Havarie
von Ace Kaiser
Kurzbeschreibung
Eine etwas ältere Geschichte von mir, in der ich mich etwas dilettantisch mit Kälte auseinander setze, und das in mehrerlei Hinsicht. Außerdem macht es mir Spaß, einen Haufen fremder Leute in einen gemeinsamen Raum zu sperren und zu schauen, was passiert. ^^V
GeschichteAbenteuer / P12 / Gen
07.07.2009
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8.552
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Stille... Dunkelheit... Angst...
Irgendwo im Orion-Arm, auf der Handelsroute Terra-Olymp, war der Großraumfrachter BERENICE während einer Linear-Etappe havariert. Beim unkontrollierten Rücksturz in den Einstein-Raum geriet die BERENICE in den Randbereich eines Asteroidenfeldes, und der gleiche Fehler, der dem Rücksturz des 500m-Frachters verursacht hatte, verhinderte die rechtzeitige Aktivierung der Schutzschirme; sieben Asteroiden mit dem lächerlichen Durchmesser von zwei bis sieben Metern schlugen mit erheblicher Geschwindigkeit in den Schiffskörper ein. Die Folgen waren Vakuum-Einbrüche in vier Sektoren, unter anderem auf dem Beiboothangar. Die NUGAS-Reaktoren gaben Alarm. Vierundzwanzig Passagiere und achtunddreißig Besatzungsmitglieder evakuierten in sechs Großraum-Rettungsbooten, die leider nicht Linearflugfähig waren. In einer Entfernung von einer Million Kilometern beobachteten zweiundsechzig Augenpaare die Explosion der vier NUGAS-Reaktoren der BERENICE. Die mehrdimensionale Schockwelle erschütterte im gleichen Augenblick die sechs Rettungsboote. Die schwachen HÜ-Schirme hielten stand – doch der Preis war hoch, die Energievorräte fast verbraucht.
Kapitän Samuel Bernstein sah das Ende seines Schiffes mit tränenden Augen.
***
„BERENICE Rettungsboot eins an BR 2! Bitte kommen.“
„Kapitän? Oberleutnant Christina Delgado von BR 2.“
„Gut, Chris. Statusbericht.“
„Warum funken Sie denn auf UKW, Kapitän? Nehmen sie doch den Hyperfunk, dann kracht es auch nicht so.“
Wütend starrte Raumfahrerin Keiko Takagi den terranischen Geschäftsmann Martin Voliére an. „Seien Sie still! Davon verstehen Sie nichts! Der Kapitän spart Energie.“
„Hier BR 2. Status: Drei Passagiere an Bord, sieben Crewmitglieder. Luft: Tausendvierhundert Stunden. Nahrung: ca. eine Woche. Energie... drei Komma drei vier Prozent.“
„Gut, lebt sparsam! BR 3, ihr seid dran.“
„Hier BR 3. Chefingenieur Toren Malloy. Touristen 3, Crew: 6. Luft: tausendsechshundert Stunden. Nahrung: ca. eine Woche. Energie: vier Komma drei null Prozent.“
„Gut! BR 4, ihr seid dran.“
„Hier ist Fähnrich Daniela Perone! Besatzung: 9, Passagiere: vier. Luft: zweitausendeinhundert Stunden. Nahrung ca. sechs Tage. Energie: traumhafte sechs Komma sechs null Prozent.“
„Nett! 5, eure Runde.“
„Doc DeForest hier! Passagiere:5, Crew: 7, Luft: tausendachtzig Stunden. Nahrung: ca. sechs Tage. Energie: vier Komma vier acht Prozent.“
„Die 6 ist dran!...Die 6... ! Na los!....BERENICE Rettungsboot 6, hier Kapitän Bernstein! Meldet euch, zum Henker.“
„Hier BR 6, Kapitän. Entschuldigen Sie, der Status war noch nicht fertig. Hier Raumfahrer Cord Woitas. Passagiere: drei, Crew:fünf, Luft. Tausenddreihundert Stunden. Nahrung: ca. eine Woche. Energie... Kapitän, ich habe es siebenmal nach geprüft! Wir haben fast acht Komma neun null Prozent Energie.“
„Hervorragend. Hier Status von BR 1: Passagiere: 5, Crew: 4, Luft: tausendvierhundert Stunden. Nahrung: ca. eine Woche. Energie: zwei Komma neun neun Prozent. Keiko, hast Du mitgeschrieben?“
„Alle da, Kapitän.“
„Immerhin etwas. So, sperrt mal alle eure Ohren auf! Wir liegen hier ein wenig weit draußen, etwas abseits der Systeme! Für Hyperfunk reicht die Energie leider nicht! Die BERENICE konnte aber noch ein Notsignal senden. Es wurde garantiert aufgefangen, muss aber erst berechnet werden, da es zum Einpeilen nicht lang genug war! Ich schätze, drei bis vier Tage müssen wir hier aushalten! Das heißt: Energiesparen, wo es nur geht: Heizung drosseln, keinen Hyperfunk, alle Bordsysteme auf Notfunktion! Ihr kennt das ja. Ach ja, lasst die Boote ruhig auseinandertreiben! Für Kurskorrekturen fehlt ebenfalls die Energie! Und noch etwas! Freundet euch untereinander an! Schließlich seid ihr in der nächsten Zeit die einzigen Menschen, die ihr seht! UKW könnt ihr ruhig benutzen! Kapitän Berstein Ende.“
Der hundervierunddreißigjährige Veteran sah sich in dem kleinem Boot um. Terranisches Standartgroßraumrettungsboot, für Verkehr auf Handelsrouten, stromlinienförmig, sechzehn Meter lang, sechs Meter breit, vier Meter hoch, ein Passagierdeck mit zwanzig Sitzplätzen. Ein abgetrennter Bereich mit Waschraum und Toilette, dahinter befanden sich Teile des Maschinendecks. Unter ihnen lag das Maschinendeck, zwei Sichtluken in Front. Das Rettungsboot besaß keine Bewaffnung und nur einen schwachen HÜ-Schirm, der vielleicht für einen Notfall noch drei oder vier Sekunden laufen würde. Soweit so gut. Die gut achtzig Stunden, die sie aushalten mussten, würden alle überstehen. Der alte Raumfahrer bedauerte, keine Medikamente für den künstlichen Tiefschlaf dabei zu haben – das hätte ihre Chancen so gut wie verdreifacht.
Schöner Sternenmüll, an Bord einer Space Jet oder wenigstens an Bord eines Shifts hätten sie darüber verfügt! Er sah sich die Leute im Boot genauer an. Seine Crew würde die Nerven behalten, das wusste er.
Schlechter sah es schon bei den Passagieren aus. Wenn irgend ein begriffsstutziger Möchtegern-Raumfahrer auf die Idee kam, eine Revolte anzuzetteln... Hatte es alles schon gegeben, und in den seltensten Fällen hatten diese Rettungsbootbesatzungen überlebt. Dazu kam, dass sie, die BR-1, das einzige Boot mit mehr Passagieren als Crew-Mitgliedern waren. Er hatte Keiko Takagi an Bord, eine blutjunge Raumfahrerin, frisch von der Akademie, aber eine ziemlich gute Navigatorin, und jedermanns beste Freundin.
Leutnant Dennor von Par-Asear kannte er nun schon dessen Leben lang. Er wusste alles vom akonischen Piloten, was dieser ihn wissen ließ, und das war fast alles. Er würde mithelfen, dass sie durchhielten, trotz seiner schon fast sprichwörtlichen Introvertiertheit.
Der letzte der Crew, Notian-Paras, war ein waschechter Topsider. Er hatte den Rang eines Captain, war sein Stellvertreter und flog nun bereits zwanzig Jahre mit ihm. Notian war wohl der einzige, dem er bei dieser Havarie vollkommen vertraute.
Dann die Passagiere: Allen voran der gut bekannte Broker Martin Voliére, der geschäftlich nach Olymp gewollte hatte, ein Kerl, der glaubte, etwas von Raumfahrt zu verstehen. Das machte ihn Bernsteins Meinung nach gefährlich.
Und da war da Juliette Harris, eine Medo-Technikerin, die früher auf einer Explorer gearbeitet hatte, von ihr erhoffte sich der Kapitän moralischen Beistand.
Der Boxprofi Clark C. Autumn war ein Draufgänger, wie er im Buche steht! Er hatte die Angebermasche bei Keiko ausprobiert, und war ziemlich heftig abgeblitzt. Vielleicht ein Grund, ihn im Auge zu behalten.
Oboto Tarras, ein Marsgeborener afrikanischen Ursprunges, allerdings nicht der A-Klasse. Trotzdem schätzte Berstein den hochgewachsenen, kräftigen Burschen als besonnen ein. Seines Wissens nach hatte Oboto die Reise nach Olymp geschenkt bekommen.
Der letzte im Bunde, nein, die letzte war Arianne Diane Kruger, die Tochter eines Beraters Kaiser Anson Argyris´. Bernstein stufte sie sofort als verwöhntes Gör ein. Alles in allem sah es an Bord der BR1 ziemlich gut aus.
Nun, das erste, was Bernstein tat, war, was wohl jeder verantwortungsbewusste Kapitän tat, der alle an Bord des Rettungsbootes in einem Stück nach Hause bringen wollte. Er betrat den Waschraum und sah sich um. Das Gleitschott war nicht abschließbar. Gut. Die Spiegel waren Projektionsflächen aus unzerbrechlichen Kristallen. Auch gut. Die Toilette bestand aus einer abschließbaren Kabine. Ein Tritt, und die Kabine konnte zwar geschlossen, aber nicht mehr abgeschlossen werden.
„Warum haben Sie das gemacht Kapitän?“, fragte Clark eher neugierig als verärgert, und so antwortete Bernstein wie auf jede andere Frage.
„`38 auf der KERLAMOORA, einem akonischen Kreuzfahrtschiff hatte es eine ähnliche Situation gegeben. Das Schiff havarierte, Totalevakuierung wurde angeordnet.
Anfangs konnten sich alle retten, doch leider waren nicht auf jedem Boot Besatzungsmitglieder. Drei dieser Boote wurden... vollkommen dekomprimiert aufgefunden. Auf fünf anderen hatten sich Passagiere auf den Toiletten eingeschlossen und sich... die Pulsadern aufgeschnitten. Nur einer überlebte diese Torheit. Ich will nicht, dass hier das gleiche geschieht.“
Clark schüttelte sich. „Grauenvoll! Und Sie meinen das kann hier auch passieren?“
„Vielleicht! Wenn gewisse... Subjekte ... gewisse Reden schwingen....“
„Ach, der Broker ist harmlos.“ Clark grinste vergnügt. „Und sollte ich mich irren....“ Es klang wie ein Peitschenhieb, als Clarks geballte Linke in die Rechte fuhr, und Bernstein zuckte unwillkürlich zusammen.
„Sie sind Rechtsausleger?“
„Hey Kapitän, wir sitzen doch quasi in einem Boot! Nennen Sie mich ruhig Clark.“
„Ich heiße Sam mit Vornamen! Aber sag mal, Du bist doch eigentlich Rechtshänder, oder irre ich mich?“
„Nein, nein. Ist ein Spezialtraining. Eigentlich kann ich mit beiden Armen gut, ich bevorzuge aber links. Du solltest mal meine linken Haken sehen, sage ich Dir....“
***
Sechs Stunden später.
„Hallo.“
Der Akone brummte ein unwirsches: „Hy.“ und vermied es die hübsche, blonde Ariana anzusehen.
„Gewähren Sie mir Asyl, Lieutnant? Mr. Voliére erklärt mir sonst noch den Aufbau des GCC-Kontors auf Ariga.“
Dennor lächelte einen Moment verständnisvoll. Stumm deutete er auf den Kontursessel neben sich.
„Das ist meine erste Havarie, wissen Sie?“
„Ach“, brummte er missfallend.
Ariana stockte. „Ich.... vielleicht war es doch keine gute Idee....“
„Bitte, Ariana, bitte bleiben Sie! Es... ich meinte es nicht so! Es ist nur... Das ist auch meine erste Havarie.“
„Haben Sie Angst?“
„Riesige Angst“, gestand der Pilot.
„Ich glaube, Sie wollen jetzt auch einfach aufstehen, und laut aufschreien, oder?“
„Ich bin nahe dran“, bestätigte der Akone mit mattem Grinsen. „Könnte... darf ich vielleicht einen Moment Ihre Hand halten, Ariana?“, fragte Dennor zaghaft.
„Das zu sagen ist Ihnen ziemlich schwer gefallen, nicht wahr?“, fragte sie freundlich. Ihre Rechte, zart und feingliedrig, glitt in die kräftigere Hand des Raumfahrers.
„Das ist es“, gestand er.
Sie spürte die Kraft, mit der er ihre Hand hielt, und dabei war dies gewiss nicht alles, was an Kraft in diesem sehnigen Körper steckte. Ihr kam zu Bewusstsein, dass ihre Hand nicht minder fest zu griff.
„So viele Worte an einem Stück habe ich Den noch nie außer Dienst sagen hören“, zischte der Topsider Bernstein ins Ohr.
„Nun, der Junge ist nervös, was erwartest Du?“, erwiderte der Kapitän.
„Schlechtes Zeichen, Chef. Hoffentlich gehen ihm nicht die Nerven durch.“
„Wozu hast Du vier Semester Raumfahrer-Psychologie studiert? Wenn es soweit ist, knock ihn aus.“
„Aye, Aye, Kapitän.“
„Ach, warum ist denn hier kein Terminal mit ein paar ordentlichen Spielen?“, murrte Clark. „Wie soll ich mich denn da von unserer Situation ablenken?“
Der schwarze Marsgeborene grinste mitleidig. „Das sagst du ja bloß, weil du schon wieder verlierst! Schach in zwei Zügen.“
„Das sehe ich.“ Clark seufzte. „Tja, das Spiel habe ich wohl auch verloren.“
„Na toll. Vier zu eins! Noch ein Spiel?“
„Aber ja.“
„Ehrlich?“, fragte Oboto Tarras verdutzt.
„Aber ja“, bestätigte Clark. „Wenn ich eines durch meine Boxerkarriere gelernt habe, dann das: Aus jeder Niederlage lernt man. Außerdem habe ich dich ja schon einmal besiegt, oder?“
„Aber nur, weil ich die Akonische Eröffnung noch nicht kannte“, widersprach der Marsianer.
Keiko stand nun schon eine geschlagene Stunde vor dem Panorama-Fenster und starrte in die Leere.
„Darf ich Ihnen Gesellschaft leisten?“ frage eine sanfte Frauenstimme.
„Gern“, erwiderte sie, ohne sich umzuwenden.
Juliette Harris trat neben sie.
„Was ist eigentlich so interessant da draußen?“
Keiko lächelte ihr zu. „Ich suche die anderen Beiboote! Ich vergleiche die Orterdaten mit den tatsächlichen Gegebenheiten. Da, sehen Sie, der Punkt inmitten des Sternendreiecks? Das ist die BR 4 unter Daniela Perone. Sie ist eine mäßige Raumfahrerin, aber in der Buchhaltung ist sie super.“
„Das habe ich gehört, Keiko“, erschallte Danielas Stimme über den UKW, und Keiko glaubte, ihr grinsendes Gesicht vor sich zu sehen. „Nimm das mit der mäßigen Raumfahrerin sofort zurück“, rief sie im Scherz.
„Wieso Dani, sie hat doch Recht“, klang Christina Delgados Stimme von der 2 auf.
Keiko deutete in die Richung, in der sich die BR2 befand.
„Na toll“, brummte Daniela. „Will mir noch jemand in den Rücken fallen?“
„Oh, vorerst nicht“, neckte Christina und ging aus dem Kanal.
„Na wartet ihr zwei! Wenn wir erst gerettet sind, dann....“
Als auch Daniela die Leitung verlassen hatte, prustete Keiko los. Juliette Harris lächelte still. Vorerst war kein Kollaps zu befürchten.
Und Martin Voliére... Kaum, dass Ariana „geflohen“ war, hatte er „Na endlich“, gemurmelt, und war fast sofort eingeschlafen.
***
Zwölf Stunden später...
Sie hatten alle mehr oder weniger gut geschlafen, nur eine Wache war stets an der Funkanlage gewesen. Das erste was Dennor sah als er erwachte, war die Decke des hässlichen Rettungsbootes. Oh ja, er hasste dieses Boot! Aber er wusste, dass er genügend Disziplin aufbringen würde, um das Ganze durchzustehen.
Er hatte den Spezialsessel als Liege herunter geklappt. Neben sich hörte er ein behagliches Seufzen. Ariana benutze seine Schulter als Kopfkissen, und er hatte unbewusst ihr Gesicht gestreichelt.
Nun, von allen Torheiten, die er nun tun konnte, tat er die seiner Meinung nach Klügste. Er blieb so lange liegen, bis Ariana von selbst erwachte. Vorne am Funk stand Keiko und warf ihm feixende Blicke zu. Dennor grinste sie nur an, was die Terranerin weit mehr aus dem Gleichgewicht brachte, als es ein Wutausbruch hätte tun können.
Hm, Arianas Rechte lag genau über seinem Herzen. Hatte er nicht noch vor Kurzem etwas über Havarien gelesen, Situationen wie diese, und das manche Menschen in solch einer Situation versuchten, den Herzschlag eines anderen zu ertasten oder zu hören, wenn sie schliefen? Dennor betrachtete Arianas tief ausgeschnittenes Oberteil, und schluckte trocken. Hatte er vielleicht auch... ihren Herzschlag gesucht?
