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Der Dunkle Turm von Stephen King - Die Vergangenheit der früheren Helden

von Lunita
Kurzbeschreibung
GeschichteRomance, Fantasy / P16 / Het
OC (Own Character) Roland Deschain
05.06.2008
28.05.2023
23
62.262
 
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05.06.2008 3.704
 
Sie hatte bereits White Lady abgesattelt als die Jungs zurückkamen und ihre Pferde in die Scheune brachten. Sie sah nicht auf.
„Du hast aber ein Tempo…“, wollte Bert gerade ein Gespräch mit ihr beginnen, als sie an ihm vorbei die Scheune verließ und die Pferdebürste in den alten Eimer aus Eisen donnerte. Ein lautes Geräusch.
„… vorgelegt.“, endete Bert und sah ihr verdattert hinterher. Man, was war nur los mit Phoebe?, fragte er sich verständnislos.
„Geh hinterher.“, sagte Alain plötzlich. Bert sah ihn fragend an, eine Augenbraue hochgezogen. „Man, hast du n Knall? So wie die drauf ist, erschlägt die mich beim nächsten falschen Wort.“, sagte er.
„Dann benutz halt mal zur Abwechslung kein falsches Wort.“, sagte Alain und stieß Bert freundschaftlich an.
„Das sagst du so leicht. In letzter Zeit weiß ich nie, was ich sagen darf und was nicht.“ Er sah wieder zu Alain und fing dessen fragenden Blick auf. „Na, sie ist gut drauf, wir blödeln rum und dann sag ich was und  - bang – flippt sie aus.“ Bert zuckte die Schultern.
„Du kapierst es einfach nicht, oder?“, fragte Alain fast verzweifelt und schüttelte den Kopf. Er konnte sich ziemlich gut vorstellen, was Phoebe von einer Sekunde auf die andere aufregen konnte.
„Was?“, fragte Bert ahnungslos. Alain aber schüttelte nur den Kopf und verließ die Scheune. Bert blieb, immer noch unaufgeklärt, zurück. „Hey man, was?“

Phoebe lag auf ihrem Bett, den Vorhang zugezogen. Sie wollte die Jungs jetzt nicht sehen, vor allem Bert nicht. Konnte es nicht. Konnte die verstohlenen Blicke, die er auf den Zettel von Susan werfen würde, nicht ertragen. Sie lag da und sah das Foto ihres Vaters an. Damals, als er noch am Leben gewesen war, da war alles irgendwie besser gewesen. Nicht nur wegen ihm, nein, auch wenn es natürlich leichter gewesen war. Man wusste, da ist jemand. Es ist Familie, die kann einen nicht einfach davon stoßen, wenn man mal einen schlechten Tag hatte oder was falsch gemacht hatte. Man könnte nicht einfach aufhören, einen zu lieben. Aber war nicht genau das das Problem?
Vor allem aber waren sie damals noch Kinder. Es gab keine seltsamen Gefühlswallungen, die einen komplett durcheinander brachten und einen völlig aus der Bahn warfen; einem Dinge tun ließ, die man sonst nie gemacht hätte. Es gab Streitereien, die man ganz einfach wieder vergaß oder mit Eis aus dem Weg schaffte. Vielleicht mit ner kleinen Schlägerei. Auch das war okay. Es war okay, denn sie waren Freunde und sie waren Kinder.
Aber das war vorbei. Sie wurden erwachsen. Sie veränderten sich, alle. Bei Roland war es nur bereits am auffälligsten. Und irgendwie kam Phoebe damit nicht klar. Bei sich selbst am wenigsten. Sie veränderte sich auch, wurde anders, sich selbst fremd. Es gab Tage, da war es okay. Da mochte sie sich, so wie früher. Und es gab Tage, da konnte sie sich selbst nicht ausstehen. Sie mochte Veränderungen nicht, aber das war eine Sache. Sie dachte: Wenn dies heißt erwachsen zu werden, dann will ich es lieber nicht.
Doch das ging nicht. Es gab keinen Weg zurück. Niemals. Für keinen von ihnen.
