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Die Welt von Tiberius Livingston

von jinkizu
Kurzbeschreibung
GeschichteLiebesgeschichte / P16 / Gen
Dr. Harry Jekyll / Edward Hide Mina Harker
01.05.2009
15.05.2010
18
38.473
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01.05.2009 3.176
 
1It´s over

Wir hatten gewonnen. Die Schlacht war vorüber. Unsere Verlust waren gering zu nennen und doch sehr schmerzhaft. Ich hatte nie viele Freunde und konnte es mir nicht leisten auch nur einen von ihnen zu verlieren, doch genau das war geschehen.

Schweigen breitete sich zwischen uns aus. Kapitän Nemo räusperte sich vernehmlich. Er hatte ein Schiff zu führen, aber in erster Linie zu reparieren. Die Nautilus hatte durch unseren Auftrag schweren Schaden genommen. Die Nautilus ein Meisterwerk grandioser Baukunst. Ein Schiff das seinesgleichen suchte und nie finden würde.

Sie war einzigartig auf allen sieben Weltmeeren. Seine Mannschaft erwartete ihn bereits. Ich hatte keine Lust mehr auf dem Schiff zu reisen, auch wenn es mich schnell zurück in meine Heimat hätte bringen können. London!

Durch meinen Beitrag bei dieser Expedition zur Rettung der Welt, hatte mein Freund Mr. Hyde die Erlaubnis in unsere Heimatstadt zurück zu kehren. Wie sehr sehnten wir uns danach, aber dennoch wählte ich für uns den langsamen, beschwerlichen Landweg.

Wir waren weit weg von Zuhause. Es würde viele Wochen und Monate dauern, ehe wir einen Fuß auf englischen Boden setzten konnten, was mir nur recht war. Ich hatte vieles über das ich nachdenken musste.

Eine fliesende Bewegung an meiner Seite erinnerte mich an einen anderen Teilnehmer an unserm abenteuerlichen Unterfangen. Mina Harker. Selten sah ich eine schönere, faszinierendere Frau als sie. Selbst Hyde der Frauen sehr skeptisch und eher feindselig gegenüberstand, hatte nur Bewunderung für sie übrig. Sie war ein gute Kämpferin, eine starke Kameradin und deshalb für mich unerreichbar.

Ich, Dr. Jekyll, war für die meisten Frauen zu langweilig, zu trocken, einfach zu unscheinbar, als das sie mich eines weiteren Blickes würdigten. Und sie – sie war die ehemalige Geliebte von Vlad Tepes Fürsten der Walachei, Ehefrau von Jonathan Harker und ehemalige Freundin von dem nun Toten Dorian Gray.

Das waren Männer, die Geschichte schrieben, die schon alleine wegen ihres Namens aufregend waren. Henry Jekyll klang bestimmt nicht aufregend oder gar nach Abendteuer. Edward Hyde dagegen schon.  

Er war auch der Grund warum ich hier in diesem Abendteuer gelandet war und habe sie dabei kennen gelernt. Immer wenn sie an mir vorüber schritt, wehte ein Hauch ihres Parfüms in meine Nase, die seit Edward in meine Leben getreten war, um ein vielfaches empfindlicher war und verwirrte mich.

Mein Herz schlug schneller sobald sie einen Raum betrat und ich begann zu schwitzen. In ihrer Gegenwart fühlte ich mich so ungelenk und tölpelhaft. Selbst meine Aussprache litt darunter, kaum einen vernünftigen Satz brachte ich, durchaus ein gebildeter Mann, zustande. Was musste sie mich für einen Einfaltspinsel halten? Innerlich schüttelte ich mich.

Es war dumm darüber weiter nach zudenken. Wenn ich und Hyde von hier fort gingen, war es mehr als unwahrscheinlich, dass sich unsere Wege jemals wieder kreuzen würden. Leicht wehmütig blickten wir ihr hinterher. Sie setzte ihren Weg fort um Kapitän Nemo die Hand zu schütteln. Auch sie würde nicht mit ihm zurück fahren.

