Innendienst
von Yanaya
Kurzbeschreibung
Till beißt sich die Zähne aus. Fast. (Tatort Berlin, Ritter/Stark)
GeschichteLiebesgeschichte / P12 / MaleSlash
Kriminalhauptkommissar Felix Stark
Kriminalhauptkommissar Till Ritter
27.12.2008
27.12.2008
1
1.945
1
27.12.2008
1.945
Titel: Innendienst
Autor: Yanaya
Fandom: Tatort Berlin
Pairing: Ritter/Stark
Rating: PG-13
Summary: Till beißt sich die Zähne aus. Fast.
A/N: Ursprünglich hatte ich den Dialog gepostet, und das hier war die Fortsetzung, sozusagen. Wer mag, kann ja in meinem LJ (rea-yanaya) den ersten Teil ankucken. Adventskalender, 14. Dezember 2008.
Nicht beta-gelesen.
Tick. Trrt. Tick. Trrt. Tick.
Tack. Trrrm. Tak. Trrrm. Tack.
Tock.
Der Kugelschreiber knallte gegen die Scheibe. Till knurrte, streckte die Hand aus, legte sie wieder auf den Tisch. Kramte im Stiftehalter. Stellte ihn wieder hin. Der Lederbecher gab ein leises "fuusch" von sich. Kein Plastikkugelschreiber darin. Keiner, der genau dieses Tackern produzierte, wenn er gegen den Holztisch schlug. Oder auf den Lampenschirm trommelte.
Innendienst. Wer bitte war auf diese irre Idee gekommen? Er pustete die dünne Staubschicht von einem grauen Aktenordner, dem obersten von ungefähr dreizehn, genau dreizehneinhalb, beim zweiten von oben fehlte das Deckblatt. Er hatte sie gezählt, von außen.
Die Flusen hängten sich an die traurige Topfpflanze, deren grün-gelbe Blätter sich einkringelten. Vielleicht war sie vertrocknet, weil die strafversetzten Kollegen der letzten drei Wochen sie nicht gegossen hatten. Vielleicht war sie ertrunken, weil Till ihr jeden Tag einen Schwung Wasser versetzte. Warum musste man eigentlich das Büro wechseln, wenn man strafversetzt wurde? Die arme Pflanze.
Die Rolläden waren gebrochen. Draußen warf die Sonne Strahlenstricke auf den Asphalt, zwischen den schweren grauen Wolken hindurch. "Ich kann Sie beide nicht mehr auf die Straße lassen", hatte ihr Chef gesagt, "Sie... ich weiß nicht, was zwischen Ihnen nicht stimmt, aber lösen Sie es." So ein Quatsch.
Till schnaubte. Eine Woche Innendienst. Drei Tage, und er hatte den Mülleimer zertreten, die Lampe ruiniert, einen Fuß des Aktenschranks gebrochen und einen einzigen Fall abgeheftet. Ehrlich, sie wollten doch gar nicht, dass jemand die Arbeit machte – nächste Woche kamen schließlich schon die nächsten. Einer, drei, Hauptsache, jemand schredderte sich in den Bürokratiemühlen.
Er drehte sich um, ließ sich auf seinen Bürostuhl fallen. Rollte bis ans andere Ende des Raumes. Starrte Felix an.
"Hey Felix, hey... alles klar, Mann?" Felix arbeitete. Warum auch immer. Konzentriert. Morgens bis abends. Die lange Nase tief in die Akten gesteckt. Staubschicht setzte höchstens sein Hinterkopf an. Er sprach nicht. So gar nicht, so absolut nicht seine Art.
"Ja."
"Aha." Und er lächelte nicht.
"Nein."
"Ah ja." Till versuchte seit zwei Tagen, ihn zum Sprechen zu bringen.
"Halt die Klappe."
Gut, erst an diesem Morgen war ihm aufgefallen, dass Felix nicht einfach nur genervt von den vorangegangenen Arbeitstagen war, an denen Till wütend das Büro zerlegt, Felix am Arm gehangen und säuerliche Reden auf den Verfall des Polizeiwesens gehalten hatte.
Aber er hatte es gemerkt, stimmt’s?
