Marie - A long way from paradise
von LadyCharena
Kurzbeschreibung
Um 1949 flieht Matthew Caine mit seinem kleinen Sohn vor den roten Garden aus China in die USA. Auf dem Weg nach St. Louis, der Stadt in der er aufgewachsen ist, begegnet er in Boston einer Frau namens Marie Bradshaw. Für eine kurze Zeit gehen die beiden eine Beziehung ein.
GeschichteLiebesgeschichte / P16 / Gen
Kwai Chang Caine
27.12.2007
27.12.2007
4
11.431
1
27.12.2007
2.503
Titel: Marie – A long way from paradies 2
Autor: Lady Charena
Fandom: Kung Fu TLC
Charaktere: Caine, Peter
Thema: # 008. Wochen
Word Count:
Rating: PG-13, het, A/R
Anmerkung des Autoren: Vielen Dank an T’Len für’s betalesen.
Fortsetzung zu #009. Monate / Marie – A long way from paradise 1
Summe: Um 1949 flieht Matthew Caine mit seinem kleinen Sohn vor den roten Garden aus China in die USA. Auf dem Weg nach St. Louis, der Stadt in der er aufgewachsen ist, begegnet er in Boston einer Frau namens Marie Bradshaw. Für eine kurze Zeit gehen die beiden eine Beziehung ein.
Disclaimer: Die Rechte der in dieser Fan-Story verwendeten geschützten Namen und Figuren liegen bei den jeweiligen Inhabern. Eine Kennzeichnung unterbleibt nicht in der Absicht, damit Geld zu verdienen oder diese Inhaberrechte zu verletzen. Lyrics aus „I believe“ von Joana Zimmer.
* // * // * = Erinnerungen
2. Im Haus von Dr. Linc
*********************************************************
*********************************************************
Matthew blieb stehen, stellte den Korb mit dem Brennholz ab und beobachtete seinen Sohn. Kwai Chang stand in einer Ecke des Hinterhofs, das Gesicht mit den vor Staunen großen, runden Augen gen Himmel gewandt, wo aus großen, grauen Wolken unablässig Schneeflocken fielen. Er lächelte. Offenbar erinnerte sich Kwai nicht mehr an die Zeit, die sie in den Bergen verbrachten und an den Schnee, der – kaum anders als jetzt – den Fünfjährigen zum Staunen gebracht hatte. „Kwai Chang.“ Er rief ihn leise, um den in das Spiel der Flocken vertieften Jungen nicht zu erschrecken.
Kwai Chang wirbelte zu ihm herum und kam dann gehorsam zu seinem Vater. Prüfend berührte Matthew die Wangen seines Sohnes. „Es ist sehr kalt heute, du solltest nicht zu lange im Freien sein.“ Er rückte den Schal und die Mütze zurecht, genau wie der warme Mantel, Handschuhe und ein neues Paar Schuhe Geschenke der Frau von Dr. Linc.
„Ja, Vater.“ Der kleine Junge versuchte seine Enttäuschung zu verbergen.
„Geh’ jetzt ins Haus. Ich werde später zu dir kommen und dir eine Geschichte erzählen.“
Diese Aussicht schien Kwai Changs Stimmung sofort aufzuhellen, denn er nickte, sein kleines Gesicht strahlte in der matten Nachmittagssonne. Er lief Richtung Haus, nicht ohne vorher noch eine Handvoll Schnee aufzuheben.
Matthew sah ihm kopfschüttelnd nach. In nur einem knappen Monat hatte sich sein Sohn sehr verändert.
* // * // *
Unter der liebevollen Fürsorge von Miss Watkins – die sich seit ihrem frostigen Empfang nicht nur an die Gäste gewöhnt, sondern Kwai Chang regelrecht in ihr Herz geschlossen hatte – und Mrs. Linc schien er gewachsen zu sein. Offensichtlich sah das auch Mrs. Linc so, denn eines Tages tauchte stillschweigend eine Garnitur neuer Kleidung in ihrem Zimmer auf. Am Abend des gleichen Tages, als sich Matthew mit Dr. Linc traf, um ihre Studien aufzunehmen, erklärte der Shaolin, dass er die vielen Geschenke nicht annehmen könne.
