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Der Dunkle Turm von Stephen King - Die Vergangenheit der früheren Helden

von Lunita
Kurzbeschreibung
GeschichteRomance, Fantasy / P16 / Het
OC (Own Character) Roland Deschain
05.06.2008
28.05.2023
23
62.262
 
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05.06.2008 3.806
 
Am Santag ritten Phoebe und Bert zusammen in die Stadt. Santag war der traditionelle freie Tag der Cowboys und das Ka-tett machte somit auch frei. „Es ist nur recht und billig, dass wir das auch tun, wo wir doch sowieso keine Ahnung haben, was wir überhaupt tun sollen.“, hatte Bert gesagt. Und er sprach die Wahrheit. Seit Tagen hatten sie nichts mehr wirklich zu tun. Wie Phoebe gesagt hatte: die unwichtigen Dinge gingen ihnen allmählich aus. Wenn sie so weiter machen wollten, wie bisher, dann mussten sie ihr Tempo drosseln. Und das taten sie nun. Mit dem Ergebnis, dass sie fast gar nichts mehr taten.
Dies war nun der sechste Santag, den sie hier erlebten. Phoebe und Bert hatten sich auf den Weg gemacht, um irgendetwas zu tun. Und um eine Kleinigkeit zu besorgen, denn es näherte sich der Tag, an dem vor 15 Jahren Alain Jones geboren wurden. Alains Geburtstag stand bevor.
Zunächst waren sie auf dem Untermarkt gewesen, der bei weitem billiger war. Aber der Geruch dort war nicht sehr angenehm und sie gaben ja ohnehin nicht viel aus. Sollte doch zumindest Alain ein Geschenk bekommen, das einen Wert hatte, auch wenn es nur eine Kleinigkeit war. Deswegen wollten sie zum Obermarkt, aber vorher hielten sie an dem Pavillon in Green Heart an. Dort servierten sie häufig Kuchen und Tee oder auch Kaffee, wenn das Wetter gut war. Und heute war das Wetter gut. Sie saßen zusammen an einem Tisch, schauten die Straße hinab oder träumten einfach vor sich hin. Phoebe hatte einen Becher Kaffee in der Hand. Drüben auf den Tanzflächen und dem Rasen wurden schon wieder Vorbereitungen getroffen für ein Fest. Mit der Dinnerparty im Haus des Bürgermeisters war das schon das dritte, das sie hier erlebten. So lange waren sie ja nun auch wieder noch nicht hier. Phoebe schüttelte den Kopf.
„Schon wieder ein Fest? Haben die hier eigentlich für jeden Monat eines?“, fragte sie rhetorisch.
„Die Leute hier feiern einfach gern.“, sagte Bert Schultern zuckend.
„Die sollten sich alle ganz dringend ein Hobby suchen.“, murmelte Phoebe. Sie sah Bert an: „Hier leben nur Irre und Bekloppte.“
Bert musste grinsen. Es war offensichtlich, dass Phoebe mit den Leuten in Mejis nicht viel anfangen konnte. Sie traute ihnen nicht, gut. Das war die eine Sache. Aber außer Sheemie mochte sie sie auch nicht. Und das war eine andere. Aber so war Phoebe nun mal und vielleicht hatte sie für sich auch eine Erklärung warum sie so empfand. Bert traute ihrem Gefühl da, denn ihr Gefühl hatte sie bisher selten getäuscht.
„Also, hast du schon was für Dick gefunden?“, fragte Bert sie. Dick. Das war Berts Kosename für Richard, Alains Name hier. Selbst bei Namen, die nicht echt war, fand er noch Abkürzungen. Phoebe schüttelte den Kopf. „Nein, so richtig will mir nichts einfallen. Vielleicht ein neuer Gürtel?“, fragte sie Bert.
„Schuhe. Seine sind ziemlich abgelatscht.“, dachte Bert nach.
„Ay, sicher, aber wenn ich das Budget für neue Stiefel hätte, würden meine eigenen Füße darin stecken.“, sagte Phoebe. Ja, da hatte sie nicht Unrecht. Schuhe, gute Arbeitstiefel, hatten wirklich ihren Preis.
