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Zu spät, sie wiederzusehen

von Sonny
Kurzbeschreibung
KurzgeschichteTragödie / P6 / Gen
Manji Rin
09.07.2009
09.07.2009
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Zu spät, sie zu wiederzusehen

Leise ertönte die leiernden Töne eines Musikstückes und erfüllten trotzdem die gesamten Bar auf sanfte Weise. Das Mädchen hinter der Bar schaute missmutig von dem Sake auf, den sie gerade erhitzte und starrte zum zur Zeit einzigen Gast der Bar hinüber. Der hatte vor Stunden den Raum betreten, in den nur durch kleine verschmutze Fenster kurz unter der Decke schummeriges Licht fiel, und hatte seinen Platz seitdem nicht verlassen. Ungewöhnlich sah er mit seinem schwarz-weißen Kimono und dem Schwert am Gürtel aus. Auffälliger waren aber noch seine Narben im Gesicht, die beide quer übers Gesicht verliefen. Sie verliehen ihm irgendwie etwas furchteinflössendes, was allerdings durch den Alkoholgeruch, den er verströmte, deutlich abgeschwächt wurde. Scheinbar war diese Bar nicht die erste, die er heute besucht hatte.
Das junge Barmädchen kaschierte ihren Unlust mit einem Lächeln und drehte sich zu dem Gast um. "Wissen Sie eigentlich, dass Leute wie Sie das Klischee von merkwürdigen Typen in Bars bestärken?" Ihr Chef hatte mal gesagt, sie würde die Gäste weniger durch ihre geistreichen Gespräche zum Bleiben überzeugen, sondern eher durch ihr bezauberndes Lächeln. Vermutlich klappte das auch bei diesem.
Mürrisch schaute der Mann hoch. "Ich zahle hier nicht, um eine Unterhaltung zu führen, sondern um meinen Sake zu bekommen." Vielleicht aber auch nicht.
"Ist ja schon gut." Beleidigt drehte das Mädchen sich wieder zum Herd mit dem Sake um. Den Typen hatte sie sowieso nicht gemocht.
Missmutig suchte sie hinter der Bar die Schale mit den Ginkgosamen, die hier normalerweise zum Sake serviert wurden. Kaum einer andere Gast verlangte sie - immerhin handelte es sich nur eine kleine Kneipe in einer Seitenstraße -, aber bei dem Typen wollte sie sicher gehen. Zufrieden kramte sie die Schale aus einem Schrank und stellte sie neben dem Mann auf den Tresen.

Diesmal hob er nicht mal mehr den Kopf, sondern schien weiterhin die Holzmaserung des Tresens zu mustern. "Sie sind ja schon wieder da."
"Sie werden sich dran gewöhnen müssen. Ihr Sake ist gleich fertig und ich kann Ihnen den ja wohl kaum zu werfen, oder? Am Ende wird noch etwas davon verschüttet. Das wäre doch ärgerlich, gerade jetzt, wenn er die richtige Temperatur hat." Sie verzog etwas das Gesicht, hatte er sie doch vorhin angemacht, als sie den Sake kalt serviert hatte. Jeder andere Gast hätte den Sake getrunken, der hingegen ließ ihn zurückgehen und verlangte einen richtig temperierten Sake. Sie machte den Sake nie warm. Dementsprechend genervt war sie jetzt.
Ihn schien das aber gar nicht zu interessieren. "Wenn Sie meinen."
Vorsichtig füllte sie den Sake in die Schale. Wenn sie sich jetzt verbrannte, würde sie dem Typen aber was erzählen. "Sie sind nicht so gesprächig, oder?" Mit einem bemühten Lächeln stellte sie die Schale vor ihm ab.
Er zuckte einfach nur mit den Schultern. "Wenn Sie meinen." Zögernd prüfte er den Sake. Er schien ihn nicht wieder zurückgegeben zu wollen, auch die Geste seiner Hand deutlich machte, dass er nicht übermäßig begeistert war.
"Sollen Sie doch an ihrem Sake ersticken." Sie war kurz davor aufzugeben, einen so mürrischen Typen hatte sie noch nie in der Bar sitzen gehabt.
Ihr Anflug von Wut schien den Mann aber aufmerksam zu machen, da er sie kurz anschaute, bevor er mit einem schiefen Grinsen seinen Sake betrachtete. "Das hat mir schon lange niemand mehr gewünscht."
Das war sicher kein schönes Gesprächsthema, aber immerhin kam sie jetzt zu ihrer Unterhaltung. "Wer war denn der letzte? Mit demjenigen sollte ich mal ein Wörtchen reden, damit er Ihnen das wieder häufiger sagt. Tut Ihnen vermutlich gut."
Der Mann setzte sein Sakeschale zum Trinken an, ließ dann aber wieder sinken. "Es war ein Mädchen."