Der Arzt sah ihn einige Zeit stumm an, dann lächelte er. „Sie kennen meine Frau nicht, Caine. Nellie ist als eines von neun Kindern in einem Haushalt aufgewachsen, in dem es an nichts mangelte. Ihre Eltern sind sehr reich. Dieses Haus war ihr Geschenk zu unserer Hochzeit. Manche Menschen, die unter so guten Bedingungen aufwachsen, werden hochmütig und hartherzig, aber nicht meine Nellie. Sie liebt Kinder über alles und ihr einziger Wunsch ist es, dafür sorgen zu können, dass es allen so gut geht wie unseren eigenen Kindern. Sie ist ständig unterwegs, um Geld für Mittellose zu sammeln, um dafür zu sorgen, dass Obdachlose Essen, Kleidung und ein Dach über dem Kopf bekommen. Für Nellie ist es eine Art heilige Pflicht für andere zu sorgen. Sie tut das... aus Dankbarkeit. Boston ist eine große Stadt, mit sehr vielen Menschen. Man kann jeden Tag und überall sehen, wie schlecht es vielen davon geht. Wir hatten Glück, es geht uns gut und dafür sind wir dankbar.“ Er hob die Hand, als Matthew etwas sagen wollte. „Bitte – Sie müssen sich weder entschuldigen, noch bedanken. Es ist uns eine Ehre, dass Sie bei uns sind – und Kwai Chang ist eine Freude für unser ganzes Haus. Nellie liebt ihn.“ Sein Lächeln vertiefte sich. „Sie wird ihn nicht mehr hergeben wollen, wenn Sie zu Ihrer Familie in St. Louis fahren. Aber gehen Sie nicht zu bald. Es gibt noch vieles, dass Sie mir beibringen müssen.“ Er streckte die Hand aus.
Zögernd griff Matthew danach. „Ich danke Ihnen“, sagte er leise. „Für alles, was Sie und Ihre Frau für meinen Sohn und mich getan haben.“
„Es ist uns eine Ehre“, wiederholte Dr. Linc. Er schlug das Buch auf, in dem er sich Notizen zu machen pflegte. „Sind Sie sicher, dass Sie nicht in Boston bleiben wollen?“, fragte er beiläufig. „Kwai Chang ist ein sehr intelligentes Kind, er könnte im nächsten Jahr mit unserem Sohn Michael die Schule besuchen. Und ich bin sicher, man würde sich in der chinesischen Gemeinde über die Anwesenheit eines Shaolinpriesters freuen. Viele verlieren hier im Westen den Kontakt zu ihren Wurzeln, zu ihren Traditionen.“
„Ich werde darüber nachdenken“, entgegnete Matthew. „Mein Sohn soll jedoch auch Gelegenheit erhalten, die Familie meiner Mutter in Saint Louis kennen zu lernen.“
* // * // *
So vieles in ihrem Leben hatte sich in so kurzer Zeit geändert. Und Kwai Chang schien es leichter zu fallen, sich an diese vielen Veränderungen anzupassen. Vielleicht aufgrund seiner kindlichen Offenheit, vielleicht lag es auch daran, dass er von frühester Kindheit an daran gewöhnt war, nie lange an einem Ort zu bleiben. Dem Namen Caine haftete auch ein halbes Jahrhundert nach dem kaiserlichen Todesurteil noch der Makel des Mörders an und selbst wenn er sich nur selten direkter Verfolgung ausgesetzt sah, war es Matthew doch nie weise erschienen, zu lange an einem Ort zu bleiben. Sein Vater hatte nach dem Tod seiner Frau Lily erneut die Flucht in den Westen angetreten und seinen kaum erwachsenen Sohn bei den Shaolin zurückgelassen. Matthew hatte seine Ausbildung abgeschlossen, die Brandmale zum Zeichen der Priesterschaft empfangen, Su Lin geheiratet und einen Sohn gezeugt, ohne jemals zu erfahren, ob sein Vater noch am Leben war. Vielleicht konnte er nun, nach so langer Zeit, in Saint Louis noch etwas über das Schicksal von Kwai Chang Caine erfahren.
Mit einem leisen Seufzen nahm Matthew den Korb mit dem Brennholz auf und trug ihn in die Küche.
Er vermisste Su Lin mehr, als er sich eingestehen konnte oder wollte. Sie hatte es stets verstanden, die dunklen Schatten der Vergangenheit, die auf seiner Seele lasteten, zu vertreiben. Ihr Tod hatte ein Loch in seine Seele gerissen.
Ihre gemeinsame Zeit war zu kurz bemessen gewesen... auch – vielleicht gerade – aufgrund seines eigenen Handelns, seiner Entscheidung, nach Amerika zurückzukehren, um den Opfern eines grausamen und sinnlosen Krieges zu helfen. Wäre er bei ihr gewesen, als die Sing Wah das Dorf überfielen, vielleicht hätte er die Entführung von Su Lin und ihrem ungeborenen Kind verhindern können... Doch so war er in ein verwüstetes Dorf zurückgekehrt und hatte seinen Sohn in der Obhut eines mehrere Tagesreisen entfernten Shaolintempels wiedergefunden. Su Lin hatte, die Gefahr ahnend, einen Verwandten mit dem kaum Zweijährigen losgeschickt, um ihren Sohn in Sicherheit zu bringen. Warum sie ihn nicht begleitet hatte, was sie im Dorf zurückhielt, hatte Matthew nie in Erfahrung bringen können.
