Die Herrschaft des Phönix
von Mirjam Lea
Kurzbeschreibung
General Smith konnte aus der Gefangenschaft entkommen und schickt sich ein zweites Mal an, die Herrschaft in der EAAU zu übernehmen. Aber auch seine grausamen Methoden schaffen es nicht, jeden Widerstand erlahmen zu lassen... (Anmerkung: Es handelt sich um eine radikale Neufassung von der Innere Zirkel, die jetzt auf Gleichgewicht des Schreckens ausbaut.)
GeschichteDrama / P16 / Gen
Gordon B. Smith
Samuel Hirschmann
19.08.2009
28.09.2010
27
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19.08.2009
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Isabels Leben hatte sich seit der Machtergreifung des Generals vor einigen Wochen so sehr geändert, wie sie es nie für möglich gehalten hätte und sie wusste nicht, ob es für sie zum Guten oder zum Schlechten verlief. Gewiss, sie war rasch zur politischen Kommissarin aufgestiegen, mit einer Vertrauensstellung bei Smith, aber das bedeutete auch, seine Launen aus nächster Nähe ertragen zu müssen. Auf Asinara war er ihr immer so sachlich und gelassen erschienen, aber vielleicht auch nur deshalb, weil damals noch alles genau nach seinen Vorstellungen verlaufen war. Nun wurde sie immer häufiger Zeugin seiner Wutanfälle, ja musste sie hin und wieder sogar selbst erdulden. Smith erwartete Ergebnisse von ihr, Berichte über die Loyalität seiner engsten Mitarbeiter. Wenn sie ihm Beweise für deren Untreue lieferte, ließ er sie gnadenlos fallen, fand sie nichts Verdächtiges, machte ihn das noch lange nicht zufrieden. Sein Misstrauen gegen andere Menschen steigerte sich von Tag zu Tag. Und er hatte keinerlei Skrupel, Mitarbeiter gegen die er nur den Hauch eines Verdachtes hegte, einfach verschwinden zu lassen. Um so seltsamer wurde es allerdings, wenn diese Menschen irgendwann wieder auftauchten, dann schienen sie nur noch ein Schatten ihrer selbst zu sein. Etwas war mit ihnen geschehen, aber Isabel wusste nicht was, darüber wurde sie nicht eingeweiht. Die meisten aber verschwanden für immer im Nichts. Zu Beginn hatte sie noch das schlechte Gewissen deswegen geplagt, aber sie merkte, wie sei mehr und mehr gegenüber dem Leid ihrer Mitmenschen abstumpfte. Sie wusste, dass sie mit jedem Tag, jeder Stunde vor einer Gewissensentscheidung stand: Entweder, sie begehrte auf und opferte alles, eventuell sogar ihr Leben, oder sie härtete sich innerlich ab und konnte so ihre Position weiter ausbauen. Ersteres hätte bedeutet, sich auch selbst einzugestehen, dass sie einen großen Fehler begangen hatte, indem sie dem General bedingungslos folgte, und das brachte sie nicht über sich. Außerdem gehörte sie zu denjenigen Menschen, die von Smiths Herrschaft profitierten und das wollte sie nicht aufs Spiel setzen. Niemals wieder würde sie eine solche Karrierechance bekommen, auch wenn der Weg nach oben steinig war und man am besten moralische Scheuklappen aufzog. Sie musste lernen, keinerlei persönliche Bindungen zu den Menschen in ihrer beruflichen Umgebung einzugehen, durfte sich nicht gestatten, den einen oder anderen zu mögen, denn schon morgen oder aber auch schon in der nächsten Stunde konnte diese Person verhaftet oder tot sein.
In ihrem Privatleben sah es nicht viel anders aus. Mittlerweile bewohnte sie ein Apartment im Wohnflügel des Regierungspalastes, das Smith für sie komfortabel hatte einrichten lassen. Es war für ihn bequem über einige bewachte Gänge zu erreichen und ermöglichte es ihm, sie immer dann zu treffen, wenn ihm danach war. Er machte allerdings keinerlei Anstalten, ihre Beziehung zu einer echten Partnerschaft zu erweitern. Es gab ihre berufliche Zusammenarbeit und ihre Affäre, nicht mehr. Noch nicht einmal hatte er Isabel in seine eigene Wohnung eingeladen. Gewiss, sie profitierte auch davon, zumindest, was ihre finanzielle Absicherung betraf. Der General machte ihr großzügige Geschenke, Schmuck, Bilder und Möbel für ihre Wohnung und Körbe mit Delikatessen. Zudem verfügte sie über ein Kreditlimit, das ihrem regulären Gehalt alles andere als angemessen war. Was er ihr nicht schenkte, konnte sie sich ohne weiteres auch selbst kaufen. Lieber wäre es ihr allerdings gewesen, er wäre ihr persönlich ein wenig näher gekommen, würde sie als Gefährtin sehen, die seine Sorgen mit ihm teilte, aber darauf wartete sie bisher vergebens. Sie hoffte verzweifelt, dass die Zeit für sie arbeiten würde und unternahm alles, um ihm zu zeigen, wie sehr sie auf seine Wünsche einzugehen bereit war. Sie kleidete sich, wie es ihm gefiel, kaufte sich edle Dessous, obwohl sie sich darin manchmal wie eine Prostituierte vorkam und bemühte sich sogar, seinen besonderen Vorlieben gerecht zu werden. Dazu quälte sie ihre Füße mit hochhackigen Kreationen, die ihrer Meinung nach die Bezeichnung Schuh kaum noch verdienten und zwängte sich selbst noch im Bett dort hinein, obwohl sie doch ihre bequemen Militärstiefel gewöhnt war. Zudem trainierte sie ihren Körper im Fitnessraum des Wohntraktes, um nur kein Pfund zuzunehmen und hielt eine strenge Diät. Dem General gefiel das, aber er redete deswegen kein Wort mehr mit ihr. Isabel stand am Rande der Verzweifelung. Seine Gefühlskälte trieb sie mehr und mehr in die Depression, auch wenn sie ihn das nicht merken ließ. Mehr und mehr litt sie unter der Distanz, die zwischen ihnen herrschte. Auch hier hatte sie schon versucht, sich selbst gegen ihre Gefühle abzustumpfen, sagte sich, dass sie es doch schlechter hätte treffen können, schließlich schlug er sie nicht und behandelte sie einigermaßen anständig, aber es gelang ihr nicht. Sie hatte ihn schon einmal zaghaft darauf angesprochen, aber er konnte oder wollte sie nicht verstehen.