Er trat die Füße auf den Tisch und starrte Felix konzentriert an. Den schwarzen Rollkragenpullover. Die buschigen Augenbrauen. Die unbeweglichen Mundwinkel. Die wuscheligen Haare, die in alle Richtungen abstanden. Zwerg Nase. Till verschränkte die Arme hinter dem Kopf und stieß hörbar die Luft aus.
"Felix?"
"Nein."
Eine geschlagene Stunde lang saßen sie so da. Felix kritzelte in Blättern herum, tackerte, lochte, heftete ab. Knallte hörbar die Schubladen zu. Till könnte schwören, jedes Mal eine kleine Staubwolke aufwirbeln zu sehen. Irgendwann schlief sein Bein ein, dann sein Hintern. Er blieb noch ein bisschen sitzen. Felix sah ihn nicht an, sagte kein Wort, stapelte Pappe.
Till ging in Mittag.
"Gurkensalat...?"
"Nein."
Verdammt. Das war so eine gute Idee gewesen.
"Jetzt?" Till war wirklich nicht gewillt, die Gurken aufzugeben. Er hatte die türkische Verkäuferin ganz schön bequatschen müssen, dass sie ihm die Gurken schnitt. Und in einen Salat verwandelte. Vielleicht hätte er nicht verwandeln sagen sollen, der Zauberstab in der Hand ihres Sohnes war ein bisschen übertrieben gewesen. Berliner. Er schüttelte den Kopf.
Normalerweise würde er Felix davon erzählen. Felix hätte sich krankgelacht, wenn er von dem Harry Potter-Verschnitt gehört hätte. Felix, der seit einigen Tagen abends entwischte, ohne sich zu verabschieden. Zu Sebastian und Ritter, der kleinen Charakter-Töle.
"Nein", sagte Felix nach einer langen Pause. Es klang gar nicht, als hätte er überlegt. Eher, als hätte er vergessen zu antworten.
Ziepte nur ein bisschen.
Schilder. Jeder reagierte auf Schilder. Till versank tatsächlich eine Stunde lang in Arbeit, die entfernt etwas mit polizeilicher Recherche zu tun hatte, zumindest rechtfertigte er seine Kreativität so vor seinem imaginären Chef. Ach, zum Teufel mit dem Chef. Innendienst, hah!
"GURK EN SA L AT ?", malte er in großen Lettern auf einen Pappordner. Auf den zweiten Deckel einer Akte, der erste war schon beschriftet worden, über-tipp-ext, dann wieder mit einem Edding überkritzelt. Als Till sie gegen die Schreibtischlampe hielt, meinte er, ein paar Buchstaben entziffert zu haben, aber sie machten keinen Sinn. Jedenfalls war er augenscheinlich nicht der erste brillante Kopf im Innendienst.
"Nein", knurrte es von der anderen Seite des Tisches. Felix schaute nicht auf. Aber der Mundwinkel hatte gezittert. Till war sich 100 Prozent sicher. Fast.
Füße auf den Tisch gestützt, Stuhlrollen eingehakt, Lehne nach hinten gekippt. Arme verflochten, gegen den grauen Schrank gestützt. Sonnenflackern auf der Wand beobachten. Staubwölkchen hindurchflattern sehen. Zwei Uhr mittags. Till überlegte, ob er "INNENDIENST" auf ein Schild schreiben sollte und selbiges verbrennen. Man musste Zeichen setzen. Und vielleicht den Rauchmelder testen...
"Till?” Felix sah nicht auf.
"Hm?” Und Till schaute nicht hin.
"Nein.”
"Ich hab doch gar nichts...” Till kippte nach vorne, die Augenbraue erhoben. Kein Grund für Felix, nicht die Aktenstapel mit starrem Blick zu fixieren.
"Trotzdem."
"Ah ja."
"Ja."
"Na dann."
"Ja."
Till griff in seine zerfetzte Einkaufstüte. "Gurke?" Er wedelte mit dem krummen Gemüse herum.
"Nein."
Eine Stunde später saßen sie immer noch da. Felix tackerte langsamer, aber beständig. Seine Mundwinkel waren ein bisschen abgesunken. Till hing am Fenster und starrte auf die Wolken.
Tack-klick. Tack-klick. Tack-klick. Tack-tack-klick. Tack-klick.
Till explodierte.
"Felix – nein, halt den Mund. Ich werde nicht einen ganzen Tag lang schweigend mit dir im Büro verbringen!"
