Die Herrschaft des Phönix
von Mirjam Lea
Kurzbeschreibung
General Smith konnte aus der Gefangenschaft entkommen und schickt sich ein zweites Mal an, die Herrschaft in der EAAU zu übernehmen. Aber auch seine grausamen Methoden schaffen es nicht, jeden Widerstand erlahmen zu lassen... (Anmerkung: Es handelt sich um eine radikale Neufassung von der Innere Zirkel, die jetzt auf Gleichgewicht des Schreckens ausbaut.)
GeschichteDrama / P16 / Gen
Gordon B. Smith
Samuel Hirschmann
19.08.2009
28.09.2010
27
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19.08.2009
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Je nachdem wie der Wind abflaute oder blies, stand schmutzige Luft über Metropolis wie eine graugrüne Filzglocke, nur an wenigen Stellen durchbrochen von einem mutigen Sonnenstrahl. Es war meist kalt und ungemütlich, das Atmen fiel schwer. In den Parks konnte man kaum unterscheiden, ob die Bäume kein Laub mehr trugen, weil es Winter war oder sie aber einfach durch den Smog eingegangen waren. Sogar die immergrünen Tannen wurden an der Spitzen unansehnlich braun. Wenn die Stadtbewohner Glück hatten, trieb ein kräftiger Ostwind die grauen Wolken fort von der Stadt, aber das stellte eher eine Ausnahme dar. Es stank meist nach einer Mischung aus faulen Eiern und altem Ruß. Noch nie hatten so viele Menschen unter Hustenreiz gelitten, auch wenn sie nicht erkältet waren, und man sah überall Passanten mit Mundschutz durch die Straßen hasten. Die Stadt, einst frei von jeder Schwerindustrie, schien nun in die Tradition alter Industriestädte eintreten zu wollen, in denen die Kamine fortwährend gequalmt und dicke, düstere Wolken ausgestoßen hatten. Sogar an den Hauswänden schlug sich der Schmutz nieder, welcher von den Schornsteinen des großen Fabrikkomplexes im Westen der Stadt ausgespien wurde. Wie so manches architektonisches Ungetüm, für das sich die Reinigende Flamme verantwortlich zeigte, war auch dieser Komplex in wenigen Wochen aus dem Boden gestampft worden. Tausende Menschen arbeiteten dort, man mochte sich kaum vorstellen, unter welchen Bedingungen. Niemand wusste genau, was dort produziert wurde, wahrscheinlich wohl Güter für die Rüstung, weil das nahe lag, aber es musste etwas hoch Giftiges sein. Selbst das Meer blieb von den Ausscheidungen der Fabrik nicht verschont, an der Seite, die zum Meer hin zeigte, ragten dicke, glänzende Rohre wie Tentakel ins Wasser, durch die in jeder Sekunde tausende Liter verseuchter Flüssigkeiten geleitet wurden. Was das für das Leben im Ozean bedeutete, mochte man sich nicht einmal ausmalen. Wenn diese Umweltverschmutzung noch lange so weiter betrieben würde, dann würden alle Fischarten, die in den letzten Jahrzehnten im Atlantik wieder heimisch geworden waren, schlussendlich doch wieder aussterben. Aber dieser Preis war dem General nicht zu hoch, alles musste hinter seinem militärischen Ehrgeiz zurück stehen.
Emma grauste es jeden Tag davor, mit Sophie durch diese kaum atembare Luft zu laufen wenn sie das Mädchen von der Schule abholte. Letztendlich hatte sie sich doch noch breit schlagen lassen, ihre Tochter in eine der Eliteschulen des Systems zu geben, vor allem, weil der General schon mehrmals über Manuel danach hatte fragen lassen. Was aber schließlich ausschlaggebend gewesen war, war die Tatsache, dass es in dieser Schule, die sich im Verteidigungsministerium befand, saubere, gefilterte Luft gab, so wie im gesamten Ministerium. Der General wollte schließlich nicht selbst unter den Folgen seiner Industriepolitik leiden. Sophie hatte sich hier rasch eingelebt, sie fühlte sich schnell wohl unter ihren Mitschülern. Für Emma war es manchmal fast unheimlich zu sehen, wie sich ihre Tochter dem System anpasste, so als habe sie sie niemals zu einem freien, unabhängig denkenden Kind erzogen. Aber vielleicht suchte das Mädchen gerade deshalb feste Strukturen, die ihm Halt gaben. Emma sah ihre zukünftige Entwicklung mit Erschrecken. Noch bedeutete das für Sophie nur ein großes Spiel, aber wenn sie so weiter machte, würde sie eines Tages zu den Funktionären der Reinigenden Flamme gehören und damit zu den Tätern des Systems. Der Gedanke war ihr schier unerträglich. Diese Bedenken gingen ihr jedes Mal im Kopf herum, wenn sie durch die Schiebetür des Ministeriums ging.
Heute freilich betrat sie das Gebäude mit einem noch deutlich mulmigeren Gefühl als sonst, denn ihr stand ein weiterer wichtiger Schritt bevor. Es war an ihr, die Anforderungen des Generals zu erfüllen, wollte sie nicht doch noch den Zorn des Staatenlenkers auf sich ziehen. In einem der oberen Stockwerke wartete Colonel Dumont auf sie, der Chef des Geheimdienstes, der einen schweren Makel in ihrer Akte beheben sollte: Ihren noch nicht erfolgten Beitritt zur Partei. Das hätte auch in jedem Aufnahmebüro geschehen können, aber der General hatte darauf bestanden, dass sich einer seiner wichtigsten Offiziere darum kümmerte. Ohne von den Wachen an der Tür aufgehalten zu werden, wurde sie in das Foyer vorgelassen, so als wüsste schon das ganze Gebäude von ihren Absichten. Als sie sich am Informationsschalter anmeldete, um zu Dumont vorgelassen zu werden, wurde sie auch dort zuvorkommend empfangen, und die freundliche Dame hinter dem Schalter teilte ihr mit, sie werde bereits erwartet.
Im fünfundneunzigsten Stockwerk empfing sie bereits ein Lieutenant der III. Abteilung und geleitete sie zu Dumonts Büro. Der Colonel, ein steif wirkender, hagerer Mann, dessen Haupt nur noch wenige Haare zierten, kam unverzüglich hinter seinem Schreibtisch hervor und streckte ihr die Hand entgegen. Mit einem dünnen Lächeln begrüßte er sie. „Ich freue mich, dass Sie den Weg zu mir gefunden haben, Ms. Corvillo“, meinte er süffisant, „besser spät als gar nicht, sage ich immer.“ Er deutete mit dem Kopf zu einem weiteren uniformierten Mann hinüber, der in einer Ecke des Zimmers in einem Sessel saß, die Beine lässig übereinander geschlagen. „Das ist Colonel Bertrand, Dr. Bertrand, einer der leitenden Wissenschaftler des Generals, er wird unserer kleinen Aufnahmezeremonie beiwohnen. Das stört Sie doch hoffentlich nicht?“
„Aber nein“, versuchte sie gelassen zu antworten, obwohl ihr die Situation mehr als nur unheimlich war. Was hatte dieser Wissenschaftler hier zu suchen? Es ging doch nur um ihren Parteibeitritt! „Aber wird die Sache länger dauern? Ich muss in einer halben Stunde meine Tochter von der Schule abholen.“
„Dafür ist bereits gesorgt, Ms. Corvillo“, erwiderte Dumont mit eisigem Lächeln. „Der General selbst hat verfügt, dass sich gut um Ihre Tochter gekümmert wird. Sie werden sie gleich treffen, sobald hier alle Formalitäten erledigt sind.“
Für Emmas Ohren klang das fast so, als würde Sophie in Geiselhaft gehalten um sicher zu stellen, dass sie auch wirklich in die Partei eintrat. Sie musste sich zwingen, ruhig zu bleiben, obwohl sie panisch wurde. Aber sie konnte an der Situation jetzt ohnehin nichts ändern, war auf Dumonts Wohlwollen angewiesen. „Ich verstehe“, sagte sie, „dann muss ich mir wohl keine Sorgen machen.“
„Selbstverständlich nicht, Ms. Corvillo. Aber setzen Sie sich doch erst einmal. Darf ich Ihnen den Mantel abnehmen?“ Er streckte eine Hand aus.
„Natürlich, danke.“ Emma reichte ihm den Mantel, den er an einem Ständer hinter der Bürotür aufhängte und setzte sich in den schlichten Sessel, der vor Dumonts Schreibtisch stand.
„Sie können sich nicht vorstellen, welche Ehre es für mich ist, dass ich einen persönlichen Schützling des Generals in unsere Organisation aufnehmen darf“, fuhr Dumont in seinem öligen Tonfall fort. „Und dazu noch mit unserer neuen Form des elektronischen Parteibuchs. Ein revolutionäres Verfahren, nicht wahr, Dr. Bertrand?“ Nach Zustimmung heischend, blickte er zu dem anderen Colonel hinüber. Dieser nickte.
„ich freue mich, dass Sie sich bereit erklären, eine unserer ersten Testpersonen zu sein.“, meinte Bertrand. „Auch wenn das Verfahren selbstverständlich vollkommen ungefährlich ist.“
„Verzeihen Sie, aber ich weiß nicht, worum es geht“, stammelte Emma, die nun wirkliche Angst bekam. Was hatten die Männer mit ihr vor? Sicherlich handelte es sich um eine weitere abstruse Maßnahme, die der General und seine Forscher erdacht hatten, um die Menschen besser unter Kontrolle zu halten. Emma hatte schon den geheimnisvollen Chips gehört, welche der General vielen seiner Soldaten einpflanzen ließ, um sie gehorsam zu stimmen. Manuel hatte ihr davon erzählt. Auch mancher umgedrehte Politiker, der nach dem Machtwechsel plötzlich auf Smiths Seite gestanden hatte, trug so ein Ding im Nacken, angeblich war sogar Präsident Hirschmann so zum Einlenken gezwungen worden. Sollte nun auch sie so etwas eingepflanzt bekommen? Vielleicht kümmerte sich deshalb jemand um Sophie, weil sie nun erst einmal operiert wurde. Die Furcht drohte ihr die Kehle zu zu schnüren.
„Ich verstehe nicht“, meinte Bertrand. „Hat man Sie denn nicht aufgeklärt?“
„Nein, ich dachte, ich bekomme nur so etwas wie ein Parteiabzeichen.“
Bertrand lachte, kurz darauf stimmte auch Dumont in sein Lachen ein, auch wenn es ihn außerordentliche Überwindung zu kosten schien, seine Energie auf eine derart sinnlose Tätigkeit zu verschwenden. „Meine liebe Ms. Corvillo, diese Zeiten sind nun wirklich vorbei. Wir bevorzugen in Zukunft so etwas wie eine ewige Bindung, wenn Sie verstehen, was ich meine.“
„Sind Sie dann soweit, Ms. Corvillo?“, fragte Dumont mit einem Hauch von Ungeduld in der Stimme.
„Nun, warum es noch länger aufschieben?“ Emma kicherte nervös. „Sie werden mir wohl kaum den Kopf abreißen.“
„Aber selbstverständlich nicht.“
Bertrand griff zu einem kleinen Koffer, der neben ihm auf einem Schrank gelegen hatte und öffnete ihn. „Bitte krempeln Sie Ihren rechten Ärmel hoch, Ms. Corvillo“, sagte er ruhig und holte eine Sprühdose aus dem Koffer.
Emma tat wie ihr geheißen worden war und schob den Ärmel ihres Shirts hoch. Bertrand trat zu ihr hinüber und sprühte etwas von einer kühlenden Flüssigkeit auf ihren Arm, die er mit einem Wattepad verteilte. Dann griff er erneut in den Koffer und holte so etwas wie eine Injektionspistole daraus hervor. „Keine Sorge, es geht ganz schnell, und Sie werden kaum etwas bemerken.“
Emma atmete tief ein und erwartete den kommenden Einstich. Die Nadel, die aus dem Infusionsgerät hervor lugte, sah bedrohlich dick aus. Bertrand setzte sie auf ihrem Arm an, dort wo er vorher das Kühlmittel aufgetragen hatte und drückte ab. Ein stechender Schmerz durchzuckte ihren Unterarm, während das Gerät zischend seine Arbeit tat. Emma zuckte zusammen und kämpfte gegen ihre Tränen an. Aber wie versprochen ließ der Schmerz rasch nach. Sie schaute auf die Einstichstelle hinunter, aus der ein winziger Bluttropfen heraus quoll, darunter gab es eine kleine Erhebung.