Das verblüffte das Barmädchen, sie hatte gedacht, nur andere Trinker und Streuner würden es mit diesem Mann aushalten. "Wow, dann hält es also doch ein Mädchen mit Ihnen aus."
"Ist lange her." Sein anschließendes Seufzen klang wirklich herzerreißend.
Sie lächelte, irgendwie interessierte sie diese Geschichte jetzt. Sie hatte ihre Meinung von dem Typen kurzzeitig geändert, da er scheinbar eine interessante Geschichte auf Lager hatte. "Egal, aber wenn es da ein Mädchen gab, wieso sind Sie nicht mehr bei ihr? Das ist doch wirklich die bessere Wahl, als sich sieben Tage die Woche mit Sake zuzuschütten." So roch er zumindest.
Sein Blick verhärtete sich und er trank entschlossen seinen Sake in einem Schluck aus. "Ich sagte bereits, ist lange her."
Trotzdem hatte das Barmädchen irgendwie das Gefühl ihn langsam zu verstehen. In ihrem Kopf bildete sich eine Geschichte von diesem Mann und einem Mädchen, die zusammen waren, bis sie irgendeinen Schicksalsschlag erlitten. "Haben Sie mal dran gedacht, ihr einen Brief zu schreiben? Vielleicht können Sie ja wieder in Kontakt kommen."
Er starrte sie finster an. "Es ist lange..."
Trotzdem war sie nicht bereit aufzugeben. "Aber vielleicht könnten Sie wieder -"
"Sie ist tot!" Entschieden schob er ihr die Sakeschale hinüber.
Kurzeitig war sie sprachlos, brachte dann aber Worte der Trauer zustande. "Oh... das tut mir leid..." Zögernd nahm sie die Schale in die Hand. "Wie hieß sie denn?"
Unentschlossen malte er mit dem Finger Kreise auf den Tresen. "Ihr Name war Rin." Seine Stimme klang etwas brüchig, als er sprach.
Zaghaft wagte das Barmädchen sich vor. "Und wie sah sie aus?"
Seine Lippen verzogen sich zu einem traurigen Lächeln. "Sie war wunderschön."
"Klar, was sonst..?" Jeder empfand seinen Partner wohl als den Schönsten der Welt. "Was ist mir ihr passiert?"
Die grenzenlose Traurigkeit auf seinem Gesicht war nicht übersehen. "Sie ist einfach eingeschlafen."

Vor Manjis innerem Auge erschienen wieder die schicksalhaften Momente von damals. Sie stand vor ihm - sie hatten gerade Anotsu in die Flucht geschlagen. Sie würde bei ihm bleiben, hatte sie gesagt. Sie hatten schon so viel gemeinsam erlebt, sie könnten auch noch den Rest ihres Lebens gemeinsam verbringen. Dann stellte sie sich auf die Zehspitzen und küsste ihn auf die Wange. So, wie sie es häufiger in letzter Zeit gemacht hatte.
Als nächstes zog der Moment an ihm vorbei, in dem er ihr versprochen hatte, nicht mehr zu töten. Früher wäre es ihm wohl schwergefallen, so etwas zu versprechen, wollte er doch endlich seine Unsterblichkeit loswerden. Aber er hatte ihr das Versprechen tatsächlich gegeben. Was hatte Rin gesagt? "Es wird immer Verbrecher geben, aber mich gibt es nur, bis ich sterbe. Du solltest die Zeit lieber mit mir verbringen." Und er hatte bloß genickt. Rin hatte daraufhin gesagt, wenn sie tot sei, könne er sich ja weiter damit beschäftigen, Verbrecher zur Strecke zu bringen.
Bevor er ihren Anblick noch weiter genießen konnte, verschwamm dieser wieder und eine andere Rin erschien vor seinen Augen. Eine ältere Rin, aber auch schwächlich wirkende Rin, die sich kaum von ihrem Futon erheben konnte.


"War es eine Krankheit?" Erst die Stimme des Mädchens hinter der Theke holte ihn wieder zurück, weg von Rin auf ihrem Sterbebett.
"Ja, eine Krankheit. Seit wir uns kennen gelernt haben, ist sie immer stärker geworden. Und dann stirbt sie einfach an einer Krankheit." Es war ihm lange nicht mehr passiert, dafür passierte es heute umso häufiger, diese Bilder in seinem Kopf.