Felix hielt inne. Verharrte. Schaute hoch, das erste Mal. Ausdruckslos. "Dann geh heim."
"Kotzbrocken", knurrte Till. Er stützte die Ellenbogen auf das Fensterbrett und versuchte, an Mallorca zu denken. Oder an Weihnachten. Irgendwas Schönes.
"Ja."
Tack-klick.
"Ist es was mit--"
"Nein."
"--Sebastian?" Wenn Basti krank wäre, das wäre natürlich ein Grund. Irgendwas musste es doch geben. Ursachenforschung.
"Nein."
"Die Strafversetzung in den Innendienst? Komm, das ist doch nur eine Woche." Aus unerfindlichen Gründen fühlte sich Till schuldig deswegen. Gut, die letzten beiden Strafversetzungen waren allein seine Schuld gewesen. Aber diesmal hatte er fast nichts angestellt, wofür man ihn ins Fegefeuer hätte setzen können. Gut, da war die Sache mit den Nudeln gewesen...
"Nein."
"Der Gurkensalat?"
Felix knallte den Locher auf den Tisch, den er in der Hand hielt, stützte sich auf und schaute Till fest in die Augen, brannte sich durch. "Weißt du was? Ja. JA! Wenn du dann endlich glücklich bist. Ja! Es ist der Gurkensalat. Ja, ja, JA!" Er atmete schwer.
Till starrte zurück. Darin hatte er ja Übung. Drei Tage nix anderes getan. "Warum?"
"JA!" Felix’ Hände flogen in die Luft. Der Locher wirbelte gefährlich nah an den Kabelleitungen vorbei, zischte über einen Blätterstapel und fegte ihn von der Ablage.
"Komm, leg den Locher hin", sagte Till durch das Blätterrauschen. "Lass uns was trinken gehen."
"Du hättest den Locher im Büro lassen sollen." Sie saßen in einem Café ein paar Straßenecken weiter. Till hielt die Karte in der Hand, Felix seinen lila-blauen Locher. Wie im Büro starrten sie aneinander vorbei.
"Nein."
"Felix." Till war sich ziemlich sicher, dass ihm noch was einfallen würde, um den Satz zu beenden. Er überlegte mit offenem Mund. Am Ende ließ er es.
"Ja."
"Bier?" Zwei, drei Gestalten waren schemenhaft im Café zu erkennen. Till hatte Felix in eine Nebenstraße geschleppt, sie saßen draußen. Einer der letzten Tage, dass das noch ging, bald sollte es schneien, der Kellner musste für sie die Stühle vom Tisch räumen. Beide trugen sie Jacken.
"Nein."
"Ich aber."
"Du bist im--"
"Innendienst." Fegefeuer.
"Dienst. Genau." Verschränkte die Arme vor der Brust. Irgendwie verkrampft. Ein Bier würde ihm gut tun, dachte Till. Oder auch nicht. Felix tickte da anders.
"Scheiß drauf."
"M-hm."
Er bestellte ein Bier, und ein Wasser für Felix, weil der nichts wollte, sagte er.
"Warum, Till?", fragte Felix plötzlich, als das Bier schon lange zwischen ihnen stand. Wasser war aus, hatte der Kellner gerade eben gemurmelt, Till war kurz davor gewesen, die Waffe zu ziehen. Ein mahnender Blick seines Kollegen hatte ihn zum Schweigen gebracht.
"Was?" Till sah ihn an.
"Warum?"
"Na ja, äh, weil?" Verdammte Psycho-Spielchen.
"Warum ich?" Felix schaute ihn an. Fortschritt. Till tappte mit dem Fuß an den weißen Café-Tisch, sah die menschenleere Straße hinunter. Beobachtete einen Strähne, die der Wind von Felix’ Kopf zerren wollte, auf den Pullover, dann wieder in den Himmel.
"Schicksal?", wagte er den Schuss ins Blaue.
"Hm-m." Felix starrte in die Wolken. Sagte, ohne Till anzuschauen: "Willste mitkommen?"
"Wohin?"
"Sebastian abholen."
"Klar. Jetzt?" Ein breites Lächeln schlich sich auf Tills Gesicht. Er zupfte an seiner schwarzen Lederjacke. Na also.
"Später."
"Und wohin dann jetzt?"
