoffs vor ihr auf der Tischplatte ab. „Deshalb habe ich hier als kleines Zeichen meiner Anerkennung eine unserer Uniformen für Sie. Das müsste genau Ihre Größe sein.“
Isabel wusste zunächst nicht, was sie sagen sollte. Sie schluckte einen nicht vorhandenen Kloß hinunter. „Das ist ein wirklich großzügiges Angebot, Sir.“ Sie zog den Overall ein Stück zu sich heran. Am Kragen war ein kleines Symbol eingestickt. Die Reinigende Flamme. Isabel fröstelte ein wenig, hatte Tim Recht mit seinen Bedenken? Wenn sie diese Uniform annahm, bekannte sie sich wirklich vorbehaltlos zu Smith und seiner Bewegung.
„Nun, was ist?“, fragte Smith abwartend und lauernd zugleich. „Darf ich Sie ab heute zu meinen Leuten zählen?“
Isabel zog die Uniform auf ihren Schoß. „Ja, Sir, ich bin dabei“, erwiderte sie entschlossen.
„Das freut mich!“ Er richtete sich in seinem Sessel auf und reichte ihr die Hand. Sie ergriff sie herzhaft. „Dann willkommen in meiner Truppe, Lieutenant. Ich kann doch auf Ihre uneingeschränkte Loyalität zählen?“
„Das ist für mich selbstverständlich, Sir.“
Smith ließ sich wieder in seinen Sessel sinken und machte einen Moment lang ein nachdenkliches Gesicht. „Da wäre nur noch eine Sache...“, begann er zögerlich. Isabels Herz schien ihr in die Hose zu rutschen, würde er jetzt noch einen Rückzieher machen? Smith schwieg ein paar Sekunden lang bedeutungsvoll, und sie wagte es nicht, sein Schweigen zu durchbrechen, auch wenn sie ihm gerne nochmals versichert hätte, mit welchem Engagement sie ihre neuen Aufgaben annehmen würde.
„Sagen Sie, was ist das da eigentlich mit Ihrem Freund, diesem Lieutenant Selbert? Es liegt mir fern, mich in Ihre persönlichen Angelegenheiten zu mischen, aber glauben Sie, dass er der richtige Umgang ist, um Ihre Ambitionen zu unterstützen? Mir scheint fast, er teilt Ihr Engagement nicht so ganz.“ Smith beugte sich vor und stützte seine Ellbogen auf der Tischplatte ab. „Ja, ich fürchte sogar, er könnte zu so etwas wie einem Hindernis auf Ihrem Weg nach oben werden.“
Unangenehm berührt sah Isabel auf ihre Füße hinunter. Sie fragte sich, ob Smith wusste, wie Tim über ihn dachte, vielleicht hatte ihm jemand einen Tipp gegeben. „Tim ist wirklich in Ordnung, Sir“, sagte sie mit wenig Überzeugungskraft. „Er ist vor allem ein guter Freund.“
„Ich bezweifele ja gar nicht, dass er ein sympathischer Zeitgenosse ist“, erwiderte Smith, wobei sich ein kühler Unterton in seine Stimme einschlich. „Aber ich muss mir sicher sein können, dass diese Freundschaft Sie nicht bei Ihrer Arbeit behindert. Ich weiß, dass nicht jeder auf dieser Basis hinter mir und meiner Sache steht. Sie würden eventuell in einen Loyalitätskonflikt kommen...“, er beugte sich noch ein Stück weiter vor, „Sie würden es mir doch sagen, falls er sich gegen mich stellen sollte, oder?“
Isabel schoss das Blut ins Gesicht. „Natürlich, Sir“, murmelte sie und schob dann eine Halbwahrheit hinterher, „aber bisher besteht kein Anlass dazu. Tim wird mit Sicherheit nichts gegen Sie unternehmen.“
„Nun, wie dem auch sei“, fuhr Smith weiter mit Zweifel in der Stimme fort, „ich würde Ihnen raten, den Kontakt zu ihm ein wenig einzuschränken, auch wenn es Ihnen schwer fällt.“ Er seufzte. „Wissen Sie, ich habe gewiss Verständnis für Sie, Sie sind eine junge Frau, die sich nach ein wenig Abwechslung zum Militärleben sehnt, das ist vollkommen normal. Aber achten Sie dabei auf Ihren Umgang.“
„Ich werde es beherzigen, Sir“, erwiderte Isabel mit einem flauen Gefühl in der Magengrube.
„Nun, das wäre dann vorerst alles. Ich sehe Sie dann um Punkt fünfzehnhundert zu einer Lagebesprechung, Ihre erste in meinem Team. Dazu heiße ich Sie herzlich willkommen!“ Er stand auf und bedeutete ihr damit, dass das Gespräch beendet war.
