Die Welt von Tiberius Livingston
von jinkizu
Kurzbeschreibung
Die Schlacht ist vorüber und unsere sechs Helden haben gesiegt. Jekyll beschließt seine Reise über Schnee und Eis alleine fortzusetzen. Er möchte über sich und Edward Hyde nachdenken. Ihn begleitet überraschend Mina Harker, in die er heimlich verliebt ist, sich aber nie irgendwelchen Hoffnungen hinzugeben wagte. Die Beiden sind seit drei Tagen unterwegs als sie plötzlich eine grauenvolle Entdeckung machen. Ohne es zu ahnen sind sie mitten in eine schreckliche Geschichte gestolpert, die sie von nun an nicht mehr los lassen wird.
GeschichteLiebesgeschichte / P16 / Gen
Dr. Harry Jekyll / Edward Hide
Mina Harker
01.05.2009
15.05.2010
18
38.473
3
01.05.2009
2.400
Vielen Dank für dein nettes Review, Haasi! Ich kenn das, bei mir ist gerade auch sehr viel los, deshalb dauerts auch bis ein neues Kapitel kommt. Sorry!
Liebe Grüße Gaby
Dem Tode nahe sank er zu Boden. Es war vorbei. Meine letzten Gedanken galten Henry. Er hatte ihm dieses Leben geschenkt, ihm allein hätte die Ehre gebührt es ihm wieder zu entreißen. Keinem Fremden, der sich auf seinem wahnwitzigen Kreuzzug befand, sondern Henry alleine.
Er hätte es ihm schon früher erlauben sollen, dann wäre ihm diese Schmach hier erspart geblieben. Henry war auf der verzweifelten Suche nach einem Heilmittel für sich gewesen, auch wenn die Suche nur über die Jahre nur mehr sehr halbherzig geführt wurde, so war es Henrys beständiger Wunsch gewesen, seine Sünden, die er mit der Geburtsstunde von Edward Hyde begangen hatte, wieder gut zu machen. Auch jene die nicht Henry begangen hatte, sondern ein anderer.
Er, Edward Hyde, war es gewesen. Er war eine rohe, ungezähmte Bestie. So nannten ihn die Menschen, wenn sie ihn sahen. Eigenschaften, die manchmal von großem Nutzen waren, aber auch immer wieder für großes Unheil und Angst sorgte. Die Menschen, erklärte ihm Henry, fürchten das, was sie nicht kennen. Auch Henry fürchtete sich eine lange Zeit vor Edward. Irgendwann gelang es ihm diese Angst zu überwinden und er versuchte sich mit ihm zu arrangieren. Versuchte ihm zum Guten zu bekehren und doch …
Zuweilen spürte Edward Henrys Verlangen das tun zu können, wozu Edward fähig war. Sie waren wie die Seiten von einer Münze. Gleich und doch grundverschieden. Sie waren eins und doch gehörten sie nicht zusammen. Von nun an würde sich Henry darüber keine Sorgen mehr machen müssen, denn er, Edward, lag im Sterben, das fühlte er.
Mit Entsetzten folgte Mina Edwards Sturz zu Boden. Seine Züge waren bleich und begannen zu verschwimmen. Es sah so aus als versuchte Edward sich im Todeskampf zu verwandeln. Oder wollte Henry ihm zu Hilfe eilen? Mina hielt das nicht für unwahrscheinlich. Henry war ein warmherziger, hilfsbereiter Mensch. Er würde auch dann helfen, wenn er dadurch zu Schaden käme. Was auch passiert war.
Sie hatte ihn dazu gedrängt hier herzukommen. Hatte ihn überredet in das Reich des Todes einzudringen und nun hatte sie ihn verloren. Es gab noch so vieles was sie ihm hätte sagen wollen. Nach Dorian, er war so anders, so zuvor kommen, genau das war es, was sie an ihm so sehr mochte, war er der erste Mann gewesen, an dem sie wirklich interessiert war und auch ihn hatte sie verloren.
So wie Dorian, war auch er durch ihre Schuld gestorben. Schmerz und Zorn tobten in ihr und vor ihr stand der Mann, der für den Mord an Henry verantwortlich war, aber nicht mehr lange. Sie würde ihn töten und wenn sie dadurch selbst ihren Tod fand. Fauchend zeigte sie ihm ihre Zähne, doch Livingston würdigte ihr keines Blickes.
