Die Herrschaft des Phönix
von Mirjam Lea
Kurzbeschreibung
General Smith konnte aus der Gefangenschaft entkommen und schickt sich ein zweites Mal an, die Herrschaft in der EAAU zu übernehmen. Aber auch seine grausamen Methoden schaffen es nicht, jeden Widerstand erlahmen zu lassen... (Anmerkung: Es handelt sich um eine radikale Neufassung von der Innere Zirkel, die jetzt auf Gleichgewicht des Schreckens ausbaut.)
GeschichteDrama / P16 / Gen
Gordon B. Smith
Samuel Hirschmann
19.08.2009
28.09.2010
27
114.525
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19.08.2009
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Jean Delacroix liebte das Golfspielen am frühen Morgen, wenn der Platz noch nicht so sehr überlaufen war und mehr Elektromobile als Spieler über den Rasen eilten. Vor zwei Jahren war er pensioniert worden nach einem ereignisreichen Berufsleben in der Vorstandsetage einer der großen Banken der Hauptstadt, daher genoss er diesen geruhsamen, entspannenden Sport. Der Golfclub im Norden der Stadt war einer der exklusivsten von Metropolis, die Beiträge hier waren so horrend, dass das gemeine Volk sie sich im Allgemeinen nicht leisten konnte, ein weiterer Vorzug, den Delacroix schätzte, hier blieb man unter sich. Zu den Mitgliedern zählten erfolgreiche Schönheitschirurgen, andere Bankleute, gut bezahlte Wissenschaftler aus der führenden Industrie und wohlhabende Privatiers. Man war oberflächlich miteinander befreundet und traf sich hin und wieder zum Essen im vornehmen Clubhaus oder nahm dort einen Drink an der Bar. Seitdem der General vor einigen Tagen die Macht im Staate innehatte – eine Tatsache, die Delacroix im Interesse der allgemeinen Ordnung sehr begrüßte – hatten sich auch einige hohe Offiziere der neuen Militärregierung dort eingestellt. Sie interessierten sich freilich meist mehr für die gesellschaftlichen Zusammenkünfte als für das Golfspiel.
So früh am Morgen allerdings ließ sich kaum jemand auf dem gepflegten Rasen blicken. Nur ein paar eifrige Vögel zwitscherten in den Büschen vor sich hin. Es war ein sonniger Tag, angenehm warm, aber nicht mehr so brütend heiß wie im Sommer. Auf den Grashalmen lag sogar noch ein wenig Tau.
Gewöhnlich tauchten die meisten anderen Spieler erst am frühen Nachmittag im Club auf. Delacroix schnippte einen verirrten Grashalm von seinem neuen Schuh und widmete sich dann der sorgfältigen Auswahl des passenden Schlägers für seinen nächsten Schlag. Er hatte knapp am sechsten Loch vorbei gezielt und gedachte, den Ball nun erfolgreich darin zu versenken. Manchmal gelang es ihm noch nicht, so zu schlagen, wie er es sich erhofft hatte, vielleicht würde er noch ein paar Stunden bei dem unsympathischen Trainer nehmen müssen, der teuer, aber ohne Zweifel sehr fähig war. Noch einmal nahm er Maß und versuchte dann, den richtigen Schwung zu finden. Der kleine weiße Ball rollte zunächst zielstrebig auf das Loch zu, vollführte dann aber einen eleganten Schlenker darum herum. Delacroix fluchte leise in sich hinein. Verdammter Mist, zum Glück hatte das niemand gesehen! Er hätte sich nur ungern vor seinen erfahreneren Golffreunden blamiert.
Hinter sich hörte er das leise Summen eines Golfmobils. Er fluchte erneut. Seine Konzentration war dahin, und er dachte nur noch darüber nach, wer ihn wohl dabei erwischen würde, wie er an diesem verfluchten Loch herum werkelte. Lässig, wie er hoffte, legte er den Schläger über seine Schulter und wandte sich um. Er erkannte den Golfwagen von Lisa Elfman und wurde noch verkrampfter. Die attraktive Geschäftsfrau, eine Mittvierzigerin, die er durchaus anziehend fand, sollte so ziemlich als letzte sehen, wie er sich hier abmühte. Schon hatte sie ihn entdeckt und winkte ihm zu, er winkte eifrig zurück und setzte ein charmantes Lächeln auf. Kurz darauf brachte sie ihren Wagen neben ihm zum Stehen.
„Guten Morgen, Jean, so früh schon sportlich aktiv?“, begrüßte sie ihn. „Also, wenn ich mal im Ruhestand bin, werde ich sicherlich morgens erst einmal ausschlafen!“ Sie lachte fröhlich.
Delacroix hasste es, derart unverblümt an sein fortgeschrittenes Alter erinnert zu werden und das von einer attraktiven Frau. Nun, auch Lisa Elfman färbte sich bereits das Haar, wie er mit leiser Schadenfreude erkannte. „Ich mag es nicht, wenn zu viele Leute auf dem Platz unterwegs sind“, erwiderte er, um Ungezwungenheit bemüht. „Ich liebe die Ruhe hier am frühen Morgen, wenn noch nicht allzu viele Leute unterwegs sind. Man kann sich ganz auf das Spiel konzentrieren.“
„Mit der Ruhe wird es bald vorbei sein, wenn noch mehr Neulinge zu uns stoßen, die vom Golfspielen genauso viel verstehen wie ich von der Raumfahrt.“
Delacroix begriff, auf wen sie anspielte und sah sich unwillkürlich um. Zwar zählte er sich zu den Anhängern des Generals, aber ihm war durchaus bewusst, welche Maßnahmen der Überwachung die neue Regierung anwandte. Das elektronische Netzwerk galt als ziemlich lückenlos, wer konnte schon wissen, ob sich in dem Hortensienbusch hinter ihm nicht eine Überwachungsdrohne verbarg oder gar ein leistungsfähiger Satellit seine Mikrofone auf den Platz gerichtet hielt? Er legte keinen Wert darauf, sich wegen einer unbedarften Bemerkung Ärger einzuhandeln. „Nun, jeder von uns hat einmal klein angefangen“, meinte er ausweichend. „Bisher sehe ich die Exklusivität unseres Clubs nicht gefährdet.“
„Nun, und wenn es die neue Elite ist, die zu uns stößt!“ Sie lachte ein wenig herablassend, und Delacroix dachte unwillkürlich, dass sie sorgfältiger mit ihren Worten umgehen sollte. Wenn sie schon nichts von den neuen Machthabern hielt, so sollte sie es sich wenigstens nicht anmerken lassen. Vielleicht sah sie in General Smith einen ungehobelten Emporkömmling, aber es konnte unangenehme Folgen haben, das auch durchblicken zu lassen.
