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Die Herrschaft des Phönix

Kurzbeschreibung
GeschichteDrama / P16 / Gen
Gordon B. Smith Samuel Hirschmann
19.08.2009
28.09.2010
27
114.525
 
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19.08.2009 6.469
 
Die Pride of Texas glich eher einem schwimmenden Hotel als einer gewöhnlichen Yacht, aber wie immer hatte sich der General nicht mit dem Gewöhnlichen zufrieden gegeben. Sein neuestes Spielzeug maß fast hundertsechzig Meter in der Länge und verfügte über vier Decks mit großzügigen Suiten für die Gäste des Staatsoberhaupts, zwei Konferenzräume, einen Arbeitsraum für Smith selbst und ein überdachtes Schwimmbad mit anschließendem Wellnessbereich. Ein weiterer, offener Pool befand sich vorn auf dem weitläufigen Sonnendeck, das auch Platz für zahlreiche Liegestühle, eine große Bar und einige Sportgeräte bot. Eine Crew von zahlreichen dienstbeflissenen Männern und Frauen war im untersten Deck in eigenen Kabinen untergebracht. Auch ein eigenes Kino fehlte nicht. An Bug und Heck, sowie auf dem obersten Deck befanden sich Geschütztürme zur Verteidigung des Schiffes, die hier seltsam Fehl am Platz wirkten, da die Yacht doch sonst in nichts einem nüchternen Kriegsschiff glich. Zudem wurde es umschwärmt von einem guten Dutzend kleinerer Boote, in denen schwer bewaffnete Soldaten der III. Abteilung saßen, um ihren Dienstherrn notfalls beschützen zu können. Das Schiff hatte die Werft erst vor wenigen Wochen verlassen und kreuzte nun bei traumhaftem Wetter durch den Golf von Mexiko. Hin und wieder ließ sich in der Ferne ein Schwarm Delfine blicken, aber die intelligenten Meeressäuger wurden wohl von den Begleitbooten abgeschreckt und wagten sich nicht näher heran. Leise Loungemusik rieselte über das Sonnendeck, die Seeluft duftete angenehm salzig. Einige verirrte Seevögel kreisten kreischend über der Yacht und hofften wohl, dass dort etwas für sie abfiel.

Der General ließ es sich nicht nehmen, sich heute selbst um das Wohl seiner handverlesenen geladenen Gäste zu kümmern und stand hinter einem riesigen Holzkohlengrill um Steaks zu wenden und Hamburger zu braten. Er trug zivile Kleidung, ein weißes Polohemd, das gut zu seiner Sonnenbräune passte und eine leichte, maßgeschneiderte Jeans. Es war nicht zu übersehen, dass er sich in seiner Rolle als Gastgeber gefiel, er lächelte und winkte dem einen oder anderen zu. Am Pool kicherten zwei schlanke junge Frauen zu ihm hinüber, die ihre Beine ins Wasser baumeln ließen. Ihre Bikinis waren so knapp, wie es nur eben ging, ihr blondes Haar hing lang über den Rücken hinab. Beide waren Töchter zweier geladener Generäle, die eindeutig ein Auge auf den begehrten Gastgeber geworfen hatten. Schon den ganzen Vormittag ließen sie keine Gelegenheit ungenutzt, vor Smith auf und ab zu gehen und ihre körperlichen Vorzüge zur Geltung zu bringen. Smith blieb höflich, schien aber nicht besonders beeindruckt. Anders General Maurizio Conti, während er seine Bahnen durch den Pool zog, warf er immer wieder Blicke zu ihnen hinüber. Er konnte wohl nichts gegen seine Natur ausrichten, in ihm steckte nun einmal ein Frauenheld. Zwei weitere Generäle hatten es sich auf Liegestühlen bequem gemacht, während ein halbes Dutzend der wichtigsten Industriellen der EAAU, Männer wie Frauen, an der Reling stand und sich über ihre Geschäfte unterhielt. Alle hielten farbenfrohe Cocktails in den Händen, die ein Steward servierte. Das friedliche Bild wurde nur durch die Wachen der III. Abteilung gestört, die in regelmäßigen Abständen über das Deck patrouillierten. In ihren dunklen Overalls musste ihnen entsetzlich warm sein, aber sie ließen sich nichts anmerken.  

„Sophie beobachtet schon den ganzen Vormittag Delfine mit einem Fernglas, das sie dem Kapitän abgeschwatzt hat“, meinte Emma heiter zu ihrem Bruder. „Sie kriegt gar nicht genug davon. Mir passt es zwar nicht, dass ich sie für diese Reise aus der Schule nehmen musste, aber so lernt sie wenigstens etwas und hat noch Spaß daran.“
„Nicht, dass sie noch einen Delfin in eurer Badewanne halten will!“
„Das würde ich ihr durchaus zutrauen! Sie weiß ihren Willen durchzusetzen, das kannst du mir glauben.“
Emma lag neben ihrem Bruder auf einem Liegestuhl unter einer Markise, welche die stärkste Sonne abhielt. Bewusst trug sie keine Badekleidung, sondern ein relativ züchtiges kariertes Viskosekleid ohne Ärmel, das ihr bis zu den Knöcheln reichte. Als Manuel Rodriguez gebeten wurde, zu dieser Einladung seine Cousine Anna mitzubringen, hatte sie schlecht absagen können, dem General schlug man keine Bitte ab. Und Sophie hatte sich sogar gefreut. Fünf Tage auf einem Schiff, das bedeutete ein verlängertes Wochenende für sie, von dem sie ihren Kameradinnen in der Schule noch lange erzählen konnte. Sie konnte die Tragweite eines solchen Ausfluges eben noch nicht erfassen, die Ängste, die Emma in jeder Stunde ausstand, ihre Lüge könne auffliegen. Und ihre Tochter betete Smith jetzt schon an, hatte er sie doch außerordentlich freundlich begrüßt. Natürlich hatte er auch ihre Tochter kennen lernen wollen, und Emma fühlte sich wieder einmal elend, weil sie dem Mädchen die Wahrheit vorenthalten musste. Manchmal fragte sie sich sogar, warum sie dem General nicht die Wahrheit sagte und zu ihm zurückkehrte. Sie hätte ihm erzählen können, es habe wichtige Gründe gegeben, ihre Identität geheim zu halten, da sie bedroht worden war, aber je mehr Zeit verstrich, um so schwieriger würde es sein, diese Argumentation glaubwürdig durchzuhalten. Damals hatte der General ihr im Scherz gesagt, er würde sie überall finden, solle sie ihm davon laufen. Jetzt war das Realität geworden, er hatte sie gefunden, nur wusste er es nicht. Vielleicht ahnte er etwas, aber sie hatten ihre Spuren gut verwischt.
