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Evas Schokolade

von Len
Kurzbeschreibung
GeschichteAllgemein / P12 / Gen
29.10.2007
29.10.2007
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Evas Schokolade


Eva musste würgen.

Die Luft in dem kleinen Raum hatte eine kaum zu ertragende Konzistenz angenommen. Klebrige Süße verband sich mit dem typischen Geruch von Metall, der beinahe schon zu schmecken war und ein rostiges Gefühl im Mund hinterließ.
Als würde man mit altem Besteck essen.

Selbst die ätzenden Dünste des Reinigungsmittels konnten dies nicht mildern, geschweige denn übertünchen.

Sie würgte ein weiteres Mal und starrte auf ihre Hände, die in giftgrüne Gummihandschuhe gehüllt waren.

Wenn sie sie ausziehen würde, könnte sie sicher sehen, wie die Haut über ihren Fingerkuppen zu abstrakten Saugnäpfen aufgequollen war. Berge und Täler aus feuchtem Gewebe.

Den Rücken durchdrückend versuchte sie diesen Gedanken abzuschütteln. Bereits früher beim Baden, als sie noch ein Kind gewesen war, hatte sie diesen Anblick gehasst, weil es etwas Totes, Morbides an sich hatte.

Sich ihren Mundschutz wieder überziehend, setzte sie die beinahe beendete Arbeit fort.
Immer wieder rieb das raue Material des Schwamms, in ihrer Hand, über die feucht glänzenden Fliesen. Und jedes Mal wich der anhängliche Gestank ein wenig mehr dem chemischen Zitronenaroma.

Erst nach einer zusätzlichen Stunde konnte sie aufstehen, ohne sich sofort wieder hinknien und weitermachen zu müssen.

In ihren Schläfen pochte das Blut schmerzhaft gegen die Innenseiten der Venen und Arterien. Die Reinigungsschwaden schienen hinter ihren Augen zu wabern und für einen kurzen Moment befürchtete Eva, sich übergeben zu müssen; fing sich jedoch noch rechtzeitig.
Mit einer energischen Handbewegung streifte sie sowohl Handschuhe, Mundschutz, als auch Haarnetz und die verwaschene Kleidung, die sie trug, ab, um alles in eine bereitliegende Plastiktüte zu stopfen, die mit einem eingearbeitetem Gummizug verschnürt werden konnte.

Tief durchatmend, das Zimmer verlassend und durch den kleinen Wohnbereich gehend, schritt sie auf den von Grünpflanzen umrahmten Balkon, um sich eine Zigarette anzuzünden.
Obwohl es in den Lungen schmerzte, sog die junge Frau gierig an der Kippe.

Die kühle Luft draußen umschmeichelte die verschwitzte Haut. Zumindest die Teile, die nicht von Unterhemd und Slip bedeckt blieben.
Ein wenig fröstelte ihr, doch sie ignorierte es so gut es ging. Denn es war ohne Zweifel ein reinigendes Gefühl.
Sauberer und vor allem unschuldiger, als künstliche Erzeugnisse es je nachahmen könnten.

Noch bevor die Glut den Filter erreicht hatte, zündete sich Eva eine zweite Zigarette an.

Sie wollte den Augenblick hinauszögern, in dem sie wieder hinein musste. Zu dem atemberaubendem Gestank und den Plastiktüten, die sich im Gang stapelten.

Seit beinahe zwei Tagen hatte sie nun schon nicht mehr geschlafen und auch nicht mehr geheizt.
Wahrscheinlich würde sie erfrieren, wenn sie nicht bald damit anfing, sich abermals zu bewegen, oder sich etwas Warmes anzuziehen.
Am besten beides.

Mit einem Seufzen drückte sie die halbgerauchte Fluppe im nächst besten Blumenkasten aus.

Drinnen warteten die Müllbeutel bereits auf sie.

Dunkel schimmernd und bedrohlich aufgetürmt, wie Soldaten einer fremdartigen Armee.
Sie musste an ein altes Märchen denken, von dem sie einmal gehört hatte, nun aber nicht mehr sinnvoll rekonstruieren konnte.

Drei der Säcke mit jeder Hand nehmend trat die junge Frau in den dunklen Gang des Mietshauses, nur um noch einmal in ihre Wohnung zurück zu kehren und auch die Flaschen des Reinigungsmittels in eine der Plastiktüten zu stopfen. Erst dann erlaubte sie es der Tür, mit einem Klicken, ins Schloss zu fallen.

Ihre Tragelast war schwerer als erwartet, so dass bereits auf dem Weg zum Aufzug ihre Hände und Arme zu Schmerzen begannen.
Am Lift angekommen verstaute sie alles sorgfältig, bevor sie sich ebenfalls in die kleine Kabine stellte und den untersten Knopf drückte, der sie so zum Keller führte.

Von dort aus mussten die Beutel nur noch ein kurzes Stück getragen, beziehungsweise geschleift werden, bis ihre ölig glänzenden Oberflächen in den, an der Wand aufgereihten, Mülltonnen aus Evas Blickfeld verschwanden.

„Arschloch…“ murmelte sie verstimmt, wütend über die Arbeit, die sie in den letzten Stunden hatte verrichten müssen. Aber auch wütend auf sich selbst.

Sie nahm sich vor, die nächsten zwei Wochen zur Sanktionierung keine Schokolade mehr zu essen.

Das musste als Strafe genügen.

Fin
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