„Was zum Teufel ist denn das?“, rief sie plötzlich aus und blickte auf einen Punkt in der Ferne. „Das darf doch wohl nicht wahr sein! Schläft denn die Sicherheit noch, oder was?“
Delacroix folgte ihrem Blick und kniff die Augen ein wenig zusammen, um besser sehen zu können. Vielleicht hing sein mäßiges Handicap beim Spiel auch mit einer immer weiter voran schreitenden Kurzsichtigkeit zusammen, die er sich nicht recht eingestehen wollte. Aber selbst er erkannte eine Gruppe von Menschen, die über den gepflegten Rasen stapfte und eindeutig nicht hierher gehörte. Zwei Frauen, eine weiß und die andere schwarz wie die Nacht, und beide hatten Kinder im Schlepptau, als wenn dies hier ein Spielplatz wäre. Glaubten diese Leute denn, es handele sich um einen öffentlichen Spielplatz? Jetzt blieb die kleine Gruppe auch noch stehen und wartete auf etwas. Delacroix hätte sich nicht gewundert, wenn die Frauen eine Decke auf dem Rasen ausgebreitet und ein Picknick darauf serviert hätten. Er griff zu seinem Mobiltelefon.
„Ich werde mal im Clubhaus anrufen“, meinte er und begann die Nummer einzutippen. „Hoffentlich geht schon jemand ran, ich weiß nicht, ob das Büro besetzt ist oder unser Clubwart noch schläft.“
„Auf jeden Fall werde ich eine deftige Beschwerde einreichen. Fremde Kinder haben hier nun wirklich nichts zu suchen.“
Plötzlich brach auch über ihren Köpfen die Hölle los und machte es ihnen unmöglich, sich weiter über die ungebetenen Besucher auszutauschen. Ein lautes Dröhnen, wie es üblicherweise von den Triebwerken eines Raumschiffes erzeugt wurde, brachte die Luft zum Vibrieren. Aber das war eigentlich unmöglich, denn die Einflugschneise des nächsten Landefeldes lag meilenweit entfernt, und üblicherweise hörte man die Fluggeräusche nur als entferntes Brummen. Beide wandten ihre Köpfe nach oben, und tatsächlich, da schwebte es, der graue Körper eines schweren Kreuzers, dessen Bauart Delacroix unbekannt war. Das Schiff schickte sich doch tatsächlich an, auf dem sorgfältig gepflegten Rasen zu landen! Delacroix verschlug es die Sprache. Was, zum Teufel, ritt den Piloten dieses Schiffes, auf einem Golfplatz zur Landung anzusetzen? Er schwor sich, dass er alles daran setzen würde, dass dieser Wahnsinnige seine Fluglizenz verlor. Das konnte doch nur ein übler Scherz sein! Wer kam bloß auf eine so abwegige Idee? Lisa Elfman neben ihm schimpfte erfolglos gegen den Lärm an.
Die Steuerdüsen des Schiffes begannen bereits die Rasenfläche zu versengen. In die Besuchergruppe auf dem Rasen kam Bewegung, sie begann, auf den ungewöhnlichen Landeplatz zu zu laufen, als gäbe es eine Verabredung mit der Besatzung des Schiffes. Hier ging offensichtlich etwas Illegales vor sich, für das sich die III. Abteilung brennend interessieren würde. Wahrscheinlich war es Delacroix' Bürgerpflicht, diese sofort zu verständigen, aber er wusste nicht, welche Nummer er dafür wählen musste. Während er noch überlegte, setzte das Schiff etwa fünfzig Meter von ihnen entfernt auf und begann, seine Rampe auszufahren.
Fassungslos beobachteten sie, wie dort zwei uniformierte Beamte der III. Abteilung auftauchten, deren Hände auf den Rücken gefesselt waren. Ihnen folgte ein ebenfalls gefesselter Zivilist, den ein kräftig gebauter grauhaariger Mann in einem Flugoverall vor sich her trieb. Der Grauhaarige ging dabei nicht sonderlich sanft vor, sondern stieß den Zivilisten grob vor sich her und bedeutete ihm mit einigen Handzeichen, sich vom Schiff zu entfernen. Der Mann stolperte fast über seine eigenen Füße, als er dieser Aufforderung nachkam, dabei fluchte er unablässig. Delacroix wurde sich bewusst, dass sie hier Zeugen einer unglaublichen Rebellion gegen die neuen Machthaber wurden und hielt gespannt den Atem an. Hier bereitete jemand eine Flucht vor dem Zugriff der Regierung vor! Diese Leute waren eindeutig lebensmüde, wenn sie glaubten, einer Militärmacht wie der der Reinigenden Flamme entgehen zu können.