Männer geschultert hatten. Auch die wenigen Einheimischen, die sich hierher verirrten, mussten auf einen Blick begreifen, dass sich hier einiges geändert hatte. Mit den Zeiten des lässigen Lebens auf der Militärbasis war es vorbei, seitdem der General dort Einzug gehalten hatte. Tag für Tag landeten Schiffe mit neuen Soldaten und Gerätschaften, während auf den Kontinenten die Laserbatterien des Generals unaufhaltsam die Städte überrollten und seinem Herrschaftsbereich einverleibten. Dieser Putsch ging langsamer vonstatten als sein letzter vor sieben Jahren, dafür aber umso gründlicher. In den wenigen Tagen, die er nun wieder auf der Erde war, hatte er die EAAU das Fürchten gelehrt, und das von so einer unbedeutenden Basis wie Asinara aus.
Tim Selbert machte sich Sorgen. Seltsame Dinge gingen hier vor sich. Major Johnson, sonst die Schlampigkeit in Person, hatte sich zwei Tage nicht blicken lassen und tauchte dann wie verwandelt wieder auf, als vorbildlicher Offizier in tadelloser Uniform. Unbekannte Gesichter erschienen an allen Orten der Basis, während sich andere Soldaten in Luft aufzulösen schienen. Gleichzeitig nahm die Anzahl der startenden und landenden Raumschiffe immens zu, Asinara hatte noch nie einen so regen Flugverkehr erlebt. Mochte der Himmel wissen, was sich in den unzähligen Ausrüstungskisten verbarg, welche seit Tagen angeliefert wurden. Tim konnte nur Vermutungen anstellen, die meisten davon mochte er jedoch kaum zu Ende denken. Die Stimmung auf dem Stützpunkt hatte sich von einem Tag auf den anderen gewandelt, die Mannschaft schien in zwei Lager geteilt zu sein, in die Anhängerschaft des Generals, die sich von dessen Eloquenz und Charme einwickeln ließ, auf der anderen Seite die Skeptiker, die sich kaum noch zu äußern wagten. Offen sprach niemand über seine Zweifel, dazu lag zu viel Bedrohung in der Luft. Aber über Blicke und Gesten ließ sich auch einiges mitteilen, so wusste Tim, dass einige seiner Kameraden seine Besorgnis teilten. Auf dieser Basis stimmte etwas nicht. Und das hatte nicht nur damit zu tun, dass sich die Soldaten hier längst von der verfassungsmäßigen Gewalt abgewandt hatten.
Es dämmerte schon, als er sich mit Isabel Montero an einem der wenigen stillen Plätze der Basis traf. Nur ein Konzert emsiger Zikaden bildete eine stete Geräuschkulisse, der Lärm des Landeplatzes kam nicht bis hierher. Die in der Dämmerung automatisch angehenden Lichter der Basis schienen gedämpft zu ihnen herüber, während ein angenehm kühler Wind vom Meer herüber wehte. Es roch nach Meersalz. Isabel hatte einen Picknickkorb dabei, um ihre kleine gemeinsame Mahlzeit nachzuholen, die wegen des überraschenden Besuch des Generals ins Wasser gefallen war. Im Schatten einiger Büsche breitete sie eine Decke aus, auf der sie sich niederließen und ein paar Felsbrocken als Rückenlehne benutzten. Ein paar kleine Eidechsen wurden durch ihre Bewegungen aufgescheucht und flohen in die Spalten zwischen den Steinen, ihre Füße machten ein leises raschelndes Geräusch, als sie über den Boden kratzten. Seufzend nahm Tim eine Bierflasche aus dem Kühlfach des Korbes und öffnete sie mit seinem Feuerzeug. Gierig trank er ein paar Schlucke des kühlen Getränks.