Nellie Linc trat in die Küche, gefolgt von einer anderen Frau – und riss ihn aus seinen Erinnerungen. „Matthew!“ Nellie strahlte ihn an. Ihr rundes, sommersprossiges Gesicht zeigte fast immer ein Lächeln. „Darf ich Ihnen meine Schwester Marie Bradshaw vorstellen? Marie – das ist Matthew Caine, von dem ich dir schon so viel erzählt habe.“
Es gab kaum äußerliche Ähnlichkeiten zwischen Marie Bradshaw und ihrer Schwester – wo diese klein und rundlich war, zeigte sich Marie hochgewachsen und schlank. Ihr glattes, braunes Haar zeigte nur einen leichten rötlichen Schimmer, während Nellie eine Pracht wirrer, roter Locken trug. Gleich war den Schwestern jedoch der sanfte, fröhliche Ausdruck der blauen Augen, das warme Lächeln.
Matthew sah sie verwirrt an, als sie ihm eine zierliche Hand entgegen streckte. Wortlos beugte er sich darüber.
„Ich freue mich, Sie endlich kennen zu lernen.“
Ihre Stimme war weich und samt. Seltsamerweise erinnerte sie Matthew an die Stimme seiner Mutter und er hätte sie fast gebeten, für ihn zu singen... Dann sah er auf und ihre Augen suchten seine. Etwas war geschehen, dass er so nicht für möglich gehalten hatte... Matthew Caine hatte sich auf den ersten Blick in Marie Bradshaw verliebt.
* * *
Noch lange nachdem die tiefen, gleichmäßigen Atemzüge seines Kindes verrieten, dass Kwai Chang schlief, saß Matthew neben ihm und betrachtete ihn. Doch das im Schlaf entspannte Gesicht seines Sohnes hielt keine Antworten auf die Fragen, die er sich stellte.
Ohne das Kind zu stören, stand er auf und zog seine Jacke an. Er nahm die kleine Flöte vom Tisch, die sein Vater angefertigt hatte und die Matthew dazu benutzte, seinen Sohn zu unterrichten. Das Instrument war alt und zeigte deutliche Spuren von Gebrauch, doch sein Klang war tadellos und die enger zusammenliegenden Grifflöcher ideal für die kürzeren Finger eines Kindes. Auf dem Weg zur Tür zögerte er und kehrte noch einmal zum Bett zurück. Er beugte sich über Kwai Chang und zog sorgfältig die Decke um ihn hoch. Bevor er sich aufrichtete, küsste er ihn auf die Schläfe. Die Lider seines Sohnes zuckten, doch dann schlief er ruhig weiter. Nach einem letzten Blick verließ Matthew den Raum.
Durch die Küchentür, die von innen mit einem Riegel verschlossen wurde, trat Matthew in den dunklen Innenhof. Es störte ihn nicht, von Wänden umgeben zu sein, um die Freiheit des Himmels über sich zu spüren, musste er nur den Kopf in den Nacken legen und aufsehen.
Die Novembernacht war kalt und klar, es schneite ganz leicht. Matthew wischte den Schnee von dem Hackstock, an dem er früher am Tag Holz zerkleinert hatte und setzte sich darauf. Lange hielt er die Flöte nur in den Händen, ohne zu bemerken, wie die Kälte seine Finger langsam klamm werden ließ. Er dachte nicht nach, Matthew ließ nur Bilder in sich hochsteigen, ohne Kontrolle darüber auszuüben, welche.
Das Gesicht seiner Mutter, wie sie sich über ihn beugte. Sein Vater, sonst so ernst, der ihn an den Schultern festhielt und lachend durch die Luft wirbelte. Sein entzücktes Kreischen hallte in seiner Erinnerung wieder, ein schriller, hoher Ton, bei dem sich seine Mutter die Ohren zuhielt und sich darüber beklagte, dass ihr Sohn auf keinen Fall ihre Stimme geerbt hatte. Saint Louis. Eine große und aufregende Stadt für einen kleinen Jungen. Er begann zu verstehen, wie Kwai Chang sich in Boston fühlen musste. Warum ihn die Wunder und Abenteuer außerhalb der Mauern dieses Hofes so lockten, dass er sich davonstahl und die Zeit vergaß. Einmal hatte ihn Matthew bei einer seiner Exkursionen in Chinatown gefunden, mit anderen Jungen in seinem Alter so ins Spiel vertieft, dass er nicht bemerkt hatte, dass es Abend wurde. Saint Louis verblasste und wurde ersetzt von der Reise nach China. Das bisher größte Abenteuer in seinem jungen Leben. Ein Shaolintempel. Die teils neugierigen, teil missbilligenden Blicke der Mönche; die Zweifel, die seiner Herkunft galten. Das blasse Gesicht seiner Mutter, kurz vor ihrem Tod. Das harte Gesicht und die heimlichen Tränen seines Vaters, als sie starb. Die Flucht in einen anderen Tempel, dann die Abreise seines Vaters. Der Tag, an dem die Male der Shaolin in seine Unterarme eingebrannt wurden. Erlebnisse aus seiner Wanderzeit als junger Priester – und letztlich das Zusammentreffen mit Su Lin –ihr stilles, schmales Gesicht. Und der Stolz in ihren Zügen, als sie ihm zum ersten Mal seinen Sohn in die Arme legte...