Die beiden Frauen und die Kinder hatten das Schiff schon fast erreicht, als eines der Kinder stolperte. Seine Mutter zog es eilig wieder auf die Füße und nahm es an die Hand. Der Grauhaarige eilte der Gruppe entgegen und half ihr beim Einsteigen, doch auch, als alle im Bauch des Schiffes verschwunden waren, startete es noch nicht, so als ob es noch auf einen Nachzügler warten würde.
„Das ist unglaublich!“, rief Lisa Elfman gegen den Lärm an, und fast konnte man meinen, dass in ihrer Stimme ein Hauch von Anerkennung mitschwang. Dieser Eindruck bestätigte sich, als sie auch noch zu lachen anfing. „Die haben vielleicht Nerven!“
Delacroix Plan, die III. Abteilung zu verständigen, wurde unterdessen überflüssig, denn über den Rasen hielten einige Laserbatterien auf das Schiff zu. Dort, wo sie entlang schwebten, bildeten sich tiefe Furchen im Feld, das nahezu umgepflügt wurde. Es würde Monate dauern, den Platz wieder bespielbar zu machen. Nun endlich fuhr das Schiff seine Rampe zu und machte sich zum Start bereit.
„Sehen Sie mal, da kommt noch jemand!“ Lisa Elfman deutete auf eine junge, rothaarige Frau, die über den Platz rannte. „Die hat es wohl nicht rechtzeitig zu ihrem Rendezvous geschafft.“
Das Schiff hob ab kurz bevor die Laserbatterien das Feuer eröffneten. Es entging nur knapp den tödlichen Energiestrahlen und entschwand rasch in den blauen Himmel hinein. Die Batterien feuerten ihm noch eine Weile hinterher, bis die Besatzungen erkannten, dass dies wohl sinnlos geworden war und man diese Aufgabe der Raumüberwachung von Metropolis überlassen musste. Eines der silbrig glänzenden Ungetüme machte Halt und spie seine Besatzung auf den Rasen aus, welche auf die starr dastehende Rothaarige zulief, die sich ihrer Verhaftung nicht widersetzte. Der Zivilist und seine beiden Gefolgsleute bewegten sich auf Delacroix und Lisa Elfman zu und langten kurz darauf schwer atmend bei ihnen an.
„Machen Sie mir so rasch wie möglich die Fesseln ab!“, befahl der Zivilist barsch und ungeduldig, „und dann geben Sie mir Ihr Telefon, aber schnell!“
„Na hören Sie mal!“, wehrte sich Delacroix.
„Ich kann Sie auf der Stelle verhaften lassen, wenn Sie meinen Anordnungen nicht Folge leisten!“, ereiferte sich der Mann weiter. „Sie wollen doch nicht wegen Beihilfe zur Republikflucht angezeigt werden?“
Während Lisa Elfman lächelnd zusah, machte sich Delacroix an den Fesseln des Mannes zu schaffen und überließ ihm anschließend sein Telefon.
***
Im Luft- und Raumüberwachungszentrum des Verteidigungsministeriums herrschte wilde Aufregung, als Smith dort eintraf und von einem sichtlich ramponierten Juan Segovia empfangen wurde. Segovia hatte seit jener Katastrophe am Morgen noch nicht die Zeit gefunden, sich umzukleiden, weil er zunächst versucht hatte, die Sache in den Griff zu bekommen ohne den General oder das Hauptquartier zu informieren. Zu groß war seine Blamage und die ihm zugefügte Demütigung!
Die Geräusche der Überwachungsbildschirme, ferne Funksprüche und die gedämpften Gespräche der Controller erfüllten das Zentrum, einige von ihnen liefen mit Meldungen hin und her, als könne ihre Betriebsamkeit noch etwas an der verheerenden Situation ändern. Smith starrte ungläubig auf den großen Radarschirm in der Mitte des Raumes, auf dem sich einige Lichtpunkte mit hoher Geschwindigkeit bewegten, einer außerordentlich rasch, die anderen immer noch schnell, aber nicht schnell genug, um den einen Punkt noch einholen zu können.
„Das darf doch nicht wahr sein, Segovia!“ Der General schlug mit der Faust so fest auf den Kartentisch vor dem Schirm, dass einige dort abgestellte Kaffeebecher gefährlich ins Wanken gerieten. Auch wenn sein Problem im Moment ein weitaus größeres als das einiger regelwidrig abgestellter Becher war, reizte diese Tatsache ihn zusätzlich. Er stieß einen unflätigen Fluch aus und fegte einige der unschuldigen Tassen mit einer Handbewegung von der Tischplatte, wo sie zerbarsten und ihren Inhalt über den Boden verteilten. „Wie können Sie so dämlich sein und auf einen so uralten Trick hereinfallen? Sie wussten doch genau, dass Harris alles daran setzen würde, Ihnen zu entkommen! Warum verdammt hatten Sie nur zwei Männer dabei?“
Segovia wand sich wie eine Schlange und blieb eine Antwort schuldig. Der kleine schmächtige Mann wusste nur zu genau, dass er sich selbst überschätzt und damit Commander Harris in die Hände gespielt hatte. Harris war ruhig gewesen, zu ruhig für einen Mann, der keinen Ausweg aus seiner Situation sah. Aber wie hätte er voraussehen können, dass der Commander auch mit seiner Mannschaft und deren Familien die Flucht voraus geplant hatte? Das Überwachungsnetzwerk der III. Abteilung galt als absolut sicher, die Beamten aber hatten nichts Verdächtiges gemeldet, keine seltsam anmutenden Gespräche oder auch nur Andeutungen. Nun gut, der Navigator hatte etwas davon erzählt, er wolle seiner Frau auf der Venus ein Kleid kaufen, aber was sagte das schon aus? Der Bordingenieur hatte sich gar mit dem zu ihm entsendeten informellen Mitarbeiter des Geheimdienstes recht gut unterhalten – der Afrikaner hatte ihn in die Kunst des Trommelns eingewiesen, nachdem sie gemeinsam ein paar Schnäpse zu viel auf das Wohl des Generals getrunken hatten. Die III. Abteilung hatte daraus geschlossen, dass die Delta VII Besatzung sich mit ihrem Schicksal abgefunden hatte und keinerlei Widerstand leisten würde, schon um ihrer Familien willen nicht.