„Ah, das tut jetzt gut!“ Er streichelte Isabels Arm und registrierte dabei, dass sie das Loch in ihrer Hose nun endlich gestopft hatte. Es hatte sie wochenlang nicht gestört, aber der General hatte sie wohl auch dazu motiviert. Isabel gehörte eindeutig ins Lager seiner Anhänger. Fast hatte Tim Grund zur Eifersucht. Für ihn hätte sie die Hose sicher nicht gestopft – nicht, dass er es verlangt hätte. Nun, immerhin brachte sie ihm kühles Bier mit und ein paar andere Köstlichkeiten. Der Duft von gebratenen Hähnchenschenkeln stieg ihm in die Nase, Isabel würzte sie immer auf eine ganz spezielle Weise, und er leckte sich die Finger danach. Auch an einen Salat hatte sie gedacht, und – am Wichtigsten – an einige Flaschen Bier, von denen er sich eines bereits schmecken ließ. „Schade, dass wir das nicht früher hin gekriegt haben. Deine Hähnchenschenkel sind immer noch die besten. Vielleicht solltest du dich in die Küche versetzen lassen.“
Für diese Bemerkung erntete er, wie nicht anders zu erwarten, einen giftigen Blick von Isabel. Sie knuffte ihn mit gespielter Wut in die Seite. Während sie sprach, zielte sie mit einem angebissenen Hähnchenschenkel auf ihn. „Das könnte dir so passen, du kleiner Pascha! Mir das Kartoffelschälen zu überlassen! Ich habe schließlich einen verantwortungsvollen Posten hier auf der Basis!“
„Ja, ich habe mich auch schon gefragt, wann du den alten Johnson endlich ablöst. Das ist selbstverständlich angenehmer als Kartoffelschälen.“ Tim biss herzhaft in sein Hähnchenbein und sprach mit vollem Mund weiter. „Auch wenn unser guter Major seit gestern einen Aktivitätsschub zu haben scheint. Der General hat ihm entweder ordentlich in den Hintern getreten oder das Programm der neuen Ordnung hat ihn maßlos begeistert. Wird also so schnell nichts werden mit deiner Übernahme des Stützpunktes.“
„Ja, es ist schon erstaunlich, dass ein Mensch wie er sich so schnell verwandeln kann, vom schlampigsten Offizier der EAAU zum strammen Soldaten. Die zwei Tage auf der Krankenstation scheinen ihm gut getan zu haben. Vielleicht musste er sich von einem Kater erholen und ist danach geläutert wieder auferstanden.“
„Ich wusste gar nicht, dass er auf der Krankenstation war“, Tim zuckte mit den Schultern.
„Wo sollte er sonst gewesen sein?“
„Na, ich weiß nicht. Auf einem Seminar oder so. Ich dachte, Smith würde Leute zu einem Training schicken, und das mitten in seinem Militärputsch. Der Mann hat ein unglaubliches Selbstbewusstsein. Ich würde erst einmal eine Sache zu Ende bringen.“ Er verriet ihr nicht, wie wenig er von Smith politischen Ambitionen hielt. In den vergangenen Tagen hatte er oft davon angefangen, war aber bei ihr auf taube Ohren gestoßen. Isabel vertrat wie viele Soldaten die Auffassung, der General würde der EAAU ihren Stolz wiedergeben, wer immer ihn ihr auch gestohlen haben sollte. Auch sie war oft frustriert, dass sie hier fest saß, während im All und den Grenzgebieten wenigstens etwas los war. „Nun, jedenfalls ist es erstaunlich, dass sich ein Mensch binnen so kurzer Zeit so ändern kann. Was aber nicht nur auf ihn zutrifft. Hier scheinen ja plötzlich jede Menge engagierte Kämpfer herumzulaufen. Das ist ja schon fast unheimlich.“
Isabel schnaubte verächtlich. „Was ist unheimlich? Dass sich hier mal ein paar Leute endlich an ihre Pflichten erinnern? Der General wusste eben, wo man die Menschen packen muss, damit sie sich mal aus ihren Liegestühlen erheben. Damit hat er sicherlich schon ein gutes Werk getan.“
„Er muss schon geradezu ein Zauberer sein“, erwiderte Tim ironisch. „Man könnte meinen, er hätte die Leute unter Drogen gesetzt. Das ist ja schon fast nicht mehr normal. Ich meine, man muss ja nicht gleich so verlottert sein wie Johnson früher, aber es ist doch nichts ungewöhnliches, dass auch ein Soldat mal ein bisschen Feierabend haben und sich sein Bierchen genehmigen will. Jetzt strotzen plötzlich alle vor militärischer Disziplin.“ Er griff nach einem zweiten Hähnchenschenkel und biss herzhaft hinein. Sein Gesicht verriet Anerkennung für ihre Kochkünste. Smith hin oder her, ihre Hähnchen waren die Allerbesten. Daran änderten auch die seltsamen Ereignisse auf der Basis nichts.