„Ich danke Ihnen für alles, aber wenn Dr. Jekyll es erlaubt, würde ich mich gerne ihm anschließen.“

Ich schluckte und meine Augen wurden groß. Hatte sie tatsächlich das gesagt, was ich gehört hatte? Ungläubig starrte ich auf ihren schönen, schlanken Rücken. Anmutig stand sie da, dann drehte sie sich zu mir um. Sie legte ihren Kopf etwas zur Seite und musterte mich offen.

„Erlauben Sie, dass ich Sie begleite?“ fragte sie mich höflich.

Ihre Stimme war eine einzige Melodie und zog mich magisch an. Nicht nur mich, auch mein Freund Hyde reagierte darauf. Sie wollte tatsächlich mich – uns begleiten. Ich stand erstarrt. Meine Handflächen wurden schweißnass. Hyde war es der mich aus meiner Erstarrung riss. Sein drohendes Knurren in mir, ließ mich einen Schritt nach vorne zu ihr machen und höflich meinen Kopf neigen.

„Es wäre mir eine Ehre!“ brachte ich mühselig über die Lippen, meine Stimme ein einziges Krächzen, was Hyde ein verächtliches Schnauben entlockte.

„Was wird ihr Freund dazu sagen, wenn ich mich Ihnen anschließe?“

Auch Hyde war von ihrer Stimme nicht unberührt, sie lullte ihn sanft ein, er wurde ruhiger wenn sie sprach.

„Ich versichere Ihnen auch er wäre mehr als erfreut über ihre Gesellschaft.“

Wie gut das meine Mutter einst streng über meine Erziehung wachte, so gelang es mir, wenn auch nur unter Aufbietung all meiner Kräfte, einen weiteren durchaus vernünftigen Satz zustande zu bringen, ohne dabei erbärmlich zu stottern. Sie sah mir mit ihren kristallblauen, wachen Augen in die meinen. Ich fürchtete sie könnte darin die Wahrheit entdecken, dass ich sie insgeheim sehr verehrte, und so senkte ich rasch meinen Kopf.

„Ich denke wir sollten unsere Sachen von Board der Nautilus holen und uns anschließend hier wieder treffen.“ Schlug ich zaghaft vor.

Ich war kein Mann der Befehle erteilte, der Anordnungen verfügte, ich war ein Wissenschaftler, ein Forscher und selbst da miserabel um es Gelinde auszudrücken. Um von mir abzulenken, zückte ich meine Taschenuhr und warf einen Blick darauf. Eine Geste die mir lieb und teuer geworden war.

Half sie mir doch meine Hände zu beschäftigen und meinem Gegenüber den Eindruck zu vermitteln, das dieser meine kostbare Zeit stahl. Auch bei Mrs. Harker zeigte er Wirkung. Unverzüglich machte sie sich auf den Weg zum Schiff. Ihre schwarzen Kleider wehten hinter ihr her. Sie trug niemals eine andere Farbe, oder besser gesagt ich sah sie niemals eine andere Farbe tragen.

Ihre schlanke Gestalt, ihr anmutiges Wesen – ich konnte kaum meine Augen von ihr losreißen. Kapitän Nemos wissender Blick kreuzte sich mit dem meinen. Hastig senkte ich erneut den Kopf und machte mich auch auf den Weg. Kapitän Nemo war ein Mann der viel gesehen hatte auf dieser Welt und auch darunter. Ihm konnte man nicht so schnell etwas vormachen.

*


Eine knappe Stunde später stand sie neben mir, ein kleine Reisetasche in der Hand. Unsterblichkeit war zuweilen sehr praktisch. Sie brauchte nicht viel Zeit für ihre Schönheit aufwenden, denn die ihrige war Zeitlos geworden. Sie würde für immer so schön sein wie sie jetzt vor mir stand. Ich war zu ihrem heimlichen Bewunderer geworden, der sich aber ihr mit keinster Silbe je offenbaren würde.