Der General tobte weiter, so dass Segovia der Notwendigkeit einer Antwort vorerst enthoben war, und der Professor durfte sich eine lange Liste von Beschimpfungen bezüglich seiner nicht vorhandenen Kompetenz anhören. Zwischenzeitlich brachte ihm ein Adjutant eine Liste von Geschwadern, deren Position eventuell zuließ, Delta VII noch abzufangen, bevor das Schiff außer Reichweite geriet oder aber in die Sicherheitszone der Venus, die vorerst tabu blieben musste, so sehr Smith auch versucht sein mochte, sich um des Schiffes willen mit Alexander Repin anzulegen.
„Haben Sie die Schiffe bereits auf Kurs gebracht?“ fragte der General gereizt.
„Nein, Sir, wir wollten zuerst Ihren Befehl....“
„Bewegen Sie gefälligst Ihren Arsch und setzen Sie sich mit den Geschwaderkommandanten in Verbindung, Sie Idiot!“
Der Mann flitzte davon, ohne den Befehl zu bestätigen, während Smith ihm ungläubig hinterher sah. Gewiss, die von ihm eingeführten strengeren Befehlsstrukturen mochten dazu verleiten, kein Risiko mit eigenen Entscheidungen einzugehen, aber ein wenig selbständiges Denken sollte doch noch bei seinen Offizieren vorhanden sein. Er fluchte nochmals unflätig vor sich hin und überließ sich ganz seinem Zorn. Commander Harris und seine Crew mochten sich in diesem Moment über seine Dummheit ins Fäustchen lachen, und dieser Gedanke traf ihn am härtesten von allen anderen Überlegungen. Vier Männer, die noch nicht einmal eine militärische Ausbildung genossen hatten - von Harris einmal abgesehen – übertölpelten seine Bodentruppen und die erdnahen Geschwader! Daran musste sich etwas ändern, eine engmaschigere Überwachung des Luftraums über Metropolis musste her. Mit Schaudern dachte er daran, wie leicht ein Geschwader der Asiaten in die Hauptstadt einfallen konnte, wenn man ein einziges Schiff noch nicht einmal daran hindern konnte, aus der Stadt zu fliehen, auch mit diversen Bodentruppen nicht. Dabei war Delta VII noch nicht einmal schwer bewaffnet – nun, um Segovias Ehre zu retten, musste er dem Professor wenigstens in soweit zu Gute halten, in diesem Falle Recht gehabt zu haben, als er keinen Totalangriff auf das Schiff befohlen hatte, denn ein Haufen Schrott nutzte der neuen VEGA noch weniger als ein geflohenes Schiff.
Mittlerweile konnte Smith es als sicher betrachten, dass die erdnahen Streitkräfte keine Chance mehr hatten, die Delta VII noch einzuholen und ein Dutzend Controller an den Überwachungsschirmen duckte sich vorsorglich unter die Lehnen ihrer Sessel, um einem erneuten Wutausbruch des Generals zu entgehen. Dieser aber wurde zunehmend von Resignation erfasst, wenn er daran dachte, wie lange es dauern würde, aus diesen Männern und Frauen eine vernünftig agierende Mannschaft zu schmieden. Er dachte einen Moment darüber nach, Montero in diese Abteilung zu versetzen, auch wenn sie vielleicht noch nicht erfahren genug dafür war. Sie aber verstand es, seine Befehle in die Tat umzusetzen.
Ein anderer Gedanke kam ihm, der ihm keine Ruhe ließ, nämlich die Frage nach der Vorbereitung der Flucht. Im Gegensatz zu Segovia hatte er die Berichte des Geheimdienstes noch nicht gesehen – da er sie bisher für überflüssig gehalten hatte – gedachte nun aber, dies nachzuholen. Zunächst einmal beorderte er Colonel Dumont in die Zentrale und bat ihn um entsprechende Abschriften der Gesprächsprotokolle. Noch vor Dumonts Eintreffen erreichte ihn allerdings die nächste Hiobsbotschaft, diesmal durch einen anderen seiner Adjutanten, so als hätten sie untereinander vereinbart, seinen Unmut gerecht unter sich aufzuteilen. Diesmal schickten sie einen weiblichen Major, als ändere dies etwas an der Nachricht, welche die Ärmste zu überbringen hatte.
„Sir, ich habe hier die Flugzeitberechnungen der Patrouillen in der Nähe des Kurses der Delta VII“, begann sie vorsichtig und sah dabei aus, als sei sie bereit, jederzeit einen Schritt rückwärts zu springen. „Es gibt nur ein Geschwader von Tauruszerstörern, welches das Schiff aufhalten könnte, aber es müsste dazu durch den Sicherheitsbereich der Venus fliegen...wir waren uns nicht sicher, ob...“
„So, Sie waren sich nicht sicher?“ Seine Stimme nahm einen beißenden Ton an. „Wir sind nicht sicher, ob wir ein einzelnes Zivilschiff aufhalten können, wollen uns aber mit Repin anlegen? Worüber sind Sie sich dabei nicht im Klaren, Major?“
„Wir dachten, die Ergreifung von Delta VII könnte Priorität...“
„Hören Sie, ich würde die Venus lieber heute als morgen der EAAU wieder angliedern, aber wir wollen doch die Reihenfolge nicht vertauschen, oder?“ Smith Stimme troff von Ironie. „Nur um es noch einmal klar zu stellen: Wir brauchen erst die Delta VII, bauen sie fein in mehreren Kopien nach und dann widmen wir uns der Venus, haben Sie das begriffen, oder soll ich es Ihnen aufschreiben?“ In der öffentlichen Propaganda sah das alles weitaus weniger kompliziert aus, aber man musste sich nun einmal den Fakten stellen. In Europa brodelte es, die Hauptstadt ächzte unter einer Verhaftungswelle nach der anderen und es gab noch kein wirkliches Machtmittel gegen all dies. Frustrierender konnte die Situation gar nicht mehr sein, auch wenn der General sich das nur zähneknirschend eingestand. Diese Runde hatte er verloren.