Er sah fasziniert auf einen Behälter, der sich etwas abseits hinter Henry befand. Eine wabernde, milchig weiße Flüssigkeit schwamm darin herum. Sein Elixier. Es hatte geklappt. Er würde sein Leben, sein Aussehen und seine Reputation zurückbekommen. Man würde ihn in den Salons von London wie einen heimkehrenden Helden feiern. Man würde ihn rühmen für seine Arbeit, für sein Lebenswerk, dass er hier und heute vollendet hatte.
Wie hypnotisiert näherte er sich dem Behälter, dabei vergaß er vollkommen Mina hinter sich und sah auch nicht den am Boden liegenden Henry. Edward war es gelungen die Verwandlung, bevor er starb, abzuschließen. Das Licht, das Edward gefangen gehalten hatte, hatte aufgehört zu strahlen. Bleich lag er auf der Erde und rührte sich nicht mehr. Mit einem Sprung war Mina bei Livingston und vergrub ihre Zähne in seinem Nacken.
Seine Fingerspitzen berührten bereits den Behälter. Er konnte es noch schaffen, aber dann wurde ihm schwarz vor den Augen. Mina hatte vor ihm das Blut bis auf den letzten Boden auszusaugen, aber sie überlegte es sich anders. Angeekelt spuckte sie sein Blut auf den Boden. Nichts von ihm wollte sie in ihrem Mund behalten. Sie brachte ihn zu einem der Käfige, warf ihn hinein und ließ das Schloss zuschnappen.
Kurz beobachtete sie den Leblosen scharf, aber er rührte sich nicht. Sie wandte sich von ihm ab, nicht länger interessierte er sie. Nun galt ihre Aufmerksamkeit einem ganz anderen. Sie kniete sich zu Henry und legte die Arme auf seine Brust.
„Henry?“, flüsterte sie, doch er zeigte keine Reaktion.
„Henry, bitte, wach auf!“, rief sie energisch und begann ihn sanft zu schütteln, doch er blieb tot. Sanft beugte sei sich über ihn, ganz nahe an sein Ohr.
„Henry komm zurück zu mir. Hast du vergessen, was wir noch vorhatten? Es gibt da etwas was wir noch nicht zu Ende gebracht haben“, flüsterte sie ihm ins Ohr, richtete sich wieder auf und wartete, doch es tat sich nichts.
Einer plötzlichen Eingebung folgend erhob sie sich und schritt zu dem Behälter hinüber, den Livingston so begierig betrachtet hatte. Mina legte den Kopf schief und betrachtete interessiert den Inhalt. Es sah aus, aber war das überhaupt möglich?
Vorsichtig hob sie den Behälter hoch und trug ihn zu Henry. Sie kniete sich wieder nieder und goss den Inhalt über ihn. Die Flüssigkeit waberte kurz auf ihm und verschwand dann plötzlich. Mina schloss ihre Augen und presste ihren Mund fest auf seine Lippen.
„Bitte lass es funktionieren!“, flehte sie innerlich.
Langsam schlug sie die Augen wieder auf und sah hoffnungsvoll auf ihn herab. Leicht flatterten seine Lider. Er öffnete die Augen und schloss sie wieder und dann holte er tief Luft. Tränen stiegen ihr in die Augen, doch energisch blinzelte sie fort. Sie war keine Frau die Tränen vergoss.
„Meyers!“, brüllte Tom und zwang damit den Mann, der vor ihm zu fliehen versuchte, stehen zu bleiben.
Er hatte seine Pistole gezogen, drehte sich auf dem Absatz um, zielte und schoss. Doch Tom hatte genau damit gerechnet und ging bereits, als er sah, dass sich Meyer zu ihm umdrehte in die Knie, und zog Jewdokija mit sich. Der Schuss verfehlte sein Ziel. Unverletzt erhob sich Tom und sah kalt auf Meyers.
„Das war ihr einziger Schuss“, stellte er kalt fest.
Unbemerkt von ihm waren Nemo und Skinner an seine Seite getreten. Nemo reichte ihm seinen Säbel und Skinner klopfte ihm aufmunternd auf die Schultern. Tom nickte entschlossen und ging auf Meyers zu. Dieser zog ein großes Messer aus seinem Gürtel, seine Peitsche und wartete auf Tom. Er würde diesem Jungen zeigen, wie ein richtiger Mann kämpfte.