Auch heute wollte sie es wieder versuchen. Es war der erste kühle Tag in Metropolis, der November hatte gerade begonnen. Sie hatte sich bemüht, eine romantische Stimmung zu schaffen, wollte das kalte, nasse Wetter vergessen machen. Draußen wurde es schon dunkel, aber Dutzende von Kerzen tauchten das Schlafzimmer in flackerndes, warmes Licht, während eine Duftlampe ein zartes Aroma verströmte. Sich selbst hatte sie noch sorgfältiger gepflegt als sonst und sie trug neue Spitzenwäsche und seine Lieblingsschuhe. Er aber hatte kaum mehr als ein kurzes Lächeln der Anerkennung aufgebracht und war wie üblich schnell zur Sache gekommen. Ein paar Küsse und Umarmungen, dann war es auch schon geschehen. Meistens dauerten ihre Treffen nicht länger als eine knappe Stunde, und auch heute schien er nicht länger bleiben zu wollen. Ein rascher Kuss zum Abschluss, dann schienen seine Gedanken wieder bei anderen Dingen zu sein.
„Willst du nicht wenigstens mal zum Essen bleiben?“, fragte sie gekränkt. „Ich könnte uns etwas Schönes kochen. Das kann ich nämlich gut.“
Er schlug schon das Laken beiseite, um nach seinen Kleidern zu greifen und setzte sich auf die Bettkante. „Du weißt doch, dass ich im Büro esse, Isabel. Ich habe jetzt keine Zeit mehr.“
„Könntest du dir nicht einmal ein bisschen Zeit nehmen?“ Sie drehte sich zu ihm herum und legte ihm die Hand auf den Rücken. Selbst ihre Hände sahen anders aus als früher, sie ließ sich jetzt die Nägel maniküren. Ob seine Frau sich auch solche Mühe gegeben hatte, ihm zu gefallen? Auf dem Foto, das noch immer auf seinem Schreibtisch stand, sah sie her ein bisschen pummelig aus, sie war wohl eher das gewesen, was man einen natürlichen Typ nannte. „Ich würde mich gern mit dir noch ein wenig unterhalten.“
„Worüber denn? Hat das nicht Zeit bis heute Abend? Vielleicht habe ich dann ein wenig Freiraum nach dem letzten Termin.“ In seine Stimme hatte sich ein ungeduldiger Unterton eingeschlichen, während er aufstand und seine Hose hochzog.
„Über nichts bestimmtes“, erwiderte sie und merkte zu ihrem Unbehagen, wie sich ein weinerlicher Ton in ihre Stimme einschlich. Gerade das hatte sie vermeiden wollen. „Ich will einfach ein wenig Zeit mit dir verbringen.“
„Zeit mit mir verbringen? Aber wir sehen uns doch jeden Tag im Büro. Ich möchte sogar wetten, dass du der Mensch bist, mit dem ich am meisten Zeit verbringe!“ Nun klang er gar ein wenig ironisch, was sie noch mehr verletzte. Sie fühlte, wie ihre Augen zu brennen begannen.
„Du weißt schon, ich meine kein dienstliches Treffen, sondern ein privates.“
„Und für was hältst du das, was wir hier tun? Etwa für dienstlich? Das will ich doch nicht hoffen.“ Langsam wandte er sich zu ihr um und sah sie prüfend an. Sein Blick maß sie kühl und sie merkte, wie er zunehmend ungeduldig wurde. Nun war er auch noch genervt von ihr, kein guter Ausgangspunkt für ein versöhnliches Gespräch. „Du willst doch etwas anderes, nicht wahr? Nun sag schon endlich, was los ist!“
„Ich möchte dich nicht nur im Bett sehen!“, platzte sie heraus. „Ich dachte, da wäre mehr!“
„Nun ich glaube nicht, dass du Grund zur Klage hast, meine Liebe“, meinte er kühl. „Ich habe dich beruflich vorangebracht und sorge auch sonst gut für dich. Was willst du also, eine größere Wohnung? Mehr Kleider? Darüber können wir reden, wenn du den Bogen nicht überspannst. Allerdings würdest du mich sehr enttäuschen, denn ich hätte nicht gedacht, dass du zu dieser Sorte gehörst.“ Er griff nach seinem Hemd, das er über einen Sessel geworfen hatte und streifte es über. Eilig schloß er die Knöpfe. „Ich dachte, du wüsstest, wie eingespannt ich bin und würdest mir helfen, mich ein wenig zu entspannen, aber du stellst nur Erwartungen an mich!“
„Es geht mir nicht um mehr Geschenke“, sagte sie verzweifelt. „Ich dachte, wir würden Freunde werden!“
„Meine Freundschaften baue ich gewöhnlich über Jahre hinweg auf“, sagte er kalt. „So, und jetzt muss ich wieder in mein Büro, und du hast sicherlich auch noch einiges zu tun.“
Isabel schwieg niedergeschlagen. Sie kam sich erniedrigt und beschmutzt vor, auch wenn ein Teil ihres Selbst schon neue Strategien erdachte, wie sie ihn wieder gewogen stimmen konnte. Auch wenn sie längst begriffen hatte, dass der General nicht dem Idealbild entsprach, das sie sich auf Asinara von ihm zusammengesponnen hatte, so trauerte sie diesem Idealbild noch immer hinterher und wollte es sich wiedererschaffen. Es musste einfach einen Weg geben, ihn anhänglicher zu stimmen. Mit der Zeit musste er endlich erkennen, was er an ihr hatte, welche treue Gefährtin sie ihm sein konnte, auch wenn es einmal nicht so gut für ihn lief.