„Sehen Sie, das war es schon“, meinte Bertrand außerordentlich zufrieden. „Wir haben Ihnen lediglich einen kleinen Chip unter die Haut gespritzt, kaum größer als ein Stecknadelkopf, aber dennoch von enormer Leistungsfähigkeit. Das ist Ihr neuer Parteiausweis, mit allen Daten, die wirklich relevant sind. Wollen wir doch mal sehen, ob er ordnungsgemäß funktioniert.“ Er holte ein weiteres Gerät aus seiner Tasche, das etwa die Größe eines Taschenrechners hatte und fuhr damit über Emmas Arm. Ein leises Piepsen ertönte, und das Display des Gerätes erwachte zum Leben. Emma kam sich vor wie ein Haustier, das man gechippt hatte, um es später seinem Besitzer zuordnen zu können. Und so etwas ähnliches war sie jetzt wohl auch. Ein Haustier des Generals und seiner Organisation. Bertrand fuhr ein weiteres Mal über ihren Arm und runzelte die Stirn.
„Da stimmt etwas nicht...“, murmelte er verwirrt und zeigte das Ergebnis seines Scans Colonel Dumont.
„Aber nein, keine Sorge, das ist vollkommen in Ordnung so“, erwiderte der Colonel beruhigend. „Wir haben die Daten auf allerhöchsten Wunsch hin etwas angepasst. Der General meinte, es würde keinen guten Eindruck machen, wenn die Cousine eines seiner Stabsmitglieder erst so spät in die Partei eingetreten ist. Also haben wir das etwas nach vorn korrigiert.“ In seiner Stimme klang ein leiser Vorwurf mit, als gefiele es ihm gar nicht, durch Emmas Schuld zu einem solchen Schritt genötigt worden zu sein. „Ms. Corvillo, nur falls Nachfragen kommen, Sie sind offiziell bereits seit 2063 Mitglied der Partei. Selbstverständlich haben Sie in der Zeit des Exils unseres Generals Solidarität mit der Bewegung bewiesen.“
„Ich verstehe“, entgegnete Emma knapp und rieb sich die nun juckende Einstichstelle. „Aber was ist mit den Menschen, die wissen, dass das nicht stimmt?“
„Keiner von ihnen wird zu widersprechen wagen“, meinte Dumont kühl. „Außerdem hatten wir schon immer heimliche Anhänger. Sie können noch immer behaupten, Ihre Parteimitgliedschaft sei immer Ihr kleines Geheimnis gewesen. Selbstverständlich werden Sie von nun auch in allen Datenbanken als langjähriges Mitglied geführt, Sie werden es bei der nächsten Straßenkontrolle merken.“ Jetzt kicherte er wie ein amüsiertes Kind. „Wir werden nämlich auch stets wissen, wo Sie sind, alles wird automatisch erfasst.“
Emma brachte es nicht über sich, Freude über diese Aussichten zu zeigen. Es kostete sie einige Mühe, nicht zu ironisch zu klingen. „Und, gibt es schon viele Menschen, die mit dieser Methode erfasst sind?“
„Aber nein, Sie sind eine der ersten, es werden allerdings täglich mehr. Nach und nach hoffen wir, so alle Bürger erfassen zu können. Das wird uns in Zukunft einige der Kontrollen ersparen und wir können diese Beamten für andere Aufgaben einsetzen.“ Dumont wirkte zufrieden. „Ein Zentralcomputer wird dann diese lästigen Routineaufgaben übernehmen. Aber ich will Sie nicht mit diesen Details langweilen, Sie möchten jetzt sicher zu Ihrer Tochter, um ihr die Neuigkeiten mitzuteilen.“
Innerlich seufzte sie erleichtert auf, sie wollte nichts lieber, als aus diesem Büro zu verschwinden und mit Sophie nach Hause zu fahren. Das Mädchen würde sicherlich schon auf sie warten. Sie ließ sich von Dumont in ihren Mantel helfen und verabschiedete sich so eilig wie möglich.
Vor der Tür wurde sie erneut von bewaffneten Wachen der III. Abteilung erwartet. Irritiert fragte sie die Männer, ob noch etwas zu erledigen sei, diese baten sie jedoch lediglich, sie zu begleiten, sie würde zu ihrer Tochter gebracht. Als sie mit dem Aufzug noch weiter nach oben fuhren, ahnte sie allerdings schon, wohin es tatsächlich gehen würde und fürchtete sich vor der neuerlichen Begegnung.
Sophie lief ihr bereits an der Tür aufgeregt entgegen und fiel ihr um den Hals, als sie sich zu ihr hinunter bückte. „Mama, ich durfte die ganze Zeit mit dem Hund spielen!“, rief sie aufgeregt. „Kann ich auch so einen Hund haben? Biiitteeeee!“ Das letzte Wort zog sie flehentlich in die Länge. Hinter ihr tauchte dann auch sofort das Objekt der Begierde auf, der Collie des Generals, der sich mit ihr schon angefreundet hatte. Sophie ließ Emma los und kniete sich neben dem Hund nieder, um ihn zu umarmen, was dieser sich hechelnd gefallen ließ. Gina hatte anders als ihr Herr immer ein gutmütiges Wesen gehabt. Schließlich hatte Emma sie damals für ihn ausgesucht. Aber das wusste ihre Tochter nicht, und der General mochte nur einen Verdacht haben.
Der Hausherr kam ihr ebenfalls lächelnd entgegen. Die Uniformjacke hatte er ausgezogen und auch die Krawatte abgelegt, er gab sich ganz privat. Er hatte sie in den gemütlichen Teil seiner Diensträume bringen lassen, ein Wohnzimmer hoch über den Dächern von Metropolis, mit gemütlichen Ledersofas und weichen Teppichen. An den Wänden hingen Bilder moderner Künstler, die indirekt angestrahlt wurden. Allerdings zogen auch hier vor den großen Fenstern düstere Rauchwolken vorbei, auch wenn die stinkende Luft nicht nach innen drang. Weit hinten waren die Schornsteine des Industriekomplexes der Totalchemie zu erkennen, in der das Gift produziert wurde. Emma fragte sich, wem das Werk im Moment mehr schadete, den verhassten VOR oder den Bürgern der Hauptstadt.
„Ms Corvillo, es ist mir immer eine Freude, Sie zu sehen!“ Er fasste sie sanft bei den Schultern und deutete auf beiden Seiten einen Wangenkuss an. Erneut wurde Emma der Mantel abgenommen, diesmal landete er auf einer Stuhllehne. „Zur Feier des Tages habe ich uns einen kleinen Imbiss vorbereiten lassen, ich hoffe, Sie sind mir nicht böse deswegen?“
„Das ist sehr freundlich von Ihnen, Sir.“, erwiderte Emma nervös. Sie hatte sich nie vollkommen entspannt in seiner Gegenwart gefühlt, selbst als sie damals zusammen gelebt hatten nicht. „Ich hoffe, Sophie ist Ihnen nicht zu Last gefallen?“
„Aber keineswegs, sie und mein Hund haben sich prächtig verstanden, und auch mit mir kommt sie gut zurecht, wage ich zu behaupten. Aber setzen wir uns doch, wir wollen auf Ihren Parteibeitritt anstoßen.“
„Aber der war doch schon vor sechs Jahren“, wagte sie ironisch einzuwerfen.
„Ich hoffe, Sie verzeihen mir diese kleine Mogelei. Hat Ihnen Colonel Dumont die Gründe erklärt?“
„Sie klangen durchaus einleuchtend. Die ganze Prozedur kam nur etwas überraschend.“
„Es hat doch nicht etwa weh getan?“
„Nicht der Rede wert“, log sie. „Nur ein kleiner Piekser.“
„Nun, dann haben Sie sich trotzdem eine kleine Entschädigung meinerseits verdient.“ Wieder spielte er seinen berühmten Charme aus, der einen so leicht vergessen ließ, mit wem man es zu tun hatte. Emma dachte an die vielen Menschen, die er auf dem Gewissen hatte, rief sich alles ins Gedächtnis, was sie von ihm wusste, um seiner Ausstrahlung nicht wieder zu erliegen, aber es wollte ihr nicht vollkommen gelingen. Dieser Mann verstand es einfach, Menschen auf seine Seite zu ziehen.
Er führte sie zu einem der Sofas hinüber. Auf dem Couchtisch davor stand eine Flasche Champagner in einem mit Eis gefüllten Kühler. Daneben gab es einige Schalen mit verschiedenen Köstlichkeiten, Kaviar, Käse, unterschiedliche Fischsorten auf duftendem Brot und Pfannkuchen für Sophie. Für sie stand auch ein alkoholfreier Fruchtsaftcocktail bereit, wie der General erklärte, mit einem Obstspieß darauf und einem bunten Schirmchen. Ein gewundener Strohhalm ragte aus dem Glas. Sophie kam zu ihnen hinüber gehüpft und ließ sich auf das gegenüber liegende Sofa plumpsen. Gina folgte ihr schwanzwedelnd und legte ihr eine Pfote auf das Knie.
„Das macht sie sonst nie“, meinte der General lachend. „Sie ist ein sehr eifersüchtiger Hund. Aber zu Ihrer Tochter hat sie Vertrauen. Das ist auch ein gutes Zeichen für mich. Wem Gina vertraut, dem kann auch ich vertrauen.“
„Mama, ich will auch so einen Hund!“, wiederholte Sophie ihre Bitte, als hätte sie in Smiths Gegenwart eine größere Chance auf Erfüllung ihres Wunsches.
„Nun, vielleicht kann ich ja da etwas für dich tun“, bot der General an. „Wir würden sicherlich einen schönen Hund für dich finden.“
„Oh ja“, meinte Emma sarkastisch, „und ich bin diejenige, die morgens um fünf aufstehen muss, um ihn auszuführen und muss ihn jeden Tag bürsten. Ich hoffe also, dass ich da auch noch ein Wörtchen mitzureden habe. So ein Tier bedeutet auch Verantwortung, Sophie. Denk daran, du bist in so vielen Gruppen, dass du kaum noch Zeit haben wirst.“
„Aber ich kann mich abends darum kümmern.“
„Du kannst aber ein Tier nicht wie ein Spielzeug in die Ecke stellen.“
Sophie schmollte, wie sie es immer tat, wenn sie ihren Willen nicht bekam. Der General lächelte ihr zu und beugte sich zu ihr hinüber. „Ich mache dir einen Vorschlag“, sagte er freundlich. „Du kannst dich immer um Gina kümmern, wenn du mich besuchst. Und ich hoffe doch, dass deine Mutter und du nun häufiger zu mir kommen werden.“
Sein Charme verfehlte auch bei Sophie seine Wirkung nicht. Das Mädchen war fürs erste beruhigt und schlang seine Arme um Ginas Hals. Emma wäre am liebsten im Boden versunken. Die Anspielung war nur allzu deutlich. Smith wollte sie häufiger sehen. Und es gab nichts, was sie dagegen ausrichten konnte. „Aber Sie haben doch gewiss viel zu tun“, sagte sie, „fallen wir Ihnen denn nicht zur Last?“
„Ich wünschte, ich hätte nur solche angeblichen Lasten wie Sie und Ihre Tochter, Ms. Corvillo.“ Er griff nach der Champagnerflasche und löste geschickt den Drahtverschluss um den Korken. Dieser löste sich mit leisem Ploppen aus dem Flaschenhals. „Aber jetzt wollen wir anstoßen. Auf Ihre Zukunft unter den Fittichen der Reinigenden Flamme!“ Er füllte zwei bereit gestellte Gläser und reichte ihr eins davon. Dann stieß er mit ihr an. Emma setzte das Glas an die Lippen und trank vorsichtig. Nur nicht auch noch betrunken werden in seiner Gegenwart!