Inzwischen traf Dumont mit einem Stapel Akten unter dem Arm ein, die er dem General mit einer leichten Verbeugung überreichte, auch wenn Smith schon keine Lust mehr verspürte, einen Blick hineinzuwerfen. Dennoch dankte er dem Colonel und rief seinen Fahrer herbei – er wollte nur noch fort aus diesem Desaster.
So früh am Morgen allerdings ließ sich kaum jemand auf dem gepflegten Rasen blicken. Nur ein paar eifrige Vögel zwitscherten in den Büschen vor sich hin. Es war ein sonniger Tag, angenehm warm, aber nicht mehr so brütend heiß wie im Sommer. Auf den Grashalmen lag sogar noch ein wenig Tau.
Gewöhnlich tauchten die meisten anderen Spieler erst am frühen Nachmittag im Club auf. Delacroix schnippte einen verirrten Grashalm von seinem neuen Schuh und widmete sich dann der sorgfältigen Auswahl des passenden Schlägers für seinen nächsten Schlag. Er hatte knapp am sechsten Loch vorbei gezielt und gedachte, den Ball nun erfolgreich darin zu versenken. Manchmal gelang es ihm noch nicht, so zu schlagen, wie er es sich erhofft hatte, vielleicht würde er noch ein paar Stunden bei dem unsympathischen Trainer nehmen müssen, der teuer, aber ohne Zweifel sehr fähig war. Noch einmal nahm er Maß und versuchte dann, den richtigen Schwung zu finden. Der kleine weiße Ball rollte zunächst zielstrebig auf das Loch zu, vollführte dann aber einen eleganten Schlenker darum herum. Delacroix fluchte leise in sich hinein. Verdammter Mist, zum Glück hatte das niemand gesehen! Er hätte sich nur ungern vor seinen erfahreneren Golffreunden blamiert.
Hinter sich hörte er das leise Summen eines Golfmobils. Er fluchte erneut. Seine Konzentration war dahin, und er dachte nur noch darüber nach, wer ihn wohl dabei erwischen würde, wie er an diesem verfluchten Loch herum werkelte. Lässig, wie er hoffte, legte er den Schläger über seine Schulter und wandte sich um. Er erkannte den Golfwagen von Lisa Elfman und wurde noch verkrampfter. Die attraktive Geschäftsfrau, eine Mittvierzigerin, die er durchaus anziehend fand, sollte so ziemlich als letzte sehen, wie er sich hier abmühte. Schon hatte sie ihn entdeckt und winkte ihm zu, er winkte eifrig zurück und setzte ein charmantes Lächeln auf. Kurz darauf brachte sie ihren Wagen neben ihm zum Stehen.
„Guten Morgen, Jean, so früh schon sportlich aktiv?“, begrüßte sie ihn. „Also, wenn ich mal im Ruhestand bin, werde ich sicherlich morgens erst einmal ausschlafen!“ Sie lachte fröhlich.
Delacroix hasste es, derart unverblümt an sein fortgeschrittenes Alter erinnert zu werden und das von einer attraktiven Frau. Nun, auch Lisa Elfman färbte sich bereits das Haar, wie er mit leiser Schadenfreude erkannte. „Ich mag es nicht, wenn zu viele Leute auf dem Platz unterwegs sind“, erwiderte er, um Ungezwungenheit bemüht. „Ich liebe die Ruhe hier am frühen Morgen, wenn noch nicht allzu viele Leute unterwegs sind. Man kann sich ganz auf das Spiel konzentrieren.“
„Mit der Ruhe wird es bald vorbei sein, wenn noch mehr Neulinge zu uns stoßen, die vom Golfspielen genauso viel verstehen wie ich von der Raumfahrt.“
Delacroix begriff, auf wen sie anspielte und sah sich unwillkürlich um. Zwar zählte er sich zu den Anhängern des Generals, aber ihm war durchaus bewusst, welche Maßnahmen der Überwachung die neue Regierung anwandte. Das elektronische Netzwerk galt als ziemlich lückenlos, wer konnte schon wissen, ob sich in dem Hortensienbusch hinter ihm nicht eine Überwachungsdrohne verbarg oder gar ein leistungsfähiger Satellit seine Mikrofone auf den Platz gerichtet hielt? Er legte keinen Wert darauf, sich wegen einer unbedarften Bemerkung Ärger einzuhandeln. „Nun, jeder von uns hat einmal klein angefangen“, meinte er ausweichend. „Bisher sehe ich die Exklusivität unseres Clubs nicht gefährdet.“
„Nun, und wenn es die neue Elite ist, die zu uns stößt!“ Sie lachte ein wenig herablassend, und Delacroix dachte unwillkürlich, dass sie sorgfältiger mit ihren Worten umgehen sollte. Wenn sie schon nichts von den neuen Machthabern hielt, so sollte sie es sich wenigstens nicht anmerken lassen. Vielleicht sah sie in General Smith einen ungehobelten Emporkömmling, aber es konnte unangenehme Folgen haben, das auch durchblicken zu lassen.