Manuel Rodriguez legte sich das aufgeschlagene Buch auf den Bauch, in dem er gerade gelesen hatte. „Ja, sie kommt ganz nach ihrem Vater“, meinte er versonnen.
Emma sah ihn erschrocken an und formte mit den Lippen eine unausgesprochene Bitte, dieses Thema nicht weiter zu vertiefen. Sie streckte sich auf ihrer Liege aus und beobachtete die Deckcrew dabei, wie sie dem Buffet an der Seite des Grills den letzten Schliff verlieh. „Langsam habe ich wirklich Hunger“, seufzte sie. „Die ganze Zeit dieser Fleischduft, der hier herüber zieht... ich freue mich auf ein riesiges, safitges amerikanisches Steak mit Salat dazu.“
„Und ein kühles Bier.“
„Alkohol bei dieser Hitze? Nein, da halte ich mich lieber an diesen köstlichen Fruchtsaft.“

Sophie gab ihre Beobachterposition an der Reling auf und hängte sich das Fernglas um den Hals. Emma sah sie zu Smith hinüber gehen und ihn am Hosenbund ziehen. Der General beugte sich zu ihr hinunter und sagte etwas zu ihr, was Emma auf die Entfernung hin nicht verstehen konnte, aber es musste es etwas lustiges sein, denn beide lachten. Emma staunte, was er sich von ihr gefallen ließ. Nun, immerhin war sie das einzige Kind an Bord und vorgeblich seine angeheiratete Nichte. Aber Emma wusste auch, mit welch harter Disziplin Smith selbst in diesem Alter bereits auf einem Militärinternat erzogen worden war. Sophie allerdings schien bei ihm alle Freiheiten zu genießen. Er griff nach einem Teller und bereitete ihr höchst persönlich einen Hamburger zu, mit dem sie stolz zu Emma hinüber kam. Sie setzte sich auf die Kante eines benachbarten Liegestuhls und begann zu essen, wobei sie schon nach den ersten Bissen im ganzen Gesicht mit Ketchup beschmiert war.
„Ach, Schatz, nimm dir doch eine Serviette!“, rügte Emma sie nachsichtig. „Und pass auf dein T-Shirt auf, wir haben nicht so viele dabei.“
„Zu spät, Mama“, nuschelte Sophie zwischen zwei Bissen. „Meine Hände sind schon schmutzig.“
„Na schön, ich hole dir eine.“ Seufzend stand Emma auf und ging zum Buffet hinüber. Bisher war es ihr einigermaßen erfolgreich gelungen, dem General aus dem Weg zu gehen, und auch er war mit anderen Dingen beschäftigt gewesen, nun aber musste sie sich wohl oder übel in seine Nähe begeben. Mit gesenktem Blick ging sie zu dem mehrere Meter langen Tisch hinüber, um nach Servietten zu suchen. Es sah alles köstlich aus, es gab unzählige Salate, verschiedene Brotsorten, Käseplatten und Obst. Frische Austern und Krabben lagerten auf zerstoßenem Eis. Mehr als genug, um die hier Anwesenden zu verpflegen. Und in Metropolis begann Mangel zu herrschen, dort hungerte zwar noch niemand, aber die Auswahl an Lebensmitteln wurde immer geringer und unbezahlbarer. Fast schämte sie sich, an diesem Luxus Teil zu haben, aber ein wenig genoss sie es auch. Endlich mal ein Tag, an dem sie nicht auf jeden Cent achten musste.  
„Ms. Corvillo!“, rief der General erfreut. „Ich dachte schon, Sie gehen mir aus dem Weg! Und, wie gefällt es Ihnen auf meinem Schiff?“
Emma schirmte ihre Augen mit der Hand gegen die Sonne ab. „Es ist wunderschön hier“, erwiderte sie. „Vor allem Sophie fühlt sich sehr wohl. Wir sind beide froh, mal ein wenig aus der Stadt heraus zu kommen.“
„Ja, ich brauchte auch mal eine kleine Pause von den Staatsgeschäften, auch wenn ich selbst hier nicht vollkommen in Ruhe gelassen werde.“ So als wäre ihm das Regieren eine Last! Emma musste sich ein ironisches Lachen verkneifen. „Ist Ihre Kabine in Ordnung?“
Kabine war eine ziemliche Untertreibung für das Luxusdomizil, in dem Sophie und sie untergebracht waren. Ihre heimatliche Wohnung hätte ohne weiteres darin Platz gehabt, nur war die Ausstattung ungleich luxuriöser. Zwei breite Betten im Schlafzimmer, mit dunklem Holz getäfelte Wände, darüber hinaus ein kleiner Salon, und selbstverständlich hatten sie auch ein eigenes Bad. Sogar einen Balkon gab es. „Sie ist wunderbar“, bestätigte Emma. „Wir haben mehr Platz als zu Hause. Sophie überlegt schon, wie viel Spielzeug sie hier unterbringen könnte.“
„Nun, dann werde ich die Kabine für Sie reservieren lassen“, er lächelte, „damit Sie jederzeit wieder kommen können.“
Emma spürte, wie sie rot wurde. Sie hoffte, nicht wie eine Bittstellerin geklungen zu haben. „Aber wir wollen Ihnen doch nicht zur Last fallen.“, meinte sie verlegen.
„Sie fallen mir niemals zur Last. So, und nun hoffe ich, dass Sie ordentlich Appetit mitgebracht haben.“
„Und ob ich das habe. Es duftet schon den ganzen Vormittag so gut.“
„Die Steaks sind sofort fertig“, fuhr er fort. „Sie sind schön medium, oder wollen Sie Ihres lieber durch?“
„Nein, medium ist schon in Ordnung. Ich freue mich schon darauf, ich hatte lange keines mehr.“ Sie verschwieg, dass sie sich so etwas seit der Machtübernahme nicht mehr leisten konnten.