Wie eine Schlange ließ er die Peitsche zu Boden entrollen. Unruhig schwang er sie hin und her. Sobald Tom in seiner Reichweite war, würde er ihren Biss zu spüren bekommen. Verächtlich verzog sich Meyers Mund. Tom strafte seine Schultern und machte einen Schritt auf ihn zu. Drauf hatte dieser nur gewartet. Gekonnt schwang er die Peitsche und wollte sie auf ihn niedersausen lassen, doch irgendetwas fing den Schwung ab und hielt die Peitsche fest.
Verblüfft sah Meyers wie die Peitsche einfach in der Luft hing und sich nicht mehr zurückziehen ließ. Geschockt entglitt ihm das Ende der Peitsche. Er glaubte nicht an Geister, aber wie sollte er sich das hier erklären? Bevor er weiter darüber nachdenken konnte, stürzte sich bereits Tom auf ihn. Meyers schaffte es noch im letzten Augenblick das Messer hochzureißen und den Säbel abzuwehren.
Heftig schlug er ihn zur Seite und versuchte seinerseits mit einem gewagten Sprung nach vorne Tom mit dem Messer mitten ins Herz zu treffen. Doch dieser war schneller und wich dem Hieb seitlich aus, lediglich sein Hemd wurde in Brusthöhe zerschnitten. Heftig keuchte Tom, das war knapp gewesen.
Er tänzelte ein paar Schritte im Halbkreis um Meyers herum und versuchte dabei seine Deckung zu durchbrechen, aber er war ein würdiger Gegner und ließ nicht einmal seine Deckung fallen. Kurz kreuzten sie die Klingen, was einem Kräftemessen gleichkam. Es schien als versuchte sie sich gegenseitig abzuschätzen, wie lange der Andere durchhalten würde, bevor der tödliche Schlag kam.
Langsam kam ich zu Bewusstsein. Irritiert horchte ich in mich. Etwas war anders. Ich war anders. Noch fiel mir das Denken schwer und ich versuchte die vergangenen Ereignisse zu rekonstruieren. Es war nicht ich, der sie erlebt hatte, sondern Edward … Ich stutzte.
Edward … ich horchte in mich. Wo war er? Ich war so an ihn gewöhnt, dass ich mich leer fühlte. Was war nur passiert? Langsam setzte ich mich auf und sah orientierungslos auf Mina. Stirnrunzeln blicke sie auf mich herab.
„Wie fühlst du dich?“
Wie fühlte ich mich?
„Ich weiß es nicht“, kam es wenig geistreich von mir. Ich sah auf meine Hände, so als müsste ich tatsächlich feststellen, dass es meine waren.
„Was hat er getan?“
Dunkel konnte ich mich an Edwards Leiden und Schmerzen erinnern und ich wusste auch, wer sie verursacht hatte – Livingston! Er hatte Edward in seinem Labor gefangen und gleich einer Ratte irgendeinem Experiment ausgesetzt, dabei war Edward zu Schaden gekommen, oder noch schlimmer. Mina mied meinen Blick.
„Es war schlimm. Edward - du konntest dich nicht mehr bewegen. Er hat verhindert, dass ich dir zur Hilfe komme.“
Mina sah aus als fühlte sie sich schuldig. Ich streckte meine Hand nach ihr aus und berührte sanft ihre Schultern.
„Ich bin … mir geht es gut“, versuchte sich sie zu trösten, auch wenn es gelogen war.
Mir ging es nicht gut, Edward war verschwunden und ich hatte keine Ahnung wie Livingston, das geschafft hatte. Es war praktisch unmöglich. Ich hatte selbst viele Jahre damit zugebracht herauszufinden, was schief gelaufen war und kam zu keinem Ergebnis. Ich habe es nicht geschafft und Livingston sollte das in so kurzer Zeit …
„Wie lange war ich ohne Bewusstsein?“
Mina dachte kurz nach.
„Es waren nur ein paar Minuten. Du warst tot …“
Mina fiel es schwer ihm das zu sagen, aber andererseits war es zu wichtig um es zu verschweigen. Sie konnte sehen, dass er sich nicht gut fühlte, auch wenn er das Gegenteil behauptete.
„Wo ist er?“
Ich kam langsam zu Kräften und versuchte aufzustehen. Ich hatte so viele Fragen und es gab nur einen Menschen, der sie mir beantworten konnte. Mina wies mit dem Kopf hinter mich. Ich drehte mich um und das was ich sah entlockte mir ein hämisches Grinsen.