„Wie mir Colonel Dumont sagte, kann man nun tatsächlich jederzeit sehen, wo ich mich aufhalte“, meinte sie vorsichtig. „Um ehrlich zu sein, ist mir das ein wenig unheimlich.“
Sie wartete auf ein Zeichen des Unmuts in seinem Gesicht, aber er lachte nur. „Aber das muss es nicht sein, Ms. Corvillo. Wir werden wohl kaum einen Beamten darauf abstellen, in jeder Minute des Tages nach zu schauen, wo Sie sind. Stellen Sie sich vor, wir würden das mit jedem machen, dann wären wir personell restlos überlastet. Die Menschen messen ohnehin unseren Kontrollmaßnahmen viel zu viel Bedeutung bei, dabei werden sie nur zum Schutz der Bevölkerung angewandt. Wir befinden uns in einer Zeit des Umbruchs, da ist es notwendig, gewisse Sicherheitsmaßnahmen zu treffen.“
Emma erinnerte sich an die Drohne, die eines Nachts über ihrem Bett geschwebt hatte und hatte Mühe, ein Schauern zu unterdrücken. „Auch ich habe ein wenig Angst vor den Kontrollen“, gab sie zu. „Vor allem einmal, als ich meinen Pass verloren hatte. Zum Glück haben sie mich gerade an diesem Tag nicht kontrolliert.“ Sie kicherte nervös. Sprach sie tatsächlich gerade mit dem General über die Kontrollen der III. Abteilung? Die Situation kam ihr irgendwie unwirklich vor. „Ich komme mir jedes Mal wie eine Verbrecherin vor, wenn sie mich anhalten und fürchte, ich würde jeden Augenblick verhaftet. Wenn dann noch eine von den furchtbaren Laserbatterien in der Nähe steht...“
„Aber wir verhaften doch niemanden ohne Grund“, meinte er beruhigend und legte seine Hand auf ihren Unterarm. „Sie sind doch keine von den Unüberzeugten oder Unruhestiftern, die mir Schwierigkeiten bereiten könnten, oder? Dann haben Sie auch nichts zu befürchten, glauben Sie mir. Auch von den furchtbaren Laserbatterien nicht, wie Sie sie nennen, eine Stütze meiner Armee übrigens.“ Er hielt ihr eine Schale mit Kaviar entgegen. „Aber möchten Sie denn nicht etwas essen?“
Emma kam der Aufforderung nach und nahm etwas Weißbrot zum Kaviar. Auch Sophie langte kräftig bei den Pfannkuchen zu. Hin und wieder steckte sie auch dem Hund ein Stückchen davon zu. Der General ließ es widerspruchslos geschehen, wahrscheinlich würde er das Tier anschließend eine Runde zusätzlich laufen lassen. Sein Interesse an Sophie überraschte Emma, sie hätte nicht gedacht, dass Smith sich so auf ein Kind einlassen konnte. Es sei denn, das alles war nur eine Show, um sie gewogen zu stimmen. Oder ahnte er etwa doch etwas, und wollte über das Mädchen die Wahrheit herausfinden? Emma konnte nur hoffen, dass er an Sophie keinen genetischen Test vornehmen ließ. Ihre eigenen Spuren waren verwischt worden, aber wenn Smith etwa auf die Idee käme, einen Vaterschaftstest durchführen zu lassen, dann würde sie in arge Erklärungsnot kommen.
***
Emma Rodriguez besuchte ihren Bruder nur noch selten. Das Risiko, ihre wahre Identität könne entdeckt werden, war einfach zu groß. Manuel allerdings war für sie viel mehr als ihr Bruder, sondern auch ein guter, älterer Freund, zu dem sie jederzeit kommen konnte, wenn ihr etwas auf dem Herzen lag. Meist versuchte sie ihren Kummer für sich zu behalten, um diese riskanten Gespräche möglichst zu vermeiden. Offiziell war sie für alle eine entfernte Cousine, zu der seit ihrer Kindheit eine lockere Bindung bestand. Gewöhnlich hatten sie sich in den letzten Monaten in irgendwelchen Cafés getroffen, dort wo es die vielen Besucher den neugierigen Beamten der III. Abteilung möglichst schwer machten, ein Gespräch zu belauschen. Sicher war es auch dort nicht, aber immer noch besser als in einer Privatwohnung, die das Interesse der Geheimpolizei fand. Diesmal aber entschloss sie sich, ihn in seinem Haus aufzusuchen, das in einem der nobleren Gegenden von Metropolis lag. Da es dort kein öffentliches Transportnetz gab – die Bewohner des Viertels besaßen alle einen eigenen Wagen – gönnte sie sich und Sophie ein Taxi, das sie rasch vor dem im mediterranen Stil erbauten Haus ablieferte. Dumont hatte Wort gehalten, an beiden Kontrollpunkten, welche sie auf der Fahrt passierten, wurden sie nur kurz überprüft und sogar freundlich behandelt. Nur auf den Waffencheck verzichteten die Soldaten nicht. Egal, ob sie nun Mitglied der Partei war, das System blieb wachsam.
Emma bezahlte den Fahrer, gab ihm ein großzügiges Trinkgeld und ging mit Sophie an der Hand zum Haus hinüber. Davor gab es eine große Rasenfläche mit Blumenrabatten, die gerade von einem Gartenroboter gepflegt wurden, der abgestorbene Blätter abzupfte und die Wiese nach abgebrochenen Zweigen absuchte. In der Ferne hörte Emma das Brummen einer schwebenden Laserbatterie, die durch das Viertel patrouillierte. Eine Stütze seiner Armee hatte der General sie genannt, als sie sich abfällig darüber geäußert hatte. Hoffentlich erwuchs ihr nicht noch ein Nachteil daraus. Sie hatte ohnehin wieder viel zu viel von sich preisgegeben, über ihre Ansichten und ihr Leben. Es würde sich zeigen, wie er darauf reagieren würde. Draußen begann es dunkel zu werden. Sie klingelte an der Tür.
Es dauerte nicht lange, bis Manuel öffnete. Er trug noch seine Uniform, hatte aber die Jacke geöffnet und die Krawatte gelockert. Erfreut begrüßte er sie und Sophie und bat sie hinein in sein Wohnzimmer. So lange das Mädchen noch wach war, plauderten sie über allerhand Belangloses und tranken ein Glas Wein dazu. So weit war es also schon gekommen, Emma hatte Angst, vor ihrer Tochter offen zu sprechen! Aber wie viele fanatisierte Kinder hatten ihre Eltern schon angezeigt. Irgendwann aber begann die Kleine zu gähnen, und Emma brachte sie in einem der Gästezimmer unter. Es dauerte nicht lange, und das Mädchen schlief tief und fest. Auch sie hatte einen anstrengenden Tag hinter sich.
Seufzend ließ sie sich auf das Wohnzimmersofa zurück sinken. Manuel schenkte ihr noch einmal Wein nach, obwohl sie schon ein wenig beschwipst war und warf ihr einen bedeutungsvollen Blick zu. Dann ging er zu einem Sideboard hinüber und zog eine der Schubladen auf. Heraus holte er ein kleines Kästchen, das er vor sich auf den Couchtisch stellte. Er drückte einen Knopf an der Seite. Auf der Oberseite des Geräts leuchtete ein grünes Lämpchen auf.
„So, im Moment können wir offen reden, keine Abhörvorrichtungen in der Nähe.“
„Was ist das?“
„Ein kleines Warngerät, das der Widerstand entwickelt hat. Sobald es gelb leuchtet, sollten wir schleunigst das Thema wechseln, und sobald die rote Lampe angeht, nur noch den General und seine Wohltaten preisen.“
„Du hast also tatsächlich Kontakte zum Widerstand?“ Emma hatte es im Grunde immer gewusst, denn ihr Bruder hatte ja schon vor dem Putsch gegen Smith gearbeitet, aber so offen hatte er es noch nie ausgesprochen.
„Es ist besser, wenn du nicht zu viel darüber weißt“, entgegnete er besorgt. „Aber erzähl mal, wie war dein Tag? Haben sie sich sehr in die Mangel genommen?“
Emma zeigte ihm die Einstichstelle an ihrem Arm, woraufhin Manuel meinte, er habe bereits befürchtet, dass dieses System nun bald eingeführt würde. Er nannte es das Konzept der elektronischen Handfessel, ganz so, wie man es zu Beginn des Jahrhunderts mit Kleinkriminellen gemacht hatte. Erstaunt hörte er sich an, was Emma über ihr Gespräch mit Smith zu berichten hatte.
„Sophie ist ganz begeistert von ihm“, berichtete Emma niedergeschlagen. „Wenn sie wüsste, wie ich wirklich über das Regime denke, würde sie wahrscheinlich mit fliegenden Fahnen zu ihm überlaufen. Meine eigene Tochter entfremdet sich mir immer mehr. Als ich ihm ganz vorsichtig meine Meinung zu den Straßensperren sagte, meinte sie ganz vorschriftsmäßig, diese seien dazu da, um staatsfeindliche Elemente aufzuspüren und Agenten des Feindes in Asien zu ergreifen. Der General war richtig stolz auf sie.“
„Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.“, meinte Manuel sarkastisch.
„Ich fürchte fast, meine komplette Erziehung ist umsonst gewesen. Irgendetwas muss das Mädchen doch auch von mir haben.“
„Die Gene ihres Vaters schienen aber zu dominieren, wie zu erwarten war.“
Emma war ein wenig verletzt, dass ihr Bruder das so gelassen war, sagte aber nichts. „Das Schlimmste aber ist, dass ich mich wieder dazu hinreißen ließ, viel zu viel zu erzählen. Ich hätte eben den Champagner nicht trinken dürfen.“
„Den hättest du kaum ablehnen können.“
„Das Gespräch schien Smith jedenfalls mehr zu amüsieren als zu verärgern“, meinte Emma mit einem Hauch von Zweifel in der Stimme. „Jedenfalls hat er keinen Unmut gezeigt.“
„Ich habe das zweifelhafte Vergnügen, Smith schon häufiger erlebt zu haben, wenn ihm ein Gespräch nicht gefiel. Glaube mir, das läuft anders ab – er erstarrt buchstäblich auf der Stelle zu Eis und wartet keine fünf Minuten damit, seinen Gesprächspartner abführen zu lassen. Die meisten dieser Männer und Frauen wurden nie wieder gesehen – es sei denn, der General brauchte sie zu propagandistischen Zwecken – dann schienen sie plötzlich wie umgedreht zu sein. Was heißt sie schienen – sie waren es! Der Geheimdienst führt ganz genaue Aufzeichnungen darüber, wer von den Führern der Reinigenden Flamme in der Bevölkerung aus welchen Gründen beliebt ist. Wenn Smith diese Gründe gefallen, lässt er denjenigen leben und übergibt ihn seinen Wissenschaftlern. Nach ein paar Tagen sieht es dann so aus, als habe es nie Differenzen gegeben…“
„Er deutete ja auch an, dass ihn interessierte, was ich zu den Straßensperren zu sagen hätte“, überlegte Emma, die bei Manuels Bericht erschauerte. Sie erfuhr von ihm ständig Neues über die Verbrechen des Generals, immer wenn sie glaubte, schlimmer könne ein Überwachungsstaat nicht sein, kam noch eine neue schreckliche Information hinzu. „Meinst du, er verwertet das auch propagandistisch?“
„Davon kannst du ausgehen. Notfalls würde er noch nicht einmal davor zurückschrecken, selbst Attentate inszenieren zu lassen, nur um seine Überwachungsmaßnahmen zu rechtfertigen. Colonel Dumont, der Chef der III. Abteilung, den du ja heute auch kennen lernen durftest, steht ihm da gern mit Rat und Tat zur Seite. Der Mann ist noch übler als der General selbst. Smith handelt trotz seines kranken Gedankenguts immer in der Überzeugung, die EAAU in eine bessere Zukunft zu führen, auch wenn das noch viele Leben kosten wird. Dumont aber und einige andere auch schwimmen in seinem Sog mit und toben ihre eigenen üblen Machtphantasien aus.“
Noch nie hatte ihr Bruder so offen mit ihr über seine Zweifel an Smiths Regime geredet, immerhin gehörte er zum engsten Kreis seiner Offiziere. Manuel war nie mit Leib und Seele dabei gewesen, eher darum, weil er hoffte, in seiner Position irgend etwas bewirken zu können. Bisher allerdings hatte er Emma gegenüber aber stets nur Andeutungen über seine wahre Überzeugung fallen lassen.