Felix stand mit einem Ruck auf, wischte sich die Hände an der Jeans ab. Drehte sie einmal im aufblitzenden Sonnenlicht, rieb sich den Nacken. Blieb stehen, nur deshalb war Till noch nicht aufgesprungen. Felix lächelte ihn schief an, legte dann vorsichtig die Handflächen auf Tills Schläfen, kitzelte sich zu seinen Wangen vor. Ein Hitzefaden perlte durch Tills Bauch, hin- und hergerissen zwischen Weglaufen und, na ja, Weglaufen. Er blickte stattdessen zu Felix hoch.
Die Nasenflügel kräuselten sich, ein Blinzeln. Fingerspitzen tanzten auf Tills Wangenknochen. Seine Augenlider flackerten, flatterten, als weiche Lippen sich auf seine legten. Sie einen Moment liebkosten, die aufgesprungene Haut kosteten, eine Nase sich an seine rieb. Bartansatz kitzelte Bartansatz. Die blubbernden Perlen in Tills Magen wirbelten quer durch sein Körper.
Felix ließ ihn los, ohne Vorwarnung, trat einen Schritt zurück, noch zwei. Sein Brustkorb hob und senkte sich schneller, die Lippen waren zusammengekniffen. Till wollte gerne die Sternchen zählen, die auf Felix’s Schopf tanzten, oder vielleicht in sein Auto steigen und wegfahren.
"Willste immer noch mit?", fragte Felix.
"Das war..."
"Ja." Er nickte.
"Wie --"
"Schicksal." Damit kann man auch jeden Mist erklären, hatte Felix mal zu Sebastian gesagt. Und zu Till gemeint, dass das Leben leider nie so einfach ist, und ihm die letzte Schokolade aus der Hand genommen.
"-- lange?" Till brauchte eine Minute, zwei, für den Satz.
Felix’ Schultern sackten ein bisschen zusammen. "Unwichtig. Gehst du? Ich meine, du hast alles Recht, das ist--" Er unterbrach sich selbst mit Schweigen. Schaute überall hin, nur nicht zu Till.
"Du bist nicht betrunken, oder?"
"Ne."
"Gut. Ich auch nicht."
"Na ja."
"Ne. Ich fahre, zu mir. ... Mit dir."
Für Felix’s Lächeln wäre er sogar noch ein Stückchen weiter gefahren.
-fin-
Autor: Yanaya
Fandom: Tatort Berlin
Pairing: Ritter/Stark
Rating: PG-13
Summary: Till beißt sich die Zähne aus. Fast.
A/N: Ursprünglich hatte ich den Dialog gepostet, und das hier war die Fortsetzung, sozusagen. Wer mag, kann ja in meinem LJ (rea-yanaya) den ersten Teil ankucken. Adventskalender, 14. Dezember 2008.
Nicht beta-gelesen.
Tick. Trrt. Tick. Trrt. Tick.
Tack. Trrrm. Tak. Trrrm. Tack.
Tock.
Der Kugelschreiber knallte gegen die Scheibe. Till knurrte, streckte die Hand aus, legte sie wieder auf den Tisch. Kramte im Stiftehalter. Stellte ihn wieder hin. Der Lederbecher gab ein leises "fuusch" von sich. Kein Plastikkugelschreiber darin. Keiner, der genau dieses Tackern produzierte, wenn er gegen den Holztisch schlug. Oder auf den Lampenschirm trommelte.
Innendienst. Wer bitte war auf diese irre Idee gekommen? Er pustete die dünne Staubschicht von einem grauen Aktenordner, dem obersten von ungefähr dreizehn, genau dreizehneinhalb, beim zweiten von oben fehlte das Deckblatt. Er hatte sie gezählt, von außen.
Die Flusen hängten sich an die traurige Topfpflanze, deren grün-gelbe Blätter sich einkringelten. Vielleicht war sie vertrocknet, weil die strafversetzten Kollegen der letzten drei Wochen sie nicht gegossen hatten. Vielleicht war sie ertrunken, weil Till ihr jeden Tag einen Schwung Wasser versetzte. Warum musste man eigentlich das Büro wechseln, wenn man strafversetzt wurde? Die arme Pflanze.