„Nun sitzt er in seiner eigenen Falle. Gut gemacht, Liebes.“
Mina stutzte kurz bei seinen Worten. Sie konnte nicht sagen, warum, aber er war, anders. Jekyll trat vor den Käfig, legte den Kopf schief und betrachtete Livingston genauer. Noch immer trug dieser seine Verkleidung, hinter der er verbarg, wer er, oder was er war. Minas Biss hatte ihn so weit geschwächt, sodass er noch immer ohne Bewusstsein war.
Ich hatte vor mir diesen Umstand zunutze zu machen und das Geheimnis seines Äußern zu lüften. Unerschrocken schloss ich den Käfig auf, blieb aber auf der Hut. Ich wollte bestimmt nicht mehr Opfer seiner verrückten Erfindungen werden. Nur zu frisch war die Erinnerungen an dem, zu was er fähig war. Vorsichtig durchsuchte ich ihn nach Waffen oder dergleichen.
Bei ihm wäre selbst eine simple Feder bestimmt ein todbringendes Instrument. Ich entdeckte die Waffe, mit der es ihm gelungen war, Mina außer Gefecht zusetzten. Zornig warf ich es auf den Boden und registrierte mit Genugtuung, wie es in tausend Stücke zersprang. Dieses Ding hatte die Frau, die ich liebte, verletzt.
Ich setzte meine Suche fort, fand aber sonst nichts Verdächtiges an ihm. Blieb also nur noch sein Gesicht zu enthüllen. Ich zog ihm die Handschuhe von den Händen und fand das, was ich bereits vermutete hatte. Er war entstellt, und wenn ich richtig lag, waren es Narben von einem vermutlich verheerenden Brand.
Ich begann bereits jetzt schon zu ahnen, was uns unter der Maske erwarten würde. Seine Maske wies am Hals zwei große Löcher auf. Mina hatte durch den Stoff in seinen Hals gebissen. Ich entdeckte auch das Blut auf dem Boden.
„Sein Blut war nicht nach deinem Geschmack?“ Mit hochgezogenen Brauen blickte ich sie fragend an.
„Es hat scheußlich geschmeckt.“
Leicht schüttelte sich Mina. Ich nickte nur, war aber in Gedanken schon wieder bei unserem Gastgeber. Ich fast wieder nach seiner Maske und zog sie ihm über den Kopf. Da er sein Bewusstsein noch nicht zurückerlangt hatte, war es ein leichtes sie ihm zu entreißen. Das Gesicht …
Unbewusst machte ich einen Schritt zurück. Das war kein Gesicht mehr. Die Stelle, wo ein Gesicht sein sollte, war eine einzige undefinierbare Masse an wulstigem Fleisch. Wild zusammengewachsen und roh war es, genauso wie der Mann dem es gehörte.
„Ich denke dieses Labor war nicht sein Erstes oder wir sind nicht die Ersten, die ihn zu töten versuchen. So genau werden wir es wohl nie erfahren.“
Mina war hinter ihn näher an Livingston herangetreten und betrachtete neugierig dessen Gesicht.
„Ich kann verstehen, warum er es vorzieht, sein Gesicht hinter einer Maske zu verbergen.“ Mina trat einen Schritt zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Was machen wir mit ihm?“
Ich schloss sorgfältig den Käfig, achtete besonders drauf, dass das Schloss auch eingerastet war, und wandte mich dann zu Mina um.
„Wir sollten ihn vergessen“, erklärte ich ihr ruhig.
Das war sein sicheres Todesurteil. Noch dazu eines, dass an Grausamkeit kaum zu überbieten war. Livingston würde einen langsamen Tod sterben. Er würde, in einem Land in dem ewig Schnee und Eis herrschten, verdursten.
Ich schlang einen Arm um Minas Hüften und presste ihren Körper an meinen.
„Wo waren wir stehen geblieben?“
Ich war am Leben und plötzlich verspürte ich Lust. Lust auf Mina. Sie sträubte sich und stemmte ihre Hände gegen meinen Oberkörper.
„Später, Henry!“
Mina war nicht abgeneigt, nur der Zeitpunkt war schlecht gewählt. Schließlich waren wir immer noch auf der Flucht.
„Wir sollten zuerst überlegen, was wir mit ihm machen und dann von hier schleunigst verschwinden.“
Ich neigte mich zu ihr und atmete tief ihren Duft ein, dabei schloss ich die Augen. Minas Duft war wie sie – einzigartig.
„Später!“, knurrte ich ihr gleich einem Versprechen ins Ohr.