„Na, großartig, nun habe ich dem General auch noch Hinweise für eine Propagandakampagne geliefert“, Emma seufzte resigniert. „Das war nun wirklich nicht meine Absicht. Ich dachte, er hätte lediglich einen Anflug von Volksnähe gehabt, wie einer dieser legendären Kalifen, die sich als Bettler verkleideten, um in den Straßen die Wahrheit über sich zu hören.“
„Es fällt mir schwer, Smith solche poetische Anwandlungen zu unterstellen.“ Manuel lachte wider Willen und lehnte sich auf dem Sofa zurück. „Aber es gibt tatsächlich einen handfesten Grund, warum er ausgerechnet jetzt aus seinem Elfenbeinturm herabsteigt, um mit den Menschen in seiner Umgebung offene Gespräche zu führen. Und dieser Grund gefällt mir gar nicht.“
„Ich habe es für einen Test gehalten – er wollte wohl einmal hören, was ein normaler Bürger denkt.“ Emma ließ sich ebenfalls mit einem Seufzer zurücksinken, während sie ihr Weinglas mit den Fingern drehte. „Vielleicht langweilt er sich ja auch nur in seinem Elfenbeinturm, wie du es so schön sagst und wollte einfach mal heraus. Schließlich nutzt es ihm nicht sehr viel, der mächtigste Mann der Welt zu sein, wenn er dabei alleine in seiner Wohnung sitzt.“
Manuel drückte ihre Hand. „Weißt du, Emma, ich glaube, viele Menschen schätzen den General falsch ein – woran er nicht ganz unschuldig ist – es geht ihm nicht unbedingt um den Gedanken, der Mächtigste zu sein, für ihn ist es wichtiger, niemandem Rechenschaft ablegen zu müssen.“
„Ist das nicht dasselbe?“
„Wenn du in deinem Job mehr Freiheit willst, bist du deshalb machtgierig?“
Emma lachte auf. „Das willst du doch jetzt wohl nicht vergleichen! Ich hätte manchmal gern mehr Freiheiten im Umgang mit meinen Manuskripten, wenn die Verlagsleitung eine Marschrichtung vorgibt, die mir nicht gefällt. Aber Machtgier würde ich das nicht nennen…“
„Siehst du, Smith gefiel die Marschrichtung der Hirschmann Regierung nicht. Er war in seinem Verfolgungswahn fest davon überzeugt, dass der Präsident der EAAU schaden würde und wollte das mit allen Mitteln verhindern. In seinen Albträumen sah er uns bereits von den Asiaten überrannt und versklavt…“
„Klassische Projektion würde ich sagen – die eigenen Absichten dem Gegenüber zu unterstellen. Mit so etwas hatte ich früher ständig zu tun, als ich noch für die Armee gearbeitet habe, wenn auch nicht in diesem extremen Ausmaß. Normalerweise sind solche Störungen auch gut therapierbar…“
„Wenn du dir den General zum Feind machen willst, solltest du ihm das mal vorschlagen“, erwiderte Manuel sarkastisch. „Vielleicht würde er sich ja vertrauensvoll in deine therapeutischen Hände begeben. Aber mal im Ernst, Smith weiß sehr wohl, dass seine Gegner ihn für unberechenbar und wahnsinnig halten, jede Anmerkung, die auch nur den leisesten Hauch einer Anspielung darauf enthält, zieht unweigerlich übelste Konsequenzen nach sich. Fakt ist aber, dass Smith verrückt ist und zwar auf außerordentlich gefährliche Weise. Er glaubt, eine Mission erfüllen zu müssen, an der alle anderen Führungskräfte der Reinigenden Flamme bisher gescheitert sind – und wenn dies das Ende der uns bekannten Zivilisation bedeutet. In seinen Augen waren seine Vorgänger zu schwach für diese Aufgabe oder hatten nicht den Mut die Konsequenzen zu tragen. Smith hält sich nicht für eine Lichtgestalt, wie andere Diktatoren, sondern ist bereit als Dämon in die Geschichte der Menschheit einzugehen. Das macht ihn so gefährlich, er hängt an nichts, das er nicht verlieren will. Für einen Diktator lebt er sogar relativ bescheiden, Luxus bedeutet ihm nicht viel.“
„Wenn du damit andeuten willst, dass er bereit ist, seine Weltuntergangspläne in die Tat umzusetzen, so fürchte ich, dass du mir damit nichts neues erzählst.“ Emma nickte bedrückt. „Ich glaube, jeder in der EAAU fürchtet sich davor, aber die meisten verdrängen es. Wer will schon jeden Tag mit dem Gedanken aufwachen, es könnte der letzte seines Lebens sein?“
„Ich wünschte, wir könnten mehr Menschen zum Widerstand bewegen, damit wir diesen Wahnsinn stoppen könnten. Wir können viel zu wenig dagegen unternehmen!“ Manuel sprang vom Sofa auf und ging hektisch im Zimmer auf und ab. Er schien sogar zu vergessen, das Warngerät im Auge zu behalten, wie Emma besorgt feststellte. Aber noch leuchtete das Lämpchen grün. „Aber alle sind vor Angst wie gelähmt! Und es besteht keine Chance, die vereinzelten Männer und Frauen, die zum Kampf bereit sind, zu organisieren. Wir können Sie noch nicht einmal darüber informieren, was ihnen bevorsteht!“
„Und was hat das nun mit dem Gespräch des Generals mit mir zu tun?“ fragte Emma, um auf das ursprüngliche Thema zurückzukommen.
„Ganz einfach“, Manuel blieb stehen und wandte sich ihr zu, „Smith fängt an, seine Auslese zu treffen. Auch er plant ja nicht die Ausrottung der gesamten Menschheit – er will eine neue Menschheit schaffen, die ganz im Dienste der Reinigenden Flamme steht. Er beginnt, Gott zu spielen. Er richtet darüber, wer überleben darf und wer nicht. Bereits seit dem Putsch hat er begonnen, Vorkehrungen zu treffen, man munkelt etwas von einem zweiten, unterirdischen Metropolis, einer vollkommen autonomen unterirdischen Stadt, der größte Atombunker aller Zeiten. Ich habe die Pläne gesehen, diese Anlage ist gigantisch und kann mehrere tausend Menschen aufnehmen. Smith perverse Variante einer Arche Noah sozusagen. Sobald er seinen Weltkrieg angezettelt hat, wird dort jeder Schutz finden, der es in Smith Augen wert ist, zu überleben. Weißt du jetzt, was ich meinte, als ich sagte, seine Sympathie kann lebensrettend für dich sein?“
„Du meinst, ich könnte seit heute Nachmittag zu den Auserwählten gehören?“ Emma lachte freudlos. „Was für eine Aussicht. Oben geht die Welt unter und wir sitzen in einem Betonkasten unter der Erde und sehen zu. Ich weiß nicht, ob mir da ein schnelles Ende nicht lieber wäre.“
„So lange man lebt, ist immer noch Hoffnung“, erwiderte Manuel. „Es gibt schließlich noch die Venuskolonie, die sich bisher dem General erfolgreich entzogen hat. Dort leben noch freie Menschen und sie wehren sich.“
„Du weißt genau, dass das nur noch eine Frage der Zeit ist.“ Sie seufzte. „Aber das war heute Nachmittag nicht meine einzige Sorge. Ich fürchte mich davor, dass er mich wieder erkannt hat. Manchmal hatte ich das Gefühl, als wolle er mich aufs Glatteis führen.“
„Er hat sicherlich geglaubt, eine Frau vor sich zu haben, die Emma Rodriguez sehr ähnlich sieht. Vielleicht hat auch das ihn milde gestimmt.“
„Es ist immerhin mehr als sieben Jahre her. Vielleicht erinnert er sich gar nicht mehr.“
„Das glaube ich nun nicht. Smith vergisst niemanden.“
Ein leichtes Vibrieren des Bodens zeigte an, dass sich vor dem Haus eine der schrecklichen Laserbatterien der III. Abteilung vorbei bewegte. Zwar fuhren diese Monstren moderner Waffentechnik fast lautlos auf einem Antischwerkraftpolster, aber allein ihre Masse ließ ihre Umgebung erzittern. Unwillkürlich verstummte Emma, sie wurde von Panik gepackt. Was, wenn das Warngerät seinen Dienst versagt hatte und sie doch abgehört worden waren? Ihr Gespräch wäre in den Augen des Generals Hochverrat, den er unnachgiebig bestrafen ließ. Auch Manuel sagte nichts, als wolle abwarten, bis die Laserbatterie vorbeigefahren wäre. Traute er seinem eigenen Gerät nicht? Jetzt wurde auch das Geräusch weiterer Militärfahrzeuge laut. Emma musste sich beherrschen, nicht zum Fenster zu laufen und hinaus zu sehen. Das hätte sie erst recht verraten.
Das Vibrieren verstummte plötzlich, ebenso wie die Motorengeräusche der Militärfahrzeuge. Emmas Herz schien einen Schlag lang auszusetzen. Jetzt war es soweit. Entweder hatte die III. Abteilung ihr Gespräch doch belauscht, oder der General hatte sich anders besonnen und über ihre Äußerungen noch einmal nachgedacht. Vielleicht hatte er sie den ganzen Nachmittag lang nur aufs Glatteis geführt, um ihre Familie in die Falle zu locken. Sie war den Tränen nahe. Wie hatte sie so dumm und unbeherrscht sein können? Sie hätte niemals so offen zu Smith sprechen dürfen. Nun rächte er sich dafür an ihr, und wahrscheinlich auch an ihrer Familie! Manuel stand ebenfalls stumm da und wartete ab.
Nach wenigen Sekunden klingelte es an der Vordertür, gleichzeitig klopfte jemand heftig dagegen. „Jetzt ist es soweit“, meinte Emma ängstlich, „er hat es sich anders überlegt und lässt mich abholen.“
„Warte doch erst einmal ab“, entgegnete Manuel wenig überzeugend. „Es kann ja auch für mich sein – er lässt mich vielleicht zu einer Besprechung rufen.“
„Mit vollem Mannschaftseinsatz?“
„Ich gehe jetzt erstmal zur Tür und regele das.“ Kaum dass er den ersten Schritt gemacht hatte, klopfte und klingelte es erneut. Emma konnte sich vor lauter Panik kaum noch beherrschen. Sie wippte unruhig auf der Sofakante hin und her und kämpfte mit den Tränen. Innerlich beschimpfte sie sich selbst als Idiotin und stellte sich immer wieder die Frage, warum sie so naiv gewesen war. Der General hatte sie auf sehr geschickte Weise hereingelegt.
Sie folgte ihrem Bruder langsam in die Vorhalle. Dieser öffnete gerade die Tür. Ein Kommissar der III. Abteilung betrat das Haus, ohne eine Aufforderung dazu abzuwarten und wandte sich an Manuel. „Wohnt hier auch eine Anna Corvillo?“ fragte er in kühlem Ton.