Das Summen seines Mobiltelefons unterbrach ihre Gedanken. Es kam aus seiner Uniformjacke, die neben dem Hemd gelegen hatte. Smith klappte es auf und meldete sich knapp, worauf sein Gesprächspartner auf ihn einzureden begann. Isabel hielt gespannt den Atem an. Es musste etwas wichtiges sein, sonst hätte der Anrufer nicht diese Nummer gewählt, die nur für absolute Notfälle gedacht war. Sie hatte einmal erlebt, wie einer der Adjutanten den General wegen einer unbedeutenden Sache auf seinem Handy angerufen hatte und dieser vor Zorn fast explodiert wäre. Seitdem hatte jeder Besitzer dieser Telefonnummer begriffen, dass es ein absolutes Privileg war, sie zu kennen, auf das nur bei dringlichen Fällen zurückzugreifen war. Ein solcher Fall schien nun eingetreten zu sein. Selbst das sonnengebräunte Gesicht des Generals schien ein Nuance blasser zu werden. Sein Mund zog sich zu einem Strich zusammen.
„Wann ist das passiert?“, fragte er knapp und wartete kaum die Antwort seines Gegenübers ab. „Und dann erfahre ich das erst jetzt? Was sagt Major Bertram?“
Auch Isabel glitt nun aus dem Bett und suchte nach ihren Kleidern. Während Smith weiter telefonierte, schlüpfte sie eilig in ihre Uniform und versuchte dabei, das Gesprochene zu verfolgen.
„Was heißt das, Bertram hat die Situation nicht mehr unter Kontrolle? Verdammt, er verfügt dort unten über zehntausend Mann Besatzung und die modernsten Waffen, die wir zu bieten haben, wie kann er dabei die Kontrolle verlieren?“ Wieder konnte Isabel die Antwort nicht verstehen. „Die Terroristen haben das Steuerzentrum zerstört? Ja, wie konnten sie denn wissen, wo es sich befindet? Da gab es wohl eine Sicherheitslücke, das darf doch einfach nicht wahr sein!“ Er ballte die freie Hand zur Faust.
Isabel fragte sich, wovon er redete. Was für ein Steuerzentrum meinte der General bloß? Und wo hatte dieser terroristische Anschlag stattgefunden, doch wohl nicht hier in Metropolis? Während sie weiter lauschte, ging sie herum und blies die so nutzlosen Kerzen aus. Es fehlte noch, dass die Wohnung wegen ihres dilettantischen Versuchs, den General romantisch zu stimmen, abbrannte. Zumal es ihm wahrscheinlich herzlich egal gewesen wäre.
„Ich komme ins Kontrollzentrum“, meinte Smith entschieden. „Setzen Sie unterdessen alles daran, das Schiff aufzubringen! Wir können uns eine Blamage dieser Art einfach nicht leisten!“ Wütend klappte er sein Handy zusammen.
„Willst du mir erzählen, was los ist?“, fragte Isabel vorsichtig.
„Das kann ich unterwegs machen“, erwiderte er unwirsch. „Aber ich habe eine Aufgabe für dich: Hol meinen Stab zusammen, so schnell wie möglich. Ich will eine Krisensitzung abhalten. So eine verdammte Scheiße!“ Mit einer heftigen Bewegung zog er sich seine Uniformjacke an, Isabel fürchtete fast, der Stoff könne reißen. Dann trat er kurz vor den Spiegel über ihrer Frisierkommode und fuhr sich durch das Haar, um es wieder in Ordnung zu bringen. Bei aller Aufregung wäre er nie unordentlich vor seinem Stab erschienen.
Eine Stunde später hatte Isabel sämtliche Stabsoffiziere im kleinen Konferenzraum neben Smiths Büro versammelt, auch wenn sie immer noch nicht wusste, was die Aufregung verursacht hatte. Sie hatte sogar noch die Zeit gefunden, für Kaffee und andere Erfrischungsgetränke zu sorgen. Die Offiziere warteten derweil gespannt auf den General, der sich noch immer in der Raumüberwachung aufhielt. Die meisten kannte Isabel zumindest vom Sehen, so etwa General Manuel Rodriguez, den Chef des militärischen Geheimdienstes, oder General Conti, der sich ihr gegenüber immer sehr charmant verhielt. Auch Colonel Danielle Laloux war da, welche die Bodenstreitkräfte befehligte. Gerüchten zufolge wartete sie sehnlichst darauf, auch in den Rang eines Generals erhoben zu werden, da ihre Befehlsgewalt längst diesem Dienstgrad entsprach. Aber Smith ließ sie noch warten, aus welchem Grund auch immer. Die fünfzehn Männer und Frauen unterhielten sich flüsternd miteinander, so als fürchteten sie, dass jedes laute Wort das geschehene Unheil noch verschlimmern könnte. Auch wagte niemand, sich an den Getränken zu bedienen. Spekulationen machten die Runde, was geschehen sein konnte. Bisher wussten wohl nur der General und die strategische Raumflotte davon.
Endlich erschien Smith durch eine Seitentür. An seiner Seite befand sich einer seiner Adjutanten. Der General unterließ es, die Runde zu begrüßen und gab seinem Begleiter stattdessen ein Handzeichen, worauf dieser einen großen Monitor an der Stirnseite des Raumes einschaltete. Ein Lageplan erschien darauf, wohl der eines Militärstützpunktes. Es waren Gebäude darauf eingezeichnet, aber auch verschiedene Übungsplätze und ein Landefeld für Versorgungsschiffe. Symbole markierten festmontierte Lasergeschütze zur Abwehr von Angriffen aus der Luft, aber auch mobile Laserbatterien waren eingezeichnet. Der General stellte sich neben den Monitor.