Die junge Olympierin kuschelte sich noch ein wenig enger an den warmen Körper des Akonen. Wenn, so hoffte er, dass Ariana nichts davon bemerkt hatte.
Hatte Keiko deswegen gefeixt? Bevor er darüber weiter nachdenken konnte, stieß der Ältere Martin Vorliére einen markerschütternden Schrei aus, und fuhr aus seiner Liege hoch.
„Was ist mit Ihnen?“, rief Kapitän Bernstein sofort, und war sogleich neben dem kleinwüchsigen Börsenspekulanten.
„Ich...Entschuldigung, Kapitän! Ich hatte einen Alptraum.“
„Reden sie darüber. Los Voliére. Das ist in unserer Situation das Beste.“
Voliére zögerte. „Ich weiß nicht.“
„Nun kommen Sie schon“, ermunterte ihn der Kapitän.
„Sie werden bestimmt lachen.“
„Ich lache nicht! Ich bin als Kapitän zum Zuhören verpflichtet, glauben Sie mir.“
Voliére gab nach. „Na gut! Ich träumte... Ich sah eine gigantische Schlacht! Blues bekämpften Terraner, Topsider schossen auf Ferronen, und Arkoniden gingen Akonen ans Leder! Es...war grauenvoll! Ich sah Welten im Atombrand vergehen, unter ihnen Terra, Arkon und Spinx! Und wissen Sie, warum dieser Krieg möglich war? Eine Geheimloge innerhalb des Solaren Imperiums hatte die Ermordung aller Aktivatorträger angeordnet, da man der Meinung war, die Relikte aus der Vergangenheit nicht mehr zu brauchen!
Verstehen sie das, Kapitän? Sie verstehen...“ hauchte er, als er in Bernsteins schreckgeweiteten Augen sah.
„Bei Arkon, ja, ich verstehe! Glauben Sie mir, Sie sind nicht der Einzige, der solche Alpträume hat.“ Bernsteins Rechte ruhte schwer auf der Schulter des kleinen Mannes, und dieser beruhigte sich langsam wieder.
„Danke, Kapitän“, flüsterte er und schlief wieder ein.
Inzwischen war Ariana aufgewacht. Sie bemerkte Dennors Blick, schloss wieder die Augen und murmelte verschlafen: „Noch fünf Minuten, Dennor.“
„Solange Du willst Ariana. Wir haben Zeit“, erwiderte der Akone.
Ein wenig mürrisch beobachtete Clark Autumn die beiden.
„Was ist, Boxer? Neidisch?“, fragte der schwarze Marsgeborene grinsend.
„Ich glaube, ich muss meinen Methode ändern. Sieh ihn dir an, den Akonen! Ein bisschen auf ängstlich und mürrisch gemacht, und er... Du siehst es ja, Oboto.“
„Wieso probierst du´s nicht gleich selbst aus?“
„Ich brauche deinen Spott nicht! Du weißt doch, dass mich dieser raumfahrende Engel hat abblitzen lassen.“‘
Oboto grinsten den Boxprofi mitleidig an. „Ich habe Dir ja gleich gesagt, das Keiko nicht auf den Helden-Typ steht! Aber nein, du wusstest es ja besser.“
Derweil beobachtete ihrerseits die junge Raumfahrerin die beiden. „Möchte wissen, was die alle an der blonden finden“, brummte sie. Als sie sich Clark besah, wie der immer zu der schlafenden Ariana rüber schaute, spürte sie... Wut! Und noch ein Gefühl, da sie jedoch nicht definieren konnte. Ha, jetzt wusste sie endgültig was für ein Windbeutel der Boxer war! Warum aber tat ihr das auf einmal Leid?
***
Die zwanzigste Stunde wurde gefährlich! Dennor wurde von heftigem Stimmgewirr geweckt. Ariana, der Kapitän und Notian-Paras umringten mit bleichen Gesichtern den UKW-Funk, aus dem immer wider abgesackte Stimmfetzen ertönten.
„Was ist passiert?“, frage Dennor aufgeregt.
„Doc hat Probleme! Ein paar seiner Passagiere haben sich geprügelt.“
„Ja und? Stanley DeForest ist Meister der Dagor-Technik! Was er zu Kleinholz verarbeitet kann er gleich wieder zusammenflicken.“
Der Topsider sah ihn mit stark geweiteten Pupillen an, bei seiner Rasse immer ein Zeichen großer Erregung.
„Einer der Passagiere hatte ein Ziermesser dabei. Zur Zeit steckt es in der Brustplatte Darron von Tamanars.“
„Dieser arrogante Arkonide“, stieß Dennor hervor, doch im gleichen Moment bereute er seine im Zorn gesprochenen Worte. Gewiss, der Emporkömmling aus dem Volk der Akonen-Kolonisten hatte ihm bei jeder Gelegenheit seine Überlegenheit beweisen wollen, und seine zahlreichen Niederlagen hatte er nie eingestanden.
Wenn Dennor es sich recht überlegte, taten ihm seine Worte kein bisschen mehr Leid. Erst hatte der Arkonide ihn als feigen, verschlagenen Akonen bezeichnet, und als das Dennor nicht treffen konnte, als gemeinen Verräter am Volk der Akonen, weil er mit den Terranern paktierte, ja vor ihnen zu Kreuze kroch.
„Geschieht ihm recht“, murmelte er.
„Wie kannst Du so etwas auch nur denken?“, klagte ihn Ariana an. „Er schwebt zwischen Leben und Tod, und du... Du würdest ihn wohl gerne tot sehen, was?“ Die Olympierin hatte sich in Rage geredet, ihre Wangen hatten sich gerötet. Ihre Augen schienen Funken zu sprühen. Dennor sah sie an, ruhig und beherrscht, wartete bis sie sich ein wenig beruhigt hatte.
„Ja, vielleicht“, sagte er schließlich.
Diese beiden Worte überraschten die blonde Frau derart, dass sie schwieg. Sie sah in das vollkommen neutrale Gesicht des Akonen, so starr, so maskenhaft... Vor wenigen Stunden hatte sie die Maske lüften können, die Mauer zwischen ihnen ein wenig eingerissen. Nun glaubte sie, die Barriere noch aufgestockt zu haben. Doch die Züge ihres Gegenübers lockerten sich wieder etwas.
„Nein, vielleicht doch nicht. Darran ist eigentlich nur ein jugendlicher Hitzkopf, der nicht einmal weiß, was er mit den Phrasen anrichtet, die er auswendig gelernt hat. Wahrscheinlich weiß er nicht einmal, was sie bedeuten. Wo liegt überhaupt das Problem? Im ungünstigen Fall hat sich der Bengel eine Brustplatte angerissen, das heilt in wenigen Stunden.“
Samuel sah zu ihm herüber. „Der Kleine gibt sich selbst auf. Er verfällt in Lethargie, er glaubt, gleich zu sterben.“
„Sch...schön, daran könnte er wirklich sterben. Lass mich mal ran, Sam.“ Der Akone ergriff das Mikrofonfeld. „Hier BR 1! Ich rufe BR 5! Doc, hörst du mich?“
„Klar und deutlich, Dennor! Kann ich was für dich tun?“
„Nö. Aber ich für dich. Gib mir doch mal den Kolonisten ans Mikro.“
„Wen?“, fragte DeForest verdutzt.
„Na diesen schwächlichen, degenerierten Neu-Arkoniden, der in deinem Boot den Kranken spielt.“
„Hier bin ich, Akone. Willst du dich an meinem Tod weiden?“
„Hm, ja, so ungefähr. Ich wollte es nur bestätigt wissen.“
„Was?“, fragte der Arkonide mit leichtem Interesse.
„Ob ihr Neu-Arkoniden genauso degeneriert seid wie eure Ahnen. Na, von Arkoniden kann man ja nichts anderes erwarten.“
„Schweig, du verlogener Verräter! Ich wurde Zuhause jedenfalls nicht verstoßen, weil ich in Prozessen gegen Akonen ausgesagt habe.“
Dennor stockte kurz. „Ich habe eben ein Gewissen“, brachte er leise hervor.
„Gewissen? Ha! Deine eigenen Haut hast du retten wollen!“, warf ihm der Arkonide vor.
„Wie dem auch sei, ich habe so gehandelt, wie ich musste! Ha, Arkonide, ich sterbe jedenfalls nicht an einem kleinen Schnitt über der Brustplatte.“
„Kleiner Schnitt? Erstochen hat er mich!“
„Für einen Toten bist du aber sehr lebendig“, spottete Dennor.
Darran brauste auf. „Ach ja? Ich habe schließlich die Kondition eines Neu-Arkoniden!“
„Dann überlebst du also?“
„Ja, verdammt, ich überlebe! Und anschließend versenke ich meinen rechten Fuß ganz tief in deinem Hintern, Akone!“
„Ich freue mich schon darauf, Darran! Vorausgesetzt, du verträgst das Echo.“
„Ach ja? Ich kann Dagor, Akone! Also mach dich auf was gefasst!“
Dazwischen hörte Dennor Doc DeForests bewegte Stimme. „Nicht aufstehen! Bleib liegen. Dennor, der Junge strotzt wieder nur so vor Energie! Gut gemacht.“
„Drei Jahre Psychologie“, kommentierte der Akone trocken. „Hey Darran, vergiss nicht, nach unserer Rettung sind wir verabredet.“
„Worauf Du wetten kannst! Äh, Dennor?“
„Was?“
„Ich... ich habe mich ziemlich dämlich angestellt. Danke....“
„Hey, Junge, unsere Völker sind verwandt! Dennor Ende.“
„Hier Kapitän Bernstein. Was habt ihr mit dem Messerhelden gemacht?“
Samuel glaubte, Docs grinsendes Gesicht vor sich zu sehen, als er seine Antwort hörte: „Ich hatte noch ein paar Ampullen AC-4 dabei! Habe dem Rabauken gleich eine verpasst.“
„Gute Idee! Reicht der Rest der Beruhigungsmittel für alle deine Gäste?“
„Nicht wenn ich den Schläger am Schlafen halten will. Ein Terraner übrigens.“
„Na, okay. Bernstein Ende.“
Der Kapitän spürte eine schwere Hand auf seiner Schulter. Notian sah ihn mit seinen geschlitzten Pupillen an. .Ein Lächeln lag darin. „Krise überstanden. Deine Crew ist besser als ich dachte“, flüsterte er. So etwas wie Stolz erfüllte die Züge des alten Kapitäns. „Ja, er ist gut. Er lernt seine Angst zu beherrschen.“
„Beste Gene“, scherzte Notian noch im Flüsterton und wandte sich um.
Ariana bat den Akonen mit stillem Blick um Verzeihung.
Müde winkte Dennor ab. „Ist schon gut! Den Fußtritt habe ich gebraucht.“ Doch seine Miene wurde noch ein wenig störrischer.
„Okay, ich gebe es ja zu! Ich habe ganz tief in die Schachtel mit der Aufschrift „Vorurteil“ gegriffen, weil ich dich irgendwie treffen wollte, Dennor.“ Ariana seufzte. „Ich konnte nicht verstehen... Ich glaubte wirklich, Darrans Leben wäre dir egal.“
„Und?“ fragte Dennor amüsiert. „Möchtest du nicht auch noch hinzufügen, wie viel du gelernt hast, liebste Ariana?“
„Was?“, stammelte sie. „Ich verstehe nicht....“
„Schon wieder ein Fehler. Solche Dinge niemals so vehement verneinen oder abstreiten. Du hättest auf die Frage eingehen sollen. Wüsste ich nicht schon, dass du unter anderem Raumfahrtpsychologie studierst, jetzt hätte ich es vermutet. Nun sag schon, hast du gelernt? Zum Beispiel, dass ihr Terraner nicht das Recht gepachtet habt, die Guten zu sein? Oder dass man kleine Ausrutscher nicht nur Perry Rhodan verzeihen darf?“
Ariana Diane Kruger sah den hochgewachsenen Akonen schuldbewusst an. „Du hast ja Recht, Dennor. Ich habe wirklich versucht, meine Kenntnisse an dir aus zu probieren.“ Sie lächelte schüchtern. „Wahrscheinlich glaubst du mir jetzt nicht mehr, dass mir etwas an dir liegt, oder?“ Sie wandte sich zum Gehen, doch Dennor hielt sie mit sanfter Gewalt zurück.
Lächelnd sagte er: „Aber Ariana... Erstens: Ich habe das mit dem Studium schon gewusst, als du an Bord kamst. Gehört zu meinen Aufgaben. Zweitens: Vorhin hast Du mir wirklich sehr geholfen, dafür bin ich dir dankbar. Und drittens: Du bist vielleicht eine gute Psychologin, aber du bist auch eine miserable Schauspielerin.“
Freudenstrahlend umarmte sie Dennor und küsste ihn.
„Hey – mh – laß mich doch mal Luft holen! Ariana, lass uns warten, bis wir gerettet sind, okay? Vorher... Hey, könnt ihr nicht woanders hinsehen?“, rief er den Anwesenden zu.
Oboto sah grinsend in die Wolken, Clark pfiff vor sich hin, Keiko interessierte sich plötzlich sehr für die Ortung, Bernstein, Notian und Martin Voliére unterhielten sich angestrengt und Juliette Harris verschwand diskret im Waschraum.
Dennor grinste zufrieden. „Ariana, eine Havarie ist keine Grundlage für eine Beziehung.“
„Du gefällst mir aber schon länger, nicht erst seit wir havariert sind“, erwiderte sie trotzig.
„Eben“, stellte Dennor fest. „Bleiben wir vorerst Freunde, und sollte nach unserer Rettung noch etwas zwischen uns bestehen....“
„Na gut.“ Ariana ließ ihn los, und streckte ihm die Rechte hin. „Freunde“, sagte sie.
„Freunde“, bestätigte Dennor, als er ihre Hand ergriff.
Ariana zog ihn an sich heran und küsste ihn erneut. „Freunde“, sagte sie schließlich zu dem völlig verwirrten Akonen. Und so ließ sie ihn stehen.
„Wow“, kommentierte Keiko Takagi, als Ariana sich neben ihr niederließ.
Die Olympierin lächelte als Antwort. „Ich wusste doch, dass da doch mehr in diesem Eisblock steckt.“
„Und was da drinsteckt.“
„Recht hast du! Sag mal, wie sieht es eigentlich aus. Irgendwelche Zwischenfälle?“
„Bis auf den eben gerade eigentlich nicht. Ach ja, BR 4 hat vorhin gemeldet, dass einer ihrer Passagiere bestimmte Nahrungskonzentrate aus religiösen Gründen nicht anrühren würde. Seitdem wird an Bord der BR 4 mit den Rationspäckchen gefeilscht.“
Ariana lachte glockenhell.
Etwas abseits stand Clark, und beobachtete die beiden Frauen. „Und wenn ich den beiden jetzt Kaffee bringe, glaubst du, Keiko....“
„Nein, Junge, glaub mir. Damit würdest du deine eigenen Pläne durchkreuzen. Sie würde glauben, du seist auf Ariana scharf, und das wäre doppelt böse. Erstens ist sie schon vergeben, und zweitens.... Du weißt schon.“
„Ja, ja“, kommentierte der Boxer. „Warte ich eben bis Ariana wieder weggeht.“
***
„...und so siehts aus: In den letzten acht Stunden sind wir natürlich ein wenig abgedriftet, aber das ändert nichts an der Anordnung. Ganz links ist die 3, dann folgen wir, gut 88.000 km entfernt, dann kommt die 5, 11.000km, die 2 mit 110.000 km Entfernung von der 5 , die 6 in 68.000 km und die 4 in 104.000 km. Die 2 ist also von der 4 ungefähr soweit entfernt wie Luna von Terra. Soviel zu den Entfernungen, mit denen wir hier zu tun haben. Für die Entfernung, die wir bereits zurückgelegt haben, sind diese Distanzen zwischen den einzelnen Booten fast nichts. Sobald wir gefunden werden, wird der Retter die Boote also in einem ziemlich weiten Bogen aufnehmen, wahrscheinlich von links nach rechts. Soll angeblich Glück bringen.“
Die Anwesenden lachten über den Scherz des Kapitäns, eine Wohltat bei der Angst, nun schon den dritten Tag in dieser Büchse eingesperrt zu sein. Die fünfzigste Stunde brach an, unauffällig , ohne Paukenschlag. Der Kapitän hatte sich entschlossen, mit den Gästen ein wenig Theorie zu pauken. Es tat ihnen sichtlich gut. Während der Kapitän weiter von den Gegebenheiten sprach, schlich sich Clark zu den Essensvorräten. Mit drei dampfenden Bechern ging er nach vorne zu Keiko, die Funkwache hatte. „Hallo! Kaffee?“ fragte er schüchtern.
Sie sah den Boxer erstaunt an. „Warum drei Becher?“
Clark stellte die Becher vor ihr auf dem Schaltpult ab und erklärte: „ Na ich weiß doch nicht, wie du deinen Kaffee magst. Hier: Kaffee schwarz, mit Milch, mit Milch und Zucker.“
Keiko unterdrückte ein Lachen und ergriff den Kaffeebecher mit Milch. „Danke.“
Clark ergriff den schwarzen Kaffee und ließ sich neben ihr nieder. „Kein Zucker?“, vergewisserte er sich noch einmal.
