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Die Herrschaft des Phönix

Kurzbeschreibung
GeschichteDrama / P16 / Gen
Gordon B. Smith Samuel Hirschmann
19.08.2009
28.09.2010
27
114.525
 
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19.08.2009 3.663
 
Der General hatte am frühen Vormittag einige seiner engsten Vertrauten um sich versammelt, General Conti, Colonel Danielle Laloux, den Geheimdienstchef Colonel Dumont und General Manuel Rodriguez, den Leiter des militärischen Abschirmdienstes. Er hatte absichtlich nicht den großen Konferenzraum für das Treffen gewählt, um nochmals zu betonen, wie vertraulich das Gespräch verlaufen sollte, sondern sein Büro, in dem die kleine Gruppe jetzt in Sesseln sitzend um einen gläsernen niedrigen Couchtisch saß. Die Männer tranken Whisky, während sich Colonel Laloux mit einem Glas Rotwein begnügte. Aber Smith fühlte sich keineswegs betrunken, sondern im Gegenteil sehr nüchtern. Wieder einmal hatte ihm der Exilpräsident Hirschmann Sorgen bereitet, und diese Sorgen wogen schwer. Die kleine Kolonie mit ihrem charismatischen Führer entwickelte sich mehr und mehr zu einem echten Ärgernis. Smith hasste es, mit Ärgernissen konfrontiert zu werden, die seinen Plänen im Weg standen, daher konnte er es kaum erwarten, das Problem aus dem Weg zu räumen. In seinen Ansprachen hatte Hirschmann mehrmals betont, die Kolonie als einen Fluchtpunkt für alle zu betrachten, die mit dem Regime des Generals unzufrieden waren, und obwohl die Kapazitäten der Biosphären mehr als beschränkt waren, folgten mehr und mehr Menschen seinem Aufruf. Aus zwei Gründen durfte das nicht sein: Zum einem sollten alle Nachrichtensender der Venus für die Bevölkerung der EAAU blockiert sein, was mittels ausgefeilter Satellitentechnik geschah, zum anderen gab es engmaschige Kontrollen an den Raumflughäfen, welche eine solche Auswanderung eigentlich unmöglich machen sollten. Aus Gründen, die Smith unbegreiflich waren, funktionierte beides nicht. Die Botschaften des Exilpräsidenten erreichten noch immer die Menschen auf der Erde, und es gelang noch immer einigen Flüchtlingen, sich zur Kolonie abzusetzen. Dumonts Geheimpolizei hatte jüngst bei einigen Geschäftsleuten, die eine Sondergenehmigung zum außerirdischen Flug besaßen, Videomitschnitte einiger Reden sichergestellt. Diese Menschen waren auf der Stelle verhaftet und ohne langen Prozess exekutiert worden, aber die Funde mochten nur die Spitze des Eisbergs sein. Im Untergrund kursierten weitere Aufnahmen mit Reden Hirschmanns, oft war es nur dem Zufall zu verdanken, wenn diese aufgespürt wurden. Auch die Flüchtlingsfrage ließ sich nicht so einfach lösen, das hätte bedeutet, auch alle Reisen in das assoziierte Australien zu verbieten, das ein wichtiger Handelspartner war. Aber eben auch ein Sprungbrett in den Weltraum. So mancher Geschäftsmann, der dorthin aufgebrochen war, um Handelsgespräche zu führen, war nie in die EAAU zurückgekehrt. Smith war wütend. Ihm gefiel es nicht, derart hintergangen zu werden. Zwar mochten es nur wenige Hundert Menschen sein, die auf diesem Wege seinen Herrschaftsbereich verließen, aber jeder einzelne von ihnen war ein Verräter an den Zielen der Reinigenden Flamme. Innerlich mochte der General vor Zorn kochen, aber bemühte sich, dies vor seinen Leuten zu verbergen. Er wollte nicht, dass sie bemerkten, wie sehr ihn diese Geschichte traf. Um Ruhe bemüht, hatte er der kleinen Runde das Problem geschildert.