„Das, meine Damen und Herren“, begann Smith, „ist unser Spezialgefängnis für spezielle politische Gefangene in der Sahara, auf dem Gebiet des ehemaligen Algerien. Es ist nicht irgendeine Haftanstalt, sondern ein überaus komfortables Habitat für spezielle Häftlinge, die früher hohe Ämter bekleidet haben und nun durch unsere Wissenschaftler in unserem Sinne konditioniert werden sollen. Jeder dieser speziellen Häftlinge findet dort eine ihm möglichst vertraute Umgebung vor, womit wir Ablenkung durch den mit Umgewöhnungen verbundenen Stress möglichst vermeiden wollen.“ Das Bild wechselte und man sah eine Reihe von Wohncontainern, deren breite Fensterfronten von innen durch verschiedene Gardinen und Rollos abgeschirmt wurden. „Auch der von uns allen verehrte Präsident Hirschmann war dort untergebracht, er sollte dort an seinen Memoiren arbeiten, die selbstverständlich in unserem Sinne abgefasst werden sollten.“ An dieser Stelle gönnte sich der General ein leises ironisches Lachen. „Leider sollte es dazu nicht mehr kommen.“
Isabel sah ratlose Gesichter rund um den Konferenztisch. Hirschmanns Unterbringung in diesem seltsamen Lager war wohl nicht allen Stabsmitgliedern bekannt gewesen, Smith hatte es wohl nicht für nötig befunden, sie einzuweihen. Wieder einer seiner Alleingänge, wie er sie oft durchführte. Sie ahnte bereits, worauf er hinaus wollte und wunderte sich, wie gelassen er noch blieb. Irgendetwas war in diesem Gefängnis furchtbar schief gelaufen. Wahrscheinlich spielte Hirschmann Smiths Spiel einfach nicht mit, aber man konnte den alten Mann auch nicht einfach ausschalten. Die Empörung der Bevölkerung, wäre eine solche Hinrichtung publik geworden, wäre zu groß gewesen.
„Nun, ich sage bewusst, Hirschmann war in diesem Lager, denn nun ist er es nicht mehr.“ Am Tisch erhob sich ungläubiges Gemurmel, aber niemand wagte es, eine Frage an den General zu richten. „Vor etwa einer Stunde erreichte mich die Nachricht, dass Hirschmann aus dem Gefängnis heraus geholt wurde.“ Sein Mund wurde zu einem verkniffenem Strich. „Und das nicht etwa von einer Armee, denn eine Armee von etwa zehntausend unserer gehorsamsten Soldaten bewacht die Gefangenen dort. Zehntausend Soldaten! Ausgestattet mit Laserbatterien, Abwehrgeschützen und schweren Handwaffen! Wenn eine Armee der VOR dort einmarschiert wäre, dann wäre eine Niederlage unter Umständen nicht zu vermeiden gewesen, aber es fielen keine fremden Bataillone dort ein, sondern ein einzelnes Schiff, nämlich das Schiff, dessen Aufbringung mir seit Wochen ein Hauptanliegen ist! Irgendwie ist es denen gelungen, sowohl unseren orbitalen Verteidigungsgürtel als auch die Bewachung des Lagers zu übertölpeln und uns wie Idioten dastehen zu lassen!“ Nun erstarb auch das Gemurmel um den Tisch und machte ängstlichem Schweigen Platz. Der General hatte eine weitere Niederlage einstecken müssen, und dafür würden Köpfe rollen. Manch einer der Offiziere mochte jetzt schon Stoßgebete zum Himmel senden, es möge seinen Nachbarn treffen und nicht ihn selbst. General Conti umklammerte die Lehnen seines Stuhles so fest, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten, Rodriguez neben ihm wurde bleich. „Wie mir berichtet wurde, hatte die Delta VII eine Truppe von einem guten Dutzend Rangern dabei, die ihn das Hauptgebäude eindrangen und den Präsidenten herausholten. Nicht nur gelang ihnen dieser Überfall, nein, Delta VII konnte anschließend auch nahezu unbehelligt starten und in Richtung der Venuskolonie entkommen. Unbehelligt! Ich dachte, ich höre nicht richtig, als mir davon berichtet wurde! Wir hatten keine Chance, das Schiff noch abzufangen! Haben Sie überhaupt eine Ahnung, welche politischen Konsequenzen das nach sich ziehen wird? Zum Vergnügen haben diese Terroristen den Altpräsidenten wohl kaum entführt!“
„Die Venuskolonie will sich als unabhängigen Staat proklamieren“, seufzte Manuel Rodriguez niedergeschlagen. „Deswegen haben sie Hirschmann geholt. Sie brauchen eine Symbolfigur.“
„Sie haben es erfasst, Rodriguez!“, rief Smith mit ironischer Anerkennung. „Genau das wird passieren. Ich wette mit Ihnen, dass keine zwei Stunden, nachdem Hirschmann dort eingetroffen ist, eine entsprechende Proklamation über die Medien verbreitet wird. Medien, die wir noch nicht vollständig kontrollieren können, wenn sie über den richtigen Satelliten gesendet werden.“
„Aber wir können den Menschen untersagen, diese Piratensender zu sehen“, warf General Friedrichs, eines der ältesten Mitglieder der Runde ein.