„Nö, ich muss auf meine Linie achten.“ Keiko musste lachen, als Clark die Kinnlade herabsackte.
„Du... auf deine Linie achten?“, stammelte er ungläubig. „Du könntest den ganzen Tag Süßigkeiten essen und würdest nicht zunehmen.“
„Übertreibe nicht so“, ermahnte sie ihn grinsend.
Oboto sah den beiden zu. „Mit der Masche hast du anscheinend mehr Erfolg, Clark.“
„Davon könne Sie ausgehen, Mr. Tarras“, kommentierte der terranische Broker.
„Wie meinen Sie das?“
„Nun,“ erklärte Voliére lächelnd. „Es gibt nicht allzu viel, was an Bord eines solchen Rettungsbootes verborgen bleibt.“
Oboto nahm den Becher Kaffee, den ihm Voliére reichte und fragte: „Spielen Sie Schach, Mr. Voliére?“
***
„Hier BR 3, Chefingenieur Malloy spricht! Skipper, wir beobachten an der linken Flanke deines Rettungsbootes ein Elmsfeuer! Sieht nach `ner schadhaften Steuerdüse aus.“
„Hier Bernstein! Habe verstanden! Danke, Toren.“
„Viel Glück, alter Raumbär! Ich drücke dir beide Daumen! Malloy Ende.“
„Amen! Bernstein Ende.“
„Ein Elmsfeuer? Hier im Weltall? Will Sie Ihr Ingenieur auf den Arm nehmen?“
„Mr. Voliére, das war Raumfahrerjargon“, erklärte Berstein. „Malloy meint ein energetisches Feld an der Steuerdüse. Keiko, wie viel Energie haben wir noch?“
Die junge Frau schluckte trocken. „Null Komma acht vier, Skipper.“
„Scheiße.“
„Moment! Das energetische Feld, die Energie... wie hängt das zusammen?“
Juliette Harris ergriff den Broker am Arm und führte ihn weg. „Kommen Sie, ich erkläre es ihnen. Bei dem energetischem Feld handelt es sich um einen stillen Verbraucher.“
„Wollen Sie damit sagen, die Steuerdüse frisst unsere Energie?“
„Nicht die Düse. Eine Düse besteht aus mehreren Verbrauchern. Wird die Düse beschädigt, kann es passieren, dass sich einer der Verbraucher aktiviert, ohne die ganze Düse zu aktivieren. Er frisst also Energie, ohne dass wir einen Nutzen davon haben. Ein stiller Verbraucher also. Meist entsteht dabei ein elektromagnetisches Feld, das man anmessen kann.“
„Das Elmsfeuer“, warf Voliére ein.
„Genau.“
„Unser Problem ist es also, dass das Elmsfeuer nach und nach unsere Energie verzehrt. Also sitzen wir bald auf dem trockenem.“
„Wir werden entweder erfrieren, weil die Heizung aufhört zu arbeiten, oder ersticken, weil die Lufterneuerungsanlage ihren Geist aufgibt“, bestätigte Juliette.
„Furchtbar. Haben wir eine Chance?“
„Sogar zwei. Erstens: wir werden gerettet bevor uns die Energie ausgeht! Zweitens: wir deaktivieren die Düse.“
„Mir scheint“, sagte der Broker. „der Kapitän hat genau diese Lösung ins Auge gefasst. Anscheinend streiten sie gerade darum, wer geht.“
„Nein, Notian! Selbst, wenn das Maschinendeck mit Atemluft geflutet ist, können wir die Temperatur höchstens bis auf minus zwanzig Grad anheben. Du würdest erfrieren.“
„Sag ich doch! Ein Terraner muss da hinunter und die Düse manuell abschalten“, stellte Keiko fest.
„Oder ein Akone“, hielt Dennor dagegen.
„Nein, ein Terraner! Eine Terranerin, um genau zu sein. Ich. Die Bewegungsmöglichkeiten unten auf dem Maschinendeck sind gering. Ich bin schlank genug, um mich überall durch zu zwängen.“
„Ich aber auch.“
„Weder du, Dennor, noch du, Keiko. Ich werde gehen.“
„Sam, das ist Schwachsinn“, protestierte Keiko. „Mit deiner Schulterbreite bleibst du doch ständig stecken! Und die Kälte hat dann Zeit, dich fertig zu machen.“
„Und ich werde wohl gar nicht gefragt, was?“
„Entschuldigen Sie, Clark, aber erstens ist das eine Aufgabe für die Crew, und zweitens braucht man dafür die technischen Kenntnisse. Die kann Ihnen niemand soufflieren.“
Mit einem Ruck warf sich Dennor herum. Seine rechte Faust zuckte hoch, und traf das Kinn des völlig unvorbereiteten Kapitäns. Wie ein Kartenhaus im Sturm klappte Samuel Bernstein zusammen. Als wäre nichts geschehen, wandte Dennor sich den anderen wieder zu. „Außerdem bin ich Extremsportler. Wenn es einer schafft, die manuelle Abschaltung durchzuführen und lebend wieder zurückzukommen, bin ich das. Notian, sorge dafür, dass Sam nicht aufwacht, bevor ich in der Maschinendeckschleuse bin.“
Der Topsider nickte.
Dennor entledigte sich seiner Oberbekleidung. „Oboto, ich brauche deine Hose und deinen Pullover! Mr. Voliére, ich könnte Ihre Weste gebrauchen! Notian, ich brauche deine Socken und die Uniform des Kapitäns. Keiko, ich könnte deinen Seidenschal als Handbandage gebrauchen und deine Jacke als Polsterung.“
Die Asiatin entledigte sich stumm der gewünschten Dinge. Mit wehleidiger Miene zerriss sie den Seidenschal in zwei gleich lange Teile.
Dennor lächelte dankbar, während er alle Kleidungsstücke anzog.
„Hier, die werden Sie brauchen“, sagte Voliére und reichte Dennor eine Mütze.
„Danke. Keiko, flute jetzt den Maschinenraum! Notian, achte weiter auf Sam! Ariana...“ Dennor grinste kurz. „...jetzt könnte ich einen Kuss gebrauchen.“
Lächelnd streichelte sie dem vollkommen vermummten Offizier über die blassen Wangen. Ihr Kuss gab ihnen etwas Farbe zurück.
„Ich schätze ich werde zehn Minuten brauchen. Wartet nicht mit dem Essen auf mich.“
Unendlich langsam schloss sich die Notschleuse zum Maschinendeck hinter dem Raumfahrer.
Es war eiskalt, und dazu so eng, dass sich Dennor nur mühsam hindurch zwängen konnte. Seine Gesichtshaut spannte schmerzhaft; die aufgesprungenen Lippen beachtete er schon gar nicht mehr. Da, der Verteiler. Jetzt bloß keinen Fehler machen, oder die sitzen oben im Dunkeln, scherzte der Akone in Gedanken. Mit klammen Fingern aktivierte er das kleine Display neben dem Verteiler. Verdammt, das ist kühler als zwanzig Grad minus. Mit ein paar Tastendrucken war er im Menü. Wie gehe ich vor? Selbstdiagnose aktivieren, oder überbrücken? Hm, würde sie funktionieren, hätte sich die Selbstdiagnose längst aktiviert! Also überbrücken! Aber das dauert ein bisschen.
Dennor aktivierte mehrere Systeme, darunter die defekte Düse, jedoch ohne sie auszulösen. Gut, Computer. Jetzt einen Notfall vortäuschen! Gut! Alle Systeme deaktivieren sich wieder. Aha, die Steuerdüse auch! Alle Energie geht in die Notsysteme. Ist der stille Verbraucher weg? Ja, Akon sein Dank! Jetzt noch die Datenbank schließen und wieder raus aus dem Menü! Super! Und jetzt weg hier, bevor ich fest friere.
Er versuchte sich zu bewegen, doch es ging nicht. Wie ein Hammer traf ihn die Erkenntnis, dass er wirklich festgefroren war! Festgefroren, verloren.. Das war sein Tod.
***
Ariana marschierte nervös vor der kleinen Schleuse auf und ab und kaute an ihren Fingernägeln. „Was macht er nur so lange da unten? Er ist jetzt schon länger als fünfzehn Minuten weg.“ Eiskalt griff die Angst nach ihrem Herzen und presste es zusammen! „Ist er vielleicht...erfroren?“
„Beruhige dich Ariana. Vor vier Minuten ist der stille Verbraucher erloschen. So schnell erfriert man nicht! Vor allem nicht, wenn man noch ein Terminal bedienen kann“, beruhigte Keiko sie.
„Das sagst du so leicht“, seufzte sie. „Was...was machen wir, wenn er nicht wiederkommt?“
„Nichts“, erklang Kapitän Bernsteins grollender Bass.
„Sie lassen ihn sterben, nachdem er uns gerettet hat?“
Der Kapitän nickte traurig. „Solange wir nicht gerettet sind, ist das da unten eine Todesfalle für jeden, der Dennor folgt! ER wusste das! Darum ging er.“
„Ich...verstehe.“ Ariana wandte sich ab, damit die anderen nicht sahen, wie sie weinte. Sie wollte ja tapfer sein! Sie wollte ja die Hoffnung nicht schon aufgeben! Aber das war so schwer... Sie konnte nicht mehr daran glauben, das sie ihn noch einmal lebend wieder sah.
„DA! Die Kontrollleuchte! Die Schleuse wurde auf der anderen Seite geschlossen!“, rief Keiko aufgeregt.
Ariana wirbelte herum. Mit bebenden Lippen sah sie auf die Schleusentür, und betete, dass sie sich öffnete. „Bitte“, stammelte sie in Gedanken.
Und wirklich, die Schleuse öffnete sich. Erst nur ein Spalt, der sich sehr, sehr langsam vergrößerte, bis....
„Dennor!“, schrie Ariana und fing den taumelnden Akonen auf. „Du.... du bist ja eiskalt“, flüsterte sie, und presste sich eng an ihn, um ihn zu wärmen.
Dennor sah sie an. Aus seinen zersprungenen Lippen quoll ein leises: „Bin eben cool.“ Dann brach er vollends zusammen.
„Hm! Er trägt meine Uniform nicht mehr“, stellte Samuel fest.
„Wollen Sie sie ihm in Rechnung stellen?“, fragte Oboto ironisch.
„Durchaus nicht. Aber ich weiß jetzt, was er so lange da unten gemacht hat.“
„Was?“
„Er ist festgefroren, hat zwei Schichten Kleidung ausgezogen und kam zurück. Muß `ne Mordstortur gewesen sein, in der Enge eine am Boden festgefrorene Hose auszuziehen.“
„Sam! Hast Du es bemerkt?“, fragte Notian ruhig. „Als Dennor mit dem metallenen Rangabzeichen ans Schott stieß, zerbrach es! Da unten....“
Bernstein unterbrach den Topsider. „....waren es mehr als fünfzig Grad minus, wenn sogar Metall spröde wird. Ein Wunder, dass er noch lebt.“
***
Das erste, was Dennor sah, als er wieder erwachte, war das bärtige Gesicht Samuel Bernsteins direkt über sich.
„Vom Überzeugen mit Argumenten hältst Du wohl nichts, was?“, fragte dieser lächelnd.
Der junge Raumfahrer versuchte zu grinsen, doch seine Gesichtshaut spannte fürchterlich.
„Ach ja, wir vermuten, das du dir die Gesichtshaut erfroren hast. Das heißt, nicht mehr grinsen, bis du behandelt werden kannst, okay?“
„Danke für die Warnung“, brachte der Akone undeutlich hervor. „Aber das Grinsen wird mir fehlen.“
„Ist er wach?“, hörte er eine aufgeregte Stimme vom Waschraum her. Arianan kam mit zügigen Schritten näher. „Wie geht es dir, Dennor?“
„Ich liebe dich“, murmelte er.
Erschrocken über das Geständnis des scheinbar so introvertierten Akonen erstarrte sie. „Dennor, wie war das doch gleich von wegen warten, bis wir gerettet sind?“, fragte sie schließlich lächelnd.
„Was kümmert mich mein Geschwätz von vorhin?“ Das einzige was in dieser Maske zu leben schien waren die Augen. Und im Moment schien ihr Strahlen mit den Sternen des Universums wetteifern zu wollen!
„Ich glaube wir lassen die zwei mal eine Zeit lang allein“, schmunzelte Samuel und wollte sich gerade erheben.
„Nein, Sam, ihr kriegt das doch sowieso alles mit. Bleibt ruhig hier.“
Nun ließ sich die ganze Gruppe ringsum die Beiden nieder, und Notian fluchte innerlich, weil er am Funkgerät etwas zu weit entfernt war. Das hinderte ihn jedoch nicht, das Mikrofonfeld auf höhere Empfindlichkeit einzustellen und so alles exklusiv zu den anderen Rettungsbooten der BERENICE zu übertragen.
„Ariana... ich....als ich da unten war, alleine in dieser Tiefkühltruhe, als ich merkte, dass mich kondensierte Feuchtigkeit am Boden festgefroren hatte... Verdammt, ich wollte einfach liegenbleiben und sterben.“ Er unterbrach sich kurz, sah Ariana an wie ein Wunder. „Und, bei Akon, ich habe nach einem Grund gesucht, weiterzuleben. Und ich merkte, dass da noch etwas war, was mir wieder Kraft gab. Das eine war das Wissen, wie stolz mein Vater in diesem Moment auf mich sein müsste. Das andere warst du! Es ist mir egal, ob ich wieder enttäuscht und verraten werden könnte. Es ist mir egal, was die Familie meiner Mutter dazu sagen wird. Es ist mir egal! Ariana, ich weiß jetzt, wie sehr ich dich liebe. Ich hatte eine furchtbare Angst, das niemals sagen zu können. Danke, das es dich gibt.“ Stille!
„Und?“ fragte Ariana erwartungsvoll.
„Was, und?“
„Willst du nicht noch etwas hinzufügen?“
Entrüstet rief Dennor: „Aber Ariana, ich bin ein Akone! Ein Feind Terras! Wie kannst du glauben, ich würde dich an mich fesseln wollen?“
„In welchem Jahrtausend lebst du eigentlich?“ erwiderte sie trocken. „Die Masche mit den bösen Akonen ist doch vollkommen abgenutzt! Denk dir `ne bessere Ausrede aus.“
Daraufhin schwieg Dennor lange Zeit... „Ariana, ich ... ich wäre keine Partie für dich! Ein Halb-Akone, der in der Terranischen Handelsflotte dient, ständig zwischen den Sternen unterwegs....“
„Falls es Dich interessiert, mein Vater hat sein Vermögen als Prospektor verdient! Er ist also auch Raumfahrer! Moment... Halb-Akone?“
Dennor versuchte zu lächeln, was ihn schmerzhaft an den Zustand seines Gesichts erinnerte. „Mein Vater war ein Captain der Solaren Flotte, der eine Zeitlang auf Sphinx in der Botschaft als Militärattaché stationiert war. Er begann eine Liebesaffäre mit meiner Mutter, ohne zu wissen, dass das Oberhaupt ihrer Familie Mitglied des Großen Rates war. Als ihre Beziehung bekannt wurde, verbot mein Großvater jedes weitere Treffen mit meinem Vater. Der wollte das nicht hinnehmen, und protestierte so lange und laut, bis man ihn schließlich aus dem Blauen System auswies.
Tja, ein halbes Jahr später gab es mich.
Ich habe lange Zeit nichts über meinen Vater gewusst, bis ich zur Akonischen Heimatflotte ging. Der Kommandant meines Wachkreuzers hatte einen fanatischen Hass auf Terraner. Das ging so weit, dass er ein terranisches Prospektorenschiff aufbringen und grundlos entern ließ. Anschließend verhaftete er die Mannschaft wegen Spionage, doch wir, seinen Crew, wussten es besser, und in dem Prozess sagte ich das auch. Ich entlastete nicht nur die Prospektoren, ich empfahl auch die Ablösung meines Kommandanten, bevor er etwas wirklich Schlimmes anstellen konnte. Mein Fehler, denn der Kerl hatte hervorragende Beziehungen; ich wurde unehrenhaft entlassen, doch das war mir egal, denn die terranischen Prospektoren erwartete ein Freispruch.
Doch die Krönung von allem war, das mich mein ehemaliger Kommandant als getarnten terranischen Agenten hinstellte, gezeugt mit dem manipulierten genetischen Erbgut eines Terraners, und ich solle mich zu meinesgleichen scheren! So erfuhr ich, dass mein Vater Terraner war – zeitgleich mit den Papieren, die mich ausbürgerten.
Verstehst du, ich bin ein Mann ohne Volk mit unsicherer Zukunft und verlorenen Wurzeln. Mich eine schlechte Partie zu nennen ist schamlos untertrieben. Für die Akonen werde ich immer der Renegat bleiben, für die Terraner ein potentieller Verräter. Ich liebe dich, ich liebe dich wirklich, mit einer Glut, wie ich sie nie zuvor gespürt habe und deswegen... Deswegen ist unser kurzer gemeinsamer Weg zu Ende. Bitte mach es uns nicht so schwer....“
Dennor schluckte heftig, als er der Olympierin die Tränen von den Wangen wischte.
„Dennor“, hauchte sie. „Wenn... wenn du mich liebst, dann sollte dir dies alles egal sein. Es kommt doch nur auf uns beide an.“
Der Akone schüttelte nur stumm den Kopf. „Gerade weil ich dich liebe, ist es mir nicht egal....“
„Ich kann dir immerhin eine sichere Zukunft bieten, Dennor.“ grollte Samuels Bass.