„Hirschmann überschwemmt uns noch immer mit Propaganda“, meinte er und trank einen tiefen Schluck Whisky. Das starke Getränk brannte in seiner Mundhöhle, aber er spürte auch, wie die Wärme des Alkohols sich in seinem Körper ausbreitete. Eigentlich widerstrebte es ihm, schon so früh am Tage zu trinken, da er sehr auf seine körperliche Fitness achtete, aber der besondere Anlass erforderte eine Ausnahme von seinen selbst gesteckten Prinzipien. „Eigentlich müssten wir an jedem Flug- und Raumhafen Posten aufstellen, die jedes einzelne Notebook, das von den Reisenden mitgeführt wird, durchchecken. Welchen Zeitaufwand das bedeuten würde, brauche ich Ihnen nicht zu sagen, es würde zu stundenlangen Wartezeiten kommen, bis jedes Schiff oder Flugzeug abgefertigt ist. Wir müssen also eine andere Lösung finden. Ich stelle mir da ein Scanverfahren vor, das gezielt nach solchen Dateien sucht. Was meinen Sie, Rodriguez, wäre so etwas machbar?“
Smith setzte besonderes Vertrauen in den jungen General, Sohn einer deutschen Mutter und eines spanischen Vaters. Der attraktive junge Mann war nicht nur intelligent, sondern auch ehrgeizig, ohne eine Konkurrenz für ihn zu sein. Er ging vollkommen in seiner Aufgabe auf. Zudem würde Smith nie vergessen, dass Rodriguez Emmas Bruder war, und somit trotz ihres Todes immer noch sein Schwager. Die damit geweckte Erinnerung war einerseits außerordentlich schmerzhaft für ihn, aber es war auch angenehm, dass etwas von Emma noch lebte. Auch wenn sie privat nichts miteinander zu tun hatten, fühlte Smith sich ihm auf eine besondere Weise verbunden. Er bemühte sich, Rodriguez nicht allzu öffentlich zu fördern, um keine Eifersüchteleien unter seinen Offizieren entstehen zu lassen, welche die Arbeit behinderten, aber insgeheim nahm er sich vor, den jungen Mann so schnell wie möglich innerhalb der Hierarchie aufsteigen zu lassen. Er sah auch etwas von sich selbst in diesem Mann, auch er war schließlich schon sehr jung zum General ernannt worden, wenn auch in einer anderen Waffengattung. Hoffentlich würde sich Rodriguez als ebenso innovativ erweisen, wie er es gewesen war.
„Ich müsste das noch einmal mit meinen Experten prüfen, aber ich hätte da schon eine Idee, Sir.“ Rodriguez richtete sich in seinem Sessel auf, während Dumont ihm einen kurzen, misstrauischen Blick zuwarf. Dumonts Augen verrieten ständig Argwohn, aber dieser schien sich noch einmal zu steigern, als General Rodriguez zu sprechen begann. Wahrscheinlich befürchtete er, der General könne sich in seine Kompetenzen einmischen. „Jeder Mensch hat ein bestimmtes Stimmmuster, das sich selbstverständlich auch in den Videoaufzeichnungen Hirschmanns wiederfindet. Wir könnten nach dieser virtuellen Signatur scannen, das könnte automatisiert geschehen, ohne dass unsere Leute jeden Computer einzeln untersuchen müssten.“
„Sie würden also einen Scanner entwickeln, der wie ein Spürhund nach bestimmten Dateimerkmalen sucht?“
„Genau so, Sir. Wir bräuchten dazu allerdings Ihre Erlaubnis, die gefundenen Dateien auszuwerten. Colonel Dumont müsste uns die bisher aufgespürten Aufzeichnungen überlassen.“
„Sehen Sie darin ein Problem, Dumont?“ Die Frage war rein rhetorisch gestellt, denn Smith war bereits von Rodriguez' Lösungsvorschlag angetan, der einfach und leicht durchführbar erschien. Smith betrachtete sich, was Computer anging, als gut informierten Laien, und die Erläuterung klang für ihn plausibel. Ihm wäre es nur Recht gewesen, wenn Rodriguez sich sofort an die Arbeit gemacht hätte. Aber er hatte nicht mit Dumonts Sturheit gerechnet.