„Das ist meine Cousine, sie ist bei mir heute zu Gast“, erwiderte Manuel und legte alle ihm verfügbare Strenge in seine Stimme. „Ich bin übrigens General Rodriguez aus dem Stab des Generals. Was hat diese späte Störung zu bedeuten?“
„Ich muss mich entschuldigen“, fuhr der Kommissar etwas ruhiger fort. „Aber ich bin hier auf direkte Anordnung des Generals. Und es geht um Ihre Cousine. Ist sie nun zu sprechen oder nicht?“
Emma stand noch immer im Hintergrund und rührte sich nicht. Sie fragte sich, was das seltsame Verhalten des Beamten zu bedeuten hatte. Warum nahm er sie nicht einfach fest? Sie beschloss, sich erst einmal ahnungslos zu geben. „Ich bin hier“, sagte sie. „Was kann ich für Sie tun?“
„Der General hat mir befohlen, Ihnen etwas auszurichten, Miss Corvillo.“ Der Mann räusperte sich. „Sein genauer Wortlaut lautete, ich solle Ihnen sagen, dass seine Laserbatterien nicht nur Schlechtes bringen würden.“ Mit einer ungeduldigen Handbewegung winkte er einen seiner Soldaten herbei. Der förderte einen großen Blumenstrauß zutage, den er Emma mit einer leichten Verbeugung überreichte. Ein anderer setzte einen großen Plüschhund für Sophie auf dem Boden ab. „Mit bester Empfehlung des Generals.“
Emma hätte dem Mann die Blumen am liebsten um die Ohren geschlagen. Aber das sah dem General ähnlich, ihnen einen solchen Schrecken einzujagen. Und er hatte damit bewiesen, dass er wider allen seinen Beteuerungen sehr wohl daran interessiert war, wo sie sich gerade aufhielt. Die Soldaten machten auf dem Absatz kehrt und verließen das Haus so schnell, wie sie gekommen waren.
In den Blumen steckte eine handgeschriebene Karte des Generals. Er beteuerte darin, wie angenehm der Nachmittag für ihn gewesen sei und er hoffe, sie so bald wie möglich wieder zu sehen. Auch Sophie ließ er herzlich grüßen. Ihre Tochter würde auf jeden Fall erfreut sein. Sie hätte am liebsten geweint.
Emma grauste es jeden Tag davor, mit Sophie durch diese kaum atembare Luft zu laufen wenn sie das Mädchen von der Schule abholte. Letztendlich hatte sie sich doch noch breit schlagen lassen, ihre Tochter in eine der Eliteschulen des Systems zu geben, vor allem, weil der General schon mehrmals über Manuel danach hatte fragen lassen. Was aber schließlich ausschlaggebend gewesen war, war die Tatsache, dass es in dieser Schule, die sich im Verteidigungsministerium befand, saubere, gefilterte Luft gab, so wie im gesamten Ministerium. Der General wollte schließlich nicht selbst unter den Folgen seiner Industriepolitik leiden. Sophie hatte sich hier rasch eingelebt, sie fühlte sich schnell wohl unter ihren Mitschülern. Für Emma war es manchmal fast unheimlich zu sehen, wie sich ihre Tochter dem System anpasste, so als habe sie sie niemals zu einem freien, unabhängig denkenden Kind erzogen. Aber vielleicht suchte das Mädchen gerade deshalb feste Strukturen, die ihm Halt gaben. Emma sah ihre zukünftige Entwicklung mit Erschrecken. Noch bedeutete das für Sophie nur ein großes Spiel, aber wenn sie so weiter machte, würde sie eines Tages zu den Funktionären der Reinigenden Flamme gehören und damit zu den Tätern des Systems. Der Gedanke war ihr schier unerträglich. Diese Bedenken gingen ihr jedes Mal im Kopf herum, wenn sie durch die Schiebetür des Ministeriums ging.
Heute freilich betrat sie das Gebäude mit einem noch deutlich mulmigeren Gefühl als sonst, denn ihr stand ein weiterer wichtiger Schritt bevor. Es war an ihr, die Anforderungen des Generals zu erfüllen, wollte sie nicht doch noch den Zorn des Staatenlenkers auf sich ziehen. In einem der oberen Stockwerke wartete Colonel Dumont auf sie, der Chef des Geheimdienstes, der einen schweren Makel in ihrer Akte beheben sollte: Ihren noch nicht erfolgten Beitritt zur Partei. Das hätte auch in jedem Aufnahmebüro geschehen können, aber der General hatte darauf bestanden, dass sich einer seiner wichtigsten Offiziere darum kümmerte. Ohne von den Wachen an der Tür aufgehalten zu werden, wurde sie in das Foyer vorgelassen, so als wüsste schon das ganze Gebäude von ihren Absichten. Als sie sich am Informationsschalter anmeldete, um zu Dumont vorgelassen zu werden, wurde sie auch dort zuvorkommend empfangen, und die freundliche Dame hinter dem Schalter teilte ihr mit, sie werde bereits erwartet.
Im fünfundneunzigsten Stockwerk empfing sie bereits ein Lieutenant der III. Abteilung und geleitete sie zu Dumonts Büro. Der Colonel, ein steif wirkender, hagerer Mann, dessen Haupt nur noch wenige Haare zierten, kam unverzüglich hinter seinem Schreibtisch hervor und streckte ihr die Hand entgegen. Mit einem dünnen Lächeln begrüßte er sie. „Ich freue mich, dass Sie den Weg zu mir gefunden haben, Ms. Corvillo“, meinte er süffisant, „besser spät als gar nicht, sage ich immer.“ Er deutete mit dem Kopf zu einem weiteren uniformierten Mann hinüber, der in einer Ecke des Zimmers in einem Sessel saß, die Beine lässig übereinander geschlagen. „Das ist Colonel Bertrand, Dr. Bertrand, einer der leitenden Wissenschaftler des Generals, er wird unserer kleinen Aufnahmezeremonie beiwohnen. Das stört Sie doch hoffentlich nicht?“
„Aber nein“, versuchte sie gelassen zu antworten, obwohl ihr die Situation mehr als nur unheimlich war. Was hatte dieser Wissenschaftler hier zu suchen? Es ging doch nur um ihren Parteibeitritt! „Aber wird die Sache länger dauern? Ich muss in einer halben Stunde meine Tochter von der Schule abholen.“
„Dafür ist bereits gesorgt, Ms. Corvillo“, erwiderte Dumont mit eisigem Lächeln. „Der General selbst hat verfügt, dass sich gut um Ihre Tochter gekümmert wird. Sie werden sie gleich treffen, sobald hier alle Formalitäten erledigt sind.“
Für Emmas Ohren klang das fast so, als würde Sophie in Geiselhaft gehalten um sicher zu stellen, dass sie auch wirklich in die Partei eintrat. Sie musste sich zwingen, ruhig zu bleiben, obwohl sie panisch wurde. Aber sie konnte an der Situation jetzt ohnehin nichts ändern, war auf Dumonts Wohlwollen angewiesen. „Ich verstehe“, sagte sie, „dann muss ich mir wohl keine Sorgen machen.“
„Selbstverständlich nicht, Ms. Corvillo. Aber setzen Sie sich doch erst einmal. Darf ich Ihnen den Mantel abnehmen?“ Er streckte eine Hand aus.
„Natürlich, danke.“ Emma reichte ihm den Mantel, den er an einem Ständer hinter der Bürotür aufhängte und setzte sich in den schlichten Sessel, der vor Dumonts Schreibtisch stand.
„Sie können sich nicht vorstellen, welche Ehre es für mich ist, dass ich einen persönlichen Schützling des Generals in unsere Organisation aufnehmen darf“, fuhr Dumont in seinem öligen Tonfall fort. „Und dazu noch mit unserer neuen Form des elektronischen Parteibuchs. Ein revolutionäres Verfahren, nicht wahr, Dr. Bertrand?“ Nach Zustimmung heischend, blickte er zu dem anderen Colonel hinüber. Dieser nickte.
„ich freue mich, dass Sie sich bereit erklären, eine unserer ersten Testpersonen zu sein.“, meinte Bertrand. „Auch wenn das Verfahren selbstverständlich vollkommen ungefährlich ist.“
„Verzeihen Sie, aber ich weiß nicht, worum es geht“, stammelte Emma, die nun wirkliche Angst bekam. Was hatten die Männer mit ihr vor? Sicherlich handelte es sich um eine weitere abstruse Maßnahme, die der General und seine Forscher erdacht hatten, um die Menschen besser unter Kontrolle zu halten. Emma hatte schon den geheimnisvollen Chips gehört, welche der General vielen seiner Soldaten einpflanzen ließ, um sie gehorsam zu stimmen. Manuel hatte ihr davon erzählt. Auch mancher umgedrehte Politiker, der nach dem Machtwechsel plötzlich auf Smiths Seite gestanden hatte, trug so ein Ding im Nacken, angeblich war sogar Präsident Hirschmann so zum Einlenken gezwungen worden. Sollte nun auch sie so etwas eingepflanzt bekommen? Vielleicht kümmerte sich deshalb jemand um Sophie, weil sie nun erst einmal operiert wurde. Die Furcht drohte ihr die Kehle zu zu schnüren.
„Ich verstehe nicht“, meinte Bertrand. „Hat man Sie denn nicht aufgeklärt?“
„Nein, ich dachte, ich bekomme nur so etwas wie ein Parteiabzeichen.“
Bertrand lachte, kurz darauf stimmte auch Dumont in sein Lachen ein, auch wenn es ihn außerordentliche Überwindung zu kosten schien, seine Energie auf eine derart sinnlose Tätigkeit zu verschwenden. „Meine liebe Ms. Corvillo, diese Zeiten sind nun wirklich vorbei. Wir bevorzugen in Zukunft so etwas wie eine ewige Bindung, wenn Sie verstehen, was ich meine.“
„Sind Sie dann soweit, Ms. Corvillo?“, fragte Dumont mit einem Hauch von Ungeduld in der Stimme.
„Nun, warum es noch länger aufschieben?“ Emma kicherte nervös. „Sie werden mir wohl kaum den Kopf abreißen.“
„Aber selbstverständlich nicht.“
Bertrand griff zu einem kleinen Koffer, der neben ihm auf einem Schrank gelegen hatte und öffnete ihn. „Bitte krempeln Sie Ihren rechten Ärmel hoch, Ms. Corvillo“, sagte er ruhig und holte eine Sprühdose aus dem Koffer.
Emma tat wie ihr geheißen worden war und schob den Ärmel ihres Shirts hoch. Bertrand trat zu ihr hinüber und sprühte etwas von einer kühlenden Flüssigkeit auf ihren Arm, die er mit einem Wattepad verteilte. Dann griff er erneut in den Koffer und holte so etwas wie eine Injektionspistole daraus hervor. „Keine Sorge, es geht ganz schnell, und Sie werden kaum etwas bemerken.“
Emma atmete tief ein und erwartete den kommenden Einstich. Die Nadel, die aus dem Infusionsgerät hervor lugte, sah bedrohlich dick aus. Bertrand setzte sie auf ihrem Arm an, dort wo er vorher das Kühlmittel aufgetragen hatte und drückte ab. Ein stechender Schmerz durchzuckte ihren Unterarm, während das Gerät zischend seine Arbeit tat. Emma zuckte zusammen und kämpfte gegen ihre Tränen an. Aber wie versprochen ließ der Schmerz rasch nach. Sie schaute auf die Einstichstelle hinunter, aus der ein winziger Bluttropfen heraus quoll, darunter gab es eine kleine Erhebung.
„Sehen Sie, das war es schon“, meinte Bertrand außerordentlich zufrieden. „Wir haben Ihnen lediglich einen kleinen Chip unter die Haut gespritzt, kaum größer als ein Stecknadelkopf, aber dennoch von enormer Leistungsfähigkeit. Das ist Ihr neuer Parteiausweis, mit allen Daten, die wirklich relevant sind. Wollen wir doch mal sehen, ob er ordnungsgemäß funktioniert.“ Er holte ein weiteres Gerät aus seiner Tasche, das etwa die Größe eines Taschenrechners hatte und fuhr damit über Emmas Arm. Ein leises Piepsen ertönte, und das Display des Gerätes erwachte zum Leben. Emma kam sich vor wie ein Haustier, das man gechippt hatte, um es später seinem Besitzer zuordnen zu können. Und so etwas ähnliches war sie jetzt wohl auch. Ein Haustier des Generals und seiner Organisation. Bertrand fuhr ein weiteres Mal über ihren Arm und runzelte die Stirn.
„Da stimmt etwas nicht...“, murmelte er verwirrt und zeigte das Ergebnis seines Scans Colonel Dumont.