Ich beugte mich ihrem Willen, vorerst, und ließ sie wieder los. Gut hätte sie gewollt, wäre mir vermutlich nicht genug Zeit zum Atmen geblieben, bevor sie mich am Boden gehabt hätte. Niemand zwang Mina etwas auf, das sie nicht wollte. Ich drehte mich zu Livingston um und sah ihn kalt an.
„Da du ihn nicht seinem Schicksal überlassen willst, werde ich ihn töten.“
Mina runzelte die Stirn. Nun war sie sich sicher das war nicht Henry. Ihr Henry überließ gerne anderen die wichtigen Entscheidungen und er würde niemals töten.
Liebe Grüße Gaby
Dem Tode nahe sank er zu Boden. Es war vorbei. Meine letzten Gedanken galten Henry. Er hatte ihm dieses Leben geschenkt, ihm allein hätte die Ehre gebührt es ihm wieder zu entreißen. Keinem Fremden, der sich auf seinem wahnwitzigen Kreuzzug befand, sondern Henry alleine.
Er hätte es ihm schon früher erlauben sollen, dann wäre ihm diese Schmach hier erspart geblieben. Henry war auf der verzweifelten Suche nach einem Heilmittel für sich gewesen, auch wenn die Suche nur über die Jahre nur mehr sehr halbherzig geführt wurde, so war es Henrys beständiger Wunsch gewesen, seine Sünden, die er mit der Geburtsstunde von Edward Hyde begangen hatte, wieder gut zu machen. Auch jene die nicht Henry begangen hatte, sondern ein anderer.
Er, Edward Hyde, war es gewesen. Er war eine rohe, ungezähmte Bestie. So nannten ihn die Menschen, wenn sie ihn sahen. Eigenschaften, die manchmal von großem Nutzen waren, aber auch immer wieder für großes Unheil und Angst sorgte. Die Menschen, erklärte ihm Henry, fürchten das, was sie nicht kennen. Auch Henry fürchtete sich eine lange Zeit vor Edward. Irgendwann gelang es ihm diese Angst zu überwinden und er versuchte sich mit ihm zu arrangieren. Versuchte ihm zum Guten zu bekehren und doch …
Zuweilen spürte Edward Henrys Verlangen das tun zu können, wozu Edward fähig war. Sie waren wie die Seiten von einer Münze. Gleich und doch grundverschieden. Sie waren eins und doch gehörten sie nicht zusammen. Von nun an würde sich Henry darüber keine Sorgen mehr machen müssen, denn er, Edward, lag im Sterben, das fühlte er.
Mit Entsetzten folgte Mina Edwards Sturz zu Boden. Seine Züge waren bleich und begannen zu verschwimmen. Es sah so aus als versuchte Edward sich im Todeskampf zu verwandeln. Oder wollte Henry ihm zu Hilfe eilen? Mina hielt das nicht für unwahrscheinlich. Henry war ein warmherziger, hilfsbereiter Mensch. Er würde auch dann helfen, wenn er dadurch zu Schaden käme. Was auch passiert war.
Sie hatte ihn dazu gedrängt hier herzukommen. Hatte ihn überredet in das Reich des Todes einzudringen und nun hatte sie ihn verloren. Es gab noch so vieles was sie ihm hätte sagen wollen. Nach Dorian, er war so anders, so zuvor kommen, genau das war es, was sie an ihm so sehr mochte, war er der erste Mann gewesen, an dem sie wirklich interessiert war und auch ihn hatte sie verloren.
So wie Dorian, war auch er durch ihre Schuld gestorben. Schmerz und Zorn tobten in ihr und vor ihr stand der Mann, der für den Mord an Henry verantwortlich war, aber nicht mehr lange. Sie würde ihn töten und wenn sie dadurch selbst ihren Tod fand. Fauchend zeigte sie ihm ihre Zähne, doch Livingston würdigte ihr keines Blickes.
Er sah fasziniert auf einen Behälter, der sich etwas abseits hinter Henry befand. Eine wabernde, milchig weiße Flüssigkeit schwamm darin herum. Sein Elixier. Es hatte geklappt. Er würde sein Leben, sein Aussehen und seine Reputation zurückbekommen. Man würde ihn in den Salons von London wie einen heimkehrenden Helden feiern. Man würde ihn rühmen für seine Arbeit, für sein Lebenswerk, dass er hier und heute vollendet hatte.