„Eigentlich, Sir“, erwiderte der Colonel, „würde ich das nur ungern tun. Mein Ziel war es bisher, dieses Gift so weit wie möglich einzudämmen, daher habe ich stets Anweisung gegeben, die Dateien sofort zu vernichten.“
Auf Smiths Stirn bildete sich eine steile Unmutsfalte. Auf Einwände des Colonels war er nicht gefasst gewesen, und er unterdrückte einen Impuls, Dumont als Idioten zu titulieren und ihn unflätig anzubrüllen. In seinem vorauseilenden Gehorsam hatte er wichtiges Beweismaterial vernichtet. „Ich habe niemals befohlen, Beweismittel zu vernichten“, sagte er mühsam beherrscht. „Irgendetwas muss ich doch noch auftreiben lassen, um Hirschmanns Stimmmuster zu analysieren, oder wollen Sie mir sagen, dass alles weg ist?“
„Wir könnten zur Not mit Archivaufnahmen arbeiten“, warf Rodriguez ein. „Aber der Scan wäre dann nicht so genau. Je aktueller, desto besser.“
„Nun, es kursieren doch noch viele dieser Aufnahmen“, meldet sich erstmals auch Danielle Laloux zu Wort. „Wir könnten Razzien in den entsprechenden Kreisen durchführen.“
„Davon rate ich ab“, meinte Rodriguez entschlossen. „Das würde zu viel Staub aufwirbeln und eventuell auf unsere Pläne aufmerksam machen. Wir sollten möglichst unauffällig arbeiten.“
„Aber wo bleibt dann der abschreckende Effekt?“, verteidigte Laloux ihre Position. „Wir sollten den Menschen deutlich zeigen, dass wir nicht bereit sind, eine solche Propaganda zu dulden. Das wirkt doch auf Dauer destabilisierend!“
„Ich halte Prävention für vielversprechender“, meinte Rodriguez. „Wozu ein Verbot aussprechen und die Menschen erst auf diese Videos hinweisen? Gerade bei jungen Menschen könnte das den gegenteiligen Effekt haben. Sie lieben den Nervenkitzel, es könnte den Videos noch zur Popularität verhelfen. Haben Sie als Jugendliche niemals verbotene Videos im Internet gesehen?“
„Wir haben allesamt als junge Menschen einer verbotenen Partei angehört“, erwiderte Smith mit einem Lächeln. Innerlich musste er Rodriguez Recht geben. Vielleicht sollte man den geschmuggelten Videos nicht mehr Gewicht verleihen, als sie verdienten. „Sie haben da etwas Wichtiges angesprochen. Vielleicht ist es wirklich besser, diese Botschaften in der Öffentlichkeit tot zu schweigen und indirekt dagegen vorzugehen. Ich möchte zudem nicht, dass Hirschmann den Eindruck gewinnt, wir hätten etwa Angst vor ihm.“ Hirschmann, sein Stachel im Fleisch. Aber auch einen Stachel konnte man mit einer kleinen Pinzette ziehen. Viel wichtiger jedoch war es, die Auswirkungen dieser Propagandabotschaften einzudämmen. „Viel wichtiger erscheint es mir im Moment, gegen die einsetzende Flüchtlingswelle vorzugehen. Ich schätze es gar nicht, dass uns diese Menschen auf der Nase herumtanzen.“
„Es sollen sich sogar schon einige Piloten der strategischen Raumflotte abgesetzt haben“, warf Dumont missmutig ein. „Damit hat diese Krise einen Punkt erreicht, an dem wir sie einfach nicht mehr ignorieren können. Man stelle sich einmal vor, ein hochrangiger Offizier würde sich in die VOR absetzen!“ Allein die Vorstellung machte Dumont schaudern, wie man ihm deutlich ansah. Aber auch Smith war dieser Gedanke bereits durch den Kopf gegangen und er hatte seine Vorkehrungen getroffen. Außerhalb seines Stabes war kein Offizier jemals in mehr Einzelheiten der Verteidigungsstrategien der EAAU eingeweiht als es unbedingt notwendig war. Misstrauen war Smith zu einer zweiten Natur geworden, man konnte nie wissen, wo Verrat lauerte. Deshalb sorgte er auch dafür, dass sich seine Leute gegenseitig argwöhnisch überwachten und eine beständige Atmosphäre des Zweifels in seiner Umgebung herrschte. Loyalität, das wusste er, war eine Eigenschaft, auf die man nur bedingt bauen konnte. Meistens blieben die Mitarbeiter nur so lange loyal, wie man alle Zügel in der Hand hielt.