„Ein bisschen Disziplin gehört nun mal zu unserem Job“, meinte Isabel, der das Thema offensichtlich langsam auf die Nerven fiel. „Ich verstehe gar nicht, was alle gegen Smith und seine Methoden haben. Er hat sich hier auf der Basis bisher immer allen gegenüber fair verhalten.“
„Nun, Smith sollte streng genommen, gar nicht hier sein“, gab Tim zu bedenken. „Siehst du keine Nachrichten? Er ist aus seinem Exil geflohen, und wir verstecken ihn hier. Dafür hat er uns gezielt ausgesucht, eine Basis, für die sich keiner interessiert, ein ideales Versteck. Jede Minute, die wir mitspielen, zieht uns tiefer in seine Plänen hinein. Wer weiß, vielleicht kriegen sie uns irgendwann alle dafür dran.“
„Du übertreibst wie immer“, erwiderte Isabel gereizt, wie immer, wenn er das Gespräch auf den General brachte. „Es gibt bestimmt eine gute Erklärung für sein Hiersein. Vielleicht hat die Regierung ihn längst rehabilitiert.“
„Und deshalb lässt er seine Panzer durch Europa und Amerika rollen?“
„Die Medien bauschen das ganz schön auf“, meinte sie unwillig, so als glaube sie ihren eigenen Worten nicht. „Der General weiß schon, was er da tut.“
„Daran zweifele ich keinen Moment. Ist dir eigentlich aufgefallen, dass es hier seit ein paar Tagen verdammt viele neue Gesichter gibt? Jeden Tag landen Transporter, die neue Truppen bringen, vor allem diese Jungs in den schwarzen Overalls. Dafür habe ich einige alte Kumpels schon seit Tagen nicht mehr gesehen. Wie vom Erdboden verschwunden.“ Er schnippte mit seinen vom Essen verklebten Fingern und nagte dann das letzte Fleisch von den Knochen. Nachdem er sich die Hände notdürftig an einer Serviette abgeputzt hatte, griff er wieder nach seiner Bierflasche.
„Sind vielleicht auch alle auf Smiths Seminaren“, mutmaßte Isabel und widmete sich nun ihrerseits einer Flasche Bier. „Aber sag mal, müssen wir darüber diskutieren? Ich dachte, wir könnten mal einen gemütlichen Abend zusammen verbringen, ohne Diskussionen über Smith und seine Aktionen.“
„Dagegen habe ich gar nichts einzuwenden“, sagte Tim. „Es ist ja nur, weil du ihm immer mehr auf den Leim gehst. Ich mache mir ein bisschen Sorgen um dich, dass er dich in illegale Sachen rein zieht.“
„Ich pass' schon auf mich auf“, meinte sie entschlossen und beugte sich hinüber, um ihn auf die Wange zu küssen. Dafür setzte Tim sogar sein Bier ab. Ihnen blieben nur wenige dieser zweisamen Momente, und er genoss jeden davon. Er stellte die Flasche auf dem Boden ab und legte den Arm um Isabel, dann zog er sie an sich um sie zu küssen. Sie wehrte sich nur einen kurzen Augenblick lang, um die Form zu wahren, dann ließ sie sich gern in die Umarmung ziehen und erwiderte seinen Kuss. Tim war froh, nicht von ihr zurückgewiesen zu werden, denn so lange sie sich noch auf diese Weise versöhnen konnten, schien doch alles in Ordnung zwischen ihnen zu sein, trotz ihrer Meinungsverschiedenheit bezüglich des Generals. Isabels Lippen waren weich und hießen ihn willkommen, sie schmiegte sich eng an ihn und ließ ihn gewähren, als er begann, ihre Uniformjacke aufzuknöpfen. Behutsam bog er ihren Oberkörper zurück und lehnte sich mit ihr an die Felsen in ihrem Rücken. Hoffentlich kam nicht gerade jetzt jemand an ihnen vorbei!
Tim stöhnte innerlich auf, als er gerade in diesem Moment eilige Schritte hörte, als ob sich ihnen jemand im Trab nähern würde, ein paar Soldaten vielleicht, die beschlossen hatten, auch außerhalb des Dienstes etwas für ihre körperliche Ertüchtigung zu tun. Aber musste das gerade jetzt sein, in den wenigen ruhigen Momenten, die ihm mit Isabel blieben? Seufzend richtete er sich auf und sah seine schlimmsten Befürchtungen wahr werden. Es war kein geringerer als der General, der sich ihnen näherte, begleitet von zwei Offizieren – so misstrauisch wie Smith war, dienten sie sicherlich nicht nur seiner Begleitung – und seinem allgegenwärtigen Hund. Tim mochte den Hund genauso wenig wie seinen Besitzer, auch wenn sich das Tier streng genommen diesen nicht ausgesucht hatte – aber es machte ihn nervös, wie sehr der Collie seinen Herrn anbetete. Manchmal hatte Isabel den gleichen Blick, wenn sie von Smith sprach, und wie Tim fürchtete, die gleiche blinde Bewunderung.
Isabel löste sich dann auch eilig von ihm, als sei sie bei einem schweren Dienstvergehen ertappt worden. Der General verlangsamte seinen Schritt – er trug einen blauen Jogginganzug und Laufschuhe – und warf ihnen einen missbilligenden Blick zu. Innerlich ließ Tim seine Reden zum Thema Disziplin auf der Basis noch einmal Revue passieren, wahrscheinlich verstießen private Picknicks auf das schwerste dagegen. Schwankend kam Isabel zum Stehen und entbot Smith den militärischen Gruß, Tim tat es ihr im Abstand von einigen Sekunden gleich. Wieder dieser missbilligende Blick des Generals, der in Tim den Eindruck erweckte, Smith hielte ihn für den Hauptschuldigen an der verfänglichen Situation. Smith hielt große Stücke auf Isabel wie er wusste, wahrscheinlich gefiel es ihm nicht, dass sie mit jemandem vom Bodenpersonal verkehrte. Sein Hund kam neben ihm zum Sitzen und schien das Gespräch aufmerksam zu verfolgen.
