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Tim und Struppi: Eine alte Geschichte

Kurzbeschreibung
GeschichteAbenteuer / P12 / Gen
10.05.2009
30.05.2009
3
11.390
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Dieses Kapitel
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10.05.2009 2.766
 
Jetzt ist es also so weit, ich begebe mich auf unbekanntes Terrain...
Ich habe diese Geschichte vor etwa einem Jahr geschrieben, nachdem ich mehrere Tim-und-Struppi-Comics auf Französisch gelesen hatte. Dennoch bin ich beileibe keine Koriphäe auf diesem Gebiet. Deshalb ist es durchaus möglich, dass ich ein paar inhaltliche Fehler gemacht habe, da ich nichts über Tims Vorgeschichte weiß (um die es hier geht). Sollte dem so sein, versucht es entweder zu ignorieren oder kontaktiert mich und ich werde versuchen es zu ändern.
Ich hoffe, irgendjemand hat Spaß an der Geschichte. Ebenfalls hoff ich, dass sie nicht halb so schlimm ist wie der Titel. Würde mich über Reviews sehr freuen, da ich keine Ahnung habe, wie diese Geschichte ankommt.

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EINE ALTE GESCHICHTE



Die See lag ruhig und flach vor ihnen. Das Wasser glitzerte und so weit das Auge reichte, sah man nur die endlos blauen Wellen, die sich in weiter Ferne kaum vom Horizont unterschieden. Kein Wölkchen stand am Himmel und die Sonne sandte ihre ersten warmen Strahlen in diesem Jahr zu ihnen herab. Sie waren jetzt den zweiten Tag auf See und Kapitän Haddock war noch immer ganz aus dem Häuschen, endlich wieder schaukelnden Untergrund unter sich zu haben.
„Sehen Sie sich diese Wellen an, Tim! Ha, lächerlich! Wollen hoffen, dass wir noch einen ansehnlichen Sturm zu sehen bekommen!" Freundschaftlich schlug er ihm auf die Schulter. „Aber, aber, Kapitän", erwiderte Tim lachend. „Malen Sie mal den Teufel nicht an die Wand!" „Ich male überhaupt nicht, aber man wird sich doch wohl etwas Aufregenderes wünschen dürfen als diesen lahmen Wellengang." Amüsiert schüttelte Tim den Kopf. „Nun behaupten Sie bloß nicht, dass Ihnen die Wasserwüste auch so still nicht tausendmal besser gefällt als die Sandwüste." „Erinnern Sie mich bloß nicht daran", brummelte Haddock jetzt.
Sie waren in Ägypten gewesen, um einem Scheich dabei zu helfen, seine entführte Tochter wieder freizubekommen. Sie hatten es tatsächlich geschafft, doch ihr Führer hatte zur Verbrecherbande gehört und sie mitten in der Wüste ohne Wasser und Kamele sitzen lassen. Dank des Kapitäns, der einen Wasserschlauch als Kopfkissen benutzt hatte, hatten er und Tim zwar noch eine kleine Reserve, doch wenn nicht nach einigen Tagen, als sie schon beide im Delirium waren und schon mit mehr als einem Bein im Grabe standen, eine Karawane aufgetaucht wäre und sie bis zur nächsten Oase mitgenommen hätte, würden sie jetzt nicht mehr leben.
Nach einer Weile meinte Tim: „Ich glaube, ich gehe mal nach Struppi suchen, bevor er der halben Schiffsgesellschaft die Reiselust verdirbt." Er wandte sich um und wollte gerade Richtung Bug gehen, als ihm ein Mann entgegenkam und Tim vor Entsetzen gelähmt stehen blieb.
Der Mann sah gut aus, war etwa dreißig Jahre alt und weder besonders groß noch besonders klein. Er war ein Durchschnittstyp: braune Haare, weder zu lang noch zu kurz, braune Augen, dunkle Augenbrauen, weder schmächtig noch robust. Hätte sich sein Bild nicht auf Tims Netzhaut festgebrannt, er hätte ihn wohl gesehen und wieder vergessen. Doch so starrte er nur in das freundliche Gesicht und hatte Mühe, seinen Mund wieder zu schließen.
„Na, junger Mann, sehe ich so schrecklich aus?", fragte der Mann ihn amüsiert. „Oder bin ich etwa ein Gespenst?" Beim Klang der fremden Stimme hatte sich der Kapitän erstaunt umgedreht. „Guten Tag, Monsieur!", rief er gut gelaunt. „Sind Sie auch Passagier auf diesem Schiff?" Der Fremde schmunzelte: „Ansonsten wäre ich wohl kaum hier. Denn wie ein Matrose sehe ich wohl kaum aus." Der Mann hatte Recht. Er trug einen gut sitzenden sandfarbenen Anzug.
Haddock lachte. „Da haben Sie wohl Recht. Auf der See trifft man nicht viele Wanderer, Monsieur ...?" „Gellert", antwortete sein Gegenüber. „Und mit wem habe ich die Ehre?" „Haddock, mein Name. Kapitän Haddock." Er streckte ihm die Hand entgegen und da Tim noch immer keine Anstalten machte, irgendetwas zu sagen, fügte er hinzu: „Und das hier ist mein junger Freund Tim, der Reporter. Vielleicht haben Sie schon von ihm gehört." „Oh ja, allerdings! Sie sind M. Tim? Wie aufregend! Wissen Sie, ich bin Schotte und da erfuhr ich natürlich von Ihrem Abenteuer auf der Schwarzen Insel, M. Tim. Es freut mich sehr, Sie nun endlich einmal persönlich kennen zu lernen." Er streckte ihm die Hand entgegen, doch Tim ergriff sie nicht, sondern starrte ihm nur mit kaum gelindertem Entsetzen in die makellosen Züge.
Etwas irritiert ließ M. Gellert seine Hand wieder sinken, während der Kapitän ohne auch nur den Versuch seine Stimme zu senken fragte: „Was ist denn los mit Ihnen, mein Junge? Haben Sie sich den Magen verdorben oder warum sehen Sie drein wie ein Pudel, dem man den Knochen vorenthalten will?" Doch Tim antwortete nicht. Er murmelte lediglich ein ‚Entschuldigen Sie mich bitte’ und verließ fast fluchtartig das Deck. Struppi kam fast zur selben Zeit vom Bug her angelaufen und bellte seinem Herrchen nach, doch Tim beachtete ihn nicht. Der Hund lief hinter ihm her und holte ihn ein, doch auch jetzt beugte sich Tim noch nicht einmal zu ihm herunter.