„Was zum Teufel ist denn das?“, rief sie plötzlich aus und blickte auf einen Punkt in der Ferne. „Das darf doch wohl nicht wahr sein! Schläft denn die Sicherheit noch, oder was?“
Delacroix folgte ihrem Blick und kniff die Augen ein wenig zusammen, um besser sehen zu können. Vielleicht hing sein mäßiges Handicap beim Spiel auch mit einer immer weiter voran schreitenden Kurzsichtigkeit zusammen, die er sich nicht recht eingestehen wollte. Aber selbst er erkannte eine Gruppe von Menschen, die über den gepflegten Rasen stapfte und eindeutig nicht hierher gehörte. Zwei Frauen, eine weiß und die andere schwarz wie die Nacht, und beide hatten Kinder im Schlepptau, als wenn dies hier ein Spielplatz wäre. Glaubten diese Leute denn, es handele sich um einen öffentlichen Spielplatz? Jetzt blieb die kleine Gruppe auch noch stehen und wartete auf etwas. Delacroix hätte sich nicht gewundert, wenn die Frauen eine Decke auf dem Rasen ausgebreitet und ein Picknick darauf serviert hätten. Er griff zu seinem Mobiltelefon.
„Ich werde mal im Clubhaus anrufen“, meinte er und begann die Nummer einzutippen. „Hoffentlich geht schon jemand ran, ich weiß nicht, ob das Büro besetzt ist oder unser Clubwart noch schläft.“
„Auf jeden Fall werde ich eine deftige Beschwerde einreichen. Fremde Kinder haben hier nun wirklich nichts zu suchen.“
Plötzlich brach auch über ihren Köpfen die Hölle los und machte es ihnen unmöglich, sich weiter über die ungebetenen Besucher auszutauschen. Ein lautes Dröhnen, wie es üblicherweise von den Triebwerken eines Raumschiffes erzeugt wurde, brachte die Luft zum Vibrieren. Aber das war eigentlich unmöglich, denn die Einflugschneise des nächsten Landefeldes lag meilenweit entfernt, und üblicherweise hörte man die Fluggeräusche nur als entferntes Brummen. Beide wandten ihre Köpfe nach oben, und tatsächlich, da schwebte es, der graue Körper eines schweren Kreuzers, dessen Bauart Delacroix unbekannt war. Das Schiff schickte sich doch tatsächlich an, auf dem sorgfältig gepflegten Rasen zu landen! Delacroix verschlug es die Sprache. Was, zum Teufel, ritt den Piloten dieses Schiffes, auf einem Golfplatz zur Landung anzusetzen? Er schwor sich, dass er alles daran setzen würde, dass dieser Wahnsinnige seine Fluglizenz verlor. Das konnte doch nur ein übler Scherz sein! Wer kam bloß auf eine so abwegige Idee? Lisa Elfman neben ihm schimpfte erfolglos gegen den Lärm an.
Die Steuerdüsen des Schiffes begannen bereits die Rasenfläche zu versengen. In die Besuchergruppe auf dem Rasen kam Bewegung, sie begann, auf den ungewöhnlichen Landeplatz zu zu laufen, als gäbe es eine Verabredung mit der Besatzung des Schiffes. Hier ging offensichtlich etwas Illegales vor sich, für das sich die III. Abteilung brennend interessieren würde. Wahrscheinlich war es Delacroix' Bürgerpflicht, diese sofort zu verständigen, aber er wusste nicht, welche Nummer er dafür wählen musste. Während er noch überlegte, setzte das Schiff etwa fünfzig Meter von ihnen entfernt auf und begann, seine Rampe auszufahren.
Fassungslos beobachteten sie, wie dort zwei uniformierte Beamte der III. Abteilung auftauchten, deren Hände auf den Rücken gefesselt waren. Ihnen folgte ein ebenfalls gefesselter Zivilist, den ein kräftig gebauter grauhaariger Mann in einem Flugoverall vor sich her trieb. Der Grauhaarige ging dabei nicht sonderlich sanft vor, sondern stieß den Zivilisten grob vor sich her und bedeutete ihm mit einigen Handzeichen, sich vom Schiff zu entfernen. Der Mann stolperte fast über seine eigenen Füße, als er dieser Aufforderung nachkam, dabei fluchte er unablässig. Delacroix wurde sich bewusst, dass sie hier Zeugen einer unglaublichen Rebellion gegen die neuen Machthaber wurden und hielt gespannt den Atem an. Hier bereitete jemand eine Flucht vor dem Zugriff der Regierung vor! Diese Leute waren eindeutig lebensmüde, wenn sie glaubten, einer Militärmacht wie der der Reinigenden Flamme entgehen zu können.
Die beiden Frauen und die Kinder hatten das Schiff schon fast erreicht, als eines der Kinder stolperte. Seine Mutter zog es eilig wieder auf die Füße und nahm es an die Hand. Der Grauhaarige eilte der Gruppe entgegen und half ihr beim Einsteigen, doch auch, als alle im Bauch des Schiffes verschwunden waren, startete es noch nicht, so als ob es noch auf einen Nachzügler warten würde.
„Das ist unglaublich!“, rief Lisa Elfman gegen den Lärm an, und fast konnte man meinen, dass in ihrer Stimme ein Hauch von Anerkennung mitschwang. Dieser Eindruck bestätigte sich, als sie auch noch zu lachen anfing. „Die haben vielleicht Nerven!“
Delacroix Plan, die III. Abteilung zu verständigen, wurde unterdessen überflüssig, denn über den Rasen hielten einige Laserbatterien auf das Schiff zu. Dort, wo sie entlang schwebten, bildeten sich tiefe Furchen im Feld, das nahezu umgepflügt wurde. Es würde Monate dauern, den Platz wieder bespielbar zu machen. Nun endlich fuhr das Schiff seine Rampe zu und machte sich zum Start bereit.