Ich hob meinen abgenutzten, braunen Koffer auf, winkte unseren Freunden, die sich auf den Weg nach Afrika machten, zu und begann den eisigen Hügel vor mir zu erklimmen. Es würde eine Reise ins Unbekannte werden, aber davor hatte ich keine Angst, denn Edward war bei mir. In meiner Tasche befanden sich einige Anzüge und mein Elixier. Das einzig nützliche das ich je entwickelt hatte.

Es brachte mir neben meiner Gesundheit, davor war ich sterbenskrank, auch meinen geschätzten Freund Mr. Hyde. Doch zu schätzen hatte ich ihn erst auf dieser Reise gelernt. Zuvor hatte ich Angst vor ihm und lehnte ihn im Grunde meines Wesens ab. Er war so ungeschliffen, roh, ohne jegliche Manieren. Sein Umgang ließ mehr als zu wünsche übrig und ständig strahlte er ein gewisse Aggression und Feindseligkeit aus.

Sein Umfeld, besser gesagt meines, kam nur schwer mit ihm zurecht, eigentlich gar nicht, wenn man es genau nahm. Wir mussten London verlassen und waren in Paris im Exil, doch unser Herz war in London. Dorthin würden wir auch nun zurückkehren. Doch vorher wollte ich einige Dinge zwischen uns klären.

Vieles hatte auch ich falsch gemacht nicht nur er. Wir waren uns auf dieser Reise in einer Weise näher gekommen, die ich als ehrliche, aufrichtige Freundschaft bezeichnen möchte. Er versuchte mich nicht mehr ständig zu verdrängen und ich ließ ihm Platz. Wir stellten fest, dass wir einander brauchten. Wo er schwach war, war ich stark. Wo ich versagte, siegte er und gemeinsam gelang es uns wesentlich dazu beizutragen die Welt zu retten.

Mrs. Harker lief leichtfüßig neben mir her. Sie schien keine Kälte zu verspüren, noch ein Vorteil, den die Unsterblichkeit mit sich brachte. Außer ihrem Kleid trug sie nur einen dünnen Mantel und auf ihrem Kopf thronte ein kecker Hut. So wie sie sich bewegte könnte man meinen sie liefe die Pall Mall entlang und nicht in dieser Eiswüste oberhalb Sibiriens.

Ich dagegen froh erbärmlich. Selbst der dicke, wattierte Parker in den ich  mich gehüllt hatte, mochte den kalten, eisigen Wind kaum abhalten. Auch Edward fühlte sich unwohl. Er kannte vor dieser Reise Schnee und Eis in dieser Dimension gar nicht. Natürlich gab es auch mal in London Schnee, doch dieses Ereignis war kaum nennenswert. So schnell er vom Himmel viel, so schnell schmolz er bereits wieder, als er auf der Erde aufkam.

Edward hatte sie mit seinen großen Händen aufzufangen versucht, aber eine Schneeflocke festhalten war unmöglich. So flüchtig wie ein Wimpernschlag, schmolz sie sofort in der Hand. Hier dagegen waren Eis und Schnee für die Ewigkeit.

„Die Nacht ist bald vorüber.“ Stellte Mrs. Harker neben mir ruhig fest.

Nicht einmal außer Atem war sie, aber soweit mir bekannt war besaß sie auch keinen mehr. Der Forscher in mir drängte danach ihr Nahe genug zu kommen um diese Behauptung persönlich zu überprüfen, oder war es doch der Mann in mir der einfach ihren schön geschwungenen Mund aus nächster Nähe sehen wollte? Unwillig verdrängte ich diesen Gedanken und konzentrierte mich auf das was sie gesagt hatte.

„Sie reisen nur bei Nacht, das ist mir wohl bekannt.“ Erwiderte ich forsch und mit keuchendem Atem.

In ihren Augen blitze es kurz auf, ein Fauchen wollte sich von ihren Lippen drängen. Sie war es nicht gewohnt so grob angesprochen zu werden.

„Es ist mir auch möglich bei Tage zu reisen wie Sie sehr wohl wissen!“ Ihre Stimme klang eine Spur verletzt, oder bildete ich mir das wegen meinem schlechten Gewissen nur ein?  