„Ihre Uniform sitzt nachlässig, Lieutenant Montero“, sagte der General mit mildem Tadel. „Sie sollten das so schnell wie möglich richten.“
Isabel wurde rot wie ein ertapptes Schulmädchen. „Tut mir Leid, Sir“, stotterte sie und begann an den verrutschten Trägern ihres BH herum zu nesteln. „Soll nicht wieder vorkommen.“
„Na, immerhin ist das Loch in Ihrer Hose endlich gestopft“, meinte Smith mit ironisch angehauchter Anerkennung. „Aber auch Sie, Selbert, sollten ein bisschen mehr auf Ihre Kleidung achten. Seit wann habe ich diese Basis übrigens als Picknickplatz freigegeben? Gibt es zu diesem Zweck keine Urlaubsscheine?“
„Sie haben alle gestrichen, Sir“, wagte Tim zu bemerken.
„Aus gutem Grund, wie ich mich erinnere“, erwiderte Smith beißend und sein Hund knurrte wie zur Bestätigung. „Die gegenwärtige Lage der EAAU verlangt schließlich eine stets einsatzbereite Mannschaft, wenn ich Ihnen das ins Gedächtnis rufen darf. Nun gut, scheinbar braucht diese Basis noch ein wenig Nachhilfe in dieser Beziehung. Ich glaubte allerdings, Sie, Lieutenant Montero, hätten das bereits begriffen.“
Isabel schluckte. Die Kritik des von ihr bewunderten Generals traf sie hart. „Ich hatte Lieutenant Selbert das Picknick schon so lange versprochen, Sir. Und heute hatte ich endlich mal ein bisschen Zeit.“
„Es spricht für Sie, dass Sie Ihre Versprechen einhalten“, immer noch schwang Ironie in Smiths Stimme mit, aber er klang schon ein wenig milder. „Aber ich erwarte von Ihnen – gerade von Ihnen, Lieutenant! - maximalen Einsatz! Kommen Sie morgen um Punkt zehn in mein Büro, dann klären wir, was ich mir genau darunter vorstelle. Und jetzt räumen Sie diesen Kram zusammen, bis ich meine nächste Runde gelaufen habe, dann reden wir nicht mehr davon. Mein Gott, Sie haben ja eine Bierfahne!“
Tim warf einen raschen Blick zu seiner Freundin hinüber, die so aussah, als wünsche sie sich ein Erdloch, in das sie sich auf der Stelle verkriechen könne. Er hingegen fluchte innerlich auf Smith, der ihnen den Abend so gründlich verdorben hatte. Nicht nur, weil jetzt aus ihrem Rendezvous nichts mehr wurde, sondern auch, weil Isabel sich den Rüffel des Generals tagelang zu Herzen nehmen und ihm unterbewusst die Schuld dafür geben würde. Schließlich war die Initiative von ihm ausgegangen.
Smith schüttelte noch einmal verständnislos den Kopf und machte sich dann mit seinen Begleitern und seinem Collie wieder auf den Weg. Wie alt war er jetzt? Etwa Mitte vierzig? Dafür war er noch verdammt dynamisch. Die meisten Offiziere in seinem Alter gingen längst aus der Form, er aber schien noch weit davon entfernt zu sein. Widerwillig machte sich Tim daran, die Reste ihres Abendessens zusammenzuräumen, während Isabel die Decke faltete.
„Das hat mir gerade noch gefehlt“, stöhnte sie, „wahrscheinlich darf ich mir morgen einen stundenlangen Vortrag über meine Vorbildfunktion anhören und wie enttäuscht er von mir ist. So komme ich nie in eine der Spezialabteilungen.“
„Du interessierst dich für diese Spezialabteilungen, von denen hier unter der Hand ständig die Rede ist?“
„Das wäre die Chance für mich“, erwiderte sie und klemmte sich die Decke unter den Arm. „Gestern habe ich meine schriftliche Bewerbung eingereicht.“
„Aber da hieße ja, dass du versetzt wirst!“, meinte er entgeistert. „Warum hast du nicht mit mir darüber geredet?“
„Ich wollte es dir erst sagen, wenn es wirklich soweit ist. Schließlich wird nicht jeder dafür genommen.“
„Na, schön, dass ich es also auch noch erfahre“, erwiderte er gereizt. „Du wolltest es mir also sagen, wenn deine Tasche schon gepackt ist – auf Wiedersehen, ich habe mich den Putschisten des Generals angeschlossen! Weißt du eigentlich, worauf du dich da einlässt? Das ist die Reinigende Flamme!“
Zum ersten Male sprach er es aus, wofür Smith stand: Eine radikale Partei, die bisher nur im Untergrund agiert hatte. Eine Partei, deren politische Ambitionen einen normal denkenden Menschen nur erschrecken konnten, machtgierig und gewissenlos. Jeder in der EAAU wusste, was Smith sich damals hatte zuschulden kommen lassen, als er mitten in den Friedensverhandlungen des damals amtierenden Präsidenten Hirschmann eine unbewaffnete Raumstation der Vereinigten Orientalischen Republiken angegriffen hatte. Es waren unzählige Menschen ums Leben gekommen. Und dieser Mann war jetzt wieder auf freiem Fuß und hatte ihre Basis zu seinem Hauptquartier gemacht. Schlimm genug, dass sie somit zu seinen Erfüllungsgehilfen wurden, aber musste Isabel sich auch noch darum drängen, den General aktiv zu unterstützen? Tim verstand es einfach nicht.