Kopfschüttelnd sah Haddock ihm nach. „Was bloß in den gefahren sein mag?", murmelte er. „So habe ich ihn noch nie erlebt, Monsieur. Sie müssen ihn entschuldigen. Das Ganze hat sicher nichts mit Ihnen zu tun. Vielleicht ist er ja seekrank." Zweifelnd blickte Mr. Gellert auf die unbewegte See und schlug vor: „Vielleicht sollten Sie ihm einmal nachgehen?" „Ach was!", wehrte der Kapitän ab. „Tim ist ein starker Bursche, der kommt schon ohne mich zurecht." Gemeinsam gingen die beiden Männer, die sich auf Anhieb gut verstanden, in das Bordrestaurant und nahmen ihre Mahlzeit ein. Tim ließ sich die ganze Zeit über nicht blicken.
Als sie fertig waren, gingen sie laut schwatzend wieder an Deck – und dort, hinten am Heck, stand Tim und starrte gedankenverloren auf das Meer hinter ihnen. „Ah, da sind Sie ja, Tim!", rief der Kapitän überschwänglich. „Wissen Sie, was mir M. Gellert soeben erzählt hat?" Doch Tim ging nicht auf ihn ein. „Könnte ich Sie mal kurz alleine sprechen, Kapitän?", fragte er stattdessen. „Alleine? Ach was! Reden Sie nur! Vor M. Gellert habe ich keine Geheimnisse!" Lachend schlug er dem Mann ins Kreuz, den er seit noch nicht einmal zwei Stunden kannte. Doch Tim behielt seinen festen Blick bei und schließlich erkannte der Kapitän, dass es ihm wirklich wichtig war, ihn alleine zu sprechen. „Nun denn...", brummelte er und wandte sich halb an M. Gellert: „Entschuldigen Sie mich bitte..."
„Was ist denn?", fragte er gereizt, als sie außer Hörweite Gellerts waren. „Kommen Sie mit", meinte Tim nur und führte ihn noch ein paar Meter weiter, bis sie Gellert schließlich auch nicht mehr sehen konnten. Prüfend ging Tim um Haddock herum. „Greifen Sie in Ihre Taschen!", trug er ihm dann auf. „Aber Tim, was soll denn das?" Man konnte Haddock seine Ungeduld deutlich anhören. Statt einer Antwort griff Tim ihm nun einfach selbst in die Jacken- und Hosentaschen, schien das Gesuchte – was immer es auch sein mochte – jedoch nicht finden zu können. Dann stellte er sich hinter ihn und befahl: „Zeigen Sie mir Ihre Schuhsohlen!" „Was soll das, Tim? Sind Sie verrückt geworden? Haben Sie vielleicht einen Sonnenstich?" Dass dies bei der noch kühlen Frühlingssonne kaum möglich war, schien Haddock nicht zu bemerken. „Tun Sie es einfach." Gereizt seufzend tat Haddock ihm den Gefallen. „Darf ich jetzt vielleicht einmal wissen, was das soll?", fragte er dann. „Es geht um M. Gellert", rückte Tim nun endlich mit der Sprache heraus. „Er ist nicht der Gentleman, für den Sie ihn halten." „Ach nein?", meinte Haddock ungläubig. „Was ist er denn dann?" „Ein Verbrecher", antwortete Tim mit unbewegter Miene. „Sie sollten sich vor ihm in Acht nehmen."
Eine Weile schwieg der Kapitän verblüfft. „Aber Tim!", rief er dann. „Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst!" „Sie glauben gar nicht, wie ernst mir das ist, Kapitän. Ich kann Sie nicht dazu zwingen, mir zu glauben, aber ich flehe Sie inständig an, dass Sie sich von diesem Mann fernhalten." „Was reden Sie denn da, mein Junge? Was soll M. Gellert denn getan haben? Und woher wollen Sie das wissen?" Tim wand sich sichtlich. „Das kann ich Ihnen nicht sagen. Aber ich bitte Sie, Kapitän, hören Sie auf meinen Rat. Monsieur Gellert ist gefährlich!" „Jetzt hören Sie endlich auf, so einen Unsinn zu reden, Tim! M. Gellert ist mein Freund und ich vertraue ihm." „Sie haben ihn heute zum ersten Mal gesehen!" „Und wir haben uns auf Anhieb exzellent verstanden!", keifte nun der Kapitän und auch Tim verlor langsam die Fassung. „Hören Sie mir zu, Kapitän, dieser Mann hat Ihr Vertrauen nicht verdient." „Er verdient es mehr als so manch anderer...zum Beispiel Sie! Ich habe Sie immer für einen Ehrenmann gehalten, Tim. Ich hätte nie gedacht, dass Sie einen fremden Menschen so verleumden können!" Damit ließ er ihn stehen und schritt nun wieder auf M. Gellert zu.
Verzweifelt und ergrimmt sah Tim seinem alten Freund nach, der ihn nun als nicht vertrauenswürdig bezeichnet hatte und einem fast völlig fremden Menschen mehr Glauben schenkte als ihm.
Zornestränen stiegen ihm in die Augen. Dieser uneinsichtige Kapitän Haddock! Tim wollte ihn in der Luft zerreißen. Tiefer Groll überkam ihn und er lief los, zum Bug des Schiffes. Er musste einfach irgendwohin. Aber da war das Schiff schon zu Ende. Er musste weiter; er wollte hier raus, wollte fliehen, wollte seiner Wut freien Lauf lassen... Doch er war ein Gefangener auf diesem Schiff. Noch eine ganze Woche lang war er hier Gefangener. Wie sie alle.
In seiner Unrast stürmte Tim unter Deck und in seine Kajüte, die er sich mit dem Kapitän teilte. Wütend schlug er darin auf den Tisch, gegen die Wände und an das Stockbett, so dass man hätte meinen können, ein wilder Löwe befände sich darin. Er begann auf das Kissen des Kapitäns einzuschlagen – und hielt sofort inne. Unter dem Kissen lag etwas Hartes. Tim zog es hervor. Es waren Whiskyflaschen. Der Kapitän hatte sie an Bord geschmuggelt.
Auf einmal – ohne genau zu wissen, warum – war Tims gesamte Wut wie weggeflogen. Eine unglaubliche Leere breitete sich in ihm aus. Er konnte Haddock nicht wissentlich an einen Gauner wie Gellert ausliefern. Er musste irgendetwas tun! Was, wenn Gellert Haddock irgendetwas antun wollte? Und Tim wusste, dass er das vorhatte. Er war sich sicher. Er kannte diesen Mann, diesen Verbrecher, diesen Teufel. Er wusste, wozu er fähig war. Und er konnte seinen alten Freund – mochte dieser nun denken, was er wollte – nicht einfach so diesem Monster überlassen. Tim würde den Kapitän beschützen, mit allem, was in seiner Macht stand.