„Und ich habe lange keines mehr gebraten, mindestens neun Jahre lang nicht. Meine erste Frau und ich hatten ab und zu Freunde zum Grillen da, aber während meines Exils gab es solche Vergnügungen natürlich nicht. Da war schon frisches Obst zweimal im Jahr purer Luxus. Aber ich will Sie mit diesen alten Geschichten nicht langweilen.“ Er griff nach einem Teller und stach mit einer Fleischgabel in eines der Steaks. „Das ist das schönste, nur für Sie.“ Er reichte ihr den Teller. „Probieren Sie den Krautsalat dazu.“
Die Nachricht von den fertigen Steaks verbreitete sich schnell, und bald versammelten sich auch die anderen Gäste um den Grill. Emma stahl sich eilig davon und wandte sich den Salaten zu. Mit einem Auge sah sie zu Sophie hinüber, die noch immer glücklich an ihrem Hamburger nagte. Der General hatte seine Arbeit inzwischen an einen der Stewards übergeben und bat die Runde, mit ihm an dem großen Esstisch Platz zu nehmen, der unter einer Markise stand. Ein gutes Dutzend eleganter Korbstühle umringte den Tisch. Auch Emma nahm auf einem davon Platz und winkte Sophie zu sich hinüber. Smith setzte sich ihr gegenüber. Es war wohl unmöglich, ihm hier auszuweichen. Wenn es nur einen Möglichkeit gegeben hätte, sich vor dieser Reise zu drücken!
Sie gönnte sich ein Glas Rotwein zum Essen, als die Stewards nach ihren Getränkewünschen fragten. An Emmas anderer Seite nahm Manuel Platz, neben ihm General Conti. Die beiden blonden Schönheiten beeilten sich, die Stühle neben Smith zu ergattern. Sie aßen kaum etwas, teilten sich ein winziges Steak und dazu ein paar Salatblätter. Dafür sprachen sie reichlich dem angebotenen Champagner zu. Sie hatten sich beide einen durchsichtigen Pareo umgebunden, der mehr enthüllte, als er verbarg. General Conti konnte nicht den Blick von ihnen wenden, auch wenn es ihm schwer fiel, die Aufmerksamkeit der beiden auf sich zu lenken.
„Sophie, möchtest du noch einen Hamburger?“, fragte der General, nachdem er sich ein Bier bestellt hatte. Er kümmerte sich erstaunlich fürsorglich um seine vorgebliche Nichte, wenn es ihm auch nur die Zuneigung ihrer Mutter erringen sollte.
„Kann ich auch ein Steak haben?“
„Natürlich kannst du.“
„Aber, Sophie“, warf Emma ein, „so viel schaffst du doch gar nicht. Nachher müssen wir es wegwerfen.“
„Aber das ist doch nicht schlimm“, erwiderte der General und winkte schon einem der Stewards zu. „Aber du musst noch Platz für einen Nachtisch lassen. Wir haben nämlich auch jede Menge Eis.“
Die beiden Blondinen kicherten albern und knabberten an ihren Salatblättern herum. „Ein Mädchen kann nicht früh genug auf seine Figur achten“, sagte eine der beiden. „Du willst doch auch mal in einen hübschen Bikini passen, oder, Kleines?“
„Sie geht nachher schwimmen und trainiert es wieder ab“, entgegnete Smith mit einiger Ungeduld in der Stimme. „Ich bin sicher, du wirst später in einen wundervollen Bikini passen, Sophie.“ Er sah Emma direkt an.  „Warum schwimmen Sie eigentlich nicht, Ms. Corvillo? Mögen Sie den Pool nicht?“
Emma mochte sich tatsächlich nicht vor den kritischen Blicken der beiden Blondinen ausziehen und noch weniger vor Smith. Sie fürchtete, jeder Leberfleck und jedes Fältchen könnte sie verraten. „Ich bin keine gute Schwimmerin“, erwiderte sie verlegen und stocherte mit der Gabel im Salat herum. „Meistens plansche ich nur ein wenig im flachen Wasser. Ich finde es auch schön, mich nur im Schatten auszuruhen, mit einem schönen Buch dazu.“
„Warum schwimmst du nicht?“, fragte Sophie den General. Sie hatte offensichtlich beschlossen, dass es in Ordnung war, ihn zu duzen. Smith lächelte ein wenig.
„Aber ich musste doch grillen“, sagte er. Es machte ihm wohl nichts aus, von der Kleinen auf diese vertrauliche Weise angesprochen zu werden. „Vielleicht schwimme ich nachher ein wenig.“
Die Anwesenden begannen sich über die Vorzüge des Schiffes zu unterhalten und dem General ihre Anerkennung für seine neueste Errungenschaft auszusprechen. Bald ging man aber zu ernsteren Themen über, der Tagespolitik, vor allem dem steten Ärgernis der unabhängigen Republik Venus. Smith weigerte sich noch immer, Hirschmann als deren Präsidenten anzuerkennen, so als habe der Altpräsident den Titel illegal erworben.