„Siehst du, ich wusste, du würdest es nicht verstehen!“, rief Isabel weinerlich. „Deshalb habe ich dir nichts gesagt! Ich wusste, du würdest dagegen sein! Bloß, weil du nicht bereit bist, an deiner Karriere zu arbeiten, musst du mir meine doch nicht vermiesen!“
Sie griff energisch nach dem Picknickkorb, stopfte die Decke hinein und stapfte dann davon, ohne Tims beschwichtigende Worte noch zu hören oder hören zu wollen. Tim blieb ratlos zurück.
***
Isabel fragte sich, was Smith wohl von ihr wolle, befürchtete aber, es könne sich nur um eine ordentliche Rüge wegen des gestrigen Abends handeln. Sie war immer noch wütend auf Tim wegen seiner Vorhaltungen bezüglich der Spezialeinheit. Wahrscheinlich fraß der Neid an ihm, vermutete sie. Tim war nie ein sonderlich ehrgeiziger Mensch gewesen, er war vollkommen zufrieden mit seinem Job auf der Basis und würde wohl bis zu seiner Pensionierung an Raumschiffen herum schrauben oder diese betanken. So sehr sie Tim auch mochte, ein solches Leben konnte sie sich einfach nicht vorstellen, ihre Karriere durfte einfach nicht hier auf Asinara zu Ende sein! Und jetzt war Smith der Herr der Basis, ein Mann, der entschlossen seinen Weg ging, egal, was die Menschen von ihm dachten. Vor sieben Jahren, als er durch das oberste Gericht zu einer Haftstrafe verurteilt worden war, hatte Isabel gerade erst auf der Militärakademie angefangen gehabt, sie erinnerte sich nur noch dunkel an die Ereignisse von damals. In ihrer Ausbildungseinheit war viel darüber diskutiert worden, so viel wusste sie noch, denn der Zwischenfall spaltete die Klasse in zwei Lager. Die einen hatten die Position der Regierung vertreten, die den General zu einem Kriegsverbrecher erklärte, aber es hatte auch eine Menge Zustimmung für Smith gegeben, von Studenten und Ausbildern, die davon ausgingen, der General habe eine drohende Gefahr für die EAAU beseitigt, weil die Regierung selbst es nicht gewagt hatte. In den folgenden Monaten waren die Verschwörungstheorien nur so aus dem Boden geschossen, Smith sei nur das Opfer einer Intrige geworden. Schuldig waren mal die VOR, mal die Regierung der EAAU, die sich selbst nicht habe die Finger schmutzig machen wollen. Es konnte einfach nicht sein, dass ein einzelner Offizier eine derart groß angelegte Operation alleine geplant hatte.
Isabel konnte nicht von sich behaupten, eine Anhängerin Smith gewesen zu sein. Bis sie persönlich mit ihm zu tun bekommen hatte. Natürlich konnte er als vorgesetzter Offizier auch hart durchgreifen, aber sie bewunderte ihn auch dafür, was er aus einem Menschen heraus holen konnte. Tim fand es seltsam, wie sehr sich die Menschen auf der Basis plötzlich gewandelt hatten, sie aber schrieb es Smith Charisma und seiner Motivationsfähigkeit zu. Sicher, es gab viele neue Gesichter auf der Basis, aber das lag daran, dass der General seine Vertrauten hierher geholt hatte, Wer mochte ihm das verdenken? Er arbeitete eben lieber mit Männern und Frauen zusammen, die sich in seinen Augen schon bewährt hatten.