„Phoebe?“, eine sanfte Stimme hinter dem Vorhang. Leise. Sie lächelte, unwillkürlich, konnte nicht anders. „Können wir reden?“
„Ist offen.“, sagte sie und verdrehte ironisch die Augen.
„Du bist ja ein echter Witzbold.“, grinste Bert daraufhin durch den Vorhang durch. Er schob ihn ein wenig zur Seite, sodass Phoebe einen Blick auf den Rest des Zimmers erhaschen konnte. Alain saß auf seinen Bett, zu ihnen rüber blinzelnd. Roland war nicht im Schlafhaus. Wahrscheinlich saß er noch draußen auf der Veranda und dachte an Susan Delgado.
Cuthbert setzte sich auf ihre Bettkante. Phoebe blieb liegen, legte lediglich das Foto zur Seite und bemerkte sehr wohl, dass Cuthbert das Foto ansah und seine Stirn sich leicht in Falten legte.
Er denkt, ich komm damit nicht klar. Nun, vielleicht tu ich das nicht. Vielleicht werde ich das nie. Vielleicht dreh ich eines Tages durch, weil er mir so verdammt fehlt und ich es nicht überwinden kann. Aber dies ihr, nur diese eine Sache, die hat verdammt noch mal nichts mit meinen Vater zu tun, siehst du das denn nicht, du Dummkopf?!, dachte sie, schrie sie fast innerlich. Aber ihr Blick war ruhig, kalt. Sie sah Bert an, zog die Augenbrauen hoch, als wolle sie fragen: Was ist? Du willst reden? Rede!
„Also…“, brach Bert das Schweigen. „Was hast du vorhin gemeint?“
„Was hast du denn nicht verstanden?“, fragte sie kühl.
„Oh, ähm, da gibt’s einige Dinge.“, murmelte Bert. Alain räusperte sich in die Ecke. „Ja, also, als du gesagt hast: Das gilt nicht für mich.“, sagte Bert dann schnell.
„Dass es nicht für mich gilt.“, sagte Phoebe mit beinahe ausdrucksloser Stimme, als wäre das Erklärung genug.
„Versteh ich nicht.“
„Das tut mir sehr leid für dich.“, sagte sie kühl.
„Ähm, erklär es mir doch ganz kurz.“, sagte er mit einen Lächeln.
„Dir zu erklären, dass es nicht für mich gilt, hat zwei Sekunden gedauert. Schneller geht’s leider nicht.“ Ihr Blick war weiterhin auf ihn gerichtet. Eine Kühle schlug ihm entgegen, die er nicht von ihr kannte, wenn sie mit ihm sprach. Er kannte dies nur von ihr, wenn sie kämpfte.
„Phoebe, was ist denn?“, fragte er fast verzweifelt, dafür jetzt aber todernst.
„Was soll denn sein?“
„Na, zum Beispiel die Sache mit dem Citgo – Feld. Willst du nicht, dass Susan uns dorthin begleitet?“
„Mal ehrlich gesagt, nein.“, sagte sie kühl.
„Aber warum nicht?“ Keine Antwort. Nur dieser kühle Blick. „Ist doch gut, jemand dort zu haben, den man vertrauen kann. Jemand anderen haben wir ja nicht.“
„Wer sagt denn, dass wir ihr trauen können?“, fragte sie nun und richtete sich etwas auf, indem sie sich auf ihre Ellenbogen abstützte.
„Roland.“, warf Alain nun ein. Phoebe sah zu ihm rüber. Sie nickte.
„Ay. Und weil seine Entscheidungen in letzter Zeit ja so vernunftsbegründet waren, hören wir natürlich auf ihn.“
„Was sollen wir denn sonst tun? Er sagt, wir brauchen Susan.“, sagte Bert beschwichtigend.
„Siehst du: Und genau das gilt eben nicht für mich.“, sagte sie und ließ sich wieder zurück auf das Bett sinken. Sie verschränkte die Arme hinter dem Kopf.
„Sie kann uns alles auf dem Ölfeld zeigen.“, sagte Bert.