„Wir werden nach einer Herberge Ausschau halten und dort den Tag verbringen.“ meinte ich nun wesentlich freundlicher.

Ich verstand mich selbst nicht. Warum hatte ich mich so im Ton vergriffen? Es war nicht meine Art Damen schlecht zu behandeln und bei dieser sollte es gerade mir ein besonders Anliegen sein mich freundlich und zuvorkommend zu geben. Ich wollte die Gunst der Dame und nicht ihre Ablehnung. Obwohl letzteres wahrscheinlicher war.

Ich presste meine Lippen aufeinander und stapfte entschlossen weiter. Sie würde vermutlich jetzt schon bereuen mit mir gekommen zu sein. Wir erklommen den Hügel und entdeckten in der Ferne eine Ansammlung von einfachen oder besser Ausgedrückt schäbigen Behausungen.

„Wir sollten uns dort eine Unterkunft nehmen.“ Schlug ich zuversichtlich vor.

Vielleicht entpuppten sie sich beim Näher kommen als durch aus schmucke kleine Häuser mit einem eigenwilligen Charme. Nun eigenwilliger Charme war noch das freundlichste was man über diese windigen, hässlichen Bauten sagen konnte. Sie entbehrten jeden Komfort. Im Grunde waren es nur vier Wände die dem schlimmsten Wind und der bittersten Kälte trotzen sollten, mehr nicht. Ich klopfte an eine der Türen und gemeinsam warteten wir.

Ich wagte es nicht Mrs. Harker anzusehen. Was musste sie nur von mir denken? Ich war nichts weiter als ein grober Klotz. Die Tür öffnete sich einen Spalt breit und eine rundliche kleine Frau steckte ihren Kopf heraus. Misstrauisch musterte sie uns und blickte fragend von einem zum anderen.

„Verzeihen Sie die Störung, aber gibt es hier eine Möglichkeit ein Zimmer zu bekommen?“

Argwöhnisch sah sie mich mehrere Minuten lang an. Ich glaube, ihr war es möglich Edward zu sehen. Ihre feindseligen kleinen Augen wirkten so als könnten sie jeder Seele auf den Grund blicken. Was würde sie wohl bei Mrs. Harker entdecken?

Bevor ich diese Frage weiterverfolgen konnte, wies die Frau auf eine kleine Hütte am anderen Ende der Siedlung, dann schlug sie die Tür zu. Aufmunternd und bemüht freundlich lächelte ich Mrs. Harker an.

„Ich denke, dort können wir bleiben. Was meinen Sie?“

Wieder ruhten ihre blauen Augen ungewöhnlich lange auf mir, ich war erneut geneigt den Blick abzuwenden, aber ich gab mir selber einen Ruck, oder sollte ich sagen Edward gab mir einen und hielt ihrem stand. Schließlich nickte sie zustimmend und gemeinsam gingen wir das kurze Stück zu der baufälligen Hütte.

Ich hoffte im Stillen sie würde genug Schutz vor der Sonne bieten. Mrs. Harker vertrug ihr Licht nicht gut. Die Tür erwies sich als sehr widerspenstig und so versuchte ich mein Glück mit roher Gewalt. Ich warf mich mit ganzer Kraft dagegen, meine Schulter durchfuhr ein brennender Schmerz, ich hätte am liebsten aufgeheult, aber natürlich gehörte sich so etwas vor einer Dame nicht.

Die Tür war noch immer zu, gab keinen Zentimeter nach. Edward brüllte in mir, er wollte freigelassen werden. Für ihn war dieses Hindernis nichts weiter als ein Fingerschnippen und schon war es entfernt. Zu gern hätte ich ihm den Vortritt gelassen, nur gab es ein kleines Problem – meinen Stolz.

Ich wollte es sein der die Tür aufbrachte, ich wollte mich vor der Lady beweisen. Glücklicherweise hatte die Tür ein einsehen mit mir und sprang nach meinem zweiten kläglichen Versuch auf, oder war es doch eher Alterschwäche? Galant ließ ich Mrs. Harker den Vortritt und trat sogleich hinter ihr ein. Der Anblick der Hütte schockierte selbst mich und ich war weiß Gott einiges gewöhnt.