Mit neuem Selbstvertrauen, weil er jetzt endlich etwas tun konnte, ging Tim wieder zurück an Deck. Struppi, der die seltsamen Gemütswankungen seines Herrchens staunend verfolgt hatte, folgte ihm. Tim begab sich an einen Platz an der Reling, von der aus er das Heck gut überblicken konnte. Ab und zu wandte er sich zu dem Kapitän und M. Gellert um, die beide so vertieft in ihr Gespräch waren, dass sie ihn überhaupt nicht zu bemerken schienen. Diese angeregte Unterhaltung mit ansehen zu müssen, gab Tim einen Stich ins Herz.
Der Nachmittag verging. Gellert und Haddock aßen an Deck Kuchen und tranken Kaffee. Tim nahm nichts zu sich. Er war zu angespannt, um an leibliche Genüsse denken zu können.
Am Abend ging Haddock unter Deck, vermutlich auf die Toilette. Als er an Tim vorbeiging, würdigte der Kapitän ihn keines Blickes. Er überlegte sich, ob er ihm nachlaufen oder Gellert weiterhin im Auge behalten sollte, als Letzterer geradewegs auf ihn zukam. „Guten Abend, Monsieur Tim." Gellert fröstelte ein wenig und zog die Jacke enger um sich. „Brrr... es wird langsam ein bisschen kühl. Wollen Sie nicht mit uns hinunter ins Restaurant zum Diner gehen?", fragte er höflich. Tim zögerte kurz. „Nein, danke. Ich glaube nicht, dass ich erwünscht bin." Außerdem war es ihm zuwider, mit diesem Gellert an einem Tisch zu sitzen. Er würde wahrscheinlich keinen Bissen hinunterbekommen. Doch vermutlich würde er das auch so nicht.
„Wirklich sehr bedauerlich", antwortete Gellert und einen Augenblick lang hätte er Tim beinahe weißmachen können, er sei wirklich betrübt. Doch der Reporter kannte schließlich diesen falschen Aasgeier. „Aber Sie werden doch wohl zumindest mit uns hinunter kommen? Sie müssen etwas essen; Sie haben schon heute Mittag und zum Kaffee nichts gegessen. Burschen in Ihrem Alter brauchen Kraft." „Sie scheinen mich ja sehr genau beobachtet zu haben", entgegnete Tim kühl. „Ach was, es ist mir eben aufgefallen", meinte er mit einem für alle anderen Menschen entwaffnenden Lächeln. „Wissen Sie, Sie interessieren mich, junger Mann. Ihre Abenteuer sind sehr bekannt. Ich darf Ihnen gestehen, dass ich Sie sehr bewundere."
Tim war froh, dass er nichts entgegnen musste, denn der Kapitän kam zurück. Er forderte Gellert auf, mit ihm hinunterzukommen und tat dabei so, als ob Tim überhaupt nicht existiere. Mit kurzem Abstand ging er ihnen nach und setzte sich an einen Tisch in einem stillen Winkel, von dem er die gesamte Szenerie gut im Blick hatte.