„Oh warte: Ein Tanker, noch ein Tanker. Oh und da hinten haben wir noch einen Tanker.“, sagte sie mit gespielt liebreizender Stimme. „Wirklich unersetzlich, ay.“
„Okay… vergiss es!“, sagte Bert nun, hob die Hände zu einer abwehrenden Geste, als gebe er auf. Er war enttäuscht. Nein, er war sauer. War Phoebe etwa eifersüchtig? Es passte gar nicht zu ihr, nein, aber im Moment… sah es ganz danach aus. War sie eifersüchtig auf Susan? Wegen Roland? Dass hätte Bert sich nie träumen lassen. Er wusste nicht, was er davon halten sollte. Man, dieser Roland bekam scheinbar einfach alles. Es war ungerecht. So verdammt ungerecht.
„Versuch ich die ganze Zeit.“, murmelte sie und nahm wieder das Foto ihres Vaters in die Hand. Bert stand auf und ging zum Vorhang. Er sah noch einmal zu ihr runter, als er wieder ein Stück nach vorn geschubst wurde. Alain. Bert sah ihn an. Al machte eine Handbewegung, als wolle er ihm sagen: Gib nicht auf. Red schon weiter. Aber Bert sah ratlos aus. Und zerknirscht. In jenem Moment sah Phoebe wieder  zu den Jungs.
„Phoebe… komm schon…“, sagte Bert lächelnd. Sie zog die Augenbrauen ein wenig zusammen. Es ließ sie nachdenklich und konzentriert aussehen.
„Wieso hast du diese Nachricht bekommen?“, fragte sie ihn nun und richtete sich wieder  etwas auf.
„Was?“, fragte Bert verständnislos.
„Die Nachricht von Susan.“ Sie betonte den Namen besonders.
„Die war doch nicht für mich.“
„Wieso schreibt sie überhaupt eine?“ Phoebes Blick hing auf Bert, aber der blickte völlig verwirrt drein, als wüsste er gar nicht, was sie jetzt eigentlich von ihm wollte. Und eigentlich wusste Phoebe es doch, oder? Es war nicht Bert gewesen. „Es war ne Antwort.“, sagte sie. „Sie hat auf etwas geantwortet. Aber Roland ist nicht in der Stadt gewesen, um sie etwas zu fragen.“ Erstmals schien Phoebe darüber gründlich nachzudenken und jetzt, wo sie das tat, ohne sich immer wieder zu ärgern, wenn der Name Susan fiel, da ging ihr mit einem mal ein Licht auf. Vor allem bei dem Anblick von Alain. Er wich ihrem Blick aus, als sie ihn ansah.
„Alain?“, fragte sie kühl.
„Hm?“ Er sah sie an, mit hochgezogenen Augenbrauen und schien verwirrt. Aber er wirkte auch nervös.
„Was hast du getan?“, fragte sie leise.
„Was meinst du?“, fragte Alain lächelnd, als könne er kein Wässerchen trüben. Aber was Alain wirklich nicht konnte, war lügen.
„Al…“
„Ich weiß wirklich nicht, was du meinst.“
„Alain!“, sagte sie nun schroff und setzte sich auf. Ihr Blick ruhte auf ihm, streng. Er verstummte. „Ich wusste nicht, dass wir uns neuerdings anlügen.“, sprach Phoebe weiter.
„Ich hab nicht gelogen.“
„Gerade eben wolltest du mir doch einreden, du weißt nicht, wovon ich rede.“
„Tu ich auch nicht.“, sagte er kleinlaut. Phoebe stand auf. Sie tat es langsam und noch langsamer kam sie auf ihn zu. Das machte ihn nervös.
„Du lügst wieder.“, sagte sie. Ihre Stimme bebte leicht.
„Phoebe…“ Alain schien nicht zu wissen, was er sagen sollte.