Es gab nur ein schmales Bett, zwei grob gezimmerte Stühle und einen kleinen Tisch. Das war alles. Der Boden selbst war kaum als solcher zu erkennen, da dieser dick mit all möglichem undefinierbarem Unrat bedeckt war, aber wenigstens bot das Dach ausreichend Schutz vor der Sonne. Das war kein Ort für eine Frau. Beschämt sie hier her gebracht zu haben starrte ich auf die Seite.

„Verzeihen Sie mir. Ich hätte nicht darauf drängen sollen hier her zu kommen. Jetzt sind Sie wegen mir in dieser misslichen Lage!“

Ich fühlte eine Berührung an meinem Arm. In beschwichtigender Art strich sie darüber.

„Machen Sie sich keine Vorwürfe, Dr. Jekyll! Ich bin schlimmeres gewöhnt.“ Meint sie sanft und sah mich freundlich an.

Ihre Augen. Ich hätte in ihnen ertrinken können. Automatisch neigte ich mich ihr ein Stück zu, doch schnell hatte ich mich wieder im Griff. Was war ich gerade im Begriff gewesen zu tun! Ich fühlte Hitze in mein Gesicht steigen.

Verlegen spielte ich mit meiner Uhr. Ließ den Deckel auf und zu klappen. Mrs. Harker besaß den Anstand sich nicht zu diesem Vorfall zu äußern. Sie war eine echte Lady. Vorsichtig ließ sie sich auf einen der Stühle nieder und wartete bis auch ich Platz genommen hatte. Sie nahm ihren Hut ab und legte ihn auf den Tisch. Anmutig neigte sie ihren Kopf.

„Darf ich Sie etwas fragen?“

Ihre Stimme wirkte in der enge der Hütte noch stärker auf meine Sinne, es fiel mir schwer gelassen auf meinem Stuhl sitzen zu bleiben und so brauchte ich einen Augenblick um ihre Frage zu verstehen. Überrascht hob ich meinen Kopf und sah sie an.

„Na-Natürlich!“ Nun war es doch passiert. Ich stotterte wie ein kleiner Junge.

„Die Frage ist mehr von persönlicher Natur!“ Immer noch ruhten ihre Augen offen auf mir.

„Stellen Sie ihre Frage.“ Ich hatte meine Uhr wieder sorgfältig verstaut und versuchte nun meine Hände ruhig im Schoss zu halten.

„Nun Sie und Mr. Hyde – wie kam das?“

Ich runzelte die Stirn. Wollte sie lediglich die Zeit totschlagen, oder interessierte es sie wirklich? Ich entschied mich letzteres zu glauben und antwortete ehrlich und aufrichtig.

„Ich war krank, sehr krank und forschte nach einem Heilmittel.“ Begann ich zu erzählen und sie hörte zu.

„Ich fand tatsächlich ein Heilmittel und nicht nur das. Ich fand Mr. Hyde.“

Ich war nie ein großer Redner gewesen. Wortgewandtheit lag mir einfach nicht. Das war kein mir von Gott gegebenes Talent. Nun war eigentlich der Moment gekommen, wo sie vor Abscheu wegsehen müsste, doch sie tat es nicht.

„Sie sind ein sehr interessanter Mann, Dr. Jekyll!“

Ich blinzelte kurz ob dieses unerwarteten Kompliments.

„Madam sie überschätzen mich! Ich bin nicht interessant. Langweilig und mit einem höchst trockenen Geist ausgestattet, das bin ich, aber ganz bestimmt nicht interessant!“ bestritt ich heftigs.

Sie hatte das sicher nur so gesagt. Bestimmt machte sie sich über mich lustig, anders konnte ich mir das nicht erklären. Um Mrs. Harkers Lippen spielte ein kleines Lächeln.

„Warum glauben Sie bin ich mit ihnen gegangen?“ Stellte sie die nächste Frage, die sich auch mir schon aufgedrängt hatte, aber da ich keine befriedigende Antwort gefunden hatte, hatte ich mich nicht weiter damit befasst.