„Dann ist das Unglück aber schon passiert“, widersprach Rodriguez. „Wenn die Botschaft einmal in den Köpfen der Menschen drin ist, können wir nicht mehr viel tun. Das wird in jedem Fall für Unruhe sorgen.“
„Hat auch einmal jemand von Ihnen an die außenpolitischen Konsequenzen gedacht?“, fragte Smith wütend. „Die VOR werden sicherlich nicht lange warten, bis sie dort an die Tür klopfen und scheinheilig ihre Unterstützung anbieten. Nebenbei werden sie sich einen Einblick in unsere Technologien verschaffen wollen, vielleicht auch in die Technologie der Delta VII. Sicherlich auch in diese Technologie! Wissen Sie, was das bedeutet? Wir werden bald von Kopien dieses Schiffes angegriffen werden, das von Rechts wegen eigentlich das unsere sein sollte! Unsere Überlegenheit im Raum steht auf dem Spiel!“
„Auch die VOR können die Delta VII nicht ohne weiteres nachbauen, Sir“, meinte Conti vorsichtig. „Sie verfügen ebenso wenig über die Pläne wie wir.“
„Das gewährt uns vielleicht einige Monate Aufschub“, erwiderte Smith ärgerlich. „Aufschub, nicht mehr! Wollen Sie es etwa darauf ankommen lassen? Ich jedenfalls nicht.“ Er atmete tief ein. „Für mich gibt es daher nur eine Konsequenz daraus zu ziehen: Wenn wir Delta VII nicht selbst haben können, so müssen wir zumindest alles daran setzen, das Schiff zu vernichten, während wir an der Verbesserung unserer eigenen Raumflotte arbeiten!“
„Delta VII vernichten?“, fragte Conti ungläubig. „ich dachte, das Aufbringen hätte oberste Priorität?“
„Dann haben sich die Prioritäten eben geändert!“ Der General hieb mit der Faust auf den Tisch. „Noch einmal lasse ich mich von diesem Schiff und seiner Besatzung jedenfalls nicht so vorführen! Diese Männer sind nichts anderes als die Piraten der frühen Neuzeit, und als solche werden wir sie auch behandeln. Es gibt keine Schonung mehr für sie! Wir haben auch andere Mittel, mit den VOR fertig zu werden und brauchen uns nicht auf dieses Schiff zu fixieren.“
Isabel fragte sich, von welchen anderen Mitteln er sprach, aber das würde wohl wieder sein Geheimnis bleiben.
In ihrem Privatleben sah es nicht viel anders aus. Mittlerweile bewohnte sie ein Apartment im Wohnflügel des Regierungspalastes, das Smith für sie komfortabel hatte einrichten lassen. Es war für ihn bequem über einige bewachte Gänge zu erreichen und ermöglichte es ihm, sie immer dann zu treffen, wenn ihm danach war. Er machte allerdings keinerlei Anstalten, ihre Beziehung zu einer echten Partnerschaft zu erweitern. Es gab ihre berufliche Zusammenarbeit und ihre Affäre, nicht mehr. Noch nicht einmal hatte er Isabel in seine eigene Wohnung eingeladen. Gewiss, sie profitierte auch davon, zumindest, was ihre finanzielle Absicherung betraf. Der General machte ihr großzügige Geschenke, Schmuck, Bilder und Möbel für ihre Wohnung und Körbe mit Delikatessen. Zudem verfügte sie über ein Kreditlimit, das ihrem regulären Gehalt alles andere als angemessen war. Was er ihr nicht schenkte, konnte sie sich ohne weiteres auch selbst kaufen. Lieber wäre es ihr allerdings gewesen, er wäre ihr persönlich ein wenig näher gekommen, würde sie als Gefährtin sehen, die seine Sorgen mit ihm teilte, aber darauf wartete sie bisher vergebens. Sie hoffte verzweifelt, dass die Zeit für sie arbeiten würde und unternahm alles, um ihm zu zeigen, wie sehr sie auf seine Wünsche einzugehen bereit war. Sie kleidete sich, wie es ihm gefiel, kaufte sich edle Dessous, obwohl sie sich darin manchmal wie eine Prostituierte vorkam und bemühte sich sogar, seinen besonderen Vorlieben gerecht zu werden. Dazu quälte sie ihre Füße mit hochhackigen Kreationen, die ihrer Meinung nach die Bezeichnung Schuh kaum noch verdienten und zwängte sich selbst noch im Bett dort hinein, obwohl sie doch ihre bequemen Militärstiefel gewöhnt war. Zudem trainierte sie ihren Körper im Fitnessraum des Wohntraktes, um nur kein Pfund zuzunehmen und hielt eine strenge Diät. Dem General gefiel das, aber er redete deswegen kein Wort mehr mit ihr. Isabel stand am Rande der Verzweifelung. Seine Gefühlskälte trieb sie mehr und mehr in die Depression, auch wenn sie ihn das nicht merken ließ. Mehr und mehr litt sie unter der Distanz, die zwischen ihnen herrschte. Auch hier hatte sie schon versucht, sich selbst gegen ihre Gefühle abzustumpfen, sagte sich, dass sie es doch schlechter hätte treffen können, schließlich schlug er sie nicht und behandelte sie einigermaßen anständig, aber es gelang ihr nicht. Sie hatte ihn schon einmal zaghaft darauf angesprochen, aber er konnte oder wollte sie nicht verstehen.
Auch heute wollte sie es wieder versuchen. Es war der erste kühle Tag in Metropolis, der November hatte gerade begonnen. Sie hatte sich bemüht, eine romantische Stimmung zu schaffen, wollte das kalte, nasse Wetter vergessen machen. Draußen wurde es schon dunkel, aber Dutzende von Kerzen tauchten das Schlafzimmer in flackerndes, warmes Licht, während eine Duftlampe ein zartes Aroma verströmte. Sich selbst hatte sie noch sorgfältiger gepflegt als sonst und sie trug neue Spitzenwäsche und seine Lieblingsschuhe. Er aber hatte kaum mehr als ein kurzes Lächeln der Anerkennung aufgebracht und war wie üblich schnell zur Sache gekommen. Ein paar Küsse und Umarmungen, dann war es auch schon geschehen. Meistens dauerten ihre Treffen nicht länger als eine knappe Stunde, und auch heute schien er nicht länger bleiben zu wollen. Ein rascher Kuss zum Abschluss, dann schienen seine Gedanken wieder bei anderen Dingen zu sein.