„Hast du schon was?“, fragte sie Bert.
„Ich schenk ihm ein neunen Gürtel.“, sagte Bert grinsend und stand flink auf. Phoebe sah ihn ungläubig an. Sie wusste wirklich nicht, was sie dazu sagen sollte. Ja, man konnte wirklich fast sagen, sie war sprachlos.
„Du…“, Mehr bekam sie nicht heraus. Und es war auch überflüssig, denn Bert hatte sich schon aus dem Staub gemacht. „Das darf ja wohl nicht wahr sein…“, murmelte sie, als auch sie aufstand. Zum Glück hatten sie schon bezahlt, sonst wäre das auch noch an ihr hängen geblieben. Dieser Cuthbert! Manchmal würde sie ihm am liebsten in den Hintern treten. Wie konnte man nur so dreist sein? Aber… ja, es war so, auch dafür liebte sie ihn.
Also schlenderte sie über den Obermarkt, in der Hoffnung noch irgendetwas für Alain zu finden. Sicher, er würde sich über alles freuen. So war Al einfach. Aber Phoebe wollte ihm nicht irgendwas schenken. Er war einer ihrer besten Freunde, ein lieber Kerl, den sie gern hatte. Er hatte etwas Besonderes verdient.
Hier fühlte sie sich gar nicht fehl am Platz. Sie trug eine dunkle, enge Jeans und einen braunen Gürtel aus altem Leder. Dazu trug sie ein einfaches kariertes Hemd um eine braune Weste darüber. Auf dem Kopf hatte sie ihren alten Cowboyhut. Die meisten Frauen trugen eher Kleider, ja, aber es gab dennoch auch einige Frauen und Mädchen, die ebenso wie sie Jeans trugen. Es hätte ihr hier gefallen können. Sie hätte sich hier wohl fühlen können. Wenn es hier nur ein paar Menschen geben würde, die sie mochte.
Nach einer Weile hatte sie dann doch noch ein Geschenk gefunden. Es war nicht das besondere Geschenk, das sie gern für Alain gekauft hätte, aber es war okay, glaubte sie. Eine neue Scheide für Al’s Messer, das er so gern schärfte. Sie war aus dunklen, festen Leder und das Halfter hatte einen Eisenbeschlag. Der Verkäufer hatte ihr vorgeschlagen, dass man noch die Initialen des Besitzers hineingravieren könnte, aber Phoebe hatte abgelehnt. Zum ein hätte sie ja schlecht Alains Initialen nehmen können, wo er hier doch Richard Stockwort war. Und wenn sie diese Initialen nehmen würde, wäre es nicht mehr dasselbe. Zudem würde das auch noch einmal Geld kosten und die Scheide war schon teurer als sie sich eigentlich hätte leisten können.
Also war sie langsam zurück geschlendert. Sie ging gerade an einem Stand vorbei, da konnte sie durch eine Lücke hindurch Cuthbert erspähen. Er stand vor einem Basar, an dem bunte serapes verkauft wurden. Er stand einfach davor, die Hände auf den Rücken verschränkt und starrte sie an. Er stand ihr mit dem Rücken zu, sodass Phoebe  sein Gesicht nicht sehen konnte. Seine Augen nicht sehen konnte. Sie sah nicht die Tränen darin, gegen die er versuchte anzukämpfen. Aber das brauchte sie auch nicht. Sie wusste trotzdem, was los war. Berts Mutter hatte auch eine solche serape und sie trug sie ausgesprochen gern. Den Rest konnte sie sich schon denken. Phoebe wollte mit einem Mal bei ihm sein. Wollte zu ihm rüber gehen, seine Hand nehmen und ihn anlächeln. Ihm Mut machen. Ihm Hoffnung geben. Irgendetwas tun, damit er wieder fröhlich war. Sie setzte sich in Bewegung, an zwei Ständen vorbei, die ihr die Sicht auf Cuthbert nahmen. Und als sie um die Ecke bog und genau auf ihn hätte zugehen können, erstarrte sie. Ihre Beine wollten sie nicht weiter tragen. Also blieb sie stehen. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht verlor sich in etwas, dass Verzweiflung nahe kam, oder vielleicht eher Trauer. Phoebe selbst hätte nicht sagen können, was sie fühlte. Was sie fühlte, als sie Cuthbert und Susan Delgado auf dem Markt zusammen sah, freundlich mit einander plaudernd.