„Mach dir nichts vor! Du weißt genau, dass mich die Sol Ab in unregelmäßigen Abständen überprüft.“ Traurig senkte Dennor den Kopf. „Versteht ihr jetzt warum ich immer so still bin? Es ist, als würde ich ewig mit einem Brandzeichen im Gesicht herumlaufen.“
Oboto Tarras brach vor Rührung in Tränen aus. „Ist das traurig. So traurig.“
Clark reichte ihm mitfühlend ein Taschentuch.
„Ich sollte daraus ein Drehbuch machen! Titel: Vom Verräter verraten! Der Film, der daraus entsteht, wird vielleicht sogar einen neuen Pro-Akon-Trend auslösen.“
„Mann, jetzt weiß ich, woher ich deinen Namen kenne!“, rief Clark begeistert. „Schreibst Du nicht unter dem Pseudonym Thamon Bulloz Drehbücher für die Galactic Order-Serie, die bei der Hälfte aller Galaktischen Sender läuft?“
„Oh, ich habe gar nicht gewusst, das wir so eine Berühmtheit an Bord haben“, ereiferte sich Notian, „Ich kenne fast alle Folgen von dir, Oboto! Vor allem Der Tag des Apaso, wo es um die internen Beziehungen der Blues-Völker geht.“
„Eine Arbeit, die Jahre der Recherche erforderte“, bestätigte Oboto, und entblößte zwei Reihen silberglänzende Zähne zu einem Grinsen. „Mit euer aller Einverständnis würde ich dies alles für solch ein Drehbuch verwenden. Die Havarie, der stille Verbraucher, euch zwei....“
Ariana errötete leicht.
„Natürlich erhaltet ihr Tantiemen und Mitspracherecht bei der Regie.“
„Schaden kann´s wohl nicht....“ Dennor versuchte wieder zu grinsen, was ihn erneut an seine erfrorene Gesichtshaut erinnerte.
„Und ich könnte dafür sorgen, dass der Film auch gedreht wird, wie ihr ihn sehen wollt.“ fügte Martin Voliére hinzu. „Zufällig hält meine Firma dreißig Prozent Anteile an Mr. Tarras Produktionsfirma.“
„BR 4 an BR 1! Sam, wir haben Kontakt mit einem Raumschiff! Er ist in vier Stunden in Reichweite.“
Eine Zeitlang war absolute Stille. Sie sahen sich nur stumm in die Augen... Als auf den anderen Rettungsbooten Jubel ausbrach, schaffte sich auch auf der BR 1 die Freude Bahn. Ariana und Dennor umarmten sich glücklich, Keiko fiel Clark in die Arme, Voliére und Oboto Tarras gaben sich still die Hand, Sam schlug Notian in allerbester Laune auf die Schulter, wodurch der Topsider in die Knie ging, und Juliette Harris legte die Hände vors Gesicht, weil sie nicht glauben konnte, dass die Havarie bald vorbei war.
„Hier spricht Captain Toran von Lasar-Toje, Erster Offizier des Akonischen Kurierkreuzers MALAKOR! Kapitän Bernstein, wir werden die BR 4 in zehn Minuten aufnehmen! Haben Sie einen besonderen Wunsch, wenn Sie an Bord sind?“
„Nur eine anständige Mahlzeit, eine Dusche und Sprechzeit an ihrem Hyperfunk! Danke, Captain.“ Bernstein unterbrach die Verbindung.
„Das könnte Ärger geben“, stellte Dennor leise fest.
„Ich weiß. Du bist nicht nur ausgebürgert, du bist auch verletzt. Und Darran, der junge Arkonide auch. Das Beste wird sein, du spielst den Terraner, wie es in unserer Datenbank steht. Bei Darran können wir nur das Beste hoffen.“
„Solange er sein Temperament unter Kontrolle hält, kann eigentlich nichts schief gehen! Sam, die MALAKOR meldet sich.“
„Hier Kapitän Bernstein! Was gibt´s?“
„Schiffarzt Oron Daramin hier! Sie haben zwei von ihnen als nicht akut, aber verletzt angegeben! Welcher Art sind die Verletzungen?“
„Nun, Doc, da wäre einmal ein Passagier, ein junger Arkonide mit einer Stichwunde über einem Riss in der Brustplatte, sowie einem mittelschweren Schock. Er ist außer Lebensgefahr. Zum anderen ist da mein erster Pilot. Er hat mehrere Erfrierungen am ganzen Körper, primär jedoch an der Gesichtshaut.“
„Hat ihr Pilot irgendwo an einem Körperglied schwarze Flecken?“
„Nein, keine Flecken, Doc.“
„Hat ihr Pilot auch einen Namen?“
„Ja! Er heisst Dennor....“
„Dennor von Par-Asear?“, rief eine unangenehm schrille Stimme über die Verbindung.
„Uroc?“, flüsterte Dennor leise.
„Du kennst ihn?“, fragte Ariana.
„Ihm verdanke ich meine Verbannung“, knirschte er.
„Ja, Leutnant Dennor von Par-Asear“, bestätigte Samuel ungerührt. Der Besitzer der schrillen Stimme murmelte ein paar akonische Flüche und verließ die Leitung wieder.
„Das kann ja heiter werden“, murmelte der alte Kapitän.
„Keine unnötigen Sorgen“, riet der akonische Schiffsarzt. „Major Uroc Zarahs ist lediglich Gast an Bord.“
Erleichtert stieß Sam die angehaltene Luft aus den Lungen. Ein allgemeines Aufatmen ging durch das Rettungsboot. Dennor schien vorerst sicher.
***
„Ruhen Sie sich aber erst einmal aus, essen Sie mal was anderes als Konzentrate und duschen Sie solange Sie wollen“, hatte Major Ragan von Lita-Reates gesagt. Und genau das hatte Sam getan – in umgekehrter Reihenfolge allerdings. Als er erwachte, fand er eine saubere, neutrale Bordkombination vor und die schriftliche Nachricht, dass sie um 23:00 Uhr Terrania-Standardzeit am heutigen Tage Olymp erreichen würden – das ursprüngliche Ziel ihrer Reise. Ein Blick auf den Chronometer seines Kombi-Armbandes verriet ihm, dass es bis dahin noch gut fünfzehn Stunden waren. Hier an Bord orientierte man sich nach Standard-Alpha-Zeit, nach der es jetzt Mittag war. Der Türmelder summte und Sam bat herein.
In der Tür stand ein hochgewachsener Akone mit der typischen bronzenen Haut unter kupferfarbenem Haar, das an den Schläfen ergraut war. Sam schätze ihn nur wenig jünger als sich selbst. Er wusste sofort, wen er da vor sich hatte, denn dieses Gesicht hatte er zu oft schon vor Augen gehabt.
„Hallo Kollege“, sagte der alte Akone.
„Hallo Kollege“, erwiderte Sam lächelnd. „Nimm doch Platz.“ Hinter dem Akonen schloss sich die Kabinentür wieder, und die beiden Männer waren allein.
***
„Sind seine Lippen wieder kussfest, Doc?“, scherzte Ariana.
„Nur zu. Probieren Sie es aus“, ermunterte sie der akonische Arzt.
Das ließ sie sich nicht zweimal sagen.
„Weißt du was? Wenn ich das hier lebend überstehe, dann....“
„Ich hoffe doch, du willst sagen, das du mich heiraten willst“, drohte sie lächelnd.
„Ich überlege es mir“, erwiderte Dennor flapsig.
„Was? Du überlegst es dir?“, rief Ariana entrüstet.
Sanft zog der Akone sie zu sich heran. „Nenne mir drei Gründe, warum ich dich heiraten sollte.“
Sanft küsste sie Dennor auf die Stirn. „Eins.“ Dann küsste sie seine rechte Wange. „Zwei.“ Und schließlich gab sie ihm einen Zungenkuss. „Drei.“
„Schon überredet“, rief Dennor. Erneut zog er sie zu sich heran. „Wie wäre es, wenn du mir den dritten Grund noch ein wenig näher erläuterst?“
Ariana lächelte. „Aber gerne doch.“
„Dennor, ich hoffe ich störe nicht. Wie geht es deinen Erfrierungen?“
„Hallo, Stanley“, begrüßte der Akone der terranischen Arzt. „Die Akonen haben mich ebenso gut versorgt, wie du es getan hättest. Das Biomol-Plast hat sich schon mit den unverletzten Hautschichten verbunden.“
„Und Miss Kruger hat gleich die Belastbarkeit deiner neuen Haut ausprobiert“, stellte der Bordarzt der BERENICE schmunzelnd fest. „Ich will auch gar nicht lange stören. Ich wollte nur ausrichten, dass ihr beide zum Abendessen in die Mannschaftsmesse eingeladen seid.“ Und flugs verschwand Doc DeForest wieder.
Ebenso lautlos, wie er vorhin das Krankenzimmer verlassen hatte, betrat der akonische Arzt es wieder. „Dennor von Par-Asear, ich habe hier die Diagnostik. Sie können den Lazarettbereich verlassen.“
„Danke, Oron. Sie haben mich gut verarztet.“ Sie schüttelten einander die Hände.
„Besser als ich ist höchsten ein Ara“, erwiderte er bescheiden.
***
„Uh, der Akone da drüben sieht dich ja an, als wolle er dich mit bloßen Händen erwürgen“, flüsterte Ariana Dennor ins Ohr. „Ist das dieser Uroc?“
Doch ihr Freund hörte sie nicht. ER hatte allein Augen für den Akonen mit den graumelierten Schläfen, der direkt neben dem Kommandanten saß.
„Ah, Dennor, schön, das ihr zwei schon da seid“, sagte der Akone, stand auf, und begrüßte die Neuankömmlinge.
„Ihr kennt euch?“, fragte Ariana neugierig, als der ältere Akone ihr die Hand gab.
„Markon“, hauchte Dennor leise.
„Ich freue mich, dich endlich wiederzusehen, mein Junge“, erwiderte dieser.
„Ich... ich freue mich auch, Großvater! Ariana, darf ich vorstellen? Markon von Par-Asear, Mitglied des Hohen Rates von Akon, und Oberhaupt der Familie Par-Asear.“
„Willst Du mich nicht vorstellen?“
„Markon, das ist Ariana Diane Kruger, meine zukünftige Frau.“
„Das wundert mich nicht.“ Markon lächelte Ariana zu. „Den guten Geschmack hat er eindeutig von mir. Willkommen in der Familie Par-Asear, meine Tochter. Nun guck doch nicht so verdutzt, Dennor! Du magst ausgebürgert worden sein, aber du gehörst immer noch zur Familie.“ Mit einem Lächeln, das Ariana sehr bekannt vor kam, führte Markon sie zu ihren Plätzen. „Und selbst das sollte nicht mehr lange ein Problem sein“, fügte Markon hinzu.
Während Urocs Hass die Atmosphäre in der Messe zu vergiften drohte, trafen nach und nach die restlichen Geretteten, sowie einige hohe Offiziere der MALAKOR ein. Der Letzte war Kapitän Samuel Bernstein. Er nahm direkt neben Markon Platz. Die Begrüßung der beiden fiel so sachlich aus, dass Dennor misstrauisch wurde.
Major Ragan stand auf. „Lassen Sie mich einige Worte zur Erklärung sagen. Dass es ausgerechnet das Kurierschiff MALAKOR war, welches zu ihrer Rettung zur Stelle war, ist kein Zufall. Übrigens waren wir nur einen halben Tag schneller als die Rettungskreuzer der Solaren Flotte. Jedenfalls... die MALAKOR hatte den Auftrag des Hohen Rates von Akon, schnellstmöglichst mit dem Terranischen Handelskreuzer BERENICE zusammenzutreffen. Es ging darum, vor acht terranischen Jahren begangenes Unrecht wieder gut zu machen. Vor acht Jahren wurde Captain Dennor von Par-Asear, Bürger des Akonischen Reiches und Offizier der Akonischen Flotte ohne Begründung, ja, willkürlich ausgebürgert, allein durch die Beziehungen eines rachsüchtigen Vorgesetzten, Major Uroc Zorasch. Doch Uroc erkannte das Unrecht, und der Hohe Rat stimmte schließlich zu, Captain Dennor von Par-Asear zu rehabilitieren. Nicht, Major?“
Als der hasserfüllte Akone aufstand, gab er sich keine Mühe, diese negative Emotion, die sein Gesicht verzerrte, zu verbergen. Man sah es deutlich, dass er das Dokument in seiner rechten Hand fort schleudern wollte, und nicht an Dennor übergeben, was er aber doch schließlich tat.
„Ich bitte um Vergebung für mein Handeln. Ich biete Euch hier in meiner Hand alle Rechte an, die Euch durch mein Handeln entzogen wurden. Bitte, nehmt sie an, um einen Teil meiner Schuld zu tilgen...Herr.“ Er spie das letzte Wort aus wie einen Fluch.
Mit einem Ruck entriss Dennor seinem alten Feind die Dokumente. „Geh“, knurrte er.
Ein paar Stunden später versammelten sich die Geretteten der BR 1 in einer kleinen Messe. Major Ragan verteilte Getränke an die Anwesenden. Er räusperte sich. „Meine Damen und Herren, wir haben sie alle eingeladen, weil sie direkten Anteil am Schicksal Dennors von Par-Asears haben. Sie sollen die Hintergründe erfahren.
Alles begann damit, dass Markon mit aller Gewalt gegen das Urteil zur Ausbürgerung protestierte. Da er ein Mitglied des Hohen Rates ist, wurde das Verfahren ein halbes Jahr später wieder aufgenommen, und nach einem weiteren halben Jahr für ungültig erklärt. Major Uroc wurde aufgrund der Sachlage zur Heimatflotte des Blauen Systems versetzt, da man dort seinen fanatischen Hass gegen die Terraner besser unter Kontrolle hatte. Dass es dennoch sieben Jahre dauerte, bis die Rehabilitation Dennor erreichte, hat einen wichtigen Grund: Namhafte Mitglieder der Regierung – nicht des Hohen Rates – hatten Uroc damals bei der Diffamierung Dennors geholfen, und aus Angst vor der Strafe begannen sie, die Vollstreckung der Rehabilitation zu boykottieren. Der Hohe Rat rief eine Kommission ins Leben, die eben diesen Fall als Grundlage benutzte, um diese und andere korrupte Mitglieder der Regierung auffliegen zu lassen.“ Ragan lächelte. „Und diese Aktion, die mit der Aburteilung von achtunddreißig Politikern und zweihundertundvier Staatsdienern endete, dauerte bis vor sieben Tagen an. Der Hohe Rat sandte sofort die MALAKOR aus, um das Unrecht endlich zu bereinigen, und wir nahmen Uroc mit, um ihm seine kleine Rolle in unserer Gesellschaft vor Augen zu führen. Was uns übrigens gelang.“
„Dennor“, sagte Markon. „der Hohe Rat bietet dir einen Platz als Major in der Akonischen Flotte an, als Kommandeur selbstverständlich. Aber dein anderer Großvater Samuel bietet dir den Posten des Kapitän an Bord des Nachfolgeschiffes der BERENICE an. Er und Notian wollen endlich ihre wohlverdienten Schreibtische in der Verwaltung einnehmen. Sie selbst nennen das Ruhestand. Sohn, egal, wie du dich entscheiden wirst, du und Ariana sind auf Akon immer ebenso willkommen, wie auf Terra und Olymp.“
„Das weiß ich, Markon, Samuel, und ich danke euch dafür! Ein Zuhause ist bereits ungeheuer wertvoll. Deren zwei zu haben, ist ein kostbares Gut.“ Dennor hob sein Glas. „Auf das Versteckspiel meines einen und den Kampf meines anderen Großvaters, auf die, die wir lieben und auf die Gerechtigkeit.“
„Auf die Gerechtigkeit.“
Epilog:
Kurzmeldung Olympische Allgemeine Presseredaktion:
Im traditionsreichen Alten Viertel der Händler in der Hauptstadt Trade City fand heute das gesellschaftliche Ereignis des Jahres statt. In der großen Empfangshalle des Bernstein Inc. Towers gaben sich der erst kürzlich rehabilitierte ehemalige akonische Offizier und Kapitän des BERENICE-Nachfolgers SPHINX, Dennor von Par-Asear und Doktor der Psychologie Ariana Diane Kruger, Tochter des aus seinen Prospektenorentagen bekannten Beraters Kaiser Anson Argyris´, Fürst Clarven Adriaan Kruger, vier Monate nach der gemeinsamen Havarie auf der BERENICE das Ja-Wort. Die ökumenische Zeremonie, Akon-orthodox und Olympisch-Neukatholisch, ist ohne Frage als Zeichen der immer engeren Verbundenheit von Terra und Akon zu sehen, welches auch Markon von Par-Asear, Mitglied des Hohen Rates und Großvater Dennors mütterlicherseits und der selbstverständlich geladene Kaiser Anson Argyris in ihren Tischreden betonten.
Geladen waren unter anderem alle an der Havarie beteiligten Passagier und Besatzungsmitglieder, wobei der arkonidische Jungdiplomat Darran von Tamanas den traditionellen terranischen Part des Trauzeugen und Oberleutnant Keiko Tagashi den der Brautjungfer übernahm. Im Anschluss an die Hochzeit brach die SPHINX mit dem Brautpaar in die Flitterwochen auf. Der Flug ist gleichzeitig Kapitän Oberst d. Res. Samuel Bernsteins letzter offizieller Flug im Dienste der von seinem Vater gegründeten Bernstein Inc.!