Matthew holte tief Atem und öffnete die Augen. Er nahm die Brille ab und wischte den Schnee von den Gläsern. Als hätte er damit einen Vorhang weggewischt, stand Marie Bradshaw vor ihm. Er sprang auf, so vertieft in seine Erinnerungen hatte er ihre Präsenz nicht früher gespürt. „Miss Bradshaw.“
Sie blickte ihn an, ihr Gesicht - still und ernst - zwischen der Pelzmütze auf ihrem Kopf und dem Pelzkragen ihres Mantels kaum auszumachen. Sie hatte die Hände in einem Muff verborgen und dem Schnee nach, der sich auf ihrem Kragen und ihren Schultern angesammelt hatte, stand sie dort schon seit geraumer Zeit.
Natürlich hatte Matthew gewusst, dass sie ihre Schwester besuchte, doch er hatte sich bewusst von ihr ferngehalten. Die Gefühle, die sie in ihm wachrief... es konnte nichts Gutes daraus erwachsen.
„Ich wollte Sie nicht stören.“ Marie lächelte verlegen, als sie mit den Schultern zuckte. „Aber Sie schienen mit Ihren Gedanken so weit fort...“
„In einer anderen Zeit“, erwiderte Matthew. „Vielleicht sogar in einem... anderen Leben.“
Sie deutete auf die Flöte in seinen Händen. „Spielen Sie für mich?“
Matthew starrte einen Moment auf das vergessene Instrument, dann sah er Marie wieder an. „Wenn Sie es wünschen.“ Er hob die Flöte an die Lippen, schloss die Augen und ohne bewusst darüber nachzudenken, spielte er ein Lied aus seiner Erinnerung. Er wusste nicht sicher, woher es stammte, vielleicht hatte er es irgendwann einmal irgendwo gehört. Vielleicht war es eines der bittersüßen Lieder, die sein Vater für Lily gespielt hatte. Vielleicht war es aber auch keine Erinnerung, sondern ein Lied, das lange - tief in ihm - darauf gewartet hatte, gespielt zu werden...
Doch so plötzlich, wie die Töne da gewesen waren, hörten sie auch wieder auf und Matthew ließ die Flöte sinken, lauschte ihnen nach. Er öffnete die Lider, hob den Kopf – und sah direkt in Maries tränenglänzende Augen. Sie war so dicht zu ihm getreten, dass sich ihre Körper fast berührten.
„Das... war wundervoll“, flüsterte sie. „Ich habe so etwas noch nie gehört.“
Ihre Hand, sehr warm auf seiner eiskalten Haut, berührte seine Wange. Ihr Mund glitt näher zu seinem, ihr Atem streifte seine Lippen.
Doch noch bevor sie sich berührten, spürte Matthew eine Veränderung im ch’i seines Sohnes. Er legte die Hände auf Maries Schultern und schob sie sanft von sich. „Es tut mir leid“, flüsterte er. „Es tut mir leid, Marie. Bitte...“
Sie wich zurück, ihre Enttäuschung war deutlich in ihrem Gesicht zu erkennen. „Ich verstehe nicht...“
Matthew berührte ihre Wange, wiederholte ihre zärtliche Geste. „Es tut mir leid.“ Er ließ die Hand sinken, stand auf und eilte an ihr vorbei ins Haus zurück. Er fand seinen Sohn mit schweißbedecktem Gesicht, in sein Laken verwickelt. Kwai Chang rief leise nach seinem Vater, gefangen in einem Alptraum. Matthew legte rasch seine schneebedeckte Jacke ab und setzte sich auf die Bettkante. Er rieb die Hände aneinander, um sie zu wärmen und berührte dann vorsichtig das Gesicht seines Sohnes.
Sofort wurde der Junge ruhiger, öffnete nach einigen Momenten die Augen. „Vater?“, flüsterte er.
Matthew nahm ihn in die Arme und hielt ihn fest an sich gedrückt. Als er sicher war, dass Kwai Chang wieder ruhig schlief, legte er ihn zurück ins Bett und zog die Decke um ihn hoch. Er stand auf und trat zum Fenster. Der Hof war leer und dunkel. Er schüttelte den Kopf und kehrte zu seinem Sohn zurück. Er verbrachte den Rest der Nacht damit, über Kwai Changs Träume zu wachen. Maries Gesicht verdrängte er aus seinen Gedanken.