Sie verspürte den Drang zu ihnen rüber zu gehen, ihr ins Gesicht zu sagen, was sie von ihr hielt und Bert … Ja, was wollte sie tun? Ihr fiel einiges ein. Ihm eine runterhauen war der erste Gedanke, der aber gleich von dem nächsten abgelöst wurde: Seine Hand nehmen; ihn mit mir ziehen. Weg gehen, schnell. Und dann als nächstes: Lauf weg. Dreh dich um und geh. Sieh nicht mehr hin. Und zum Schluss die Erkenntnis: Was würde das bringen? Nichts. Und als sie noch darüber nachdachte machten sich ihre Beine bereits selbstständig. Noch währenddessen ging sie schon auf die beiden zu. Susan sah wirklich hübsch aus. Graue Augen die strahlten. Man würde nicht denken, dass das ginge, doch scheinbar tat es das. Aber es waren nicht nur ihre Augen. Das blonde Haar schimmerte in der Sonne. Sie strahlte. Susan Delgado, das ganze Wesen so wie sie war, strahlte zwischen den ganzen anderen Leuten auf dem Markt hervor. Sie hatte eine Jeans und ein Hemd an, einfach Sachen und war dennoch die Hübscheste auf dem gesamten Platz. Und Bert… natürlich sah er das auch. Er war ja nicht blind!
Phoebe bekam nur mit, wie Susan Bert etwas in die Hand drückte. Und Bert schien verwirrt und dann redete er. Wahrscheinlich etwas sinnloses, denn er hatte diesen Ausdruck drauf, den er immer dann hatte, wenn er stundenlang plapperte. Er hatte es schon geschafft eine Stunde unentwegt zu reden; Phoebe konnte das bezeugen. Dann hörte sie nur noch Susans Worte: „Ich kann mir gut vorstellen, dass ihr keine Kontrolle über euren Verstand habt, Mr. Heath. Oder über die Zunge, die darunter hängt, aber vielleicht achtet ihr in Zukunft besser auf eure Sachen.“ In Phoebe ballte sich alles zusammen. Es klang nicht gerade nett, was sie da gesagt hatte. Bert war doch nicht dumm. Vielmehr war es ein Spruch über Bert, der von Roland hätte kommen können. Aber eigentlich war das ja nicht überraschend.
„Arthur.“, sagte Phoebe mit fester Stimme, die aber kühl klang. Fast ausdruckslos. Bert sah verwirrt zu ihr rüber, als hätte er gar nicht mitbekommen, dass noch andere Menschen hier waren. Auch Susan sah sie nun an.
„Guten Tag, Miss Milano.“, lächelte sie. Phoebe lächelte nicht. Jedenfalls war das dünne Lächeln auf ihren Lippen nicht das Lächeln, wie es sich für Phoebe Masters gehörte und Bert erkannte das. Nein, er hätte es erkennen sollen.
„Guten Tag, Sai.“, sagte Phoebe knapp.
„Susan… bitte.“, lächelte diese.
„Danke Sai.“ Phoebes Stimme klang nicht einmal mehr kühl. Nur ausdruckslos. „Können wir los?“, fragte sie an Bert gewand. Wenn er nicht wollte würde sie allein nach Haus reiten. Sie konnte hier nicht länger bleiben. Bevor Bert reagierte sagte Susan: „Nun, ich muss auch wieder los. Passen sie auf ihre Sachen auf, Mr. Heath. Guten Tag.“ Sie nickte auch Phoebe zu und verschwand bevor noch jemand etwas sagen konnte. Auf einmal hatte sie es eilig. Bert sah ihr hinterher, verdattert.
„Bist du nun soweit?“, fragte Phoebe barscher als es notwenig war. Bert sah nun sie verwirrt an, nickte aber.