Ende
Irgendwo im Orion-Arm, auf der Handelsroute Terra-Olymp, war der Großraumfrachter BERENICE während einer Linear-Etappe havariert. Beim unkontrollierten Rücksturz in den Einstein-Raum geriet die BERENICE in den Randbereich eines Asteroidenfeldes, und der gleiche Fehler, der dem Rücksturz des 500m-Frachters verursacht hatte, verhinderte die rechtzeitige Aktivierung der Schutzschirme; sieben Asteroiden mit dem lächerlichen Durchmesser von zwei bis sieben Metern schlugen mit erheblicher Geschwindigkeit in den Schiffskörper ein. Die Folgen waren Vakuum-Einbrüche in vier Sektoren, unter anderem auf dem Beiboothangar. Die NUGAS-Reaktoren gaben Alarm. Vierundzwanzig Passagiere und achtunddreißig Besatzungsmitglieder evakuierten in sechs Großraum-Rettungsbooten, die leider nicht Linearflugfähig waren. In einer Entfernung von einer Million Kilometern beobachteten zweiundsechzig Augenpaare die Explosion der vier NUGAS-Reaktoren der BERENICE. Die mehrdimensionale Schockwelle erschütterte im gleichen Augenblick die sechs Rettungsboote. Die schwachen HÜ-Schirme hielten stand – doch der Preis war hoch, die Energievorräte fast verbraucht.
Kapitän Samuel Bernstein sah das Ende seines Schiffes mit tränenden Augen.
***
„BERENICE Rettungsboot eins an BR 2! Bitte kommen.“
„Kapitän? Oberleutnant Christina Delgado von BR 2.“
„Gut, Chris. Statusbericht.“
„Warum funken Sie denn auf UKW, Kapitän? Nehmen sie doch den Hyperfunk, dann kracht es auch nicht so.“
Wütend starrte Raumfahrerin Keiko Takagi den terranischen Geschäftsmann Martin Voliére an. „Seien Sie still! Davon verstehen Sie nichts! Der Kapitän spart Energie.“
„Hier BR 2. Status: Drei Passagiere an Bord, sieben Crewmitglieder. Luft: Tausendvierhundert Stunden. Nahrung: ca. eine Woche. Energie... drei Komma drei vier Prozent.“
„Gut, lebt sparsam! BR 3, ihr seid dran.“
„Hier BR 3. Chefingenieur Toren Malloy. Touristen 3, Crew: 6. Luft: tausendsechshundert Stunden. Nahrung: ca. eine Woche. Energie: vier Komma drei null Prozent.“
„Gut! BR 4, ihr seid dran.“
„Hier ist Fähnrich Daniela Perone! Besatzung: 9, Passagiere: vier. Luft: zweitausendeinhundert Stunden. Nahrung ca. sechs Tage. Energie: traumhafte sechs Komma sechs null Prozent.“
„Nett! 5, eure Runde.“
„Doc DeForest hier! Passagiere:5, Crew: 7, Luft: tausendachtzig Stunden. Nahrung: ca. sechs Tage. Energie: vier Komma vier acht Prozent.“
„Die 6 ist dran!...Die 6... ! Na los!....BERENICE Rettungsboot 6, hier Kapitän Bernstein! Meldet euch, zum Henker.“
„Hier BR 6, Kapitän. Entschuldigen Sie, der Status war noch nicht fertig. Hier Raumfahrer Cord Woitas. Passagiere: drei, Crew:fünf, Luft. Tausenddreihundert Stunden. Nahrung: ca. eine Woche. Energie... Kapitän, ich habe es siebenmal nach geprüft! Wir haben fast acht Komma neun null Prozent Energie.“
„Hervorragend. Hier Status von BR 1: Passagiere: 5, Crew: 4, Luft: tausendvierhundert Stunden. Nahrung: ca. eine Woche. Energie: zwei Komma neun neun Prozent. Keiko, hast Du mitgeschrieben?“
„Alle da, Kapitän.“
„Immerhin etwas. So, sperrt mal alle eure Ohren auf! Wir liegen hier ein wenig weit draußen, etwas abseits der Systeme! Für Hyperfunk reicht die Energie leider nicht! Die BERENICE konnte aber noch ein Notsignal senden. Es wurde garantiert aufgefangen, muss aber erst berechnet werden, da es zum Einpeilen nicht lang genug war! Ich schätze, drei bis vier Tage müssen wir hier aushalten! Das heißt: Energiesparen, wo es nur geht: Heizung drosseln, keinen Hyperfunk, alle Bordsysteme auf Notfunktion! Ihr kennt das ja. Ach ja, lasst die Boote ruhig auseinandertreiben! Für Kurskorrekturen fehlt ebenfalls die Energie! Und noch etwas! Freundet euch untereinander an! Schließlich seid ihr in der nächsten Zeit die einzigen Menschen, die ihr seht! UKW könnt ihr ruhig benutzen! Kapitän Berstein Ende.“
Der hundervierunddreißigjährige Veteran sah sich in dem kleinem Boot um. Terranisches Standartgroßraumrettungsboot, für Verkehr auf Handelsrouten, stromlinienförmig, sechzehn Meter lang, sechs Meter breit, vier Meter hoch, ein Passagierdeck mit zwanzig Sitzplätzen. Ein abgetrennter Bereich mit Waschraum und Toilette, dahinter befanden sich Teile des Maschinendecks. Unter ihnen lag das Maschinendeck, zwei Sichtluken in Front. Das Rettungsboot besaß keine Bewaffnung und nur einen schwachen HÜ-Schirm, der vielleicht für einen Notfall noch drei oder vier Sekunden laufen würde. Soweit so gut. Die gut achtzig Stunden, die sie aushalten mussten, würden alle überstehen. Der alte Raumfahrer bedauerte, keine Medikamente für den künstlichen Tiefschlaf dabei zu haben – das hätte ihre Chancen so gut wie verdreifacht.
Schöner Sternenmüll, an Bord einer Space Jet oder wenigstens an Bord eines Shifts hätten sie darüber verfügt! Er sah sich die Leute im Boot genauer an. Seine Crew würde die Nerven behalten, das wusste er.
Schlechter sah es schon bei den Passagieren aus. Wenn irgend ein begriffsstutziger Möchtegern-Raumfahrer auf die Idee kam, eine Revolte anzuzetteln... Hatte es alles schon gegeben, und in den seltensten Fällen hatten diese Rettungsbootbesatzungen überlebt. Dazu kam, dass sie, die BR-1, das einzige Boot mit mehr Passagieren als Crew-Mitgliedern waren. Er hatte Keiko Takagi an Bord, eine blutjunge Raumfahrerin, frisch von der Akademie, aber eine ziemlich gute Navigatorin, und jedermanns beste Freundin.
Leutnant Dennor von Par-Asear kannte er nun schon dessen Leben lang. Er wusste alles vom akonischen Piloten, was dieser ihn wissen ließ, und das war fast alles. Er würde mithelfen, dass sie durchhielten, trotz seiner schon fast sprichwörtlichen Introvertiertheit.
Der letzte der Crew, Notian-Paras, war ein waschechter Topsider. Er hatte den Rang eines Captain, war sein Stellvertreter und flog nun bereits zwanzig Jahre mit ihm. Notian war wohl der einzige, dem er bei dieser Havarie vollkommen vertraute.
Dann die Passagiere: Allen voran der gut bekannte Broker Martin Voliére, der geschäftlich nach Olymp gewollte hatte, ein Kerl, der glaubte, etwas von Raumfahrt zu verstehen. Das machte ihn Bernsteins Meinung nach gefährlich.
Und da war da Juliette Harris, eine Medo-Technikerin, die früher auf einer Explorer gearbeitet hatte, von ihr erhoffte sich der Kapitän moralischen Beistand.
Der Boxprofi Clark C. Autumn war ein Draufgänger, wie er im Buche steht! Er hatte die Angebermasche bei Keiko ausprobiert, und war ziemlich heftig abgeblitzt. Vielleicht ein Grund, ihn im Auge zu behalten.
Oboto Tarras, ein Marsgeborener afrikanischen Ursprunges, allerdings nicht der A-Klasse. Trotzdem schätzte Berstein den hochgewachsenen, kräftigen Burschen als besonnen ein. Seines Wissens nach hatte Oboto die Reise nach Olymp geschenkt bekommen.
Der letzte im Bunde, nein, die letzte war Arianne Diane Kruger, die Tochter eines Beraters Kaiser Anson Argyris´. Bernstein stufte sie sofort als verwöhntes Gör ein. Alles in allem sah es an Bord der BR1 ziemlich gut aus.
Nun, das erste, was Bernstein tat, war, was wohl jeder verantwortungsbewusste Kapitän tat, der alle an Bord des Rettungsbootes in einem Stück nach Hause bringen wollte. Er betrat den Waschraum und sah sich um. Das Gleitschott war nicht abschließbar. Gut. Die Spiegel waren Projektionsflächen aus unzerbrechlichen Kristallen. Auch gut. Die Toilette bestand aus einer abschließbaren Kabine. Ein Tritt, und die Kabine konnte zwar geschlossen, aber nicht mehr abgeschlossen werden.
„Warum haben Sie das gemacht Kapitän?“, fragte Clark eher neugierig als verärgert, und so antwortete Bernstein wie auf jede andere Frage.
„`38 auf der KERLAMOORA, einem akonischen Kreuzfahrtschiff hatte es eine ähnliche Situation gegeben. Das Schiff havarierte, Totalevakuierung wurde angeordnet.
Anfangs konnten sich alle retten, doch leider waren nicht auf jedem Boot Besatzungsmitglieder. Drei dieser Boote wurden... vollkommen dekomprimiert aufgefunden. Auf fünf anderen hatten sich Passagiere auf den Toiletten eingeschlossen und sich... die Pulsadern aufgeschnitten. Nur einer überlebte diese Torheit. Ich will nicht, dass hier das gleiche geschieht.“
Clark schüttelte sich. „Grauenvoll! Und Sie meinen das kann hier auch passieren?“
„Vielleicht! Wenn gewisse... Subjekte ... gewisse Reden schwingen....“
„Ach, der Broker ist harmlos.“ Clark grinste vergnügt. „Und sollte ich mich irren....“ Es klang wie ein Peitschenhieb, als Clarks geballte Linke in die Rechte fuhr, und Bernstein zuckte unwillkürlich zusammen.
„Sie sind Rechtsausleger?“
„Hey Kapitän, wir sitzen doch quasi in einem Boot! Nennen Sie mich ruhig Clark.“
„Ich heiße Sam mit Vornamen! Aber sag mal, Du bist doch eigentlich Rechtshänder, oder irre ich mich?“
„Nein, nein. Ist ein Spezialtraining. Eigentlich kann ich mit beiden Armen gut, ich bevorzuge aber links. Du solltest mal meine linken Haken sehen, sage ich Dir....“
***
Sechs Stunden später.
„Hallo.“
Der Akone brummte ein unwirsches: „Hy.“ und vermied es die hübsche, blonde Ariana anzusehen.
„Gewähren Sie mir Asyl, Lieutnant? Mr. Voliére erklärt mir sonst noch den Aufbau des GCC-Kontors auf Ariga.“
Dennor lächelte einen Moment verständnisvoll. Stumm deutete er auf den Kontursessel neben sich.
„Das ist meine erste Havarie, wissen Sie?“
„Ach“, brummte er missfallend.
Ariana stockte. „Ich.... vielleicht war es doch keine gute Idee....“
„Bitte, Ariana, bitte bleiben Sie! Es... ich meinte es nicht so! Es ist nur... Das ist auch meine erste Havarie.“
„Haben Sie Angst?“
„Riesige Angst“, gestand der Pilot.
„Ich glaube, Sie wollen jetzt auch einfach aufstehen, und laut aufschreien, oder?“
„Ich bin nahe dran“, bestätigte der Akone mit mattem Grinsen. „Könnte... darf ich vielleicht einen Moment Ihre Hand halten, Ariana?“, fragte Dennor zaghaft.
„Das zu sagen ist Ihnen ziemlich schwer gefallen, nicht wahr?“, fragte sie freundlich. Ihre Rechte, zart und feingliedrig, glitt in die kräftigere Hand des Raumfahrers.
„Das ist es“, gestand er.
Sie spürte die Kraft, mit der er ihre Hand hielt, und dabei war dies gewiss nicht alles, was an Kraft in diesem sehnigen Körper steckte. Ihr kam zu Bewusstsein, dass ihre Hand nicht minder fest zu griff.
„So viele Worte an einem Stück habe ich Den noch nie außer Dienst sagen hören“, zischte der Topsider Bernstein ins Ohr.
„Nun, der Junge ist nervös, was erwartest Du?“, erwiderte der Kapitän.
„Schlechtes Zeichen, Chef. Hoffentlich gehen ihm nicht die Nerven durch.“
„Wozu hast Du vier Semester Raumfahrer-Psychologie studiert? Wenn es soweit ist, knock ihn aus.“
„Aye, Aye, Kapitän.“
„Ach, warum ist denn hier kein Terminal mit ein paar ordentlichen Spielen?“, murrte Clark. „Wie soll ich mich denn da von unserer Situation ablenken?“
Der schwarze Marsgeborene grinste mitleidig. „Das sagst du ja bloß, weil du schon wieder verlierst! Schach in zwei Zügen.“
„Das sehe ich.“ Clark seufzte. „Tja, das Spiel habe ich wohl auch verloren.“
„Na toll. Vier zu eins! Noch ein Spiel?“
„Aber ja.“
„Ehrlich?“, fragte Oboto Tarras verdutzt.
„Aber ja“, bestätigte Clark. „Wenn ich eines durch meine Boxerkarriere gelernt habe, dann das: Aus jeder Niederlage lernt man. Außerdem habe ich dich ja schon einmal besiegt, oder?“
„Aber nur, weil ich die Akonische Eröffnung noch nicht kannte“, widersprach der Marsianer.
Keiko stand nun schon eine geschlagene Stunde vor dem Panorama-Fenster und starrte in die Leere.
„Darf ich Ihnen Gesellschaft leisten?“ frage eine sanfte Frauenstimme.
„Gern“, erwiderte sie, ohne sich umzuwenden.
Juliette Harris trat neben sie.
„Was ist eigentlich so interessant da draußen?“
Keiko lächelte ihr zu. „Ich suche die anderen Beiboote! Ich vergleiche die Orterdaten mit den tatsächlichen Gegebenheiten. Da, sehen Sie, der Punkt inmitten des Sternendreiecks? Das ist die BR 4 unter Daniela Perone. Sie ist eine mäßige Raumfahrerin, aber in der Buchhaltung ist sie super.“
„Das habe ich gehört, Keiko“, erschallte Danielas Stimme über den UKW, und Keiko glaubte, ihr grinsendes Gesicht vor sich zu sehen. „Nimm das mit der mäßigen Raumfahrerin sofort zurück“, rief sie im Scherz.
„Wieso Dani, sie hat doch Recht“, klang Christina Delgados Stimme von der 2 auf.
Keiko deutete in die Richung, in der sich die BR2 befand.
„Na toll“, brummte Daniela. „Will mir noch jemand in den Rücken fallen?“
„Oh, vorerst nicht“, neckte Christina und ging aus dem Kanal.
„Na wartet ihr zwei! Wenn wir erst gerettet sind, dann....“
Als auch Daniela die Leitung verlassen hatte, prustete Keiko los. Juliette Harris lächelte still. Vorerst war kein Kollaps zu befürchten.
Und Martin Voliére... Kaum, dass Ariana „geflohen“ war, hatte er „Na endlich“, gemurmelt, und war fast sofort eingeschlafen.
***
Zwölf Stunden später...
Sie hatten alle mehr oder weniger gut geschlafen, nur eine Wache war stets an der Funkanlage gewesen. Das erste was Dennor sah als er erwachte, war die Decke des hässlichen Rettungsbootes. Oh ja, er hasste dieses Boot! Aber er wusste, dass er genügend Disziplin aufbringen würde, um das Ganze durchzustehen.
Er hatte den Spezialsessel als Liege herunter geklappt. Neben sich hörte er ein behagliches Seufzen. Ariana benutze seine Schulter als Kopfkissen, und er hatte unbewusst ihr Gesicht gestreichelt.
Nun, von allen Torheiten, die er nun tun konnte, tat er die seiner Meinung nach Klügste. Er blieb so lange liegen, bis Ariana von selbst erwachte. Vorne am Funk stand Keiko und warf ihm feixende Blicke zu. Dennor grinste sie nur an, was die Terranerin weit mehr aus dem Gleichgewicht brachte, als es ein Wutausbruch hätte tun können.
Hm, Arianas Rechte lag genau über seinem Herzen. Hatte er nicht noch vor Kurzem etwas über Havarien gelesen, Situationen wie diese, und das manche Menschen in solch einer Situation versuchten, den Herzschlag eines anderen zu ertasten oder zu hören, wenn sie schliefen? Dennor betrachtete Arianas tief ausgeschnittenes Oberteil, und schluckte trocken. Hatte er vielleicht auch... ihren Herzschlag gesucht?
Die junge Olympierin kuschelte sich noch ein wenig enger an den warmen Körper des Akonen. Wenn, so hoffte er, dass Ariana nichts davon bemerkt hatte.