„Willst du nicht wenigstens mal zum Essen bleiben?“, fragte sie gekränkt. „Ich könnte uns etwas Schönes kochen. Das kann ich nämlich gut.“
Er schlug schon das Laken beiseite, um nach seinen Kleidern zu greifen und setzte sich auf die Bettkante. „Du weißt doch, dass ich im Büro esse, Isabel. Ich habe jetzt keine Zeit mehr.“
„Könntest du dir nicht einmal ein bisschen Zeit nehmen?“ Sie drehte sich zu ihm herum und legte ihm die Hand auf den Rücken. Selbst ihre Hände sahen anders aus als früher, sie ließ sich jetzt die Nägel maniküren. Ob seine Frau sich auch solche Mühe gegeben hatte, ihm zu gefallen? Auf dem Foto, das noch immer auf seinem Schreibtisch stand, sah sie her ein bisschen pummelig aus, sie war wohl eher das gewesen, was man einen natürlichen Typ nannte. „Ich würde mich gern mit dir noch ein wenig unterhalten.“
„Worüber denn? Hat das nicht Zeit bis heute Abend? Vielleicht habe ich dann ein wenig Freiraum nach dem letzten Termin.“ In seine Stimme hatte sich ein ungeduldiger Unterton eingeschlichen, während er aufstand und seine Hose hochzog.
„Über nichts bestimmtes“, erwiderte sie und merkte zu ihrem Unbehagen, wie sich ein weinerlicher Ton in ihre Stimme einschlich. Gerade das hatte sie vermeiden wollen. „Ich will einfach ein wenig Zeit mit dir verbringen.“
„Zeit mit mir verbringen? Aber wir sehen uns doch jeden Tag im Büro. Ich möchte sogar wetten, dass du der Mensch bist, mit dem ich am meisten Zeit verbringe!“ Nun klang er gar ein wenig ironisch, was sie noch mehr verletzte. Sie fühlte, wie ihre Augen zu brennen begannen.
„Du weißt schon, ich meine kein dienstliches Treffen, sondern ein privates.“
„Und für was hältst du das, was wir hier tun? Etwa für dienstlich? Das will ich doch nicht hoffen.“ Langsam wandte er sich zu ihr um und sah sie prüfend an. Sein Blick maß sie kühl und sie merkte, wie er zunehmend ungeduldig wurde. Nun war er auch noch genervt von ihr, kein guter Ausgangspunkt für ein versöhnliches Gespräch. „Du willst doch etwas anderes, nicht wahr? Nun sag schon endlich, was los ist!“
„Ich möchte dich nicht nur im Bett sehen!“, platzte sie heraus. „Ich dachte, da wäre mehr!“
„Nun ich glaube nicht, dass du Grund zur Klage hast, meine Liebe“, meinte er kühl. „Ich habe dich beruflich vorangebracht und sorge auch sonst gut für dich. Was willst du also, eine größere Wohnung? Mehr Kleider? Darüber können wir reden, wenn du den Bogen nicht überspannst. Allerdings würdest du mich sehr enttäuschen, denn ich hätte nicht gedacht, dass du zu dieser Sorte gehörst.“ Er griff nach seinem Hemd, das er über einen Sessel geworfen hatte und streifte es über. Eilig schloß er die Knöpfe. „Ich dachte, du wüsstest, wie eingespannt ich bin und würdest mir helfen, mich ein wenig zu entspannen, aber du stellst nur Erwartungen an mich!“
„Es geht mir nicht um mehr Geschenke“, sagte sie verzweifelt. „Ich dachte, wir würden Freunde werden!“
„Meine Freundschaften baue ich gewöhnlich über Jahre hinweg auf“, sagte er kalt. „So, und jetzt muss ich wieder in mein Büro, und du hast sicherlich auch noch einiges zu tun.“
Isabel schwieg niedergeschlagen. Sie kam sich erniedrigt und beschmutzt vor, auch wenn ein Teil ihres Selbst schon neue Strategien erdachte, wie sie ihn wieder gewogen stimmen konnte. Auch wenn sie längst begriffen hatte, dass der General nicht dem Idealbild entsprach, das sie sich auf Asinara von ihm zusammengesponnen hatte, so trauerte sie diesem Idealbild noch immer hinterher und wollte es sich wiedererschaffen. Es musste einfach einen Weg geben, ihn anhänglicher zu stimmen. Mit der Zeit musste er endlich erkennen, was er an ihr hatte, welche treue Gefährtin sie ihm sein konnte, auch wenn es einmal nicht so gut für ihn lief.
Das Summen seines Mobiltelefons unterbrach ihre Gedanken. Es kam aus seiner Uniformjacke, die neben dem Hemd gelegen hatte. Smith klappte es auf und meldete sich knapp, worauf sein Gesprächspartner auf ihn einzureden begann. Isabel hielt gespannt den Atem an. Es musste etwas wichtiges sein, sonst hätte der Anrufer nicht diese Nummer gewählt, die nur für absolute Notfälle gedacht war. Sie hatte einmal erlebt, wie einer der Adjutanten den General wegen einer unbedeutenden Sache auf seinem Handy angerufen hatte und dieser vor Zorn fast explodiert wäre. Seitdem hatte jeder Besitzer dieser Telefonnummer begriffen, dass es ein absolutes Privileg war, sie zu kennen, auf das nur bei dringlichen Fällen zurückzugreifen war. Ein solcher Fall schien nun eingetreten zu sein. Selbst das sonnengebräunte Gesicht des Generals schien ein Nuance blasser zu werden. Sein Mund zog sich zu einem Strich zusammen.
„Wann ist das passiert?“, fragte er knapp und wartete kaum die Antwort seines Gegenübers ab. „Und dann erfahre ich das erst jetzt? Was sagt Major Bertram?“
Auch Isabel glitt nun aus dem Bett und suchte nach ihren Kleidern. Während Smith weiter telefonierte, schlüpfte sie eilig in ihre Uniform und versuchte dabei, das Gesprochene zu verfolgen.