„Die Venus ist das vorgelagerte Tor zu den VOR im All“, meinte er in die Runde. „Noch sieht es nicht so aus, als würden die Asiaten dort einen Stützpunkt errichten, aber sie stehen bestimmt schon in Verhandlungen mit der Exilregierung. Was sagt eigentlich unser Geheimdienst dazu, General Rodriguez?“
„Es gab keine Starts und Landungen von VOR-Schiffen auf der Kolonie“, meinte Manuel bedächtig. „Aber das muss noch nicht viel heißen. Die Treffen könnten auch an einem anderen Ort stattgefunden haben. Wir wissen, dass es in Hirschmanns Umfeld einige Berater befinden, die einem Bündnis mit Peking sehr aufgeschlossen gegenüber stehen. Es gibt da einen Major, der damals 2062 bei den Gesprächen mit dem chinesischen Ministerpräsidenten beteiligt war. Er soll Kontakte zu den höchsten Kreisen in Peking haben.“
„Tun Sie mir den Gefallen und finden Sie den Namen des Mannes heraus.“ Smith wischte sich den Mund mit einer Stoffserviette ab. „Mr. Boyers, wie weit sind Ihre Techniker eigentlich inzwischen mit der Weiterentwicklung dieses Treibstoffes gelangt?“
Ein schlanker, großer Mann in den Vierzigern, der am anderen Tischende saß, sah von seinem Essen auf. Gerade war er damit beschäftigt gewesen, eine Auster zu schlürfen. „Es sieht nicht schlecht aus, Sir. Die ersten Testreihen sind sehr viel versprechend gelaufen.  Wir rechnen damit, dass wir den ersten Probelauf mit der VEGA in etwa zwei Wochen machen können.“
„Ich gebe Ihnen eine.“ Smith lächelte, aber es war durchaus zu erkennen, dass er es ernst meinte, auch wenn er die Drohung nicht aussprach. „Das Rennen im Weltraum duldet keinen Aufschub.“
„Aber ich dachte immer, die VOR wären uns so weit unterlegen?“, fragte eine der Blondinen, deren Namen sich Emma noch immer nicht gemerkt hatte, obwohl sie inzwischen mehrfach genannt worden waren.
„Nun, auch ein Marathonläufer riskiert es nicht, auf der Stelle stehen zu bleiben, selbst wenn sein Gegner ihm unterlegen scheint. Irgendwann rückt er unaufhaltsam heran, und dann kann es zu spät sein. Ich warne immer wieder davor, die Asiaten zu unterschätzen. Sie sind Meister der Tiefstapelei und niemand weiß, was wirklich bei ihnen vorgeht. Deshalb will ich auch nicht, dass sie auf der Venus auftauchen.“
„Weshalb übernehmen wir die Venus dann nicht einfach?“
Mit dieser Frage hatte sie einen wunden Punkt getroffen, und Smiths Gesicht wurde einen Moment lang zu einer steinernen Maske, er presste den Mund zu einem Strich zusammen. Aber wie immer hatte er sich schnell wieder in der Gewalt. „Das Biosphärenkonzept der Venus ist außerordentlich sensibel“, erläuterte er mit mühsam aufrecht erhaltener Geduld. „Man kann nicht einfach eine Raumflotte losschicken und die Kuppeln beschießen, es sei denn, man wollte ihre totale Zerstörung riskieren. Aber das wäre nicht nur eine sinnlose Verschwendung von Material, sondern auch ein symbolischer Akt, der uns unsere Vormachtstellung im All kosten könnte. Den VOR ist es bisher nicht gelungen, eine funktionsfähige Raumkolonie zu errichten, sie könnten sich dort breitmachen, wo wir nur Trümmer hinterlassen haben.“
„Ist die Venus nicht auch ein bedeutender Energielieferant?“, fragte Emma vorsichtig.
„Das ist sie, Ms. Corvillo.“, erwiderte Conti an Smiths Stelle. „Seitdem das Erdöl mehr und mehr an Bedeutung verloren hat, sogar einer der wichtigsten. Thermalenergie in Hülle und Fülle, das können wir einfach nicht den VOR überlassen. Für Hirschmanns Regierung wird das ein wichtiges Handelsgut sein.“
„Jetzt gilt es nur noch, die Nuss zu knacken“, meinte der General lachend. „Dafür werden wir wohl durch die Hintertür gehen müssen.“
Die anderen Generäle lachten wissend. Auch Manuel Rodriguez stimmte mit ein. Emma wunderte sich wie immer, wie leicht er seine Rolle spielte. Sie wusste nicht genau, wie seine Widerstandsaktivitäten aussehen, nur, dass er Kontakt zu Gleichgesinnten unterhielt, denn er hatte es zu ihrer eigenen Sicherheit bisher unterlassen, sie in die Details einzuweihen. Jeder Mitwisser war potentiell gefährdet, im Ernstfall verhaftet zu werden, sollte die Gruppe einmal auffliegen.
Der Tag verging wie im Flug, und vor allem Sophie amüsierte sich köstlich. Sie stand vollkommen im Mittelpunkt, bald kümmerte sich nicht nur der General um sie, sondern auch der Rest der Gäste. Sie wurde mit Aufmerksamkeit überschüttet. Am Abend war sie vollkommen erschöpft vom vielen Herumtollen und Plantschen im Pool. Smith ließ für sie mit der Diana, die auf dem Dach geparkt war, aufblasbare Pooltiere vom Festland herbeischaffen, was Emma sehr unangenehm war, stand sie doch jetzt noch mehr in seiner Schuld. Aber Sophie war natürlich begeistert, sie verhielt sich  dem General gegenüber vollkommen unbefangen. Sie durfte sogar auf seinen Schultern sitzen, um aus dieser Position die Delfine besser beobachten zu können. Wie glücklich wäre sie in diesem Moment gewesen, wenn sie die Wahrheit gewusst hätte! Genau so hatte sie sich ihren Vater wohl immer gewünscht, aufmerksam, großzügig und immer zu einem Spaß aufgelegt. Doch als es dämmerte, gähnte sie immer häufiger und wurde unruhig. Emma nutzte die Gelegenheit, um sich mit ihr zurückzuziehen.
Sophie schlief, kaum dass sie umgezogen war. Auch Emma schlüpfte schon in ihren Pyjama. Sie nahm sich ein Buch mit in das bequeme Bett und begann zu lesen. Bald merkte sie, dass sie sich nicht konzentrieren konnte. Smiths Nähe machte sie nervös, niemals hätte sie damit gerechnet, dass er sie mit Manuel zu dieser Reise einladen würde. Aber der General hatte Verdacht geschöpft, ahnte, dass mit ihr etwas nicht stimmte. Über ihrem Buch nickte sie ein.

Ein leises Klopfen an der Tür weckte sie. Unwillig richtete sie sich auf, das aufgeschlagene Buch lag noch unter ihrem Kopf auf dem Kissen. Ein kurzer Blick auf den mitgebrachten Wecker verriet ihr die Zeit, es war drei Uhr nachts. Sie warf einen kurzen besorgten Blick zu Sophies Bett hinüber, aber die Kleine ließ sich nicht stören und schlief friedlich und fest weiter. Emma schlug die Bettdecke zurück und ging auf Zehenspitzen zur Tür hinüber. Vorsichtig, um kein Geräusch zu verursachen, drückte sie die Klinke herunter und öffnete. Vor ihr stand der General. Er hatte sich umgezogen, trug jetzt ein dunkles Polohemd und eine helle Hose. In einer Hand hielt er eine Flasche Wein und zwei Gläser.