Hatte Keiko deswegen gefeixt? Bevor er darüber weiter nachdenken konnte, stieß der Ältere Martin Vorliére einen markerschütternden Schrei aus, und fuhr aus seiner Liege hoch.
„Was ist mit Ihnen?“, rief Kapitän Bernstein sofort, und war sogleich neben dem kleinwüchsigen Börsenspekulanten.
„Ich...Entschuldigung, Kapitän! Ich hatte einen Alptraum.“
„Reden sie darüber. Los Voliére. Das ist in unserer Situation das Beste.“
Voliére zögerte. „Ich weiß nicht.“
„Nun kommen Sie schon“, ermunterte ihn der Kapitän.
„Sie werden bestimmt lachen.“
„Ich lache nicht! Ich bin als Kapitän zum Zuhören verpflichtet, glauben Sie mir.“
Voliére gab nach. „Na gut! Ich träumte... Ich sah eine gigantische Schlacht! Blues bekämpften Terraner, Topsider schossen auf Ferronen, und Arkoniden gingen Akonen ans Leder! Es...war grauenvoll! Ich sah Welten im Atombrand vergehen, unter ihnen Terra, Arkon und Spinx! Und wissen Sie, warum dieser Krieg möglich war? Eine Geheimloge innerhalb des Solaren Imperiums hatte die Ermordung aller Aktivatorträger angeordnet, da man der Meinung war, die Relikte aus der Vergangenheit nicht mehr zu brauchen!
Verstehen sie das, Kapitän? Sie verstehen...“ hauchte er, als er in Bernsteins schreckgeweiteten Augen sah.
„Bei Arkon, ja, ich verstehe! Glauben Sie mir, Sie sind nicht der Einzige, der solche Alpträume hat.“ Bernsteins Rechte ruhte schwer auf der Schulter des kleinen Mannes, und dieser beruhigte sich langsam wieder.
„Danke, Kapitän“, flüsterte er und schlief wieder ein.
Inzwischen war Ariana aufgewacht. Sie bemerkte Dennors Blick, schloss wieder die Augen und murmelte verschlafen: „Noch fünf Minuten, Dennor.“
„Solange Du willst Ariana. Wir haben Zeit“, erwiderte der Akone.
Ein wenig mürrisch beobachtete Clark Autumn die beiden.
„Was ist, Boxer? Neidisch?“, fragte der schwarze Marsgeborene grinsend.
„Ich glaube, ich muss meinen Methode ändern. Sieh ihn dir an, den Akonen! Ein bisschen auf ängstlich und mürrisch gemacht, und er... Du siehst es ja, Oboto.“
„Wieso probierst du´s nicht gleich selbst aus?“
„Ich brauche deinen Spott nicht! Du weißt doch, dass mich dieser raumfahrende Engel hat abblitzen lassen.“‘
Oboto grinsten den Boxprofi mitleidig an. „Ich habe Dir ja gleich gesagt, das Keiko nicht auf den Helden-Typ steht! Aber nein, du wusstest es ja besser.“
Derweil beobachtete ihrerseits die junge Raumfahrerin die beiden. „Möchte wissen, was die alle an der blonden finden“, brummte sie. Als sie sich Clark besah, wie der immer zu der schlafenden Ariana rüber schaute, spürte sie... Wut! Und noch ein Gefühl, da sie jedoch nicht definieren konnte. Ha, jetzt wusste sie endgültig was für ein Windbeutel der Boxer war! Warum aber tat ihr das auf einmal Leid?
***
Die zwanzigste Stunde wurde gefährlich! Dennor wurde von heftigem Stimmgewirr geweckt. Ariana, der Kapitän und Notian-Paras umringten mit bleichen Gesichtern den UKW-Funk, aus dem immer wider abgesackte Stimmfetzen ertönten.
„Was ist passiert?“, frage Dennor aufgeregt.
„Doc hat Probleme! Ein paar seiner Passagiere haben sich geprügelt.“
„Ja und? Stanley DeForest ist Meister der Dagor-Technik! Was er zu Kleinholz verarbeitet kann er gleich wieder zusammenflicken.“
Der Topsider sah ihn mit stark geweiteten Pupillen an, bei seiner Rasse immer ein Zeichen großer Erregung.
„Einer der Passagiere hatte ein Ziermesser dabei. Zur Zeit steckt es in der Brustplatte Darron von Tamanars.“
„Dieser arrogante Arkonide“, stieß Dennor hervor, doch im gleichen Moment bereute er seine im Zorn gesprochenen Worte. Gewiss, der Emporkömmling aus dem Volk der Akonen-Kolonisten hatte ihm bei jeder Gelegenheit seine Überlegenheit beweisen wollen, und seine zahlreichen Niederlagen hatte er nie eingestanden.
Wenn Dennor es sich recht überlegte, taten ihm seine Worte kein bisschen mehr Leid. Erst hatte der Arkonide ihn als feigen, verschlagenen Akonen bezeichnet, und als das Dennor nicht treffen konnte, als gemeinen Verräter am Volk der Akonen, weil er mit den Terranern paktierte, ja vor ihnen zu Kreuze kroch.
„Geschieht ihm recht“, murmelte er.
„Wie kannst Du so etwas auch nur denken?“, klagte ihn Ariana an. „Er schwebt zwischen Leben und Tod, und du... Du würdest ihn wohl gerne tot sehen, was?“ Die Olympierin hatte sich in Rage geredet, ihre Wangen hatten sich gerötet. Ihre Augen schienen Funken zu sprühen. Dennor sah sie an, ruhig und beherrscht, wartete bis sie sich ein wenig beruhigt hatte.
„Ja, vielleicht“, sagte er schließlich.
Diese beiden Worte überraschten die blonde Frau derart, dass sie schwieg. Sie sah in das vollkommen neutrale Gesicht des Akonen, so starr, so maskenhaft... Vor wenigen Stunden hatte sie die Maske lüften können, die Mauer zwischen ihnen ein wenig eingerissen. Nun glaubte sie, die Barriere noch aufgestockt zu haben. Doch die Züge ihres Gegenübers lockerten sich wieder etwas.
„Nein, vielleicht doch nicht. Darran ist eigentlich nur ein jugendlicher Hitzkopf, der nicht einmal weiß, was er mit den Phrasen anrichtet, die er auswendig gelernt hat. Wahrscheinlich weiß er nicht einmal, was sie bedeuten. Wo liegt überhaupt das Problem? Im ungünstigen Fall hat sich der Bengel eine Brustplatte angerissen, das heilt in wenigen Stunden.“
Samuel sah zu ihm herüber. „Der Kleine gibt sich selbst auf. Er verfällt in Lethargie, er glaubt, gleich zu sterben.“
„Sch...schön, daran könnte er wirklich sterben. Lass mich mal ran, Sam.“ Der Akone ergriff das Mikrofonfeld. „Hier BR 1! Ich rufe BR 5! Doc, hörst du mich?“
„Klar und deutlich, Dennor! Kann ich was für dich tun?“
„Nö. Aber ich für dich. Gib mir doch mal den Kolonisten ans Mikro.“
„Wen?“, fragte DeForest verdutzt.
„Na diesen schwächlichen, degenerierten Neu-Arkoniden, der in deinem Boot den Kranken spielt.“
„Hier bin ich, Akone. Willst du dich an meinem Tod weiden?“
„Hm, ja, so ungefähr. Ich wollte es nur bestätigt wissen.“
„Was?“, fragte der Arkonide mit leichtem Interesse.
„Ob ihr Neu-Arkoniden genauso degeneriert seid wie eure Ahnen. Na, von Arkoniden kann man ja nichts anderes erwarten.“
„Schweig, du verlogener Verräter! Ich wurde Zuhause jedenfalls nicht verstoßen, weil ich in Prozessen gegen Akonen ausgesagt habe.“
Dennor stockte kurz. „Ich habe eben ein Gewissen“, brachte er leise hervor.
„Gewissen? Ha! Deine eigenen Haut hast du retten wollen!“, warf ihm der Arkonide vor.
„Wie dem auch sei, ich habe so gehandelt, wie ich musste! Ha, Arkonide, ich sterbe jedenfalls nicht an einem kleinen Schnitt über der Brustplatte.“
„Kleiner Schnitt? Erstochen hat er mich!“
„Für einen Toten bist du aber sehr lebendig“, spottete Dennor.
Darran brauste auf. „Ach ja? Ich habe schließlich die Kondition eines Neu-Arkoniden!“
„Dann überlebst du also?“
„Ja, verdammt, ich überlebe! Und anschließend versenke ich meinen rechten Fuß ganz tief in deinem Hintern, Akone!“
„Ich freue mich schon darauf, Darran! Vorausgesetzt, du verträgst das Echo.“
„Ach ja? Ich kann Dagor, Akone! Also mach dich auf was gefasst!“
Dazwischen hörte Dennor Doc DeForests bewegte Stimme. „Nicht aufstehen! Bleib liegen. Dennor, der Junge strotzt wieder nur so vor Energie! Gut gemacht.“
„Drei Jahre Psychologie“, kommentierte der Akone trocken. „Hey Darran, vergiss nicht, nach unserer Rettung sind wir verabredet.“
„Worauf Du wetten kannst! Äh, Dennor?“
„Was?“
„Ich... ich habe mich ziemlich dämlich angestellt. Danke....“
„Hey, Junge, unsere Völker sind verwandt! Dennor Ende.“
„Hier Kapitän Bernstein. Was habt ihr mit dem Messerhelden gemacht?“
Samuel glaubte, Docs grinsendes Gesicht vor sich zu sehen, als er seine Antwort hörte: „Ich hatte noch ein paar Ampullen AC-4 dabei! Habe dem Rabauken gleich eine verpasst.“
„Gute Idee! Reicht der Rest der Beruhigungsmittel für alle deine Gäste?“
„Nicht wenn ich den Schläger am Schlafen halten will. Ein Terraner übrigens.“
„Na, okay. Bernstein Ende.“
Der Kapitän spürte eine schwere Hand auf seiner Schulter. Notian sah ihn mit seinen geschlitzten Pupillen an. .Ein Lächeln lag darin. „Krise überstanden. Deine Crew ist besser als ich dachte“, flüsterte er. So etwas wie Stolz erfüllte die Züge des alten Kapitäns. „Ja, er ist gut. Er lernt seine Angst zu beherrschen.“
„Beste Gene“, scherzte Notian noch im Flüsterton und wandte sich um.
Ariana bat den Akonen mit stillem Blick um Verzeihung.
Müde winkte Dennor ab. „Ist schon gut! Den Fußtritt habe ich gebraucht.“ Doch seine Miene wurde noch ein wenig störrischer.
„Okay, ich gebe es ja zu! Ich habe ganz tief in die Schachtel mit der Aufschrift „Vorurteil“ gegriffen, weil ich dich irgendwie treffen wollte, Dennor.“ Ariana seufzte. „Ich konnte nicht verstehen... Ich glaubte wirklich, Darrans Leben wäre dir egal.“
„Und?“ fragte Dennor amüsiert. „Möchtest du nicht auch noch hinzufügen, wie viel du gelernt hast, liebste Ariana?“
„Was?“, stammelte sie. „Ich verstehe nicht....“
„Schon wieder ein Fehler. Solche Dinge niemals so vehement verneinen oder abstreiten. Du hättest auf die Frage eingehen sollen. Wüsste ich nicht schon, dass du unter anderem Raumfahrtpsychologie studierst, jetzt hätte ich es vermutet. Nun sag schon, hast du gelernt? Zum Beispiel, dass ihr Terraner nicht das Recht gepachtet habt, die Guten zu sein? Oder dass man kleine Ausrutscher nicht nur Perry Rhodan verzeihen darf?“
Ariana Diane Kruger sah den hochgewachsenen Akonen schuldbewusst an. „Du hast ja Recht, Dennor. Ich habe wirklich versucht, meine Kenntnisse an dir aus zu probieren.“ Sie lächelte schüchtern. „Wahrscheinlich glaubst du mir jetzt nicht mehr, dass mir etwas an dir liegt, oder?“ Sie wandte sich zum Gehen, doch Dennor hielt sie mit sanfter Gewalt zurück.
Lächelnd sagte er: „Aber Ariana... Erstens: Ich habe das mit dem Studium schon gewusst, als du an Bord kamst. Gehört zu meinen Aufgaben. Zweitens: Vorhin hast Du mir wirklich sehr geholfen, dafür bin ich dir dankbar. Und drittens: Du bist vielleicht eine gute Psychologin, aber du bist auch eine miserable Schauspielerin.“
Freudenstrahlend umarmte sie Dennor und küsste ihn.
„Hey – mh – laß mich doch mal Luft holen! Ariana, lass uns warten, bis wir gerettet sind, okay? Vorher... Hey, könnt ihr nicht woanders hinsehen?“, rief er den Anwesenden zu.
Oboto sah grinsend in die Wolken, Clark pfiff vor sich hin, Keiko interessierte sich plötzlich sehr für die Ortung, Bernstein, Notian und Martin Voliére unterhielten sich angestrengt und Juliette Harris verschwand diskret im Waschraum.
Dennor grinste zufrieden. „Ariana, eine Havarie ist keine Grundlage für eine Beziehung.“
„Du gefällst mir aber schon länger, nicht erst seit wir havariert sind“, erwiderte sie trotzig.
„Eben“, stellte Dennor fest. „Bleiben wir vorerst Freunde, und sollte nach unserer Rettung noch etwas zwischen uns bestehen....“
„Na gut.“ Ariana ließ ihn los, und streckte ihm die Rechte hin. „Freunde“, sagte sie.
„Freunde“, bestätigte Dennor, als er ihre Hand ergriff.
Ariana zog ihn an sich heran und küsste ihn erneut. „Freunde“, sagte sie schließlich zu dem völlig verwirrten Akonen. Und so ließ sie ihn stehen.
„Wow“, kommentierte Keiko Takagi, als Ariana sich neben ihr niederließ.
Die Olympierin lächelte als Antwort. „Ich wusste doch, dass da doch mehr in diesem Eisblock steckt.“
„Und was da drinsteckt.“
„Recht hast du! Sag mal, wie sieht es eigentlich aus. Irgendwelche Zwischenfälle?“
„Bis auf den eben gerade eigentlich nicht. Ach ja, BR 4 hat vorhin gemeldet, dass einer ihrer Passagiere bestimmte Nahrungskonzentrate aus religiösen Gründen nicht anrühren würde. Seitdem wird an Bord der BR 4 mit den Rationspäckchen gefeilscht.“
Ariana lachte glockenhell.
Etwas abseits stand Clark, und beobachtete die beiden Frauen. „Und wenn ich den beiden jetzt Kaffee bringe, glaubst du, Keiko....“
„Nein, Junge, glaub mir. Damit würdest du deine eigenen Pläne durchkreuzen. Sie würde glauben, du seist auf Ariana scharf, und das wäre doppelt böse. Erstens ist sie schon vergeben, und zweitens.... Du weißt schon.“
„Ja, ja“, kommentierte der Boxer. „Warte ich eben bis Ariana wieder weggeht.“
***
„...und so siehts aus: In den letzten acht Stunden sind wir natürlich ein wenig abgedriftet, aber das ändert nichts an der Anordnung. Ganz links ist die 3, dann folgen wir, gut 88.000 km entfernt, dann kommt die 5, 11.000km, die 2 mit 110.000 km Entfernung von der 5 , die 6 in 68.000 km und die 4 in 104.000 km. Die 2 ist also von der 4 ungefähr soweit entfernt wie Luna von Terra. Soviel zu den Entfernungen, mit denen wir hier zu tun haben. Für die Entfernung, die wir bereits zurückgelegt haben, sind diese Distanzen zwischen den einzelnen Booten fast nichts. Sobald wir gefunden werden, wird der Retter die Boote also in einem ziemlich weiten Bogen aufnehmen, wahrscheinlich von links nach rechts. Soll angeblich Glück bringen.“
Die Anwesenden lachten über den Scherz des Kapitäns, eine Wohltat bei der Angst, nun schon den dritten Tag in dieser Büchse eingesperrt zu sein. Die fünfzigste Stunde brach an, unauffällig , ohne Paukenschlag. Der Kapitän hatte sich entschlossen, mit den Gästen ein wenig Theorie zu pauken. Es tat ihnen sichtlich gut. Während der Kapitän weiter von den Gegebenheiten sprach, schlich sich Clark zu den Essensvorräten. Mit drei dampfenden Bechern ging er nach vorne zu Keiko, die Funkwache hatte. „Hallo! Kaffee?“ fragte er schüchtern.
Sie sah den Boxer erstaunt an. „Warum drei Becher?“
Clark stellte die Becher vor ihr auf dem Schaltpult ab und erklärte: „ Na ich weiß doch nicht, wie du deinen Kaffee magst. Hier: Kaffee schwarz, mit Milch, mit Milch und Zucker.“
Keiko unterdrückte ein Lachen und ergriff den Kaffeebecher mit Milch. „Danke.“
Clark ergriff den schwarzen Kaffee und ließ sich neben ihr nieder. „Kein Zucker?“, vergewisserte er sich noch einmal.
„Nö, ich muss auf meine Linie achten.“ Keiko musste lachen, als Clark die Kinnlade herabsackte.