„Ich weiß es nicht.“ Flüsterte ich.

„Vielleicht wollten Sie auch der enge des Schiffes entkommen oder der Nähe von Mr. Saywer?“

Mr. Saywer war wie ich von ihr sehr angetan gewesen, doch Mrs. Harker konnte dem jungen Mann keinerlei Sympathie entgegenbringen. Manchmal gewann ich sogar den Eindruck sie konnte ihn und sein angeberisches Gehabe nicht leiden.

„Ich kann mir keinen guten Grund nennen, warum Sie sich ausgerechnet uns angeschlossen haben!“

„Dann will ich Ihnen einen nennen! Diese Reise hat mir mehr und mehr gezeigt, was für ein Mann sie sind. Ich möchte Sie näher kennen lernen. Ich möchte Ihnen nahe sein.“

Ich fühlte die Hitze durch meinen Körper rieseln, bei ihren offenen Worten. Ich schloss die Augen und schluckte mühsam. Mein Mund war staubtrocken.

„Spielen Sie nicht mit mir, Madam! Ich bitte Sie, spielen Sie nicht mit mir!“ flehte ich.

Ein leises Rascheln ließ mich schnell den Blick heben. Sie stand vor mir. Ihr musste der gequälte Ausdruck in meinem Gesicht aufgefallen sein, wie sonst sollte ich mir erklären was sie dann tat?

Sachte legte sie zwei Finger unter mein Kinn und hob es eine Spur an. Sehnsüchtig hingen ihre Augen an meinen Lippen. War es tatsächlich möglich, dass sie mich begehrte? Bevor ich diesen Gedanken vertiefen konnte, wurde ich von völlig neuen Gefühlen überrumpelt.

Weiche Lippen trafen auf meine und liebkosten mich aufs zärtlichste. Mrs. Harker – Mina küsste mich!

Zuerst wagte ich es nicht mich zu rühren, doch plötzlich ertappte ich mich dabei wie ich den Kuss zu erwidern begann und nicht nur das. Wie ich nach mehr hungerte. Selbst Edward knurrte in mir nach mehr. Wir begehrten sie.

Ich schloss die Augen und gab mich ganz diesen zauberhaften Empfindungen die sie in mir auslöste hin. Die Frau wusste was sie tat – so wurde ich noch nie geküsst. Doch plötzlich war sie fort und ließ nichts als Kühle zurück.

Erschrocken öffnete ich meine Augen und suchte nach ihr. Sie stand einen Schritt von mir entfernt.

„Denken Sie nicht, das könnte der Beginn für etwas ganz wunderbares sein?“ neckte sie mich.

Meine Augen weiteten sich. Konnten Träume wahr werden? Ich erhob mich und machte einen Schritt auf sie zu. Dicht vor ihr blieb ich stehen. Ich vergrub meine Hand in ihrem langen Haar. Der ordentliche Knoten zu dem sie es hochgesteckt hatte, löste sich dabei auf und eine wahre Flut ergoss sich über meine Hand.

Sanft zog ich sie näher zu mir heran. Ich neigte meinen Kopf und brachte meinen Mund dicht über ihren, aber noch berührte ich sie nicht.

„Wie Sie wissen versuche ich immer den Dingen auf den Grund zu gehen. Zumeist mit unterschiedlichen Ergebnissen. Lassen Sie uns sehen was hierbei herauskommt!“ forderte ich sie heraus.

Ihre Worte, ihre Gesten gaben mir den nötigen Mut, dass ich das hier wagte. Hungrig schloss ich meinen Mund über ihren. Das war kein sanftes Herantasten mehr, sondern ein alles fordernder Kuss. Unsere Lippen berührten sich nicht einfach, sie verschmolzen ineinander. Zufrieden löste sie sich von meinen Lippen.

„Nun da wir das geklärt haben, könnten wir doch unsere Reise fortsetzten und diesen Ort verlassen. Was meinst du, Henry?“
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