Smith hatte sein Büro im Hauptgebäude des ehemaligen Hospitals einrichten lassen, dort wo es auch im Sommer schön kühl war. Hastig lief Isabel die Stufen zum ersten Stock hinauf. Den ganzen Morgen schon hatte sie sich nicht richtig auf ihre Arbeit konzentrieren können, weil sie sich immer wieder fragte, was der General ihr zu sagen hatte. Als sie vor der alten, schon ein wenig abgenutzten Tür stand, atmete sie erst einmal tief durch und klopfte dann zaghaft an. Sekundenlang erfolgte keine Antwort, deshalb klopfte sie noch einmal, diesmal entschlossener. Es war eine Minute vor zehn. Nun waren von innen Schritte zu hören und wenig später öffnete ihr ein Adjutant des Generals die Tür. Vorsichtig trat Isabel ein.
„Wenn man Sie klopfen hört, Lieutenant, meint man, es kratze eine kleine Maus an der Tür“, sagte der General von seinem Schreibtisch aus, „und keine erwachsene Frau. Nun kommen Sie schon herein, ich habe nicht vor, Sie zu fressen.“
Sein Collie kam unter dem Schreibtisch hervor und begrüßte sie schwanzwedelnd. Immerhin war ihr der Hund wohlgesinnt, sie wertete es als gutes Zeichen. Möglichst unauffällig sah sie sich in dem großen Raum um, der nur spartanisch eingerichtet war. Rechts gab es zwei große Fenster, die weit aufgerissen waren. Ein paar alte Gardinen wehten im Wind. Smith hatte zwei Schreibtische L-förmig zusammen stellen lassen, wovon er den einen als Arbeitsplatz benutzte, während der andere als Abstellfläche für mehrere Computer diente. Von dort aus überwachte er wohl die Bewegungen seiner Truppen. Außerdem gab es nur wenige Möbel, der General nutzte sein Büro auch als Schlafraum, in einer Ecke stand ein einfaches Bett mit exakt ausgerichteter Bettwäsche, ein Nachttisch mit einer Lampe, die noch aus dem vorigen Jahrhundert stammen mochte sowie eine alte, zerkratzte Kommode für seine Kleidung. An einer Kleiderstange hingen einige Uniformen.
Smith bot ihr einen alten Stuhl vor seinem Schreibtisch an und bedeutete ihr mit einer Handbewegung, sie möge sich setzen. „Möchten Sie eine Limonade zur Erfrischung, Lieutenant?“, fragte er zu ihrem Erstaunen freundlich. „Oder lieber einen Kaffee?“
„Eine Limonade wäre nicht schlecht, Sir, vielen Dank.“
„Also noch kein Bier um diese Tageszeit?“ Er grinste schief, was sie nur noch verlegener machte.
„Lieber nicht.“
„Ist auch besser so.“ Er bedeutete einem seiner Adjutanten, ihr die Limonade zu holen und orderte für sich selbst einen Kaffee. Dann lehnte er sich bequem in seinem Sessel zurück. „So, dann lassen Sie uns einmal vernünftig miteinander reden. Ich habe das schon seit ein paar Tagen vor, aber ich wollte Sie dann doch noch ein wenig länger beobachten.“
Dann war sie wohl gestern bei seiner Prüfung durchgefallen, dachte Isabel peinlich berührt. „Bitte, Sir, das gestern war nur ein einmaliger Ausrutscher...“
„Ach, reden wir doch nicht mehr von gestern“, meinte er mit einer abwehrenden Handbewegung. „Wir machen doch alle mal Fehler, nicht wahr? Was mich weitaus mehr interessiert, ist Ihre Bewerbung für eine meiner Spezialabteilungen. Es hat mich sehr positiv überrascht, dass Sie sich freiwillig dafür melden wollen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist damit immerhin noch ein gewisses Risiko verbunden, das ist Ihnen doch klar?“
„Natürlich, Sir, ich habe auch lange darüber nachgedacht. Aber ich bin bereit, das Risiko einzugehen. Eine solche Chance bietet sich mir vielleicht nie wieder.“
„Das ist sehr lobenswert, Lieutenant, ich mag Menschen, die bereit sind, etwas zu riskieren.“ Er lächelte anerkennend. „Dennoch bin ich mir nicht sicher, ob diese Spezialtrainings das Richtige für Sie sind. Nicht, weil ich Sie nicht für geeignet hielte, ich bin im Gegenteil davon überzeugt, dass Sie viel Potential haben. Aber diese Trainings sind doch eher für Männer und Frauen gedacht, die noch nicht so von meiner Sache überzeugt sind wie Sie.“
Seine Bemerkung versetzte ihr einen kleinen Stich, zumal sie nicht ganz verstand, was er damit meinte. „Sir, verzeihen Sie, aber das begreife ich nicht ganz. Handelt es sich denn nicht um eine Elitetruppe?“
„Das mit Sicherheit. Aber es ist dennoch nicht das, was ich für Sie im Auge habe. Mir wäre es lieber, Sie hier zu meinem Mitarbeiterstab zählen zu können.“ Langsam beugte er sich zu einer der Schreibtischschubladen hinunter, zog sie auf und förderte etwas daraus zutage. Dann legte er einen Packen schwarzen Stoffs vor ihr auf der Tischplatte ab. „Deshalb habe ich hier als kleines Zeichen meiner Anerkennung eine unserer Uniformen für Sie. Das müsste genau Ihre Größe sein.“
Isabel wusste zunächst nicht, was sie sagen sollte. Sie schluckte einen nicht vorhandenen Kloß hinunter. „Das ist ein wirklich großzügiges Angebot, Sir.“ Sie zog den Overall ein Stück zu sich heran. Am Kragen war ein kleines Symbol eingestickt. Die Reinigende Flamme. Isabel fröstelte ein wenig, hatte Tim Recht mit seinen Bedenken? Wenn sie diese Uniform annahm, bekannte sie sich wirklich vorbehaltlos zu Smith und seiner Bewegung.