„Fantastisch.“, sagte Phoebe trocken, drehte sich um und machte sich auf den Weg zu ihren Pferden.

Auf dem Weg zur Bar K sprachen sie nicht viel. Eigentlich gar nicht. Phoebe war böse, nur wusste sie nicht warum. Wie sollte Bert es verstehen, wenn sie es selbst nicht mal verstand? In letzter Zeit war sie echt seltsam geworden. Sich selbst fremd. Innerlich seufzte Phoebe.
„Was wollte sie?“, fragte sie dann Bert, aber sie klang kühler als sie es selbst wollte.
„Nichts besonderes.“, sagte er.
„Geht’s noch ein bisschen ungenauer?“
Bert sah sie an, fragend. Er verstand nicht, wo das Problem lag. Er verstand nicht einmal, dass es ein Problem gab. „Sie hat mir meine corvette zurück gegeben, die ich verloren habe.“, sagte er dann.
„Du hast keine corvette.“, gab Phoebe zurück und sah nun ihrerseits fragend drein. Cuthbert zeigte das Lederbeutelchen kurz hoch. Sie schüttelte den Kopf. „Das ist nicht deine.“
„Ich weiß. Aber sie hat drauf bestanden.“, sagte er.
„Du kannst doch nicht einfach…“ Und dann verstand sie auch. Es war nicht für Bert gedacht. Es war Susan auch klar, dass sie nicht ihm gehörte. Klar, weil Susan wusste, dass niemand sie verloren hatte. Es war ihre. Dieses Mädel war nicht nur unsagbar hübsch, sondern auch noch klug und Phoebe kam nicht daran vorbei sich das mit einer gewissen Bitterkeit einzugestehen. Manche Dinge waren einfach nicht gerecht. „Beschissenes Ka.“, murmelte sie leise. Bert sah zu ihr rüber.

Cuthbert und Phoebe fanden Roland dort, wo er sich in letzter Zeit ständig aufhielt. Auf einem Abschnitt der Schräge von dem aus man genau auf Hambry sehen konnte... und vor allem genau auf das Haus der Delgados. Heute aber war Alain bei ihm. Das zumindest war anders. Aber sie sprachen kein Wort miteinander. Das merkten sie schon, als sie an die beiden herangeritten kamen.
„Weißt du, ich kann akzeptieren, dass Leute längere Zeiträume zusammen verbringen können, ohne miteinander zu reden, aber ich glaube nicht, dass ich es je verstehen werde.“, sagte Bert zu Phoebe. Sie antwortete nicht. Es gab nichts zu antworten. Ja, so war Bert. Aber ihr war nicht danach jetzt Scherze zu machen.
Sie kamen auf Alain und Roland zu geritten und beide sahen zu ihnen. Bert warf Roland die corvette zu. „Von Susan Delgado. Sie hat es mir gegeben, aber ich glaube, nicht für mich. Sie ist wunderschön, aber sie ist auch listig wie eine Schlange. Ich sage dies mit der allergrößten Bewunderung.“, sagte Bert. Phoebe warf ihm einen bösen Blick zu, auch wenn er eigentlich nichts dafür konnte. Er sprach die Wahrheit, ja. Aber es tat weh. Warum wusste sie nicht. Es tat weh. Aber es machte auch nichts, dass sie selbst nicht wusste warum. Bert bemerkte es nicht einmal. Und auch kein anderer der Jungs. Roland schon gar nicht. Seine Augen begannen mit einem Mal zu leuchten, als er die corvette mit einer Hand auffing. Ein Leuchten, das Phoebe schon lange nicht mehr bei ihm gesehen hatte und welches jetzt auf einmal so plötzlich auftauchte, das es wie ein Hoffnungsschimmer wirkte. Der aber schnell wieder verfolgen war, nachdem Roland einen Streifen Papier hervorgeholt hatte und die Nachricht darauf gelesen hatte. Das Leuchten verschwand aus seinen Augen und er schaffte es sogar, noch trostloser als zuvor dreinzuschauen. Und in diesem Moment hatte Phoebe Mitleid mit Roland. Sein Gesichtsausdruck war kaum zu beschreiben. So hoffnungslos, so enttäuscht. Sie wollte ihn so nicht sehen. Sie mochte Susan Delgado nicht, weil sie so nahezu perfekt zu sein schien, vielleicht. Weil sie allen Jungs den Kopf verdrehen konnte, möglich. Aber sicher auch deshalb, weil sie eine Mätresse war und von denen hielt Phoebe nicht viel (was wohl daran liegen dürfte, dass ihr eigene Mutter eine gewesen war). Aber in diesem Moment war sie sich sicher, dass sie Susan auch hassen konnte, einfach weil sie Roland so unglücklich aussehen lassen konnte. Sie schaffte es, aus welchen Gründen auch immer. Und als sie zu Bert sah, sah sie das gleiche in seinen Augen. Nur war sie sich hier nicht sicher, ob dieser Ausdruck in seinem Gesicht daher kam, dass Susan Roland verletzte, oder ob es Eifersucht war, weil Roland eine Nachricht von ihr bekam, nicht aber Bert selbst.