„Aber nein, keine Sorge, das ist vollkommen in Ordnung so“, erwiderte der Colonel beruhigend. „Wir haben die Daten auf allerhöchsten Wunsch hin etwas angepasst. Der General meinte, es würde keinen guten Eindruck machen, wenn die Cousine eines seiner Stabsmitglieder erst so spät in die Partei eingetreten ist. Also haben wir das etwas nach vorn korrigiert.“ In seiner Stimme klang ein leiser Vorwurf mit, als gefiele es ihm gar nicht, durch Emmas Schuld zu einem solchen Schritt genötigt worden zu sein. „Ms. Corvillo, nur falls Nachfragen kommen, Sie sind offiziell bereits seit 2063 Mitglied der Partei. Selbstverständlich haben Sie in der Zeit des Exils unseres Generals Solidarität mit der Bewegung bewiesen.“
„Ich verstehe“, entgegnete Emma knapp und rieb sich die nun juckende Einstichstelle. „Aber was ist mit den Menschen, die wissen, dass das nicht stimmt?“
„Keiner von ihnen wird zu widersprechen wagen“, meinte Dumont kühl. „Außerdem hatten wir schon immer heimliche Anhänger. Sie können noch immer behaupten, Ihre Parteimitgliedschaft sei immer Ihr kleines Geheimnis gewesen. Selbstverständlich werden Sie von nun auch in allen Datenbanken als langjähriges Mitglied geführt, Sie werden es bei der nächsten Straßenkontrolle merken.“ Jetzt kicherte er wie ein amüsiertes Kind. „Wir werden nämlich auch stets wissen, wo Sie sind, alles wird automatisch erfasst.“
Emma brachte es nicht über sich, Freude über diese Aussichten zu zeigen. Es kostete sie einige Mühe, nicht zu ironisch zu klingen. „Und, gibt es schon viele Menschen, die mit dieser Methode erfasst sind?“
„Aber nein, Sie sind eine der ersten, es werden allerdings täglich mehr. Nach und nach hoffen wir, so alle Bürger erfassen zu können. Das wird uns in Zukunft einige der Kontrollen ersparen und wir können diese Beamten für andere Aufgaben einsetzen.“ Dumont wirkte zufrieden. „Ein Zentralcomputer wird dann diese lästigen Routineaufgaben übernehmen. Aber ich will Sie nicht mit diesen Details langweilen, Sie möchten jetzt sicher zu Ihrer Tochter, um ihr die Neuigkeiten mitzuteilen.“
Innerlich seufzte sie erleichtert auf, sie wollte nichts lieber, als aus diesem Büro zu verschwinden und mit Sophie nach Hause zu fahren. Das Mädchen würde sicherlich schon auf sie warten. Sie ließ sich von Dumont in ihren Mantel helfen und verabschiedete sich so eilig wie möglich.
Vor der Tür wurde sie erneut von bewaffneten Wachen der III. Abteilung erwartet. Irritiert fragte sie die Männer, ob noch etwas zu erledigen sei, diese baten sie jedoch lediglich, sie zu begleiten, sie würde zu ihrer Tochter gebracht. Als sie mit dem Aufzug noch weiter nach oben fuhren, ahnte sie allerdings schon, wohin es tatsächlich gehen würde und fürchtete sich vor der neuerlichen Begegnung.
Sophie lief ihr bereits an der Tür aufgeregt entgegen und fiel ihr um den Hals, als sie sich zu ihr hinunter bückte. „Mama, ich durfte die ganze Zeit mit dem Hund spielen!“, rief sie aufgeregt. „Kann ich auch so einen Hund haben? Biiitteeeee!“ Das letzte Wort zog sie flehentlich in die Länge. Hinter ihr tauchte dann auch sofort das Objekt der Begierde auf, der Collie des Generals, der sich mit ihr schon angefreundet hatte. Sophie ließ Emma los und kniete sich neben dem Hund nieder, um ihn zu umarmen, was dieser sich hechelnd gefallen ließ. Gina hatte anders als ihr Herr immer ein gutmütiges Wesen gehabt. Schließlich hatte Emma sie damals für ihn ausgesucht. Aber das wusste ihre Tochter nicht, und der General mochte nur einen Verdacht haben.
Der Hausherr kam ihr ebenfalls lächelnd entgegen. Die Uniformjacke hatte er ausgezogen und auch die Krawatte abgelegt, er gab sich ganz privat. Er hatte sie in den gemütlichen Teil seiner Diensträume bringen lassen, ein Wohnzimmer hoch über den Dächern von Metropolis, mit gemütlichen Ledersofas und weichen Teppichen. An den Wänden hingen Bilder moderner Künstler, die indirekt angestrahlt wurden. Allerdings zogen auch hier vor den großen Fenstern düstere Rauchwolken vorbei, auch wenn die stinkende Luft nicht nach innen drang. Weit hinten waren die Schornsteine des Industriekomplexes der Totalchemie zu erkennen, in der das Gift produziert wurde. Emma fragte sich, wem das Werk im Moment mehr schadete, den verhassten VOR oder den Bürgern der Hauptstadt.
„Ms Corvillo, es ist mir immer eine Freude, Sie zu sehen!“ Er fasste sie sanft bei den Schultern und deutete auf beiden Seiten einen Wangenkuss an. Erneut wurde Emma der Mantel abgenommen, diesmal landete er auf einer Stuhllehne. „Zur Feier des Tages habe ich uns einen kleinen Imbiss vorbereiten lassen, ich hoffe, Sie sind mir nicht böse deswegen?“
„Das ist sehr freundlich von Ihnen, Sir.“, erwiderte Emma nervös. Sie hatte sich nie vollkommen entspannt in seiner Gegenwart gefühlt, selbst als sie damals zusammen gelebt hatten nicht. „Ich hoffe, Sophie ist Ihnen nicht zu Last gefallen?“
„Aber keineswegs, sie und mein Hund haben sich prächtig verstanden, und auch mit mir kommt sie gut zurecht, wage ich zu behaupten. Aber setzen wir uns doch, wir wollen auf Ihren Parteibeitritt anstoßen.“
„Aber der war doch schon vor sechs Jahren“, wagte sie ironisch einzuwerfen.
„Ich hoffe, Sie verzeihen mir diese kleine Mogelei. Hat Ihnen Colonel Dumont die Gründe erklärt?“
„Sie klangen durchaus einleuchtend. Die ganze Prozedur kam nur etwas überraschend.“
„Es hat doch nicht etwa weh getan?“
„Nicht der Rede wert“, log sie. „Nur ein kleiner Piekser.“
„Nun, dann haben Sie sich trotzdem eine kleine Entschädigung meinerseits verdient.“ Wieder spielte er seinen berühmten Charme aus, der einen so leicht vergessen ließ, mit wem man es zu tun hatte. Emma dachte an die vielen Menschen, die er auf dem Gewissen hatte, rief sich alles ins Gedächtnis, was sie von ihm wusste, um seiner Ausstrahlung nicht wieder zu erliegen, aber es wollte ihr nicht vollkommen gelingen. Dieser Mann verstand es einfach, Menschen auf seine Seite zu ziehen.
Er führte sie zu einem der Sofas hinüber. Auf dem Couchtisch davor stand eine Flasche Champagner in einem mit Eis gefüllten Kühler. Daneben gab es einige Schalen mit verschiedenen Köstlichkeiten, Kaviar, Käse, unterschiedliche Fischsorten auf duftendem Brot und Pfannkuchen für Sophie. Für sie stand auch ein alkoholfreier Fruchtsaftcocktail bereit, wie der General erklärte, mit einem Obstspieß darauf und einem bunten Schirmchen. Ein gewundener Strohhalm ragte aus dem Glas. Sophie kam zu ihnen hinüber gehüpft und ließ sich auf das gegenüber liegende Sofa plumpsen. Gina folgte ihr schwanzwedelnd und legte ihr eine Pfote auf das Knie.
„Das macht sie sonst nie“, meinte der General lachend. „Sie ist ein sehr eifersüchtiger Hund. Aber zu Ihrer Tochter hat sie Vertrauen. Das ist auch ein gutes Zeichen für mich. Wem Gina vertraut, dem kann auch ich vertrauen.“
„Mama, ich will auch so einen Hund!“, wiederholte Sophie ihre Bitte, als hätte sie in Smiths Gegenwart eine größere Chance auf Erfüllung ihres Wunsches.
„Nun, vielleicht kann ich ja da etwas für dich tun“, bot der General an. „Wir würden sicherlich einen schönen Hund für dich finden.“
„Oh ja“, meinte Emma sarkastisch, „und ich bin diejenige, die morgens um fünf aufstehen muss, um ihn auszuführen und muss ihn jeden Tag bürsten. Ich hoffe also, dass ich da auch noch ein Wörtchen mitzureden habe. So ein Tier bedeutet auch Verantwortung, Sophie. Denk daran, du bist in so vielen Gruppen, dass du kaum noch Zeit haben wirst.“
„Aber ich kann mich abends darum kümmern.“
„Du kannst aber ein Tier nicht wie ein Spielzeug in die Ecke stellen.“
Sophie schmollte, wie sie es immer tat, wenn sie ihren Willen nicht bekam. Der General lächelte ihr zu und beugte sich zu ihr hinüber. „Ich mache dir einen Vorschlag“, sagte er freundlich. „Du kannst dich immer um Gina kümmern, wenn du mich besuchst. Und ich hoffe doch, dass deine Mutter und du nun häufiger zu mir kommen werden.“
Sein Charme verfehlte auch bei Sophie seine Wirkung nicht. Das Mädchen war fürs erste beruhigt und schlang seine Arme um Ginas Hals. Emma wäre am liebsten im Boden versunken. Die Anspielung war nur allzu deutlich. Smith wollte sie häufiger sehen. Und es gab nichts, was sie dagegen ausrichten konnte. „Aber Sie haben doch gewiss viel zu tun“, sagte sie, „fallen wir Ihnen denn nicht zur Last?“
„Ich wünschte, ich hätte nur solche angeblichen Lasten wie Sie und Ihre Tochter, Ms. Corvillo.“ Er griff nach der Champagnerflasche und löste geschickt den Drahtverschluss um den Korken. Dieser löste sich mit leisem Ploppen aus dem Flaschenhals. „Aber jetzt wollen wir anstoßen. Auf Ihre Zukunft unter den Fittichen der Reinigenden Flamme!“ Er füllte zwei bereit gestellte Gläser und reichte ihr eins davon. Dann stieß er mit ihr an. Emma setzte das Glas an die Lippen und trank vorsichtig. Nur nicht auch noch betrunken werden in seiner Gegenwart!