Wie hypnotisiert näherte er sich dem Behälter, dabei vergaß er vollkommen Mina hinter sich und sah auch nicht den am Boden liegenden Henry. Edward war es gelungen die Verwandlung, bevor er starb, abzuschließen. Das Licht, das Edward gefangen gehalten hatte, hatte aufgehört zu strahlen. Bleich lag er auf der Erde und rührte sich nicht mehr. Mit einem Sprung war Mina bei Livingston und vergrub ihre Zähne in seinem Nacken.
Seine Fingerspitzen berührten bereits den Behälter. Er konnte es noch schaffen, aber dann wurde ihm schwarz vor den Augen. Mina hatte vor ihm das Blut bis auf den letzten Boden auszusaugen, aber sie überlegte es sich anders. Angeekelt spuckte sie sein Blut auf den Boden. Nichts von ihm wollte sie in ihrem Mund behalten. Sie brachte ihn zu einem der Käfige, warf ihn hinein und ließ das Schloss zuschnappen.
Kurz beobachtete sie den Leblosen scharf, aber er rührte sich nicht. Sie wandte sich von ihm ab, nicht länger interessierte er sie. Nun galt ihre Aufmerksamkeit einem ganz anderen. Sie kniete sich zu Henry und legte die Arme auf seine Brust.
„Henry?“, flüsterte sie, doch er zeigte keine Reaktion.
„Henry, bitte, wach auf!“, rief sie energisch und begann ihn sanft zu schütteln, doch er blieb tot. Sanft beugte sei sich über ihn, ganz nahe an sein Ohr.
„Henry komm zurück zu mir. Hast du vergessen, was wir noch vorhatten? Es gibt da etwas was wir noch nicht zu Ende gebracht haben“, flüsterte sie ihm ins Ohr, richtete sich wieder auf und wartete, doch es tat sich nichts.
Einer plötzlichen Eingebung folgend erhob sie sich und schritt zu dem Behälter hinüber, den Livingston so begierig betrachtet hatte. Mina legte den Kopf schief und betrachtete interessiert den Inhalt. Es sah aus, aber war das überhaupt möglich?
Vorsichtig hob sie den Behälter hoch und trug ihn zu Henry. Sie kniete sich wieder nieder und goss den Inhalt über ihn. Die Flüssigkeit waberte kurz auf ihm und verschwand dann plötzlich. Mina schloss ihre Augen und presste ihren Mund fest auf seine Lippen.
„Bitte lass es funktionieren!“, flehte sie innerlich.
Langsam schlug sie die Augen wieder auf und sah hoffnungsvoll auf ihn herab. Leicht flatterten seine Lider. Er öffnete die Augen und schloss sie wieder und dann holte er tief Luft. Tränen stiegen ihr in die Augen, doch energisch blinzelte sie fort. Sie war keine Frau die Tränen vergoss.
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„Meyers!“, brüllte Tom und zwang damit den Mann, der vor ihm zu fliehen versuchte, stehen zu bleiben.
Er hatte seine Pistole gezogen, drehte sich auf dem Absatz um, zielte und schoss. Doch Tom hatte genau damit gerechnet und ging bereits, als er sah, dass sich Meyer zu ihm umdrehte in die Knie, und zog Jewdokija mit sich. Der Schuss verfehlte sein Ziel. Unverletzt erhob sich Tom und sah kalt auf Meyers.
„Das war ihr einziger Schuss“, stellte er kalt fest.
Unbemerkt von ihm waren Nemo und Skinner an seine Seite getreten. Nemo reichte ihm seinen Säbel und Skinner klopfte ihm aufmunternd auf die Schultern. Tom nickte entschlossen und ging auf Meyers zu. Dieser zog ein großes Messer aus seinem Gürtel, seine Peitsche und wartete auf Tom. Er würde diesem Jungen zeigen, wie ein richtiger Mann kämpfte.
Wie eine Schlange ließ er die Peitsche zu Boden entrollen. Unruhig schwang er sie hin und her. Sobald Tom in seiner Reichweite war, würde er ihren Biss zu spüren bekommen. Verächtlich verzog sich Meyers Mund. Tom strafte seine Schultern und machte einen Schritt auf ihn zu. Drauf hatte dieser nur gewartet. Gekonnt schwang er die Peitsche und wollte sie auf ihn niedersausen lassen, doch irgendetwas fing den Schwung ab und hielt die Peitsche fest.