Die Rolläden waren gebrochen. Draußen warf die Sonne Strahlenstricke auf den Asphalt, zwischen den schweren grauen Wolken hindurch. "Ich kann Sie beide nicht mehr auf die Straße lassen", hatte ihr Chef gesagt, "Sie... ich weiß nicht, was zwischen Ihnen nicht stimmt, aber lösen Sie es." So ein Quatsch.
Till schnaubte. Eine Woche Innendienst. Drei Tage, und er hatte den Mülleimer zertreten, die Lampe ruiniert, einen Fuß des Aktenschranks gebrochen und einen einzigen Fall abgeheftet. Ehrlich, sie wollten doch gar nicht, dass jemand die Arbeit machte – nächste Woche kamen schließlich schon die nächsten. Einer, drei, Hauptsache, jemand schredderte sich in den Bürokratiemühlen.
Er drehte sich um, ließ sich auf seinen Bürostuhl fallen. Rollte bis ans andere Ende des Raumes. Starrte Felix an.
"Hey Felix, hey... alles klar, Mann?" Felix arbeitete. Warum auch immer. Konzentriert. Morgens bis abends. Die lange Nase tief in die Akten gesteckt. Staubschicht setzte höchstens sein Hinterkopf an. Er sprach nicht. So gar nicht, so absolut nicht seine Art.
"Ja."
"Aha." Und er lächelte nicht.
"Nein."
"Ah ja." Till versuchte seit zwei Tagen, ihn zum Sprechen zu bringen.
"Halt die Klappe."
Gut, erst an diesem Morgen war ihm aufgefallen, dass Felix nicht einfach nur genervt von den vorangegangenen Arbeitstagen war, an denen Till wütend das Büro zerlegt, Felix am Arm gehangen und säuerliche Reden auf den Verfall des Polizeiwesens gehalten hatte.
Aber er hatte es gemerkt, stimmt’s?
Er trat die Füße auf den Tisch und starrte Felix konzentriert an. Den schwarzen Rollkragenpullover. Die buschigen Augenbrauen. Die unbeweglichen Mundwinkel. Die wuscheligen Haare, die in alle Richtungen abstanden. Zwerg Nase. Till verschränkte die Arme hinter dem Kopf und stieß hörbar die Luft aus.
"Felix?"
"Nein."
Eine geschlagene Stunde lang saßen sie so da. Felix kritzelte in Blättern herum, tackerte, lochte, heftete ab. Knallte hörbar die Schubladen zu. Till könnte schwören, jedes Mal eine kleine Staubwolke aufwirbeln zu sehen. Irgendwann schlief sein Bein ein, dann sein Hintern. Er blieb noch ein bisschen sitzen. Felix sah ihn nicht an, sagte kein Wort, stapelte Pappe.
Till ging in Mittag.
"Gurkensalat...?"
"Nein."
Verdammt. Das war so eine gute Idee gewesen.
"Jetzt?" Till war wirklich nicht gewillt, die Gurken aufzugeben. Er hatte die türkische Verkäuferin ganz schön bequatschen müssen, dass sie ihm die Gurken schnitt. Und in einen Salat verwandelte. Vielleicht hätte er nicht verwandeln sagen sollen, der Zauberstab in der Hand ihres Sohnes war ein bisschen übertrieben gewesen. Berliner. Er schüttelte den Kopf.
Normalerweise würde er Felix davon erzählen. Felix hätte sich krankgelacht, wenn er von dem Harry Potter-Verschnitt gehört hätte. Felix, der seit einigen Tagen abends entwischte, ohne sich zu verabschieden. Zu Sebastian und Ritter, der kleinen Charakter-Töle.
"Nein", sagte Felix nach einer langen Pause. Es klang gar nicht, als hätte er überlegt. Eher, als hätte er vergessen zu antworten.
Ziepte nur ein bisschen.
Schilder. Jeder reagierte auf Schilder. Till versank tatsächlich eine Stunde lang in Arbeit, die entfernt etwas mit polizeilicher Recherche zu tun hatte, zumindest rechtfertigte er seine Kreativität so vor seinem imaginären Chef. Ach, zum Teufel mit dem Chef. Innendienst, hah!