Er aß nur wenig. Seine ganze Aufmerksamkeit widmete er den beiden Männern, die wieder einmal eifrig in ein Gespräch vertieft waren. Geistesabwesend gab er dem jaulenden Struppi immer wieder einen Bissen zu fressen. Er merkte gar nicht, dass sein Hund mehr verzehrte als er selbst.
Nach dem Abendessen begannen die beiden neuen Freunde auch noch Karten zu spielen. Tim schaute ihnen von weitem zu und spürte langsam einen stechenden Schmerz in seinem Kopf. Seine Augenlider begannen schwer zu werden. Doch er bekämpfte die Müdigkeit, indem er sich immer wieder durch mehr oder weniger leichte Schläge auf seine Oberschenkel oder seinen Bauch belebte.
Endlich – der Kapitän schien schon einige Münzen verloren zu haben – gingen sie jeder in seine Kajüte und kurz darauf folgte Tim dem Kapitän. Als er die Kajüte betrat, lag Haddock schon auf dem unteren Bett, das er bei ihrer Ankunft auf dem Schiff für sich erwählt hatte. Tim entkleidete sich, stieg ins Bett, wo sich Struppi zu seinen Füßen zusammenrollte, und wünschte dem Kapitän eine gute Nacht, ohne jedoch eine Antwort zu erhalten. Sofort sank er in einen unruhigen Schlummer.