„Wissen Sie, meine Freunde, ich habe lange darüber nachgedacht“, sagte der General in die Runde, „und ich glaube, mir ist da eine Idee gekommen. Warum machen wir uns diese Fluchtwelle nicht zunutze? Ich habe da vor ein paar Wochen schon mal etwas eingeleitet.“


***        

„Schon wieder eine Najade voller Flüchtlinge“, sagte Sergio Massoni seufzend zu seinem Kollegen. „Das nimmt langsam überhand. Ich werde mal beim Chef nachfragen, ob wir denen überhaupt Landeerlaubnis erteilen sollen.“
„Die Anfrage kannst du dir sparen“, erwiderte David Kuhn, der wie Massoni im Tower der Landeplattform drei seinen Dienst als Controller versah. „Natürlich müssen wir denen die Landung freigeben. Das ist ein Befehl von ganz oben. Wir müssen alles reinlassen, was kommt. Egal, ob wir die Leute nachher noch versorgen können. Freiheit ist dem Präsidenten wichtiger als Brot.“
Damit sprach Kuhn aus, was viele alteingesessene Siedler der Venuskolonie dachten. Die Flüchtlinge von der Erde waren hier nicht sonderlich beliebt, zu sehr fürchteten die Menschen, die knappen Ressourcen der Biosphären könnten nicht für alle Siedler ausreichen. Die Zerstörung einer Agrarkuppel durch die strategische Raumflotte des Generals vor ein paar Wochen hatte ein weiteres Loch in die Versorgungskette gerissen, und auch an Wohnraum mangelte es an allen Ecken und Enden. Zwar waren die Siedler daran gewöhnt, auf engerem Raum zu wohnen als die Menschen auf der Erde, aber nun nahmen die Verhältnisse bedrohliche Ausmaße an. Wenn es auch niemand aussprechen wollte, so waren die Flüchtlinge aus Smiths Herrschaftsbereich nur einer verständnisvollen Minderheit willkommen. Hinzu kam das Misstrauen, das die Siedler allem gegenüber, was von der Erde kam empfanden. Sie mochten es nicht, wenn sich jemand in ihre Lebensweise einmischte. Andererseits waren Hirschmanns Anweisungen eindeutig: Jeder, der von der Erde floh, um Smiths mörderischem Regime zu entkommen, musste auf der Venus eine neue Heimat finden. Egal, welche Opfer das für die kleine Gemeinschaft bedeutete. Dem Präsidenten war es wichtig, die Menschen aus ihrer Gleichgültigkeit aufzurütteln, er verabscheute die Position vieler Bürger, dass die Ereignisse auf der Erde sie nichts angingen, so lange der General sie nur in Ruhe ließ. Aber der General hatte sie nicht in Ruhe gelassen, und das war in den Augen vieler Hirschmanns Schuld. Auch Kuhn war nicht vollkommen gegen die Einwanderung, er hatte ein gewisses Verständnis dafür, dass die Flüchtlinge sich politischer Verfolgung entziehen wollten. Die Berichte von der Erde waren wirklich grauenerregend. Männer und Frauen wurden wegen Kleinigkeiten verhaftet und zu drakonischen Strafen verurteilt, ein demokratisches Rechtssystem gab es längst nicht mehr. Von Folter war die Rede, ja sogar von Umerziehungslagern, aus denen die Verhafteten völlig verändert zurückkehrten. Das Regime überwachte seine Bürger auf Schritt und Tritt, Telefonate wurden mitgehört, und es hieß, es wären sogar schon Leute verhaftet worden, die im Schlaf etwas falsches gesagt hatten. Sie wachten nichtsahnend auf und fanden ihr Bett von Polizisten der III. Abteilung umstanden vor. Niemand, der ein wenig Mitgefühl empfand und in einer funktionierenden Demokratie aufgewachsen war, konnte sich diesen Berichten entziehen. Seiner Meinung nach allerdings hätte man besser kontrollieren müssen, wer da zu ihnen kam. Wer konnte schon wissen, ob nicht auch Gauner und Betrüger zur Venus flüchteten, die auf der Erde zurecht von Strafverfolgung bedroht waren?
