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Bestmöglichste Verteidigung

von freivolk
Kurzbeschreibung
GeschichteAllgemein / P16 / Gen
Gordon B. Smith Samuel Hirschmann
14.08.2009
14.08.2009
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Bestmöglichste Verteidigung

Metropolis 2062

Leutnant Alberto Gonzales saß im Vorzimmer des Militäroberstaatsanwaltes und wartete.
Nach außen hin, zeigte er diese spezielle  Mischung aus Ruhe und Bereitschaft, die einen guten Soldaten auszeichnete. Innerlich war er allerdings etwas aufgeregt. Das hatte aber  weniger wegen dem bevorstehenden Termin. Er erwartete hier nicht wirklich etwas schlimmes. General Mandela stand in der Befehlskette mindestens 4 Stufen über ihm. Wenn man ihm also hätte mitteilen wollen, dass er zum Schütze Arsch degradiert worden wäre und dass er in Zukunft irgendwo in Sibirien die Latrinen reinigen würde, hätte man dazu nicht den General behelligt. Was der General ihm hingegen zu sagen hatte, entzog sich dermaßen seinen Kenntnissen, dass er es sinnlos empfand groß drüber nachzudenken. Nein, was ihm im Moment beschäftigte war, dass er wegen des überraschend angesetzten Treffens mit General Mandela seine Kinder nicht selbst bei der Tagestätte abholen konnte. Seine Frau Aischa arbeitete jetzt aber wieder voll an der Uni und hatte bis 8 eine Vorlesung am laufen und er wollte sie nicht behelligen.   So hatte er bei dem Tagesmutterservice online jemanden bestellen müssen, der auf die Kinder aufpasste. Die Tagesmutter die sie sonst immer anheuerten war aber heute nicht frei, so dass eine Fremde die Kinder abholen würde, die Kinder würden unruhig sein, würden ziemlich viel Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen, wenn er endlich nach Hause kam und seine ganze Tagesplanung war durcheinander. Diese Gedanken wurden unterbrochen, als ihm die Vorzimmer-Dame mitteilte, dass ihn der General jetzt empfangen würde.
Ohne zu zögern erhob sich Gonzales und betrat das Büro Mandelas. Er salutierte.
„Leutnant Gonzales meldet sich zur Stelle, Sir!“
„Danke. Leutnant! Nehmen sie doch Platzt!“
„Ja, Sir!“
Nachdem Gonzales saß, blätterte Mandela noch einige Zeit unschlüssig in den Akten herum, die vor ihm af dem Tisch lagen. Gonzales wartet geduldig, Dann erhob der General endlich das Wort:
„Leutnant, was ist ihre Meinung über General Gordon Smith?“
Einen Moment war Gonzales perplex. Er fing sich aber schnell. Seine Antwort war kurz, präzise und emotionslos, wie es von einem guten Soldaten erwartet wurde. „Meine Meinung über General Smith ist uneingeschränkt negativ, Sir!“
„Können sie mir das ein bisschen erläutern?“
„Nun, Sir, General Smith ist für den Tod von über 100.000 Menschen verantwortlich. Er hat uns beinahe in einen vierten Weltkrieg gestürzt. Er hat eine Akt unglaublich Ungehorsams begangen und damit seinen Fahneneid gebrochen. Er hat die Uniform, die er trägt, entehrt!“
Gonzales meinte jedes Wort was er sagte. In seinem Wertesystem war Smiths Meuterei (denn nichts anderes war es, einen derartigen Militärschlag ohne Befehl auszulösen) fast schon das Schlimmste. Nicht das die Aussicht auf einen vierten Weltkrieg ihn kalt gelassen hätte. Jedes Jahr nahm er zwei Wochen an einer Wehrübung in der Saraha teil. Im Ernstfalle sollte er einer Ersatz-Laserbatterie-Division zugeteilt werden, die aus Reservisten und eingelagerten Material aufgestellt werden würde. Wenn die Division nicht schon im Aufstellungsraum durch Nuklearschläge vernichtet werden würde (die Wahrscheinlichkeit hierfür betrug 54%), würde sie zur Suezfront vorrücken und hier versuchen, zusammen mit den Überresten der Truppen in