Fortsetzung #006.Stunden – Marie A long way from paradise
Autor: Lady Charena
Fandom: Kung Fu TLC
Charaktere: Caine, Peter
Thema: # 008. Wochen
Word Count:
Rating: PG-13, het, A/R
Anmerkung des Autoren: Vielen Dank an T’Len für’s betalesen.
Fortsetzung zu #009. Monate / Marie – A long way from paradise 1
Summe: Um 1949 flieht Matthew Caine mit seinem kleinen Sohn vor den roten Garden aus China in die USA. Auf dem Weg nach St. Louis, der Stadt in der er aufgewachsen ist, begegnet er in Boston einer Frau namens Marie Bradshaw. Für eine kurze Zeit gehen die beiden eine Beziehung ein.
Disclaimer: Die Rechte der in dieser Fan-Story verwendeten geschützten Namen und Figuren liegen bei den jeweiligen Inhabern. Eine Kennzeichnung unterbleibt nicht in der Absicht, damit Geld zu verdienen oder diese Inhaberrechte zu verletzen. Lyrics aus „I believe“ von Joana Zimmer.
* // * // * = Erinnerungen
2. Im Haus von Dr. Linc
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You got your reasons,
but are you sure they're reasons to be right?...oh
'cause we're a long long way, a long way from paradise.
but are you sure they're reasons to be right?...oh
'cause we're a long long way, a long way from paradise.
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Matthew blieb stehen, stellte den Korb mit dem Brennholz ab und beobachtete seinen Sohn. Kwai Chang stand in einer Ecke des Hinterhofs, das Gesicht mit den vor Staunen großen, runden Augen gen Himmel gewandt, wo aus großen, grauen Wolken unablässig Schneeflocken fielen. Er lächelte. Offenbar erinnerte sich Kwai nicht mehr an die Zeit, die sie in den Bergen verbrachten und an den Schnee, der – kaum anders als jetzt – den Fünfjährigen zum Staunen gebracht hatte. „Kwai Chang.“ Er rief ihn leise, um den in das Spiel der Flocken vertieften Jungen nicht zu erschrecken.
Kwai Chang wirbelte zu ihm herum und kam dann gehorsam zu seinem Vater. Prüfend berührte Matthew die Wangen seines Sohnes. „Es ist sehr kalt heute, du solltest nicht zu lange im Freien sein.“ Er rückte den Schal und die Mütze zurecht, genau wie der warme Mantel, Handschuhe und ein neues Paar Schuhe Geschenke der Frau von Dr. Linc.
„Ja, Vater.“ Der kleine Junge versuchte seine Enttäuschung zu verbergen.
„Geh’ jetzt ins Haus. Ich werde später zu dir kommen und dir eine Geschichte erzählen.“
Diese Aussicht schien Kwai Changs Stimmung sofort aufzuhellen, denn er nickte, sein kleines Gesicht strahlte in der matten Nachmittagssonne. Er lief Richtung Haus, nicht ohne vorher noch eine Handvoll Schnee aufzuheben.
Matthew sah ihm kopfschüttelnd nach. In nur einem knappen Monat hatte sich sein Sohn sehr verändert.
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Unter der liebevollen Fürsorge von Miss Watkins – die sich seit ihrem frostigen Empfang nicht nur an die Gäste gewöhnt, sondern Kwai Chang regelrecht in ihr Herz geschlossen hatte – und Mrs. Linc schien er gewachsen zu sein. Offensichtlich sah das auch Mrs. Linc so, denn eines Tages tauchte stillschweigend eine Garnitur neuer Kleidung in ihrem Zimmer auf. Am Abend des gleichen Tages, als sich Matthew mit Dr. Linc traf, um ihre Studien aufzunehmen, erklärte der Shaolin, dass er die vielen Geschenke nicht annehmen könne.