Es kam ihm vor, als habe er überhaupt nicht geschlafen, als er – seine Sinne aufgrund der inneren Anspannung geschärft – wieder aufwachte. Er hörte ein leises scharrendes Geräusch und merkte, dass die Tür geöffnet worden war und nun von außen wieder zugezogen wurde.
„Kapitän?", flüsterte er leise. Er rechnete mit dem Schlimmsten. Leicht panisch beugte er sich zu der unteren Koje hinunter. Durch das Bullauge schimmerte schwach fahles Mondlicht, doch es reichte aus, um zu erkennen, dass die Koje leer war.
Flink glitt Tim unter seiner Bettdecke hervor und ließ sich federnd auf den Boden fallen. Dann öffnete er die Tür lautlos ein Stück, schlüpfte hinter Struppi hinaus und überlegte kurz, wo er hinsollte. Er entschied sich für das Deck, schlich den Korridor hinauf und die Treppe hoch, bis ihm der frische Seewind um die Nase blies und seine vor Aufregung erhitzten Wangen kühlte.
Tim blickte sich um, doch er konnte niemanden sehen. Dann schob sich eine dünne Wolke vor den Mond und trübte das Licht ein wenig. Tim versuchte nun seine Umgebung mit schärferen Augen zu überprüfen, doch noch immer konnte er keine Gestalt sehen. Er wollte sich gerade wieder abwenden, als er ein leises Geräusch hörte, wie Schritte, die über die Planken huschten. „Kapitän?", fragte Tim leise in das Dunkel. Doch er erhielt keine Antwort. Stattdessen hörte er das Platschen von Wasser und das war es, was ihm das Herz kurz stehen bleiben ließ.
Er stürzte an die Reling und versuchte, hinter ihnen im Wasser etwas auszumachen. Doch da war nichts. „Kapitän!", rief er wieder, nun drängender. Immer noch keine Antwort. Er beugte sich noch ein Stück tiefer – als er plötzlich einen schweren Schlag auf den Hinterkopf erhielt und vornüber von Bord fiel.

Einen Moment lang war Tim kurz davor, die Besinnung zu verlieren. Doch die eiskalten Wellen, die Sekundenbruchteile später über ihm zusammenschlugen, verhinderten es. Dennoch war er noch sehr benommen, als er – geschockt von dem kalten Wasser – hustend und keuchend wieder auftauchte. Dann begann sein Verstand wieder zu arbeiten. Er musste die Besatzung auf sich aufmerksam machen! „Hilfe!", rief, nein, schrie, nein, brüllte er. „HILFE! Mann über Bord!"
Doch ihm wurde schnell klar, dass er gegen das gleichmäßige, ohrenbetäubende Rattern der Motoren keine Chance hatte. Niemand hörte ihn. Er war allein, mitten im Atlantik, und keiner konnte ihm helfen.
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