„Nun, was ist?“, fragte Smith abwartend und lauernd zugleich. „Darf ich Sie ab heute zu meinen Leuten zählen?“
Isabel zog die Uniform auf ihren Schoß. „Ja, Sir, ich bin dabei“, erwiderte sie entschlossen.
„Das freut mich!“ Er richtete sich in seinem Sessel auf und reichte ihr die Hand. Sie ergriff sie herzhaft. „Dann willkommen in meiner Truppe, Lieutenant. Ich kann doch auf Ihre uneingeschränkte Loyalität zählen?“
„Das ist für mich selbstverständlich, Sir.“
Smith ließ sich wieder in seinen Sessel sinken und machte einen Moment lang ein nachdenkliches Gesicht. „Da wäre nur noch eine Sache...“, begann er zögerlich. Isabels Herz schien ihr in die Hose zu rutschen, würde er jetzt noch einen Rückzieher machen? Smith schwieg ein paar Sekunden lang bedeutungsvoll, und sie wagte es nicht, sein Schweigen zu durchbrechen, auch wenn sie ihm gerne nochmals versichert hätte, mit welchem Engagement sie ihre neuen Aufgaben annehmen würde.
„Sagen Sie, was ist das da eigentlich mit Ihrem Freund, diesem Lieutenant Selbert? Es liegt mir fern, mich in Ihre persönlichen Angelegenheiten zu mischen, aber glauben Sie, dass er der richtige Umgang ist, um Ihre Ambitionen zu unterstützen? Mir scheint fast, er teilt Ihr Engagement nicht so ganz.“ Smith beugte sich vor und stützte seine Ellbogen auf der Tischplatte ab. „Ja, ich fürchte sogar, er könnte zu so etwas wie einem Hindernis auf Ihrem Weg nach oben werden.“
Unangenehm berührt sah Isabel auf ihre Füße hinunter. Sie fragte sich, ob Smith wusste, wie Tim über ihn dachte, vielleicht hatte ihm jemand einen Tipp gegeben. „Tim ist wirklich in Ordnung, Sir“, sagte sie mit wenig Überzeugungskraft. „Er ist vor allem ein guter Freund.“
„Ich bezweifele ja gar nicht, dass er ein sympathischer Zeitgenosse ist“, erwiderte Smith, wobei sich ein kühler Unterton in seine Stimme einschlich. „Aber ich muss mir sicher sein können, dass diese Freundschaft Sie nicht bei Ihrer Arbeit behindert. Ich weiß, dass nicht jeder auf dieser Basis hinter mir und meiner Sache steht. Sie würden eventuell in einen Loyalitätskonflikt kommen...“, er beugte sich noch ein Stück weiter vor, „Sie würden es mir doch sagen, falls er sich gegen mich stellen sollte, oder?“
Isabel schoss das Blut ins Gesicht. „Natürlich, Sir“, murmelte sie und schob dann eine Halbwahrheit hinterher, „aber bisher besteht kein Anlass dazu. Tim wird mit Sicherheit nichts gegen Sie unternehmen.“
„Nun, wie dem auch sei“, fuhr Smith weiter mit Zweifel in der Stimme fort, „ich würde Ihnen raten, den Kontakt zu ihm ein wenig einzuschränken, auch wenn es Ihnen schwer fällt.“ Er seufzte. „Wissen Sie, ich habe gewiss Verständnis für Sie, Sie sind eine junge Frau, die sich nach ein wenig Abwechslung zum Militärleben sehnt, das ist vollkommen normal. Aber achten Sie dabei auf Ihren Umgang.“
„Ich werde es beherzigen, Sir“, erwiderte Isabel mit einem flauen Gefühl in der Magengrube.
„Nun, das wäre dann vorerst alles. Ich sehe Sie dann um Punkt fünfzehnhundert zu einer Lagebesprechung, Ihre erste in meinem Team. Dazu heiße ich Sie herzlich willkommen!“ Er stand auf und bedeutete ihr damit, dass das Gespräch beendet war.
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