Der Arzt sah ihn einige Zeit stumm an, dann lächelte er. „Sie kennen meine Frau nicht, Caine. Nellie ist als eines von neun Kindern in einem Haushalt aufgewachsen, in dem es an nichts mangelte. Ihre Eltern sind sehr reich. Dieses Haus war ihr Geschenk zu unserer Hochzeit. Manche Menschen, die unter so guten Bedingungen aufwachsen, werden hochmütig und hartherzig, aber nicht meine Nellie. Sie liebt Kinder über alles und ihr einziger Wunsch ist es, dafür sorgen zu können, dass es allen so gut geht wie unseren eigenen Kindern. Sie ist ständig unterwegs, um Geld für Mittellose zu sammeln, um dafür zu sorgen, dass Obdachlose Essen, Kleidung und ein Dach über dem Kopf bekommen. Für Nellie ist es eine Art heilige Pflicht für andere zu sorgen. Sie tut das... aus Dankbarkeit. Boston ist eine große Stadt, mit sehr vielen Menschen. Man kann jeden Tag und überall sehen, wie schlecht es vielen davon geht. Wir hatten Glück, es geht uns gut und dafür sind wir dankbar.“ Er hob die Hand, als Matthew etwas sagen wollte. „Bitte – Sie müssen sich weder entschuldigen, noch bedanken. Es ist uns eine Ehre, dass Sie bei uns sind – und Kwai Chang ist eine Freude für unser ganzes Haus. Nellie liebt ihn.“ Sein Lächeln vertiefte sich. „Sie wird ihn nicht mehr hergeben wollen, wenn Sie zu Ihrer Familie in St. Louis fahren. Aber gehen Sie nicht zu bald. Es gibt noch vieles, dass Sie mir beibringen müssen.“ Er streckte die Hand aus.
Zögernd griff Matthew danach. „Ich danke Ihnen“, sagte er leise. „Für alles, was Sie und Ihre Frau für meinen Sohn und mich getan haben.“
„Es ist uns eine Ehre“, wiederholte Dr. Linc. Er schlug das Buch auf, in dem er sich Notizen zu machen pflegte. „Sind Sie sicher, dass Sie nicht in Boston bleiben wollen?“, fragte er beiläufig. „Kwai Chang ist ein sehr intelligentes Kind, er könnte im nächsten Jahr mit unserem Sohn Michael die Schule besuchen. Und ich bin sicher, man würde sich in der chinesischen Gemeinde über die Anwesenheit eines Shaolinpriesters freuen. Viele verlieren hier im Westen den Kontakt zu ihren Wurzeln, zu ihren Traditionen.“
„Ich werde darüber nachdenken“, entgegnete Matthew. „Mein Sohn soll jedoch auch Gelegenheit erhalten, die Familie meiner Mutter in Saint Louis kennen zu lernen.“
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So vieles in ihrem Leben hatte sich in so kurzer Zeit geändert. Und Kwai Chang schien es leichter zu fallen, sich an diese vielen Veränderungen anzupassen. Vielleicht aufgrund seiner kindlichen Offenheit, vielleicht lag es auch daran, dass er von frühester Kindheit an daran gewöhnt war, nie lange an einem Ort zu bleiben. Dem Namen Caine haftete auch ein halbes Jahrhundert nach dem kaiserlichen Todesurteil noch der Makel des Mörders an und selbst wenn er sich nur selten direkter Verfolgung ausgesetzt sah, war es Matthew doch nie weise erschienen, zu lange an einem Ort zu bleiben. Sein Vater hatte nach dem Tod seiner Frau Lily erneut die Flucht in den Westen angetreten und seinen kaum erwachsenen Sohn bei den Shaolin zurückgelassen. Matthew hatte seine Ausbildung abgeschlossen, die Brandmale zum Zeichen der Priesterschaft empfangen, Su Lin geheiratet und einen Sohn gezeugt, ohne jemals zu erfahren, ob sein Vater noch am Leben war. Vielleicht konnte er nun, nach so langer Zeit, in Saint Louis noch etwas über das Schicksal von Kwai Chang Caine erfahren.
Mit einem leisen Seufzen nahm Matthew den Korb mit dem Brennholz auf und trug ihn in die Küche.
Er vermisste Su Lin mehr, als er sich eingestehen konnte oder wollte. Sie hatte es stets verstanden, die dunklen Schatten der Vergangenheit, die auf seiner Seele lasteten, zu vertreiben. Ihr Tod hatte ein Loch in seine Seele gerissen.
Ihre gemeinsame Zeit war zu kurz bemessen gewesen... auch – vielleicht gerade – aufgrund seines eigenen Handelns, seiner Entscheidung, nach Amerika zurückzukehren, um den Opfern eines grausamen und sinnlosen Krieges zu helfen. Wäre er bei ihr gewesen, als die Sing Wah das Dorf überfielen, vielleicht hätte er die Entführung von Su Lin und ihrem ungeborenen Kind verhindern können... Doch so war er in ein verwüstetes Dorf zurückgekehrt und hatte seinen Sohn in der Obhut eines mehrere Tagesreisen entfernten Shaolintempels wiedergefunden. Su Lin hatte, die Gefahr ahnend, einen Verwandten mit dem kaum Zweijährigen losgeschickt, um ihren Sohn in Sicherheit zu bringen. Warum sie ihn nicht begleitet hatte, was sie im Dorf zurückhielt, hatte Matthew nie in Erfahrung bringen können.