„Du warst doch gestern in der Stadt. Hast erst mit Roland draußen auf der Schräge geredet und bist dann plötzlich in die Stadt geritten.“, sagte sie. „Was wolltest du dort?“
„Ach, was erledigen.“
„Was?“
„Nichts Bestimmtes.“
„Alain!“, entfuhr es Phoebe etwas lauter. Er sah sie an, fast erschrocken. Bert hielt den Mund. Er sah zwischen den Beiden hin und her, wusste nicht, was er sagen sollte. Er konnte sie ja verstehen. „Was?“
„Du weißt es doch.“, sagte Alain dann mit unterwürfiger Stimme.
„Du bist echt ein mieser Lügner.“, sagte Phoebe kalt und sah ihn fast abschätzig an.
„Ich hab nicht gelogen. Ich hab Informationen verschwiegen.“, sagte Al dann.
„Informationen, die sehr wichtig waren.“
„Die wären eh raus gekommen. Siehst du ja.“
„Und wieso konntest du es mir dann nicht sagen?“, fragte sie barsch.
„Ich…“, begann Alain, schien aber nicht zu wissen, wie er den Satz beenden sollte. „Roland wollte es nicht.“, sagte er dann leise.
In Phoebes Gesicht änderte sich etwas. Vorher war sie wütend gewesen, aber diese Wut hatte sie hinter einer eiskalten Maske verborgen. Jetzt brach etwas davon ab und einen Moment konnte man die pure Enttäuschung und Fassungslosigkeit darin sehen. Sie war verletzt. Und das wiederum tat Cuthbert weh.
„Er wollte nur auf Nummer sicher gehen.“, sagte Alain, dem es auch aufgefallen war.
„Weil man mir nicht vertrauen kann, hm?“, presste Phoebe hervor.
„Nayn, dass stimmt nicht, das weißt du.“
„Ay, ich weiß das, richtig. Aber ihr scheint vergessen zu haben, wer eure Freund sind und wer nicht.“, sagte sie kalt, aber jetzt brodelte Wut darunter.
„Phoebe… es war doch nicht gegen dich… Nur, je weniger davon wussten, umso sicherer.“, versuchte Alain sich und Roland zu rechtfertigen. Sie sah ihn an, schüttelte nur den Kopf. „Hör doch auf…“
„Ich hab nur getan, was Roland gesagt hat.“, sagte Alain.
„Nun, manchmal ist es eben besser selbst sein Kopf zu benutzen. Das kannst du doch Alain, oder?“, fragte sie barsch. Aber es war keine Frage.
Sie sah zu Cuthbert rüber, der fast erschrak, als ihr Blick plötzlich auf ihn fiel. Sie sah so verletzt aus. „Hast du davon gewusst?“, fragte sie ihn.
„Phoebe…“
„Hast du es gewusst?“
„Ich hab’s mitbekommen. Als sie draußen drüber geredet haben. Er hat mich nicht direkt eingeweiht, aber…“ Bert zuckte die Schultern.
„Aber du hast es gewusst.“
„Ich hielt es nicht für so wichtig.“, sagte er. Phoebe sah ihn noch einen Moment, schüttelte dann aber den Kopf. Sie drehte sich um, als wolle sie gehen.
„Phoebe, komm schon.“, begann Alain.  Er wollte nicht, dass sie böse auf ihn war. Wollte sich mit ihr vertragen. Dich als er einen Schritt auf sie zu machte, da funkelte sie ihn an. „Lass es!“, fauchte sie fast.
„Phoebe, ich weiß nicht, warum…“, fing er wieder an, doch Phoebe schnitt ihm das Wort ab.
„Doch, du weißt!“, sagte sie kalt. „Du weißt, dass Roland in letzter Zeit nicht mehr ganz bei sich ist. Du weißt, dass er total vernarrt in Susan ist. Du weißt, dass er wahrscheinlich alles aus Ausrede benutzen würde nur um sie zu sehen. Und du weißt, dass es uns den Kopf kosten könnte, wenn das rauskommt. Das alles weißt du! Und dennoch… und dennoch hast du es trotzdem getan. Und es geheim gehalten.“ Sie musterte ihn einen Augenblick von oben bis unten. Dann schüttelte sie abermals den Kopf. Sie drehte sich um und ging zurück zum Vorhang.