"GURK EN SA L AT ?", malte er in großen Lettern auf einen Pappordner. Auf den zweiten Deckel einer Akte, der erste war schon beschriftet worden, über-tipp-ext, dann wieder mit einem Edding überkritzelt. Als Till sie gegen die Schreibtischlampe hielt, meinte er, ein paar Buchstaben entziffert zu haben, aber sie machten keinen Sinn. Jedenfalls war er augenscheinlich nicht der erste brillante Kopf im Innendienst.
"Nein", knurrte es von der anderen Seite des Tisches. Felix schaute nicht auf. Aber der Mundwinkel hatte gezittert. Till war sich 100 Prozent sicher. Fast.
Füße auf den Tisch gestützt, Stuhlrollen eingehakt, Lehne nach hinten gekippt. Arme verflochten, gegen den grauen Schrank gestützt. Sonnenflackern auf der Wand beobachten. Staubwölkchen hindurchflattern sehen. Zwei Uhr mittags. Till überlegte, ob er "INNENDIENST" auf ein Schild schreiben sollte und selbiges verbrennen. Man musste Zeichen setzen. Und vielleicht den Rauchmelder testen...
"Till?” Felix sah nicht auf.
"Hm?” Und Till schaute nicht hin.
"Nein.”
"Ich hab doch gar nichts...” Till kippte nach vorne, die Augenbraue erhoben. Kein Grund für Felix, nicht die Aktenstapel mit starrem Blick zu fixieren.
"Trotzdem."
"Ah ja."
"Ja."
"Na dann."
"Ja."
Till griff in seine zerfetzte Einkaufstüte. "Gurke?" Er wedelte mit dem krummen Gemüse herum.
"Nein."
Eine Stunde später saßen sie immer noch da. Felix tackerte langsamer, aber beständig. Seine Mundwinkel waren ein bisschen abgesunken. Till hing am Fenster und starrte auf die Wolken.
Tack-klick. Tack-klick. Tack-klick. Tack-tack-klick. Tack-klick.
Till explodierte.
"Felix – nein, halt den Mund. Ich werde nicht einen ganzen Tag lang schweigend mit dir im Büro verbringen!"
Felix hielt inne. Verharrte. Schaute hoch, das erste Mal. Ausdruckslos. "Dann geh heim."
"Kotzbrocken", knurrte Till. Er stützte die Ellenbogen auf das Fensterbrett und versuchte, an Mallorca zu denken. Oder an Weihnachten. Irgendwas Schönes.
"Ja."
Tack-klick.
"Ist es was mit--"
"Nein."
"--Sebastian?" Wenn Basti krank wäre, das wäre natürlich ein Grund. Irgendwas musste es doch geben. Ursachenforschung.
"Nein."
"Die Strafversetzung in den Innendienst? Komm, das ist doch nur eine Woche." Aus unerfindlichen Gründen fühlte sich Till schuldig deswegen. Gut, die letzten beiden Strafversetzungen waren allein seine Schuld gewesen. Aber diesmal hatte er fast nichts angestellt, wofür man ihn ins Fegefeuer hätte setzen können. Gut, da war die Sache mit den Nudeln gewesen...
"Nein."
"Der Gurkensalat?"
Felix knallte den Locher auf den Tisch, den er in der Hand hielt, stützte sich auf und schaute Till fest in die Augen, brannte sich durch. "Weißt du was? Ja. JA! Wenn du dann endlich glücklich bist. Ja! Es ist der Gurkensalat. Ja, ja, JA!" Er atmete schwer.
Till starrte zurück. Darin hatte er ja Übung. Drei Tage nix anderes getan. "Warum?"
"JA!" Felix’ Hände flogen in die Luft. Der Locher wirbelte gefährlich nah an den Kabelleitungen vorbei, zischte über einen Blätterstapel und fegte ihn von der Ablage.
"Komm, leg den Locher hin", sagte Till durch das Blätterrauschen. "Lass uns was trinken gehen."
"Du hättest den Locher im Büro lassen sollen." Sie saßen in einem Café ein paar Straßenecken weiter. Till hielt die Karte in der Hand, Felix seinen lila-blauen Locher. Wie im Büro starrten sie aneinander vorbei.
"Nein."
"Felix." Till war sich ziemlich sicher, dass ihm noch was einfallen würde, um den Satz zu beenden. Er überlegte mit offenem Mund. Am Ende ließ er es.
"Ja."