„Was steht darin?“, fragte Alain und riss damit nicht nur Phoebe aus ihren Gedanken. Roland antwortete nicht, sondern reichte Alain den Zettel. Sein Blick schweifte wieder über die Schräge, aber Phoebe hätte nicht gewettet, dass er auch etwas davon sah, außer vielleicht das Haus der Delgados.
Alain reichte Bert den Zettel. Als auch er ihn gelesen hatte, reichte er ihn an Phoebe weiter. Eigentlich wollte sie es gar nicht wissen. Musste sie ihn denn noch lesen um zu wissen, was los war? Doch sie nahm ihn dennoch an sich und las ihn. Denn eines war ihr immer noch unklar. Wieso schrieb Susan  Delgado Roland überhaupt einen Zettel, von der Art und Weise mal ganz abgesehen?

Es ist besser, wir sehen uns nicht. Tut mir leid.

Das war alles, was dort stand. Zwei Sätze nur. Zwei Sätze, die Roland unglücklich machten und ihr ganzes Ka-tett vielleicht ins Unglück stürzten. Dann gab Phoebe den Zettel an Roland zurück. Immer noch war ihr unklar, warum er eine Nachricht bekam, aber eines zumindest war ihr jetzt klar. Es klang wie eine Antwort. Also muss schon eine andere Nachricht vorweg gegangen sein. Doch Roland war in den letzten Tagen nicht fort gewesen, außer hier, auf diesen Stückchen Land auf der Schräge.
„Und jetzt, Roland? Sollen wir unsere Suche draußen auf den Ölfeld ohne sie durchführen?“, brach Alain fast schüchtern das Schweigen. Er war wohl der einzige von ihnen, der auf gefühlvolle Weise dennoch an ihre Pflichten erinnern konnte. Dafür bewunderte Phoebe ihn. Auch Bert tat das. Roland aber sagte nichts. Er reagierte zwar, ja. Setzte sich aufrecht im Sattel auf und seine Miene wurde fest. Aber sie wurde zu etwas unbarmherzigen. Etwas rauen. Etwas grässlichen. Phoebe sah in diesem Moment den Mann in seinem Gesicht, zu dem Roland eines Tages werden würde. Es ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Sie wusste nicht, ob sie Roland jemals so sehen wollte.
„Die großen Sargjäger… Habt ihr sie in der Stadt gesehen?“, fragte Roland dann an Bert und Phoebe gewandt.
„Jonas und Reynolds schon, ay.“, antwortete Cuthbert. „Von Depape immer noch keine Spur. Ich glaube ja, nach der Nacht in der Bar hat Jonas ihn in einem Wutanfall erwürgt und über die Klippen ins Meer geworfen.“, grinste Bert.