„Phoebe, ich wollte das Richtige tun. Wollte helfen.“, sagte Alain. Er klang verzweifelt und verletzt und auch das tat Phoebe weh, aber sie konnte es nicht ändern. Er hatte ihr auch sehr weh getan.
„Dann hoffe ich, dass du mir nie schaden willst.“, sagte sie kalt und ließ sich auf das Bett fallen. Alain sah zu Cuthbert, hilfesuchend, aber der schüttelte nur den Kopf. Es war besser, sie in Ruhe zu lassen. Alain sah verloren aus, ging aber zurück zu seinem Bett und setzte sich. Bert blieb noch einen Moment bei Phoebe stehen. Überlegte, ob er noch einen Versuch wagen sollte, mit ihr zu reden.
„Ist noch was?“, fragte sie. Nicht böse, nicht wütend, nicht bissig… gar nichts. Es war keine Emotion in ihrer Stimme zu hören. Bert schüttelte den Kopf. Er zog den Vorhang zurück und sah nur noch aus dem Augenwinkel, wie sie sich auf die Seite drehte. Was er aber sah, war ein Ausdruck voller Enttäuschung und Traurigkeit auf ihrem Gesicht. Es zeriss ihm fast das Herz.

Als sie Rolands Schritte hörte, stand sie auf. Sie hörte das Knarren des Bettes, als er sich hinlegte. Dann zog sie fast lautlos den Vorhang zurück und verließ das Schlafhaus. Sie konnte nicht schlafen. Unzählige Gedanken gingen ihr im Kopf herum, unzählige Fragen. Sie wäre gern eher rausgegangen an die frische Luft, aber Roland war noch dort gewesen und sie hatte keine Lust verspürt, ausgerechnet ihm Gesellschaft zu leisten. Was hatte er sich nur gedacht? Alain zu verbieten, mit ihr darüber zu reden. Was sollte das? Wieso trauerte er ihr nicht? Dazu hatte er verdammt kein Recht. Sie war immer da und arbeitete, während er träumte oder sich in der Weltgeschichte herumtrieb. Nicht sie war es, an deren Vertrauenswürdigkeit gezweifelt werden sollte. Sie verstand einfach nicht, was Roland sich dabei gedacht hatte. Sie waren doch ein Ka-tett. Immerhin. Waren Freunde. Und jetzt brachte er sie gegeneinander auf. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass dies seinen Absichten entsprach, aber Roland war schwer zu durchschauen. Und ihr war schon hin und wieder aufgefallen, dass Roland auch große Opfer aufbrachte, um etwas zu erreichen, was er wollte. Er kannte keine Gnade, keine Rücksicht. Und je älter er wurde, umso häufiger schien dies an ihm durchzuschimmern.
Phoebe schüttelte den Kopf. Was dachte sie denn da? Roland war ihr Freund. Er war anders als sie, vor allem zurzeit. Aber er war doch Roland. Kein Killer. Er konnte das nicht mit Absicht getan haben. Er konnte sie nicht ernsthaft aufbringen wollen.
Aber warum diese sinnlose Aktion? Alles wegen Susan? War sie ihm das alles denn wirklich wert?
Du zerstörst uns. Du zerstörst all das, was wir einst waren und aneinander hatten. Mach das nicht. Hör auf damit. Das kann es doch nicht wert sein!
So schoss es Phoebe durch den Kopf. Gern würde sie Roland das einmal sagen. Aber es ging nicht. Früher wäre er ausgeflippt. Aber das würde nicht passieren. Wenn er ausflippen würde, würde er wenigsten Gefühle zeigen. Nein, er würde es gar nicht hören, würde es ignorieren. Und das brachte Phoebe erst recht auf die Palme. Sie seufzte. Setzte sich auf die kühlen Holzbretter der Veranda. Der Sommer war vorbeigegangen. Die letzten warmen Tage würden bald ausklingen. Und sie saßen immer noch hier am Ende der Welt herum und würden es wahrscheinlich noch eine Weile tun.