„Ich habe Licht unter Ihrer Tür gesehen und hoffte, Sie wären noch wach“, flüsterte er. „Sie waren so schnell fort vorhin, dabei hatte ich noch gehofft, Sie allein sprechen zu können. Haben Sie Lust auf ein gutes Glas Wein an Deck?“
Emma sah sich noch einmal zu Sophie um. „Ich weiß nicht“, erwiderte sie zögerlich. „Sophie schläft zwar, aber was ist, wenn sie wach wird? Ich würde sie nur ungern in einer fremden Umgebung allein lassen.“
„Ganz die fürsorgliche Mutter, das gefällt mir.“ Er lächelte breit. „Ich könnte eine der Damen aus der Besatzung herschicken, damit sie auf die Kleine aufpasst, wäre das eine Lösung?“
„Ich weiß nicht recht...“
„Nun geben Sie sich schon einen Ruck“, bat er leise. „Ich möchte diesen guten Wein nur ungern alleine trinken. Er ist wirklich hervorragend.“
„Na gut, ich ziehe mir nur schnell etwas an.“ Langsam schloß sie die Tür und ging in die Kabine zurück. Dann schlüpfte sie wieder in ihr Kleid und streifte sich ihre flachen Sandalen über die Füße. Keine Aufmachung, die der General für gewöhnlich sonderlich attraktiv fand, aber genau das beabsichtigte sie. Aber es hatte so kommen müssen. Sie wunderte sich, dass er sie nicht schon viel eher beiseite gezogen hatte.

Sie folgte ihm auf das nun menschenleere Deck. Nur die Wachen standen weiterhin mit düsteren Gesichtern bei den gläsernen Eingangstüren. Aber wenn Smith von Alleinsein sprach, dann zählte er diese Gesellschaft offensichtlich nicht mit. Auch die Motorboote mit den bewaffneten Leibwächtern umkreisten weiterhin die Yacht wie eine Horde Raubvögel. Die Motoren gluckerten leise vor sich hin, fast übertönt vom Geräusch der Wellen, die gegen die Bordwand schlugen. Ein böiger Wind war aufgekommen, aber er war warm und angenehm.  
Nachdem der General Wort gehalten und eine der Stewardessen gebeten hatte, nach Sophie zu sehen, führte er sie zu einer Sitzbank und öffnete die Weinflasche mit dem Korkenzieher seines Taschenmessers. Mit einer Fernbedienung erweckte er die Musikanlage zum Leben, die daraufhin leise Jazzmusik spielte. Er probierte den Wein, und nachdem er ihn für gut befunden hatte, schenkte er auch Emma davon ein.
„Sie haben heute Mittag meine Frage nicht beantwortet“, begann er. „Weichen Sie mir etwa aus? Sie fühlen sich mir gegenüber doch nicht etwa befangen?“
„Nun, ein wenig schon“, gab sie zu, ohne ihm den wahren Grund zu nennen. Vorsichtig nippte sie an ihrem Wein. Er schmeckte tatsächlich hervorragend, auch wenn sie nichts davon verstand. „Die ganze Umgebung, dieser Luxus, daran sind Sophie und ich einfach nicht gewöhnt. Ich fühle mich ein wenig fehl am Platz.“
„Aber das müssen Sie doch nicht. Schließlich sind Sie die Cousine eines meiner besten Stabsoffiziere. Damit gehören Sie doch praktisch zur Familie.“ Er lachte. „Auch wenn ich als Vorstand dieser Familie eigentlich ernstlich böse mit Ihnen sein müsste.“
Emma ahnte, was nun kommen würde und prompt schoss ihr das Blut in die Wangen. Sicherlich würde nun zur Sprache kommen, dass sie noch immer nicht in die Partei eingetreten war, eine ernstzunehmende Verfehlung. Sogar Manuel hatte sie deswegen schon gerügt, sie müsse im Moment nun einmal mit den Wölfen heulen, um zu überleben. Smith blieb noch relativ gelassen, sie hatte eine heftigere Reaktion von ihm erwartet. Also stellte sie sich dumm. „Ich weiß nicht, was Sie meinen, Sir.“
„Oh, das wissen Sie sehr gut, ich sehe es an Ihrem verlegenen Gesicht. Aber ich habe inzwischen darüber nachgedacht, und glaube nun die Gründe Ihres Zögerns zu kennen.“ Er legte ihr die Hand auf den Arm, was sie sanft erschauern ließ. „Sie möchten nicht den Eindruck erwecken, Sie wollten zu den Spätprofitierern gehören, die erst nach meinem erfolgreichen Putsch zu mir umgeschwenkt sind. Aber ich kann Ihre Bedenken zerstreuen, ich würde gerade von Ihnen so etwas nie annehmen. Wir kennen uns zwar noch nicht sehr lange, aber ich habe bisher einen sehr guten Eindruck von Ihnen gewonnen.“
„Das wird es wohl sein...“, erwiderte sie ausweichend und starrte verlegen in ihr Weinglas.
„Ich werde persönlich Ihre Patenschaft übernehmen, wenn Sie das wünschen“, bot er an. „Das ist das Mindeste, was ich für Sie tun kann. Und denken Sie doch noch einmal über das Angebot nach, das ich Ihnen damals gemacht habe, Sie wären mir wirklich willkommen als Mitarbeiterin.“  
„Wenn ich noch ein paar Mal den Abgabetermin für mein derzeitiges Arbeitsprojekt verschiebe, dann wird mir wohl nichts anderes übrig bleiben, als Ihr Angebot anzunehmen“, scherzte Emma wenig überzeugend.