"Bier?" Zwei, drei Gestalten waren schemenhaft im Café zu erkennen. Till hatte Felix in eine Nebenstraße geschleppt, sie saßen draußen. Einer der letzten Tage, dass das noch ging, bald sollte es schneien, der Kellner musste für sie die Stühle vom Tisch räumen. Beide trugen sie Jacken.
"Nein."
"Ich aber."
"Du bist im--"
"Innendienst." Fegefeuer.
"Dienst. Genau." Verschränkte die Arme vor der Brust. Irgendwie verkrampft. Ein Bier würde ihm gut tun, dachte Till. Oder auch nicht. Felix tickte da anders.
"Scheiß drauf."
"M-hm."
Er bestellte ein Bier, und ein Wasser für Felix, weil der nichts wollte, sagte er.
"Warum, Till?", fragte Felix plötzlich, als das Bier schon lange zwischen ihnen stand. Wasser war aus, hatte der Kellner gerade eben gemurmelt, Till war kurz davor gewesen, die Waffe zu ziehen. Ein mahnender Blick seines Kollegen hatte ihn zum Schweigen gebracht.
"Was?" Till sah ihn an.
"Warum?"
"Na ja, äh, weil?" Verdammte Psycho-Spielchen.
"Warum ich?" Felix schaute ihn an. Fortschritt. Till tappte mit dem Fuß an den weißen Café-Tisch, sah die menschenleere Straße hinunter. Beobachtete einen Strähne, die der Wind von Felix’ Kopf zerren wollte, auf den Pullover, dann wieder in den Himmel.
"Schicksal?", wagte er den Schuss ins Blaue.
"Hm-m." Felix starrte in die Wolken. Sagte, ohne Till anzuschauen: "Willste mitkommen?"
"Wohin?"
"Sebastian abholen."
"Klar. Jetzt?" Ein breites Lächeln schlich sich auf Tills Gesicht. Er zupfte an seiner schwarzen Lederjacke. Na also.
"Später."
"Und wohin dann jetzt?"
Felix stand mit einem Ruck auf, wischte sich die Hände an der Jeans ab. Drehte sie einmal im aufblitzenden Sonnenlicht, rieb sich den Nacken. Blieb stehen, nur deshalb war Till noch nicht aufgesprungen. Felix lächelte ihn schief an, legte dann vorsichtig die Handflächen auf Tills Schläfen, kitzelte sich zu seinen Wangen vor. Ein Hitzefaden perlte durch Tills Bauch, hin- und hergerissen zwischen Weglaufen und, na ja, Weglaufen. Er blickte stattdessen zu Felix hoch.
Die Nasenflügel kräuselten sich, ein Blinzeln. Fingerspitzen tanzten auf Tills Wangenknochen. Seine Augenlider flackerten, flatterten, als weiche Lippen sich auf seine legten. Sie einen Moment liebkosten, die aufgesprungene Haut kosteten, eine Nase sich an seine rieb. Bartansatz kitzelte Bartansatz. Die blubbernden Perlen in Tills Magen wirbelten quer durch sein Körper.
Felix ließ ihn los, ohne Vorwarnung, trat einen Schritt zurück, noch zwei. Sein Brustkorb hob und senkte sich schneller, die Lippen waren zusammengekniffen. Till wollte gerne die Sternchen zählen, die auf Felix’s Schopf tanzten, oder vielleicht in sein Auto steigen und wegfahren.
"Willste immer noch mit?", fragte Felix.
"Das war..."
"Ja." Er nickte.
"Wie --"
"Schicksal." Damit kann man auch jeden Mist erklären, hatte Felix mal zu Sebastian gesagt. Und zu Till gemeint, dass das Leben leider nie so einfach ist, und ihm die letzte Schokolade aus der Hand genommen.
"-- lange?" Till brauchte eine Minute, zwei, für den Satz.
Felix’ Schultern sackten ein bisschen zusammen. "Unwichtig. Gehst du? Ich meine, du hast alles Recht, das ist--" Er unterbrach sich selbst mit Schweigen. Schaute überall hin, nur nicht zu Till.
"Du bist nicht betrunken, oder?"
"Ne."
"Gut. Ich auch nicht."
"Na ja."
"Ne. Ich fahre, zu mir. ... Mit dir."
Für Felix’s Lächeln wäre er sogar noch ein Stückchen weiter gefahren.
-fin-