den Unionsstaaten Israel und Palästina , einen Durchbruch der VOR-Truppen zum Mittelmeer zu verhindern. Sechs Tage nach Kriegsbeginn, selbst wenn alles „gut“ lief, hätte die Division  über 90% Verluste erlitten und würde aufgelöst werden, die Reste auf die (hoffentlich) weiter eintreffenden Verstärkungstruppen verteilt. Er kannte diese Zahlen, er machte sich keine Illusionen. Trotzdem hatte er ohne zu Zögern seinen allzeit bereiten Seesack und seine Dienstwaffe hervorgeholt, als nach Smiths Militärschlag allgemeine Bereitschaft ausgegeben worden war. Seine Frau hatte geweint und ihn angeschrieen, als er ihr die Berechtigungskarten für sie und die Kinder gegeben hatte, die ihnen einen Platz in einem der Luftschutzräume von Metropolis gewährten. Die Kinder waren durch den Lärm aufgewacht und hatten geweint. Es war dann eigentlich seine Aufgabe die Kinder zu trösten, aber er hatte die Online-Verbindungen überwachen müssen, ob sein Codewort kam. Für alle Fälle hatte er auch das Radio angestellt. Es hätte ja sein können, dass VOR-Hacker schon die Datenwege manipulierten. Wäre sein Code durchgekommen, hätte er sich sofort zu einem der Fernbahnhöfe begeben, wo ihn ein Hyperschallzug in die Sahara gebracht hätte. Er hatte bis zum Mittag des nächsten Tages an seinem Schreibtisch gesessen. Erst dann war die Bereitschaftsstufe gesenkt worden und er hatte sich hinlegen können. Seine Frau war seit damals immer noch ziemlich gereizt, als sei dies alles seine Schuld gewesen.
Oh ja, Sir, er hatte eine sehr negative Einstellung zu General Smith.
General Mandelas Worte rissen ihn aus seinen Gedanken:
„ Gut zu wissen, dass sie keiner von Smith Anhängern sind. Es gibt leider, auch gerade hier bei uns im Heer, immer noch eine ganze Menge davon!“
Gonzales glaubte nicht eine Moment, dass eine einzelne Frage Mandela genügt hatte, um sich von seiner Anti-Smith-Gesinnung zu überzeugen. Man hatte also Erkundigungen über ihn eingeholt. Er schwieg vorerst.
« Sie fragen sich sicher, Leutnant, warum ich sie hierher gerufen habe!“
„Ja, Sir!“
„Kurz gesagt, sie werden die Verteidigung von Smith übernehmen!“
Gonzales war so verblüfft, dass ihm nicht sofort alle Implikationen diese Satzes klar wurden.
„Aber Sir, wird Smith sich nicht einen eigenen Anwalt wählen?“
„Dies ist ein Militärgerichtsverfahren. Der Anwalt wird ihm zugeteilt!“
„Sir, soweit ich weis, soll General Smith auch wegen Hochverrates angeklagt werden. In diesem Fall ist zwingend ein Verfahren vor dem Unionsgerichtshof vorgeschrieben!“
„Und? Wo liegt das Problem?“
Gonzales stutzte und biss sich auf die Lippen. Im Examen hätte so was wohl Punktabzug bedeutet. Ja, es gab eine Bestimmung im Gerichtsverfassungsgesetz, dass der UGH als oberstes Militärgericht fungieren konnte. Fünf Richter würden eine Strafkammer bilden und zwei Offiziere würden als Beisitzer hinzutreten. Allerdings.......:
„Sir, bitte um Erlaubnis, offen sprechen zu dürfen!“
„Erlaubnis erteilt!“
„Warum wird dies als Verfahren der Militärgerichtsbarkeit durchgeführt?“
„Nun, Smith hat seine Verbrechen immerhin als aktiver Soldat begangen!“
„Gut, Sir, aber.....auch die Putschisten in den 50ern waren Offiziere. Trotzdem war ihr Verfahren vor dem UGH eines der zivilen Gerichtsbarkeit. Soweit ich weis, ist es in der gesamten Geschichte der EAAU noch nicht einmal vorgekommen, dass der UGH als oberstes Militärgericht getagt hat. Was ist bei Smith anders?“
Mandela zögerte lange. Dann sagte er: „Ich schätze sie haben Anspruch auf die Wahrheit, Leutnant. Ich weise sie aber daraufhin, dass das, was ich ihnen hier sage, der strengsten Geheimhaltung unterliegt!“
Gonzales nickte.