Massoni neben ihm telefonierte gerade mit ihrem Vorgesetzten und gab die von der Najade empfangenen Informationen weiter. „Ja, Sir, es sind etwa fünfzig Flüchtlinge an Bord, allesamt politisch Verfolgte, wenn man ihren Angaben glauben darf. Anwälte, Gewerkschaftler, das übliche Klientel. Weiß Gott, wie die durch die Maschen der Überwachung geschlüpft sind, aber irgendwie haben sie es geschafft und wenn sie ihre letzten Kröten für Bestechungsgelder ausgegeben haben. Und jetzt verlangen sie hier eine Landeerlaubnis.“
Kuhn betrachtete das Bild der Najade vor sich auf dem Schirm. Es war schon ein älteres Modell mit Beulen und Brandnarben in der Außenhülle, das wahrscheinlich schon bald außer Dienst gestellt werden sollte. Das Schiff hatte schon bessere Tage gesehen und sicherlich schon so manchen Meteoritenhagel überstanden.
Der Teamchef stieß einen tiefen Seufzer aus. „Also gut, und bliebt wohl nichts anderes übrig, als den Rostkasten hier einzuweisen. Haben die wenigstens einen vernünftigen Piloten mit dabei?“
„Sie haben immerhin den Flug hierher geschafft. Wie seine Landekünste sind, kann ich nicht beurteilen, Sir.“
„Schicken Sie sicherheitshalber ein Rettungsteam los, falls es eine harte Landung wird. Hauptsache, das Schiff kommt nicht zu schnell rein.“
„Die können es kaum noch erwarten. Haben wohl nicht viele Vorräte mit an Bord nehmen können und nagen jetzt am Hungertuch. Wir sollten auch ein Team der Flüchtlingshilfe herbei holen.“
„Ist genehmigt“, knurrte der Chief. „Noch ein Haufen Leute, der uns die Haare vom Kopf frisst. Wir sollten dem General langsam mal eine Rechnung ausstellen.“
„Da wäre ich dabei, Sir. Also gut, dann will ich die Leutchen da draußen mal nicht länger warten lassen.“
Kuhn beendete das Gespräch und kontaktierte den Piloten der Najade, der sichtlich erleichtert war, dass man ihn und sein Schiff nicht zur Erde zurückschickte. „Ich dachte schon, Ihr wolltet uns hier draußen verrecken lassen“, sagte er. „Ich habe hier jede Menge hungrige Mäuler, und der eine oder andere würde sich auch über eine anständige Dusche freuen. Unser Lebenserhaltungssystem funktioniert nämlich schon seit zwei Wochen nicht mehr richtig.“
Kuhn seufzte. Das hörte sich nach einer Höllenfahrt unter den Sternen an. Man konnte gar nicht anders, als der Najade die Landung zu gestatten, andernfalls hätte man die Besatzung und die Passagiere in den sicheren Tod geschickt. Entweder, weil sie auf dem Rückweg durch eine Patrouille des Generals aufgegriffen werden oder aber an Hunger und Durst sterben würden. „Ich gebe Ihnen Landefeld 17 frei“, antwortete er dem Piloten. „Ein Rettungsteam ist schon unterwegs. Haben Sie Kranke oder Verletzte an Bord?“
„Nichts, was nicht durch eine heiße Suppe und einen guten Kaffee zu kurieren wäre.“
„Wir werden Sie erstmal in einer Lagerhalle unterbringen müssen“, erklärte Kuhn. „Aber das mit der heißen Suppe wird sich einrichten lassen. Hitze ist das Letzte, woran es uns hier mangelt.“
Massoni setzte sich mit der Flüchtlingshilfe in Verbindung, in der sich einige engagierte Bürger ehrenamtlich um die Neuankömmlinge kümmern würden. Auch einen Arzt forderte er sicherheitshalber an, auch wenn der Pilot ihn diesbezüglich beruhigt hatte. Währenddessen leitete Kuhn den Schleusenvorgang ein. Mit viel Getöse begannen sich die riesigen äußeren Tore zu öffnen. Um der Najade den Einflug zum Landedock zu ermöglichen. Zwei Meter Stahl trennten die Schleuse vom Weltraum, das half auch gegen kleinere Meteoriten. Außerdem war in der Schleuse ein Kühlsystem eingearbeitet, das die Außentemperatur der glühend heißen Atmosphäre absenkte. Ansonsten wäre die Materialbelastung zu groß gewesen. Insgesamt dauerte der Schleusenvorgang eine halbe Stunde, die dafür genutzt wurde, auf dem Landedeck alle benötigten Techniker und Hilfskräfte zusammen zu rufen. Schon schwebten die ersten Fahrzeuge heran.  Kuhn und Massoni lehnten sich zurück, im Moment waren keine anderen Landungen geplant, es blieb ihnen Zeit für eine kurze Kaffeepause.