„Aber Sie haben doch nicht etwa Ärger bekommen, weil Sie sich für diese Reise frei genommen haben?“ Er machte ein besorgtes Gesicht, und es sah sogar ehrlich aus. „Kann ich da etwas wieder ausbügeln?“
„Das wird sich schon regeln“, wiegelte sie ab. Ihr Chef würde es kaum wagen, etwas gegen sie zu unternehmen. Auch wenn sie ihm selbst nichts davon gesagt hatte, wohin die Reise gehen würde, so hatte er doch sicherlich schon einen entsprechenden Hinweis von der III. Abteilung erhalten.
„Aber wir wollen diese unangenehmen Themen jetzt lassen“, sagte Smith plötzlich und nahm einen langen Schluck von seinem Wein. „Haben Sie nicht Lust, ein wenig zu tanzen?“
„Ich tanze furchtbar schlecht“, sagte sie verlegen. Sie hatte über seinem öffentlichen Auftreten fast vergessen, wie anziehend er sein konnte und fürchtete sich davor, ihm körperlich nahe zu kommen. Aber er würde auch hier keine Ausflüchte akzeptieren.
„Wir müssen nur die Füße ein wenig hin und her bewegen“, meinte er lächelnd, „kein Turnier gewinnen. Nun kommen Sie schon, machen Sie mir die Freude!“ Er stand auf und nahm ihre Hand. Dann führte er sie auf den freien Platz zwischen der Sitzgruppe und dem Pool hinüber.

Es war wieder wie früher, wider Willen empfand sie seine Berührung als außerordentlich angenehm. Seine  Handflächen waren kühl und trocken, er zog sie eng an sich, ohne sich unangemessen an sie zu pressen. Sein Duft war angenehm und überwältigend. Mit der rechten Hand fuhr er sanft über ihren Rücken und wiegte sich langsam mit ihr hin und her.
„Sehen Sie, ich tue Ihnen nichts zuleide“, flüsterte er nahe an ihrem Ohr und leitete eine weitere Drehung ein. „Ich will nur ein wenig Zeit mit Ihnen verbringen.“
„Ist es, weil ich Emma so ähnlich bin?“
„Ja“, bestätigte er. „Sie sind ihr wirklich sehr ähnlich, und ich vermisse sie sehr. Außerdem fühle ich mich schuldig an ihrem Tod. Ich war wieder einmal nicht da, als sie in Not war, obwohl ich nichts lieber wollte, als sie zu beschützen. Nie war ich da, um sie vor ihren Feinden zu beschützen, sie musste alles allein durchstehen. Das habe ich mir nie verziehen.“
Es war seltsam, ihn so über sich selbst sprechen zu hören. Nie hätte sie ihm zugetraut, dass er so etwas wie ein schlechtes Gewissen haben könnte, auch wenn sie wusste, dass er sie sehr gern gehabt hatte. Aber sie hatte geglaubt, er habe seine diesbezüglichen Gefühle rasch überwunden und sich wieder seinem Alltag zugewandt.  
„Aber Sie haben sie doch gewiss nicht aus Gleichgültigkeit im Stich gelassen“, meinte Emma sanft, „sondern weil Sie nicht wussten, dass sie sich in Not befand, oder?“
„Manchmal hätte ich es einfach wissen müssen. Ein weiteres Mal würde ich nicht so unachtsam sein.“ Sein Mund streifte ihre Schläfe, es kribbelte ihren ganzen Rücken hinunter. In der Ferne wurde der Motor eines Bootes lauter, aber sie beachtete es nicht. „Wissen Sie, seit dem ich Sie gesehen habe, habe ich fast das Gefühl, ich würde eine zweite Chance bekommen. Darf ich auf Sie besser Acht geben?“
Bevor sie antworten konnte, riss sie der General auf einmal blitzschnell zu Boden. Dumpf schlugen sie auf den Planken auf, sein Gewicht drückte sie herunter auf die Holzplanken. Instinktiv wollte sie sich wehren, weil sie dachte, er würde nun zu weit gehen und sich an ihr vergehen wollen. Sie zappelte aufgeregt unter ihm, aber er drückte sie unbarmherzig nieder. Rasende Panik erfüllte sie, sie saß in der Falle und wusste nicht, was sie tun sollte.  Aber es dauerte nicht lange, bis sie begriff, was wirklich geschah. Neben ihr roch es verbrannt, und schon kurz später gab es einen erneuten Hitzeblitz, der dicht neben ihnen in den Boden einschlug. Der Gestank von verbranntem Holz und schmorendem Lack stach in ihre Nase. Von irgendwo her wurden sie beschossen, auch wenn sie nicht sehen konnte, wer der Schütze war. Er musste von außerhalb des Schiffes kommen, auch wenn sie sich nicht vorstellen konnte, wie das trotz der Sicherheitsmaßnahmen möglich war. Jemand hatte es möglich gemacht.  
„Bleiben Sie unten, bis ich Ihnen etwas anderes sage!“, befahl Smith knapp. Ein weiterer Lichtfinger griff nach ihnen und verfehlte sie nur knapp. Der Schütze schien noch zu üben, wie er sein Ziel am besten zur Strecke bringen konnte.

In die Wachen auf Deck geriet Bewegung, sie rannten zur Reling hin und auch das Geschütz auf dem Dach erwachte zum Leben und begann auf ein Ziel zu feuern, das Emma nicht sehen konnte.
„Wir müssen irgendwie nach drinnen gelangen, dort sind wir sicher.“ Smith rollte sich von ihr hinunter. „Laufen Sie los, wenn ich es Ihnen sage.“
Emma nickte knapp zur Bestätigung. Sie wagte einen Blick zu den Wachen hinüber und begriff nun, warum der Schütze so schlecht traf. Die beiden Schwarzuniformierten schossen eine Salve nach der anderen in den Nachthimmel. Emmas Blick folgte dem Lauf ihrer Gewehre. Dort oben, von einem Motorboot in der Luft gehalten, hing der fremde Schütze an einem in der Dunkelheit kaum zu erkennenden Gleitschirm. Gerade brachte er sein Gewehr wieder in Anschlag. Aber wie hatte er so dicht an die Yacht herankommen können, trotz des schützenden Ringes der Begleitboote? Der Wind riss den Attentäter unbändig hin und her und erschwerte ihm so das Zielen, aber auch für die Verteidiger an Deck wurde es so schwieriger, ihn zu treffen. Lichtblitze zuckten hin und her wie ein tödliches Feuerwerk. Emma wunderte sich, wie der Schütze sich auf ein so selbstmörderisches Unterfangen hatte einlassen konnte, in dem er nur unterlegen sein konnte. Sein Entschluss, den General zu töten, musste so verzweifelt sein, dass er bereit war, sich selbst zu opfern. Ebenso galt das für die Besatzung des Motorboots, das ihn hinter sich her zog. Oder hatte er Hilfe von den Männern, die Smith eigentlich bewachen sollten? Warum gab es kein entschlosseneres Eingreifen von den Beibooten?