„Sehen Sie mal, da kommt noch jemand!“ Lisa Elfman deutete auf eine junge, rothaarige Frau, die über den Platz rannte. „Die hat es wohl nicht rechtzeitig zu ihrem Rendezvous geschafft.“
Das Schiff hob ab kurz bevor die Laserbatterien das Feuer eröffneten. Es entging nur knapp den tödlichen Energiestrahlen und entschwand rasch in den blauen Himmel hinein. Die Batterien feuerten ihm noch eine Weile hinterher, bis die Besatzungen erkannten, dass dies wohl sinnlos geworden war und man diese Aufgabe der Raumüberwachung von Metropolis überlassen musste. Eines der silbrig glänzenden Ungetüme machte Halt und spie seine Besatzung auf den Rasen aus, welche auf die starr dastehende Rothaarige zulief, die sich ihrer Verhaftung nicht widersetzte. Der Zivilist und seine beiden Gefolgsleute bewegten sich auf Delacroix und Lisa Elfman zu und langten kurz darauf schwer atmend bei ihnen an.
„Machen Sie mir so rasch wie möglich die Fesseln ab!“, befahl der Zivilist barsch und ungeduldig, „und dann geben Sie mir Ihr Telefon, aber schnell!“
„Na hören Sie mal!“, wehrte sich Delacroix.
„Ich kann Sie auf der Stelle verhaften lassen, wenn Sie meinen Anordnungen nicht Folge leisten!“, ereiferte sich der Mann weiter. „Sie wollen doch nicht wegen Beihilfe zur Republikflucht angezeigt werden?“
Während Lisa Elfman lächelnd zusah, machte sich Delacroix an den Fesseln des Mannes zu schaffen und überließ ihm anschließend sein Telefon.
***
Im Luft- und Raumüberwachungszentrum des Verteidigungsministeriums herrschte wilde Aufregung, als Smith dort eintraf und von einem sichtlich ramponierten Juan Segovia empfangen wurde. Segovia hatte seit jener Katastrophe am Morgen noch nicht die Zeit gefunden, sich umzukleiden, weil er zunächst versucht hatte, die Sache in den Griff zu bekommen ohne den General oder das Hauptquartier zu informieren. Zu groß war seine Blamage und die ihm zugefügte Demütigung!
Die Geräusche der Überwachungsbildschirme, ferne Funksprüche und die gedämpften Gespräche der Controller erfüllten das Zentrum, einige von ihnen liefen mit Meldungen hin und her, als könne ihre Betriebsamkeit noch etwas an der verheerenden Situation ändern. Smith starrte ungläubig auf den großen Radarschirm in der Mitte des Raumes, auf dem sich einige Lichtpunkte mit hoher Geschwindigkeit bewegten, einer außerordentlich rasch, die anderen immer noch schnell, aber nicht schnell genug, um den einen Punkt noch einholen zu können.
„Das darf doch nicht wahr sein, Segovia!“ Der General schlug mit der Faust so fest auf den Kartentisch vor dem Schirm, dass einige dort abgestellte Kaffeebecher gefährlich ins Wanken gerieten. Auch wenn sein Problem im Moment ein weitaus größeres als das einiger regelwidrig abgestellter Becher war, reizte diese Tatsache ihn zusätzlich. Er stieß einen unflätigen Fluch aus und fegte einige der unschuldigen Tassen mit einer Handbewegung von der Tischplatte, wo sie zerbarsten und ihren Inhalt über den Boden verteilten. „Wie können Sie so dämlich sein und auf einen so uralten Trick hereinfallen? Sie wussten doch genau, dass Harris alles daran setzen würde, Ihnen zu entkommen! Warum verdammt hatten Sie nur zwei Männer dabei?“
Segovia wand sich wie eine Schlange und blieb eine Antwort schuldig. Der kleine schmächtige Mann wusste nur zu genau, dass er sich selbst überschätzt und damit Commander Harris in die Hände gespielt hatte. Harris war ruhig gewesen, zu ruhig für einen Mann, der keinen Ausweg aus seiner Situation sah. Aber wie hätte er voraussehen können, dass der Commander auch mit seiner Mannschaft und deren Familien die Flucht voraus geplant hatte? Das Überwachungsnetzwerk der III. Abteilung galt als absolut sicher, die Beamten aber hatten nichts Verdächtiges gemeldet, keine seltsam anmutenden Gespräche oder auch nur Andeutungen. Nun gut, der Navigator hatte etwas davon erzählt, er wolle seiner Frau auf der Venus ein Kleid kaufen, aber was sagte das schon aus? Der Bordingenieur hatte sich gar mit dem zu ihm entsendeten informellen Mitarbeiter des Geheimdienstes recht gut unterhalten – der Afrikaner hatte ihn in die Kunst des Trommelns eingewiesen, nachdem sie gemeinsam ein paar Schnäpse zu viel auf das Wohl des Generals getrunken hatten. Die III. Abteilung hatte daraus geschlossen, dass die Delta VII Besatzung sich mit ihrem Schicksal abgefunden hatte und keinerlei Widerstand leisten würde, schon um ihrer Familien willen nicht.
Der General tobte weiter, so dass Segovia der Notwendigkeit einer Antwort vorerst enthoben war, und der Professor durfte sich eine lange Liste von Beschimpfungen bezüglich seiner nicht vorhandenen Kompetenz anhören. Zwischenzeitlich brachte ihm ein Adjutant eine Liste von Geschwadern, deren Position eventuell zuließ, Delta VII noch abzufangen, bevor das Schiff außer Reichweite geriet oder aber in die Sicherheitszone der Venus, die vorerst tabu blieben musste, so sehr Smith auch versucht sein mochte, sich um des Schiffes willen mit Alexander Repin anzulegen.