„Wir sitzen voll in der Scheiße.“, murmelte Phoebe und griff nach einem Steinchen neben sich. Sie warf in weit über die Schräge. Hinter sich hörte sie Schritte. Sie brauchte sich nicht umdrehen. Sie erkannte an der Gangart, dass es Cuthbert war. Er sagte nichts. Traute sich wahrscheinlich nicht, aus Angst, sie würde wieder ausrasten. Und das schlimme war: er hatte ja Recht. Sie war so ätzend zickig in letzter Zeit.
Nun, sie schätze, sie könnte zumindest jetzt ruhig bleiben. Sie würde es nicht einfach vergessen. Das sicher nicht. Phoebe fühlte sich vergessen, falsch behandelt. Zum Teufel, sie war eine Revolverfrau. Sie hatte ihre Reifeprüfung sogar noch vor Roland abgelegt. Klar, sie hatte Glück, dass sie nicht gegen Cort sondern gegen Ralph hatte antreten müssen. Cort kannte ihre Schwachstellen besser. Aber Ralph war dennoch eine harte Nuss gewesen. Sie hatte allgemein Glück gehabt, was den Verlauf des Kampfes anging. Aber das änderte nichts daran, was sie war. Sie hatte es sich verdient. Vielleicht sogar mehr, als irgendein Junge.
Aber all das hatte sie nie einen der Jungs vorgehalten. Sie fühlte sich auch nicht überlegen oder als was Besseres. So war Phoebe nicht. Sie hatte nicht diese arrogante Art, wie sie manchmal bei Roland durchkam. Aber deswegen wollte sie dennoch respektiert werden. Sie war eine Revolverfrau, genau wie Roland ein Revolvermann war. Sie wusste auch, was sie tat.
Aber wie auch immer; Cuthbert konnte auch nichts dafür (hoffte sie jedenfalls für ihn). Es machte sogar Sinn, bedenkt man, dass Bert ebenfalls auf Susan steht. Roland war zu verträumt um mitzubekommen, dass es vielleicht noch Konkurrenz geben könnte, aber vielleicht ging er dennoch lieber auf Nummer sicher. Wer konnte zurzeit schon sagen, was in Rolands Kopf vor sich ging?
Aber eigentlich wartete sie darauf, dass Bert etwas sagen würde. Sie hatte damit gerechnet, jetzt ein paar klärende Worte zu verlieren, allerdings ohne selbst das Gespräch beginnen zu müssen. Im Grunde war es niemals nötig selbst ein Gespräch anzufangen, wenn Cuthbert dabei war. Er konnte nicht lange Schweigen. Er war sogar der Meinung, dass Schweigen eine Gefahr ist. Und dennoch sagte er jetzt nichts.
Phoebe drehte den Kopf zu ihm und sah ihn skeptisch an. Bert sah in den Himmel. Er hatte sich die Sterne angesehen, scheinbar. Jetzt sah er sie an, als wäre er aufgewacht und setzte sich neben sie.
„Ich hab ihn.“. sagte er und sah wieder in den Himmel. Phoebe sah ihn fragend an. Als keine Reaktion kam: „Wen?“
„Meinen Stern.“, lächelte Bert. Er zeigte nach oben auf einen hellen, leuchtenden Stern. „Der ist meiner.“
„Deiner?“, fragte sie mit skeptischem Blick zur Seite. „Du hast einen Stern?“
„Ja, hab ich mir ausgesucht.“
„Wie ein Mädchen, ja?“, grinste Phoebe nun, obwohl sie doch eigentlich hart bleiben wollte.
„Ay, da hat sich meine weibliche Seite gemeldet.“, sagte Bert ernst, aber mit einer solch lustigen Handbewegung, dass Phoebe ein Lachen entrann. Sie schüttelte den Kopf und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Dann sah sie wieder auf, sah Bert von der Seite an, der immer noch zu „seinem Stern“ aufsah. Im Mondlicht sah er wunderschön aus. Sein Gesicht strahlte alles aus, was man fühlen konnte. Seine Augen glänzten und waren verträumt zur gleichen Zeit.