Emmas Knie zitterten vor Angst. Sie zweifelte daran, dass sie schnell genug aufstehen konnte, wenn der General ihr den Befehl gab. Ein weiterer Schuss fiel in ihre Richtung, diesmal hatte der Schütze mehr Glück. Er traf Smith am linken Arm, der General verzog vor Schmerz das Gesicht, hatte sich aber schnell wieder in der Gewalt. Auch er mochte inzwischen zu dem Schluss gekommen sein, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zuging.
„Los, machen wir, dass wir hier wegkommen!“, rief er und zog Emma auf die Füße. „Bevor der Kerl zielen lernt!“ Der nächste Lichtblitz schlug hinter ihnen ein und versengte den Saum von Emmas wehendem Kleid. Erschrocken machte sie einen Satz nach vorne und wäre fast gestolpert, aber der General zog sie am Arm wieder auf die Füße und zerrte sie hinter sich her. Er hielt also Wort und ließ sie nicht im Stich. Wieder etwas, womit sie nicht gerechnet hatte. Er brachte nicht sich selbst zuerst in Sicherheit, sondern kümmerte sich auch um sie. Wie sehr musste ihm Emma noch im Gedächtnis sein! Sie rannten quer über das Deck, am Pool vorbei, und mehr als einmal musste Emma Acht geben, nicht auszurutschen, dort wo Wasser auf die Planken gespritzt war.
Das Motorboot, das den Gleitschirm zog, war inzwischen von zwei Begleitbooten aufgehalten worden, die von weiter heckwärts herbei geeilt waren. Zwischen ihnen und zwei weiteren Begleitbooten,  deren Besatzung wohl auf der Seite des Attentäters stand, entspann sich ein kurzes Feuergefecht. Lichtblitze zuckten hin und her, dann waren auch diese Männer zur Strecke gebracht. Erstickte Schreie klangen durch die Nacht. Die Wachen an Deck feuerten derweil weiter auf den Schützen am Gleitschirm, der sich langsam nach unten senkte, jetzt, da das Zugboot außer Gefecht gesetzt war. Er gab noch ein paar verzweifelte Schüsse ab, die weit daneben gingen, wohl mehr aus Verzweiflung, als dass er wirklich Hoffnung gehabt hätte, zu treffen.
Smith schob Emma in das sichere Innere des Oberdecks, wo sich bereits einige der Passagiere versammelt hatten. Auch Manuel war erschienen und machte ein besorgtes Gesicht. Die Anwesenden tuschelten wild durcheinander.
„Was war denn um Himmels Willen los?“, fragte Manuel. „Ein Attentat?“
„Das würde ich auch gerne wissen, verdammt noch mal“, erwiderte Smith wütend und starrte auf die große Brandwunde auf seinem Arm. Es musste höllisch schmerzen. Laserverletzungen bluteten zwar nicht, aber die Hautschädigung war dennoch enorm. „Wie kommt es, dass meine Leute nicht früher eingegriffen haben? Wie konnte dieses Boot überhaupt so nahe an uns herankommen? Da hat doch jemand bei der Sicherheitsüberprüfung geschlafen! Eigentlich hatte ich doch angeordnet, dass nur Mitglieder der Tödlichen Garde auf den Booten eingesetzt werden sollten! Dann wäre das nicht passiert.“
Emma fragte sich, was es mit dieser Tödlichen Garde auf sich hatte, und nahm sich vor, bei Gelegenheit Manuel danach zu fragen. Es musste sich um eine besonders loyale Einheit handeln. „Wir müssen den Bordarzt verständigen, damit er nach Ihrer Wunde sieht.“      
„Ist schon geschehen“, meinte eine der Blondinen, die ihm knappen Nachthemd erschienen war. „Er kommt sofort.“
„Bei Ihnen alles in Ordnung, Ms. Corvillo?“
„Ja, bis auf den Schrecken ist mir nicht passiert“, erwiderte Emma, deren Knie noch immer zitterten.
„Bringen Sie Ms. Corvillo einen Cognac“, befahl Smith einem der Stewards, während er sich in einen Sessel sinken ließ. „Und Sie, Ms. Corvillo, zögern nicht, sich bei meinem Arzt zu melden, wenn Ihnen doch noch etwas fehlt. Ich sehe, Ihr Kleid ist beschädigt worden, ich komme selbstverständlich für den Schaden auf.“
Auch Sophie tauchte nun an der Hand ihres Kindermädchens auf. Sie drückte sich erst an Emma, und sah dann zum General hinüber. Mit vor Schreck geweiteten Augen bemerkte sie seine Wunde am Arm. Blitzschnell, bevor Emma es verhindern konnte, riss sie sich von ihrer Mutter los und kletterte auf den Schoß des Generals, der sofort den Arm um ihre Schultern legte. Als ob er etwas ahnen würde, dachte Emma.
„Bist du schlimm verletzt?“, fragte das Mädchen.
„Nein, so schlimm ist es nicht“, beruhigte sie der General. „Ein bisschen Salbe, und es ist wieder gut.“ Er drückte ihr einen Kuss auf den Scheitel.


***


„Für diesen Anschlag rollen in Metropolis noch Köpfe“, sagte der General grollend zu seinen beiden Vertrauten. „Ich kann mir immer noch nicht erklären, wie so etwas geschehen konnte! Wie konnte die Sicherheit so leicht übertölpelt werden?“
Gleich nachdem sich der Bordarzt um seine Verletzung gekümmert und ihm einen kühlenden Verband angelegt hatte, hatte Smith sowohl Manuel Rodriguez als auch General Conti in sein Büro gerufen. Die III. Abteilung war bereits beauftragt worden, den Vorfall zu untersuchen, auch wenn das hieß, dass Colonel Dumont mitten in der Nacht aus dem Bett geholt werden musste. Auch Conti und Rodriguez hatten sich nur schnell irgendetwas übergezogen, um nicht im Schlafanzug vor Smith zu sitzen.