„Ganz schön kompliziert, das Landeverfahren hier“, meldete sich der Pilot der Najade über Funk. „Dauert das immer so lange?“
„Ein bisschen werden Sie sich schon noch gedulden müssen“, erwiderte Massoni. „Schließlich wollen wir hier drin unsere schönen kühlen Temperaturen behalten und das Deck nicht in einen Grillofen verwandeln.“
„Ich wünschte, wir hätten noch was zu grillen. Die Würstchen sind uns schon vor einer Woche ausgegangen.“ Der Pilot versuchte zu lachen, aber es misslang ihm. Er brachte nur einen erstickten Laut zustande. „Ich hoffe, Ihr habt schon einen großen Topf mit Gulaschsuppe aufgesetzt. Ein paar Steaks würden es natürlich auch tun.“  
„Das mit der Suppe müsste sich machen lassen. Mit Steaks sind wir auch ein bisschen knapp dran. Hier gibt es so wenig Wiesen, auf denen man Kühe halten könnte. Aber Sojaproteine haben wir noch vorrätig.“
„Sie können einem aber auch alles vermiesen. Bei der Aussicht möchte ich ja fast wieder umkehren.“
„Bedanken Sie sich bei Smith. Der hat uns von allen Versorgungsgütern abschneiden lassen.“
Ähnliche Gespräche hatten sie in den letzten Wochen schon oft geführt, sie waren längst zur Routine geworden. Zu Anfang hatte Kuhn sich noch auf die Füße getreten gefühlt, schließlich waren es die Menschen von der Erde, die hier Zuflucht suchten, und dann stellten sie auch noch große Ansprüche an die Gastfreundschaft der Kolonie. Dann aber war ihm klar geworden, was viele dieser Flüchtlinge hinter sich hatten, einen überstürzten Aufbruch aus ihrer Heimat, bei dem es erst einmal um das nackte Überleben ging. Da war keine Zeit für Reiseplanung geblieben, und erst recht nicht die Gelegenheit, genug Reiseverpflegung einzupacken. Letztendlich würden die Männer und Frauen froh sein um das, was sie hier erhielten.
Sie unterhielten sich noch über ein paar Belanglosigkeiten, bis der Schleusenvorgang endlich abgeschlossen war. Die kaum weniger dicken Innentore glitten unter dem Warnton einer Sirene auf und gaben den Blick auf die wie ein großer Kugelfisch geformte Najade frei. Langsam, unter Einsatz seiner kleinen Steuerdüsen, schwebte das Schiff herein, verharrte einen kurzen Augenblick über dem zugewiesenen Landeplatz und setzte schließlich sanft auf. Mit einem letzten Seufzen zischten die Düsen noch einmal auf um dann zu verstummen. Dann erlosch auch das Dröhnen des Antriebes. Von allen Seiten schossen Fahrzeuge heran, das des Stationsmeisters, der das Bordbuch des Schiffes einsehen wollte, aber auch zwei große Transporter der Flüchtlingshilfe.
An der Seite der Najade fuhr die Schleuse auf und eine Ausstiegsrampe wurde ausgefahren. Zunächst erschien die Besatzung im Ausstieg, zwei Männer und eine Frau in Flugoveralls und eilte die Rampe hinunter, dann, weitaus zögerlicher, betraten die Passagiere die Stufen. Männer und Frauen in zerknitterter Kleidung, einige von ihnen trugen Rucksäcke mit ihren Habseligkeiten auf dem Rücken, andere hatten nur kleine Taschen dabei. Einige schienen nur noch das zu besitzen, was sie auf dem Leibe trugen. Kuhn schüttelte mitleidig den Kopf, als er die Gruppe die Rampe hinunter gehen sah. Diese Menschen hatten es sich bestimmt nicht einfach gemacht, sie hatten alles hinter sich gelassen, nur um dem Regime der Reinigenden Flamme zu entkommen.  Er konnte ihre Gesichter nicht sehen, aber er vermutete, dass sich darin im Moment Erleichterung und Furcht mischten. Erleichterung über den endlich beendeten Höllenflug, aber auch Furcht vor dem Kommenden, vor einer ungewissen Zukunft in der Kolonie, deren freie Tage vielleicht auch nur noch gezählt waren.  