„Wie mir Colonel Dumont sagte, kann man nun tatsächlich jederzeit sehen, wo ich mich aufhalte“, meinte sie vorsichtig. „Um ehrlich zu sein, ist mir das ein wenig unheimlich.“
Sie wartete auf ein Zeichen des Unmuts in seinem Gesicht, aber er lachte nur. „Aber das muss es nicht sein, Ms. Corvillo. Wir werden wohl kaum einen Beamten darauf abstellen, in jeder Minute des Tages nach zu schauen, wo Sie sind. Stellen Sie sich vor, wir würden das mit jedem machen, dann wären wir personell restlos überlastet. Die Menschen messen ohnehin unseren Kontrollmaßnahmen viel zu viel Bedeutung bei, dabei werden sie nur zum Schutz der Bevölkerung angewandt. Wir befinden uns in einer Zeit des Umbruchs, da ist es notwendig, gewisse Sicherheitsmaßnahmen zu treffen.“
Emma erinnerte sich an die Drohne, die eines Nachts über ihrem Bett geschwebt hatte und hatte Mühe, ein Schauern zu unterdrücken. „Auch ich habe ein wenig Angst vor den Kontrollen“, gab sie zu. „Vor allem einmal, als ich meinen Pass verloren hatte. Zum Glück haben sie mich gerade an diesem Tag nicht kontrolliert.“ Sie kicherte nervös. Sprach sie tatsächlich gerade mit dem General über die Kontrollen der III. Abteilung? Die Situation kam ihr irgendwie unwirklich vor. „Ich komme mir jedes Mal wie eine Verbrecherin vor, wenn sie mich anhalten und fürchte, ich würde jeden Augenblick verhaftet. Wenn dann noch eine von den furchtbaren Laserbatterien in der Nähe steht...“
„Aber wir verhaften doch niemanden ohne Grund“, meinte er beruhigend und legte seine Hand auf ihren Unterarm. „Sie sind doch keine von den Unüberzeugten oder Unruhestiftern, die mir Schwierigkeiten bereiten könnten, oder? Dann haben Sie auch nichts zu befürchten, glauben Sie mir. Auch von den furchtbaren Laserbatterien nicht, wie Sie sie nennen, eine Stütze meiner Armee übrigens.“ Er hielt ihr eine Schale mit Kaviar entgegen. „Aber möchten Sie denn nicht etwas essen?“
Emma kam der Aufforderung nach und nahm etwas Weißbrot zum Kaviar. Auch Sophie langte kräftig bei den Pfannkuchen zu. Hin und wieder steckte sie auch dem Hund ein Stückchen davon zu. Der General ließ es widerspruchslos geschehen, wahrscheinlich würde er das Tier anschließend eine Runde zusätzlich laufen lassen. Sein Interesse an Sophie überraschte Emma, sie hätte nicht gedacht, dass Smith sich so auf ein Kind einlassen konnte. Es sei denn, das alles war nur eine Show, um sie gewogen zu stimmen. Oder ahnte er etwa doch etwas, und wollte über das Mädchen die Wahrheit herausfinden? Emma konnte nur hoffen, dass er an Sophie keinen genetischen Test vornehmen ließ. Ihre eigenen Spuren waren verwischt worden, aber wenn Smith etwa auf die Idee käme, einen Vaterschaftstest durchführen zu lassen, dann würde sie in arge Erklärungsnot kommen.
***
Emma Rodriguez besuchte ihren Bruder nur noch selten. Das Risiko, ihre wahre Identität könne entdeckt werden, war einfach zu groß. Manuel allerdings war für sie viel mehr als ihr Bruder, sondern auch ein guter, älterer Freund, zu dem sie jederzeit kommen konnte, wenn ihr etwas auf dem Herzen lag. Meist versuchte sie ihren Kummer für sich zu behalten, um diese riskanten Gespräche möglichst zu vermeiden. Offiziell war sie für alle eine entfernte Cousine, zu der seit ihrer Kindheit eine lockere Bindung bestand. Gewöhnlich hatten sie sich in den letzten Monaten in irgendwelchen Cafés getroffen, dort wo es die vielen Besucher den neugierigen Beamten der III. Abteilung möglichst schwer machten, ein Gespräch zu belauschen. Sicher war es auch dort nicht, aber immer noch besser als in einer Privatwohnung, die das Interesse der Geheimpolizei fand. Diesmal aber entschloss sie sich, ihn in seinem Haus aufzusuchen, das in einem der nobleren Gegenden von Metropolis lag. Da es dort kein öffentliches Transportnetz gab – die Bewohner des Viertels besaßen alle einen eigenen Wagen – gönnte sie sich und Sophie ein Taxi, das sie rasch vor dem im mediterranen Stil erbauten Haus ablieferte. Dumont hatte Wort gehalten, an beiden Kontrollpunkten, welche sie auf der Fahrt passierten, wurden sie nur kurz überprüft und sogar freundlich behandelt. Nur auf den Waffencheck verzichteten die Soldaten nicht. Egal, ob sie nun Mitglied der Partei war, das System blieb wachsam.
Emma bezahlte den Fahrer, gab ihm ein großzügiges Trinkgeld und ging mit Sophie an der Hand zum Haus hinüber. Davor gab es eine große Rasenfläche mit Blumenrabatten, die gerade von einem Gartenroboter gepflegt wurden, der abgestorbene Blätter abzupfte und die Wiese nach abgebrochenen Zweigen absuchte. In der Ferne hörte Emma das Brummen einer schwebenden Laserbatterie, die durch das Viertel patrouillierte. Eine Stütze seiner Armee hatte der General sie genannt, als sie sich abfällig darüber geäußert hatte. Hoffentlich erwuchs ihr nicht noch ein Nachteil daraus. Sie hatte ohnehin wieder viel zu viel von sich preisgegeben, über ihre Ansichten und ihr Leben. Es würde sich zeigen, wie er darauf reagieren würde. Draußen begann es dunkel zu werden. Sie klingelte an der Tür.
Es dauerte nicht lange, bis Manuel öffnete. Er trug noch seine Uniform, hatte aber die Jacke geöffnet und die Krawatte gelockert. Erfreut begrüßte er sie und Sophie und bat sie hinein in sein Wohnzimmer. So lange das Mädchen noch wach war, plauderten sie über allerhand Belangloses und tranken ein Glas Wein dazu. So weit war es also schon gekommen, Emma hatte Angst, vor ihrer Tochter offen zu sprechen! Aber wie viele fanatisierte Kinder hatten ihre Eltern schon angezeigt. Irgendwann aber begann die Kleine zu gähnen, und Emma brachte sie in einem der Gästezimmer unter. Es dauerte nicht lange, und das Mädchen schlief tief und fest. Auch sie hatte einen anstrengenden Tag hinter sich.
Seufzend ließ sie sich auf das Wohnzimmersofa zurück sinken. Manuel schenkte ihr noch einmal Wein nach, obwohl sie schon ein wenig beschwipst war und warf ihr einen bedeutungsvollen Blick zu. Dann ging er zu einem Sideboard hinüber und zog eine der Schubladen auf. Heraus holte er ein kleines Kästchen, das er vor sich auf den Couchtisch stellte. Er drückte einen Knopf an der Seite. Auf der Oberseite des Geräts leuchtete ein grünes Lämpchen auf.
„So, im Moment können wir offen reden, keine Abhörvorrichtungen in der Nähe.“
„Was ist das?“
„Ein kleines Warngerät, das der Widerstand entwickelt hat. Sobald es gelb leuchtet, sollten wir schleunigst das Thema wechseln, und sobald die rote Lampe angeht, nur noch den General und seine Wohltaten preisen.“
„Du hast also tatsächlich Kontakte zum Widerstand?“ Emma hatte es im Grunde immer gewusst, denn ihr Bruder hatte ja schon vor dem Putsch gegen Smith gearbeitet, aber so offen hatte er es noch nie ausgesprochen.
„Es ist besser, wenn du nicht zu viel darüber weißt“, entgegnete er besorgt. „Aber erzähl mal, wie war dein Tag? Haben sie sich sehr in die Mangel genommen?“
Emma zeigte ihm die Einstichstelle an ihrem Arm, woraufhin Manuel meinte, er habe bereits befürchtet, dass dieses System nun bald eingeführt würde. Er nannte es das Konzept der elektronischen Handfessel, ganz so, wie man es zu Beginn des Jahrhunderts mit Kleinkriminellen gemacht hatte. Erstaunt hörte er sich an, was Emma über ihr Gespräch mit Smith zu berichten hatte.
„Sophie ist ganz begeistert von ihm“, berichtete Emma niedergeschlagen. „Wenn sie wüsste, wie ich wirklich über das Regime denke, würde sie wahrscheinlich mit fliegenden Fahnen zu ihm überlaufen. Meine eigene Tochter entfremdet sich mir immer mehr. Als ich ihm ganz vorsichtig meine Meinung zu den Straßensperren sagte, meinte sie ganz vorschriftsmäßig, diese seien dazu da, um staatsfeindliche Elemente aufzuspüren und Agenten des Feindes in Asien zu ergreifen. Der General war richtig stolz auf sie.“
„Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.“, meinte Manuel sarkastisch.
„Ich fürchte fast, meine komplette Erziehung ist umsonst gewesen. Irgendetwas muss das Mädchen doch auch von mir haben.“
„Die Gene ihres Vaters schienen aber zu dominieren, wie zu erwarten war.“
Emma war ein wenig verletzt, dass ihr Bruder das so gelassen war, sagte aber nichts. „Das Schlimmste aber ist, dass ich mich wieder dazu hinreißen ließ, viel zu viel zu erzählen. Ich hätte eben den Champagner nicht trinken dürfen.“
„Den hättest du kaum ablehnen können.“
„Das Gespräch schien Smith jedenfalls mehr zu amüsieren als zu verärgern“, meinte Emma mit einem Hauch von Zweifel in der Stimme. „Jedenfalls hat er keinen Unmut gezeigt.“
„Ich habe das zweifelhafte Vergnügen, Smith schon häufiger erlebt zu haben, wenn ihm ein Gespräch nicht gefiel. Glaube mir, das läuft anders ab – er erstarrt buchstäblich auf der Stelle zu Eis und wartet keine fünf Minuten damit, seinen Gesprächspartner abführen zu lassen. Die meisten dieser Männer und Frauen wurden nie wieder gesehen – es sei denn, der General brauchte sie zu propagandistischen Zwecken – dann schienen sie plötzlich wie umgedreht zu sein. Was heißt sie schienen – sie waren es! Der Geheimdienst führt ganz genaue Aufzeichnungen darüber, wer von den Führern der Reinigenden Flamme in der Bevölkerung aus welchen Gründen beliebt ist. Wenn Smith diese Gründe gefallen, lässt er denjenigen leben und übergibt ihn seinen Wissenschaftlern. Nach ein paar Tagen sieht es dann so aus, als habe es nie Differenzen gegeben…“
„Er deutete ja auch an, dass ihn interessierte, was ich zu den Straßensperren zu sagen hätte“, überlegte Emma, die bei Manuels Bericht erschauerte. Sie erfuhr von ihm ständig Neues über die Verbrechen des Generals, immer wenn sie glaubte, schlimmer könne ein Überwachungsstaat nicht sein, kam noch eine neue schreckliche Information hinzu. „Meinst du, er verwertet das auch propagandistisch?“
„Davon kannst du ausgehen. Notfalls würde er noch nicht einmal davor zurückschrecken, selbst Attentate inszenieren zu lassen, nur um seine Überwachungsmaßnahmen zu rechtfertigen. Colonel Dumont, der Chef der III. Abteilung, den du ja heute auch kennen lernen durftest, steht ihm da gern mit Rat und Tat zur Seite. Der Mann ist noch übler als der General selbst. Smith handelt trotz seines kranken Gedankenguts immer in der Überzeugung, die EAAU in eine bessere Zukunft zu führen, auch wenn das noch viele Leben kosten wird. Dumont aber und einige andere auch schwimmen in seinem Sog mit und toben ihre eigenen üblen Machtphantasien aus.“
Noch nie hatte ihr Bruder so offen mit ihr über seine Zweifel an Smiths Regime geredet, immerhin gehörte er zum engsten Kreis seiner Offiziere. Manuel war nie mit Leib und Seele dabei gewesen, eher darum, weil er hoffte, in seiner Position irgend etwas bewirken zu können. Bisher allerdings hatte er Emma gegenüber aber stets nur Andeutungen über seine wahre Überzeugung fallen lassen.