Was tu ich hier? Tu das nicht Phoebe! Tu das nicht! Das geht nicht gut!, dachte sie. Sie schüttelte leicht den Kopf und sah nach oben. „Und… kriegen wir alle einen?“
„Klar.“. grinste Bert.
„Schön.“, sagte Phoebe und nickte.
„Such dir einen aus.“ Bert sah sie an und zeigte nach oben. „Du musst sie benennen und sie gehören dir.“
„Wer hat dir den Quatsch denn erzählt?“, fragte Phoebe amüsiert.
„Ich mach die Regeln nicht, ich befolge sie nur.“, sagte Bert und nickte.
„Seit wann hältst du dich denn an Regeln?“, fragte Phoebe spöttisch. Sie sah ihn an, grinste. Er grinste zurück. In diesem Moment war alles wieder in Ordnung. Sie wusste es. Egal, was sie jetzt sagen würde, es war bereits gut. Aber dennoch…
„Wegen vorhin…“
„Ist gut, Phoebe. Ich weiß es.“, sagte Bert und sah wieder zu den Sternen.
„Ach ja?“
„Klar, ich versteh’s.“
„Du hast aber gesagt, du verstehst es nicht.“, sagte sie irritiert. Irgendwie hatte sie den Eindruck gehabt, Cuthbert hatte nichts verstanden. Gar nichts.
„Das hab ich aber verstanden. Es geschehen noch Wunder.“, alberte er.
„Bert, bring mich jetzt bloß nicht durcheinander, ja?!“, begann Phoebe wieder.
„Nein, ehrlich Phoebe. Ich verstehe, warum du so reagiert hast. Und du hast Recht. Du hattest Recht mit dem, was du über Roland gesagt hast und Alain weiß das auch.“, nickte Bert.
„Dann findest du nicht, dass ich zu hart zu ihm war?“, fragte sie verwundert.
„Doch, klar. Alain ist das nicht gewöhnt, vor allem nicht von dir. Er hat versucht es richtig zu machen, Phoebe. Er wollte dich nicht verletzen. Ich weiß nicht, welche Gründe Roland hatte oder ob er überhaupt welche hatte außer seinen Schwanz, aber…“ Cuthbert zuckte die Schultern. „Aber Alain hätte dich nie so ausgeschlossen. Er hat ein Fehler gemacht, aber einen, um den Roland ihn gebeten hat und du weißt ja, wie Alain da ist.“
„Er ist zu nett.“, sagte Phoebe.
„Manchmal schon.“
„Kann man mir nicht vorwerfen, hm?“, fragte Phoebe schuldbewusst.
„Ach, du bist gar nicht so schlecht.“, sagte Bert ernst, grinste dann du klopfte ihr auf die Schulter. „Hast es auch nicht grad leicht, zwischen uns Kerlen.“
„Aber so bin ich nicht, Bert. Das bin nicht ich.“ Sie sah ihn ernst an. Er sah zu ihr runter und legte einen Arm um sie. „Wir ändern uns alle, ob wir wollen oder nicht. Die Welt dreht sich weiter.“, sagte Cuthbert. Phoebe sah zu ihm auf, fast überrascht. So erwachsen sprach Bert selten. So ernst war er auch nur selten. Sie hätte gern weitergesprochen. Hätte ihn gern nach Susan gefragt, ob er sie liebte, so wie Roland es scheinbar tat. Aber sie konnte nicht. Sie traute sich nicht, denn sie hatte Angst vor der Antwort. Und Angst, dies hier, diesen Moment, beinahe perfekt, kaputt zu machen.
Sie sah wieder auf zu den Sternen. „Wie heißt deiner?“, fragte sie lächelnd.
„Sag ich dir ein anderes Mal.“, sagte Bert geheimnisvoll. Phoebe nickte. Das war okay. Sie ließ den Kopf gegen seine Schulter sinken, nur für diese Nacht, nur für jetzt. Wenn schon sonst nicht, dann wollte sie es zumindest jetzt genießen, egal wie weh es beim nächsten Mal tun würde. Warum auch immer…
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