„Was heißt das, Bertram hat die Situation nicht mehr unter Kontrolle? Verdammt, er verfügt dort unten über zehntausend Mann Besatzung und die modernsten Waffen, die wir zu bieten haben, wie kann er dabei die Kontrolle verlieren?“ Wieder konnte Isabel die Antwort nicht verstehen. „Die Terroristen haben das Steuerzentrum zerstört? Ja, wie konnten sie denn wissen, wo es sich befindet? Da gab es wohl eine Sicherheitslücke, das darf doch einfach nicht wahr sein!“ Er ballte die freie Hand zur Faust.
Isabel fragte sich, wovon er redete. Was für ein Steuerzentrum meinte der General bloß? Und wo hatte dieser terroristische Anschlag stattgefunden, doch wohl nicht hier in Metropolis? Während sie weiter lauschte, ging sie herum und blies die so nutzlosen Kerzen aus. Es fehlte noch, dass die Wohnung wegen ihres dilettantischen Versuchs, den General romantisch zu stimmen, abbrannte. Zumal es ihm wahrscheinlich herzlich egal gewesen wäre.
„Ich komme ins Kontrollzentrum“, meinte Smith entschieden. „Setzen Sie unterdessen alles daran, das Schiff aufzubringen! Wir können uns eine Blamage dieser Art einfach nicht leisten!“ Wütend klappte er sein Handy zusammen.
„Willst du mir erzählen, was los ist?“, fragte Isabel vorsichtig.
„Das kann ich unterwegs machen“, erwiderte er unwirsch. „Aber ich habe eine Aufgabe für dich: Hol meinen Stab zusammen, so schnell wie möglich. Ich will eine Krisensitzung abhalten. So eine verdammte Scheiße!“ Mit einer heftigen Bewegung zog er sich seine Uniformjacke an, Isabel fürchtete fast, der Stoff könne reißen. Dann trat er kurz vor den Spiegel über ihrer Frisierkommode und fuhr sich durch das Haar, um es wieder in Ordnung zu bringen. Bei aller Aufregung wäre er nie unordentlich vor seinem Stab erschienen.
Eine Stunde später hatte Isabel sämtliche Stabsoffiziere im kleinen Konferenzraum neben Smiths Büro versammelt, auch wenn sie immer noch nicht wusste, was die Aufregung verursacht hatte. Sie hatte sogar noch die Zeit gefunden, für Kaffee und andere Erfrischungsgetränke zu sorgen. Die Offiziere warteten derweil gespannt auf den General, der sich noch immer in der Raumüberwachung aufhielt. Die meisten kannte Isabel zumindest vom Sehen, so etwa General Manuel Rodriguez, den Chef des militärischen Geheimdienstes, oder General Conti, der sich ihr gegenüber immer sehr charmant verhielt. Auch Colonel Danielle Laloux war da, welche die Bodenstreitkräfte befehligte. Gerüchten zufolge wartete sie sehnlichst darauf, auch in den Rang eines Generals erhoben zu werden, da ihre Befehlsgewalt längst diesem Dienstgrad entsprach. Aber Smith ließ sie noch warten, aus welchem Grund auch immer. Die fünfzehn Männer und Frauen unterhielten sich flüsternd miteinander, so als fürchteten sie, dass jedes laute Wort das geschehene Unheil noch verschlimmern könnte. Auch wagte niemand, sich an den Getränken zu bedienen. Spekulationen machten die Runde, was geschehen sein konnte. Bisher wussten wohl nur der General und die strategische Raumflotte davon.
Endlich erschien Smith durch eine Seitentür. An seiner Seite befand sich einer seiner Adjutanten. Der General unterließ es, die Runde zu begrüßen und gab seinem Begleiter stattdessen ein Handzeichen, worauf dieser einen großen Monitor an der Stirnseite des Raumes einschaltete. Ein Lageplan erschien darauf, wohl der eines Militärstützpunktes. Es waren Gebäude darauf eingezeichnet, aber auch verschiedene Übungsplätze und ein Landefeld für Versorgungsschiffe. Symbole markierten festmontierte Lasergeschütze zur Abwehr von Angriffen aus der Luft, aber auch mobile Laserbatterien waren eingezeichnet. Der General stellte sich neben den Monitor.
„Das, meine Damen und Herren“, begann Smith, „ist unser Spezialgefängnis für spezielle politische Gefangene in der Sahara, auf dem Gebiet des ehemaligen Algerien. Es ist nicht irgendeine Haftanstalt, sondern ein überaus komfortables Habitat für spezielle Häftlinge, die früher hohe Ämter bekleidet haben und nun durch unsere Wissenschaftler in unserem Sinne konditioniert werden sollen. Jeder dieser speziellen Häftlinge findet dort eine ihm möglichst vertraute Umgebung vor, womit wir Ablenkung durch den mit Umgewöhnungen verbundenen Stress möglichst vermeiden wollen.“ Das Bild wechselte und man sah eine Reihe von Wohncontainern, deren breite Fensterfronten von innen durch verschiedene Gardinen und Rollos abgeschirmt wurden. „Auch der von uns allen verehrte Präsident Hirschmann war dort untergebracht, er sollte dort an seinen Memoiren arbeiten, die selbstverständlich in unserem Sinne abgefasst werden sollten.“ An dieser Stelle gönnte sich der General ein leises ironisches Lachen. „Leider sollte es dazu nicht mehr kommen.“
Isabel sah ratlose Gesichter rund um den Konferenztisch. Hirschmanns Unterbringung in diesem seltsamen Lager war wohl nicht allen Stabsmitgliedern bekannt gewesen, Smith hatte es wohl nicht für nötig befunden, sie einzuweihen. Wieder einer seiner Alleingänge, wie er sie oft durchführte. Sie ahnte bereits, worauf er hinaus wollte und wunderte sich, wie gelassen er noch blieb. Irgendetwas war in diesem Gefängnis furchtbar schief gelaufen. Wahrscheinlich spielte Hirschmann Smiths Spiel einfach nicht mit, aber man konnte den alten Mann auch nicht einfach ausschalten. Die Empörung der Bevölkerung, wäre eine solche Hinrichtung publik geworden, wäre zu groß gewesen.