Verblüfft sah Meyers wie die Peitsche einfach in der Luft hing und sich nicht mehr zurückziehen ließ. Geschockt entglitt ihm das Ende der Peitsche. Er glaubte nicht an Geister, aber wie sollte er sich das hier erklären? Bevor er weiter darüber nachdenken konnte, stürzte sich bereits Tom auf ihn. Meyers schaffte es noch im letzten Augenblick das Messer hochzureißen und den Säbel abzuwehren.
Heftig schlug er ihn zur Seite und versuchte seinerseits mit einem gewagten Sprung nach vorne Tom mit dem Messer mitten ins Herz zu treffen. Doch dieser war schneller und wich dem Hieb seitlich aus, lediglich sein Hemd wurde in Brusthöhe zerschnitten. Heftig keuchte Tom, das war knapp gewesen.
Er tänzelte ein paar Schritte im Halbkreis um Meyers herum und versuchte dabei seine Deckung zu durchbrechen, aber er war ein würdiger Gegner und ließ nicht einmal seine Deckung fallen. Kurz kreuzten sie die Klingen, was einem Kräftemessen gleichkam. Es schien als versuchte sie sich gegenseitig abzuschätzen, wie lange der Andere durchhalten würde, bevor der tödliche Schlag kam.
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Langsam kam ich zu Bewusstsein. Irritiert horchte ich in mich. Etwas war anders. Ich war anders. Noch fiel mir das Denken schwer und ich versuchte die vergangenen Ereignisse zu rekonstruieren. Es war nicht ich, der sie erlebt hatte, sondern Edward … Ich stutzte.
Edward … ich horchte in mich. Wo war er? Ich war so an ihn gewöhnt, dass ich mich leer fühlte. Was war nur passiert? Langsam setzte ich mich auf und sah orientierungslos auf Mina. Stirnrunzeln blicke sie auf mich herab.
„Wie fühlst du dich?“
Wie fühlte ich mich?
„Ich weiß es nicht“, kam es wenig geistreich von mir. Ich sah auf meine Hände, so als müsste ich tatsächlich feststellen, dass es meine waren.
„Was hat er getan?“
Dunkel konnte ich mich an Edwards Leiden und Schmerzen erinnern und ich wusste auch, wer sie verursacht hatte – Livingston! Er hatte Edward in seinem Labor gefangen und gleich einer Ratte irgendeinem Experiment ausgesetzt, dabei war Edward zu Schaden gekommen, oder noch schlimmer. Mina mied meinen Blick.
„Es war schlimm. Edward - du konntest dich nicht mehr bewegen. Er hat verhindert, dass ich dir zur Hilfe komme.“
Mina sah aus als fühlte sie sich schuldig. Ich streckte meine Hand nach ihr aus und berührte sanft ihre Schultern.
„Ich bin … mir geht es gut“, versuchte sich sie zu trösten, auch wenn es gelogen war.
Mir ging es nicht gut, Edward war verschwunden und ich hatte keine Ahnung wie Livingston, das geschafft hatte. Es war praktisch unmöglich. Ich hatte selbst viele Jahre damit zugebracht herauszufinden, was schief gelaufen war und kam zu keinem Ergebnis. Ich habe es nicht geschafft und Livingston sollte das in so kurzer Zeit …
„Wie lange war ich ohne Bewusstsein?“
Mina dachte kurz nach.
„Es waren nur ein paar Minuten. Du warst tot …“
Mina fiel es schwer ihm das zu sagen, aber andererseits war es zu wichtig um es zu verschweigen. Sie konnte sehen, dass er sich nicht gut fühlte, auch wenn er das Gegenteil behauptete.
„Wo ist er?“
Ich kam langsam zu Kräften und versuchte aufzustehen. Ich hatte so viele Fragen und es gab nur einen Menschen, der sie mir beantworten konnte. Mina wies mit dem Kopf hinter mich. Ich drehte mich um und das was ich sah entlockte mir ein hämisches Grinsen.
„Nun sitzt er in seiner eigenen Falle. Gut gemacht, Liebes.“
Mina stutzte kurz bei seinen Worten. Sie konnte nicht sagen, warum, aber er war, anders. Jekyll trat vor den Käfig, legte den Kopf schief und betrachtete Livingston genauer. Noch immer trug dieser seine Verkleidung, hinter der er verbarg, wer er, oder was er war. Minas Biss hatte ihn so weit geschwächt, sodass er noch immer ohne Bewusstsein war.