Einige Frauen von der Flüchtlingshilfe begrüßten die Neuankömmlinge freundlich und wiesen ihnen Plätze in den Transportern zu. Andere Helfer würden in diesem Moment schon damit beschäftigt sein, in einer der Lagerhallen Feldbetten aufzustellen und eine Essensausgabe zu organisieren. Unterdessen nahmen sich die Techniker der Najade an, die wohl mit diesem Tage in den Besitz der Kolonie übergehen würde. Bald waren die Transporter bis auf den letzten Platz besetzt. Kuhn wunderte sich noch kurz, dass keine Kinder bei der Gruppe waren, wie sie es bei den letzten Transporten erlebt hatten, aber vielleicht hatten die Flüchtlinge nicht das Risiko eingehen wollen, ihre Kleinen mit auf die Reise zu nehmen. Dann rasten die Transporter auch schon davon.
„Das hätten wir geschafft“, meinte Massoni erleichtert und wandet sich wieder seinem Kaffee zu. „In den nächsten Stunden steht auch nichts mehr an. Wir können eine ruhige Kugel schieben, es sei denn, der General käme mal wieder auf die Idee, uns einen Besuch abzustatten.“
„Der scheint im Moment zum Glück keine Lust zu haben, uns zu besuchen. Hat wohl genug mit den Asiaten zu tun.“
Damit hatten Kuhn und Massoni ihren Part der Arbeit erledigt. Was sie nicht ahnten, war, dass auch jemand anderes sich für die Landung der Najade interessiert hatte. Ein hoher Offizier der strategischen Raumflotte der Venus hatte das Geschehen aufmerksam beobachtet und zufrieden zur Kenntnis genommen, wie glatt die Aktion verlaufen war. Niemand hatte Verdacht geschöpft, geschweige denn versucht, die Landung zu verhindern. Hirschmanns Mitleid mit den Flüchtlingen von der Erde war einfach zu groß um irgendjemanden wieder zurück zu schicken. Eine Flamme der Hoffnung wollte er den Menschen auf der Erde sein, für alle, die dem Regime des Generals entkommen wollten. Nun, man musste den alten Mann nur beim Wort nehmen. Der Offizier setzte sich an seinen Schreibtisch und fuhr seinen Computer hoch. Sobald das System gestartet war, klickte er ein kleines, harmlos erscheinendes Icon am unteren Rand des Bildschirms an, worauf sich ein kleines Eingabefenster öffnete. Es war schwierig gewesen, diese Verbindung zu schaffen, da doch eigentlich alle Kommunikationskanäle zur Erde gekappt waren. Aber eine Hintertür gab es immer, denn die entsprechenden Übertragungssatelliten waren ja nicht zerstört, sondern nur offline geschaltet worden.
Der Offizier schrieb nicht viel. Das war auch nicht nötig , denn sein Gegenüber auf der Erde würde schon wissen, was er gemeint hatte. Danach beeilte er sich, das Eingabefenster wieder zu schließen und seine Spur somit zu verwischen. Innerhalb von Sekunden würde der Empfänger in Metropolis die Botschaft empfangen.
Der General hätte das leise Signal seines Computers beinahe überhört, befand er sich doch gerade im Gespräch mit seinem Stab. Aber der Klang, eine bestimmte Tonabfolge, die nur Nachrichten des einen Absenders zugeordnet war, ließ ihn doch aufhorchen. Neugierig ging er zu seinem Laptop hinüber und schaute sich die Nachricht in der Anzeigebox an. Es waren nur wenige Worte: „Paket Nummer drei ist unbeschädigt eingetroffen.“
Smith lächelte zufrieden.
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