„Haben Sie die Schiffe bereits auf Kurs gebracht?“ fragte der General gereizt.
„Nein, Sir, wir wollten zuerst Ihren Befehl....“
„Bewegen Sie gefälligst Ihren Arsch und setzen Sie sich mit den Geschwaderkommandanten in Verbindung, Sie Idiot!“
Der Mann flitzte davon, ohne den Befehl zu bestätigen, während Smith ihm ungläubig hinterher sah. Gewiss, die von ihm eingeführten strengeren Befehlsstrukturen mochten dazu verleiten, kein Risiko mit eigenen Entscheidungen einzugehen, aber ein wenig selbständiges Denken sollte doch noch bei seinen Offizieren vorhanden sein. Er fluchte nochmals unflätig vor sich hin und überließ sich ganz seinem Zorn. Commander Harris und seine Crew mochten sich in diesem Moment über seine Dummheit ins Fäustchen lachen, und dieser Gedanke traf ihn am härtesten von allen anderen Überlegungen. Vier Männer, die noch nicht einmal eine militärische Ausbildung genossen hatten - von Harris einmal abgesehen – übertölpelten seine Bodentruppen und die erdnahen Geschwader! Daran musste sich etwas ändern, eine engmaschigere Überwachung des Luftraums über Metropolis musste her. Mit Schaudern dachte er daran, wie leicht ein Geschwader der Asiaten in die Hauptstadt einfallen konnte, wenn man ein einziges Schiff noch nicht einmal daran hindern konnte, aus der Stadt zu fliehen, auch mit diversen Bodentruppen nicht. Dabei war Delta VII noch nicht einmal schwer bewaffnet – nun, um Segovias Ehre zu retten, musste er dem Professor wenigstens in soweit zu Gute halten, in diesem Falle Recht gehabt zu haben, als er keinen Totalangriff auf das Schiff befohlen hatte, denn ein Haufen Schrott nutzte der neuen VEGA noch weniger als ein geflohenes Schiff.
Mittlerweile konnte Smith es als sicher betrachten, dass die erdnahen Streitkräfte keine Chance mehr hatten, die Delta VII noch einzuholen und ein Dutzend Controller an den Überwachungsschirmen duckte sich vorsorglich unter die Lehnen ihrer Sessel, um einem erneuten Wutausbruch des Generals zu entgehen. Dieser aber wurde zunehmend von Resignation erfasst, wenn er daran dachte, wie lange es dauern würde, aus diesen Männern und Frauen eine vernünftig agierende Mannschaft zu schmieden. Er dachte einen Moment darüber nach, Montero in diese Abteilung zu versetzen, auch wenn sie vielleicht noch nicht erfahren genug dafür war. Sie aber verstand es, seine Befehle in die Tat umzusetzen.
Ein anderer Gedanke kam ihm, der ihm keine Ruhe ließ, nämlich die Frage nach der Vorbereitung der Flucht. Im Gegensatz zu Segovia hatte er die Berichte des Geheimdienstes noch nicht gesehen – da er sie bisher für überflüssig gehalten hatte – gedachte nun aber, dies nachzuholen. Zunächst einmal beorderte er Colonel Dumont in die Zentrale und bat ihn um entsprechende Abschriften der Gesprächsprotokolle. Noch vor Dumonts Eintreffen erreichte ihn allerdings die nächste Hiobsbotschaft, diesmal durch einen anderen seiner Adjutanten, so als hätten sie untereinander vereinbart, seinen Unmut gerecht unter sich aufzuteilen. Diesmal schickten sie einen weiblichen Major, als ändere dies etwas an der Nachricht, welche die Ärmste zu überbringen hatte.
„Sir, ich habe hier die Flugzeitberechnungen der Patrouillen in der Nähe des Kurses der Delta VII“, begann sie vorsichtig und sah dabei aus, als sei sie bereit, jederzeit einen Schritt rückwärts zu springen. „Es gibt nur ein Geschwader von Tauruszerstörern, welches das Schiff aufhalten könnte, aber es müsste dazu durch den Sicherheitsbereich der Venus fliegen...wir waren uns nicht sicher, ob...“
„So, Sie waren sich nicht sicher?“ Seine Stimme nahm einen beißenden Ton an. „Wir sind nicht sicher, ob wir ein einzelnes Zivilschiff aufhalten können, wollen uns aber mit Repin anlegen? Worüber sind Sie sich dabei nicht im Klaren, Major?“
„Wir dachten, die Ergreifung von Delta VII könnte Priorität...“
„Hören Sie, ich würde die Venus lieber heute als morgen der EAAU wieder angliedern, aber wir wollen doch die Reihenfolge nicht vertauschen, oder?“ Smith Stimme troff von Ironie. „Nur um es noch einmal klar zu stellen: Wir brauchen erst die Delta VII, bauen sie fein in mehreren Kopien nach und dann widmen wir uns der Venus, haben Sie das begriffen, oder soll ich es Ihnen aufschreiben?“ In der öffentlichen Propaganda sah das alles weitaus weniger kompliziert aus, aber man musste sich nun einmal den Fakten stellen. In Europa brodelte es, die Hauptstadt ächzte unter einer Verhaftungswelle nach der anderen und es gab noch kein wirkliches Machtmittel gegen all dies. Frustrierender konnte die Situation gar nicht mehr sein, auch wenn der General sich das nur zähneknirschend eingestand. Diese Runde hatte er verloren.
Inzwischen traf Dumont mit einem Stapel Akten unter dem Arm ein, die er dem General mit einer leichten Verbeugung überreichte, auch wenn Smith schon keine Lust mehr verspürte, einen Blick hineinzuwerfen. Dennoch dankte er dem Colonel und rief seinen Fahrer herbei – er wollte nur noch fort aus diesem Desaster.
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