Nellie Linc trat in die Küche, gefolgt von einer anderen Frau – und riss ihn aus seinen Erinnerungen. „Matthew!“ Nellie strahlte ihn an. Ihr rundes, sommersprossiges Gesicht zeigte fast immer ein Lächeln. „Darf ich Ihnen meine Schwester Marie Bradshaw vorstellen? Marie – das ist Matthew Caine, von dem ich dir schon so viel erzählt habe.“
Es gab kaum äußerliche Ähnlichkeiten zwischen Marie Bradshaw und ihrer Schwester – wo diese klein und rundlich war, zeigte sich Marie hochgewachsen und schlank. Ihr glattes, braunes Haar zeigte nur einen leichten rötlichen Schimmer, während Nellie eine Pracht wirrer, roter Locken trug. Gleich war den Schwestern jedoch der sanfte, fröhliche Ausdruck der blauen Augen, das warme Lächeln.
Matthew sah sie verwirrt an, als sie ihm eine zierliche Hand entgegen streckte. Wortlos beugte er sich darüber.
„Ich freue mich, Sie endlich kennen zu lernen.“
Ihre Stimme war weich und samt. Seltsamerweise erinnerte sie Matthew an die Stimme seiner Mutter und er hätte sie fast gebeten, für ihn zu singen... Dann sah er auf und ihre Augen suchten seine. Etwas war geschehen, dass er so nicht für möglich gehalten hatte... Matthew Caine hatte sich auf den ersten Blick in Marie Bradshaw verliebt.
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Noch lange nachdem die tiefen, gleichmäßigen Atemzüge seines Kindes verrieten, dass Kwai Chang schlief, saß Matthew neben ihm und betrachtete ihn. Doch das im Schlaf entspannte Gesicht seines Sohnes hielt keine Antworten auf die Fragen, die er sich stellte.
Ohne das Kind zu stören, stand er auf und zog seine Jacke an. Er nahm die kleine Flöte vom Tisch, die sein Vater angefertigt hatte und die Matthew dazu benutzte, seinen Sohn zu unterrichten. Das Instrument war alt und zeigte deutliche Spuren von Gebrauch, doch sein Klang war tadellos und die enger zusammenliegenden Grifflöcher ideal für die kürzeren Finger eines Kindes. Auf dem Weg zur Tür zögerte er und kehrte noch einmal zum Bett zurück. Er beugte sich über Kwai Chang und zog sorgfältig die Decke um ihn hoch. Bevor er sich aufrichtete, küsste er ihn auf die Schläfe. Die Lider seines Sohnes zuckten, doch dann schlief er ruhig weiter. Nach einem letzten Blick verließ Matthew den Raum.
Durch die Küchentür, die von innen mit einem Riegel verschlossen wurde, trat Matthew in den dunklen Innenhof. Es störte ihn nicht, von Wänden umgeben zu sein, um die Freiheit des Himmels über sich zu spüren, musste er nur den Kopf in den Nacken legen und aufsehen.
Die Novembernacht war kalt und klar, es schneite ganz leicht. Matthew wischte den Schnee von dem Hackstock, an dem er früher am Tag Holz zerkleinert hatte und setzte sich darauf. Lange hielt er die Flöte nur in den Händen, ohne zu bemerken, wie die Kälte seine Finger langsam klamm werden ließ. Er dachte nicht nach, Matthew ließ nur Bilder in sich hochsteigen, ohne Kontrolle darüber auszuüben, welche.
Das Gesicht seiner Mutter, wie sie sich über ihn beugte. Sein Vater, sonst so ernst, der ihn an den Schultern festhielt und lachend durch die Luft wirbelte. Sein entzücktes Kreischen hallte in seiner Erinnerung wieder, ein schriller, hoher Ton, bei dem sich seine Mutter die Ohren zuhielt und sich darüber beklagte, dass ihr Sohn auf keinen Fall ihre Stimme geerbt hatte. Saint Louis. Eine große und aufregende Stadt für einen kleinen Jungen. Er begann zu verstehen, wie Kwai Chang sich in Boston fühlen musste. Warum ihn die Wunder und Abenteuer außerhalb der Mauern dieses Hofes so lockten, dass er sich davonstahl und die Zeit vergaß. Einmal hatte ihn Matthew bei einer seiner Exkursionen in Chinatown gefunden, mit anderen Jungen in seinem Alter so ins Spiel vertieft, dass er nicht bemerkt hatte, dass es Abend wurde. Saint Louis verblasste und wurde ersetzt von der Reise nach China. Das bisher größte Abenteuer in seinem jungen Leben. Ein Shaolintempel. Die teils neugierigen, teil missbilligenden Blicke der Mönche; die Zweifel, die seiner Herkunft galten. Das blasse Gesicht seiner Mutter, kurz vor ihrem Tod. Das harte Gesicht und die heimlichen Tränen seines Vaters, als sie starb. Die Flucht in einen anderen Tempel, dann die Abreise seines Vaters. Der Tag, an dem die Male der Shaolin in seine Unterarme eingebrannt wurden. Erlebnisse aus seiner Wanderzeit als junger Priester – und letztlich das Zusammentreffen mit Su Lin –ihr stilles, schmales Gesicht. Und der Stolz in ihren Zügen, als sie ihm zum ersten Mal seinen Sohn in die Arme legte...