Wieder tauchte Rin vor seinem geistigen Auge auf, sie lernte mit ihrem Schwert umzugehen, es hatte gedauert, aber sie hatte es geschafft. Er sah sie lachen, lachen über den Triumph mit ihrem Schwert. Aber im nächsten Moment lag sie schon wieder auf ihrem Futon. Sie war schwach, konnte aber trotzdem entschieden Kopf schütteln.

"Ich hätte ihr helfen können, doch sie wollte nicht. Wollte nicht so leben wie ich. Konnte sie nicht..." Sie hatte seine Unsterblichkeit nicht gewollt, wollte nicht so leben wie er, vor allem nicht so lange. Sie wollte lieber sterben.

Er sah dem Mädchen an, das es kein Wort verstand, aber ging nicht weiter darauf ein, sondern starrte auf seine Hände, als wären nur diese Schuld daran, dass er ihr nicht helfen konnte. Er war nun mal kein Arzt, er rettete keine Leben. Er war Kämpfer, er beendete Leben.
Dem Barmädchen standen mittlerweile die Tränen in den Augen. "Und was geschah dann?" Die Freundin des Mannes war gestorben, er hatte ihr nicht helfen können. Sie starb und ließ ihn zurück.
Der Mann schaute sie nicht an, starrte nur weiter auf den Tresen und seine Hände. "Meine Kraft verließ mich. Ich war damals nicht mal in der Lage ihr zu folgen."
"Sie... Sie wollten sich umbringen?" Das Mädchen verschluckte sich beinahe an seinen Tränen, als es dies hörte.
Manji hob wieder den Kopf und lächelte sogar, aber es war ein entrücktes Lächeln, als hätte er nicht ganz begriffen, was vor sich ging. "Sie meinte, sie wartet dort auf mich." Das Bild vor seinen Augen blieb diesmal aus, dafür hatte er aber noch deutlich ihre Stimme im Ohr, schwach, außer Atem.

"Wenn du schnell dein Versprechen einlöst und sterblich wirst, sehen wir uns wieder, ich warte auch dich."

Das Mädchen wischte sich mit dem Ärmel über die Augen und schaute ihn dann weiter an. "Aber Ihnen fehlte die Kraft? Wieso?"
"Sie war der ganze Inhalt meines Lebens geworden. Ich wollte zwar nicht ohne sie leben, aber ohne sie war ich vollkommen orientierungslos." Manji wusste noch genau, wie er die ersten Wochen nach Rins Tod den Großteil seiner Zeit vor ihrem Grab verbracht hatte. Er hatte sie neben seiner Schwester beerdigt. Anschließend hatte er probiert, in seiner Hütte vor sich hin zu vegetieren. Aber nicht mal das klappte, alles erinnerte ihn an Rin und so endete er in der ersten Schenke, wo er bleiben konnte, bis sie ihn rausschmissen und er zur nächsten ging. So lebte er bis heute.
Sie seufzte und schaute ihn mitleidig an, der Mann tat ihr so leid. "Deshalb wohl der viele Alkohol..." Vermutlich ertrug er seinen Kummer sonst nicht.
Sie hatte nicht beabsichtigt, es so laut zu sagen, hatte es aber wohl doch getan. Aus etwas trüben Augen schaute er sie an. "Wahrscheinlich."
"Warum versuchen Sie nicht jetzt noch, ihr zu folgen?" Sie verstand nicht selbst, warum sie das sagte. Sie riet einem Kunden Selbstmord zu begehen, was war in sie gefahren? Sie sollte die Polizei oder einen Krankenwagen rufen, versuchen ihn von diesem Gedanken abzubringen. Vielleicht berührte sie die Geschichte um diesen Mann und seine Freundin einfach zu sehr.
"Jetzt ist es zu spät, jetzt wird sie nicht mehr warten." Die Resignation in seinem Blick war nicht zu übersehen.
Bevor das Mädchen aber antworten konnte, verstummte auf einmal die Musik aus dem klapprigen Radio und die schallende Stimme eines Mannes drang aus dem Lautsprecher.
"Heute an diesem ehrwürdigen siebten Dezember 1941 konnten die glorreichen japanischen Streitkräfte den Amerikanern in Pearl Habour eine empfindliche Niederlage bereiten!"


FIN




Disclaimer: Die Geschichte von "Blade of the Immortal" und die dazugehörigen Charaktere sind nicht mein Eigentum, weshalb ich auch kein Geld mit dieser Geschichte verdiene.

Info: "Blade of the Immortal" spielt 1782…
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