„Nun, ich sage bewusst, Hirschmann war in diesem Lager, denn nun ist er es nicht mehr.“ Am Tisch erhob sich ungläubiges Gemurmel, aber niemand wagte es, eine Frage an den General zu richten. „Vor etwa einer Stunde erreichte mich die Nachricht, dass Hirschmann aus dem Gefängnis heraus geholt wurde.“ Sein Mund wurde zu einem verkniffenem Strich. „Und das nicht etwa von einer Armee, denn eine Armee von etwa zehntausend unserer gehorsamsten Soldaten bewacht die Gefangenen dort. Zehntausend Soldaten! Ausgestattet mit Laserbatterien, Abwehrgeschützen und schweren Handwaffen! Wenn eine Armee der VOR dort einmarschiert wäre, dann wäre eine Niederlage unter Umständen nicht zu vermeiden gewesen, aber es fielen keine fremden Bataillone dort ein, sondern ein einzelnes Schiff, nämlich das Schiff, dessen Aufbringung mir seit Wochen ein Hauptanliegen ist! Irgendwie ist es denen gelungen, sowohl unseren orbitalen Verteidigungsgürtel als auch die Bewachung des Lagers zu übertölpeln und uns wie Idioten dastehen zu lassen!“ Nun erstarb auch das Gemurmel um den Tisch und machte ängstlichem Schweigen Platz. Der General hatte eine weitere Niederlage einstecken müssen, und dafür würden Köpfe rollen. Manch einer der Offiziere mochte jetzt schon Stoßgebete zum Himmel senden, es möge seinen Nachbarn treffen und nicht ihn selbst. General Conti umklammerte die Lehnen seines Stuhles so fest, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten, Rodriguez neben ihm wurde bleich. „Wie mir berichtet wurde, hatte die Delta VII eine Truppe von einem guten Dutzend Rangern dabei, die ihn das Hauptgebäude eindrangen und den Präsidenten herausholten. Nicht nur gelang ihnen dieser Überfall, nein, Delta VII konnte anschließend auch nahezu unbehelligt starten und in Richtung der Venuskolonie entkommen. Unbehelligt! Ich dachte, ich höre nicht richtig, als mir davon berichtet wurde! Wir hatten keine Chance, das Schiff noch abzufangen! Haben Sie überhaupt eine Ahnung, welche politischen Konsequenzen das nach sich ziehen wird? Zum Vergnügen haben diese Terroristen den Altpräsidenten wohl kaum entführt!“
„Die Venuskolonie will sich als unabhängigen Staat proklamieren“, seufzte Manuel Rodriguez niedergeschlagen. „Deswegen haben sie Hirschmann geholt. Sie brauchen eine Symbolfigur.“
„Sie haben es erfasst, Rodriguez!“, rief Smith mit ironischer Anerkennung. „Genau das wird passieren. Ich wette mit Ihnen, dass keine zwei Stunden, nachdem Hirschmann dort eingetroffen ist, eine entsprechende Proklamation über die Medien verbreitet wird. Medien, die wir noch nicht vollständig kontrollieren können, wenn sie über den richtigen Satelliten gesendet werden.“
„Aber wir können den Menschen untersagen, diese Piratensender zu sehen“, warf General Friedrichs, eines der ältesten Mitglieder der Runde ein.
„Dann ist das Unglück aber schon passiert“, widersprach Rodriguez. „Wenn die Botschaft einmal in den Köpfen der Menschen drin ist, können wir nicht mehr viel tun. Das wird in jedem Fall für Unruhe sorgen.“
„Hat auch einmal jemand von Ihnen an die außenpolitischen Konsequenzen gedacht?“, fragte Smith wütend. „Die VOR werden sicherlich nicht lange warten, bis sie dort an die Tür klopfen und scheinheilig ihre Unterstützung anbieten. Nebenbei werden sie sich einen Einblick in unsere Technologien verschaffen wollen, vielleicht auch in die Technologie der Delta VII. Sicherlich auch in diese Technologie! Wissen Sie, was das bedeutet? Wir werden bald von Kopien dieses Schiffes angegriffen werden, das von Rechts wegen eigentlich das unsere sein sollte! Unsere Überlegenheit im Raum steht auf dem Spiel!“
„Auch die VOR können die Delta VII nicht ohne weiteres nachbauen, Sir“, meinte Conti vorsichtig. „Sie verfügen ebenso wenig über die Pläne wie wir.“
„Das gewährt uns vielleicht einige Monate Aufschub“, erwiderte Smith ärgerlich. „Aufschub, nicht mehr! Wollen Sie es etwa darauf ankommen lassen? Ich jedenfalls nicht.“ Er atmete tief ein. „Für mich gibt es daher nur eine Konsequenz daraus zu ziehen: Wenn wir Delta VII nicht selbst haben können, so müssen wir zumindest alles daran setzen, das Schiff zu vernichten, während wir an der Verbesserung unserer eigenen Raumflotte arbeiten!“
„Delta VII vernichten?“, fragte Conti ungläubig. „ich dachte, das Aufbringen hätte oberste Priorität?“
„Dann haben sich die Prioritäten eben geändert!“ Der General hieb mit der Faust auf den Tisch. „Noch einmal lasse ich mich von diesem Schiff und seiner Besatzung jedenfalls nicht so vorführen! Diese Männer sind nichts anderes als die Piraten der frühen Neuzeit, und als solche werden wir sie auch behandeln. Es gibt keine Schonung mehr für sie! Wir haben auch andere Mittel, mit den VOR fertig zu werden und brauchen uns nicht auf dieses Schiff zu fixieren.“
Isabel fragte sich, von welchen anderen Mitteln er sprach, aber das würde wohl wieder sein Geheimnis bleiben.
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