Manuel Rodriguez war zutiefst verwirrt. Zum einen gefiel es ihm gar nicht, dass sich Smith anscheinend mit Emma alleine auf dem Deck getroffen hatte. Je enger der Kontakt zwischen beiden wurde, desto größer würde die Gefahr ihrer Enttarnung werden. Und dann würde auch er eine Menge unangenehmer Fragen beantworten müssen. Zum anderen machte er sich Gedanken über den Hintergrund des Attentats. Sicherlich hatten auch er und seine Gesinnungsgenossen sich bei ihren geheimen Treffen bereits Gedanken gemacht, wie man den General unschädlich machen konnte, und auch ihre Gruppe schloss dabei ein Attentat auf ihn nicht aus. Aber es war nicht ihre erste Option. Auch wenn ein Gegenputsch eine verlockende Möglichkeit zu sein schien, so war dies nicht der geeignete Weg, wieder zu demokratischen Verhältnissen zurück zu kehren. Die EAAU mochte so vom Regen in die Traufe kommen, wenn der eine oder andere erst einmal von den Verlockungen der uneingeschränkten Macht gekostet hatte. Die Versuchung, dann nicht mehr loszulassen, um das Parlament und eine rechtmäßig gewählte Regierung wieder einzuführen, mochte übermächtig sein. Seine Leute waren es also nicht gewesen, die diesen dann auch noch dilettantisch ausgeführten Anschlag verübt hatten.
„Ich habe vor allem keine Erklärung für das Verhalten der Männer auf den Begleitbooten“, setzte der General seinen Monolog fort. „Entweder ist mein eindeutiger Befehl, nur die Tödliche Garde einzusetzen, mutwillig missachtet worden, oder es handelt sich um unverzeihliche Fahrlässigkeit.“
Die Tödliche Garde war Smiths Eliteeinheit, durch Mittel der Wissenschaft auf absolute Loyalität programmierte Soldaten. Manuel wusste nicht genau, wie es funktionierte, nur dass durch ein Implantat die Gehirnwellen dieser Männer und Frauen manipuliert wurden. Auch Drogen sollten im Spiel sein, welche die Leistungsfähigkeit der Soldaten steigerten und zugleich ihren Selbsterhaltungstrieb auf ein Minimum reduzierten. Schon vor dem Putsch hatte sich Smith so mit Hilfe ihm ergebener Wissenschaftler eine Privatarmee geschaffen.

„Soweit wir bisher ermittelt haben, sind auf den Booten tatsächlich nur Männer der Tödlichen Garde eingesetzt worden“, meinte General Conti. „Wie es zu dem Fehlverhalten kam, wissen wir noch nicht, denn die Beteiligten sind bei dem Feuergefecht alle getötet worden. Wir können also niemandem verhören.“ Er schob ein kleines Kästchen quer über den Schreibtisch auf den General zu, das bei dem Gefecht ebenfalls beschädigt worden war. An der Seite schauten einige verschmorte Drähte heraus. „Wir können nur mutmaßen, dass es damit etwas zu tun hat. Wir haben es auf dem Boot gefunden, das den Gleitschirm gezogen hat. Vielleicht haben die Attentäter damit die Steuerung der Männer gestört. Das setzt allerdings voraus, dass sie Kenntnisse von der Funktionsweise der Steuerungschips haben, die bei der Tödlichen Garde verwendet werden.“
„Was wiederum Rückschlüsse auf den Kreis zulässt, in dem die Attentäter zu suchen sind.“ Manuel nickte bedächtig. Auch wenn er damit einen Teil seiner Seele verkaufte, musste er alles unternehmen, um von seinen eigenen Leuten abzulenken. Wenn der General androhte, es würden Köpfe rollen, dann war das keine pure Redensart. Es würde eine Säuberungsaktion geben. Und die konnte jeden treffen.
„Was wollen Sie damit andeuten, Rodriguez?“ Der General trommelte mit den Fingern nervös auf der Tischplatte herum. Er beherrschte sich, aber die Anspannung war ihm anzusehen.
„Dass die Attentäter nicht beim Widerstand zu suchen sind, sondern in unseren eigenen Kreisen.“ Sollte Smith ruhig nervös werden. Es konnte nicht schaden, ein wenig Misstrauen zu säen. „Der Widerstand dürfte sich kaum mit den technischen Details der Tödlichen Garde auskennen. Geschweige denn ein Gerät konstruieren können, mit dem man sie manipulieren kann.“
„Das weiß ich nicht“, warf General Conti ein. „Bei Hirschmanns Entführung ist es ihnen ebenfalls gelungen.“ Er sprach mit Absicht nicht von einer Befreiung des Präsidenten, denn auf diese Formulierung reagierte der General stets mit Verärgerung.
„Das war wohl eher ein Zufallstreffer.“ Manuel beugte sich vor. „Sie haben vielleicht herausgefunden, wie man die Steuerung ausschalten, aber nicht, wie man sie einsetzen kann.“
„Wir sind uns also einig, dass es jemandem gelungen ist, die Tödliche Garde zu seinen Zwecken zu lenken. Verdammt!“ Smith schlug mit der Faust auf die Tischplatte. „Das ist ein Rückschlag, wie ich zugeben muss, wenn auch nur ungern. Damit hat diese Einheit einen Großteil ihrer Schlagkraft verloren. Wir können nur hoffen, dass Peking nichts davon erfährt. Nun, meine Herren, damit ist wohl klar, dass wir auf ein anderes Standbein setzen müssen, das sich leider noch in der Entwicklungsphase befindet. Ich will, dass dieses Projekt von nun an mit noch größerer Energie vorangetrieben wird!“
Manuel wusste, wovon er sprach und schauderte unwillkürlich. Der Einfallsreichtum des Generals, wenn es um die Entwicklung immer neuer Gräuel ging, kannte wirklich keine Grenzen. Es wurde Zeit, dass etwas geschah.
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