Ich hatte vor mir diesen Umstand zunutze zu machen und das Geheimnis seines Äußern zu lüften. Unerschrocken schloss ich den Käfig auf, blieb aber auf der Hut. Ich wollte bestimmt nicht mehr Opfer seiner verrückten Erfindungen werden. Nur zu frisch war die Erinnerungen an dem, zu was er fähig war. Vorsichtig durchsuchte ich ihn nach Waffen oder dergleichen.
Bei ihm wäre selbst eine simple Feder bestimmt ein todbringendes Instrument. Ich entdeckte die Waffe, mit der es ihm gelungen war, Mina außer Gefecht zusetzten. Zornig warf ich es auf den Boden und registrierte mit Genugtuung, wie es in tausend Stücke zersprang. Dieses Ding hatte die Frau, die ich liebte, verletzt.
Ich setzte meine Suche fort, fand aber sonst nichts Verdächtiges an ihm. Blieb also nur noch sein Gesicht zu enthüllen. Ich zog ihm die Handschuhe von den Händen und fand das, was ich bereits vermutete hatte. Er war entstellt, und wenn ich richtig lag, waren es Narben von einem vermutlich verheerenden Brand.
Ich begann bereits jetzt schon zu ahnen, was uns unter der Maske erwarten würde. Seine Maske wies am Hals zwei große Löcher auf. Mina hatte durch den Stoff in seinen Hals gebissen. Ich entdeckte auch das Blut auf dem Boden.
„Sein Blut war nicht nach deinem Geschmack?“ Mit hochgezogenen Brauen blickte ich sie fragend an.
„Es hat scheußlich geschmeckt.“
Leicht schüttelte sich Mina. Ich nickte nur, war aber in Gedanken schon wieder bei unserem Gastgeber. Ich fast wieder nach seiner Maske und zog sie ihm über den Kopf. Da er sein Bewusstsein noch nicht zurückerlangt hatte, war es ein leichtes sie ihm zu entreißen. Das Gesicht …
Unbewusst machte ich einen Schritt zurück. Das war kein Gesicht mehr. Die Stelle, wo ein Gesicht sein sollte, war eine einzige undefinierbare Masse an wulstigem Fleisch. Wild zusammengewachsen und roh war es, genauso wie der Mann dem es gehörte.
„Ich denke dieses Labor war nicht sein Erstes oder wir sind nicht die Ersten, die ihn zu töten versuchen. So genau werden wir es wohl nie erfahren.“
Mina war hinter ihn näher an Livingston herangetreten und betrachtete neugierig dessen Gesicht.
„Ich kann verstehen, warum er es vorzieht, sein Gesicht hinter einer Maske zu verbergen.“ Mina trat einen Schritt zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Was machen wir mit ihm?“
Ich schloss sorgfältig den Käfig, achtete besonders drauf, dass das Schloss auch eingerastet war, und wandte mich dann zu Mina um.
„Wir sollten ihn vergessen“, erklärte ich ihr ruhig.
Das war sein sicheres Todesurteil. Noch dazu eines, dass an Grausamkeit kaum zu überbieten war. Livingston würde einen langsamen Tod sterben. Er würde, in einem Land in dem ewig Schnee und Eis herrschten, verdursten.
Ich schlang einen Arm um Minas Hüften und presste ihren Körper an meinen.
„Wo waren wir stehen geblieben?“
Ich war am Leben und plötzlich verspürte ich Lust. Lust auf Mina. Sie sträubte sich und stemmte ihre Hände gegen meinen Oberkörper.
„Später, Henry!“
Mina war nicht abgeneigt, nur der Zeitpunkt war schlecht gewählt. Schließlich waren wir immer noch auf der Flucht.
„Wir sollten zuerst überlegen, was wir mit ihm machen und dann von hier schleunigst verschwinden.“
Ich neigte mich zu ihr und atmete tief ihren Duft ein, dabei schloss ich die Augen. Minas Duft war wie sie – einzigartig.
„Später!“, knurrte ich ihr gleich einem Versprechen ins Ohr.
Ich beugte mich ihrem Willen, vorerst, und ließ sie wieder los. Gut hätte sie gewollt, wäre mir vermutlich nicht genug Zeit zum Atmen geblieben, bevor sie mich am Boden gehabt hätte. Niemand zwang Mina etwas auf, das sie nicht wollte. Ich drehte mich zu Livingston um und sah ihn kalt an.
„Da du ihn nicht seinem Schicksal überlassen willst, werde ich ihn töten.“
Mina runzelte die Stirn. Nun war sie sich sicher das war nicht Henry. Ihr Henry überließ gerne anderen die wichtigen Entscheidungen und er würde niemals töten.