„Nayn, Jonas ist zu sehr auf seine Männer angewiesen, denen er vertraut, als dass er es sich leisten könnte sie zu beseitigen. Er ist genauso weit draußen auf dünnen Eis wie wir.“, sagte Phoebe mit ruhiger, rauer Stimme. Sie blickte in die Ferne, über die Schräge. Sicher aber nicht zum Haus der Delgados, denn von denen hatte sie langsam genug. „Nayn, Depape ist nur eine Zeitlang weggeschickt wurden, schätze ich.“
Roland nickte, doch Alain und Cuthbert sahen sie erstaunt an. „Wohin weggeschickt?“, fragte Al dann. Phoebe grinste. Es war eines jener Grinsen, das sie auflegte, wenn sie voller Verbitterung und Verachtung etwas feststellen musste. Es war ein zynisches Grinsen. „Dorthin, wo er in die Büsche scheißen und im Regen schlafen muss, wenn das Wetter schlecht ist.“, sagte sie kalt und lachte. Ein humorloses Lachen. „Wahrscheinlich wollte Jonas, dass er unsere Spuren zurückverfolgt.“, sagte sie dann ernst.
„Wir warten noch ein Weilchen.“, sagte Roland dann nach einigen weiteren Sekunden des Schweigens. „Vielleicht überlegt sie es sich anders.“
Phoebe konnte ein Aufstöhnen nicht unterdrücken. Mit der Antwort hatte sie gerechnet. Warten. Immerhin tat Roland in letzter Zeit nichts anderes. Und sie damit auch. Aber das die Entscheidungen jetzt schon von den Launen Susans abhängig gemacht wurden, wollte und wollte ihr nicht gefallen.
„Zweifle nicht an mir.“, sagte Roland nun an sie gewandt. Man konnte sagen, dass er ihr endlich einmal Aufmerksamkeit schenkte. „Ich spreche als meines Vaters Sohn.“
„Und ich spreche als meines Vaters Tochter.“, sagte Phoebe bissig. Sie klang ein wenig gereizt. „Ich zweifle weniger an dir, als an den Gründen für deine Entscheidung.“
Alain sah sie an, durchdringend, flehend. Als wollte er sagen: Phoebe, nicht, lass es. Er weiß, was er tut. Nun, aber dass wusste sie auch. Sehr wohl, sogar. Cuthbert enthielt sich eines Urteils, aber tief in seinem Inneren, da wusste er nicht nur sehr genau, was Phoebe hatte sagen wollen, sondern er empfand genauso. Roland mochte als Sohn seines Vaters sprechen oder auch nicht. Er vermutete, Roland wusste im Moment selbst nicht, als was er sprach. Bert glaubte, dass er nicht mehr Herr seiner Sinne war.
„Erinnert ihr euch, was Cort immer zu sagen pflegte, was die Hauptschwäche von solch Maden wie uns wäre?“, fragte Roland in die Runde. Ein Anflug eines Lächelns lag um seine Lippen.
„Wenn ihr lauft ohne nachzudenken, fallt ihr in ein Loch.“, imitierte Alain mit tiefer, rauer Stimme. Eine bärbeißige Imitation, bei der Cuthbert in Gelächter ausbrach. Phoebe konnte nicht lachen.
„Ay, das sind Worte, die ich nicht vergessen werde.“, lächelte Roland jetzt breiter. „Ich werde diesen Wagen nicht umwerfen, um zu sehen, was darin ist.  Es sei denn, uns bleibt keine andere Wahl.“
„Ich weiß, was Cort gesagt hat und ich erinnere mich sehr wohl an seine Lehren, Roland. Ich bin auch in seinem Unterricht gewesen.“, sagte Phoebe nun mehr kälter als notwendig. Ihre Stimme nahm fast den gleichen Tonfall an, wie in jenem Moment im Travellers Rest, als sie Jonas überrumpelt hatte. Roland sah sie einen Moment an, seine Augen wurden enger, als mustere er sie genau. Dann entspannten seine Züge sich wieder ein wenig. „Susan überlegt es sich vielleicht, wenn sie Zeit zum Nachdenken hat.“, sagte er und ging damit gar nicht weiter auf Phoebe ein. „Ich glaube, sie hätte sofort eingewilligt mich zu sehen, wenn nicht… andere Dinge zwischen uns stünden.“, schloss Roland.