Matthew holte tief Atem und öffnete die Augen. Er nahm die Brille ab und wischte den Schnee von den Gläsern. Als hätte er damit einen Vorhang weggewischt, stand Marie Bradshaw vor ihm. Er sprang auf, so vertieft in seine Erinnerungen hatte er ihre Präsenz nicht früher gespürt. „Miss Bradshaw.“
Sie blickte ihn an, ihr Gesicht - still und ernst - zwischen der Pelzmütze auf ihrem Kopf und dem Pelzkragen ihres Mantels kaum auszumachen. Sie hatte die Hände in einem Muff verborgen und dem Schnee nach, der sich auf ihrem Kragen und ihren Schultern angesammelt hatte, stand sie dort schon seit geraumer Zeit.
Natürlich hatte Matthew gewusst, dass sie ihre Schwester besuchte, doch er hatte sich bewusst von ihr ferngehalten. Die Gefühle, die sie in ihm wachrief... es konnte nichts Gutes daraus erwachsen.
„Ich wollte Sie nicht stören.“ Marie lächelte verlegen, als sie mit den Schultern zuckte. „Aber Sie schienen mit Ihren Gedanken so weit fort...“
„In einer anderen Zeit“, erwiderte Matthew. „Vielleicht sogar in einem... anderen Leben.“
Sie deutete auf die Flöte in seinen Händen. „Spielen Sie für mich?“
Matthew starrte einen Moment auf das vergessene Instrument, dann sah er Marie wieder an. „Wenn Sie es wünschen.“ Er hob die Flöte an die Lippen, schloss die Augen und ohne bewusst darüber nachzudenken, spielte er ein Lied aus seiner Erinnerung. Er wusste nicht sicher, woher es stammte, vielleicht hatte er es irgendwann einmal irgendwo gehört. Vielleicht war es eines der bittersüßen Lieder, die sein Vater für Lily gespielt hatte. Vielleicht war es aber auch keine Erinnerung, sondern ein Lied, das lange - tief in ihm - darauf gewartet hatte, gespielt zu werden...
Doch so plötzlich, wie die Töne da gewesen waren, hörten sie auch wieder auf und Matthew ließ die Flöte sinken, lauschte ihnen nach. Er öffnete die Lider, hob den Kopf – und sah direkt in Maries tränenglänzende Augen. Sie war so dicht zu ihm getreten, dass sich ihre Körper fast berührten.
„Das... war wundervoll“, flüsterte sie. „Ich habe so etwas noch nie gehört.“
Ihre Hand, sehr warm auf seiner eiskalten Haut, berührte seine Wange. Ihr Mund glitt näher zu seinem, ihr Atem streifte seine Lippen.
Doch noch bevor sie sich berührten, spürte Matthew eine Veränderung im ch’i seines Sohnes. Er legte die Hände auf Maries Schultern und schob sie sanft von sich. „Es tut mir leid“, flüsterte er. „Es tut mir leid, Marie. Bitte...“
Sie wich zurück, ihre Enttäuschung war deutlich in ihrem Gesicht zu erkennen. „Ich verstehe nicht...“
Matthew berührte ihre Wange, wiederholte ihre zärtliche Geste. „Es tut mir leid.“ Er ließ die Hand sinken, stand auf und eilte an ihr vorbei ins Haus zurück. Er fand seinen Sohn mit schweißbedecktem Gesicht, in sein Laken verwickelt. Kwai Chang rief leise nach seinem Vater, gefangen in einem Alptraum. Matthew legte rasch seine schneebedeckte Jacke ab und setzte sich auf die Bettkante. Er rieb die Hände aneinander, um sie zu wärmen und berührte dann vorsichtig das Gesicht seines Sohnes.
Sofort wurde der Junge ruhiger, öffnete nach einigen Momenten die Augen. „Vater?“, flüsterte er.
Matthew nahm ihn in die Arme und hielt ihn fest an sich gedrückt. Als er sicher war, dass Kwai Chang wieder ruhig schlief, legte er ihn zurück ins Bett und zog die Decke um ihn hoch. Er stand auf und trat zum Fenster. Der Hof war leer und dunkel. Er schüttelte den Kopf und kehrte zu seinem Sohn zurück. Er verbrachte den Rest der Nacht damit, über Kwai Changs Träume zu wachen. Maries Gesicht verdrängte er aus seinen Gedanken.
Fortsetzung #006.Stunden – Marie A long way from paradise