„Gut!“ fuhr Mandela fort. „Während wir hier so schön friedlich sitzen und uns unterhalten, tobt in Peking ein schwerer Machtkampf. Viele Offiziere dort sind der Meinung, dass sie das Gesicht verlieren, wenn für Smith Angriff nicht angemessen Vergeltung geübt wird. Wenn der UGH als ziviles Gericht tagt, werden Smith politische Freunde ihm einen Staranwalt besorgen, der aus dem Verfahren einen gottverdammten Zirkus macht und jeden Tag im Fernsehen versichert, dass Smith uns alle vor den schlitzäugigen Horden gerettet hat. Das können wir im Moment gar nicht gebrauchen, wenn wir verhindern wollen, dass sich eine der STELLANORMEN oder eine der Jupiterkolonien in eine Glutwolke auflöst. Verstehen sie?“
„Ja, Sir!“
„Jetzt wollen sie wahrscheinlich wissen, warum ausgerechnet sie ihn  verteidigen sollen?“
Gonzales nickte erneut.
„An der Rechtstaatlichkeit des Verfahren dürfen trotzdem keine Zweifel aufkommen. Smith muss wie jedem Unionsbürger die unter den Umständen bestmöglichste Verteidigung gewährt werden. Sonst machen wir einen Märtyrer aus ihm. Sie haben sich einen guten Ruf als Verteidiger erworben. Außerdem hat es in ihrer Karriere, Fälle gegeben wo sie...äh ....einem gewissen Druck ausgesetzt gewesen waren. Sie haben sich davon nicht beirren lassen und die Rechte ihrer Mandanten hochgehalten!“
„Druck ist vielleicht übertrieben, Sir!“ sagte Gonzales bescheiden. Dabei untertrieb er gewaltig. Er hatte einmal einen Corporal der Strategischen Raumflotte verteidigt, der im Verdacht stand als Mechaniker einen schweren Raumkreuzer neuen Typs sabotiert zu haben. Der Kreuzer war auf der Startrampe explodiert, hatte nicht nur die Besatzung sondern auch13 Mann des Bodenpersonals getötet und den halben Stützpunkt verseucht. Der Mechaniker war ein Unruhestifter und Trinker gewesen, fast am Rande der Geistesgestörtheit, mit vielen privaten Problemen, für die er alle die Armee verantwortlich machte, in jeder Hinsicht ein schlechter Soldat, der nur deshalb den Dienst nicht quittierte, weil er im Zivilleben erst recht nicht zurechtgekommen wäre. Er hatte betrunken oftmals getönt, einiges Tages würde er der Flotte alles heimzahlen. Wie naheliegend und beruhigend war da der Verdacht, er hätte den Kreuzer sabotiert und dass es nicht etwa an Konstruktionsmängel des neuen Typs liegen würde. Wie gesagt, wie beruhigend. Nur das es keinen wirklich schlüssigen Beweis für Sabotage gab. Gonzales wies im Verfahren immer wieder daraufhin und brachte immer mehr Beweise vor, dass der neue Kreuzer sehr störanfällig gewesen war. Schließlich sprach ihn der Anklagevertreter an, dass die ganze Sache dem Ansehen der Streitkräfte sehr schaden würde und ob er dies wirklich wolle, damit ein irrer Trunkenbold freikommen. Die Sache war, Gonzales war nicht wirklich unempfänglich für solche Argumente. Nach seiner persönlicher Ansicht unterschied sich die Militärgerichtsbarkeit im Kerne von der zivilen Gerichtsbarkeit. Der Staat, die Zivilgewalt, war souverän, stand über den Dingen und war deshalb zumindest theoretisch rein der Gerechtigkeit verpflichtet (in der Praxis konnte dies natürlich anders aussehen). Das Militär musste aber vor allem in einem internen Strafverfahren seine eigenen Interessen waren und auch Gonzales ging davon aus, dass er selbst als Verteidiger auch die Interesse der Streitkräfte im Auge haben musste. Nur im Gegensatz zum Ankläger glaubte er nicht, dass den Streitkräften damit gedient was, dass der Mechaniker verurteilt worden wäre und der Kreuzer damit für einige Zeit rehabilitiert. Würde sich zum Schluss herausstellen, dass es doch Konstruktionsmängel waren und das die Armee einen Unschuldigen verurteilt hatte, wären die Folgen katastrophal. Das sagte er dem Ankläger. Leider war die Sache damit nicht beendet gewesen. Man trat noch mehrmals an ihn heran, macht auch Andeutungen über seine Karriere. Er bleib auf Kurs. Der Mechaniker wurde freigesprochen,  die Flotte zog die neuen Kreuzer für zwei Jahre erst mal außer Betrieb. Im Nachhinein schienen sich „die da oben“ seinem Standpunkt anzuschließen. Es gab keine Nachteile für ihn, obwohl er einmal lachend zu seiner Frau gesagt hatte, er sei froh gewesen, dass es sich um einen Kreuzer und nicht um eine Laserbatterie gehandelt habe, dass er also die Flotte verärgert habe und nicht das Heer. Aber jetzt hatte sein Ruf der „Unbestechlichkeit“ ihn für das Verfahren gegen Smith empfohlen.