„Oh man…“, murmelte Phoebe und verdrehte die Augen. Am liebsten hätte sie jetzt einen gepfefferten Spruch abgelassen. Einen Spruch Marke Cuthbert, der Roland für gewöhnlich zum Platzen brachte. So etwas wie: Du musst dir ja sehr sicher sein oder besser. Aber sie ließ es. Roland war in Gedanken schon lange nicht mehr bei ihnen, sondern bei Susan Delgado. Er hatte wieder diesen Gesichtsausdruck drauf. Sie sah weg und schüttelte abschätzig den Kopf.
„Ich wünschte, unsere Väter hätten uns nicht hier her geschickt.“, sagte Alain schließlich, der in Phoebes Gesicht gelesen zu haben schien. „Wir sind zu jung für derartige Dinge. Um Jahre zu jung.“
„In jener Nacht im Rest haben wir richtig gehandelt.“, sagte Bert fast schroff und nun fest davon überzeugt, was er damals getan hatte.
„Das war Training. Keine Kunst. Sie haben uns nicht ernst genommen, aber das wird nicht noch einmal passieren.“, wandte Alain ein.
„Sie hätten uns nicht geschickt – weder Rolands Vater, noch eure – wenn sie gewusst hätten, was wir hier finden.“, sagte Phoebe gleichgültig.
„Aber nun haben wir es gefunden und nun müssen wir dafür gerade stehen. Ja?“, fragte Roland in die Runde und schenkte ihnen mal wieder ein wenig Aufmerksamkeit. Alain und Cuthbert nickten. Phoebe sah ihn einen Moment an, abschätzig. Am liebsten wollte sie jetzt trotzig sein, wollte ihm zeigen, wie es ist, nicht mehr wichtig zu sein, nicht beachtet zu werden. Aber was würde das bringen, fragte sie sich dann. Sie war jetzt eine Revolverfrau, kein Kind mehr. Das hier war kein Vergnügen, es gab Arbeit zu erledigen. Sie musste vernünftig und sachlich sein. Uns sie musste Roland eine Chance geben, wenn er schon einmal bei Verstand zu sein schien. Sie zuckte die Schultern und nickte dann.
„Jedenfalls ist es jetzt zu spät, sich darüber Gedanken zu machen, dass wir hier sind. Wir warten und hoffen auf Susan. (Ein weiteres Augenverdrehen von Phoebe folgte: Susan, Susan, immer nur Susan. Langsam begann sie eine echte Abneigung gegen den Namen zu entwickeln.) Ich würde das Citgo – Gelände lieber nicht ohne jemanden aus Hambry betreten, der sich dort auskennt. Aber wenn Depape zurückgekehrt, müssen wir vielleicht das Risiko eingehen. Gott weiß, was er herauskriegen oder welche Geschichten er erfinden könnte, um Jonas gefällig zu sein. Oder was Jonas tun mag, nachdem sie miteinander Palaver gehalten haben. Es könnte zu einer Schießerei kommen.“, sagte Roland.
„Nach diesem ganzen Herumschleichen wäre mir das fast willkommen.“, sagte Cuthbert mürrisch und Phoebe nickte zustimmend.
„Also, wirst du ihr noch eine Nachricht schicken, Will Dearborn?“, fragte Alain. Phoebe warf ihm fast unbewusst einen vernichtenden Blick zu. Sie hätte nicht sagen können, warum genau.
„Nein.“, sagte aber Roland, nachdem er lange darüber nachgedacht zu haben schien. „Wir müssen ihr Zeit lassen, so schwer es uns fällt.“
„Uns?“, fragte Phoebe nun mit hochgezogenen Brauen. War das sein Ernst? Roland reagierte nicht, aber Bert schlug ihr mit der Faust hart gegen die Schulter. Sie sah empört zu ihm rüber.
„Hoffen wir, dass ihre Neugier sie zu uns führt.“, sagte Roland schon wieder in Gedanken versunken.
„Das gilt nicht für mich.“, sagte Phoebe eiskalt. Ihr Blick aber galt nicht Roland. Sie sah Cuthbert dabei an. Dann trieb sie White Lady an und ritt voraus in Richtung Bar K und Schlafhaus. Alain und Bert sahen sich vielsagend an, doch Roland reagierte nicht. Nach einer Weile folgten sie ihr.
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