„Du... auf deine Linie achten?“, stammelte er ungläubig. „Du könntest den ganzen Tag Süßigkeiten essen und würdest nicht zunehmen.“
„Übertreibe nicht so“, ermahnte sie ihn grinsend.
Oboto sah den beiden zu. „Mit der Masche hast du anscheinend mehr Erfolg, Clark.“
„Davon könne Sie ausgehen, Mr. Tarras“, kommentierte der terranische Broker.
„Wie meinen Sie das?“
„Nun,“ erklärte Voliére lächelnd. „Es gibt nicht allzu viel, was an Bord eines solchen Rettungsbootes verborgen bleibt.“
Oboto nahm den Becher Kaffee, den ihm Voliére reichte und fragte: „Spielen Sie Schach, Mr. Voliére?“
***
„Hier BR 3, Chefingenieur Malloy spricht! Skipper, wir beobachten an der linken Flanke deines Rettungsbootes ein Elmsfeuer! Sieht nach `ner schadhaften Steuerdüse aus.“
„Hier Bernstein! Habe verstanden! Danke, Toren.“
„Viel Glück, alter Raumbär! Ich drücke dir beide Daumen! Malloy Ende.“
„Amen! Bernstein Ende.“
„Ein Elmsfeuer? Hier im Weltall? Will Sie Ihr Ingenieur auf den Arm nehmen?“
„Mr. Voliére, das war Raumfahrerjargon“, erklärte Berstein. „Malloy meint ein energetisches Feld an der Steuerdüse. Keiko, wie viel Energie haben wir noch?“
Die junge Frau schluckte trocken. „Null Komma acht vier, Skipper.“
„Scheiße.“
„Moment! Das energetische Feld, die Energie... wie hängt das zusammen?“
Juliette Harris ergriff den Broker am Arm und führte ihn weg. „Kommen Sie, ich erkläre es ihnen. Bei dem energetischem Feld handelt es sich um einen stillen Verbraucher.“
„Wollen Sie damit sagen, die Steuerdüse frisst unsere Energie?“
„Nicht die Düse. Eine Düse besteht aus mehreren Verbrauchern. Wird die Düse beschädigt, kann es passieren, dass sich einer der Verbraucher aktiviert, ohne die ganze Düse zu aktivieren. Er frisst also Energie, ohne dass wir einen Nutzen davon haben. Ein stiller Verbraucher also. Meist entsteht dabei ein elektromagnetisches Feld, das man anmessen kann.“
„Das Elmsfeuer“, warf Voliére ein.
„Genau.“
„Unser Problem ist es also, dass das Elmsfeuer nach und nach unsere Energie verzehrt. Also sitzen wir bald auf dem trockenem.“
„Wir werden entweder erfrieren, weil die Heizung aufhört zu arbeiten, oder ersticken, weil die Lufterneuerungsanlage ihren Geist aufgibt“, bestätigte Juliette.
„Furchtbar. Haben wir eine Chance?“
„Sogar zwei. Erstens: wir werden gerettet bevor uns die Energie ausgeht! Zweitens: wir deaktivieren die Düse.“
„Mir scheint“, sagte der Broker. „der Kapitän hat genau diese Lösung ins Auge gefasst. Anscheinend streiten sie gerade darum, wer geht.“
„Nein, Notian! Selbst, wenn das Maschinendeck mit Atemluft geflutet ist, können wir die Temperatur höchstens bis auf minus zwanzig Grad anheben. Du würdest erfrieren.“
„Sag ich doch! Ein Terraner muss da hinunter und die Düse manuell abschalten“, stellte Keiko fest.
„Oder ein Akone“, hielt Dennor dagegen.
„Nein, ein Terraner! Eine Terranerin, um genau zu sein. Ich. Die Bewegungsmöglichkeiten unten auf dem Maschinendeck sind gering. Ich bin schlank genug, um mich überall durch zu zwängen.“
„Ich aber auch.“
„Weder du, Dennor, noch du, Keiko. Ich werde gehen.“
„Sam, das ist Schwachsinn“, protestierte Keiko. „Mit deiner Schulterbreite bleibst du doch ständig stecken! Und die Kälte hat dann Zeit, dich fertig zu machen.“
„Und ich werde wohl gar nicht gefragt, was?“
„Entschuldigen Sie, Clark, aber erstens ist das eine Aufgabe für die Crew, und zweitens braucht man dafür die technischen Kenntnisse. Die kann Ihnen niemand soufflieren.“
Mit einem Ruck warf sich Dennor herum. Seine rechte Faust zuckte hoch, und traf das Kinn des völlig unvorbereiteten Kapitäns. Wie ein Kartenhaus im Sturm klappte Samuel Bernstein zusammen. Als wäre nichts geschehen, wandte Dennor sich den anderen wieder zu. „Außerdem bin ich Extremsportler. Wenn es einer schafft, die manuelle Abschaltung durchzuführen und lebend wieder zurückzukommen, bin ich das. Notian, sorge dafür, dass Sam nicht aufwacht, bevor ich in der Maschinendeckschleuse bin.“
Der Topsider nickte.
Dennor entledigte sich seiner Oberbekleidung. „Oboto, ich brauche deine Hose und deinen Pullover! Mr. Voliére, ich könnte Ihre Weste gebrauchen! Notian, ich brauche deine Socken und die Uniform des Kapitäns. Keiko, ich könnte deinen Seidenschal als Handbandage gebrauchen und deine Jacke als Polsterung.“
Die Asiatin entledigte sich stumm der gewünschten Dinge. Mit wehleidiger Miene zerriss sie den Seidenschal in zwei gleich lange Teile.
Dennor lächelte dankbar, während er alle Kleidungsstücke anzog.
„Hier, die werden Sie brauchen“, sagte Voliére und reichte Dennor eine Mütze.
„Danke. Keiko, flute jetzt den Maschinenraum! Notian, achte weiter auf Sam! Ariana...“ Dennor grinste kurz. „...jetzt könnte ich einen Kuss gebrauchen.“
Lächelnd streichelte sie dem vollkommen vermummten Offizier über die blassen Wangen. Ihr Kuss gab ihnen etwas Farbe zurück.
„Ich schätze ich werde zehn Minuten brauchen. Wartet nicht mit dem Essen auf mich.“
Unendlich langsam schloss sich die Notschleuse zum Maschinendeck hinter dem Raumfahrer.
Es war eiskalt, und dazu so eng, dass sich Dennor nur mühsam hindurch zwängen konnte. Seine Gesichtshaut spannte schmerzhaft; die aufgesprungenen Lippen beachtete er schon gar nicht mehr. Da, der Verteiler. Jetzt bloß keinen Fehler machen, oder die sitzen oben im Dunkeln, scherzte der Akone in Gedanken. Mit klammen Fingern aktivierte er das kleine Display neben dem Verteiler. Verdammt, das ist kühler als zwanzig Grad minus. Mit ein paar Tastendrucken war er im Menü. Wie gehe ich vor? Selbstdiagnose aktivieren, oder überbrücken? Hm, würde sie funktionieren, hätte sich die Selbstdiagnose längst aktiviert! Also überbrücken! Aber das dauert ein bisschen.
Dennor aktivierte mehrere Systeme, darunter die defekte Düse, jedoch ohne sie auszulösen. Gut, Computer. Jetzt einen Notfall vortäuschen! Gut! Alle Systeme deaktivieren sich wieder. Aha, die Steuerdüse auch! Alle Energie geht in die Notsysteme. Ist der stille Verbraucher weg? Ja, Akon sein Dank! Jetzt noch die Datenbank schließen und wieder raus aus dem Menü! Super! Und jetzt weg hier, bevor ich fest friere.
Er versuchte sich zu bewegen, doch es ging nicht. Wie ein Hammer traf ihn die Erkenntnis, dass er wirklich festgefroren war! Festgefroren, verloren.. Das war sein Tod.
***
Ariana marschierte nervös vor der kleinen Schleuse auf und ab und kaute an ihren Fingernägeln. „Was macht er nur so lange da unten? Er ist jetzt schon länger als fünfzehn Minuten weg.“ Eiskalt griff die Angst nach ihrem Herzen und presste es zusammen! „Ist er vielleicht...erfroren?“
„Beruhige dich Ariana. Vor vier Minuten ist der stille Verbraucher erloschen. So schnell erfriert man nicht! Vor allem nicht, wenn man noch ein Terminal bedienen kann“, beruhigte Keiko sie.
„Das sagst du so leicht“, seufzte sie. „Was...was machen wir, wenn er nicht wiederkommt?“
„Nichts“, erklang Kapitän Bernsteins grollender Bass.
„Sie lassen ihn sterben, nachdem er uns gerettet hat?“
Der Kapitän nickte traurig. „Solange wir nicht gerettet sind, ist das da unten eine Todesfalle für jeden, der Dennor folgt! ER wusste das! Darum ging er.“
„Ich...verstehe.“ Ariana wandte sich ab, damit die anderen nicht sahen, wie sie weinte. Sie wollte ja tapfer sein! Sie wollte ja die Hoffnung nicht schon aufgeben! Aber das war so schwer... Sie konnte nicht mehr daran glauben, das sie ihn noch einmal lebend wieder sah.
„DA! Die Kontrollleuchte! Die Schleuse wurde auf der anderen Seite geschlossen!“, rief Keiko aufgeregt.
Ariana wirbelte herum. Mit bebenden Lippen sah sie auf die Schleusentür, und betete, dass sie sich öffnete. „Bitte“, stammelte sie in Gedanken.
Und wirklich, die Schleuse öffnete sich. Erst nur ein Spalt, der sich sehr, sehr langsam vergrößerte, bis....
„Dennor!“, schrie Ariana und fing den taumelnden Akonen auf. „Du.... du bist ja eiskalt“, flüsterte sie, und presste sich eng an ihn, um ihn zu wärmen.
Dennor sah sie an. Aus seinen zersprungenen Lippen quoll ein leises: „Bin eben cool.“ Dann brach er vollends zusammen.
„Hm! Er trägt meine Uniform nicht mehr“, stellte Samuel fest.
„Wollen Sie sie ihm in Rechnung stellen?“, fragte Oboto ironisch.
„Durchaus nicht. Aber ich weiß jetzt, was er so lange da unten gemacht hat.“
„Was?“
„Er ist festgefroren, hat zwei Schichten Kleidung ausgezogen und kam zurück. Muß `ne Mordstortur gewesen sein, in der Enge eine am Boden festgefrorene Hose auszuziehen.“
„Sam! Hast Du es bemerkt?“, fragte Notian ruhig. „Als Dennor mit dem metallenen Rangabzeichen ans Schott stieß, zerbrach es! Da unten....“
Bernstein unterbrach den Topsider. „....waren es mehr als fünfzig Grad minus, wenn sogar Metall spröde wird. Ein Wunder, dass er noch lebt.“
***
Das erste, was Dennor sah, als er wieder erwachte, war das bärtige Gesicht Samuel Bernsteins direkt über sich.
„Vom Überzeugen mit Argumenten hältst Du wohl nichts, was?“, fragte dieser lächelnd.
Der junge Raumfahrer versuchte zu grinsen, doch seine Gesichtshaut spannte fürchterlich.
„Ach ja, wir vermuten, das du dir die Gesichtshaut erfroren hast. Das heißt, nicht mehr grinsen, bis du behandelt werden kannst, okay?“
„Danke für die Warnung“, brachte der Akone undeutlich hervor. „Aber das Grinsen wird mir fehlen.“
„Ist er wach?“, hörte er eine aufgeregte Stimme vom Waschraum her. Arianan kam mit zügigen Schritten näher. „Wie geht es dir, Dennor?“
„Ich liebe dich“, murmelte er.
Erschrocken über das Geständnis des scheinbar so introvertierten Akonen erstarrte sie. „Dennor, wie war das doch gleich von wegen warten, bis wir gerettet sind?“, fragte sie schließlich lächelnd.
„Was kümmert mich mein Geschwätz von vorhin?“ Das einzige was in dieser Maske zu leben schien waren die Augen. Und im Moment schien ihr Strahlen mit den Sternen des Universums wetteifern zu wollen!
„Ich glaube wir lassen die zwei mal eine Zeit lang allein“, schmunzelte Samuel und wollte sich gerade erheben.
„Nein, Sam, ihr kriegt das doch sowieso alles mit. Bleibt ruhig hier.“
Nun ließ sich die ganze Gruppe ringsum die Beiden nieder, und Notian fluchte innerlich, weil er am Funkgerät etwas zu weit entfernt war. Das hinderte ihn jedoch nicht, das Mikrofonfeld auf höhere Empfindlichkeit einzustellen und so alles exklusiv zu den anderen Rettungsbooten der BERENICE zu übertragen.
„Ariana... ich....als ich da unten war, alleine in dieser Tiefkühltruhe, als ich merkte, dass mich kondensierte Feuchtigkeit am Boden festgefroren hatte... Verdammt, ich wollte einfach liegenbleiben und sterben.“ Er unterbrach sich kurz, sah Ariana an wie ein Wunder. „Und, bei Akon, ich habe nach einem Grund gesucht, weiterzuleben. Und ich merkte, dass da noch etwas war, was mir wieder Kraft gab. Das eine war das Wissen, wie stolz mein Vater in diesem Moment auf mich sein müsste. Das andere warst du! Es ist mir egal, ob ich wieder enttäuscht und verraten werden könnte. Es ist mir egal, was die Familie meiner Mutter dazu sagen wird. Es ist mir egal! Ariana, ich weiß jetzt, wie sehr ich dich liebe. Ich hatte eine furchtbare Angst, das niemals sagen zu können. Danke, das es dich gibt.“ Stille!
„Und?“ fragte Ariana erwartungsvoll.
„Was, und?“
„Willst du nicht noch etwas hinzufügen?“
Entrüstet rief Dennor: „Aber Ariana, ich bin ein Akone! Ein Feind Terras! Wie kannst du glauben, ich würde dich an mich fesseln wollen?“
„In welchem Jahrtausend lebst du eigentlich?“ erwiderte sie trocken. „Die Masche mit den bösen Akonen ist doch vollkommen abgenutzt! Denk dir `ne bessere Ausrede aus.“
Daraufhin schwieg Dennor lange Zeit... „Ariana, ich ... ich wäre keine Partie für dich! Ein Halb-Akone, der in der Terranischen Handelsflotte dient, ständig zwischen den Sternen unterwegs....“
„Falls es Dich interessiert, mein Vater hat sein Vermögen als Prospektor verdient! Er ist also auch Raumfahrer! Moment... Halb-Akone?“
Dennor versuchte zu lächeln, was ihn schmerzhaft an den Zustand seines Gesichts erinnerte. „Mein Vater war ein Captain der Solaren Flotte, der eine Zeitlang auf Sphinx in der Botschaft als Militärattaché stationiert war. Er begann eine Liebesaffäre mit meiner Mutter, ohne zu wissen, dass das Oberhaupt ihrer Familie Mitglied des Großen Rates war. Als ihre Beziehung bekannt wurde, verbot mein Großvater jedes weitere Treffen mit meinem Vater. Der wollte das nicht hinnehmen, und protestierte so lange und laut, bis man ihn schließlich aus dem Blauen System auswies.
Tja, ein halbes Jahr später gab es mich.
Ich habe lange Zeit nichts über meinen Vater gewusst, bis ich zur Akonischen Heimatflotte ging. Der Kommandant meines Wachkreuzers hatte einen fanatischen Hass auf Terraner. Das ging so weit, dass er ein terranisches Prospektorenschiff aufbringen und grundlos entern ließ. Anschließend verhaftete er die Mannschaft wegen Spionage, doch wir, seinen Crew, wussten es besser, und in dem Prozess sagte ich das auch. Ich entlastete nicht nur die Prospektoren, ich empfahl auch die Ablösung meines Kommandanten, bevor er etwas wirklich Schlimmes anstellen konnte. Mein Fehler, denn der Kerl hatte hervorragende Beziehungen; ich wurde unehrenhaft entlassen, doch das war mir egal, denn die terranischen Prospektoren erwartete ein Freispruch.
Doch die Krönung von allem war, das mich mein ehemaliger Kommandant als getarnten terranischen Agenten hinstellte, gezeugt mit dem manipulierten genetischen Erbgut eines Terraners, und ich solle mich zu meinesgleichen scheren! So erfuhr ich, dass mein Vater Terraner war – zeitgleich mit den Papieren, die mich ausbürgerten.
Verstehst du, ich bin ein Mann ohne Volk mit unsicherer Zukunft und verlorenen Wurzeln. Mich eine schlechte Partie zu nennen ist schamlos untertrieben. Für die Akonen werde ich immer der Renegat bleiben, für die Terraner ein potentieller Verräter. Ich liebe dich, ich liebe dich wirklich, mit einer Glut, wie ich sie nie zuvor gespürt habe und deswegen... Deswegen ist unser kurzer gemeinsamer Weg zu Ende. Bitte mach es uns nicht so schwer....“
Dennor schluckte heftig, als er der Olympierin die Tränen von den Wangen wischte.
„Dennor“, hauchte sie. „Wenn... wenn du mich liebst, dann sollte dir dies alles egal sein. Es kommt doch nur auf uns beide an.“
Der Akone schüttelte nur stumm den Kopf. „Gerade weil ich dich liebe, ist es mir nicht egal....“
„Ich kann dir immerhin eine sichere Zukunft bieten, Dennor.“ grollte Samuels Bass.