„Na, großartig, nun habe ich dem General auch noch Hinweise für eine Propagandakampagne geliefert“, Emma seufzte resigniert. „Das war nun wirklich nicht meine Absicht. Ich dachte, er hätte lediglich einen Anflug von Volksnähe gehabt, wie einer dieser legendären Kalifen, die sich als Bettler verkleideten, um in den Straßen die Wahrheit über sich zu hören.“
„Es fällt mir schwer, Smith solche poetische Anwandlungen zu unterstellen.“ Manuel lachte wider Willen und lehnte sich auf dem Sofa zurück. „Aber es gibt tatsächlich einen handfesten Grund, warum er ausgerechnet jetzt aus seinem Elfenbeinturm herabsteigt, um mit den Menschen in seiner Umgebung offene Gespräche zu führen. Und dieser Grund gefällt mir gar nicht.“
„Ich habe es für einen Test gehalten – er wollte wohl einmal hören, was ein normaler Bürger denkt.“ Emma ließ sich ebenfalls mit einem Seufzer zurücksinken, während sie ihr Weinglas mit den Fingern drehte. „Vielleicht langweilt er sich ja auch nur in seinem Elfenbeinturm, wie du es so schön sagst und wollte einfach mal heraus. Schließlich nutzt es ihm nicht sehr viel, der mächtigste Mann der Welt zu sein, wenn er dabei alleine in seiner Wohnung sitzt.“
Manuel drückte ihre Hand. „Weißt du, Emma, ich glaube, viele Menschen schätzen den General falsch ein – woran er nicht ganz unschuldig ist – es geht ihm nicht unbedingt um den Gedanken, der Mächtigste zu sein, für ihn ist es wichtiger, niemandem Rechenschaft ablegen zu müssen.“
„Ist das nicht dasselbe?“
„Wenn du in deinem Job mehr Freiheit willst, bist du deshalb machtgierig?“
Emma lachte auf. „Das willst du doch jetzt wohl nicht vergleichen! Ich hätte manchmal gern mehr Freiheiten im Umgang mit meinen Manuskripten, wenn die Verlagsleitung eine Marschrichtung vorgibt, die mir nicht gefällt. Aber Machtgier würde ich das nicht nennen…“
„Siehst du, Smith gefiel die Marschrichtung der Hirschmann Regierung nicht. Er war in seinem Verfolgungswahn fest davon überzeugt, dass der Präsident der EAAU schaden würde und wollte das mit allen Mitteln verhindern. In seinen Albträumen sah er uns bereits von den Asiaten überrannt und versklavt…“
„Klassische Projektion würde ich sagen – die eigenen Absichten dem Gegenüber zu unterstellen. Mit so etwas hatte ich früher ständig zu tun, als ich noch für die Armee gearbeitet habe, wenn auch nicht in diesem extremen Ausmaß. Normalerweise sind solche Störungen auch gut therapierbar…“
„Wenn du dir den General zum Feind machen willst, solltest du ihm das mal vorschlagen“, erwiderte Manuel sarkastisch. „Vielleicht würde er sich ja vertrauensvoll in deine therapeutischen Hände begeben. Aber mal im Ernst, Smith weiß sehr wohl, dass seine Gegner ihn für unberechenbar und wahnsinnig halten, jede Anmerkung, die auch nur den leisesten Hauch einer Anspielung darauf enthält, zieht unweigerlich übelste Konsequenzen nach sich. Fakt ist aber, dass Smith verrückt ist und zwar auf außerordentlich gefährliche Weise. Er glaubt, eine Mission erfüllen zu müssen, an der alle anderen Führungskräfte der Reinigenden Flamme bisher gescheitert sind – und wenn dies das Ende der uns bekannten Zivilisation bedeutet. In seinen Augen waren seine Vorgänger zu schwach für diese Aufgabe oder hatten nicht den Mut die Konsequenzen zu tragen. Smith hält sich nicht für eine Lichtgestalt, wie andere Diktatoren, sondern ist bereit als Dämon in die Geschichte der Menschheit einzugehen. Das macht ihn so gefährlich, er hängt an nichts, das er nicht verlieren will. Für einen Diktator lebt er sogar relativ bescheiden, Luxus bedeutet ihm nicht viel.“
„Wenn du damit andeuten willst, dass er bereit ist, seine Weltuntergangspläne in die Tat umzusetzen, so fürchte ich, dass du mir damit nichts neues erzählst.“ Emma nickte bedrückt. „Ich glaube, jeder in der EAAU fürchtet sich davor, aber die meisten verdrängen es. Wer will schon jeden Tag mit dem Gedanken aufwachen, es könnte der letzte seines Lebens sein?“
„Ich wünschte, wir könnten mehr Menschen zum Widerstand bewegen, damit wir diesen Wahnsinn stoppen könnten. Wir können viel zu wenig dagegen unternehmen!“ Manuel sprang vom Sofa auf und ging hektisch im Zimmer auf und ab. Er schien sogar zu vergessen, das Warngerät im Auge zu behalten, wie Emma besorgt feststellte. Aber noch leuchtete das Lämpchen grün. „Aber alle sind vor Angst wie gelähmt! Und es besteht keine Chance, die vereinzelten Männer und Frauen, die zum Kampf bereit sind, zu organisieren. Wir können Sie noch nicht einmal darüber informieren, was ihnen bevorsteht!“
„Und was hat das nun mit dem Gespräch des Generals mit mir zu tun?“ fragte Emma, um auf das ursprüngliche Thema zurückzukommen.
„Ganz einfach“, Manuel blieb stehen und wandte sich ihr zu, „Smith fängt an, seine Auslese zu treffen. Auch er plant ja nicht die Ausrottung der gesamten Menschheit – er will eine neue Menschheit schaffen, die ganz im Dienste der Reinigenden Flamme steht. Er beginnt, Gott zu spielen. Er richtet darüber, wer überleben darf und wer nicht. Bereits seit dem Putsch hat er begonnen, Vorkehrungen zu treffen, man munkelt etwas von einem zweiten, unterirdischen Metropolis, einer vollkommen autonomen unterirdischen Stadt, der größte Atombunker aller Zeiten. Ich habe die Pläne gesehen, diese Anlage ist gigantisch und kann mehrere tausend Menschen aufnehmen. Smith perverse Variante einer Arche Noah sozusagen. Sobald er seinen Weltkrieg angezettelt hat, wird dort jeder Schutz finden, der es in Smith Augen wert ist, zu überleben. Weißt du jetzt, was ich meinte, als ich sagte, seine Sympathie kann lebensrettend für dich sein?“
„Du meinst, ich könnte seit heute Nachmittag zu den Auserwählten gehören?“ Emma lachte freudlos. „Was für eine Aussicht. Oben geht die Welt unter und wir sitzen in einem Betonkasten unter der Erde und sehen zu. Ich weiß nicht, ob mir da ein schnelles Ende nicht lieber wäre.“
„So lange man lebt, ist immer noch Hoffnung“, erwiderte Manuel. „Es gibt schließlich noch die Venuskolonie, die sich bisher dem General erfolgreich entzogen hat. Dort leben noch freie Menschen und sie wehren sich.“
„Du weißt genau, dass das nur noch eine Frage der Zeit ist.“ Sie seufzte. „Aber das war heute Nachmittag nicht meine einzige Sorge. Ich fürchte mich davor, dass er mich wieder erkannt hat. Manchmal hatte ich das Gefühl, als wolle er mich aufs Glatteis führen.“
„Er hat sicherlich geglaubt, eine Frau vor sich zu haben, die Emma Rodriguez sehr ähnlich sieht. Vielleicht hat auch das ihn milde gestimmt.“
„Es ist immerhin mehr als sieben Jahre her. Vielleicht erinnert er sich gar nicht mehr.“
„Das glaube ich nun nicht. Smith vergisst niemanden.“
Ein leichtes Vibrieren des Bodens zeigte an, dass sich vor dem Haus eine der schrecklichen Laserbatterien der III. Abteilung vorbei bewegte. Zwar fuhren diese Monstren moderner Waffentechnik fast lautlos auf einem Antischwerkraftpolster, aber allein ihre Masse ließ ihre Umgebung erzittern. Unwillkürlich verstummte Emma, sie wurde von Panik gepackt. Was, wenn das Warngerät seinen Dienst versagt hatte und sie doch abgehört worden waren? Ihr Gespräch wäre in den Augen des Generals Hochverrat, den er unnachgiebig bestrafen ließ. Auch Manuel sagte nichts, als wolle abwarten, bis die Laserbatterie vorbeigefahren wäre. Traute er seinem eigenen Gerät nicht? Jetzt wurde auch das Geräusch weiterer Militärfahrzeuge laut. Emma musste sich beherrschen, nicht zum Fenster zu laufen und hinaus zu sehen. Das hätte sie erst recht verraten.
Das Vibrieren verstummte plötzlich, ebenso wie die Motorengeräusche der Militärfahrzeuge. Emmas Herz schien einen Schlag lang auszusetzen. Jetzt war es soweit. Entweder hatte die III. Abteilung ihr Gespräch doch belauscht, oder der General hatte sich anders besonnen und über ihre Äußerungen noch einmal nachgedacht. Vielleicht hatte er sie den ganzen Nachmittag lang nur aufs Glatteis geführt, um ihre Familie in die Falle zu locken. Sie war den Tränen nahe. Wie hatte sie so dumm und unbeherrscht sein können? Sie hätte niemals so offen zu Smith sprechen dürfen. Nun rächte er sich dafür an ihr, und wahrscheinlich auch an ihrer Familie! Manuel stand ebenfalls stumm da und wartete ab.
Nach wenigen Sekunden klingelte es an der Vordertür, gleichzeitig klopfte jemand heftig dagegen. „Jetzt ist es soweit“, meinte Emma ängstlich, „er hat es sich anders überlegt und lässt mich abholen.“
„Warte doch erst einmal ab“, entgegnete Manuel wenig überzeugend. „Es kann ja auch für mich sein – er lässt mich vielleicht zu einer Besprechung rufen.“
„Mit vollem Mannschaftseinsatz?“
„Ich gehe jetzt erstmal zur Tür und regele das.“ Kaum dass er den ersten Schritt gemacht hatte, klopfte und klingelte es erneut. Emma konnte sich vor lauter Panik kaum noch beherrschen. Sie wippte unruhig auf der Sofakante hin und her und kämpfte mit den Tränen. Innerlich beschimpfte sie sich selbst als Idiotin und stellte sich immer wieder die Frage, warum sie so naiv gewesen war. Der General hatte sie auf sehr geschickte Weise hereingelegt.
Sie folgte ihrem Bruder langsam in die Vorhalle. Dieser öffnete gerade die Tür. Ein Kommissar der III. Abteilung betrat das Haus, ohne eine Aufforderung dazu abzuwarten und wandte sich an Manuel. „Wohnt hier auch eine Anna Corvillo?“ fragte er in kühlem Ton.
„Das ist meine Cousine, sie ist bei mir heute zu Gast“, erwiderte Manuel und legte alle ihm verfügbare Strenge in seine Stimme. „Ich bin übrigens General Rodriguez aus dem Stab des Generals. Was hat diese späte Störung zu bedeuten?“
„Ich muss mich entschuldigen“, fuhr der Kommissar etwas ruhiger fort. „Aber ich bin hier auf direkte Anordnung des Generals. Und es geht um Ihre Cousine. Ist sie nun zu sprechen oder nicht?“
Emma stand noch immer im Hintergrund und rührte sich nicht. Sie fragte sich, was das seltsame Verhalten des Beamten zu bedeuten hatte. Warum nahm er sie nicht einfach fest? Sie beschloss, sich erst einmal ahnungslos zu geben. „Ich bin hier“, sagte sie. „Was kann ich für Sie tun?“
„Der General hat mir befohlen, Ihnen etwas auszurichten, Miss Corvillo.“ Der Mann räusperte sich. „Sein genauer Wortlaut lautete, ich solle Ihnen sagen, dass seine Laserbatterien nicht nur Schlechtes bringen würden.“ Mit einer ungeduldigen Handbewegung winkte er einen seiner Soldaten herbei. Der förderte einen großen Blumenstrauß zutage, den er Emma mit einer leichten Verbeugung überreichte. Ein anderer setzte einen großen Plüschhund für Sophie auf dem Boden ab. „Mit bester Empfehlung des Generals.“
Emma hätte dem Mann die Blumen am liebsten um die Ohren geschlagen. Aber das sah dem General ähnlich, ihnen einen solchen Schrecken einzujagen. Und er hatte damit bewiesen, dass er wider allen seinen Beteuerungen sehr wohl daran interessiert war, wo sie sich gerade aufhielt. Die Soldaten machten auf dem Absatz kehrt und verließen das Haus so schnell, wie sie gekommen waren.
In den Blumen steckte eine handgeschriebene Karte des Generals. Er beteuerte darin, wie angenehm der Nachmittag für ihn gewesen sei und er hoffe, sie so bald wie möglich wieder zu sehen. Auch Sophie ließ er herzlich grüßen. Ihre Tochter würde auf jeden Fall erfreut sein. Sie hätte am liebsten geweint.
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