„Nehmen sie das Mandat nun an?“ fragte Mandela.
„Ja, Sir!“

.....................

Im Hochsicherheitsgefängnis der Strategischen Raumflotte wartete Gonzales darauf, dass ihm Smith vorgeführt werden würde. Das Gespräch mit General Mandela war schneller zu ende gewesen als gedacht und er hätte theoretisch die Kinder abholen könne, aber die Tagesmutter war ja schon bestellt und außerdem hatte sein neuer Mandant einen Anspruch darauf mitgeteilt zu bekommen, dass er ihn jetzt vertrat. Er würde aber auch klar machen, dass es heute nur ein kurzes Gespräch sein würde, da er sich zuerst mal in den Fall einarbeiten musste. Er hatte mit den Kindern über Vidfon gesprochen. Die neue Tagesmutter machte einen guten Eindruck, aber die Kinder waren natürlich quengelig gewesen. Er musste ihnen versprechen, dass es heute einen extra Pfannkuchenabend geben würde. Das würde Aischa nicht sehr freuen. Sie war der Meinung dass er und die Kinder ein bisschen mehr auf ihre Figur achten mussten. (Leider musste er ihr recht geben. Seit er von den Kampfverbänden des Heeres zum juristischen Dienst der Streitkräfte gewechselt war, hatte seine Figur ihre frühere Drahtigkeit ziemlich verloren.)
Die Tür öffnete sich und Smith wurde reingeführt. Gonzales kannte Smith nur von den Fernsehbildern. Eine dynamischen und gut aussehenden Offizier, der meistens in tadelloser Uniform auftrat. Trotzdem war er nicht überrascht. Er wusste wie das Gefängnis gerade eine sozial hochstehenden Mann erschüttern konnte.
Smith steckte in einer schlecht passenden gelben Gefängniskluft ohne Gürtel. Er trug an den Füssen Schlappen ohne Schnürsenkel und war unrasiert (anscheinend hatte man ihm alles weggenommen, mit dem er hätte Selbstmord begehen können). Er wirkte geistesabwesend und um Jahre gealtert. Gonzales erhob sich und salutierte. Formell war Smith immer noch General. Es war wichtig die Form zu wahren.
Smith sackte in seinen Stuhl und Gonzales stellte sich vor. Er erklärte das er jetzt Smith Anwalt war, erläuterte den voraussichtlichen Verfahrensablauf und dass er in den nächsten Tagen mit Smith den Fall ausgiebig besprechen würde.
Smith blickte teilnahmslos vor sich hin. Man hatte nicht das Gefühl, dass er wirklich zuhörte.
„Sir? Sir, haben sie verstanden?“ sagte Gonzales zum Schluss.
Smith blickte auf und sah ihn zum erstenmal richtig an. „Warum machen sie dieses Theater? Wenn man mich töten will, soll man mir eine Waffe geben und mich allein lassen. Ich bring es dann schon zu Ende!“
//Na toll!// dachte Gonzales. //Er ist paranoid!//
„Sir, niemand will sie töten. Es ist nur....!“ setzte er an, aber Smith sprach weiter ohne auf ihn  zu achten.
„Ich hoffe, dass ich zumindest standrechtlich erschossen werde. Wie es einem Soldaten
geziemt. Die Giftspritze ist so....würdelos!“
Gonzales wollte noch etwas sagen, da durchzuckte ihn aber eine jähe Erkenntnis. Smith war gar nicht paranoid. Jedenfalls nicht in dieser Sache.
//Mann, wäre ich beim Examen auch so auf dem Schlauch gestanden, wäre ich durchgefallen!//.
Das einzige was ihn entschuldigte war, dass es so unglaublich war. Seit fast fünfzig Jahren, hatte es auf dem Gebiet der EAAU keine Hinrichtung mehr gegeben. Aus allen Strafgesetzbüchern der Union und der Unionsstaaten war die Todesstrafe getilgt worden. Aus allen außer dem Militärstrafgesetzbuch.
Smith würde offensichtlich wegen Hochverrat und Mord in besonders schweren Falle angeklagt werden. Und dafür sah das MStGB nur eine Strafe vor. Den Tod!
//Mandela hat mich reingelegt!// dachte Gonzales.
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