„Mach dir nichts vor! Du weißt genau, dass mich die Sol Ab in unregelmäßigen Abständen überprüft.“ Traurig senkte Dennor den Kopf. „Versteht ihr jetzt warum ich immer so still bin? Es ist, als würde ich ewig mit einem Brandzeichen im Gesicht herumlaufen.“
Oboto Tarras brach vor Rührung in Tränen aus. „Ist das traurig. So traurig.“
Clark reichte ihm mitfühlend ein Taschentuch.
„Ich sollte daraus ein Drehbuch machen! Titel: Vom Verräter verraten! Der Film, der daraus entsteht, wird vielleicht sogar einen neuen Pro-Akon-Trend auslösen.“
„Mann, jetzt weiß ich, woher ich deinen Namen kenne!“, rief Clark begeistert. „Schreibst Du nicht unter dem Pseudonym Thamon Bulloz Drehbücher für die Galactic Order-Serie, die bei der Hälfte aller Galaktischen Sender läuft?“
„Oh, ich habe gar nicht gewusst, das wir so eine Berühmtheit an Bord haben“, ereiferte sich Notian, „Ich kenne fast alle Folgen von dir, Oboto! Vor allem Der Tag des Apaso, wo es um die internen Beziehungen der Blues-Völker geht.“
„Eine Arbeit, die Jahre der Recherche erforderte“, bestätigte Oboto, und entblößte zwei Reihen silberglänzende Zähne zu einem Grinsen. „Mit euer aller Einverständnis würde ich dies alles für solch ein Drehbuch verwenden. Die Havarie, der stille Verbraucher, euch zwei....“
Ariana errötete leicht.
„Natürlich erhaltet ihr Tantiemen und Mitspracherecht bei der Regie.“
„Schaden kann´s wohl nicht....“ Dennor versuchte wieder zu grinsen, was ihn erneut an seine erfrorene Gesichtshaut erinnerte.
„Und ich könnte dafür sorgen, dass der Film auch gedreht wird, wie ihr ihn sehen wollt.“ fügte Martin Voliére hinzu. „Zufällig hält meine Firma dreißig Prozent Anteile an Mr. Tarras Produktionsfirma.“
„BR 4 an BR 1! Sam, wir haben Kontakt mit einem Raumschiff! Er ist in vier Stunden in Reichweite.“
Eine Zeitlang war absolute Stille. Sie sahen sich nur stumm in die Augen... Als auf den anderen Rettungsbooten Jubel ausbrach, schaffte sich auch auf der BR 1 die Freude Bahn. Ariana und Dennor umarmten sich glücklich, Keiko fiel Clark in die Arme, Voliére und Oboto Tarras gaben sich still die Hand, Sam schlug Notian in allerbester Laune auf die Schulter, wodurch der Topsider in die Knie ging, und Juliette Harris legte die Hände vors Gesicht, weil sie nicht glauben konnte, dass die Havarie bald vorbei war.
„Hier spricht Captain Toran von Lasar-Toje, Erster Offizier des Akonischen Kurierkreuzers MALAKOR! Kapitän Bernstein, wir werden die BR 4 in zehn Minuten aufnehmen! Haben Sie einen besonderen Wunsch, wenn Sie an Bord sind?“
„Nur eine anständige Mahlzeit, eine Dusche und Sprechzeit an ihrem Hyperfunk! Danke, Captain.“ Bernstein unterbrach die Verbindung.
„Das könnte Ärger geben“, stellte Dennor leise fest.
„Ich weiß. Du bist nicht nur ausgebürgert, du bist auch verletzt. Und Darran, der junge Arkonide auch. Das Beste wird sein, du spielst den Terraner, wie es in unserer Datenbank steht. Bei Darran können wir nur das Beste hoffen.“
„Solange er sein Temperament unter Kontrolle hält, kann eigentlich nichts schief gehen! Sam, die MALAKOR meldet sich.“
„Hier Kapitän Bernstein! Was gibt´s?“
„Schiffarzt Oron Daramin hier! Sie haben zwei von ihnen als nicht akut, aber verletzt angegeben! Welcher Art sind die Verletzungen?“
„Nun, Doc, da wäre einmal ein Passagier, ein junger Arkonide mit einer Stichwunde über einem Riss in der Brustplatte, sowie einem mittelschweren Schock. Er ist außer Lebensgefahr. Zum anderen ist da mein erster Pilot. Er hat mehrere Erfrierungen am ganzen Körper, primär jedoch an der Gesichtshaut.“
„Hat ihr Pilot irgendwo an einem Körperglied schwarze Flecken?“
„Nein, keine Flecken, Doc.“
„Hat ihr Pilot auch einen Namen?“
„Ja! Er heisst Dennor....“
„Dennor von Par-Asear?“, rief eine unangenehm schrille Stimme über die Verbindung.
„Uroc?“, flüsterte Dennor leise.
„Du kennst ihn?“, fragte Ariana.
„Ihm verdanke ich meine Verbannung“, knirschte er.
„Ja, Leutnant Dennor von Par-Asear“, bestätigte Samuel ungerührt. Der Besitzer der schrillen Stimme murmelte ein paar akonische Flüche und verließ die Leitung wieder.
„Das kann ja heiter werden“, murmelte der alte Kapitän.
„Keine unnötigen Sorgen“, riet der akonische Schiffsarzt. „Major Uroc Zarahs ist lediglich Gast an Bord.“
Erleichtert stieß Sam die angehaltene Luft aus den Lungen. Ein allgemeines Aufatmen ging durch das Rettungsboot. Dennor schien vorerst sicher.
***
„Ruhen Sie sich aber erst einmal aus, essen Sie mal was anderes als Konzentrate und duschen Sie solange Sie wollen“, hatte Major Ragan von Lita-Reates gesagt. Und genau das hatte Sam getan – in umgekehrter Reihenfolge allerdings. Als er erwachte, fand er eine saubere, neutrale Bordkombination vor und die schriftliche Nachricht, dass sie um 23:00 Uhr Terrania-Standardzeit am heutigen Tage Olymp erreichen würden – das ursprüngliche Ziel ihrer Reise. Ein Blick auf den Chronometer seines Kombi-Armbandes verriet ihm, dass es bis dahin noch gut fünfzehn Stunden waren. Hier an Bord orientierte man sich nach Standard-Alpha-Zeit, nach der es jetzt Mittag war. Der Türmelder summte und Sam bat herein.
In der Tür stand ein hochgewachsener Akone mit der typischen bronzenen Haut unter kupferfarbenem Haar, das an den Schläfen ergraut war. Sam schätze ihn nur wenig jünger als sich selbst. Er wusste sofort, wen er da vor sich hatte, denn dieses Gesicht hatte er zu oft schon vor Augen gehabt.
„Hallo Kollege“, sagte der alte Akone.
„Hallo Kollege“, erwiderte Sam lächelnd. „Nimm doch Platz.“ Hinter dem Akonen schloss sich die Kabinentür wieder, und die beiden Männer waren allein.
***
„Sind seine Lippen wieder kussfest, Doc?“, scherzte Ariana.
„Nur zu. Probieren Sie es aus“, ermunterte sie der akonische Arzt.
Das ließ sie sich nicht zweimal sagen.
„Weißt du was? Wenn ich das hier lebend überstehe, dann....“
„Ich hoffe doch, du willst sagen, das du mich heiraten willst“, drohte sie lächelnd.
„Ich überlege es mir“, erwiderte Dennor flapsig.
„Was? Du überlegst es dir?“, rief Ariana entrüstet.
Sanft zog der Akone sie zu sich heran. „Nenne mir drei Gründe, warum ich dich heiraten sollte.“
Sanft küsste sie Dennor auf die Stirn. „Eins.“ Dann küsste sie seine rechte Wange. „Zwei.“ Und schließlich gab sie ihm einen Zungenkuss. „Drei.“
„Schon überredet“, rief Dennor. Erneut zog er sie zu sich heran. „Wie wäre es, wenn du mir den dritten Grund noch ein wenig näher erläuterst?“
Ariana lächelte. „Aber gerne doch.“
„Dennor, ich hoffe ich störe nicht. Wie geht es deinen Erfrierungen?“
„Hallo, Stanley“, begrüßte der Akone der terranischen Arzt. „Die Akonen haben mich ebenso gut versorgt, wie du es getan hättest. Das Biomol-Plast hat sich schon mit den unverletzten Hautschichten verbunden.“
„Und Miss Kruger hat gleich die Belastbarkeit deiner neuen Haut ausprobiert“, stellte der Bordarzt der BERENICE schmunzelnd fest. „Ich will auch gar nicht lange stören. Ich wollte nur ausrichten, dass ihr beide zum Abendessen in die Mannschaftsmesse eingeladen seid.“ Und flugs verschwand Doc DeForest wieder.
Ebenso lautlos, wie er vorhin das Krankenzimmer verlassen hatte, betrat der akonische Arzt es wieder. „Dennor von Par-Asear, ich habe hier die Diagnostik. Sie können den Lazarettbereich verlassen.“
„Danke, Oron. Sie haben mich gut verarztet.“ Sie schüttelten einander die Hände.
„Besser als ich ist höchsten ein Ara“, erwiderte er bescheiden.
***
„Uh, der Akone da drüben sieht dich ja an, als wolle er dich mit bloßen Händen erwürgen“, flüsterte Ariana Dennor ins Ohr. „Ist das dieser Uroc?“
Doch ihr Freund hörte sie nicht. ER hatte allein Augen für den Akonen mit den graumelierten Schläfen, der direkt neben dem Kommandanten saß.
„Ah, Dennor, schön, das ihr zwei schon da seid“, sagte der Akone, stand auf, und begrüßte die Neuankömmlinge.
„Ihr kennt euch?“, fragte Ariana neugierig, als der ältere Akone ihr die Hand gab.
„Markon“, hauchte Dennor leise.
„Ich freue mich, dich endlich wiederzusehen, mein Junge“, erwiderte dieser.
„Ich... ich freue mich auch, Großvater! Ariana, darf ich vorstellen? Markon von Par-Asear, Mitglied des Hohen Rates von Akon, und Oberhaupt der Familie Par-Asear.“
„Willst Du mich nicht vorstellen?“
„Markon, das ist Ariana Diane Kruger, meine zukünftige Frau.“
„Das wundert mich nicht.“ Markon lächelte Ariana zu. „Den guten Geschmack hat er eindeutig von mir. Willkommen in der Familie Par-Asear, meine Tochter. Nun guck doch nicht so verdutzt, Dennor! Du magst ausgebürgert worden sein, aber du gehörst immer noch zur Familie.“ Mit einem Lächeln, das Ariana sehr bekannt vor kam, führte Markon sie zu ihren Plätzen. „Und selbst das sollte nicht mehr lange ein Problem sein“, fügte Markon hinzu.
Während Urocs Hass die Atmosphäre in der Messe zu vergiften drohte, trafen nach und nach die restlichen Geretteten, sowie einige hohe Offiziere der MALAKOR ein. Der Letzte war Kapitän Samuel Bernstein. Er nahm direkt neben Markon Platz. Die Begrüßung der beiden fiel so sachlich aus, dass Dennor misstrauisch wurde.
Major Ragan stand auf. „Lassen Sie mich einige Worte zur Erklärung sagen. Dass es ausgerechnet das Kurierschiff MALAKOR war, welches zu ihrer Rettung zur Stelle war, ist kein Zufall. Übrigens waren wir nur einen halben Tag schneller als die Rettungskreuzer der Solaren Flotte. Jedenfalls... die MALAKOR hatte den Auftrag des Hohen Rates von Akon, schnellstmöglichst mit dem Terranischen Handelskreuzer BERENICE zusammenzutreffen. Es ging darum, vor acht terranischen Jahren begangenes Unrecht wieder gut zu machen. Vor acht Jahren wurde Captain Dennor von Par-Asear, Bürger des Akonischen Reiches und Offizier der Akonischen Flotte ohne Begründung, ja, willkürlich ausgebürgert, allein durch die Beziehungen eines rachsüchtigen Vorgesetzten, Major Uroc Zorasch. Doch Uroc erkannte das Unrecht, und der Hohe Rat stimmte schließlich zu, Captain Dennor von Par-Asear zu rehabilitieren. Nicht, Major?“
Als der hasserfüllte Akone aufstand, gab er sich keine Mühe, diese negative Emotion, die sein Gesicht verzerrte, zu verbergen. Man sah es deutlich, dass er das Dokument in seiner rechten Hand fort schleudern wollte, und nicht an Dennor übergeben, was er aber doch schließlich tat.
„Ich bitte um Vergebung für mein Handeln. Ich biete Euch hier in meiner Hand alle Rechte an, die Euch durch mein Handeln entzogen wurden. Bitte, nehmt sie an, um einen Teil meiner Schuld zu tilgen...Herr.“ Er spie das letzte Wort aus wie einen Fluch.
Mit einem Ruck entriss Dennor seinem alten Feind die Dokumente. „Geh“, knurrte er.
Ein paar Stunden später versammelten sich die Geretteten der BR 1 in einer kleinen Messe. Major Ragan verteilte Getränke an die Anwesenden. Er räusperte sich. „Meine Damen und Herren, wir haben sie alle eingeladen, weil sie direkten Anteil am Schicksal Dennors von Par-Asears haben. Sie sollen die Hintergründe erfahren.
Alles begann damit, dass Markon mit aller Gewalt gegen das Urteil zur Ausbürgerung protestierte. Da er ein Mitglied des Hohen Rates ist, wurde das Verfahren ein halbes Jahr später wieder aufgenommen, und nach einem weiteren halben Jahr für ungültig erklärt. Major Uroc wurde aufgrund der Sachlage zur Heimatflotte des Blauen Systems versetzt, da man dort seinen fanatischen Hass gegen die Terraner besser unter Kontrolle hatte. Dass es dennoch sieben Jahre dauerte, bis die Rehabilitation Dennor erreichte, hat einen wichtigen Grund: Namhafte Mitglieder der Regierung – nicht des Hohen Rates – hatten Uroc damals bei der Diffamierung Dennors geholfen, und aus Angst vor der Strafe begannen sie, die Vollstreckung der Rehabilitation zu boykottieren. Der Hohe Rat rief eine Kommission ins Leben, die eben diesen Fall als Grundlage benutzte, um diese und andere korrupte Mitglieder der Regierung auffliegen zu lassen.“ Ragan lächelte. „Und diese Aktion, die mit der Aburteilung von achtunddreißig Politikern und zweihundertundvier Staatsdienern endete, dauerte bis vor sieben Tagen an. Der Hohe Rat sandte sofort die MALAKOR aus, um das Unrecht endlich zu bereinigen, und wir nahmen Uroc mit, um ihm seine kleine Rolle in unserer Gesellschaft vor Augen zu führen. Was uns übrigens gelang.“
„Dennor“, sagte Markon. „der Hohe Rat bietet dir einen Platz als Major in der Akonischen Flotte an, als Kommandeur selbstverständlich. Aber dein anderer Großvater Samuel bietet dir den Posten des Kapitän an Bord des Nachfolgeschiffes der BERENICE an. Er und Notian wollen endlich ihre wohlverdienten Schreibtische in der Verwaltung einnehmen. Sie selbst nennen das Ruhestand. Sohn, egal, wie du dich entscheiden wirst, du und Ariana sind auf Akon immer ebenso willkommen, wie auf Terra und Olymp.“
„Das weiß ich, Markon, Samuel, und ich danke euch dafür! Ein Zuhause ist bereits ungeheuer wertvoll. Deren zwei zu haben, ist ein kostbares Gut.“ Dennor hob sein Glas. „Auf das Versteckspiel meines einen und den Kampf meines anderen Großvaters, auf die, die wir lieben und auf die Gerechtigkeit.“
„Auf die Gerechtigkeit.“
Epilog:
Kurzmeldung Olympische Allgemeine Presseredaktion:
Im traditionsreichen Alten Viertel der Händler in der Hauptstadt Trade City fand heute das gesellschaftliche Ereignis des Jahres statt. In der großen Empfangshalle des Bernstein Inc. Towers gaben sich der erst kürzlich rehabilitierte ehemalige akonische Offizier und Kapitän des BERENICE-Nachfolgers SPHINX, Dennor von Par-Asear und Doktor der Psychologie Ariana Diane Kruger, Tochter des aus seinen Prospektenorentagen bekannten Beraters Kaiser Anson Argyris´, Fürst Clarven Adriaan Kruger, vier Monate nach der gemeinsamen Havarie auf der BERENICE das Ja-Wort. Die ökumenische Zeremonie, Akon-orthodox und Olympisch-Neukatholisch, ist ohne Frage als Zeichen der immer engeren Verbundenheit von Terra und Akon zu sehen, welches auch Markon von Par-Asear, Mitglied des Hohen Rates und Großvater Dennors mütterlicherseits und der selbstverständlich geladene Kaiser Anson Argyris in ihren Tischreden betonten.
Geladen waren unter anderem alle an der Havarie beteiligten Passagier und Besatzungsmitglieder, wobei der arkonidische Jungdiplomat Darran von Tamanas den traditionellen terranischen Part des Trauzeugen und Oberleutnant Keiko Tagashi den der Brautjungfer übernahm. Im Anschluss an die Hochzeit brach die SPHINX mit dem Brautpaar in die Flitterwochen auf. Der Flug ist gleichzeitig Kapitän Oberst d. Res. Samuel Bernsteins letzter offizieller Flug im Dienste der von seinem Vater gegründeten Bernstein Inc.!
Ende